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Evangelisch - Katholisch: Der Unterschied

Die Frage nach dem Verhältnis von evangelisch und katholischem Glauben ist - wie schon Shrek von sich selbst sagte - wie eine Zwiebel: Sehr vielschichtig.

Eine Schicht ist das praktische Erleben der Trennung: Nicht nur die gewünschte «Abendmahlsgemeinschaft» bleibt vorläufig ein unerfüllter Traum; auch das gemeinsame Feiern der Sakramente wie Taufe, Firmung / Konfirmation, Trauung und Weihe / Ordination bleibt uns vorläufig versagt - gar nicht erst zu reden von den unterschiedlichen Tradition an Ostern oder in der Fastenzeit, an Marienfesten, bei Schulentlassungen oder Segensfeiern.

Eine weitere Schicht ist die Geschichte der beiden Konfessionen, die oftmals viel Leid mit sich brachte - von beiden Seiten gleichermaßen verschuldet. Es klingt immer noch nach, was sich die Konfessionen über Jahrhunderte physisch angetan haben - in den großen Religionskriegen genauso wie in den kleinen Streitigkeiten auf dem Schulhof zwischen evangelischen und katholischen Schülern. Viel Leid hat sich vor allem in der Handhabung der "konfessionsverschiedenen Ehen" (früher "Misch-Ehen", die lange Zeit nicht erlaubt waren) ergeben - eine Schuld, von der sich keine Konfession freisprechen kann.

Eine dritte Schicht ist die persönliche Gefühlslage. Viele Christen beider Konfessionen fühlen sich gar nicht getrennt: Im Grunde glauben sie das Gleiche, haben die gleichen Werte und Lebensauffassungen. Sie fragen, warum denn immer noch so ein Trara gemacht wird - glauben wir denn nicht alle gleich?

Noch mehr Schichten können beschrieben und von einander unterschieden werden. Ganz unten, als Grund aller Schichten, liegt eine theologische Auseinandersetzung, ausgehend von einer unterschiedlichen Grundeinstellung - aber diese Schicht bleibt meist verborgen und ist kaum bekannt. Von bloßen Symptomen abgesehen ("die Evangelischen haben keine Heiligenverehrung" - "die Katholiken bekommen ein Aschekreuz") ist die theologische Differenz der beiden Konfessionen selten ein Thema. Das soll sich mit dieser Katechese ändern.

 

 

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Diese Katechese ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 052) erhältlich: Kostenlose Bestellung

 

Die Unterscheidung zwischen katholischem und evangelischem Glauben spielt auch noch in weitern Katechesen eine wichtige Rolle. Allen Interessierten empfehlen wir vor allem:

Der Absolutheitsanspruch der katholischen Kirche (vor allem im letzten Abschnitt)

Antwort auf Kritik aus den evangelikalen Gemeinschaften

Bibel und Tradition - Ein Klärung

Historischer Einstieg ins Thema

Sorry: Diesmal gibt es keinen historischen Einstieg ins Thema.

Eigentlich sollte sich diese Katechese, wie sich das gehört, zunächst mit den historischen Entwicklungen befassen. Sogar Physik-Bücher beginnen meist weit in der Vergangenheit mit den physikalischen Entdeckungen in der Antike, um die Gegenwart besser zu verstehen. Obwohl dahinter auch ein kluger Gedanke steht, möchte ich es genau umgekehrt machen.

Denn das, was Luther damals bewegte, war vor allem eine theologische Kehrtwende - eine veränderte theologische Option. Erst daraus entwickelte sich sein geschichtliches Handeln. Gerade das aber kennt jeder, es versteht aber nur, wer seine Theologie kennt. Wollte er nun eine neue Kirche - oder nur die alte erneuern? Ging es ihn um die Abschaffung der Missstände oder um eine Abschaffung des Papstes? War Luther ein Reformator (ein Erneuerer) oder ein Schismatiker (ein Kirchenspalter) oder gar ein Häretiker (ein Irrlehrer)? Alle diese Fragen lassen sich nicht klären, wenn man nicht begreift, was reformatorische und was katholische Theologie ist.
Beginnen wir also nicht mit einem historischen Einstieg ins Thema, sondern schauen auf die Theologie - um dann die Geschichte zu verstehen.

Die Hauptdifferenz...

Gehen wir direkt medias in res: Im Grunde unterscheiden sich evangelisch-protestantische Theologie und katholische Lehre nur in einer Vorentscheidung: Hat Gott sein Heilswirken an Menschen (und menschliche Institution) verbindlich weitergegeben?

Die katholische Kirche beantwortet diese Frage munter mit "Ja" - Gott hat sich in die Hände des Menschen gegeben: "Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat." (Lk 10,16); "Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein." (Mt 16,19) oder auch: "Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert." (Joh 20, 23)

Die protestantische Kirche weist diesen Anspruch empört zurück: Kann Gott daran gebunden sein, was Menschen tun? Sich regelrecht davon abhängig machen? Niemals! "Denn: Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus" (1 Tim 2,5). Nur einer, Jesus Christus, und kein weiterer Mensch.

Damit es keine Missverständnisse gibt: Selbstverständlich kennt die protestantische Theologie Fälle, in denen Gott Menschen zu seinen Mitarbeitern erwählt und sie in seinen Heilsplan einbaut. Es gibt Propheten, Evangelisten, Apostel und aufrichtige Christen, die Gottes Willen tun und in seinem Namen handeln. Die Frage, die die beiden Konfessionen so unterschiedlich beantwortet, ist allerdings nicht, ob das (gelegentlich oder häufig) vorkommt, sondern ob Gott sich an das menschliche Handeln unwiderruflich gebunden hat.

Luther hat diese Frage klar beantwortet: In Bezug auf sein Heil kann der Mensch nichts wirken - in Bezug auf sein Heil ist der Mensch unfrei und unfähig zur Mitwirkung.

...und ihre Folgen

Aus dieser Vorentscheidung: "Der Mensch ist zur Mit-Erlösung nicht in der Lage" und der Folgerung: "Gott würde sein Wirken niemals an menschliche Institutionen oder Ämter binden" folgen Zug um Zug die großen und kleinen Differenzen der Konfessionen. Erst aus dieser grundlegenden theologischen Differenz ergeben sich die uns bekannten, weil augenfälligen Unterschiede. Fangen wir beim "protestantischsten" Punkt an: Dem Ablass.

Der Ablass

Wie in der "Ablass-Katechese" beschrieben, geht es beim Ablassgedanken darum, dass der Mensch - erst nach der Sündenvergebung und der Buße - auch noch eine Strafe zu verrichten hat, die durch den Ablass abgegolten werden kann.
Luther hat sich - entgegen weitverbreiteter Missverständnisse (oder bewusster Falschmeldungen) - nicht allein gegen den Ablassmissbrauch eingesetzt. Der Ablass selbst war ihm ein Dorn im Auge - denn dort wirkt der Mensch offenbar an seinem Heil mit.
Das konnte Luther nicht akzeptieren. In Bezug auf sein Heil bleibt der Mensch passiv - eine Mitwirkung, auch wenn es sich nur um die zeitlichen Sündenstrafen handelte - war für Luther ausgeschlossen; schon gar nicht eine geregelte Mitwirkung, die auf den Verdiensten der Kirche und der Heiligen beruht.

Die Rolle der Kirche

Vor allem die streng lutherisch ausgerichteten Evangelikalen werfen der katholischen Kirche vor, sich zwischen Gott und die Menschen zu stellen. Sie betonen, dass es nur einen Mittler gibt zwischen Gott und den Menschen: Jesus Christus. Sie lehnen es ab, sich selbst als "Kirche" zu bezeichnen. Gerettet wird nicht der, der zur Kirche gehört, sondern zu Jesus Christus.
Zur Kirche gehört wesentlich ein geweihtes Priesteramt - für Protestanten ein unfassbares Ding: Gott bindet sich an das Tun eines Menschen? Wenn der Priester Beichte hört, muss Gott alles vergeben, was der Priester in der Beichte vergibt? Jedes evangelisches Herz wendet sich hier ab. Das ist nicht der Wille Gottes.
Deshalb gibt es in der evangelischen Kirche auch keine Priester. Während in der katholischen Kirche die Pfarrer im Priester-Seminar ausgebildet werden, müssen die evangelischen Pfarrer zuvor das Prediger-Seminar besuchen (der Titel Pastor ist übrigens von der Konfession unabhängig - er ist regional verschieden in beiden Konfessionen üblich). Evangelische Pfarrer sind Prediger - sie bereiten das Wort Gottes für uns; Priester vollziehen Gottes heilige Handlungen - das tun die evangelischen Pastöre sicherlich nicht. Wenn sie ein Stellvertretung übernehmen, dann die für das Volk - nicht für Gott.

Inzwischen ist ein großer Teil der VELKD (Vereinigte Evangelische Lutherische Kirche Deutschlands) sogar dazu übergegangen, nicht nur ordinierten Pfarrern die Leitung des Abendmahles zu überlassen; d.h. dass die Ordination für den Vollzug einer sakralen Handlung nicht notwendig ist - noch nicht einmal für die Feier des Abendmahls.

Maria und die Heiligen

Besonders ärgerlich reagieren sie natürlich auf Maria, die uns zu Jesus führen soll. Widerspricht das nicht der alleinigen Mittlerschaft Christi? Und dann gibt es ja noch den Papst, der sich sogar für den Stellvertreter Christi auf Erden hält. Braucht der Mittler Jesus einen weiteren Mittler?
Dabei wird die Rolle Mariens gar nicht geleugnet - es wird nur bezweifelt, dass Maria deshalb eine feste und bleibende Position in der Heilsordnung Gottes hat. Wie oben schon gesagt: Gegen gelegentliche Mitwirkung des Menschen hatte Luther nichts; aber eine feste, bleibende Erhöhung des Menschen?
Gleiches gilt natürlich für alle Heiligen: Warum sie um ihre Fürbitte anrufen? Warum sich nicht direkt an Gott wenden? In evangelikalen Kreisen hat die katholische Heiligenverehrung den Geruch der Götzenverehrung: Sie treten an die Stelle Gottes; denn Lob, Ehre und Herrlichkeit gebührt alleine Gott - und die Heiligenverehrung schmälert die Liebe zu Gott. (Oder sie treten an die Stelle der heidnischen Götter mit ihren jeweiligen Spezialgebieten - Was die Sache in den Augen der Protestanten allerdings nicht besser macht).

Volksfrömmigkeit

Auch wird die katholische Lehre gerne in die Ecke des Pelagius gestellt, wenn Protestanten z.B. fragen, ob wir Katholiken glauben, durch Wallfahrten, Kerzen anzünden und Fasten uns das Heil zu erkaufen.

Die Sakramente

Zu dem "Tun", das uns erlöst, gehört natürlich auch der Empfang der Sakramente. Glauben die Katholiken denn wirklich, sie bräuchten nur regelmäßig den Leib Christi empfangen, um gerettet zu werden? Wo bleibt denn da die freie Erwählung durch Gott? Der Mensch bewirkt sein Heil durch religiöses Tun - in diesem Fall vermittelt durch die Sakramente.

Die Eucharistie

Besonders deutlich wird dieser Unterschied in der Wandlung der Eucharistie: Als in Bocholt im westlichen Münsterland eine Monstranz gestohlen wurde, die zur Anbetung den Leib Christi enthielt, fürchteten viele Gemeindemitglieder, dass das Allerheiligste, das wir Katholiken besitzen, nämlich das gewandelte Brot, nun verunehrt wird und vielleicht in irgendeinen Mülleimer gelandet ist. Eine Frau versuchte zu trösten: "Wenn Gott (in dieses Brot) hineingekommen ist, dann kann er da auch wieder herauskommen." Verlässt Gott die Hostie, wenn es unangenehm wird?

Nach evangelischem (lutherischem) Verständnis wandelt sich das Brot erst durch den Glauben des Empfängers. Da braucht keiner Angst zu haben, dass Gott in der Hostie verunehrt wird. In der katholischen Lehre bindet Gott sich so sehr an seine eigene Zusage: "Das ist mein Leib", dass er sich sogar in die Hände von Menschen gibt, die IHN und das eucharistische Wunder ablehnen.

Vorsicht - Stolperfalle...: Es gibt innerhalb des Protestantismus eine so große Bandbreite von Abendmahlstheologien, dass man nicht von "dem" evangelischem Verständnis sprechen kann. Von der Auffassung, im Abendmahlsgottesdienst wandelt sich überhaupt nichts, sondern es würde nur ein reines Erinnerungsmhal gefeiert - bishin zur fast katholischen Auffassung, dass sie die Gaben bereits mit den vom Zelebranten gesprochenen Worten wandelt, finden sich auch alle Zwischenformen im Protestantismus. Einige Lutheraner heben sogar die übriggebliebenen (gewandelten) Brottstücke in einem Extra-Schrank auf, der unserem Tabernakel ähnelt. Von einer Anbetung dieser eucharistischen Gaben im Protestantismus habe ich allerdings noch nie etwas gehört.
Links - Rechts - Mitte

Nun scheint es, als seien die protestantische und die katholische Position einander entgegengesetzt: Links die Protestanten, die eine verbindliche Vermittlung des Heils durch Menschen ablehnen, und rechts die Katholiken, die eine solche Ehre dem Menschen durchaus zugestehen.

Aber der erste Blick täuscht.

Die katholische Position ist nämlich nicht einfach das Gegenteil zur protestantischen Haltung. Vielmehr steht die katholische Kirche zwischen zwei extremen Positionen: Auf der einen Seite der Ruf der Reformation: "Allein die Gnade wirkt das Heil, nicht der Mensch!" - und auf der anderen Seite die gegenteilige Behauptung "Allein der Mensch wirkt sein Heil! Nicht die Gnade!" - die ebenfalls eine Irrlehre ist, nämlich die Häresie des Pelagius (und die sich in der Gnosis manifestiert hat - siehe z.B. die Katechese zu Dan Browns Buch "Sakrileg").

Es geht bei der katholischen Heilslehre vielmehr darum, dass der Mensch von Gott zur Mitwirkung bestimmt ist: Gott erwählt Menschen dazu, an Seinem Handeln teilzuhaben; er wünscht sogar, dass Sein Heilswirken durch menschliches Tun vermittelt wird. Die katholische Antwort auf das evangelische "entweder oder" ist ein klares "sowohl als auch!" Ein Mittelweg, der das Handeln Gottes und des Menschen miteinander verbindet, anstatt es gegeneinander auszuspielen. Sozusagen als versöhnten Mittelweg, betont die Lehre der katholische Kirche, dass der Urheber des Heils immer nur Gott ist; dass Er aber den Menschen nicht ohne die Mitwirkung des Menschen erlösen will (Augustinus).

Es ist immer schwierig, eine Mittelposition einzunehmen

Während die Grundsätze der Reformation dem sola-Prinzip folgten (sola gratia - allein die Gnade, sola fide - allein der Glaube, solus Christus - allein Christus, sola scriptura - allein die Bibel), bezieht die katholische Kirche wiederum nicht die logische Gegenposition («Allein der Glaube? Nein, allein die Werke!» - «Allein Christus? Nein, allein die Kirche!» - «Allein die Schrift? Quatsch, allein die Tradition!»). Die katholische Kirche hat niemals das sola-Prinzip übernommen. Das katholische Prinzip war immer das et - et; das "sowohl - als auch": «Allein die Gnade? - Nein, sowohl die Gnade als auch die Mitwirkung!» - «Allein Christus? - Nein, Christus in und mit der Kirche!» - «Allein die Schrift? - Nein, sowohl die Schrift als auch die gelebte kirchliche Tradition!»)

Aus evangelischer Sicht ist es schwierig, diese Mittelposition zu erkennen

Sobald z.B. zusätzlich zur Gnade noch die Mitwirkung des Menschen notwendig sein soll, scheint ihnen die Gnade von der katholischen Kirche verraten worden zu sein. Sobald neben die Autorität der Bibel auch noch die Autorität der Kirche tritt, scheint ihnen die Bibel zur willkürlichen kirchlichen Auslegung freigegeben. Genau hierin liegt also die Aufgabe der Ökumene.

Auch aus katholischer Sicht ist es schwierig, die Mittelposition zu bewahren

Da ist man leicht versucht, in Abgrenzung zu den Protestanten an Volksbräuchen verbissen festzuhalten, obwohl diese manchmal an den Bereich zum Aberglauben grenzen. Und dann ist man wenig später bemüht, die Wichtigkeit einer Wallfahrt herunterzuspielen, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, wir würden uns das Heil erarbeiten. Das ist wie mit dem Autofahren: Wer verzweifelt bemüht ist, den rechten Straßengraben zu vermeiden, landet oft im Linken. Da hilft der Ratschlag meines Fahrlehrers: Nicht auf die Gräben schauen, sondern den Blick weit voraus auf die Straße richten: Dann bleibt man schön in der Mitte.
Es entstehen tatsächlich Häresien in der katholischen Kirche, nur um den evangelischen Positionen nicht zu nahe zu kommen - mit der Schärfung des katholischen Profils kann auch die Wahrheit verloren gehen. Genauso verlassen wir aber den "altbewährten Weg", wenn wir jede Differenz mit den protestantischen Mitchristen zu nivellieren versuchen.

Die Vorentscheidung: Was ist der Mensch?

Genau genommen ist die Frage, ob der Mensch fähig ist, bei seinem Heil (und sogar bei dem Heils-Dienst am Nächsten) verbindlich mitzuwirken, nicht die eigentliche Vorentscheidung. Noch vor der Antwort muss sich der Mensch nämlich darüber klar werden, ob er dem Menschen eine Mitwirkung mit Gottes Gnade zutraut - und ob Gott das wohl genauso sieht. Es geht also noch vor der Gnadenlehre um die Frage: Was ist der Mensch? Gut? Ein bisschen gut? Böse? Vollkommen verdorben?
Wie nun Luther oder andere Reformatoren (genauso wie heutige überzeugte Protestanten) zu dem Schluss kommen, dass der Mensch nicht gut genug ist, um von Gott zur Mitwirkung mit Gott befreit zu werden, wissen wir nicht. Es gibt Vermutungen, dass Luther z.B. von seiner eigenen Schuld dermaßen gefangen war, dass er sich eine Vergebung und damit Befreiung zur Miterlösung gar nicht vorstellen konnte. Und er schloss von sich auf andere: Der Mensch ist verdorben und kann nichts zur Erlösung beitragen. Bei dem, was Gott mit ihm tut, bleibt der Mensch passiv.

Die katholische Kirche hat dagegen ein sehr viel optimistischeres Bild vom Menschen. Gut - wir alle wissen, dass der Mensch zu abgrundtief Bösem in der Lage ist; die Kirche hat sich aber immer bemüht, darüber den Sinn für das Gute im Menschen nicht zu verlieren. Das gilt sogar für die Sexualität, die in der katholischen Kirche immer einen sehr viel höheren und positiveren Wert besaß als im Protestantismus. Man schaue nur auf die barocken Gemälde, die farbenfrohe Liturgien und die pralle Volksfrömmigkeit, die sogar noch dem Karneval eine positive Wirkung auf den Glauben der Menschen zuschrieb.

Historischer "Ausstieg"

Nachdem wir auf einen "historischen Einstieg" ins Thema verzichtet haben, wollen wir am Schluss noch einen kurzen Blick zurück auf die Anfänge der Reformation werfen. Dabei stellt sich vor allem die Frage, was Luther eigentlich gewollt hat: Eine neue Kirche? Eine erneuerte alte Kirche? Eine Kirche ohne Papst, Heilige und Wallfahrten? Oder eine Kirche mit all diesen Bräuchen, nur von Missverständnissen, Übertreibungen und Verfälschungen gereinigt? Kurz: Wollte Luther das, was aus der Reformation hervorgegangen ist: Die evangelischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften?

Dazu ist natürlich als erstes zu sagen, dass Luther subjektiv von der Christlichkeit seiner Theologie überzeugt war. Luther wollte also keine zweite Kirche und keine Kirchenspaltung. Aber das, was Luther gefordert hat, war objektiv gesehen keine "Reformation", also keine reinigende Überarbeitung, sondern eine bis in die Grundüberzeugungen veränderte Kirche, dass man durchaus sagen kann, dass Luther eine "andere Kirche" gewollt hat.

"Im Grunde war Luther gut katholisch" ist eine oft wiederholte Behauptung, "erst später hat sich daraus eine eigene Kirche entwickelt". Ein mir befreundete protestantischer Pfarrer schüttelt dann immer fassungslos den Kopf: "Luther war von Anfang an nicht katholisch - er war durch und durch evangelisch!" Schon anhand der Randbemerkungen, die Luther in frühester Zeit an die Werke alter Theologen und Philosophen schrieb, ist nachzuweisen, dass Luther nicht erst nach und nach, sondern schon zu Beginn seiner Wirkens eine in den Grundzügen klare Theologie vertrat - und diese Theologie war absolut inkompatibel mit dem Glauben der katholischen Kirche.

Luther hat sich bereits in den Ablassthesen (wie oben schon erwähnt) nicht nur gegen den Ablassmissbrauch, sondern gegen die Ablasstheologie als solche gewandt und sich damit bereits als ein Erneuerer außerhalb der katholischen Kirche positioniert. Als Erasmus von Rotterdam an Luther schrieb und ihm vorwarf, er solle doch endlich zugeben, dass es ihm nicht nur um eine reformierte Kirche ginge, antwortete Luther ihm begeistert: "Endlich einer, der mich versteht! Es geht mir tatsächlich darum, zu zeigen, dass der Mensch keinen freien Willen hat!".

Es hilft der Ökumene nicht wirklich, wenn wir über Etiketten versuchen, Luther katholisch zu machen. Überhaupt ist die Frage, welche Position Luther als Person genau bezogen hat, gar nicht immer einfach zu erklären - Luther war kein Systematiker; so hat er zum Beispiel bis zuletzt an der Marienverehrung festgehalten. Auch für heutige evangelische Theologen spielt Luther selbst manchmal eine untergeordnete Rolle: Es geht letztlich um eine reformatorische Theologie und nicht um eine Klassifizierung des Reformators.

Die Geschichte verstehen heißt, die Gegenwart bewältigen: So ist die Geschichte wichtig, um in der Ökumene Aversionen zu begreifen, Verletzungen zu vermeiden und die richtigen Schritte in der richtigen Reihenfolge zu tun. Der Geschichte von evangelisch und katholisch liegt aber eine Theologie zugrunde, die nicht ausgeblendet werden darf - vermutlich liegt auch hier der Schlüssel zur Ökumene der Zukunft.

Ökumene
Was Ökumene schon tut (und auch tun soll)

Die Ökumene krankt im Moment daran, dass sie die Unterschiede nicht mehr benennt und oft der Eindruck erweckt wird, katholisch und evangelisch seien nur durch einen historischen Zwist auseinander geraten: Wenn wir uns nur wieder vertragen, dann wird alles wieder gut.
Natürlich ist es wichtig, nicht nur das Trennende vor Augen zu haben. Es gibt vieles, das wir schon gemeinsam tun können, weil wir Vieles auch schon gemeinsam glauben. Dazu gehören ökumenische Gottesdienste in den unterschiedlichsten Formen, gemeinsame Gebete in den Anliegen der Welt und gemeinsames politisches Handeln.
In vielen Bereichen gibt es tatsächlich auch einiges, dass wir von einander lernen können; den die unterschiedlichen Akzente und Gewichte haben auch verschiedene Talente und Künste gefördert.

Dazu gehört z.B. auch die Charakterisierung der evangelischen Konfession als "Konfession des Wortes" und der katholischen als "Konfession des Sakramentes". Das klingt jedoch so, als seien beide Konfessionen komplementär - würden sie also ihre jeweiligen Sichtweisen miteinander versöhnen, dann wäre wieder der christliche Glaube vollständig.

Was Ökumene bisher noch nicht geschafft hat

Das ist allerdings nicht bis in die "Hauptdifferenz" und das "Menschenbild" möglich: Denn hier stehen einander ausschließende Aussagen einander gegenüber. Wenn der eine sagt "Sola!" und der andere "Et - et!", dann kann man nicht einfach sagen: "Gut, wir beide haben recht; ergänzen wir uns!"

Einmal angenommen, zwei Zeugen haben einen Autounfall beobachtet, bei dem der Verursacher Fahrerflucht begangen hat. Nun behauptet der eine Zeuge, das geflohene Fahrzeug sei rot gewesen; der andere Zeuge allerdings besteht darauf, das genau dieses Auto alles war, nur niemals rot. Da wird kein Richter sagen können: "Gut, gehen wir davon aus, dass beide recht haben." - Es gibt halt logische Widersprüche, die sich auf der Ebene der Logik nicht aussöhnen lassen.

Während wir uns in der Ökumene auf der Ebene der gelebten Gemeinsamkeiten schon sehr weit entwickelt haben (nach dem Grundsatz des Papstes, den er in seinem Grußwort zum ökumenischen Kirchentag in Berlin formulierte: "Das gemeinsam Tun, was schon jetzt gemeinsam getan werden kann."), hat sich kaum noch jemand für die theologischen Hauptdifferenzen interessiert. Das rächt sich nun - denn dort hat es kaum eine Entwicklung gegeben (allerhöchstens in der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 - schon ein Meilenstein der Ökumene! Aber einer, der kaum Interesse bei der Basis gefunden hat).

Was Ökumene nicht sein darf

Wenn wir uns schon fast einig geworden sind, dann sind wir uns einig in der Unkenntnis unseres Glaubens: "Ich weiß gar nicht so recht, was wir Katholiken genau glauben..." - "Und mein evangelischer Glaube ist mir auch ziemlich unbekannt" - "Wow! Dann glauben wir ja das Gleiche!"

Was Ökumene noch tun kann - und noch nicht tut

Kardinal Meisner hat einmal gesagt, dass der katholische Glaube objektiv mehr enthält als der evangelische. Zur Illustration brachte er die Zahl der Sakramente: In der katholischen Kirche gibt es nun einmal sieben an der Zahl, in der evangelischen Kirche (je nach Ausrichtung) nur zwei.

Während der Sturm der Entrüstung auf dieses Meisner-Zitat von einem "arithmetischen Glauben" sprach, können wir eigentlich dem Kardinal von Köln nur recht geben. Allerdings beschränkt sich das "mehr" des katholischen Glaubens nicht allein auf die Zahl der Sakramente (was Kardinal Meisner selbstverständlich auch weiß), sondern auf die grundsätzliche Position der katholischen Kirche: Der evangelische "Sola-Position" wird durch die katholische Kirche nicht einfach nur widersprochen. Alles das, was in den "Sola-Prinzipien" genannt wird, ist auch Bestandteil des katholischen Glaubens. Allerdings wird der evangelische Glaube ergänzt und erweitert durch das katholische "et-et".

Ziel der Ökumene muss es also sein, den protestantischen Vorwurf, jedes "et" wäre ein Abstrich an den Grundprinzipien, zu entkräften. Ohne eine Benennung und Beilegung der logischen Verwerfung in der theologischen Vorentscheidung wird die Ökumene sonst scheitern.

Konkrete Anforderungen an eine Ökumene der Zukunft
Allein die Bibel! - Die Schrift und die Tradition

Das katholische "et-et" hat immer neben die Bibel auch die Tradition der Kirche gestellt. Das ist auch notwendig - denn die lebendige Tradition ist der hermeneutische Schlüssel zur Bibel. Immerhin hat die kirchliche Tradition die Bibel hervorgebracht - die Bibel ist ein Stück geronnener Tradition.
Nun hat die katholische Kirche tatsächlich über viele Jahrhunderte hinweg der Verkündigung der Tradition (durch Katechismen) größere Aufmerksamkeit gewidmet als der Verbreitung der Bibel. Nach dem Ruf der Reformation "allein die Bibel!" ist sie allerdings aufmerksam geworden. Frucht der ökumenischen Bemühungen wäre zum Beispiel die Einsicht, dass die Einordnung der Bibel in die Tradition der Kirche keine Abwertung und Aussortierung des Wortes Gottes ist, sondern die Sicherung und Aufwertung der Heiligen Schrift.

Allein die Gnade! - Die Gnade in der Mitwirkung des Menschen

Luther hatte eine Abneigung gegen das Wallfahren (vermutlich lag das auch an seinem Körperbau). Darin sah er den Versuch, sich den Himmel zu "erlaufen" - anstatt auf die Gnade allein zu vertrauen. Grundsätzlich gewendet meint die protestantische Theologie in vielen katholischen Frömmigkeitsbräuchen ein Gegensatz und eine Schmälerung der Gnade Gottes zu sehen: Immer wenn der (katholische) Mensch in seiner Frömmigkeit AKTIV wird, vermutet der Lutheraner eine Einschränkung der AKTIVITÄT Gottes.
Aufgabe der Ökumene muss es also sein, die Vorangigkeit der Gnade Gottes zu sichern: Nicht der Mensch erlangt durch seine Aktivität Gnade, sondern Gnade veranlasst den Menschen, aktiv zu werden, begleitet ihn und stärkt ihn.

Das gilt vor allem für das Feld der Buße: Nicht von ungefähr zündete der reformatorische Funke zuerst im Pulverfass des Ablasses. Aber auch hier gilt: Nicht die Vergebung wird erkauft, verdient oder frömmelnd erbeten. Die Vergebung ist immer ein reiner Gnadenakt. Aber der Mensch, der durch das Gnadenbad der Beichte rein geworden ist, beginnt seine Schuld und seine sündigen Gewohnheiten durch Mitwirkung mit der Gnade abzustreifen. Dass dieses Abstreifen (vorzüglich von C.S.Lewis im Kinderroman "Der Ritt auf der Morgenröte" erzählt) aber schmerzlich ist und leicht mit der eigentlichen Vergebung verwechselt werden kann, ist der Nachteil der Mittel-Position der Kirche. Gerade darin liegt eine ökumenische Herausforderung.

Allein Christus! Christus als Haupt der Gemeinschaft der Heiligen

Am deutlichsten wird das pessimistische Menschenbild der Reformation allerdings in der Ablehnung einer jeden Heiligenverehrung. Zugegeben: In seinen "Hardcore-Versionen" erinnert eine Heiligenverehrung schon an die heidnische Götterverehrung. Jedem Gott sein Zuständigkeitsbereich; jedem Heiligen sein Patronat.
Daraus aber zu folgern, dass die jede Aktivität des Menschen mit dem Tod des Menschen endet, ist ein Fehlschluss der Protestanten. Dass Heilige auch nach ihren Tod von Gott die Möglichkeit bekommen, dass zu tun, was ihre innerste Sehnsucht ist: Nämlich Gott zu schauen und die Menschen in die Schau Gottes zu führen. Heilige sind Mitbegleiter, keine Para-Götter; Heilige sind Fürsprecher und Mitbeter - keine abschirmenden Türsteher oder Security-Leute; Heilige sind Erinnerungen und Ermahnung zur Christusliebe - keine Ersatzbefriedigungen oder Götter-Ersatz.

Wenn wir einen Heiligen verehren, dann klingt da natürlich auch der Gedanke mit, dass der Verehrte etwas außergewöhnliches geleistet hat. Hier taucht die Gnadenfrage wieder auf: Lassen wir in unserer Heiligenverehrung immer durchblicken, dass das Verdienst des Heiligen allein darin besteht, die Gnade Gottes nicht abgelehnt, sondern mit ihr mitgewirkt zu haben!

Aufgabe der Ökumene muss es sein, dass wir das Anliegen der evangelischen Mitchristen, dass keine Heiligenverehrung Gottes Ehre schmälern darf, ernst nehmen und unser Verhalten darauf hin überprüfen. Aufgabe der Ökumene muss es aber auch sein, dass wir deutlich machen, dass jeder Heilige, den wir verehren, aufgrund eines echten Verdienstes verehrt wird - aber ein Verdienst der Gnade, nicht der Natur.

Allein Christus! Die Kirche als Leib Christi
In früheren Zeiten haben die Protestanten es oft abgelehnt, "Kirche" genannt zu werden. Sie waren eine "kirchliche Gemeinschaft", eine Gemeinde von Gleichgesinnten und Gleichgestellten. Vermittelt wurde das Heil nicht durch die Gemeinde, sondern allein durch Christus.
Die katholische Kirche hat sich dagegen immer als "Leib Christi" verstanden; als "Kirche" im eigentlichen Sinne: Eine heilsvermittelnde Institution. Hier liegt vermutlich der größte Stolperstein der Ökumene. Aber auch hier ist Versöhnung möglich: Denn die Kirche setzt nicht das Wirken Christi außer Kraft und beansprucht es für sich - sie versteht sich als Werkzeug. Die Freiheit und Souveränität Gottes bleibt bewahrt, denn in der Freiheit und der absoluten Souveränität Gottes liegt sein Entschluss begründet, sich an "menschliche Gebärden" zu binden.
Aufgabe der Ökumene ist es also, den Blick auf das Wirken Gottes in der Kirche zu weiten: Trotz des vielen menschlichen Versagens ist die katholische Kirche immer verpflichtet und bemüht, Gottes Willen Vorrang zu geben. Beispiele dafür gibt es zuhauf - davon müssen wir in der Ökumene mehr sprechen.

Ein Traum von Ökumene

Ich träume von einer Ökumene, in der es möglich ist, das ein evangelischer Pfarrer in der katholischen Kirche voller Begeisterung von seiner Liebe zur Heiligen Schrift erzählen kann. Ich träume von einer Ökumene, in der es genauso möglich ist, dass ein katholischer Priester in der evangelischen Kirche von seiner Liebe zum Heiligen Vater spricht und von der Gnade, die dieses Amt für die Kirche bedeutet.

Ich träume von einer Ökumene, in der der evangelische Christ in der katholischen Kirche von seiner Christusbeziehung voller Herzenswärme spricht und der katholische Christ in der evangelischen Kirche von seinem Weg mit den Heiligen zu Gott.

Ich träume von einer Ökumene, in der der evangelische Christ in der katholischen Kirche von seinen schönsten Erfahrungen mit Predigten und Bibelworten und Jahreslosungen genauso erzählt wie der katholische Christ in der evangelischen Kirche von seinen Erfahrungen mit Sakramenten, Aschenkreuz und Fronleichnamsprozessionen.

Vielleicht scheitern diese Träume zur Zeit noch an einer mangelnden Offenheit für die Begeisterung des Anderen - oder an einer mangelnden Begeisterung der Christen überhaupt. Aber:

Eine Ökumene hat erst dann Aussicht auf Erfolge, wenn wir mit Begeisterung unseren eigenen Glauben in die Ökumene einbringen dürfen - ohne Abstriche machen zu müssen, ohne etwas zu verschweigen von dem, was uns lieb und teuer ist. Eine Ökumene hat erst dann eine Aussicht, wenn wir nicht von dem reden, was uns trennt und von dem Schweigen, was uns verletzt, sondern wenn wir verkünden, was uns ergriffen hat: Gott. Er selbst.

Hast Du Kritik - Fragen - Anregungen? Dann schreib mir! - Für diese Katechese ist Peter verantwortlich