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Theologie des Leibes - Teil 2

Seit der berühmten und (in bestimmten Kreisen) oft zitierten 5-Jahres-Katechese von Papst Johannes Paul II. zur Bedeutung des Leibes und der Sexualität gibt es immer mehr Initiativen, die daran anknüpfen und eine Neubewertung des Leibes in der katholischen Theologie vornehmen.
Sicherlich ein löbliches Unterfangen; es darf aber nicht übersehen werden, dass der Leib immer schon in der katholischen Theologie eine königliche Rolle spielte - und keineswegs ein Stiefmütterchen-Dasein. Natürlich - wenn man den Blick auf die Sexualität richtet, dann sieht es in der Geschichte der christlichen Theologie sehr gemischt aus. Aber kaum ein Bereich der Theologie wäre ohne die unverzichtbare Wertschätzung des Leibes noch katholisch.

Deshalb wollen wir hier erinnern und ein wenig beleuchten, dass der Leib nicht nur zur Sexualität erschaffen wurde - sondern den Menschen erst zum Menschen macht.

Diese Katechese besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil ("Dualismus? Finde ich gut!") habe ich die grundsätzliche Bedeutung des Leibes aufgezeigt und seine unverzichtbare Rolle für die Seele beleuchtet.
Im zweiten Teil ("Der Leib in der Theologie") werde ich nun verschiedene Bereiche unseres Glaubens aufgreifen und unterstreichen, dass der Leib des Menschen dort ausnahmslos ein positives, ja: unvergleichlich wertvolles Fundament darstellt.

In diesem zweiten Teil finden sich Gedanken, die in anderen Katechesen weiter ausgeführt sind, es finden sich zahlreiche Links zu den jeweiligen Seiten unserer Homepage.

Zum ersten Teil: "Die Wiederentdeckung des Leibes"

 

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Diese Katechese ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 083) erhältlich: Kostenlose Bestellung

2. Teil: Der Leib in der Theologie

Dualismus, auf diese Weise verstanden, ist also keine "Zerteilung" des Menschen in zwei unabhängige Prinzipien. Die Leib-Seele-Dualität entpuppt sich bei näherem Hinsehen vielmehr als ein äußerst vielschichtiges Abhängigkeitsgeschehen zwischen Leib und Seele; die Seele bedarf des Leibes; genauso wie ein Körper nur durch die Seele überhaupt erst zum Leib wird.

Wer glaubt, dass diese Leib-Seele-Einheit und die Bezogenheit von Leib und Seele eine moderne Entdeckung sei, hat sich allerdings getäuscht. All das Gesagte ist schon immer Grundvoraussetzung der gesamten katholischen Theologie gewesen. Ohne dieses Beziehungsgefüge von seelischen Absichten und leiblichen Verwirklichungen, ohne dieses Verständnis von Sprache wäre keine Bereich der Theologie noch katholisch. Das möchte ich - zumindest ansatzweise - ein wenig beleuchten.

Der Leib Christi: unaufhebbare Einheit

Der Leib des Menschen ist sein Ausdrucksmedium und seine Empfangsstation, er ist Verwirklichung von Intentionen und wirkt auf die Seele zurück. All dies gilt für den Menschen, aber nicht für Gott.

Gott bedarf keines Mediums, um sich auszudrücken. Er nimmt alles unmittelbar wahr und ist dabei nicht auf irgendwelche Sinnesorgane angewiesen. Er ist in sich einfach und klar, so dass er nicht eine von einander widerstreitenden Intentionen verwirklichen müsste. Er ist in sich vollkommen, so dass er in einem positiven Sinne unveränderlich ist.

Warum ist Gott also Mensch geworden? Warum hat er einen Leib angenommen?

Nun, die Antwort steht bereits im Glaubensbekenntnis: "Für uns Menschen und zu unserem Heil". Die Menschwerdung Gottes, seine leibliche Gegenwart in dieser Welt, erfüllt alle bisher genannten Kriterien der Leiblichkeit - aber nicht im Hinblick auf Gott, sondern aufgrund seiner Zuwendung zu uns Menschen.

Der Leib Jesu als Ausdrucksmedium: Ja, der Leib Jesu ist das Medium, in dem sich Gott uns mitteilt; Sein Ausdrucksmedium. Aber nicht etwa, weil Er wie wir Menschen auf ein solches Medium angewiesen wäre, sondern weil wir Menschen uns schwer tun, überhaupt etwas wahrzunehmen, wenn es nicht durch leibliche Vermittlung geschieht.

Der kleine Samuel im Tempel des Herrn zum Beispiel konnte die Art, wie Gott zu ihm sprach, noch nicht von einer menschlichen Stimme unterscheiden (1 Sam 3,1-21). Es bedarf offensichtlich langer Übung und einer guten Schulung; noch mehr aber der Bereitschaft, überhaupt eine andere als die leibliche Kommunikation zuzulassen.

Ein bis heute bestehendes Problem.

Die Art und Weise, wie Gott (immer wieder) neue Ausdrucksmöglichkeiten findet, nennen wir "Schöpfung". Da Gott alles, was Er will, aus dem Nichts erschaffen kann, braucht er kein Medium, das Ihm die Offenbarung erst ermöglicht. Aber wir Menschen sind auf seine Mitteilung durch ein Medium angewiesen.

Der Leib Jesu als Medium der Wahrnehmung: Ja, der Leib Jesu war das Medium, in dem die Menschen Gott direkt ansprechen konnten. Aber der Leib Jesu ist nicht für Gott eine unverzichtbare Kommunikationshilfe, sondern für die Menschen. Gott kann auch ohne den Leib Jesu hören, was die Menschen ihm sagen; den Menschen dagegen fiel es einfacher, ein sichtbares Gegenüber zu haben. Sie konnten ihm Liebe zeigen, ihn fragen und anschauen, sie konnten ihn verhöhnen, verletzen und sogar töten.

Der Leib Jesu als Verwirklichung von Intentionen: Noch entscheidender für die Menschwerdung Jesu sind jedoch die weiteren Gedanken zur Leiblichkeit. Ja, der Leib ist die Verwirklichung von Intentionen; aber nicht der Intentionen Gottes, sondern der Menschen.
Nehmen wir einmal Petrus, den Bruder des Apostels Andreas. Bevor Andreas zu Petrus kam, war Petrus vermutlich - wie die meisten Juden - ein Bündel von unterschiedlichsten Intentionen, von "ich glaube, dass der Messias kommt", "ich glaube nicht so richtig", "der Messias ist vielleicht nur ein Märchen" bis hin zu "Gott kann mir gestohlen bleiben". Nachdem Andreas aber zu Petrus kam und atemlos berichtete: "Wir haben den Messias gefunden" (Joh 1,41f), musste Petrus sich entscheiden und eine seiner zahlreichen Intentionen in die Wirklichkeit umsetzen. Die Menschwerdung Jesu fordert dazu heraus, uns in unserer Leiblichkeit zu "positionieren" (im wörtlichen Sinne: Dort zu sein, wo Jesus ist, am gleichen Ort zur gleichen Zeit - oder eben nicht).

Was wir noch lernen können: ohne Leib kein Mensch

Die Verbindung von Geist und Materie schlechthin geschah in der Menschwerdung Jesu. Gottes Sohn - die zweite göttliche Person - wird ein Mensch; mit Leib und Seele. In den christologischen Debatten des ersten Jahrhunderts hat die Kirche in all ihren Gliedern unablässig darüber nachgedacht, wie das sein kann: "Gott wird Mensch", und welcher Art diese Verbindung genau ist. Deshalb können wir, indem wir auf die Ergebnisse dieser Diskussion zurückschauen, zuverlässigere Aussagen über das Wesen des Menschen schlechthin machen. (Nähere Informationen zur christologischen Debatte findest Du in der Katechese Wer war Jesus Christus - Teil 2)

So hat die Kirche alle Theorien, denen zufolge Jesus keinen wirklichen Leib angenommen habe, mit der Begründung abgelehnt, dass es sich dann auch nicht um eine wirkliche Menschwerdung handeln könne. Ein Jesus, der nur über einen Scheinleib verfügte, hätte nicht wirklich am Kreuz gelitten und könnte auch nicht wirklich von einer menschlichen Mutter leiblich zur Welt gebracht worden sein, wäre also nicht wahrhaft Mensch gewesen.

Ohne Haltbarkeitsbegrenzungsdatum

Und noch etwas können wir lernen, wenn wir auf Jesus schauen. Die Kirche hat sich von Anfang an strikt gegen die Auffassung gewandt, Jesus habe mit seiner Göttlichkeit einen seelenlosen Körper angenommen. "Menschwerdung" heißt vielmehr, dass Jesus mit seiner Göttlichkeit eine Verbindung zu einem beseelten Leib eingegangen ist (die Gottheit Jesu tritt also nicht an die Stelle der Seele!). Daher spricht die Kirche (zum Beispiel in der Eucharistie) auch dann vom "Leib Jesu", wenn sie seine ganze (mit der Gottheit verbundene) Menschheit meint.
Die Seele verbindet sich mit einem Körper - der durch die Aufwertung durch die Seele zum Leib wird. Jesus verbindet sich mit dem Menschen (mit Leib und Seele), so dass der Mensch nun aufgewertet wird und sich zur Gottheit Jesu verhält wie der Leib des Menschen zu seiner eigenen Seele.

Das mag ein wenig spekulativ klingen, bewahrt uns aber vor schwerwiegenden Missverständnissen, z.B. in Bezug auf die Eucharistie oder im Vergleich zu menschgewordenen Göttern in der Mythologie. Dort wird zwar immer wieder von Göttern berichtet, die sich in diversen Gestalten (von menschlichen bishin zu tierischen Wesen) auf die Erde begeben. Aber diese "Materialisierungen" oder "Manifestationen" unterscheiden sich vor allem in einem Punkt von der Menschwerdung Jesu: Während die mythologischen Götter ihre Erscheinungen auf der Erde immer nur als Gastspiel betrachteten, hat Jesus seine Menschwerdung niemals rückgängig gemacht; nicht, als er zum Tod verurteilt wurde, nicht am Kreuz und auch nicht mit seinem Tod. Selbst in seiner Auferstehung verwandelte Jesus SEINEN Leib zum Auferstehungsleib, anstatt einen neuen Leib anzunehmen.

Der Leib Jesu - und somit auch unser Leib - ist eben kein austauschbares Medium. Der Leib Jesu hatte auch nach seiner Auferstehung noch die Wundmale, weil der Leib selbst ein Zeuge der Geschichte der Person ist, zu der er gehört.

Der Leib Christi: die Kirche

Nicht nur der historische Leib Jesu, der am Kreuz gelitten hat, auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist, wird als "Leib Christi" bezeichnet. Sondern auch die Kirche Jesu Christi versteht sich als "Leib Christi", weil Jesus sich definitiv (und ohne Haltbarkeitsbegrenzungsdatum) an die Gemeinschaft der Getauften und Glaubenden gebunden hat.
Dennoch hat die katholische Kirche ein relativ bescheidenes Selbstverständnis (was vielleicht überraschen mag). Denn die Kirche behauptet nicht, dass sie selbst diese wahre Kirche Jesu Christi sei. Sondern - auf den ersten Blick nur eine kleine Variante - dass die wahre Kirche Jesu Christi sich in der katholischen Kirche verwirkliche. (So die Formulierung in der dogmatischen Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium" des II. Vatikanischen Konzils, Abschnitt 8)

Man könnte dahinter ein reines Wortspiel vermuten, wenn es nicht ein langes Ringen der Bischöfe gegeben hätte, die sich zunächst nicht auf das eine oder andere Wort einigen konnten. Schließlich entschieden sie sich für das (scheinbar) abgeschwächte Wort "subsistit" (dt. verwirklicht) - und nicht für das klarere "est" (dt. ist). Und das hat seinen guten Grund.

Die katholische Kirche hat niemals geglaubt, dass alle, die sich taufen lassen und Mitglied der Kirche werden, automatisch gerettet werden. Die Erfahrung, die bereits die Apostel mit Judas machen mussten, hat sich seitdem durch alle Zeiten der Kirche wiederholt: Mit dem äußerlichen Eintritt in die Gemeinschaft der Kirche muss auch eine Herzensentscheidung verbunden sein, die aber allzu oft fehlt oder im Laufe der Zugehörigkeit zur Kirche wieder rückgängig gemacht wird oder verloren geht.

Es gilt aber nicht nur, dass nicht alle Taufschein-Katholiken der Kirche wirklich und auch innerlich angehören, sondern auch umgekehrt: Es gibt auch außerhalb der offiziellen Kirchenzugehörigkeit Menschen, die innerlich - im Herzen - sehr wohl der wahren Kirche Christi angehören.

Wenn das Entscheidende für Gott der eigentliche Glaube hinter den Sakramenten, Kirchenfeiern und Kirchensteuern ist - und der Glaube zudem noch unsichtbar ist - warum halten wir dann überhaupt noch an einer sichtbaren Kirche fest?

Viele Protestanten verstehen das Verhältnis der Institution "Kirche" und der Gemeinschaft der wirklich Glaubenden genau so: Die eigentliche Kirche Jesu Christi ist unsichtbar; die sichtbaren Kirchen dagegen spielen für Gott keine nennenswerte Rolle. Sie sind im Grund nur "kirchliche Gemeinschaften", die Ausdruck der getroffenen Glaubensentscheidung sind, aber nicht wirklich gottgewollt. Gottgewollt ist nur der Glaube (s. Karl Barth).

Das sieht die katholische Kirche - wie zu erwarten war - anders. Denn (zum Beispiel) die Taufe ist eben nicht nur ein Zeichen, das man auch weglassen könnte. Nein: Sie ist der Vollzug der Entscheidung; erst durch das Sakrament (das sowohl Tun des Menschen als auch Handeln Gottes ist) wird die Entscheidung real. Ohne diesen Schritt würde es immer nur bei dem Willen zur Taufe bleiben, reine Intention, die eben noch nicht zur Tat-sächlichkeit gereift ist.

Der Eintritt in die Kirche ist nicht nur ein sichtbares Zeichen für eine unsichtbare Wirklichkeit: Erst durch diesen Schritt wird aus einer Absicht Wirklichkeit; der Eintritt in die katholische Kirche ist die Verwirklichung einer zuvor nur beabsichtigten Zugehörigkeit. Deshalb haben die Bischöfe damals (auf dem II. Vatikanischen Konzil) gesagt: Die (unsichtbare) wahre Kirche Jesu Christi ist in der katholischen Kirche verwirklicht (subsistit).

Wie eine leibliche Handlung die Verwirklichung einer Intention ist und diese bestärkt, kräftigt und festigt, ist auch die Kirche (als Leib Jesu) der Ort, an dem wir durch unseren Eintritt unseren Glauben verwirklichen können, indem wir Gott an uns wirken lassen. Gleichzeitig wirkt die Kirche auch unser Heil, indem sie den Glauben bestärkt, kräftigt und festigt. In diesem Sinne ist die Kirche ein Sakrament - das "Grundsakrament".

Die Sakramente: leiblich erfahrbares Heil
Die zwei Seiten des Sakraments

Wie der Mensch aus Leib und Seele besteht, so hat auch jedes Sakrament - wie auch jede Medaille - zwei Seiten: Die unsichtbar-geistige und sichtbar-leibliche Seite:

  • Jesus war ein Mensch wie jeder andere auch (außer der Sünde), und doch gab es in ihm die unsichtbare Seite: Er war gleichzeitig Gott. ("Wer mich sieht, sieht auch den, der mich gesandt hat" - Joh 12,45)
  • Die Kirche scheint ein Verein zu sein wie jede andere Religionsgemeinschaft, und doch gibt es in ihr die unsichtbare Seite: Sie ist gleichzeitig Gottes Wirken in der Welt - oder Gottes Volk.
  • Die Taufe (wie jedes andere Sakrament) scheint ein Zeichen zu sein wie viele andere (z.B. die Überreichung des Rathausschlüssels an den neuen Bürgermeister), und doch gibt es in ihr die unsichtbare Seite: In jedem Sakrament wirkt gleichzeitig Gott. Ja, jedes Sakrament ist gleichzeitig Gottes Wirken.

Dabei sind die beiden Seiten der Medaille nicht gleich groß; wir sehen zwar nur die eine, sichtbare Seite (das menschliche Gesicht Jesu, die menschliche Seite der Kirche, das sichtbare Zeichen der Sakramente), aber das Unsichtbare ist unendlich größer, wichtiger und mächtiger. Nur deshalb konnte auch der Mensch Jesus göttliche Wunder wirken; wir glauben, dass die weltliche Institution "Kirche" (vom Heiligen Geist getragen) niemals untergehen wird oder den Glauben verliert. Und wir glauben, dass Gott in den Sakramenten, obwohl es sich nur um einfachste Zeichen handelt, unverlierbares Heil wirkt.

Gottes Bindung an Zeit und Raum - der Stein des Anstoßes

Dass Gott sich so sehr an diese Welt und auch an das Tun des Menschen bindet, ist immer schon ein Stein des Anstoßes gewesen. Hieran scheiden sich evangelisch und katholisch, hieran scheiden sich aber die Befürworter und Kritiker der Kirche; hieran scheiden sich schließlich die Kirchenbesucher und die "Taufscheinchristen".

Es scheint auf den ersten Blick auch seltsam: Da soll ein Mensch, der wirklich an Gott glaubt und ihn liebt, erst dann ein Kind Gottes werden, wenn er mit Wasser übergossen wird. Und was, wenn gerade kein Wasser vorhanden ist? Dann soll seine Gottesbeziehung daran scheitern?

Daran entzünden sich die Geister, nicht erst in der heutigen Zeit. Aber was für die Sakramente gilt, trifft ja auch auf Jesus zu: Da soll jemand, der zulange am Ufer des Sees Gennesareth im "Hotel Jordan" beim Kaffee gesessen hat und deshalb zu spät zur Brotvermehrung kam, Jesus - das heißt, Gott! - verpassen? Nur weil Jesus schon auf seinen Gebets-Berg gegangen ist?

Unter uns: Nein, am mangelnden Wasser oder am langsamen Kellner im "Hotel Jordan" scheitert keine Gottesbeziehung. Die Sakramente sind gerade dafür da, dass alle (auch die, die in Israel zur Zeit Jesu nicht dabei waren) Jesus begegnen können. Gegen Gottes Angebot entscheidet sich nur der, der ein Sakrament ignoriert, obwohl er es hätte empfangen können. Für tragische Fälle, bei denen der Sakramentenempfang unverschuldet nicht zustande kam, kennt die Kirche wunderbare Ausnahmen. Sogar für das Eingangssakrament, die Taufe - und auch für das Grundsakrament, die Kirche. Dazu später.

Wir hätten lieber eine ganz andere Religion: Eine, die nicht von historischen Ereignissen oder bestimmten Augenblicken abhängig ist. Die Gnosis ist so eine angenehme Alternative ( Gnosis und Esoterik); da geht es nur um überzeitliches Wissen. Für jeden zugänglich, jederzeit oder an allen Orten.

Aber das Christentum ist keine gnostische Religion, keine Philosophie, keine Weltanschauung.

Das liegt nicht so sehr daran, dass Gott irgendeine Abneigung gegen die Gnosis hätte - sondern einfach daran, dass wir Menschen in Raum und Zeit leben; wir sind raum-zeitliche und leibhafte Wesen. Alles, was wir tun, geschieht an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Was nicht lokalisierbar und datierbar ist, ist einfach nicht real. Mythen und Märchen haben zum Beispiel keinen Platz in Raum oder Zeit - sie sind ja auch nie passiert.

Gott aber ist Realist und lässt sich in unsere Realität hinab. Deshalb ist das Christentum eine historische Religion - oder richtiger: eine persönliche Beziehung. Eine Beziehung ist aber nicht nur ein Gefühl, sondern eine Entscheidung.

Sakramente als Ermöglichung der Freiheit

Das ist das Geniale an den Sakramenten: Sie ermöglichen eine Entscheidung. Natürlich - sie fordern diese Entscheidung auch, und das irritiert uns ein wenig. Aber das war bei Jesus damals auch so: Zunächst irritierte jeden Juden die Aufforderung, jetzt zur Hauptstraße zu kommen, weil sie sonst Gott verpassen würden. Ist denn Gott nur auf der Hauptstraße zu finden?
Aber umgekehrt hatte jetzt jeder die Möglichkeit, sich zu entscheiden, Nähe zu suchen oder sich zu entfernen.

Von einem Gott, der überall gleichermaßen ist, kann man sich nicht entfernen. Selbst, wenn man wollte, würde man ihn dennoch nicht loswerden. Jemand, der (zumindest für einen Moment lang) Gott aus dem Weg gehen will, wird sich schnell unfrei und gefangen fühlen.

Und jemand, der Gott leugnen will und sich von allem Göttlichem fern halten möchte, wäre tatsächlich unfrei und gefangen, wenn er keine Möglichkeit hätte, seinen Unglauben auszudrücken.

Natürlich ist Gott tatsächlich überall - Er ist ja nicht an Raum und Zeit gebunden. Aber damit wir wirklich mit Leib und Seele eine freie Entscheidung treffen können, erschafft uns Gott Heilige Orte, Heilige Zeiten und Heilige Handlungen. Erst dadurch haben wir die Möglichkeit, Gott frei zu begegnen - oder ihm aus dem Weg zu gehen. Erst durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus haben wir die Möglichkeit, die Liebesbeziehung zu Gott ganzheitlich zu leben - oder auch unseren Hass auf ihn. Wir können ihn lieben oder hassen.

Gottes Bindung an diese Welt in Jesus, in der Kirche und in den Sakramenten, ist die Konsequenz des "leiblichen Prinzips". Der Leib ist nicht weniger als ist die Ermöglichung eines freien, entschiedenen Glaubens.

Der Leib in der Eschatologie
Der Tod

Mit dem Tod geschieht Unfassbares: Die wunderbare Einheit von Leib und Seele wird (brutal) aufgelöst. Während manche darin einen natürlichen Prozess sehen (wie die Verwandlung der Raupe in den Schmetterling), machen andere daraus sogar einen Glücksfall: Endlich wird die Seele aus ihrem Gefängnis entlassen und wird frei (so z.B. Platon). Beides lehnen die Christen ab: Der Tod bleibt ein schreckliches Ereignis.
Denn mit dem Verlust des Leibes geht der Seele all das verloren, was wir am Anfang der Katechese als Aufgabe des Leibes bezeichneten: Die Kommunikation mit den in der Welt Lebenden, ebenso die Empfindsamkeit der Seele für Einflüsse aus der Welt; noch schlimmer aber ist, dass nun keine Intentionen mehr verwirklicht werden können. Was bis zum Tode nur Absicht geblieben ist, kann nicht mehr zur Tat-Sache werden.

Mein Professor in Dogmatik verwandte dafür das überdeutliche Bild: "So wie der Baum fällt, so bleibt er liegen".

Das ist das eigentliche Schrecknis des Todes. Nicht das Ende des Lebens, nicht der Verlust dieser Welt schreckt uns, sondern dass der Tod das Ende der eigenen Wirkmöglichkeiten ist.

Dass wir Christen uns dennoch nicht vom Tode bange machen lassen, liegt daran, dass wir sowieso nie nur auf unsere eigenen Möglichkeiten vertraut haben; in und mit unserem Wirken ist immer die Barmherzigkeit Gottes anwesend; und so dürfen wir in aller Ruhe darauf vertrauen, dass am Ende unseres Wirkens "Gott das Werk vollendet, das er in uns begonnen hat" (so heißt es in der katholischen Beerdigungsliturgie).

Dieses Vertrauen haben allerdings nicht alle Menschen, auch nicht alle Christen. Deshalb gibt es zahlreiche "Alternative Jenseitsvorstellungen": neben der Schmetterlingsanalogie und der "Auferstehung im Tod"-Theorie z.B. noch die End-Entscheidungshypothese, die Ganztodtheorie, den Reinkarnationsglauben und zahlreiche andere Hypothesen.

Allen Theorien gemeinsam ist verblüffenderweise die Geringschätzung des Leibes; vor allem die Leugnung, dass der Leib an der Erlösung und der Auferstehung Anteil haben wird.

Die "Ganztodtheorie" unterscheidet nicht mehr zwischen Leib und Seele und verkennt das Wesen des Todes; der Reinkarnationsglaube betrachtet den Leib nur als (austauschbares) Gefährt; die "Auferstehung im Tod" verzichtet gänzlich auf die Beteiligung des Leibes (und leugnet dementsprechend auch die leibliche Auferstehung); die End-Entscheidungshypothese glaubt an Entscheidungen auch noch im Augenblick der Trennung vom Leib (sogar an besonders freie Entscheidungen) und begibt sich damit gefährlich in die Nähe der platonischen Leibfeindlichkeit.
Die leibliche Auferstehung.

Hinter diesen verschiedenen Konzepten stecken natürlich ausgefeilte Theorien aus unterschiedlichen Kulturen und von klugen Köpfen. Dennoch sollten wir den Widerspruch zur christlichen Hoffnung leicht erklären können; denn unser Glaube ist einfach und klar, nicht verschlungen oder eine Expertentheorie. Das gelingt uns, wenn wir nur einen einzigen Begriff klarstellen, der ganz wesentlich für unseren Glauben ist, der aber leider bis zur Unkenntlichkeit verdunkelt wurde. Und wie so häufig spielt der Leib die entscheidende Rolle.

Es geht um den Begriff der "Auferstehung". Wenn ich heute jemanden frage, ob er an die Auferstehung nach dem Tod glaubt, so ist die Frage für die meisten Menschen gleichbedeutend mit der Frage nach dem "Leben nach dem Tod". Aber das ist ein großes Missverständnis.

Denn an ein Leben nach dem Tod (wie auch immer es aussehen mag) glauben mehr oder weniger alle Religionen; darin liegt nicht das unterscheidend Christliche. Die ersten Christen waren nicht die einzigen, die an ein Weiterleben glaubten; das war (wie z.B. bei den Römern, Griechen oder Ägyptern) und ist bis heute der Mehrheitsglaube selbst in heidnischen oder mythologischen Religionen.

Nein, wenn die Christen die bahnbrechende Botschaft von der Auferstehung verkündeten, dann meinten sie damit die leibliche Auferstehung, die Auferstehung der Toten mit und in ihren Leibern. Das war die Sensation - und dafür war Jesus der Garant. Deshalb war für die Christen das leere Grab so entscheidend; es war wichtig, dass Jesus seine Wundmale noch am Leib trug. Dass er nach seiner Auferstehung mit den Jüngern gegessen und getrunken hat: Das war die Sensation.

Das fällt uns natürlich schwer zu glauben; aber "schwer" ist nicht gleichbedeutend mit "kompliziert". Genaugenommen war genau dieser Punkt von Anfang an gleichzeitig Stein des Anstoßes (die Griechen haben sich belustigt von Paulus abgewandt, als er auf dem Areopag die Auferstehung ins Spiel brachte - Apg 17,32) und gleichzeitig wichtigster Punkt der Verkündigung. Paulus behauptet sogar, dass von der Realität der leiblichen Auferstehung unser ganzer Glaube abhängt:

1 Kor 15,12-14: Wie können einige von euch sagen: Eine Auferstehung der Toten gibt es nicht? Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos.

Von diesem einfachen Gedanken: "Wir werden leiblich auferstehen!" - mit der Betonung auf "leiblich" - hängt nicht nur unser Glaube ab. Wer daran festhält, fällt auch nicht auf die seltsamen Theorien (von Wiedergeburt bis zur Auferstehung im Tod) herein und erkennt leicht, dass sie nicht verträglich sind mit dem christlichen Verständnis vom Leib.

Verblüffend, aber wahr: Der Gegensatz zu allen "Alternativen Jenseitsvorstellungen" gründet zuallererst in der enormen Wertschätzung des Leibes - auch nach der Auferstehung. Weil die Kirche niemals bereit war, davon Abstriche zu machen, kamen die anderen Vorstellungen gar nicht in Frage.

Der verklärte Leib

Der Tod ist nicht das Ende aller Dinge. Die Offenbarung Jesu (in der Bibel und in der kirchlichen Tradition) spricht eindeutig von einem "Tag der Wiederkunft Christi" - dessen genauer Termin allerdings nicht bekannt gemacht wurde. Was, so denke ich mir, eigentlich ganz gut ist.

An diesem Tag, so sagt Jesus, wird so einiges passieren: Jesus wird wiederkommen; alle Seelen (und auch die Menschen auf der Erde, die noch nicht gestorben sind) werden Gott sehen - ob sie wollen oder nicht. Aber vor allem: Die Toten werden auferstehen; sie bekommen den Leib wieder, der ihrer Seele entspricht. Und sie gehen von da an zwei verschiedene Wege: Die einen folgen dem Sohn Gottes in die ewige Herrlichkeit, die anderen wählen erneut die gemeinschaftliche Einsamkeit, die freiwillig auf die Gegenwart Gottes verzichtet.

Der neue Leib

Es gibt die Vorstellung, wir würden im Himmel leiblose Geschöpfe bleiben; wie Engel oder wie Geister. Dem widerspricht das, was Jesus uns sagt - und übrigens auch, was Jesus uns in seiner eigenen Auferstehung gezeigt hat. Der auferstandene Jesus ist eben kein Geist, keine leiblose Gestalt. Thomas wird aufgefordert, seine Finger in die Wunden Jesu zu legen; bei zahlreichen Begegnungen des Auferstandenen isst Jesus ausdrücklich vor den Augen seiner Jünger. Und bei Lukas heißt es:

«Sie erschraken und hatten große Angst, denn sie meinten, einen Geist zu sehen. Da sagte er zu ihnen: Was seid ihr so bestürzt? Warum lasst ihr in eurem Herzen solche Zweifel aufkommen? Seht meine Hände und meine Füße an: Ich bin es selbst. Fasst mich doch an, und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht.» (Lk 24, 37-39)

Aber fragt mich jetzt nicht, wie dieser Leib genau aussehen wird, in welchem Alter, in welchem Zustand und mit welchen Möglichkeiten. Jesus war wohl wiederzuerkennen, das ist klar; aber auch nicht auf den ersten Blick: Maria Magdalena, Petrus und andere engste Freunde Jesu hatten ihn zunächst nicht erkannt - erst auf den zweiten Blick wurde ihnen klar, wer da mit ihnen redete.

Das heißt für uns, dass wir uns im Himmel wiedersehen werden; Freunde und Verwandte, Bekannte und Unbekannte werden sich in die Augen schauen und umarmen können. Der Himmel ist nicht das Gegenteil von dem, was wir hier auf Erden kennen; er wird auch die vollkommene Ausgestaltung aller Möglichkeiten sein, die wir hier auf Erden schon als gut und schön begreifen - aber leider nie ganz verwirklichen konnten.

Der auferstandene Leib - vollkommenes Medium

Genau genommen interessiert uns der Leib (bzw. der Körper) eines anderen Menschen nämlich nicht an sich (obwohl wir uns manchmal gerade so verhalten, als gäbe es nur den Leib). Viel wichtiger ist uns die Seele des anderen Menschen und das, was dort vor sich geht. Wir möchten gerne wissen, was der andere denkt, was er für mich empfindet und was ihn bewegt. Leider sind wir kaum in der Lage, die Seele eines Menschen direkt wahrzunehmen.
Dafür haben wir gottseidank den Leib. Er ist das Ausdrucksmedium der Seele. Wenn wir in das Gesicht eines Menschen schauen, erfahren wir so einiges über seine Seele und das, was gerade in ihr vorgeht. Aber nicht nur das Gesicht, der ganze Leib in seiner Haltung, sogar in seiner Kleidung oder seiner Ausgestaltung z.B. in Form der Frisur oder des Make-Up spricht zu uns. Apropos Sprechen: Das vornehme Ausdrucksmedium der Seele ist natürlich die Sprache (zwar auch ein leiblicher Vorgang, aber sehr transparent für die Seele).
Leider ist ein Medium in der Lage, immer zugleich zu vermitteln (daher "Medium" - "das Mittlere", das Vermittelnde) und auch zu verschleiern. Wir können anderen Menschen einen Blick in unsere Seele gestatten - oder sie irreführen. Wir können unseren Leib zum Ausdruck unserer Seele werden lassen - oder aber zur Schutzwand. Es kann heißen: "Schau mir in die Augen, den Spiegel meiner Seele!", aber auch: "Was wirklich in mir vorgeht, geht dich nichts an!".

Einem anderen Menschen einen Blick in seine Seele zu gestatten, ist - Liebe. (In der Sprache der Bibel ist das Wort für die gegenseitige Hingabe in der Liebe das gleiche Wort wie für Erkennen). Liebe heißt zum Beispiel, das, was ich gerade empfinde, mit jemandem teilen zu wollen; vor allem die wunderbaren Momente, die mich staunen machen. Wer liebt, möchte aber auch die Wut und die Trauer - ja sogar die Schuld - teilen, mitteilen.

Vermutlich ist das größte Unglück des Menschen die Art von Einsamkeit, in der man etwas teilen möchte und niemanden hat, der sich dafür interessiert.
Um dieser größten Not zu entgehen, öffnen sich einsame Menschen sogar denen gegenüber, von denen sie wissen, dass das Interesse an ihrer Seele eher egoistischen Zwecken dient. "Besser, ausgenutzt werden, als vergessen."
Der verklärte Leib - Eintrittskarte in den Himmel

Und nun glauben wir Christen, dass wir einmal einen verklärten Leib geschenkt bekommen werden: Das vollkommene Ausdrucksmedium unserer Seele. Jeder, der uns dann sehen wird, wirft mittels dieses verklärten Leibes einen Blick in unsere Seele. Wir sind im Himmel "gläserne" Menschen.

Das mag für einige meiner Leser gar nicht so verheißungsvoll klingen. Absolute Offenheit setzt absolutes Vertrauen voraus - und eben absolute Liebe. Die haben wir hier auf Erden allerdings noch nicht erfahren; häufig wird Vertrauen enttäuscht und Offenheit bestraft. Ich kann mir sogar vorstellen, dass deshalb die Zustimmung zu einem verklärten Leib (trotz der schlechten Welt) gleichbedeutend ist mit dem Eintreten-Wollen in den Himmel.

In anderen Katechesen habe ich bereits die These aufgestellt, dass am Eingangstor des Himmels kein Buchhalter-Petrus steht, sondern liebende Menschen, die uns in den Himmel einladen. Es darf jeder eintreten, der möchte - und die Einladenden bemühen sich nach Kräften, uns diese Entscheidung leicht zu machen.

Stellen wir uns nun vor, wir gelangen nach unserem Tod - ganz klassisch - ans Himmelstor. Eintritt ist frei, jeder darf hinein. Wenn wir vorsichtig fragen, was denn "dadrinnen" ist, erhalten wir die freudige Antwort: "Gott. Und die absolute Klarheit. Nichts ist mehr verborgen, nichts ist mehr geheim. Du wirst absolut erkannt, absolut geliebt und bekommst einen seelen-klaren Leib!" Vielleicht vergewissern wir uns (wir haben ja alle Zeit der Welt) und fragen: "Wirklich alles? Auch meine dunkelsten Geheimnisse?". Worauf uns strahlend versichert wird: "Ja, alles! Du brauchst keine Angst zu haben!"

Ich kann mir schon bei mir selber vorstellen, dass mir da mulmig wird. Nun habe ich mich in meinem christlichen Leben zunehmend daran gewöhnt, Sünden einzugestehen und Vergebung zu erhalten. Vielleicht trete ich wirklich mutig ein.
Auf der anderen Seite ist es für mich durchaus vorstellbar, dass ein solcher Himmel auf Ablehnung stößt. "Dann bin ich da fehl am Platz, da will ich nicht hinein!"

Denn wer es ablehnt, wirklich vollkommen erkannt und geliebt zu werden, der wird sich auch nicht in die Nähe eines liebenden, alles erkennenden und erleuchtenden Gottes trauen. Vielleicht, weil er der Liebe nicht traut. Vielleicht, weil er sich schämt. Oder weil er die dunklen Seiten der anderen nicht ertragen will (auch das kann es geben: Die Abscheu vor den anderen Erlösten: "Wenn der im Himmel ist, will ich da nicht rein!"). Oder weil er Angst vor Bestrafung hat. Oder...
Es gibt genug Gründe, das Angebot des "himmlisch-gläsernen Menschen" abzulehnen. Jeder einzelne Grund sollte uns unruhig machen und aufrufen, uns schon in diesem Leben in die "Transparenz" einzuüben.

Dass der verklärte Leib ein "geklärtes" Medium ist, bedeutet vor allem, dass der Leib sich dem Ausdruckswillen der Seele nicht mehr widersetzt; der Leib wird so transparent, wie die Seele es will. Das bedeutet nicht, dass die Seele keine geheimen, innersten Orte mehr besitzt. Auch wird die Seele wohl nur von Gott durch und durch erkannt werden. Das verheißt der liebenden Begegnung zwischen den Seelen ein nicht-endendes Abenteuer einer gegenseitigen Entdeckungsreise.

In der Tradition der Kirche heißt es, dass es bei der Auferstehung der Toten einen neuen Leib für jeden Menschen gibt - für wirklich jeden, also auch für die, die dann diesen Leib dazu verwenden, Gott und den anderen Menschen aus dem Weg zu gehen. Der Leib der himmlischen Menschen wird - wie wir gerade gehört haben - "verklärt" sein; der Leib der anderen Menschen dagegen wird - so die Tradition - "nicht verklärt" sein.
Das klingt vielleicht wie eine Bestrafung: "Ätsch, ihr bekommt nur einen Trash-Leib". Aber Gott ist nicht so, er handelt nicht aus rachsüchtigen oder nachtragenden Motiven. Jeder bekommt den Leib, den er sich wünscht. Und weil es - vielleicht; hoffentlich aber nicht! - Menschen gibt, die anderen und Gott keinen Einblick in ihre Seele geben wollen, ist der nicht-verklärte, undurchschaubare Leib genau das, was sie sich wünschen.

In manchen alten Darstellungen dieser "Leib-Zuteilung" (besser ist: "Auferstehung", "Jüngster Tag" oder "Das allgemeine Gericht") werden die nicht-verklärten Leiber hässlich geschildert (oder, z.B. von Hieronymus Bosch, hässlich gemalt). Das ist vielleicht etwas voreilig, denn unser Schönheitsideal lässt sich nicht so ohne Weiteres auf das Jenseits übertragen.
Sinnvoll ist diese Darstellung eventuell, wenn man damit ausdrücken möchte, dass der verklärte Leib einhergeht mit der Liebe und deshalb die nicht-verklärten Menschen mit dem "Hass" in Verbindung stehen und deshalb "hässlich" dargestellt werden.

Ich für meinen Teil stelle mir die nicht-verklärten Leiber nicht hässlich, sondern verschlossen vor; die verklärten Menschen dagegen als einladend-offen. Wer schon einmal in diesem Leben einem Menschen begegnet ist, der unverstellt, fröhlich und offenherzig war, hat vermutlich einen Vorgeschmack eines himmlischen Menschen erfahren. (Interessanterweise spielt bei solchen Menschen das körperliche Aussehen für deren überwältigende sympathische Ausstrahlung fast gar keine Rolle).
Die Bergpredigt

Oft wird die Bergpredigt (Mt 5-7) als Kern der Botschaft Jesu bezeichnet; die Bergpredigt wiederum zusammenzufassen, ist gar nicht so einfach. Erst, wenn man die großen Linien, die sich vom Alten Testament bis hin zu Paulus ziehen lassen, in den Blick nimmt, erkennt man die große Wende, die sich mit der Botschaft Jesu ergibt.

Während im Judentum vor allem eine Rolle spielte, was jemand tat, legt Jesus nun Wert auf das, was jemand im Herzen ist. Diese Verlagerung wird in der Moral gerne als die Verschiebung von der Kasuistik hin zur Intentionalität bezeichnet: Während die Kasuistik (von lat.: casus = der Fall) genau erklärt, was man in allen möglichen (und unmöglichen) Fällen zu tun hat, erwartet die Verlagerung in die Intentionalität (Intention = Absicht), dass die reine und geklärte Absicht durch Anwendung von Erfahrung und Verstand selbst entscheiden kann, was zu tun ist.

Jesus legt nun also Wert auf die reinen Intentionen und weigert sich, anzugeben, wie man jeweils zu handeln hat. Oder, etwas poetischer ausgedrückt: Vor Gott zählt das Herz, nicht die Hand.

Besonders deutlich wird das in einem Gleichnis, das oft im kasuistischen Sinne gedeutet wird: in der Erzählung vom barmherzigen Samariter (Lk 10, 25-37 - ich setze das Gleichnis als Ganzes einfach mal als bekannt voraus).
Weniger bekannt sind die einleitenden Worte des Fragestellers und die hochinteressante Rückfrage Jesu am Ende des Gleichnisses. Zunächst kommt ein Gesetzeslehrer und befragt Jesus nach den notwendigen Geboten - eine Art der pharisäischen Vorprüfung, ob der Gesprächspartner überhaupt einer Diskussion würdig ist. Jesus gibt die Frage zurück:

Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?
Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort?
Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.
Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach, und du wirst leben.

Aber jetzt wird es interessant: Während der Schriftgelehrte typisch kasuistisch fragt, wer denn genau mein Nächster sei - also, in welchen Fällen ich denn zum Handeln verpflichtet bin (wahrscheinlich denkt er an Nicht-Juden, oder an Verbrecher, die vielleicht ihr Recht, "Nächster" zu sein, verwirkt haben, oder an ähnliche Klauseln), dreht Jesus am Ende des Gleichnisses die Frage um:

Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster?

(Hier folgt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Am Ende fragt Jesus:)

Was meinst du: Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde?
Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso!

Bemerkt? Aus der Frage nach der richtigen Adresse meines Wirkens ("Wer ist mein Nächster") wird die Frage nach der Quelle des Helfens ("Wer hat wie ein Nächster gehandelt?").

Jesus möchte, dass wir nicht einfach nur Richtiges tun, sondern zu Menschen werden, die im Innersten "richtig" sind. Davon spricht die ganze Bergpredigt ("Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen!" Mt 5, 27f).

Diese Wende vom richtigen Handeln ("Orthopraxie") zum richtigen Denken ("Orthodoxie") ist aber nicht etwa eine billige Aburteilung der jüdischen Gesetzesfrömmigkeit. Immerhin sagt Jesus ja selbst: "Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. (Mt 5, 17).

Es geht also um Erfüllung, um einen Inhalt in der Verpackung, und eben nicht mehr um die Verpackung alleine. Entscheidend vor Gott ist und bleibt der Zustand unserer Seele. Aber (wir haben es im ersten Teil ["Blaise Pascal und Paul Newman"] schon erwähnt): Um unsere Seele zu heilen, zu formen und zu heiligen, bedarf es unserer Handlungen. Wir verwirklichen, bestärken und festigen das, was als positive Intentionen in unserer Seele vorhanden ist, durch unser Tun.

Gott fragt aber nicht allein nach diesem Tun. Auch ein Bösewicht kann, um nicht aufzufallen und seinen falschen Charakter zu verbergen, zum Schein immer wieder Gutes tun - das macht ihn nicht zum guten Menschen.
Aber ein Mensch mit guten Intentionen und guten Anlagen in seiner Seele wird diese nicht bewahren, wenn er sie nicht verwirklicht. Die guten Werke sind (wie schon erwähnt) Realisierung von Absichten; Siegel von zuvor nur gedanklichen Erwägungen.

Das ist also die Botschaft Jesu - keine billige Abkehr von der jüdischen Gesetzesfrömmigkeit, sondern ihre Erfüllung. "Tut Gutes! Aber nicht, weil ihr Euch mit guten Werken den Himmel verdienen könnt, sondern weil Eure guten Werke Eure Seele so heilen und heiligen, dass Ihr den Himmel, den ICH Euch schenke, annehmen könnt!"

Erlösung durch Gnade allein?

Wir nähern uns in der Betrachtung, welche Rolle der Leib in unserem Glauben spielt, dem "Höhepunkt", der leider zugleich der Stein des Anstoßes zwischen den beiden großen christlichen Konfessionen ist.

Dass ich am Ende dieser Katechese so ausführlich darauf eingehe, mag manchen Ökumenikern ein Dorn im Auge sein. Aber mir geht es nicht darum, mit den folgenden Ausführungen diese Trennung zu zementieren, sondern einen Weg aufzuzeigen, sie zu überwinden. Denn eigentlich beruht der Unterschied der Konfessionen nur auf einer "Überakzentuierung".

Keine Sorge, das will ich gerne erklären.

Dass das Judentum einen so starken Akzent auf das richtige TUN gelegt hat (und auch heute noch legt - siehe Rabbi Neusners Ausführungen im Buch "Ein Rabbi spricht mit Jesus"), verleitet zu der Annahme, dass für Jesus das Tun überhaupt keine heilsbedeutende Rolle mehr spielte.

Seien wir den Juden gegenüber nicht ungerecht: Erstens ist die "Kasuistik" kein Problem nur des Judentums, sondern eine Versuchung aller Menschen zu allen Zeiten und hat auch immer wieder im Christentum und in der katholischen Moral um sich gegriffen (siehe zum Beispiel das kleine Handbuch der Moral von "Jone" aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts). Es ist halt immer einfacher, auf das sichtbare Handeln zu schauen, als ins unsichtbare Herz des Menschen.
Und zweitens gibt es im Alten Testament zahllose Aufforderungen, die Kasuistik zu überwinden - vgl. z.B. Jes 58; Hos 6,6 ("Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer"); Amos 5 - und zahlreiche Psalmen.

Angesichts der ausufernden Volksfrömmigkeit und der schwindenden Spiritualität in weiten Teilen der katholischen Kirche zur Zeit Martin Luthers überrascht es nicht, dass die Reinigungsbestrebungen der Protestanten die Überbewertung des religiösen Tuns mit einer vollkommenen Abwertung zu überwinden glaubten und allein auf das Innerste des Menschen setzten.

Vielleicht könnte man die Gesetzesfrömmigkeit (nicht nur der Juden) als den einen Pol bezeichnen, während von dem anderen Pol her der protestantische Ruf "Allein der Glaube!" (Sola fide!) ertönt.
Dieser Ruf ist wichtig! Und die damit verbundene Intention ist auch für die katholische Kirche bleibende Verpflichtung: Letztlich kommt es nie allein auf die vollbrachten Werke an, sondern vor allem auf das, was unser (und Gottes) Tun im Inneren unseres Seins wirkt.

Aber es gibt auch noch den zweiten Anspruch der Reformatoren, der uns ebenso Verpflichtung sein muss: "Allein die Gnade!" (Sola gratia!). Denn es darf niemals dazu kommen, dass wir zwar die Werke als Mittel zur Heiligung der Seele ansehen, aber vergessen, dass diese Heiligung selbst noch nicht der Himmel ist.
Der Himmel - die ewige Seligkeit und Heiligkeit - sind und bleiben Geschenk. Unverdientes Geschenk Gottes!

Aber welche Rolle spielt denn dann noch unser Tun? Selbst dann, wenn wir das Tun des Leibes allein auf die Heiligung der Seele beziehen?
Nun, dieser Widerspruch löst sich auf, wenn wir ein einfaches Wort des Kirchenlehrers Augustinus berücksichtigen: "Gott, der Dich ohne Dich zu fragen erschaffen hat, will Dich nicht ohne Dich zu fragen erlösen."
Der Himmel, die Erlösung, die liebende Beziehung mit Gott ist unverdientes Geschenk; wir "erzeugen" dieses Geschenk nicht, aber wir arbeiten daran, unser Herz und unsere Hände zu öffnen, um das Geschenk annehmen zu können. All unser Tun (jede Verwirklichung unserer Intentionen in Gedanken, Worten und Werken) ist eine Verwirklichung unserer Zustimmung zu dem, was Jesus für uns und an unserer Stelle bereits getan hat. Oder, noch mehr: All unser Tun ist ein Hineinwachsen in die Erlösung, ein zunehmendes Mitwirken mit der Gnade, ein Loslassen der Illusion, alles allein aus eigenen Anstrengungen zu schaffen.

Wer es genau betrachtet, sieht darin keinen Gegensatz zwischen der Behauptung "Glaube ist göttliches Geschenk, nicht menschliches Werk!" und der Aufforderung "Wirkt mit an Eurer Erlösung!"

Paulus, der im Allgemeinen für die evangelische Position als Zeuge zitiert wird, kennt diese Spannung durchaus und erwähnt beides - sogar in einem Satz:
Phil 2, 12-18: "Darum, liebe Brüder - ihr wart ja immer gehorsam, nicht nur in meiner Gegenwart, sondern noch viel mehr jetzt in meiner Abwesenheit -: müht euch mit Furcht und Zittern um euer Heil! Denn Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen bewirkt, noch über euren guten Willen hinaus..."

Dieser Unterschied in der Rechtfertigungslehre (der Lehre über die nötigen Bedingungen, in den Himmel zu gelangen) ist sicherlich der Hauptstreitpunkt in der konfessionellen Auseinandersetzung. Ein theologischer Streit übrigens, der sich immer schon durch die Kirchengeschichte zog - und der trotz der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" noch nicht endgültig abgeschlossen ist.
Aus der reduzierten Bedeutung des Leibes (der im Protestantismus ja keine nennenswerte Rolle mehr für unsere Erlösung spielt) wird jedoch oft ein alles durchdringendes Prinzip, das dann viele weitere Bereiche des christlichen Glaubens verändert. Deshalb füge ich noch ein weiteres Kapitel zum Unterschied der Konfessionen an.

Evangelisch-katholisch - eine Frage der Leib-Freundlichkeit

Zu den beiden schon erwähnten reformatorischen Prinzipien "Allein der Glaube!" und "Allein die Gnade" gehört noch die dritte Aufforderung "Allein die Schrift!" (zusammengefasst in "Allein Christus!"). In der Katechese zum Unterschied zwischen Evangelisch und Katholisch habe ich daraus Begriffspaare gebildet: "Glaube-Werke", "göttliche Gnade-menschliches Tun", "Schrift-Tradition". Während die katholische Kirche diese Begriffe für komplementär hält, sehen die Protestanten jeweils einen Begriff als primär und den anderen als reine Folge an.


Bild A: Der Glaube an Gott ist primär. Daraus folgen die guten Werke. (Protestantisches Modell)

Nach katholischem Modell ist die Frucht des Glaubens das gute Werk; aber die Verwirklichung des Glaubens in Werken stärkt und verwirklicht wiederum den Glauben und die Liebe zu Gott, so dass eine Wechselwirkung entsteht. Oder besser: Eine Wendel oder Schraube, die sich durch gegenseitige Stärkung und Ergänzung (Komplementarität) aufwärts bewegt.


Bild B: Der Glaube und das Tun der Werke sind komplementär. (Katholisches Modell)

Vieles (vielleicht sogar alles...?) in dieser Welt und unserem Leben ist komplementär; so zum Beispiel auch die Liebe und die Erkenntnis: Beide sind nicht identisch, aber eine größere Erkenntnis meiner Freundin führt dazu, dass ich sie mehr liebe; je mehr ich sie liebe, um so mehr verstehe und erkenne ich sie auch; desto mehr liebe ich sie... und so weiter.

(Papst Johannes Paul II. nannte zum Beispiel die Komplementarität von Glauben und Vernunft die "zwei Flügel des Geistes". Ein schönes Bild: Vielleicht sind Liebe und Erkenntnis die zwei Flügel der Beziehung?)

Die katholische Kirche lebt und lehrt diese Komplementarität in vielfacher Hinsicht:
Bibel Tradition
Glaube Werke
göttliche Gnade menschliches Tun
Glaube Vernunft
Gottesliebe Nächstenliebe
Erkennen Lieben
seelische Regungen leibhafte Tat
Intention Verwirklichung
... ...

Wenn unsere protestantischen Freunde nun diese Begriffe nicht als komplementär betrachten (das katholische "et-et"), sondern nur einen der Begriffe als wesentlich ("sola") ansehen, führt das (fast immer) dazu, dass der zweite Begriff vernachlässigt wird. (Das gilt natürlich auch für die umgekehrte Position, wenn zum Beispiel die Pelagianier die Werke als primär und die daraus angeblich resultierende Gnade als sekundär ansehen). Das geschieht im Protestantismus augenfällig mit der Tradition der Kirche, der gelebten Überlieferung, und dem Empfang der Sakramente. Oft führt das auch zur Vernachlässigung des leibhaften Tuns (Wallfahrten, Fasten, Knien) oder einer Geringschätzung der menschlichen Vernunft (natürlich nicht immer - wohlgemerkt!). Wenn sich auf diese Weise die Protestanten eines der beiden Flügel der Seele berauben, so fällt ihnen der Aufschwung zu Gott offensichtlich schwerer.

Alles, was zum Heil absolut notwendig ist, finden wir auch in den protestantischen Gemeinschaften: Die Taufe, der Glaube an Jesus Christus und seine Erlösung durch den Kreuzestod. Wir glauben gemeinsam an die Menschwerdung Jesu und unsere Rettung durch Seine Auferstehung. Darüberhinaus glauben wir Katholiken, dass es nur die eine wahre Kirche Jesu Christi gibt, die im Protestantismus unvollständig verwirklicht wird.

Wenn wir die Kirchen des Protestantismus als "unvollständig" ansehen, dann ist damit nicht einfach gemeint, dass die Evangelischen "nicht genug glauben" oder "einen reduzierten Glauben haben". Wir halten es nicht für interessant, "wer mehr Glaubenssätze für wahr hält" oder mehr "Seiten im Katechismus" hat.
Die Unvollständigkeit, die wir in der evangelischen Kirche sehen, bezieht sich vielmehr auf die fehlenden Hilfsmittel zum Heil (die nicht einfach nur fehlen, sondern ja auch ausdrücklich abgelehnt werden). Machen wir uns nichts vor: Auch Katholiken vernachlässigen oft genug den einen oder anderen Flügel, der ihnen angeboten wird, deshalb wollen wir keinen Vergleich über die jeweiligen Mitglieder anstellen.

Selbstverständlich gibt es auch Lehr-Unterschiede zwischen der katholischen Kirche und den protestantischen Kirchen. Nicht nur das Gottesbild, sondern auch das Menschenbild erfährt hier und dort sogar sehr weitreichende Verschiebungen.
Aber dennoch möchten wir an der Aussage festhalten, dass wir im Grund einen gemeinsamen Glauben haben (der sich ja auch im gemeinsamen Glaubensbekenntnis niederschlägt); die grundlegende Verschiedenheit rührt zu Luthers Zeiten und auch bis heute vor allem von einer unterschiedlichen Gewichtung bzw. Ablehnung der Heilsmittel her.

Für uns Katholiken ist nunmal der Empfang des Leibes Christi in der sonntäglichen Eucharistiefeier und der Empfang des Beichtsakramentes eine unverzichtbare Stütze zur Erhaltung der Taufgnade und damit unserer Erlösung. Wenn die katholische Kirche nun ihre eigenen Mitglieder dringend zum Empfang dieser Sakramente ermahnt - um ihres Heiles willen! -, schauen wir natürlich schon besorgt auf die Christen anderer kirchlicher Gemeinschaften, wenn dort entweder diese Sakramente fehlen oder nicht geschätzt werden.

Besorgt - das ist vielleicht der richtige Ausdruck und die richtige Motivation für ein Gespräch zwischen den Konfessionen. Es geht nicht um Verdammung oder Rechthaberei; nicht um ein zahlenmäßiges Mehr oder Weniger - und auch nicht um Macht und Einfluss. Oberster Grundsatz allen kirchlichen Handelns ist die cura salus animarum, die Sorge um das Heil der Seelen. Aller Menschen.

3. Teil - Der Leib in der Liebe - Die Sexualität

Eine Theologie des Leibes, so haben wir gesehen, ist eine den ganzen Glauben umfassende Haltung und Wertschätzung des Leibes. In vielen Bereichen unseres Glaubens kam es zu folgenschweren Irrtümern und Verschiebungen, weil die Rolle des Leibes übersehen, vernachlässigt oder bewusst geleugnet wurde. Leibfeindlichkeit ist Gift für den katholischen Glauben.
Allerdings hat der Begriff "Leibfeindlichkeit" in der öffentlichen Wahrnehmung oft nur eine Bedeutung im Zusammenhang mit der Sexualität. Das will ich nicht leugnen, auf keinen Fall. Aber eine Wiederentdeckung des Leibes in der katholischen Glaubenswelt kann sich nicht allein auf eine erneuerte Sexualmoral beschränken - das wäre viel zu wenig und vermutlich auch nur kurzlebig; wenn der Leib nicht umfassend gewürdigt wird, wird seine überragende Rolle in der Sexualität gar nicht erkannt. Schnell passiert es, dass "Leibfreundlichkeit" in der Sexualität mit der Aufhebung diverser Moralvorstellungen gleichgesetzt wird.

Wäre es wirklich ein Fortschritt in der Wertschätzung des Leibes, wenn One-Night-Stands, Ehe auf Probe, Selbstbefriedigung, Sado-Maso oder gar Pornographie zum guten Recht eines jeden freiwillig daran Beteiligten erklärt würde?

Aber umgekehrt darf in einer Katechese zur Rolle des Leibes die Sexualität nicht fehlen, immerhin widmete Johannes Paul II. in seiner 5-Jahres-Katechese große Teile diesem Thema. Deshalb steht das Thema "Sexualität" nicht am Anfang dieser Katechese, sondern an deren Ende: als Frucht des bisher Gesagten und als Erweis der grundsätzlichen Bedeutung, ja: der Schönheit der Theologie bis ins Allerprivateste hinein.

Sexualität ist eine Sprache

"Sex", so sagt man, ist die Kurzform des Wortes "Sexualität". Sagt man. Allerdings ist das Wort "Sex" nicht nur kürzer, sondern verkürzt auch das, was damit gemeint ist: Während "Sex" meistens nur den Geschlechtsverkehr meint, ist "Sexualität" ein viel umfassenderer Begriff, beginnt mit dem ersten Augenkontakt, dem "Knistern" zwischen zwei Menschen, geht über zu Zärtlichkeiten wie Umarmungen, Küsse und körperliche Nähe, beschreibt aber auch das geistige und psychische Spannungsfeld zwischen den Geschlechtern - und endet noch lange nicht bei dem, was allgemein als "Höhepunkt" bezeichnet wird.

Alles das ist "Sex", bzw. Sexualität: Das sieht auch unser Rechtssystem so. Immerhin kann auch schon eine unanständige Berührung oder ein aufgezwungener Kuss den Straftatbestand der "sexuellen Belästigung" und auch des "sexuellen Missbrauchs" erfüllen. "Sex" ist eben nicht nur eine bestimmte Handlung, sondern eine umfassende Sprache.

Unser Körper, so wissen Kommunikationsforscher schon seit langem, spricht seine eigene Sprache. Ja, man kann vielleicht sogar sagen, dass unser Körper selbst seine höchste Bedeutung bekommt als Ausdrucksmittel der Seele, sozusagen als dessen "äußere Seite". Das kennen wir aus fast jeder Alltagssituation: Schon lange, bevor uns der Freund gesagt hat, dass er ein Problem hat, haben wir es ihm angesehen; sein Körper hat ihn verraten. Oder: Da mag uns Opa noch so oft beteuern, dass es ihm blendend gehe, wir sehen ihm an, dass eher das Gegenteil zutrifft.

Unser Körper spricht eine Sprache; das heißt, sie besteht aus Zeichen und Symbolen, die wir zum Teil ganz intuitiv beherrschen und zum Teil erst lernen müssen. Es gibt in fremden Ländern "fremde Sprachen" auch für den Körper; das wird jeder einmal erfahren, der versucht in China einen Vertrag per "Handschlag" zu schließen (probiert das lieber nicht aus). Unser Körper spricht eine Sprache, das heißt auch, dass wir damit lügen können: Wir können so tun "als ob". Ein gut geschulter Verkäufer wird genauso wie ein echter Schauspieler nicht nur seinen Text beherrschen, sondern auch seinen Körper. Beides, das gesprochene Wort und der Körperausdruck müssen zu dem passen, was als Gefühl gerade ausgedrückt werden soll.

Sexualität ist die Sprache, die äußere Form der Liebe; genauso wie das gesprochene Wort. Wir wollen nicht nur sagen: «Ich mag Dich», sondern es auch zeigen. Nicht nur im sexuellen Bereich empfinden wir das gesprochene Wort ohne den dazugehörigen körperlichen Ausdruck als "arm" und "ungenügend". Aber gerade im Bereich der Beziehungen, wo Sympathie und Zuneigung, Liebe und Leidenschaft eine Intensität erreichen, die sich kaum noch in Worte fassen lässt, brauchen wir etwas, das über bloße "Wortklaubereien" hinausgeht: unseren Körper. Er spricht immer noch die ehrlichste, unmittelbarste und intensivste Sprache. Probiert es doch einmal aus: Wie leicht fällt es (auch vor anderen), jemandem zu sagen: «Ich finde Dich überragend!» - und wie schwer fällt es, uns vor einem anderen zu verneigen oder zu verbeugen - vor allem, wenn andere zuschauen. Das liegt daran, weil Worte leicht gemacht sind ("words are cheap"); der Körper aber meint fast immer, was er zeigt.

«Sex ist eine Sprache... Sex ist eine Sprache? Also, bloß ein Medium?» - Tatsächlich ist Sex kein Selbstzweck. Es dürfte für jeden Menschen eine derbe Ernüchterung sein, wenn nach einer "wunderbaren Nacht" der Partner sagt: «Es war sehr schön mit Dir. Das, was wir getan haben, war total klasse; Du selbst bist mir allerdings ziemlich egal.» Nein, Sex (im umfassenden Sinne, nicht nur Geschlechtsverkehr) verkümmert vollkommen, wenn «er praktiziert wird, um ihn zu praktizieren». Sex wird erst dann zu einem Erlebnis, einem Ereignis, das Leben verändern und Leben stiften kann, wenn er eine Sprache ist, die nur einem einzigen Zweck dient: Liebe auszudrücken. Die Liebe aber, die durch Deinen Körper ausgedrückt wird, dient keinem Zweck - die Liebe ist sich selbst genug.

Die katholische Sexualmoral: der Weg zur erfüllten Sexualität

Vor einiger Zeit wurde ich zur Sendung "Sex nach Neun" auf der RBB-Welle Radio Eins zur katholischen Sicht der Sexualität interviewt (inzwischen ist die Sendung abgesetzt worden - aber daran bin ich nicht schuld!). Ich gebe zu, dabei keine allzu gute Figur gemacht zu haben: Ich hatte übersehen, dass mein Beitrag maximal 90 Sekunden dauern durfte - und die waren um, noch bevor ich einen Faden gefunden hatte. Dabei hatte ich mir vorher diesen (meiner Meinung nach schönen) Gedankengang zurechtgelegt:

Bei der katholischen Sexualmoral wird oft nur das gesehen, was verboten ist, aber kaum das, was durch die Verbote geschützt werden soll: Nämlich eine erfüllte Sexualität.

Das Problem ist, dass heute kaum noch jemandem bewusst ist, dass Sexualität eine Sprache ist. Und wer nicht weiß, was Sexualität überhaupt ist, kann weder von einer erfüllten Sexualität sprechen - noch Vorstellungen entwickeln, wie eine solche denn zu erreichen sei.

Wenn aber klar ist, dass Sexualität die Sprache der liebenden Beziehung ist, dann ergibt sich auch, dass eine "erfüllte Sexualität" (so, wie eine "erfüllte Sprache") davon abhängt, ob sie mit dem besten Inhalt gefüllt ist, also mit Liebe und Hingabe.

Die von vielen Menschen und Paaren gesuchte Erfüllung in der Sexualität lässt sich - trotz aller Werbeversprechen schmuddeliger Verlage - nicht durch das Erlernen und Anwenden von besonderen Techniken erreichen. Wer sich nichts zu sagen hat, ändert daran auch nichts, wenn er neue Sprachen erlernt.

Eine erfüllte Sexualität ist - genauso wie eine erfüllte Sprache - allein davon abhängig, dass sie Ausdruck von wahrer Liebe und Freude am anderen ist.

Ja, es gibt "unerfüllten Sex", leider zu Genüge. Jede Sprache (auch die Sexualität) kann nämlich auch für Unsinn oder sogar Zerstörung von Beziehung missbraucht werden. Eine Sprache kann auch zum Selbstzweck werden - man redet, weil man Freude am Reden hat, aber ohne wirklich etwas zu sagen. "Smalltalk" nennt man das, so, wie man inhaltsleeren Sex als "Smallsex" bezeichnen könnte.

Natürlich kann auch eine sinnlose Sprache lustig sein und Spaß machen (denk zum Beispiel an die geniale Szene des ferngesteuerten Nachrichtensprechers in "Bruce allmächtig"). Aber die Sprache ist dann eben nur noch spaßig, aber nicht mehr erfüllt. Und irgendwann wird auch der Spaß langweilig, weil er keine Beziehung mehr zum Inhalt und zur Person hat.

Die katholische Moral will helfen, dass aus der genialen Gabe der Sexualität und der sexuellen Lust nicht "Smallsex" wird. Die katholische Sexualmoral hat als Ziel eine erfüllte Sexualität.

Natürlich ist die katholische Sexualmoral kein Kamasutra für besonders lustvollen Sex. Es geht ihr ja nicht um eine Technik zur Luststeigerung, sondern um die Erfüllung. Wer Sexualität praktiziert, um seine grenzenlose Liebe zu vermitteln, findet die Erfüllung, die derjenige ewig suchen wird, wer diese sexuelle Erfüllung lediglich durch technischen Aufwand und Lust-Steigerungs-Mittel erzwingen will.

Der Kabarettist Konrad Beikircher erzählte einmal in einem Interview, dass er - um für die Ehe gewappnet zu sein - als junger Mann in einem Bordell um "sexuellen Nachhilfeunterricht" gebeten habe. Er gesteht (schließlich aus eigener Erfahrung), dass jede noch so professionelle Technik, die er dort gelernt hat, nicht an die tiefe Erfüllung und Freude herangekommen sei, die ihm beim Anblick der Frau überströmte, die er geheiratet hat.
Der Orgasmus - Höhepunkt der Liebe

Da ich kein Leibfeind bin - weder Esoteriker, Gnostiker noch Waldenser oder Albigenser - kann ich mich schlecht in eine solche Haltung hineinversetzen. Aber ich vermute, dass für einen Verfechter der von jedem leiblichen Einfluss unbeeinträchtigten Seele der sexuelle Orgasmus der Super-GAU sein muss. Von einigen Gnostikern weiß ich, dass dieser Augenblick, in dem der Geist zum willenlosen Medium der leiblichen Ekstase wird, grundsätzlich verabscheut wird. Nicht mehr der Geist bestimme den Leib, sondern der Leib den Geist - pfui bah.

Manche Autoren sehen in diesem Augenblick den Menschen auf die Stufe des Tiers zurückfallen: Ganz Trieb, ganz fremdbestimmt. Ich gebe zu, dass eine solche Einschätzung auch früheren christlichen Autoren nicht fremd war (z.B. der eigentlich von mir hochgeschätzten Maria Valtorta).

Zwar wird in der Gnosis das Ausbleiben der Selbstbestimmung gelegentlich als Mittel zu Erreichung eines höheren Zweckes propagiert (siehe Dan Browns Version des "hieros gamos"), aber letztlich ist das nur ein Konstrukt, um den verpönten Orgasmus dann doch noch irgendwie zu rechtfertigen.

Es mag verwundern, dass Johannes Paul II. gerade zu diesem Thema eine neue Sicht vertreten hat (dass überhaupt ein Papst sich positiv dazu äußert, passt nicht ins Konzept einer sexfeindlichen Kirche - und dann noch dieser Papst!); aber wer einmal das Vorurteil, alles was die Kirche und vor allem der alte Papst aus Polen gesagt hat, sei lustfeindlich, abgelegt hat, wundert sich darüber nicht.

Dieser Papst hat dem Orgasmus einen gänzlich anderen Inhalt gegeben: Er hat, wie es katholische Tradition ist, einen weiteren Gedanken zur erfüllten Sexualität beigesteuert. Der Papst sah im Höhepunkt der Sexualität als Sprache der Liebe ein Maximum an Hingabe; wer im Orgasmus eine jede Selbstbeherrschung verliert, schenkt sich in einer totalen Art und Weise dem Partner, die nicht mehr überbietbar ist. Diese Form von Hingabe ist Ausdruck von maximalem Vertrauen, kein Hinabsteigen ins Tierische (wie es noch in der gnostischen Verteufelung hieß), sondern vielmehr ein Aufsteigen ins Transzendente.

Aber noch mehr: Die Sexualität als Sprache der Liebe und Hingabe ist so beschaffen, dass nicht nur Leib und Seele des Partners angesprochen werden, sondern die Freude und Lust des anderen im gleichen Maße zur eigenen Lust wird. Das Erreichen des gemeinsamen Höhepunktes wird dabei nicht nur gelegentlich als besonderes Geschenk empfunden, Johannes Paul sah darin ein wunderbares Zeichen nicht nur der Hingabe des einen Partners an den anderen, sondern der gemeinsamen Hingabe an den Grund und Quell der Liebe - an Gott. ("Ekstase" im eigentlichen Sinne des Wortes als "über sich hinausgehen" - auf Gott zu.)

Noch zu der Zeit, als Johannes Paul II. als Karol Woityla Bischof von Krakau war, äußerte er sich sogar zur männlichen und weiblichen Sexualität dahingehend, dass er Hinweise gab, wie eine gegenseitige Rücksichtnahme von Mann und Frau in der Sexualität die Erfahrung eines gemeinsamen Höhepunktes ermöglicht.

Wer es nicht glaubt, lese selbst nach bei Christopher West "Theologie des Leibes", S. xxx

Ich bin mir nicht ganz sicher - aber ich wüsste im Moment weder einen Dalai Lama, noch einen hinduistischen Fakir, keinen muslimische Imam (und auch keinen evangelischen Bischof oder Superintendenten), der sich nicht nur allgemein leibfreundlich, sondern so konkret um eine theologische Aufwertung des sexuellen Tuns bemüht hat.

Unabhängig davon, ob das katholische Konzept, der Sexualität nicht nur einen legitimen Platz in Leben der Christen einzuräumen, sondern darin sogar noch einen Weg der gegenseitigen Heiligung und übernatürlichen Freude zu sehen, einmalig in der religiösen Welt ist - es ist zumindest ein eindrückliches Zeichen für die verzerrte Wahrnehmung der katholischen Kirche.

Dem Gerücht, wir Katholiken seien leibfeindlich, sollten wir keinen Glauben schenken, und uns auch innerlich immer wieder davon freimachen. Denn, so haben wir gesehen, mit der Wertschätzung der Leiblichkeit des Menschen steht nicht nur die eine oder andere (Sexual-) Moral auf dem Spiel, sondern die Gesamtheit unseres Glaubens.

Zurück zum ersten Teil dieser Katechese: "Die Wiederentdeckung des Leibes"

Möchtest Du mir schreiben? Für diese Katechese ist Peter verantwortlich. Ich würde mich über Fragen und Kritik freuen!