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Das vierte Gebot

Die Zehn Gebote haben einen fantastischen Ruf: Sie seien die Grundlage der Zivilisation, das Fundament unserer Gesellschaft und der Beginn einer jeden Moral. So sagt man. Liest man dagegen selbst in der Bibel nach, wirken die Gebote nicht nur seltsam hölzern, sondern zudem auch ziemlich unpräzise. Wie soll man auf das »Tötungsverbot« (5. Gebot) einen Staat bauen, wenn dort noch nicht einmal erklärt wird, ob das Verbot sich auf die Tötung von Menschen, Tieren oder Viren bezieht?
Auch erschütterte Frans de Waal den Nimbus vom »Beginn der Moral«, als er 2015 sein Buch »Der Mensch, der Bonobo und die Zehn Gebote« veröffentlichte - mit dem Untertitel: »Moral ist älter als Religion«.

Verblüffend an diesem Buch ist allerdings eher, dass Frans de Waal tatsächlich glaubt, Christen würden die Moral als eine Erfindung ihrer Religion betrachten. Wir Christen werden nicht müde, das Gegenteil zu behaupten - aber irgendwie hört man nicht wirklich hin. Fakt ist jedoch, dass die Gebote nicht erst mit ihrer Verkündigung auf dem Berg Sinai in die Welt kamen. Wenn es Unrecht ist, einen unschuldigen Menschen direkt zu töten, dann war es auch schon in der Steinzeit Unrecht. Lange vor Mose.

Du siehst: Der fantastische Ruf der Zehn Gebote ist das eine - deren wahrer Wert ist allerdings ein anderer: Die Zehn Gebote sind - trotz allen Widerspruchs der Protestanten - ein Weg in den Himmel. Und das 4. Gebot: »Du sollst Vater und Mutter ehren«, ist ein besonders schönes Stück dieses Weges.


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Diese Katechese ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 110) erhältlich: Kostenlose Bestellung

I. Das vierte Gebot - Gehorsam, Dankbarkeit und Pflege

Zunächst sind die Gebote das, was man von Geboten im allgemeinen weiß: Sie sind Regeln, an die man sich halten sollte. Das vierte Gebot, die Eltern zu ehren, ist in seinem ursprünglichen Zusammenhang eine Art Generationen-Vertrag: zu der Zeit, als es noch keine Rente und Krankenversicherung gab, war es eine Pflicht der Kinder, für ihre Eltern in deren Alter dazusein und zu sorgen.
Es ist darüber hinaus ein Gebot zur grundsätzlichen Dankbarkeit: Denn viele Menschen sind zusammen mit unseren Eltern daran beteiligt gewesen, dass es uns heute so gut geht.
Das Gebot, die Eltern zu ehren, ist also nicht in erster Linie eine Aufforderung an die Kinder, den Eltern zu gehorchen. Gerade in früheren Zeiten waren Kinder weder in der Lage, die Zehn Gebote zu lesen, noch waren sie im Gottesdienst anwesend, um ihrer Verkündigung zu lauschen. Adressat der Gebote waren also die Erwachsenen und nicht die unmündigen Kinder.

Ein Kind, das lesen konnte und am Gottesdienst teilnahm, war eben kein Kind mehr: Im Judentum begann das Erwachsenenalter mit 13 Jahren; zum Bar Mizwa - Sohn der Pflicht - wurde man eben durch Lesen der Tora und Teilnahme am Gottesdienst. (Bei Mädchen heißt es übrigens Bat Mizwa - Tochter der Pflicht; je nach Reformfreudigkeit der jüdischen Gemeinde liest heute auch die junge Frau aus der Tora vor.)

Dennoch sind die Kinder natürlich mitgemeint: Das Gebot, den Eltern Ehre und Respekt zu erweisen, fängt nicht erst in einem bestimmten Alter an und hört auch nicht irgendwann wieder auf.
Heute glauben wir oft, dass der Sozialstaat uns diese Pflicht abgenommen hat. Unsere Eltern sind gut versorgt, auch ohne unser Zutun. Oder? - Deshalb heißt es ja auch nicht, »Du sollst Vater und Mutter versorgen«, sondern ehren. Respekt erschöpft sich nicht in Geldzuwendungen. Durch unsere Dankbarkeit sollten wir unseren Eltern bis zuletzt zeigen, dass sie erwünscht und geliebt sind, und nicht lästig, teuer und störend. Auch dann, wenn sie ihre Macken und Kanten haben; gerade im Alter kommt daran keiner vorbei.

Der Gedanke »Ich sage mit meinem Leben 'Danke' für das, was mir geschenkt wurde« gilt für die Kinder zwar primär in Hinblick auf die Eltern. Aber unsere Dankbarkeit sollte nicht so enge Grenzen haben: Im vierten Gebot dürfen wir sehr wohl auch eine Anregung sehen, unseren Lehrern, Tanten, Onkeln und Nachbarn ebenso viel Dankbarkeit zu zeigen wie unseren Schulkameraden, Ausbildern oder Professoren - den Fahrlehrer nicht zu vergessen.

Nicht jeder hat die Zeit und Möglichkeit, die eigenen Eltern am Ende ihres Lebens zu Hause zu pflegen und zu versorgen. Manche aber schrecken einfach nur vor dieser Belastung zurück; vielleicht auch aus der Angst, dem nicht gewachsen zu sein. Dabei ist die Zuwendung und Liebe keine Frage der Professionalität der Pflege, sondern eine Frage der Person, die sie schenkt. Eine nicht so perfekte Begleitung im Alter durch die eigenen Kinder wird niemals durch eine noch so üppige Pflege durch geschultes, aber fremdes Personal aufgewogen.

Vielleicht hilft es in einem solchen Entscheidungsfall zu bedenken, dass man am Ende des Lebens den Eltern die Liebe zurückgeben kann, die man selber am Anfang des eigenen Lebens erhalten hat - darin kann großes Glück verborgen liegen!

Eltern müssen ihren Kindern viel verzeihen - vom abgebrannten Teppich bis hin zur gezielten Beleidigung, weil die Kinder mal wieder »viel zu früh zuhause sein müssen«. Dabei gilt auch umgekehrt: Die Kinder müssen lernen, dass ihre Eltern nicht perfekt sind, manche sogar sehr fehlerhaft und in den Augen der Kinder vielleicht sogar schlechte Eltern. Das im Spätkindalter zu akzeptieren, ist schwer; den Eltern spätestens ab dem Jugendalter auch zu verzeihen, ist noch viel schwerer. Manche können es selbst als Erwachsene nicht, wenn die eigenen Eltern schon längst im Rentenalter sind. Wir haben immer noch den Anspruch, perfekte Eltern verdient zu haben; und viele unserer Fehler schieben wir auf unsere Erziehung, obwohl wir schon längst selbst dafür verantwortlich sind.
Kinder erziehen von Anfang an auch ihre Eltern; Erziehung ist immer ein wechselseitiges Geben und Nehmen. Kinder, die erwachsen werden, müssen sich dann (manchmal) den Weg aus der Obhut der Eltern freikämpfen, damit ihre Eltern sie loslassen und ihre eigenen Wege gehen lassen. Aber das gilt auch umgekehrt: Kinder müssen ihre Eltern auch loslassen und ihnen zugestehen, nun an sich selbst denken zu können. Wir haben kein Anrecht auf ihre fortgesetzten Dienste!

II. »Ehren« heißt: Groß sein lassen
Ansehen bewahren

Oft wird das gesellschaftliche Ansehen, das Eltern zu bewahren suchen, als eine veraltete bürgerliche Last empfunden. Ermahnungen der Eltern (»Was sollen denn unsere Nachbarn über uns denken!«) haben ihren Teil zu dieser Ansicht beigetragen. Wer selber Kinder hat, wird darüber vielleicht etwas anders denken: Kinder, die sich schlecht benehmen, beschämen ihre Eltern.

Schon mehrfach haben sich Eltern bei mir entschuldigt, weil das Kind während der Taufe geschrien hat. Was für mich als Priester eine Normalität ist, ist für manche Eltern eine Peinlichkeit.

Dahinter steht zunächst kein spießiges Denken, sondern eine ganz natürliche Identifikation der Eltern mit ihren Kindern: Wenn die Kinder anderen Unannehmlichkeiten bereiten, dann ist es für viele Eltern so, als wenn sie selbst es getan hätten. Manche Eltern können davon anscheinend innerlich Abstand nehmen und wissen, dass oft die vermeintliche Peinlichkeit ein natürliches kindliches Verhalten ist. Aber spätestens, wenn die Kinder weiter ungestraft die Nachbarn mit reifen Tomaten bewerfen, stimmt auch etwas mit den Eltern nicht.
Wenn Erziehung lediglich das Ziel hat, gesellschaftlich nicht aufzufallen und jede Abweichung von bürgerlichen Erwartungen zu empfindlichen Strafen führt - von anderen unbemerktes Fehlverhalten aber folgenlos bleibt - darf man getrost von bigotter Doppelmoral sprechen. Grundsätzlich ist jedoch die Scham der Eltern für ein Fehlverhalten der Kinder Ausdruck von Liebe, Zugehörigkeit und Identifikation. Eltern, die sich für ihre Kinder niemals schämen, interessieren sich auch nicht für sie.
Umgekehrt sind Kinder, die sich für das Ansehen der Eltern nicht interessieren, nicht etwa besonders mündig oder erwachsen, sondern vornehmlich lieblos. Das gilt auch schon für die ganz Kleinen, zumindest wenn sie spüren, dass ihre Eltern unter ihrem Verhalten leiden. Es ist ein natürliches Verhalten und Zeichen von Liebe, Zusammengehörigkeit und Anteilnahme, wenn Kinder die Freude der Eltern zu ihrer eigenen Freude werden lassen und die Scham der Eltern als eigene Scham empfinden.
Wenn im Gebot »Du sollst deine Eltern ehren« also auch das Ansehen mitklingt, das unsere Eltern aufgrund des Verhaltens der Kinder haben, so darf darin nicht ein Mangel an bedingungsloser Liebe der Eltern gegenüber ihren Kindern gesehen werden. Das Ansehen der Eltern zu bewahren und diesem durch eigene Lebensführung und moralisches Verhalten keinen Schaden zuzufügen, ist immer noch ein Zeichen von Liebe und Dankbarkeit.

Klar: Es kommt auch auf den elterlichen Maßstab an. In einer Mafia-Familie kann das Ansehen der Familie gerade durch einen moralischen Lebenswandel gefährdet sein - wenn der Filius sich zum Beispiel weigert, ebenfalls mit Drogen zu handeln. Das vierte Gebot setzt nicht die anderen Gebote außer Kraft!
Größe entdecken

Die Eltern zu ehren heißt aber nicht nur, ihre Eigenarten zu respektieren, ihnen ihre Fehler nicht nachzutragen und sie im Alter vor Blamagen zu schützen. »Ehren« bedeutet unter anderem, ihnen auch ihre Selbstachtung zu bewahren helfen. Bereits im AT (im Buch Jesus Sirach) heißt es:

»Such deinen Ruhm nicht darin, den Vater herabzusetzen, denn das ist keine Ehre für dich. Die Ehre eines Menschen ist die seines Vaters; wer seine Mutter verachtet, sündigt schwer. Mein Sohn, wenn dein Vater alt ist, nimm dich seiner an, und betrübe ihn nicht, solange er lebt. Wenn sein Verstand abnimmt, sieh es ihm nach, und beschäme ihn nicht in deiner Vollkraft!« (Kapitel 3, Verse 10-13)

Gerade in Zeiten, in denen Menschen bis ins hohe Alter nach ihrer Leistungsfähigkeit bemessen werden, gilt es für die Kinder, ihnen mit anderen Maßstäben zu begegnen. Wenn Eltern mit der immer schneller voranschreitenden Technisierung des Alltags nicht mehr Schritt halten können, empfinden sich viele Ältere rasch als eine Last und Bürde für die jüngere Generation und vergessen, welche Schätze sie in ihrer Lebenserfahrung haben. Wer dann Kinder hat, die um Rat bitten und auf Weisheit wert legen, darf sich glücklich schätzen.
Ehre Deine Eltern, indem Du ihnen Sinn und Wert in ihrem Leben aufzeigst! Unsere Gesellschaft hat das größtenteils verlernt. So kann die Ehrerbietung gerade darin liegen, die Eltern in ihrer Altersweisheit und Gelassenheit erneut um Hilfe zu bitten. Das setzt voraus, dass wir wirklich suchen und erkennen, was uns die Eltern (oder allgemein: Die Elterngeneration) schenken und vermitteln können. Oft besteht mangelnde Ehrerbietung schon darin, dass wir uns nicht die Mühe machen, die Größe unserer Eltern (und Großeltern) wirklich zu entdecken.
Kinder sind über jeden Entwicklungsschritt froh, der sie aus dem Schatten der Eltern heraustreten lässt: »Siehst Du, Mama, das kann ich jetzt schon allein! Dafür brauche ich Dich jetzt nicht mehr!« - Pubertierende empfinden es sogar als peinlich, auf die Eltern angewiesen zu sein (was auch den Führerschein und das erste eigene Auto so attraktiv erscheinen lässt). Was in einem jungen Alter die Eltern vielleicht noch mit Stolz erfüllt (»Unser Kleiner ist schon so selbstständig!«) beginnt wenig später zu schmerzen: »Unsere Kinder brauchen uns nicht mehr. Wir sind ihnen lästig.« - Spätestens ab dann ist es ein Liebesdienst der Kinder, für die Eltern nach neuen Zuständigkeiten und Rollen zu suchen und ihnen neue Größe zu verleihen. Mit anderen Worten: Ehre.

Verzeihen

Natürlich gibt es auch schwierige Eltern. Väter und Mütter, die ihre Aufgabe nicht richtig oder vielleicht sogar gar nicht erfüllt haben. Es gibt nicht wenige Kinder, die unter ihren Eltern viel zu leiden hatten und denen es schwer fällt, gute Gründe für Dankbarkeit finden. Dann mag es auch zum eigenen Schutz sinnvoll sein, eine gewissen Distanz zu wahren. Aber selbst unter solch denkbar schlechten Verhältnissen ist es wichtig, vergeben zu können.
Vergeben und Verzeihen sind große christliche Tugenden - und werden doch oft falsch verstanden. Jemandem zu verzeihen heißt nicht, das Vergangene gutzuheißen. Was nicht gut war, wird auch durch Verzeihung nicht gut. Vergeben heißt auch nicht Vergessen - oder so tun, als ob nichts gewesen sei. Vergeben heißt vielmehr, auf eine Bitte um Vergebung oder eine zumindest angedeutete Reue mit einem Gerechtigkeitsverzicht zu reagieren. Anstatt Vergeltung, Strafe oder gar Rache lassen wir die gezeigte Reue gelten und verzichten auf Wiedergutmachung.
Das heißt aber auch, dass das erlittene Unrecht mit einer gewährten Vergebung nicht einfach wieder gut ist: Eine Wunde, die geschlagen wurde - zumal von Eltern über längere Phasen der Kindheit hinweg - schmerzt auch nach gewährter Vergebung. Gerade darin liegt ja das (schmerzliche) Geschenk der Barmherzigkeit: Anstatt Ausgleich zu fordern, sind wir bereit, den Wundschmerz weiter auszuhalten (in der Hoffnung, dass gewährte Vergebung auch die eigenen Wunden heilt). Vergebung und Verzeihung wären nicht ernsthaft, wenn es nicht schmerzlich wäre. Vergebung und Verzeihung wären aber nicht angemessen, wenn diejenigen, denen ich sie gewähre, nicht zumindest durch ihre Reue Anteil an diesem Schmerz nehmen.

Dass es hin und wieder notwendig sein kann, Vergebung schon zu gewähren, bevor der Täter Reue zeigt (wie zum Beispiel bei Verbrechen, in denen Täter und Opfer sich nicht kennen), ist sehr nobel und sicher auch verdienstvoll. Eine Pflicht dazu besteht allerdings nicht.

Zumindest das schulden wir also immer unseren Eltern, mögen sie noch so schlechte Eltern gewesen sein. Vielleicht müssen wir erst noch wachsen, bis es uns möglich ist, Verzeihung zu schenken. Wenn wir es dann aber schaffen, ist das ein Beweis dafür, dass wir (ohne oder sogar trotz unserer Eltern) tatsächlich erwachsen geworden sind. Wer seinen Eltern nicht verzeihen will - und ihnen zumindest diese Ehre nicht erweist -, bleibt letztlich noch unmündiges Kind. Verzeihen ist schwer, ja. Aber wahre Heilung gibt es leider nicht ohne das Kreuz.

III. Ehre schenken heißt himmlisch werden

Aber noch bewegen wir uns auf einer innerweltlichen und zwischenmenschlichen Ebene. Reicht das vierte Gebot denn über diese Welt hinaus? Besteht der Weg in den Himmel darin, eine intakte Familie zu führen?
Nun - er besteht auch darin. Wenn wir die bisher zusammengestellten Hinweise beachten, werden wir zu respektvollen Menschen, zu Menschen, die mit anderen mitfühlen und mitleiden, die verzeihen und um Verzeihung bitten können und die die Dankbarkeit leben. Das sind schon gute Voraussetzungen, um sich im Himmel wohlzufühlen.
Aber hinter allen Geboten steckt noch eine tiefere, göttlichere Tugend. Denn wer wirklich seine Freude darin findet, einem anderen Menschen Ehre zu erweisen, ihn groß sein zu lassen, dem anderen den Vortritt auf das Podest der Ehre zu lassen - der wird seine pure Freude vor allem im Himmel finden. Denn dort findet ein ewiger Lobpreis statt.
Die wahre Größe, die wir im Himmel haben werden, besteht darin, dass andere sie uns zusprechen (und vor allem Gott); die wahre Freude, die wir im Himmel haben werden, besteht darin, dass wir die anderen groß sein lassen (vor allem Gott!).

Lk 14,10f: »Wenn du also eingeladen bist, setz dich lieber, wenn du hinkommst, auf den untersten Platz; dann wird der Gastgeber zu dir kommen und sagen: Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird für dich eine Ehre sein vor allen anderen Gästen. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.«

Leider wissen die meisten Christen nicht mehr, was Lobpreis eigentlich ist. Unsere Gottesdienste sind entweder sehr problembeladen (»Seht, wie schlecht die Welt ist!«) oder sehr schuldzentriert und moralinsauer (»Jeder von uns ist Teil eines Problems!«). Unbeschwerten Lobpreis gibt es (sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche) vor allem in neuen, geistlichen Gemeinschaften und bei den Charismatikern. (Oder in zahlreichen evangelikalen Gruppen, die dann oft auch nichts anderes mehr kennen als Lobpreis. Aber immerhin!)
Wir müssen den Lobpreis neu einüben und bei den Eltern damit anfangen. Sie groß sein lassen, bedeutet, ihnen Ehre erweisen und sie um ihrer selbst willen lieben; das ist eine gute Einübung für den Himmel. Und wenn wir das »Ehren der Eltern« zum Grundprinzip eines jeden menschlichen Zusammenlebens machen, ist das zugleich ein Weg zu ungekannten irdischen Freuden. Was würden wir für Freundschaften führen, wenn wir vor allem die Freude des anderen im Blick haben, die er empfindet, wenn wir seine wahre Größe entdecken, stärken und ins rechte Licht rücken! Was werden wir für Ehen führen, wenn wir uns gegenseitig darin helfen, Freude an der Freude des anderen zu haben!

Ackermann, geh du voran!

Allerdings muss dabei jemand in Vorleistung gehen und mit dem Loben, dem Ehren und dem Groß-sein-Lassen anfangen, auch wenn die Größe des anderen noch wenig ausgebildet ist. So, wie auch die Verzeihung manchmal geschenkt werden sollte, wenn die Reue des Anderen noch eher ein Senfkorn ist. Einer muss anfangen. Aber nicht ich. Ein anderer. »Ackermann, geh du voran!«
Gott sei Dank: Wir brauchen diesen Anfang nicht zu machen. Das ist längst geschehen, damals, als Gott beschloss, den Menschen nicht zu verwerfen, sondern zu retten. Er hat angefangen, sich ein Volk zu erwählen, als dieses Volk noch nicht sonderlich erwählenswert war. Er hat es behütet und bewahrt, umgarnt und erhoben. Und schließlich hat er für uns seinen Sohn gegeben, um uns zu dem werden zu lassen, was er da schon in uns gesehen hat: Seine Kinder; Söhne des Vaters und geliebte Braut des Sohnes.

Hos 11, 1-4: »Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb, ich rief meinen Sohn aus Ägypten. Je mehr ich sie rief, desto mehr liefen sie von mir weg. Sie opferten den Baalen und brachten den Götterbildern Rauchopfer dar. Ich war es, der Efraim gehen lehrte, ich nahm ihn auf meine Arme. Sie aber haben nicht erkannt, dass ich sie heilen wollte. Mit menschlichen Fesseln zog ich sie an mich, mit den Ketten der Liebe. Ich war da für sie wie die (Eltern), die den Säugling an ihre Wangen heben. Ich neigte mich ihm zu und gab ihm zu essen.«
Röm 5,7: »Dabei wird nur schwerlich jemand für einen Gerechten sterben; vielleicht wird er jedoch für einen guten Menschen sein Leben wagen. Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.«
Eph 1,4-6: »Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade.«