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Die historischen Vergehen der Kirche

Für viele Kritiker der Kirche - und manchmal auch für die, die das gesamte Christentum oder sogar jede Religion ablehnen - sind die Vergehen der Kirche im Laufe der Geschichte gern angeführte Gründe, sich zu distanzieren. Warum soll man auch einem Verein beitreten, der so offensichtlich Dreck am Stecken hat?
Die Antwort, die wir hier als erstes geben, mag etwas überraschen: Ja, wir haben Dreck am Stecken; die katholische Kirche ist eine Kirche von Sündern. Nichts, was es an Bösem und Verwerflichen in der Welt gibt, macht vor den Toren der Kirche halt. Auch, wenn die Theologie zwischen der "heiligen Kirche" und den "sündigen Kirchenmitgliedern" unterscheidet, so ist doch offensichtlich, dass die Gemeinschaft der Christen in Teilen und auch als ganzes Schuld auf sich geladen hat. Das ist nicht etwa ein Trick (nach dem Motto: "Gib den Kritikern recht und Du hast Ruhe!"). Es ist vielmehr eine ganz wesentliche Eigenschaft der katholischen Kirche und der christlichen Gemeinschaft, dass wir gerade diejenigen, die Schuld auf sich geladen haben und auch weiterhin mit der Sünde kämpfen, in unseren Reihen aufnehmen. Demjenigen, der der Kirche ihre moralische Autorität absprechen will und deshalb auf ihre Schattenseiten verweist, können wir deshalb nur eine Antwort geben: "Wir können keine moralische Autorität beanspruchen, die auf unseren eigenen Verdiensten beruht, deshalb können wir durch unsere Fehler auch keine Autorität verlieren. Jede Autorität in der Kirche ist allein die Autorität Jesu Christi."
Ja, es ist für uns Christen sogar heilsam, auf die großen historischen Fehler der Kirche hingewiesen zu werden; diese Fehler zu leugnen, ist weder möglich noch hilfreich.

Warum aber dann dieses Heft (und ähnliche Hefte zu den anderen historischen Themen)? - Zum einen, weil es auch nicht fair gegenüber den früheren Christen, Katholiken, Päpsten, Bischöfen und Heiligen wäre, ihnen einfach alle Schuld anzulasten. Außerdem ist die Geschichte der Kirche für uns heutige Christen nur dann lehrreich, wenn wir genau hinschauen, was denn in den jeweiligen Epochen schief gelaufen ist. Während einige die historischen Vergehen als Vorwand nehmen, der Kirche als Ganzes den Rücken zu kehren, fragen wir, was wir für die Kirche und uns selbst aus der Vergangenheit lernen können. Wir können aber nur dann lernen, wenn wir redlich sind und nach der Wahrheit suchen.

Papst Pius XII. und die Juden - Heroischer Einsatz oder feiges Schweigen?

Der Vorwurf: Papst Pius XII. hat seiner Zeit sträflich zu den Verbrechen der Nationalsozialisten geschwiegen und sich damit am Tod von Millionen Juden mitschuldig gemacht.

Immer wieder hört man diesen Vorwurf. Ist er berechtigt? Was hat Pius XII. für die Juden während des 2. Weltkriegs wirklich getan? Heroischer Einsatz oder feiges Schweigen? Selbstloses Engagement oder Sorge um den eigenen Machterhalt? Werfen wir einen Blick auf die geschichtlichen Fakten.

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Diese Katechese ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 113) erhältlich: Kostenlose Bestellung

Ein herzliches Dankeschön gilt P. Markus Christoph SJM, der uns diese Katechese freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Wir empfehlen sein Internetangebot: »KIK - Katholisch im Kreuzfeuer«

Was Pius XII. getan hat...
...bevor er Papst wurde (bis 1939)

Von 1917 bis 1929 war Pacelli (=Familienname von Pius XII.) als päpstlicher Nuntius in Deutschland tätig. Von seinen 44 offiziellen Ansprachen auf deutschem Boden enthalten 40 Angriffe auf den Nationalsozialismus. Auch als Kardinalstaatssekretär in Rom (= »Außenminister« des Vatikan; seit 1929) bezog er stets Position gegen die Rassenideologie Hitlers: »Die Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Partei Hitlers ist nicht vereinbar mit dem katholischen Gewissen« (1930). Und 5 Jahre später in Lourdes: »Es ist den Christen nicht möglich, am Antisemitismus teilzunehmen; in geistlichem Sinne sind wir alle Semiten.«

Oft wirft man dem späteren Pius XII. vor, er habe sich bei der Unterzeichnung des Reichskonkordats (1933), einem völkerrechtlichen Abkommen zwischen Kirche und deutschen Regierung, von Hitler vereinnahmen lassen. Es stimmt: Das Konkordat wurde von Seiten der Regierung als Bestätigung ihrer Politik dargestellt. Doch gleichzeitig hatte die kath. Kirche erst durch den Abschluß dieses Konkordates ein vertraglich zugesichertes Recht zur freien Religionsausübung gewonnen, ein Faktum, das zuvor noch gar nicht für alle Gebiete Deutschlands zugesichert war. Nur auf der Basis dieses Vertrages konnten dann zwischen 1933 und 1939 nicht weniger als 55 offizielle Protestnoten gegen Konkordatsverstöße nach Berlin gehen. Zudem ist es falsch, den Konkordatsabschluss als erste internationale Anerkennung des Hitlerregimes zu bezeichnen. Bereits fünf Tage vor dem Konkordatsschluß kam zwischen Deutschland, Italien, Großbritannien und Frankreich der Viermächtepakt zusammen, ein politischer Erfolg Hitlers, der für ihn ungleich bedeutender war als das Konkordat mit der Kirche.

...als Papst (1939-1957)

Der diplomatische Einsatz Pacellis für die Juden ging nach seiner Wahl zum Papst unvermindert weiter. Ribbentrop (Hitlers Außenminister) bestätigt, mit den Protestnoten von Pius XII. hätte man »ganze Registraturen füllen können«.

Vor allem durch persönliche positive Hilfsaktionen zeichnete sich Pius XII. aus. Israel Zolli, damaliger Oberrabbiner von Rom, berichtet: »Der Heilige Vater sandte ein Handschreiben an die Bischöfe, in dem er sie anwies, die Klausur in den Klöstern und Konventen aufzuheben, damit sie Zufluchtsstätten für die Juden werden konnten. (...) Kein Held in der Geschichte hat ein solches Heer befehligt.« Als im besetzten Rom die Deutschen 1943 mit der Zusammentreibung der ca. 9600 Juden begannen, konnten auf diese Weise mehr als 85% der Verfolgten von Priestern, Mönchen, Nonnen oder Laien versteckt werden. Auf 155 extraterritoriale Häuser (d.h. einzelne Gebäude außerhalb des Vatikanstaates, die aber – wie kleine »Inseln« in Rom – dem Vatikanrecht unterstehen) waren 5000 Juden verteilt. Vorübergehend fanden nicht weniger als 3000 Juden in der Sommerresidenz des Papstes in Castel Gandolfo Unterkunft (zusammen mit anderen Bombenflüchtlingen – insgesamt unvorstellbare 8000); die Schweizer Garde, die im Jahr 1942 eine Stärke von 300 Mann besaß, war bis zum Dezember 1943 plötzlich auf 4000 Mann angewachsen – alle besaßen den wertvollen Vatikanausweis. Zwischen 4000-6000 Juden erhielten durch Vermittlung des Vatikans Pässe, Reisegeld, Schiffsplätze oder Empfehlungsbriefe für ausländische Visen. Auch Scheintaufen konnten in manchen Fällen die Verfolgten vor den Deportationen retten. (Es ging dabei um vorgetäuschte »Taufen«, die Papst Pius selber für diese Fälle erlaubt hatte.). Ergebnis: Auf diesem Weg wurden in Rom 80% der Juden gerettet, während hingegen im übrigen Europa 80% der Juden getötet wurden.

Dabei gilt zu bedenken, dass Pius XII. im Vatikan vollständig von den Deutschen eingeschlossen war. Jederzeit wäre eine Besetzung des Zwergstaates – zu der es bereits Pläne gab – möglich gewesen. Als ihm später eine Gruppe von Juden für seine Rettung dankte, erwiderte er: »Seit Jahrhunderten sind die Juden ungerecht behandelt und verachtet worden. Es ist Zeit, dass sie mit Gerechtigkeit und Menschlichkeit behandelt werden. Gott will es, und die Kirche will es. Der heilige Paulus sagt uns, dass die Juden unsere Brüder sind. Sie sollten als Freunde willkommen geheißen sein.«

Gerade die Juden selber, sozusagen als unparteiliche Zeugen, bestätigen den heroischen Einsatz Pius XII. am deutlichsten. Der Chef des »Jüdischen Hilfskomitees« der italienischen Juden während des Krieges, Dr. Raffael Cantoni, erklärt: »Sechs Millionen meiner Glaubensgefährten sind von den Nationalsozialisten ermordet worden, doch es hätten sehr viel mehr Opfer sein können, wenn die wirksame Intervention von Pius XII. nicht gewesen wäre.«

Bemerkenswert: Erst ca. 20 Jahre nach dem Ende des Krieges wurde diesbezüglich Kritik an Pius XII. geäußert, nämlich seit dem 1963 veröffentlichte Drama »Der Stellvertreter« von Rolf Hochhuth, in dem Pius XII. als machtgieriger Kirchenfürst dargestellt wird, der sich vornehmlich um die vatikanischen Finanzen gekümmert habe. Die historischen Zeugnisse der Betroffenen sprechen eine andere Sprache.

Interessantes Detail: Vor nicht allzu langer Zeit tauchte in den Medien der Bericht auf, der sowjetische Geheimdienst KGB stecke hinter dem Werk von R. Hochhuth. Ob die Meldung ernst zunehmen ist, bleibt unklar. Immerhin sah sich der Bundestagsabgeordnete N. Geis dadurch veranlaßt, in einer längeren Presseerklärung R. Hochhuth offiziell zu einer Stellungnahme aufzufordern (vgl. DT 3.2.2007, 10).

Der Einsatz anderer Staaten und nicht-kirchlicher Hilfsorganisationen für die Juden Es lohnt sich, dem Engagement Papst Pius XII. für die Rettung der Juden die Hilfsaktionen anderer Nationen und humanitärer Organisationen gegenüberzustellen.

Ab 1942 brachte die Schweiz alle Juden, denen es gelungen war, in die Schweiz zu fliehen, an die dt. Grenze zurück und überließ sie dort einem (todsicheren) Schicksal.

Das internationale Rote Kreuz mit Sitz in der neutralen Schweiz lehnte einen offiziellen Protest gegen die Judenvernichtung ab, um nicht die eigene Existenz zu gefährden.

Kanada erlaubte 1941 weniger Einreisen von Flüchtlingen als 1931.

Die USA und England lehnten es 1943 ab, mit Deutschland über die Freigabe der Juden aus Europa zu verhandeln, die eigenen Einwanderungsgesetze zu liberalisieren, oder den Versand von Lebensmitteln in die Juden-Gettos auch nur zu empfehlen.

Ein Schiff mit 900 Flüchtlingen aus Hamburg (1939) lief 11 Länder an, die sich alle weigerten, die bedrohten Menschen aufzunehmen. Für viele bedeutete der Rücktransport den sicheren Tod. Der Dampfer „Struma“ sank mit 769 Juden, nachdem Palästina (von England verwaltet) und die Türkei ein Einlaufen in den Hafen untersagt hatten.

Der jüdische (!) Historiker Pinchas E. Lapide vergleicht verschiedene Hilfsaktionen zur Rettung der Juden im 3. Reich und kommt zu folgendem Schluss:

»Die katholische Kirche ermöglichte unter dem Pontifikat von Pius XII. die Rettung von mindestens 700.000, wahrscheinlich aber sogar von 860.000 Juden vor dem gewissen Tod von den Händen des Nationalsozialismus. (...) Diese Zahlen (...) übersteigen bei weitem die der von allen anderen Kirchen, religiösen Einrichtungen und Hilfsorganisationen zusammengenommen. Außerdem stehen sie in auffallendem Kontrast zu dem unverzeihlichen Zögern und heuchlerischen Lippendienst von Organisationen außerhalb von Hitlers Einfluß, die zweifellos über weit größere Möglichkeiten verfügten, Juden zu retten, solange dazu noch Zeit war: das Internationale Rote Kreuz und die westlichen Demokratien.» Und: »Ich verstehe übrigens überhaupt nicht, wie man Pius XII. auf die Anklagebank setzen kann, während man ihm (...) während zahlreichen Jahren Ehren Erwiesen hat.«

Der Historiker Thomas Brechenmacher ist in seinen Schätzungen vorsichtiger und gibt die Anzahl der durch Papst Pius XII. geretteten Juden mit ca. 100.000 an, da – wie er zu bedenken gibt – viele Rettungsversuche auch misslungen seien (vgl. das Interview »Pius XII. hat nicht geschwiegen«, in Pur-Magazin 7-8/2007, 18-20).
Was Pius XII nicht getan hat...
»Pius XII. hätte eine Enzyklika gegen den Holocaust schreiben müssen«

Pius XII. machte die bittere Erfahrung, dass offizielle Protestschreiben oft den konkret Verfolgten nicht halfen, sondern das Naziregime nur zu neuen, noch grausameren und umfangreicheren Verbrechen reizte.

Ein Beispiel: Die katholischen Bischöfe von Holland protestierten im Juli 1942 zusammen mit der reformierten Kirche gegen die Deportationen holländischer Juden. Deutschland antwortete mit dem Angebot, Nichtarier, die vor 1941 zum Christentum übergetreten waren, von der Deportation auszunehmen, wenn die Kirche im Gegenzug schwiege. Die reformierte Kirche Hollands nahm an, der katholische Erzbischof von Utrecht dagegen lehnte ab und gab einen Hirtenbrief heraus, in dem er das den Juden zugefügte Unrecht scharf verurteilte. Folge: Die Deutschen rächten sich, indem sie alle auffindbaren katholischen Nichtarier verhafteten und deportierten, darunter z.B. auch Edith Stein, mit den übrigen holländischen Juden insgesamt 40.000 Menschen (darunter mehrere tausend katholisch Nichtarier). Als Pius XII. davon erfuhr, verzichtete er auf einen eigenen öffentlichen Protest, der von ihm bereits unterschrieben war.

Allerdings unterließ er es nicht, in seinen Enzykliken die Nazi-Ideologie zu verdammen, so z.B. in Summus pontificatus (1939) und Mystici Corporis (1943). Versteckt, aber immer noch so deutlich, dass die Schreiben in Deutschland von der Regierung nur in zensierter Form zugelassen wurden.

Dass dies der einzig verantwortbare Weg war, bestätigte später Dr. Kempner, stellvertretender Ankläger der Vereinigten Staaten bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen: »Alle Worte von Pius XII., die sich gegen einen Wahnsinnigen wie Hitler richteten, hätten eine sogar noch schlimmere Katastrophe hervorgerufen. (...) Jede Propagandahandlung der Kirche gegen die Reichsregierung wäre ‚Selbstmord durch Provokation‘ gewesen, – abgesehen davon hätte er das Gemetzel von Juden und Priestern noch beschleunigt.«

»Der Papst hätte die Verbrechen der ganzen Welt bekannt machen müssen«

Wenn der Papst schon nicht selber protestieren konnte, so hätte er doch wenigstens die Welt darauf aufmerksam machen müssen – so der Vorwurf.

Aber auch hier liegen die Dinge komplizierter. Im September 1939 z.B. informierte Radio Vatikan und die Zeitung Osservatore Romano alle Welt über die Hinrichtung von 214 polnischen Priestern und über 1000 weitere Festnahmen. Als Reaktion auf die bloße Berichterstattung verschlimmerten sich die Repressalien gegen die Betroffenen derart, dass Kardinal Sapieha, Erzbischof von Krakau, den Papst bat, keine weiteren Proteste zu erheben. Auch die Gefangenen in den Konzentrationslagern fürchteten eigenen Berichten zufolge stets vatikanische Proteste, die in der Regel nur zur verschärften Grausamkeiten der Lagerleitung führten.

Papst Pius XII. befand sich also in einem Dilemma: Sollte er lautstarken Protest erheben und damit eine drastische Verschlimmerung der Lage in Kauf nehmen – sowohl für die Juden als auch für die Katholiken? Oder sollte er den diplomatischen Weg wählen und gleichzeitig selber durch tatkräftiges Handeln helfen, dabei aber riskieren, später deswegen verurteilt zu werden?

Pius XII. hat den zweiten Weg gewählt, Tausenden von Menschen das Leben gerettet, und auf diese Weise – wenigstens in den Augen der zeitgenössischen Juden – das Richtige getan. Nochmals das unparteiische Urteil Lapides (jüdischer Historiker): »Keinem Papst der Geschichte haben die Juden herzlicher gedankt als Pius XII., der ihren Brüdern in der Not geholfen oder sie gerettet hat.«

Ähnlich der Jude Albert Einstein: »Nur die katholische Kirche protestierte gegen den Angriff Hitlers auf die Freiheit. Bis dahin war ich nicht an der Kirche interessiert, doch heute empfinde ich große Bewunderung für die Kirche, die als einzige den Mut hatte, für geistige Wahrheit und sittliche Freiheit zu kämpfen.«

Weiterführende Tipps:

  • Bemerkenswerte Spielfilme zur Thematik: "Im Wendekreis des Kreuzes" und "Die Verschwörung von Assisi".
  • Zwei Zeitschriftenartikel (von vielen): William Doino Jr., Martin Gilbert, »Papst Pius XII. und die katholisch-jüdischen Beziehungen«, in: Inside the Vatican, Sept./Okt. 2006, 40-50.
  • Interview mit Thomas Brechenmacher, »Pius XII. hat nicht geschwiegen«, in: Pur-Magazin 7-8/2007, 18-20.

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