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Das Ende der Welt

Ein Blick auf die individuellen Zukunft eines jeden Menschen kann zu einer Veränderung der Lebensgewohnheiten, der persönlichen Wertungen bis hin zur Bekehrung führen. Ebenso hat ein Blick auf die globale Zukunft der Menschheit Konsequenzen für politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Handeln. Auch, wenn die Theologie nicht 1:1 in Politik umsetzbar ist, ist ein Blick auf die letzten Dinge der Welt ein gutes Korrektiv für die Versuchung des Menschen, das Heil in Ideologien zu suchen.


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Diese Katechese ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 116) erhältlich: Kostenlose Bestellung

I. Die letzten Dinge

Die Naturwissenschaften gehen selbstverständlich von einer Fortwirkung aller Naturprozesse aus. Demnach ist sowohl das Alter des Universums endlich (je nach Theorie und Datenbestand wird von einer restlichen Lebensdauer des Weltalls von bis zu 80 Milliarden Jahre ausgegangen); ein Leben auf der Erde wird aufgrund der endlichen Brenndauer der Sonne vermutlich »schon« in 4 Milliarden unmöglich werden; ausgehend von den Ressourcen der Erde und dem heutigen Stand des Rohstoffverbrauchs, der Bevölkerungsentwicklung und der Nahrungsproduktion sind noch deutlich kleinere Zeiträume für die Existenz der Menschheit auf dieser Erde anzunehmen.
Neben der Welt-Lebenserwartung sehen die Menschen heutzutage nur die persönliche Lebensdauer als Begrenzung; eine religiöse, d.h. durch göttliche Intervention begrenzte Existenz ist mittlerweile aus dem Bewusstsein selbst religiöser Menschen verschwunden. Und dennoch hält der katholische Glaube daran fest, dass es neben dem persönlichen Tod und dem Ende der Naturprozesse ein weiteres Datum geben wird: Die Rückkehr Christi (auch »Parusie« genannt) - oder der »jüngste Tag« (manchmal auch Tag des Gerichts, Tag der Auferstehung oder, dem englischen entnommen, als »Judgement Day« bezeichnet). Neben der katholischen Kirche ist dieser Tag vor allem für zahlreiche Evangelikale Gruppierung (vor allem in Amerika) sowie für die Zeugen Jehovas von größerer Bedeutung. Seit der Zeit der ersten Christen ist die Erwartung der Wiederkunft des Herrn Jesus Christus bezeugt.

So soll - unbestätigten Gerüchten zufolge - President George Bush jr. einmal geäußert haben, dass es sich nicht lohne, etwas gegen die drohende Klimakatastrophe zu unternehmen, da die Tage bis zum Judgement Day ohnehin gezählt seien.

Je nach konfessioneller Ausrichtung und theologischer Vorentscheidung wird das Ende der Welt allerdings sehr unterschiedlich gesehen. Bevor wir uns der katholischen Sichtweise der Letzten Dinge zuwenden, ist es hilfreich, einen Blick auf zwei Alternativen zu werfen: zum einen auf die radikalere Sicht der »Apokalypse«, zum anderen auf die materialistische Variante der »immanentistischen Futurologie«. Im Anschluss daran fällt die Positionierung der katholischen Sichtweise leichter.

1. Apokalypse - Vernichtung und Neuschöpfung

Die frühen Reformatoren und evangelischen Theologen unterschieden sich im Glauben an die letzten Dinge noch nicht allzu sehr von der katholischen Theologie. Die logische Konsequenz aus dem durch die Reformation veränderten Menschen- und Erlösungsverständnis schlug sich erst spät in der Ganz-Tod-Theorie nieder, die sich dafür aber rasant in den evangelischen Gemeinden und Gemeinschaften verbreitete, bis heute jedoch nicht als offizielle evangelische Glaubenswahrheit angesehen wird. Der Gedanke, der sich durch die Ausformung der Ganz-Tod-Theorie als roter Faden zieht, findet sich auch in der Lehre über die Zukunft der Welt als Ganzes wieder: Ausgehend von einem überwiegend negativen Menschen- und Weltbild steht vor der verheißenen himmlischen Zukunft der Abbruch der irdischen Wirklichkeit. Für den Einzelnen heißt das: Erst erfolgt mit dem Ganz-Tod der Abbruch seiner irdischen Wirklichkeit, um dann ihn mit der Auferstehung (im Sinn einer Neuschöpfung) in gottgewollter Qualität dem Himmel zuzuführen. Für die Welt im Ganzen bedeutet dies: Erst erfolgt in der Apokalypse der Abbruch der gesamten irdischen Wirklichkeit, um dann mit einem Neuen Himmel und einer Neuen Erde die himmlische Herrlichkeit zu ermöglichen.

Apokalypse ist griechisch und bedeutet soviel wie »Offenbarung« in dem Sinne, in dem eine verhüllende Decke von der Wahrheit genommen wird und so das zuvor verborgene »offenbar« wird. Der Begriff selber besagt also noch nicht, ob die Offenbarung durch die Zerstörung der irdischen Wirklichkeit geschehen muss - oder ob eine verschleiernde Schicht von dieser irdischen Wirklichkeit genommen wird, damit diese in ihrer wahren Schönheit erstrahlt.

Die Gefahr der Erwartung der Apokalypse liegt in Verschiebung der Verantwortung: Wenn Gott der alleinige Handelnde ist, der kommen wird und alles neu macht, dabei alles, auch die irdische Existenz der Menschen gewissermaßen aufhebt, dann besteht die Aufgabe des Menschen vor allem in der passiven Erwartung dieser Wiederkunft. Nicht der Mensch verwandelt die Welt, sondern Gott allein; die von Gott dem Menschen zugedachte Rolle besteht neben der glaubenden Erwartung auch in der Zustimmung zum Plan Gottes - aber eben nicht in einer aktiven Teilhabe an diesem Plan. Manche evangelikale Gruppierungen sehen ihre Aufgabe angesichts der bevorstehenden Wiederkunft Christi in der Warnung der Menschen, angesichts des bevorstehenden Leids nicht den Glauben zu verlieren. Andere Gruppen fühlen sich aufgerufen, um die Wiederkunft Christi zu bitten und dafür zu beten. Nicht nur die Zeugen Jehovas beziehen eine besondere Motivation für den Einsatz im Sinne der Bibel aus der Verheißung, vor den Drangsalen der letzten Tage bewahrt zu werden.

Besonders in der Romanfolge »Finale – Die letzten Tage der Erde« (englischer Originaltitel: »Left Behind«, 1995-2007), die zunächst auf 12 Bände angelegt war und später durch weitere Bände ergänzt wurde, wird die apokalyptische Vorstellung der letzten Tage sehr plastisch geschildert. Mit Beginn der Apokalypse verschwinden zunächst alle gottgefälligen Menschen von der Erde, in der Zeit bis zu deren Ende haben dann alle Übriggebliebenen (»Left Behind«) noch die Möglichkeit, sich durch die Drangsale der Zeit für Gott zu entscheiden.
In den Jahren 2000-2005 wurden die Romanfolge in 3 Filmen umgesetzt, im Jahr 2014 erneut mit Nicolas Cage.
Einen ähnlichen Ansatz verfilmte die Warner-TV-Serie »The Leftovers« nach dem Roman von Tom Perotta.

Die theologisch aufgewertete Passivität angesichts eines allein-handelnden Gottes resultiert aus dem »sola-gratia«-Prinzip der Reformation, demnach der Mensch zu seinem Heil nicht wirken und auch nicht mitwirken kann. Gleichzeitig verstärkt das Konzept der Apokalypse auch diese Sicht der Welt und die Haltung des Sich-Fügens, denn offensichtlich hat diese Welt nicht genug Wert, um von Gott bewahrt und beschützt zu werden. Ähnlich wie bei der Ganz-Tod-Theorie ist unklar, was genau sich vom Menschen in der Neuschöpfung wiederfinden wird; ebenso liegt es allein bei Gott, wer genau an der Neuen Wirklichkeit Anteil erhalten wird. Nicht der Mensch verweigert oder öffnet sich Gott, sondern Gott verweigert sich dieser sündigen und verdorbenen Welt.

2. Futurologie

Auf der anderen Seite der Skala begegnet uns die Futurologie, die scheinbar a-religiös den Anspruch erhebt, auf rein wissenschaftlicher Basis die Zukunft zu beschreiben und auch zu gestalten. Aus absehbaren kurzfristigen Prognosen, deren Zuverlässigkeit mit der Erweiterung des Vorhersageraums rapide abnimmt, werden langfristige Tendenzen festgemacht und auf die entferntere Zukunft übertragen.

a. pessimistisch, optimistisch, neutral. — Die bekanntesten Prognosen sind pessimistischer Art und beziehen sich zumeist auf die zunehmende Zerstörung der Umwelt, den Verbrauch der Rohstoffvorräte und Ressourcen bis hin zur Selbstzerstörung des Menschen oder gar des gesamten Lebens auf dieser Erde. Größeres Aufsehen hat der Club of Rome mit seinem 1972 veröffentlichten Bericht »Die Grenzen des Wachstums« hervorgerufen; zur Zeit ist vor allem die Entwicklung des Weltklimas bestimmendes Thema.
Dagegen stehen Beschreibungen einer strahlenden und durchweg positiven Zukunft, die auf der Annahme beruhen, dass die technische Entwicklung des Menschen letztlich in der Lage ist, alle Probleme der Menschheit zu lösen: Sowohl die Umweltproblematiken, als auch die Selbstgefährdung des Menschen durch Krieg, Konflikte und Gewalt und schließlich die Abschaffung aller Religionen wird eine Friedenszeit schon hier auf Erden ermöglichen. Auch diese »Prognosen« erfreuen sich immer wieder größerer medialer Aufmerksamkeit - oft zum Jahreswechsel mit besonderer Bedeutung (2000, 2010, 2025). An die Aufmerksamkeit der pessimistischen Zukunftsbilder reichen diese Utopien allerdings nicht heran.
Zurückhaltender und damit letztlich auch deutlich weniger interessant und selten beachtet sind die in ihrer Tendenz eher neutralen Zukunftsentwürfe, die lediglich einzelne Tendenzen fortschreiben - meist soziologische oder politische Entwicklungen, deren Schaden oder Nutzen letztlich offen bleibt. Aber selbst diese vorsichtigen Vorhersagen werden schnell durch die reale Entwicklung widerlegt.

b. Kritik: Die Freiheit des Einzelnen. — Letztlich scheitert die konkrete Vorhersage der menschlichen Zukunft an der prinzipiellen Nicht-Vorhersagbarkeit menschlichen Verhaltens. Das verwundert vielleicht den Naturwissenschaftler, der ja nur messbare und schließlich fassbare Kräfte am Werke sehen will. Für uns Christen ist aber ein System, in dem Menschen in Freiheit und Verantwortung wirken, niemals vorherbestimmt und damit auch nicht vorhersehbar. Besonders in den Ereignissen der Geschichte der Menschheit sind es immer wieder einzelne Personen, die einer geschichtlichen Tendenz zur Verwirklichung verhelfen und ihr gleichzeitig eine Richtung geben, die ihrer persönlichen Freiheit und Verantwortung entspringt.

So mag z.B. zum Ende des römischen Reiches dessen Fortbestand nicht mehr haltbar gewesen sein - ob es sich aber wandelt, erneuert wird oder durch ein anderes Reich ersetzt würde, war offen. - Ebenso mag die Zeit der Reformation, der Aufklärung oder der Niedergang des Kommunismus eine allgemeine Strömung gewesen sein - auf welche Weise sich diese »Tendenz der Geschichte« realisiert, hängt wesentlich von den handelnden Menschen ab.

Geschichte ist zwar immer auch eine Geschichte der Ideen, noch mehr aber war sie immer auch eine von Menschen gestaltete Geschichte - und das wird sie auch in Zukunft bleiben. Das Verhalten von Menschen bei einer Massenpanik mag vorhersehbar sein - solange aber Menschen denken, entscheiden und verantwortlich handeln, bleibt die Zukunft offen und unvorhersehbar.
Und damit bleibt die Zukunft auch offen für Gottes Handeln. Ob Gott der Herr der Zukunft ist, mag für einen Atheisten reine Fiktion sein. Dass die Zukunft aber aufgrund der Freiheit der handelnden Menschen offen und unvorhersagbar ist, dürfte auch ein bekennender Atheist wohl nicht leugnen können. Für uns Christen ist damit die Möglichkeit für ein weiteres Wirken Gottes offenkundig.

c. Kritik: Die Vollendung innerhalb der Geschichte führt zur Überforderung des Menschen. — Nach Marx führt ein von jeder Religion befreites Volk zur größeren Aktivität und mutigerem Einsatz für eine bessere Welt. In der zweiten Strophe der Internationalen heißt es dementsprechend: »Es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun!« Aus der scheinbaren Freiheit, jetzt die Erlösung selbst »zu können« wird bald der Fluch, etwas selbst tun »zu müssen«. Aus christlicher Sicht ist eine Selbsterlösung unmöglich und somit das Erreichen eines paradiesischen Zustandes auf der Erde ohne Gottes Hilfe unmöglich. Etwas derartiges verwirklichen zu wollen, wäre eine Überforderung des Menschen und würde dem Wesen dieser Welt nicht entsprechen.
Aber nicht nur die Unmöglichkeit der Erlangung des Zieles ist eine Überforderung: Auch die Schuld eines jeden Scheiterns wird zur unerträglichen Last; gerade unter der Annahme, dass es der Mensch allein schaffen kann, ein Utopia zu erreichen, lässt jedes Scheitern und jeden Umweg zu einer Schuldfrage werden.

So ist es heute nach jeder Katastrophe - selbst nach Naturkatastrophen - üblich, nach Schuldigen zu suchen. Unausgesprochen schwingt dabei immer die Annahme mit, dass es bei korrekten technischen und menschlichem Verhalten eine leidfreie Welt geben müsse.

Und noch eine letzte, moralische Überforderung ergibt sich aus dem »selber tun«: Für die Erreichung des paradiesischen Endzustandes, der in greifbarer Nähe scheint, dürfen (ja: müssen!) auch kleinere Ungerechtigkeiten (z.B. eine Lüge, ein nichtverfolgtes Unrecht oder ein Eingriff in die Pressefreiheit) in Kauf genommen werden, wenn sie das letzte Hindernis auf dem Weg zum Paradies wären. Das gilt aber nicht nur für die scheinbar unproblematisch kleinen Lügen (»White Lies«), sondern letztendlich auch für große und größte Kapitalverbrechen. Um des größeren Gutes willen muss jedes andere Opfer möglich sein. Ob dies vor Gott und vor seinem eigenen Gewissen erlaubt sei, ist für einen Atheisten irrelevant: Wo kein Kläger, da auch kein Richter.

J. K. Rowling illustriert diese Versuchung in ihrem letzten Harry-Potter-Band durch den ansonsten weisen Dumbeldore. Um endlich für immer Frieden zu schaffen, glaubt Dumbledore in den Besitz des mächtigsten Zauberstabes kommen zu müssen (dem Elderstab); um dieses Ziel zu erreichen, meint der junge Dumbledore auch über Leichen gehen zu dürfen. The Greater Good, das je größere Gut, berechtigt scheinbar zu jedem Opfer - denn sonst wird am Schluss ja alles untergehen.

3. Fortbestand und Verwandlung der Welt

Zwischen diesen beiden Polen steht nun die katholische Jenseitserwartung: Nicht nur Gott allein, aber eben auch nicht allein der Mensch: Diese Frage kommt uns bekannt vor. Denn zwischen diesen Polen steht auch schon die Annahme der Erlösung durch die Verwirklichung des Reiches Gottes. Deshalb wird die katholische Position in der Eschatologie auch mit Reich-Gottes-Botschaft umschrieben, gelegentlich wird sie aber auch einfach nur als Eschatologie bezeichnet (in Abgrenzung zur Apokalypse und zum Immanentismus). Wiederum ist das katholische Denken von einem sowohl-als auch in der Eschatologie gekennzeichnet.

a. Präsentische Eschatologie. — Im Unterschied zur Apokalyptik erwarten Christen nicht etwa ein schreckliches Ende der Welt als zukünftiges Ereignis, sondern wissen sich bereits seit der Verkündigung des Reiches Gottes durch Jesus in der Endzeit. Seit 2000 Jahren befinden wir uns also in einer endzeitlichen Welt, in der die angekündigten Erdbeben, Kriege, Zeichen am Himmel und Verfolgungen der Getreuen stattfindet. »Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis alles eintrifft« (Lk 21,32). Wir sind also nicht nur Zeugen eines langsam anbrechenden Gottesreiches (siehe Reich Gottes Botschaft), sondern auch der Widerstände, die diese Welt dagegen leistet. Beides sind zwei Seiten der einen Medaille. Jesus vergleicht den Anbruch der neuen Wirklichkeit und die Schmerzen der vergehenden Welt mit den Geburtswehen einer gebärenden Frau: »Doch das alles ist erst der Anfang der Wehen.« (Mt 24,8); »Denn ein Volk wird sich gegen das andere erheben und ein Reich gegen das andere. Und an vielen Orten wird es Erdbeben und Hungersnöte geben. Doch das ist erst der Anfang der Wehen« (Mk 13,8).

b. Eschatologischer Vorbehalt und Mitwirkung. — Hier liegt auch die erlösende Wirkung des eschatologischen Vorbehaltes (siehe ebenfalls unter »Reich Gottes Botschaft«): Der Mensch kann seine Erlösung nicht selbst schaffen, ebenso wenig wie die Erlösung der Welt und ein Paradies auf Erden. Aber er ist auch nicht bloß zum passiven Abwarten verurteilt, vielmehr bedarf es der Heiligung des Menschen, damit das bereits angebrochene Reich Gottes Wirklichkeit wird. Heiligung meint dabei sowohl die persönliche Heiligung (der Verwirklichung des neuen Menschen durch ein gnadenhaftes Leben) als auch die Heiligung der Welt (der Verwirklichung des Reiches Gottes durch Verkündigung und gelebter Nächstenliebe in der Welt). Gott allein ist also der Urgrund des Heils, aber nur mit und durch den Menschen verwirklicht sich das Heil zunehmend, bis Gott alles zur Vollendung führen wird.

c. Politisches Handeln und persönliche Frömmigkeit. — Manchmal wird in der Kirche vor allzuviel Frömmigkeit gewarnt - die Suche nach dem Heil im Privaten sei so etwas wie der christliche Biedermeier.

Als Biedermeierzeit wird die bürgerliche Bewegung bezeichnet, die nach der Enttäuschung großer Friedenserwartungen (im Anschluss an den Wiener Kongress 1815) ihr Glück nicht mehr in der großen Politik, sondern im kleinen eigenen Haushalt suchte, so z. B. in der Hausmusik, der Wohnungseinrichtung und auch in der Kleidermode.

Insbesondere der Aufruf »Rette deine Seele!« galt als Inbegriff eines katholischen Heils-Egoismus, der sein eigenes Heil über das Engagement für andere stellte. Um dies und eine Abkehr ins Private zu vermeiden, verordnen viele kirchliche Gruppen der Kirche zahlreiche politische Programme und Agenden. So waren beispielsweise Kreuzwegandachten aus den 80-er und 90-er Jahren oftmals politisch geprägt - alles andere galt in gewissen Kreisen als Verrat an der sozialen Sprengkraft des Evangeliums. Auch das Aufkommen der Theologie der Befreiung gehört in ihren radikalen Ausformungen dazu. Dabei übersehen die Vertreter dieser (teilweise bis heute noch existierenden) politisch-christlichen Bewegung, dass persönliche Frömmigkeit und politischer Einfluss keine Gegensätze sind; beide sind vielmehr (wiederum) zwei Seiten der einen Medaille (»et-et«). Der Versuch, sich selbst zu heiligen, geht nur durch den Einsatz für andere; »Glücklich wird, wer glücklich macht« bedeutet auch: »Selig wird, wer selig macht«. Umgekehrt kann ein Mensch, der Gott nicht im Herzen trägt und sich nicht durch die Gnade Gottes geführt sieht, wirklich Gutes und Heilbringendes erreichen - letztlich wird er der o.g. »futurologischen« Überforderung zum Opfer fallen.
Außerdem übersieht oder verzerrt eine Gegenüberstellung von aktiver Nächstenliebe und persönlicher Frömmigkeit die großen Heiligen, die unsere Geschichte prägten: Franz von Assisi, Theresa von Avila, Damian deVeuster und Mutter Theresa und viele andere. Sie alle wären erstaunt gewesen, wenn man ihnen heute eine »allzu große Frömmigkeit« vorwerfen würde.

Fazit

Die katholische (diesseitige) Zukunftserwartung bewegt sich zwischen zwei Extremen: Der Mensch ist weder auf sich allein gestellt (Futurologie); noch wartet der Mensch passiv auf das von Gott herbeigeführte Ende der Welt (Apokalypse). Die Zukunft der Welt wird zutreffend mit der Reich-Gottes-Botschaft beschrieben: Die Erlösung, von Gott bewirkt, wird vom Menschen (mit Gottes Hilfe) zunehmend verwirklicht.

II. Die Wiederkunft Christi

Gott ist der Anfang und das Ende, Christus das A und O der Geschichte, Alpha und Omega: Die Erlösung geht von Jesus Christus aus, bedarf aber unserer Annahme, um in uns verwirklicht zu werden. Auch am Ende wird Gott in uns vollenden, was er begonnen hat und selbst durch unsere Mitwirkung nicht zur Vollform kommen konnte. Am Ende der Zeiten steht also nicht einfach das von Menschen gemachte Paradies - die durch die Kirche zur vollen Entfaltung gebrachte Gegenwart Gottes in der Welt. Am Ende der Zeiten bedarf es erneut eines Wirkens Gottes.

1. Biblisch: Leibhaftige Wiederkehr

Die leibliche Wiederkunft Christi ist sowohl biblisch als auch dogmatisch fester Bestandteil unseres Glaubens.

Biblisch: Jesus hat seine Wiederkunft am Ende der Welt wiederholt klar vorausgesagt. Mt 16,27 (Mk 8,38; Lk 9,26): »Der Menschensohn wird kommen in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann wird er einem jeden vergelten nach seinem Tun.« - Mt 24, 30 (Mk 13,26; Lk 21,27): »Dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen, und alle Völker der Erde werden wehklagen, und sie werden den Menschensohn auf den Wolken des Himmels kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit.« - Vgl. auch »das Kommen auf den Wolken des Himmels« (vgl. Dan 7,13) und die Endzeitvisionen bei Jesaja. Vgl. auch Mt 25,31; 26,64; Lk 17,24.26 (»der Tag des Menschensohnes«); Joh 6, 39f und Apg 1,11. Dogmatisch: »Die Wiederkunft Christi oder Parusie bedeutet, dass am Ende der Welt Christus in Herrlichkeit wiederkommen wird zum Gericht.« (De fide). - Das Symbolum Apostolicum bekennt: »Von dort wird er kommen, zu richten die Lebendigen und die Toten.« - Das Symbol um Nicaeno-Constantinopolitanum fügt hinzu: »in Herrlichkeit«. (Denziger 86. Vgl. D 40,54,287,429).

Dabei hat die Kirche keinerlei Zweifel, dass es sich um eine leibhafte Wiederkehr handeln wird; denn bereits das erste Erscheinen Gottes in Jesus Christus (die Menschwerdung und Geburt in Bethlehem) war weder ein rein geistiges noch symbolisches Ereignis. Ebenso ist die Gegenwart Christi in der Eucharistie nicht nur ein Symbol oder ein Gleichnis (die Kirche nimmt in der Eucharistie die Rückkehr des Herrn und das Kommen seines Reiches vorweg - vgl. 1 Kor 11, 26), obwohl das Kommen Christi in der Eucharistie noch verhüllt ist. Nicht zuletzt hält die Kirche an der leibhaften Auferstehung Christi und der körperlichen Realität des Auferstehungsleibes fest (siehe dazu unter »Auferstehung Jesu«). Die Annahme, Jesus würde also nur in einem übertragenen, symbolischen oder rein geistigen Sinne von seiner Wiederkunft sprechen, ist also für die Kirche völlig abwegig - auch wenn der Glaube an die Rückkehr Jesu Christi am Ende der Tage in unserer westlichen Welt wohl keine Mehrheit bei einer Umfrage unter den Katholiken finden wird.
Die Parusie (also die Wiederkunft Christi) fällt mit der Auferstehung der Toten und dem allgemeinen Gericht zusammen: »Das sagen wir euch nach einem Wort des Herrn: Wir, die Lebenden, die übriggelassen sind für die Ankunft des Herrn, werden den Entschlafenen nicht zuvorkommen. Denn der Herr selbst wird beim Befehl, beim Ruf des Erzengels und unter dem Posaunenschall Gottes vom Himmel herabsteigen, und die Toten, die in Christus ruhen, werden zuerst auferstehen. Dann werden wir, die Lebenden, die übriggelassen sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt werden dem Herrn entgegen; und so werden wir immer beim Herrn sein.« (1 Thess 4, 15-17).

2. Neuzeitlich: Existentiale Interpretation

Rudolf Bultmann, Gisbert Greshake und Gerhard Lohfink sind die drei bekanntesten Vertreter einer modernen, existentialen Interpretation der Wiederkunft Christi, die vornehmlich als ein überzeitliches Geschehen verstanden wird, das in mythologische Sprachbilder gekleidet wurde (»die Wiederkunft Christi ist kein historisches Datum und kein geschichtliches Ereignis - sie liegt außerhalb der menschlichen Geschichte«). Diese Verzerrung der Eschatologie (und damit schließlich des ganzen Glaubens) entstand durch den Versuch, den aufgeklärten Naturwissenschaften zuliebe von einer geschlossenen Welt ohne ein Einwirken Gottes auszugehen (so vor allem R. Bultmann). So wird die Wiederkunft Christi als ein rein jenseitiges Ereignis verstanden und meint letztlich nichts anderes als die persönliche Christusbegegnung nach dem Tode.
Mit existentialer Interpretation ist auch die Deutung der »zunehmenden Gegenwart Christi« in der Welt durch die Verbreitung der Botschaft Christi und deren Widerhall im Leben der Christen gemeint. Die Herrschaft Christi als König verwirkliche sich vor allem in den Seelen der Menschen durch Annahme des Glaubens; dort »regiere« nun ein anderer Geist, der Geist Jesu Christi.
Scheinbar ist die Leugnung der leiblichen Wiederkunft Christi ein Randthema und keiner großen Diskussion würdig. »Was spielt es schon für eine Rolle, wie Jesus wiederkehren wird? Die Wahrscheinlichkeit, dass Jesus ausgerechnet während meines kurzen Lebens wiederkommen wird, ist nach 2000 Jahren Wartezeit doch eher gering!« Das mag aus persönlicher Sicht durchaus plausibel sein; allerdings glauben wir nicht an die Wiederkunft Christi, weil wir stündlich damit rechnen; wir glauben ebenso nicht an die Leibhaftigkeit der Wiederkunft, damit wir uns nicht erschrecken, wenn es soweit ist. Unser Glaube speist sich vielmehr aus der Hochschätzung des menschlichen Leibes (in Menschwerdung und Himmelfahrt Christi); zudem ist der Glaube an die Leibhaftigkeit der Wiederkunft Christi eine Fortführung des Glaubens an die Menschwerdung Christi, der leibhaften Auferstehung und dem leeren Grab und der Realpräsenz in der Eucharistie. (»Wenn wir alles das glauben, dürfte der Glaube an die Wiederkunft Christi keine Schwierigkeit mehr sein...!«)

3. Christozentrisch: Am Beispiel evangelikaler Interpretationen

Die Leibhaftige Wiederkehr Jesu Christi spielt dagegen im Glauben zahlreicher evangelikaler Gemeinden und Gemeinschaften eine ungleich größere Rolle - und wird dort zumeist sehr plakativ illustriert. Die bereits erwähnte Romanfolge »Finale« (»Left behind«) macht aus dem jüngsten Tag einen Tag wie jeden anderen dieser Welt; die Ankunft Christi ist kein Anbruch eines neuen Zeitalters oder einer Neuen Welt, sondern lediglich ein weiterer Tag dieser Geschichte - mit nur einem schlagzeilenträchtigen neuen Inhalt: Jesus Christus.

Allein schon der Gedanke an eine Zeitungsmeldung oder einer »Breaking News«-Einblendung bei CNN: »Es ist geschehen: Die Wiederkunft Christi!« verursacht bei uns Katholiken dogmatische Bauchschmerzen.

Vorbereitet wird diese innerweltliche Deutung durch weitere Romane, in denen Jesus (oft überraschend und unerkannt) zu einem Kurzbesuch in dieser Welt auftaucht, Gemeinden und Gottesdienste besucht und dabei ordentlich gegen die Erwartungen handelt (so z.B. im Buch »Der Besuch« von Adrian Plass - seit 2006 auch als Film).
Dagegen wählt die katholische Kirche wiederum einen Mittelweg zwischen dieser rein innerweltlichen Deutung und der vollständigen Verlagerung der Wiederkunft Christi in ein Jenseits: Die Rückkehr Jesu ist ein Ereignis in Raum und Zeit, das jedoch den Rahmen dieser Welt sprengt und einen Neuen Himmel und eine Neue Erde begründet. So, wie Jesu Auferstehung zwar eine historische Komponente hat, aber den diesseitig-irdischen Rahmen sprengt; so, wie die Wandlung von Brot und Wein Gottes Gegenwart in Raum und Zeit zur Folge hat, aber daraus kein innerweltliches Geschehen werden lässt - so wird auch der »Tag des Herrn« am Ende der Zeiten sein. Zugegeben: Das ist eher ein theologisches Gestammel als eine konkrete Beschreibung. Aber worüber wir nicht mehr aussagen können, sollten wir demütig schweigen.

Fazit

Die Wiederkunft Christi ist kein rein diesseitiges Geschehen (wie bei der ersten Ankunft Jesu vor 2000 Jahren, in der sich Jesus ganz der Welt eingeordnet hat), sie ist aber auch keine rein jenseitige Wirklichkeit (geht also nicht in der individuellen Zukunftshoffnung auf): Sie ist die machtvolle Vollendung dieser Zeit und der Anbruch einer neuen Wirklichkeit – ähnlich der Auferstehung Jesu.

III. Neuer Himmel, neue Erde

Wir haben konkrete Fragen an die Vorstellungen von Himmel, Hölle und Fegefeuer - und dabei dann oft nur Antworten für den individuellen Status; die Betonung, das Himmel und Hölle eher Zustände als Orte sind, darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass im Allgemeinen Gericht und im sich daran anschließenden gemeinschaftlichen Fest im Himmel auch ein gemeinsamer Raum und eine gemeinsame Zeit eingeschlossen sein muss.

1. Das allgemeine Gericht: Verheißungen

a. Aufdeckung und Richtung der allgemeinen Schuld, Verstrickung in der Welt. — Eine Beschränkung der jenseitigen Wirklichkeit auf das persönliche Gericht, das unmittelbar nach dem Tod seinen Platz hat, wird der schöpfungsgemäßen Hinordnung des Menschen auf Gemeinschaft hin nicht gerecht. Das Leben ist niemals ein Verharren in einem isolierten Zustand. Wir leben stets in Kontakt und Auseinandersetzung mit anderen Menschen, somit haben auch zahlreiche Menschen Anteil an meinem Heilszustand - ebenso wie Zeitgeschehen, Kultur und Religion, in der ich aufwachse. Wer aber wieviel Einfluss tatsächlich gehabt hat und wie groß mein eigener Freiheitsgrad gewesen ist, ist für uns Menschen in dieser Welt nicht exakt feststellbar.
Im allgemeinen Gericht wird nun genau dieses offenbar. Schon für das persönliche Gericht musste deutlich werden, welche Freiheiten ich im Leben gehabt habe und wie ich diese verwirklicht habe. Am jüngsten Tag wird aber auch der Anteil der Schuld anderer in meinem Leben und meine Schuld an deren Lebensgestaltung offenbar - damit wir einander verzeihen und uns an der Verzeihung Gottes gemeinsam freuen können. Wieviel und wieweit wir in die Schuld der Welt verstrickt waren und wieviel Gnade uns deshalb zuteil wurde, wird ebenso offenbar; einschließlich der vielen verborgenen guten Werke, heimlichen Gebete und Mühen anderer für mich und umgekehrt. Wenn Himmel Freude bedeutet, dann ist dieses Offenbarwerden die Öffnung der himmlischen Herrlichkeit.

b. Bekehrung der Juden. — Paulus, der als strenggläubiger Jude aufgewachsen ist, fragt sich nach seiner Bekehrung zu Christus, was denn der Neue Bund in Jesus Christus für das Volk der Juden und deren Alten Bund bedeute. Im Römerbrief (Kapitel 11) schreibt er:

11,1f: »Ich frage also: Hat Gott sein Volk verstoßen? Keineswegs! Denn auch ich bin ein Israelit, ein Nachkomme Abrahams, aus dem Stamm Benjamin. Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er einst erwählt hat...«
11,5-7: »Ebenso gibt es auch in der gegenwärtigen Zeit einen Rest, der aus Gnade erwählt ist - aus Gnade, nicht mehr aufgrund von Werken; sonst wäre die Gnade nicht mehr Gnade. Das bedeutet: Was Israel erstrebt, hat nicht das ganze Volk, sondern nur der erwählte Rest erlangt.«
11,11f: »Nun frage ich: Sind sie etwa gestrauchelt, damit sie zu Fall kommen? Keineswegs! Vielmehr kam durch ihr Versagen das Heil zu den Heiden, um sie selbst eifersüchtig zu machen. Wenn aber schon durch ihr Versagen die Welt und durch ihr Verschulden die Heiden reich werden, dann wird das erst recht geschehen, wenn ganz Israel zum Glauben kommt.«
11, 25-32: »Damit ihr euch nicht auf eigene Einsicht verlasst, Brüder, sollt ihr dieses Geheimnis wissen: Verstockung liegt auf einem Teil Israels, bis die Heiden in voller Zahl das Heil erlangt haben; dann wird ganz Israel gerettet werden, wie es in der Schrift heißt: Der Retter wird aus Zion kommen, er wird alle Gottlosigkeit von Jakob entfernen. Das ist der Bund, den ich ihnen gewähre, wenn ich ihre Sünden wegnehme. Vom Evangelium her gesehen sind sie Feinde Gottes, und das um euretwillen; von ihrer Erwählung her gesehen sind sie von Gott geliebt, und das um der Väter willen. Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt. Und wie ihr einst Gott ungehorsam wart, jetzt aber infolge ihres Ungehorsams Erbarmen gefunden habt, so sind sie infolge des Erbarmens, das ihr gefunden habt, ungehorsam geworden, damit jetzt auch sie Erbarmen finden. Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen.«

Das Volk Israel, das nicht zum Neuen Bund in Jesus Christus gefunden hat, wird also dennoch zum Heil zugelassen - aufgrund des Alten Bundes, den Gott mit ihnen geschlossen hat. Wie genau diese Erlösung geschehen kann und sich mit der einzigartigen Stellung Jesu vereinbaren lässt, ist für uns ein Geheimnis, ein Mysterium. Am Ende der Tage allerdings wird offenbar werden, welchen Weg das Volk der Juden und darin die Treuen zum Alten Bund Gott für sie vorgesehen hat.

c. Aufhellung der Theodizee. — Ähnlich wie die Judenfrage ist die Frage nach der Theodizee für uns Menschen hier auf Erden nicht restlos verstehbar. Wir wissen zwar, dass Gott die Möglichkeit zum Bösen um unserer Freiheit willen nicht restlos tilgt und unseren Schmerz um unseres Heils willen mit uns teilt - aber wir verstehen nicht wirklich die Größe seines Opfers und die genaue Rolle, die das Böse und unser Leiden in der Geschichte hat. Für den jüngsten Tag ist uns jedoch die »Aufhellung der Theodizee« verheißen.

Es gibt viele Dinge, von denen wir hier auf Erden glauben, dass deren Aufklärung im Himmel mit Spannung erwartet wird: Wer hat Kennedy ermordet? War das 3:2 für England 1966 in Wembley wirklich ein Tor? War die Mondlandung nur eine Simulation im Studio? - Vermutlich wird aber das Interesse an der irdischen Geschichte in der kommenden Welt von geringem Interesse sein. Die Theodizee-Frage, also die Frage nach Sinn und Bedeutung des Leids in der Welt, wird als bis ins Jenseits hin bedeutsam angesehen.

Dabei geht es nicht nur um die »Rechtfertigung Gottes«, wie der Begriff der Theodizee nahe legen könnte. Es geht vielmehr auch um die Verbindungen, die das Leid zwischen den Menschen geschaffen haben. Erhellend und erfreuend zugleich dürfte die Erkenntnis sein, wieviel liebe Menschen durch ihr Leiden und Schmerz für mich Gutes gewirkt haben; ebenso auch die Erkenntnis, welche heilsame und heilbringende Wirkung mein erlittenes Leid für andere gehabt hat.

2. Der Himmel: Anbetung

a. Passives Betrachten? - Lobendes Anbeten! — Wir haben in der individuellen Eschatologie schon die Frage zu klären versucht, ob denn eine Anbetung und Anschauung Gottes nicht grundlangweilig sein wird. Nun, wir haben vielleicht ein verzerrtes Bild der eucharistischen Anbetung vor Augen, als ob diese in schweigendem, scheinbar passivem Betrachten Gottes bestehen würde. Wahre Anbeter wissen, dass das bereits für die Anbetung in dieser Welt nicht zutrifft; aber vor allem wird Anbetung und Anschauung in der kommenden Welt von wesentlich anderer Qualität sein: Wir werden Gott nicht in der Gestalt des Brotes, sondern unverhüllt von Angesicht zu Angesicht schauen. Deshalb dürfen wir als Vorausbild für den Himmel (neben der eucharistischen Anbetung) auch den gemeinsamen Lobpreis, das Jubeln in großen Mengen und das Gänsehautgefühl bei großen Ereignissen wie z.B. Weltjugendtagen oder Papstmessen mit heranziehen.
Aber nicht nur die gemeinschaftliche lobende Anbetung, sondern auch die unverhüllte Anbetung ist Garant für nie aufkommende Langeweile: Jede Liebe ist schöpferisch und kreativ, das Schauen der Liebe Gottes ist deshalb immer wieder von Neuem fasziniert. Vor allem deshalb, weil wir Teil der Schöpfung und Anteil am Schöpfer haben werden. Das Geheimnis von Einheit und Vielfalt, von Liebe und Barmherzigkeit, von Schenken und Empfangen und von Person und Identität ist nicht deshalb ein Geheimnis, weil es vor uns geheimgehalten wurde, sondern weil es ein Mysterium ist, das unergründlich ist und deshalb quasi-unendlich. Langeweile? Wer kommt denn auf sowas!

b. Gemeinschaft der Heiligen. — Ebenso haben wir in der individuellen Eschatologie schon den scheinbaren Konflikt zwischen der Anschauung Gottes und der Gemeinschaft mit den anderen Anbetern gelöst. Wir werden nicht nur in einer großen Masse jubelnder und frohlockender Engel und Menschen aufgehen und dabei Gott fest im Blick haben - wir werden auch den Einzelnen in den Blick nehmen und uns an seiner Heiligkeit freuen und darin Gott loben und preisen.

Dabei werden wir nicht (wie schon in der Anthropologie erwähnt) von allen anderen, die wie auch ich durch Gott selbst vollendet sind, losgelöst sein. Aber wir werden die Angewiesenheit auf die Ergänzung durch Gott und die anderen Menschen nicht mehr als Peinlichkeit und Zwang ansehen. Jeder, der uns eine Hilfe ist, freut sich darüber, dass er dazu in der Lage ist; ich freue mich darüber, ihm diese Freude zu bereiten und somit groß sein zu lassen. Wir sind Heilige - aber nicht in einem absoluten Sinne: Nicht jeder für sich. Wir sind dann vor allem eine Gemeinschaft der Heiligen oder eine heilige Gemeinschaft. Wie dem auch sei: Lassen wir uns überraschen.

c. Offenbarung des Johannes: Der Himmel ist Kult. — Scott Hahn hat nach seiner Bekehrung zum Katholizismus (zuvor war er evangelikaler Professor) ein Buch über die Offenbarung des Johannes geschrieben mit dem bezeichnenden Titel: »Das Mahl des Lammes - Die Messe als Himmel auf Erden«. Dabei entfaltet er nicht zuerst den Gedanken, die Feier der Eucharistie sei eine Vorwegnahme des Himmels; vielmehr stellt er bei der Schilderung der himmlischen Herrlichkeit durch Johannes (in dem letzten Buch der Bibel, die Offenbarung) fest, dass dort bis in kleine Details ein Ablauf der Heiligen Messe beschrieben wurde. Das himmlische Hochzeitsmahl sei also der Feier einer Messe ähnlich! Scott Hahn bereichert unseren Glauben mit dieser Aussicht, die für müßige Kirchgänger allerdings kein großes Verheißungspotential enthält. Nun lässt sich dieser Vergleich durchaus mit einer Mahnung verbinden: »Lerne möglichst eine tiefere Wertschätzung der Liturgie und der Messfeier, damit Du im Jenseits darin den Himmel wiederfindest und nicht glaubst, in einer langweiligen Hölle zu sein!« Wichtiger als die Mahnung dürfte jedoch die Verheißung sein, dass der Himmel nicht eine absolute terra incognita ist, sondern bereits in diese Welt hinreicht: In menschlichen Liebesbeziehungen, in den Sakramenten und in der Feier der Eucharistie.

3. Heiligkeit

Als letztes wollen wir einen Begriff beleuchten, der sich in allen Bereichen dieses Grundkurses wiederfindet: Die Heiligkeit. Gott ist heilig (»dreimal heilig«), wir sprechen von den Heiligen und dem Heiligen (Mk 1,24), der heiligen Kirche und (beispielsweise) von dem »Heiligen Römischen Reich« - und so fort. Was meint dieser Begriff?

a. »Sacrum« und »Sanctum« — Zunächst fällt auf, dass es im lateinischen zwei verschiedene Begriffe gibt, die im Deutschen beide mit heilig übersetzt werden: sacer/sacrum und sanctus/sanctum. Ein Blick in die Geschichte dieser Begriffe führt nicht zu einer wirklichen Klärung, denn beide Begriffe sind im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlich belegt. Trotzdem wurde das Römische Reich immer mit sacrum bezeichnet; umgekehrt ist Gott immer sanctus. Es geht uns hier aber auch nicht um eine exakte Wortdefinition, sondern um ein tieferes Verständnis der Sache. Wir dürfen also einfach davon ausgehen, dass Gott zunächst der allein Heilige (sanctus) ist und seine Heiligkeit auf Personen, Orte und Gegenstände ausweitet, sie als »zu Ihm gehörig« beansprucht (sanktioniert), sie »zu eigen« nimmt. Im Unterschied dazu gibt der Mensch von sich aus Personen und Dinge her, die fortan Gott zugehörig (sacer) sein sollen (oft durch den Priester, dem sacerdotes). Wir unterscheiden also die Hingabe (sacrificium, lat.: Opfer) an Gott und die Annahme (sanctum) durch Gott. Folgerichtig wird das, was von Menschen für Gott reserviert wurde und von Gott als solches beansprucht wurde, als sacrosanct bezeichnet.
In der Heiligkeit als Eigenschaft der Menschen, die bei Gott sind, offenbart sich so also die tiefere Wahrheit unseres Glaubens: Die Heiligen (sancti) sind die, die zu Gott gehören, auf die Gott seine eigene Heiligkeit gelegt hat und die er zu eigen angenommen hat. Zugleich respektiert Gott den freien Willen seiner Geschöpfe und nimmt nur die in seine Heiligkeit auf, die der Selbsthingabe (sacrum) an Gott zustimmen und sie an sich Wirklichkeit werden lassen.

b. »Anders-sein« (lat. sanctus/sacrum, gr. hagios/hieros, hebr. qados) — Die Ur- sprungsbedeutung des jüdischen Wortes qados (für heilig) ist annähernd mit »besonders« oder »Das Besondere« zu umschreiben; im Gegensatz zum Profanen. Sowohl im lateinischen als auch im griechischen schwingt in diesen Begriffen vor allem die Absonderung aus dem Alltäglichen und Weltlichem mit. Ein rein geistig-jenseitiger Gott, der mehr Idee als Person ist und daher keine Berührungspunkte mit dieser Welt kennt, führt auch zu keinem Heiligkeitsbegriff.
Gott schenkt seine Heiligkeit und nimmt somit aus dem Alltag heraus; etwas Gewöhnliches wird zu etwas Besonderem; ein Massenprodukt zu etwas Einmaligem. Heilig im Sinne von nicht-profan meint dabei nicht zuerst einen Gegensatz von Gott und Welt (so wie gut und böse Gegensätze sind und einander ausschließen), sondern eine neue Qualität (so wie etwas gut sein kann und zudem noch heilig).

c. »Heil-sein« (deutsch), »Glänzend« (germanisch: hailaga) — Ähnlich wie im Englischen »holy» (von engl. whole: dt. ganz) steckt im deutschen heilig das »heil Seiende« (heil: ganz, unversehrt, ohne Makel). Die Heiligen sind also diejenigen, die ganz und gar das sind, was sie haben sein können; in ihnen gibt es keine Fehlstehle und keine Wunde mehr. Und dennoch sind sie nicht einfach perfekt, denn ihre Heiligkeit ergibt sich vor allem aus der sich ergänzenden Gemeinschaft der Heiligen und der Heiligung Gottes.
Ebenfalls schön und aufschlussreich ist die Wurzel des deutschen heilig im germanischem hailaga.

Mittelhochdeutsch heilec, heilic, althochdeutsch heilig, heilag, germanisch hailaga: »heilig, mit Heil versehen«, belegt seit dem 8. Jahrhundert (Friedrich Kluge, bearbeitet von Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin/New York 2001).

Demnach bedeutet heilig soviel wie mit »Heil versehen«, wörtlicher noch: »Wie mit einem Glanz belegt« (hai - laga). Heiligkeit ist vielleicht zu vergleichen mit den Anblick eines Menschen, der für einen Augenblick in ein wunderschönes Licht getaucht (beispielsweise dem Licht der Abendsonne), etwas von seiner tieferen, inneren Schönheit zum Ausdruck bringt. Es handelt sich nicht um einen bloßen Anschein, der Fehler übertüncht, sondern um einen Glanz, der erst im rechten Licht - im Lichte der Heiligkeit Gottes - zur Geltung kommt, obwohl er schon zuvor vorhanden war. Auch dieser Gedanke - mag er sprachlich auch wenig gesichert sein - offenbart etwas von dem, was uns mit der Heiligkeit versprochen ist, das ich nicht weiter in Worte zwängen möchte.

Fazit

Das vollendete Reich Gottes wird sicherlich anders sein, als alles, was wir hier auf Erden denken und in Worte fassen können. Und dennoch haben wir berechtigte konkrete Erwartungen: unter anderem die Klärung der Theodizee, die Anbetung Gottes in der Gemeinschaft der Heiligen und die Erlangung vollkommener Freude.