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Die Gottesgebote im Dekalog

Es gehört zum (falschen?) Allgemeinwissen, dass die Zehn Gebote keinen speziellen religiösen Charakter haben, sondern allgemeingültig für alle Menschen seien.
Das gilt ganz klar für die letzten sieben Gebote, die das Zusammenleben der Menschen ordnen. Diese Gebote sind tatsächlich Grundlage der meisten modernen Staaten und deren bürgerliche Gesetzgebung. Aber die ersten drei Gebote (»Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!«, inklusive Bilderverbot; »Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren!« und »Du sollst den Sabbat halten!«) gehören auf den ersten Blick keineswegs zum Allgemeinbestand der modernen Welt - eher im Gegenteil: Mit der Abschaffung der Blasphemie-Gesetze, der Trennung von Staat und Kirche und der zunehmenden Entleerung des Sonntagsgebotes sind die modernen Staaten weit davon entfernt, sich die ersten drei Gebote auf die eigenen Fahnen zu schreiben.
Dennoch sind gerade diese Gebote keineswegs irrelevant für unsere moderne Welt - ja, sie sind sogar der Grund dafür, dass es unsere moderne Welt, die Naturwissenschaften und den modernen Staat überhaupt gibt. Überrascht? - Lies selbst!

(Diese Katechese ist der erste Teil von drei zusammenhängenden Katechesen zu den ersten drei Gebote. Es folgt Nr. 122 (Das 2. Gebot: Ehre den Namen Gottes!) und Nr. 123 (Das 3. Gebot: Heilige den Sabbat!)


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Diese Katechese ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 118) erhältlich: Kostenlose Bestellung

 

Vorbemerkung (1): Die Zählweise der Gebote

Von evangelikaler Seite wird immer wieder behauptet, die katholische Kirche habe die zehn Gebote verändert. Um ihre eigene Bilderfrömmigkeit zu rechtfertigen, habe die katholische Kirche das vierte Gebot »Du sollst Dir kein Bildnis machen« gestrichen - und, damit es dann wieder Zehn Gebote sind (und dieser Streich niemanden auffällt), habe sie dann das 10. Gebot in zwei Teile aufgespalten (»Du sollst nicht Begehren Deines Nächsten Frau« und »Du sollst nicht Begehren Deines Nächsten Hab und Gut«). Genauso wie die katholische Kirche nummeriert übrigens auch die lutherische Kirche die Gebote; der Zählweise der Freikirchen, Baptisten und Evangelikalen entspricht die der reformierten, anglikanischen und orthodoxen Kirche; die Juden wiederum haben eine dritte Variante.
Zur Beruhigung aller, die deshalb ernsthaft besorgt um das Heil der Katholiken (und Lutheraner) sind, sei also vorab bemerkt: Wir haben die Zehn Gebote nicht verändert; schon gar nicht durch unsere Zählweise: In der Bibel gibt es keine Zählung der Gebote; wie die Gebote gezählt werden, ist also kein Inhalt der Heiligen Schrift.

  • Oft wird zudem unterstellt, die katholische Kirche habe das Verbot der Bilderverehrung gestrichen. Das stimmt nicht: In jeder katholischen Bibel steht der volle Wortlaut.
  • In den katholischen Katechismen, in denen nur eine Kurzversion der Gebote steht, wird das Bilderverbot tatsächlich nicht ausdrücklich erwähnt, gehört aber in das erste Gebot mit hinein: »Du sollst keine anderen Götter neben mir haben«. Das »Fremdgötterverbot« (dazu später mehr) bedeutet also auch, dass man keine anderen Götterbilder und Götzen herstellt und als Gott verehrt.

Bei wikipedia findet sich folgende Auflistung (die wohl repräsentativ ist) mit folgenden Formulierungen der Gebote (die auch von den jeweiligen Katechismen abweichen können):

Eine noch ausführlichere Auflistung der Unterschiede in der Zählweise findet sich bei wikipedia.

Die Juden zählen Gottes Selbstvorstellung (»Ich bin der Herr, Dein Gott!«) im ersten Satz als erstes, die beiden Folgesätze gemeinsam als zweites Gebot. Sie folgen damit dem Talmud, der nicht zwischen Fremdgötter- und Bilderverbot unterschied. Orthodoxe, Reformierte und Anglikaner dagegen orientieren sich an Exodus Vers 20 und trennen Fremdgötter- und Bilderverbot, so dass letzteres auch Bilder des eigenen Gottes verbietet.

Vorbemerkung (2): Die Zehn Gebote als Bundesversprechen

»Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, dem Sklavenhaus« (Exodus 20, 2). So beginnen die Zehn Gebote. Es soll deutlich gemacht werden: Die Gebote stehen im Gegensatz zur Sklaverei der Sünde, mit den zehn Geboten beginnt für euch die Freiheit Gottes. Diesem Gott zu folgen, bedeutet nicht den Verlust von Freiheit, sondern die Erfüllung der Freiheit und unser Glück.

Genaugenommen steht nämlich im Urtext nicht: »Du sollst!«, sondern: »Du wirst!«. Gott schließt mit der Gabe der Zehn Gebote einen Bund mit den Menschen - beide Seiten versprechen eine Bundesleistung. Gott verspricht, für sein Volk da zu sein, sein Volk verspricht, sich an die Gebote zu halten. Dieser Bund ist mehr als eine Art Vertrag - schon von Anbeginn haben die Juden in diesem Bund mehr Ähnlichkeit mit der Ehe zwischen zwei sich liebenden Menschen gesehen als mit einem Vertrag zwischen Kaufleuten. Denn mit dem Bund am Sinai ist nicht einfach ein Handel abgeschlossen worden, der auch anders aussehen könnte. Gott hat sich nicht einfach die Bundesbedingungen (also die Gebote) aus den Fingern gesogen - er verlangt als Bundesleistung auch nichts, was »Gott glücklich machen würde«. Gott ist bereits glücklich, mit oder ohne Volk. Er ist immerhin Gott.

Nein, letztlich ist der Bund eine pädagogische Glanzleistung Gottes: Das Volk Israel geht auf die Bundesbedingungen ein, um sich der Bundesleistung Gottes zu versichern - und erfüllt gleichzeitig durch die Zehn Gebote die inneren Bedingungen, selbst gottfähig und glücklich zu werden. Insofern ist die Ähnlichkeit mit dem Ehebund naheliegend: Die zwei, die sich lieben, versprechen sich gegenseitig zum wahren Glück zu führen.

Natürlich ist der Bund zwischen Mann und Frau »symmetrisch«, der Bund zwischen Gott und Mensch dagegen »asymmetrisch«. Mann und Frau helfen einander in den Himmel - der Mensch dagegen kann Gott keine weitere Glückseligkeit schenken, sondern sie nur empfangen. Insofern ist die Ähnlichkeit zwischen Ehebund und Gottesbund eben nur eine Ähnlichkeit.

Falls das Volk (und jeder einzelne darin) sich aber doch einmal von Gott entfernen sollte, so erkennt es das daran, dass es die Gebote nicht mehr hält. Gleichzeitig sind die Gebote dann wieder auch eine Hilfe, damit es weiß, wie es wieder zurück kann zu seinem Gott.

Und so heißt es: »Dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft und ist nicht fern von dir. Das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten.« (Dtn 30,11)

Vorbemerkung (3): Der Zusammenhang der ersten drei Gebote

Bevor wir gleich die Gebote im Einzelnen näher betrachten - und dabei eventuell den roten Faden verlieren - hier der innere Zusammenhang der Gottes-Gebote:

  • Das erste Gebot spricht von der jeweiligen Eigenständigkeit von Gott und der Welt. Nichts in der Welt soll als Gott verehrt werden. Das ermöglicht die modernen Naturwissenschaften und ein Gottesbild, das (revolutionär!) transzendent ist. - Das erste Gebot unterscheidet also zwischen Gott und der Welt.
  • Das zweite Gebot verbietet die Verkehrung der beiden »Sphären«; womöglich sogar die Überordnung der irdischen Wirklichkeit. Gott ist der Herr der Schöpfung - und nicht der Erfüller unserer Wünsche. Gott für die eigenen Zwecke zu missbrauchen, fängt mit dem Missbrauch Seines Namens an. (Dazu mehr in der Katechese Nr. 122 - Das 2. Gebot).
  • Das dritte Gebot fordert uns nun auf, angesichts der Heiligkeit Gottes auch uns zu heiligen. Denn Gott und Welt sind zwar verschieden, aber keine unvereinbaren Gegensätze. Beide gehören zusammen, wie Schöpfer und Geschöpf; ja sogar wie Vater und Kind. Im Sabbat-Gebot sollen wir Gott nachahmen, der am siebten Tag geruht hat und der Welt eine Eigenständigkeit schenkte. Für uns Christen gilt zudem: Wir sollen nicht nur Geschöpf bleiben, sondern neue Schöpfung werden. Deshalb feiern wir nicht den 7. Tag (wie die Juden), sondern den Sonntag, an dem Jesus von den Toten erstanden ist und eine neue Wirklichkeit ins Leben gerufen hat, als den 1. Tag einer neuen »Schöpfungs-Woche«. (Dazu dann weiter in der Katechese Nr. 123 - Das 3. Gebot).
I. Das erste Gebot: Die Welt ist nicht Gott

Vorbemerkung: Das Fremdgötter- und Bilderverbot ist nicht nur das deutlichste »Alleinstellungsmerkmal« der Juden, die von Anfang an gegen jeden Einfluss von außen an dem Ein-Gott-Glauben festgehalten hat. Mit der Grundlegung, dass nichts in dieser Welt mit Gott identisch ist, aber alles von Gott geschaffen, wurde die Grundvoraussetzung des jüdisch-christlichen Weltbildes und unserer heutigen westlichen Welt gelegt.

Das erste Gebot: Die Welt ist nicht Gott.
Behandle sie also nicht wie etwas Göttliches!

1. Die ursprüngliche Bedeutung

Allen weiteren Ausführungen möchte ich die beiden Versionen des ersten Gebotes aus dem Alten Testament voranstellen:

Exodus 20, 2-6: (vermutlich die jüngere Fassung) Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgend etwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.
Deuteronomium 5, 6-10: (vermutlich die ältere Fassung) Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Gottesbildnis machen, das irgend etwas darstellt am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen und an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.

a. Bilderverbot - oder Fremdgötterverbot? - Mit diesem ersten Gebot grenzt das Volk Israel sich von den Nachbarvölkern der damaligen Zeit ab, die ausschließlich Polytheisten waren (also an mehrere Götter glaubten) und zu diesem Zwecken verschiedene Götterbilder verehrten. Darin sind sich die Religionswissenschaftler noch einig; die Meinungen gehen allerdings auseinander, ob das Bilderverbot nur ein Ausdruck des Verbots, fremde Götter zu verehren (»Fremdgötterverbot«) ist, oder ob es neben dem Verbot, andere Götter zu verehren, noch zusätzlich ein Bilderverbot gibt, das ganz unabhängig von Götterbilder jedes Bildnis verbietet.

Denkbare wäre auch noch eine dritte Interpretation: Gott verbietet seinem Volk, von IHM selbst Bilder anzufertigen (darin enthalten ist dann natürlich auch das Fremdgötterverbot).
Diese Variante wird aber der historischen Situation nicht gerecht, denn in den Erfahrungen des Volkes Israel und den Gotteserscheinungen hat sich niemals ein adäquates Bild für Gott angeboten. Weder das Bild eines Menschen (auch nicht das eines Vaters) noch das eines anderen Geschöpfes hätte den Vorstellungen des bis dato absolut jenseitigen Gottes entsprochen. Vielleicht hätte sich der »brennende Dornbusch« angeboten (Ex 3, 2) oder der »säuselnde Wind« (1 Kön 19, 12) - ein abwegiger Gedanke.

Verbietet das Zweite Gebot nun alle Bilder - unabhängig davon, ob sie Gott oder fremde Götter darstellen? Inklusive der privaten Fotosammlung (so, wie z.B. der Islam im Buch und Film »Der Medicus« beschrieben wird. Da durfte noch nicht einmal zu wissenschaftlichen Studienzwecken eine Zeichnung eines Lebewesens angefertigt werden)?

Auch für die Christen war diese Frage zunächst offen und führte zu verschiedenen Auslegungen und Streitigkeiten. Gegner von Bildern, insbesondere in Kirchen und noch mehr im Zusammenhang mit einer Bilderverehrung werden »Ikonoklasten« genannt, die Zerstörung von Bildern dementsprechend »Ikonoklasmus«. Befürworter einer Bilderverehrung begehen in deren Augen eine »Idolatrie«, d.h. eine Götzenverehrung. Nicht näher eingehen möchte ich hier auf den ausufernden Bilderstreit in der byzantinischen Kirche und auf die Bilderfeindlichkeit des Islams, bestimmter Epochen (z.B. der Reformation oder nach dem II. Vaticanum) oder aus politischen Gründen.

Die orthodoxe (vormals: byzantinische) Kirche hat sich früh für eine Einbeziehung von Bildern in den Gottesdienst ausgesprochen und eine ausgeprägte Verehrung von Ikonen entwickelt - sie lehnen allerdings jede dreidimensionale Darstellung (also z.B. Skulpturen und Heiligenfiguren) ab. Die katholische Kirche hat dagegen mit einer Bilderverehrung deutlich schwerer getan (dafür hatte sie keine Schwierigkeit mit figürlichen Darstellung). Bilder, die katechetischen Zwecken dienten, findet man allerdings schon in den Ältesten Kirchen bishin zu den Katakomben, die aus frühester Zeit stammen. Die Bilder dort dienen nicht der Verehrung, sondern dem Ausdruck des Glaubens an Leben nach dem Tod, Auferstehung und die Vereinigung der Seele mit Gott.

Vielleicht ist bekannt, dass die bildlichen Darstellung in Kirchenfenstern und Altarbildern oft auch als »Bibel der Armen« bezeichnet werden.

Dennoch bleibt ein Widerspruch: Haben die Christen nicht das ausdrückliche Bilderverbot im ersten Gebot verdrängt, als sie anfingen, Glaubensbilder sogar von Seele, ewigem Leben und Gott (!) zu malen?

Nun, es gibt gute Gründe dafür, das erste Gebot nicht in Fremdgötter- und Bilderverbot aufzuspalten (wie es die Reformierten und in deren Folge die Evangelikale bis heute verstehen). Denn auf Gottes Anweisung hin wurden auch schon im Alten Testament Bildnisse geschaffen - sowohl von irdischen Dingen als auch von der himmlischen Wirklichkeit.

So sollte Mose eine kupferne Schlange anfertigen und auf einer Signalstange gut sichtbare befestigen, so dass alle, die von einer Schlange gebissen wurden und zur kupfernen Schlange aufblickten, geheilt wurden. Das ist nicht nur ein Bild, sondern schon ein Kultgegenstand, der hier von Gott zur Anfertigung in Auftrag gegeben wird. Offensichtlich hat Gott das erste Gebot selbst nicht als ein absolutes Bilderverbot verstanden. (4 Mose 21 bzw. Numeri 21)
Aber die Geschichte der kupfernen (oder »ehernen«) Schlange geht weiter. Die Schlange wird nämlich im Laufe der Jahrhunderte von einem bloßen Bild zu einem magischen Gegenstand; vielleicht sogar zu einem Götterbild. Das findet Gott nun gar nicht mehr gut: So zerstört Hiskija zusammen mit anderen Götzen auch die kupferne Schlange. (2 Kön 18, 4)
Ein zweites Beispiel der göttlichen Anordnung zu Herstellung eines Bildes findet sich ebenfalls im Buch Exodus und betrifft die Gestaltung der Bundeslade und später deren Aufbewahrung im Tempel. Über der Lade schwebt die Herrlichkeit Gottes, worauf ein (bzw. zwei) Cherubim hinweist, deren Anfertigung als Figur von Gott direkt gefordert wurde, damit dieser mit seinen Flügeln über die Bundeslade wachen. (2. Buche Mose bzw. Exodus, Kapitel 25; weitere Beschreibungen finden sich an mehren Stellen im AT, in denen der Tempel oder die Bundeslade beschrieben wird, z.B. in 1 Kön 6, 23-24).
Auch hier geht es nicht um ein privates Bild zur Erinnerung an die letzte Party, sondern um eine Symbolisierung der Einwohnung Jahwes durch ein Engelsbild. Keine Frage: Der Gott der Juden war ein echter Bilderfreund!

Jahwe, der Gott des Alten Bundes, gibt uns also schon die Interpretation des ersten Gebotes vor. Es ist sinnvoll, das Bilderverbot als Teil des Fremdgötterverbotes zu verstehen und Gottes Beispiel zu folgen und uns an bildlichen Darstellungen zu erfreuen, auch wenn sie religiösen Überzeugung verbildlichen. Solange wir die Bilder nicht anbeten und mit Gott verwechseln - wie z.B. beim goldenen Kalb am Sinai (Ex 32, 4).

b. Christus als das Bild des Vaters. - Die frühen Christen brachen also gar nicht mit einer so deutlichen Tradition, als sie begannen, Bilder von Christus zu malen. Aber vermutlich hätten sie selbst dann Bilder gemalt, wenn das jüdische Bilderverbot so scharf wie im Islam betrieben worden wäre: Weil Gott sich in Jesus selbst ein Bildnis geschaffen hat. Wie wir noch sehen werden, bestand Gott vor allem auf seine Jenseitigkeit (heute würden wir »Transzendenz« sagen) und seine Verschiedenheit von allem, was die Menschen in dieser Welt vorfanden.

Aber dann, mit der Menschwerdung Jesu, wird die klare Trennlinie zwischen Gott und Welt durchbrochen. Gott ist Mensch geworden! Das klingt zwar in unseren christlich verwöhnten Ohren wie eine Binsenweisheit, aber diese Wahrheit ist immer noch ziemlich krass: Gott konnte Spuren hinterlassen, man hätte Sein Wirken fotografieren können (oder, wie im Buch »Das Jesus-Video«, sogar filmen) und - echt krass - Gott in Jesus verhöhnen, verspotten, verletzen und foltern.

Nicht zuletzt Jesus selbst spricht von sich als dem Bild Gottes: »Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.« (Joh 12, 45); »Philippus sagte zu ihm: Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns. Jesus antwortete ihm: Schon so lange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.« (Joh 14, 8f) - und schließlich Joh 10,30: »Ich und der Vater sind eins.« Damit beziehen wir Christen uns nicht nur auf eine Anordnung, die ein Gebot aufhebt; so als wenn wir uns nur an die neueste Regel halten. Vielmehr begreifen wir Christen, dass nicht Gott »nur Wort« geworden ist, sondern dass das »Wort Mensch geworden ist«. Gott gibt sich in diese Wirklichkeit und hat keine Schwierigkeiten damit, dass die Apostel und Jünger vor Christus niederfallen und ihn anbeten.

c. Verehrung, Gebet und Anbetung. - Immer wieder wird uns Katholiken vor allem von evangelikaler Seite vorgeworfen, wir würden ja nicht nur Bilder zulassen, sondern sie anbeten und mit ihnen die Heiligen. Allen voran Maria. Nicht selten wird der Vorwurf mit einem Bild illustriert, das kniende Menschen vor einem Marienbild zeigt.

Nun, an dieser Stelle kann man lange darüber diskutieren, was im Inneren eines Katholiken genau vorgeht, wenn er vor einem Heiligenbild betet. Aus diesem Grunde bleibt den Kritikern unseres Glaubens nichts anderes übrig, als dem zu glauben, was wir selbst über unser Tun sagen: Wir machen einen deutlichen Unterschied zwischen dem Gebet (was letztlich nichts anderes als ein Gespräch ist, das wir mit Gott, den Heiligen, unseren Verstorbenen genauso führen wie mit unserem Nachbarn oder der Kassiererin im Supermarkt); der Verehrung (die eine Wertschätzung zum Ausdruck bringt und sich nicht als Konkurrenz zu Verehrung Gottes ergibt, sondern aus der Verehrung Gottes: Seine Freunde sind auch unsere Freunde!) und schließlich der Anbetung (die alleine Gott gebührt). Was genau Anbetung bedeutet, füllt sicherlich einige Bücher in der Spiritualitätsabteilung, fest steht allerdings, dass Anbetung allein Gott gebührt und sich deshalb auch in Form und Wesen von der Verehrung (z.B. der Heiligen) und dem Gebet (z.B. zu Verstorbenen) unterscheidet.

Exkurs: Ist der Monotheismus eine ägyptische Erfindung? Es gibt Hinweise darauf, dass der Monotheismus keine rein jüdische Erfindung ist, sondern aus Ägypten stammt. In einer kurzen Phase (unter Pharao Echnaton) gab es den Versuch, den ägyptischen Götterhimmel auf nur einen Gott (Aton) zu reduzieren. Vielleicht war Ägypten ausgerechnet zu der Zeit monotheistisch, als Mose dort auftrat und das Volk der Hebräer in die Freiheit führte - und somit den Ein-Gott-Glauben mitnahm. Wenige Jahre später wurde der Ein-Gott-Glaube der Ägypter jedenfalls wieder abgeschafft. (aus: Jan Assmann, »Mose der Ägypter«)

Diese Import-Vermutung des Monotheismus ist allerdings nicht viel mehr als eine Hypothese. Die Religionspolitik des Echnaton ist nicht sicher zu belegen; es ist unklar, ob er nur eine Reduzierung der Götterbilder, eine Abschaffung der Priesterklasse oder einen echten Monotheismus einführen wollte. Außerdem ist unklar, ob der Auszug der Hebräer genau in diese Zeit fiel und ob es einen Zusammenhang zwischen Echnatons Politik und dem Glauben des jüdischen Volkes gibt.

Dagegen gibt W. Schmidt zu bedenken, dass der Monotheismus wahrscheinlich gar keine späte »Erfindung« der Hochreligionen war, sondern die Urerfahrung aller Menschen (»Urmonotheismus«); Schmidts Theorie zufolge hat sich der Polytheismus erst später entwickelt.

Viel wichtiger ist jedoch: Um den Monotheismus des jüdischen Glaubens als gottgegeben anzunehmen, muss er nicht übernatürlich vom Himmel gefallen sein. Ob Gott den Juden seine alleinige Existenz durch den Dornbusch offenbart hat oder den Echnaton als unfreiwilligen Vermittler erwählte, ist für die Wahrheitsfrage nicht relevant. Der Wahrheitsgehalt einer Aussage hängt nicht davon ab, wer sie als erste entdeckt hat.

2. Die epochale Bedeutung des ersten Gebotes

a. Die Entmythologisierung der Welt. - Richard Dawkins schreibt auf der Rückseite seines Buches »Der Gotteswahn«: »Ich bin ein Gegner der Religion. Sie lehrt uns, damit zufrieden zu sein, dass wir die Welt nicht verstehen.«

Zunächst gebe ich Dawkins durchaus recht: Es gibt tatsächlich Menschen, die zufrieden mit ihrem Unwissen sind: Dazu gehören zum Beispiel die fundamentalistischen Intelligent-Design-Kreationisten, die Gott als naturwissenschaftlichen Joker ansehen. Wer Gott als Erklärungs-Hypothese in die Naturwissenschaft einführt, hat ruckzuck alles erklärt und kann mit dem Forschen aufhören. Deshalb hat der Physiker Steven Weinberg recht, wenn er sich auf den methodischen Atheismus beruft. »Wir forschen grundsätzlich so, als gäbe es keinen Gott«.

Aber das ist keine Errungenschaft der modernen Naturwissenschaften. Sondern - man höre und staune - das ist eine Errungenschaft der Religion selbst. Vor allem des Christentums und des Judentums.

In vorchristlichen Zeiten war die Welt voller Magie, Götter und Geister. Alles, was geschah, wurde mythologisch erklärt: Wenn es donnert, war es der Donner-Gott, wenn es regnet, war es der Regen-Gott, und wenn Bayern gewinnt, war es der Bayern-Gott. Mit diesem mythologischen Denken hat nicht erst Galileo Galilei gebrochen - sondern bereits das Judentum und in dessen Folge die Christen. Und zwar schon mit dem Schöpfungsbericht.

Denn im Schöpfungsbericht (in Genesis, Kapitel 1) wird mit göttlicher Autorität erklärt, dass die Welt nicht Gott ist. Es gibt nur einen Gott, und die Welt ist nicht-göttlich. Am Himmel hängt kein Sonnen-Gott und keine Mond-Göttin, sondern nur »Funzeln« (so übersetzt Manfred Lütz in seinem lesenswerten Buch »Gott«). Damit, dass Gott sich selbst als jenseitig erklärt und die Welt radikal entgöttlicht wurde, war der Weg frei für einen systematischen Zugriff auf die Welt durch den Menschen.

Alle Zehn Gebote schützen den Menschen. Das gilt auch für die ersten drei Gebote, die sich scheinbar nur auf den Schutz der Religion oder sogar Gottes beziehen. Aber in Wirklichkeit ist auch das erste Gebot - »Du sollst keine anderen Götter neben mir haben« - Schutz der Freiheit und Eigenständigkeit des Menschen, der sich keiner dämonischen Welt mehr gegenüber sieht, sondern lediglich Materie vor sich hat. Jetzt (erst jetzt!) wurde die moderne Wissenschaft möglich.

Dawkins fragt sich, warum der eifersüchtige Jahwe ständig auf diesem ersten Gebot herumreitet. Nun wird es klar: Damit Dawkins Wissenschaft betreiben kann!

b. Die Freiheit der Weltgestaltung und die Grundlegung der Moral. - Dadurch, dass diese Welt radikal entgöttlicht wurde, stand sie dem Zugriff des Menschen offen. Da es nun keine verborgenen religiösen Bereiche in der Welt gibt, deren Tabus ganz überraschend und vor allem irrational auftauchen können, war die Frage nach dem, was der Mensch tun und lassen darf, nun rein rational beantwortbar.

In einer mythologischen Welt muss man den Willen und die Vorlieben der innewohnenden Geister, Dämonen und Götter kennen und auswendig lernen, wenn man sich korrekt verhalten will. In jedem Land, ja sogar in jedem Dorf gab es andere Regeln, an die es sich zu halten galt. Von einer vernünftigen Morallehre konnte unter diesen Umständen keine Rede sein.

In einer entmythologisierten Welt jedoch war es nunmehr möglich, eine einheitliche Moral zu entdecken, die immer und überall galt. Kein lokaler Gott konnte als Rechtfertigungsgrund für Menschenopfer oder sexuelle Übergriffe angeführt werden - einfach, weil es keine lokalen Götter gibt. Jetzt war der Weg frei, auch die Zusammenhänge zwischen den Geboten, Rechtsgütern und Vorschriften zu durchdenken. Erst jetzt war moralisches Denken eine Frage der Vernunft! Der Mensch war nun frei, den Schöpfungsauftrag wahrzunehmen, nämlich die Welt so zu gestalten und sich in dieser Welt so zu verhalten, wie er es (unter Verwendung und Anwendung der Vernunft) für richtig hielt: »Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.« (Gen 1,28).

c. Die Erkenntnis Gottes durch die Schöpfungsordnung. - Die Welt, wie sie der Mensch nun entdeckte, ist keine Spielwiese von übellaunigen Dämonen und fröhlichen Nymphen mehr, sie ist in ihrem tiefsten Wesen vernünftig. Diese Voraussetzung für jede moderne Naturwissenschaft ist aber keineswegs selbstverständlich. Warum halten sich Atome und Elementarteilchen ebenso an ungeschriebene Gesetze wie Galaxien und Quasare? Der Glaube daran, dass jede Erforschung eines verblüffenden Phänomens letztlich eine vernünftige Erklärung findet, ist selbst nicht naturwissenschaftlich begründet.

Es sei denn, wir erkennen in der Schöpfung das Werk eines vernünftigen Gottes. Die Entmythologisierung der Welt führt nicht zu einer Verdrängung Gottes in rein jenseitige Sphären, sondern lässt die ganze Wirklichkeit in ihrem wahren Wesen erscheinen: Wir nennen unsere Welt »die Schöpfung« und jedes Lebewesen ein »Geschöpf«, weil alles zu einem Verweis auf den Schöpfer taugt. Nicht nur in der Vernünftigkeit dieser Welt, sondern auch in der Schönheit, Einfachheit, Zweckmäßigkeit, Buntheit und Fülle. Bishin zur Krone der Gottebenbildlichkeit: dem Menschen.

3. Einzelfragen

a. Keine anderen Götter: Im religiösen Sinn. - Keine anderen Götter zu haben als den einen Gott, ist auch für den gläubigen Christen eine größere Herausforderung, als es auf den ersten Blick scheint. Das Fremdgötterverbot richtet sich ja nicht nur auf andere Religionen, sondern auch an versteckten Aberglauben, esoterisches Wissen und spezielle Praktiken aus anderen Kulturkreisen.

Interessanterweise brauchen wir eine starke Naturwissenschaft, um echten Glauben von Aberglauben zu unterscheiden. Denn ob Homöopathie, Akupunktur oder Yoga eine Ersatzreligion sein könnte - oder eine wirksame Alternative oder Ergänzung unserer Welt -, sagt uns nicht nur die Religion, sondern auch die Medizin, Biologie oder andere Naturwissenschaften. Manche eifrige Christen sehen in den Importen aus anderen Kulturen einen verwerflichen Einfluss von fremden Religionen und somit einen Verstoß gegen das erste Gebot - andere sehen darin eine Form von kulturellem Reichtum und sogar einer Lebensverbesserung. Geboten ist auf jeden Fall eine gesunde Mischung aus kritischer Aufmerksamkeit, gesundem Menschenverstand und naturwissenschaftlicher Denkweise.

b. Keine anderen Götter: Im spirituellem Sinn. - Eine andere Formulierung des ersten Gebotes - »Du sollst nichts an die Stelle Gottes setzen!« - legt uns nahe, unser Alltagsverhalten zu prüfen. Ist nicht Geld, Macht, Ansehen und beruflicher Aufstieg für viele Zeitgenossen längst an die Stelle Gottes getreten?

Auch hier sollten wir der soeben erwähnten »kritischen Aufmerksamkeit, gesundem Menschenverstand und naturwissenschaftlicher Denkweise« treu bleiben. Denn obwohl es eine Hierarchie der Werte gibt, in der Gott sicherlich den höchsten Platz einnehmen darf, gibt es in anderer Richtung auch eine Pyramide der Bedürfnisse. Natürlich ist es wertvoller, Gott anzubeten, als am Fließband zu arbeiten. Aber wer nicht mehr arbeitet, wird irgendwann vor lauter Hunger auch nicht mehr zur Anbetung kommen.

In einem evangelikalen Vergleich heißt es, Gott nicht als »Anhalter« an der Straße des Lebens stehen zu lassen; ihn aber auch nicht nur als »Gast im Auto des eigenen Lebens« zu sehen oder gar als Beifahrer; sondern ihn vielmehr ans Steuer zu lassen. So nett wie sich das anhört: Es ist nicht unsere Aufgabe, die Verantwortung für unser Leben, Handeln und Reden abzugeben und auf Gott zu schieben; Gott mag uns die Richtung vorgeben, lenken müssen wir unser Gefährt immer noch selbst.

Verwechseln wir also nicht die Pflicht zur Absicherung unseres Lebens mit einer Verletzung des Ein-Gott-Glaubens. Erst, wenn wir von der Sicherung unserer Grundbedürfnisse allein schon Glück und Seligkeit erwarten, machen wir Geld, Gesundheit und Lebensversicherung zu einem Anti-Gott. Wer dagegen Gott die im zustehende Ehre und Anbetung erweist, kann getrost dem »Kaiser geben, was dem Kaiser gehört«. Bleiben wir dennoch aufmerksam, wenn wichtigen Nebensächlichkeiten in unserem Handeln, Reden und Denken immer größere Räume einnehmen.

c. Keine anderen Götter: Im gesellschaftlichem Bereich. - Nicht selten werden christliche oder religiöse Begriffe und Traditionen auch außerhalb der Religion verwendet. So reden wir (oder die Medien) vom Flankengott, Wetterpapst, den »Gelben Engeln«, dem Wunder von Bern, der Taufe eines Schiffs oder einem Sachbuch als einer »Offenbarung«. Nicht immer ist damit sofort eine Konkurrenz zum Religiösen gemeint. Manche Rituale aus unserer Kirche sind einfach so schön und gut, dass sie auch die säkularen Welt beeinflussen und prägen (z.B. im Niederknien bei Heiratsanträgen, der Erhebung eines Vereinspokals, der Beweihräucherung von Stars mit Bodennebel usw.). Oft hat sich in der Kirche großzügige Toleranz gegenüber spöttischen Verunglimpfungen bewährt - zum Beispiel in der kirchlichen Duldung des rheinischen Karnevals.

Grundsätzlich ist hier aber schon kritisches Augenmaß erforderlich: Viele Popstars kopieren nicht nur Rituale, sondern verspotten sie; manche Sportveranstaltungen werden zu Feiern von Ersatzreligionen und die Verehrung von Stars nimmt gelegentlich wirklich blasphemische Züge an.

Das erste Gebot legt den Grund für die moderne Naturwissenschaften und die rational begründete Morallehre