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Die Krankensalbung

Diese Katechese über das Sakrament der Krankensalbung könnte ich auch mit dem Untertitel «Das unbekannte Sakrament» versehen. Das wäre aus mehreren Gründen nicht weit hergeholt. Natürlich: Dass es ein solches Sakrament gibt, das ist bekannt. Aber um was es sich dabei handelt, ist vielen unbekannt. Sogar der Name des Sakramentes («Krankensalbung»? «Letzte Ölung»? «Sterbesakrament»?) ist nicht so ganz klar, ebenso, welche Worte und Zeichen das Sakrament ausmachen; geschweige denn, welche Wirkung dieses Sakrament eigentlich hat.
Auch die Frage, wann und wem es gespendet werden sollte, wird selbst von Priestern verschieden beantwortet: Manche bieten öffentliche Feiern der Krankensalbungen an, zu denen jeder eingeladen ist, der sich krank fühlt; manche möchten es nur Sterbenden oder zumindest Schwerkranken spenden.
Vielleicht hilft es, sich nicht nur dem Wesen dieses Sakramentes zuzuwenden, sondern ganz allgemein zu fragen: Wie wirkt Gott mit dem Menschen zusammen?


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Diese Katechese ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 128) erhältlich: Kostenlose Bestellung

Hinweis: Wer die Vorbemerkungen überspringen will, kann direkt zur Erklärung der Krankensalbung springen. ( «II. Das Sakrament der Krankensalbung»)

I. Vorbemerkung: Was ist «Gnade»? - It's complicated.

Im Film «An Interview with God» darf ein junger Journalist einem älteren Mann in drei Interviews jede beliebige Frage stellen. Das Besondere: Der alte Mann behauptet, Gott zu sein. Natürlich stellt der Journalist sofort alle großen Fragen: Die Frage nach dem Leid in der Welt (die Theodizee), die Frage nach dem freien Willen des Menschen und die entscheidende Frage, wie es sein kann, dass Gott allmächtig und der Mensch trotzdem frei ist. Schließt sich das nicht aus?
Es scheint, als wenn wir über diese Fragen «ewig und drei Tage» diskutieren könnten, ohne an ein Ende zu kommen. Zumindest in diesem (ansonsten sehenswerten) Film wird diese Frage nicht wirklich beantwortet.
Dabei gab es eine Zeit, in der sich die Theologie genau mit diesen Fragen bis in Kleinste auseinandergesetzt hat. Leider finden die damals gefundenen Antworten heute nur noch wenig Beachtung. Heute klingen die Antworten auf diese Fragen immer «verschwurbelter»; Theologen benutzen gerne eine blumige und zugleich neblige Sprache. Damals wurde dagegen allergrößten Wert auf klare Begriffe gelegt. Man hatte zurecht erkannt: Ohne exakte Begriffe können wir über solche Probleme nicht wirklich reden. Wenn wir unsere Begriff klären, dann kommen wir nämlich nicht nur der Lösung eines Problems auf die Spur, sondern auch zu ganz neuen Einsichten. In der Theologie - aber auch in jeder anderen Hinsicht.

Diese geniale Phase der Theologie nennt man heute «Scholastik».

Um nun der Frage nach dem Wesen der Krankensalbung näher zu kommen (und so ganz nebenbei auch die Frage aus "An Interview with God" zu beantworten, wie das Verhältnis von Gottes Tun und dem Wirken des Menschen harmoniert), hilft es, zwei Begriffe zu klären: Natur und Gnade.

Was ist «Gnade»?

Der Begriff «Gnade» spielt in der Theologie eine große Rolle; umso mehr verwundert es, dass er aus dem Alltag fast gänzlich verschwunden ist. Allenfalls im antiquierten Begriff der «Begnadigung» eines Verbrechers durch ein Gericht, einen König oder Präsidenten taucht das Wort Gnade heute noch auf. In der Kirche, im Glauben und in der Theologie ist dieser Begriff zwar zentral - so dass wir ohne ihn kaum noch einen Zugang zum christlichen Glauben haben. Aber kaum bekannt.
Also: Was ist mit Gnade gemeint?
Ein Blick in ein lateinisches Wörterbuch stiftet zwar erst noch weitere Verwirrung; denn im Kirchenlatein wird «Gnade» mit «gratia» übersetzt. Gratia im klassischen Latein heißt aber soviel wie «Dank». Und doch haben wir damit einen entscheidenden Hinweis auf das, was mit Gnade und gratia gemeint ist: letztlich alles, für das wir dankbar sein können. Gnade umschreibt das, was wir nicht selbst erarbeitet, bewirkt oder hervorgebracht haben, sondern was uns geschenkt wurde. Was letztlich unverdient ist; eine freie Zuwendung einer freien Person.
In der Theologie ist damit das umschrieben, was Gott uns schenkt. Und auch das, was Gott ist: Denn Er ist in Seinem eigenen Wesen selbst unverdient, frei und ganz Zuwendung.

Auch hier gibt sich die Scholastik nicht mit unklaren Begriffen zufrieden. Deshalb spricht sie von der «erschaffenen Gnade» (womit das gemeint ist, was Gott in uns Menschen bewirkt oder hervorruft) und der «unerschaffenen Gnade» (womit dann Gott selbst gemeint ist - in seiner freien Zuwendung zu uns Menschen).

Alles andere, was nicht Gnade ist, wäre dann in den Begriff «Natur» einzuordnen.

Was ist «Natur»?

Noch so ein (scheinbarer) Wirrwarr der Begriffe, der dadurch entsteht, dass «Natur» in der Theologie eine andere Bedeutung hat als im Alltagsgebrauch: Der theologisch-philosophische Begriff «Natur» umschreibt nämlich nicht «Wald, Wiesen und Felder» oder einen romantischen Sonnenuntergang. Natur meint viel mehr! Sogar mehr als das, was in den Naturwissenschaften behandelt wird. Auch unsere Seele (und ihre Tugenden, Defizite, Schuld, Sünde, Sinn und Liebe) gehört zur natürlichen Wirklichkeit - aber ganz sicher nicht in den Bereich der Naturwissenschaften. Auch Engel und Geister sind - da sie zu einer eigenständigen Existenz erschaffen wurden - Bestandteil der Natur im theologischen Sinne.
Indem wir diese Begriffe klären, beantworten wir zwar noch nicht die Frage, wie das Zusammenspiel von göttlicher Allmacht und menschlicher Freiheit aussieht. Aber durch die Schärfung der Begriffe haben wir schon etwas Wesentliches erkannt: Gott hat alles erschaffen, nur Er selbst ist «pure Gnade». Alles, was von Gott zur eigenständigen Existenz und Wirkweise ins Leben gerufen wurde, nennen wir «Natur». In diesem Begriff liegt also schon die Möglichkeit einer eigenständigen und von Gott respektierten menschlichen Freiheit.
Nun zieht Gott sich aber nicht einfach zurück und erschafft durch seine Abwesenheit eine neue Wirklichkeit. Die Natur ist nicht einfach alles, was irgendwie «gottfrei» ist (so ähnlich wie eine glutenfreie Pizza eben frei von Gluten ist). Vielmehr erschafft Gott eine neue eigenständige Wirklichkeit - und erhält sie. Er tritt in eine Beziehung zu ihr. Eine liebevolle Beziehung: Sie wahrt die Eigenständigkeit der Natur und lässt sie dennoch nicht allein.

Das Problem von Gnade, Natur und Freiheit

Nun hat der Mensch nach allgemein jüdisch-christlicher Überzeugung sein natürliches Verhältnis zu Gott verloren - und damit ein ganzes Stück seiner Freiheit. Und genau hier liegt ein Problem.
Weil manche Theologen (vor allem aus der Reformation) der Meinung sind, dass der Mensch seine ganze Freiheit verloren hat, bleibt demnach Gott nichts anderes übrig, als den Menschen ohne (oder vielleicht auch gegen) seinen Willen zu heiligen. Der Mensch kann die Liebe ja nicht mehr annehmen! Ihrer Meinung nach widerspricht das nicht der Güte Gottes, sondern ist sogar ein Zeichen für seine große Liebe.
Andere Theologen (die man früher «Pelagianer» nannte) meinen, der Mensch habe seine Freiheit nicht ganz verloren - und Gott respektiert nun dieses letzte bisschen Freiheit, indem er darauf wartet, dass der Mensch aus eigener Kraft das Geschenk der Heiligkeit annimmt und der angebotenen Gnade zustimmt.
Die vorhin schon erwähnten genialen Theologen der Scholastik haben diese beiden Denkmöglichkeiten nun miteinander verbunden und eine zweifache Vorgehensweise der Gnade unterschieden: Die «gratia sufficiens« und die «gratia efficax». Auf deutsch: Die «zuvorkommende Gnade« und die «heiligmachende Gnade».
Mit den Reformatoren können wir also eingestehen: Ja, Gott schenkt uns immer wieder (auch ungefragt) seine Gnade und kommt damit unserem Wollen zuvor. Gegen die Reformatoren müssen wir einschränken: Aber diese Gnade (die gratia sufficiens) heiligt uns noch nicht, sie versetzt uns nur in die Freiheit, uns Gott zuzuwenden. (Es kann aber auch sein, dass der Mensch die Freiheit nutzt, sich von Gott abzuwenden.)
Mit den Pelagianern können wir anschließend davon sprechen, dass der Mensch, der in diese Freiheit gerufen wurde, die ihm von Gott angebotene Gnade (die gratia efficax) frei ergreifen, sich zu eigen machen und mit ihr mitwirken kann.

Ein befreundeter Priester hat diese beiden speziellen Wirkweisen mit einem Vater umschrieben, der seinen Sohn weckt und zu einer Reise einlädt. Der Sohn, gegen seinen Willen (oder zumindest ohne seine Zustimmung) aus dem Schlaf gerissen, kann sich immer noch entscheiden, das Angebot der Reise zu ignorieren, sich umzudrehen und wieder einzuschlafen. Die gratia sufficiens schenkt uns freie Möglichkeiten - aber diese nutzen nichts, wenn wir sie nicht ergreifen!

Nur beide Wirkweisen Gottes zusammen (zuvorkommend und heiligend) wahren die Freiheit des Menschen und die Freiheit Gottes.

Und somit sind wir endlich beim Sakrament der Krankensalbung angekommen. Deutlicher als in allen anderen Sakramenten geht es bei der Krankensalbung um diese beiden Wirkungsweisen der Gnade. Die gratia sufficiens schenkt uns immer wieder neu die Freiheit, uns Gott zuzuwenden - auch manchmal gegen unsere ausdrückliche Absicht. Die gratia efficax begleitet uns aber erst dann, wenn wir die neugewonnene Freiheit bewusst und willentlich dazu nutzen, uns Gott zuzuwenden.

Wir sollten aber nicht den Fehler machen, aus dieser begrifflichen Unterscheidung zu schließen, dass immer erst das eine und dann das andere folgt. Die Wirklichkeit ist komplex: oft geschieht das eine mit dem anderen verbunden:
Jemand, der Gott lieben will, muss eigentlich zuvor erkennen, dass Gott existiert. Und trotzdem geschehen viele Bekehrungen auf eine Weise, dass die Erkenntnis Gottes und die Liebe zu ihm in einem Augenblick geschenkt wird. So ist die Hingabe an Gott und die Freiheit, sich von den irdischen Zwängen zu lösen, oft im Leben nicht wirklich unterscheidbar. So, wie jede Umkehr immer zugleich Abkehr und Hinwendung in einer Bewegung ist.
Wenn wir aber die beiden Wirkungsweisen der Gnade nicht mehr unterscheiden, geht schnell der Blick für die menschliche Freiheit verloren, die in diesem Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch der Dreh- und Angelpunkt ist.
II. Das Sakrament der Krankensalbung
1. Zwei Aspekte, ein Sakrament: Freiheit und Hingabe

Sakramente sind Wirk-Zeichen Gottes. In jedem Sakrament ist vor allem Gott derjenige, der wirkt. Das heißt, wenn wir nach dem Wesen eines Sakramentes fragen, ist das Erste nicht das, was der Mensch tut. Das menschliche Tun ist immer eine Antwort auf die zuvorkommende Gnade.
Es gibt Sakramente, da muss man sich allerdings ganz schön anstrengen, um sich vom ausschließlichen Blick auf das Tun des Menschen frei zu machen. Bei der Eheschließung zum Beispiel: Wer nicht genauer hinschaut und tiefer zu blicken versucht, der sieht nur, dass zwei Menschen einander ihre Liebe versprechen. Falls Gott auch da wirkt, dann doch wohl nur an zweiter Stelle, oder? Vielleicht erst bei der Bestätigung des Ehebundes? Beim Ehesegen? Oder erst im späteren Leben der Eheleute? - Nein, natürlich nicht! Gott schenkt in seiner Gnade überhaupt erst die Möglichkeit, sich in Liebe unlösbar an einen Ehepartner zu binden (die gratia sufficiens) - und die Gnade, diese Hingabe zu leben und zu gestalten (die gratia efficax).

Wer sich im Hinblick auf das Ehesakrament tiefer führen lassen will, möge die Katechesen zur Ehe lesen!
Auch bei anderen Sakramenten sehen wir auf den ersten Blick nur das Tun des Menschen: bei der Taufe (der Mensch entscheidet sich, ein Mitglied der Kirche zu werden), der Firmung (der Firmand entscheidet sich für den Glauben) oder der Beichte (der Mensch bereut und bekennt Gott seine Schuld). Deshalb empfiehlt sich auch hier ein tieferer Blick - wir empfehlen dazu die entsprechenden Katechesen!)

Aber ich gebe zu: Die Aufmerksamkeit auf das unsichtbare Wirken Gottes zu richten, fällt schwer...! - Nicht so bei der Krankensalbung. Da scheint der Mensch so passiv, dass der Hinweis unnötig erscheint, in diesem Zeichen wirkt Gott und weniger der Mensch. Ja, manchmal ist der kranke oder sterbende Mensch kaum noch zu einer wirklichen «Mitfeier» und «Mitwirkung» in der Lage. Nicht ohne Grund muss die Kirche immer wieder anmahnen, mit der Krankensalbung nicht zu lange zu warten, damit der Empfänger noch zur aktiven Teilnahme fähig ist. Und doch ist es erlaubt, einem bewusstlosen (oder nicht mehr reagierenden) Kranken die Krankensalbung zu spenden. Ist das magisches Denken?! Oder schon fast reformatorisches Denken: Gott heiligt uns gegen (oder ohne) unsere Zustimmung?!
Nein. Denn die Wirkung des Sakramentes (also das Tun Gottes) darf eben nicht mit der Verabreichung einer «seelischen Medizin» gleichgesetzt werden. Es wäre falsch zu glauben, dass (nachdem der Arzt mit seiner «leiblichen Medizin» getan hat, was er konnte) der Priester noch die (vermeintlich ähnliche) seelische Behandlung hinzufügt.
In Wirklichkeit ist das Sakrament der Krankensalbung nicht mit einer einfachen Ursache-Wirkung zu vergleichen. Es ist eben nicht so, dass Gnade verabreicht wird, und dann Heilung erfolgt. Vielmehr wirkt das Sakrament der Krankensalbung im Sinne der doppelten Gnadenwirkung: Das Sakrament der Krankensalbung schenkt eine wunderbare Freiheit (zuvorkommende Gnade). Diese Freiheit kann der Mensch in die Hingabe an Gott fließen lassen (heiligmachende Gnade). Oder eben auch nicht. Darin liegt nicht nur die Freiheit des Menschen; sondern darin liegt auch seine Würde. Das Sakrament der Krankensalbung erneuert also auch die Würde des Menschen!

2. Das Sakrament der großen Freiheit

Um die Größe der geschenkten Freiheit zu begreifen, müssen für einen Augenblick betrachten, wovon wir denn frei werden. Danach lohnt sich der Blick auf die Erfüllung unserer Freiheit.

Auch da hilft wieder eine typisch scholastische Unterscheidung: Wenn wir frei von äußeren Zwängen werden (die Freiheit «von»), sind wir nicht automatisch auch frei zu eigenverantwortlichen Handlungen (die Freiheit «zu»). - Das gilt zum Beispiel ganz klar für die Tierwelt: Wenn wir Tiere in die freie Wildbahn entlassen, sind sie frei von räumlichen Grenzen. Aber sie sind dadurch noch lange nicht frei, ein selbstbestimmtes Leben als Pazifist zu führen (zumindest nicht, wenn man Raubtier ist). - Abgeschwächt gilt das auch für innerlich unfreie Menschen: Es reicht nicht, sie von äußeren Einschränkungen zu befreien. Dadurch werden sie nicht auch innerlich frei. - Für die Krankensalbung heißt das: Wir werden zunächst frei von den Bindungen, die unsere Freiheit einengen. Zusätzlich werden wir frei, zu dem Guten, das wir erkennen, «Ja» zu sagen.
Luther beschrieb übrigens in seiner großen Freiheits-Schrift «de servo arbitrio» den Willen des Menschen als innerlich absolut unfrei und forderte lediglich die Kirche auf, ihm keine äußeren Einschränkungen aufzuerlegen. Die katholische Kirche hat dagegen immer an dem Ziel der äußeren und inneren Freiheitsgewinnung des Menschen festgehalten.
a. Frei von Ängsten

Auch die Medizin kann Ängste lindern; oft genug verschreibt der Arzt in schweren Krankheiten und zum Ende des Lebens nicht nur Schmerzmittel, sondern bei anhaltenden Unruhe-Zuständen auch Beruhigungsmittel, die «Angst- und Spannungszustände» reduzieren können. Das Sakrament der Krankensalbung lindert aber nicht einfach Ängste - es nimmt den Grund für unsere Ängste!

Das eine ist nicht gegen das andere auszuspielen; denn tatsächlich gehen schwere Krankheiten oft genug mit Angstzuständen einher, die keinen äußeren Grund haben (sogenannte endogene Ängste oder Angststörungen). Diese sollen und müssen nach aller medizinischen Kunst behandelt werden. Aber häufig tritt noch eine Angst hinzu, die ihren Grund in der Unsicherheit angesichts des Todes hat.

In ernsten und lebensbedrohlichen Situationen brechen Fragen auf, die wir im Alltag oft genug unterdrücken:

Wird Gott mich aufnehmen? Habe ich ein gutes Leben geführt? Was ist «ein gutes Leben»? Was geschieht mit den mir ans Herz gewachsenen Menschen? Meiner Familie? Meinem Ehepartner? Meinen Kindern? Meinem Hab und Gut? Der Firma? Dem Haus? Was heißt es, «zu sterben»? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Oder ist dann alles aus? Ist das Leben nach dem Tod nur ein blasser Abklatsch des irdischen Lebens? Kann ich mich noch versöhnen mit denen, die mir böse sind? Kann ich loslassen? Ist alles geregelt für die Zeit nach meinem Tod?

Diese Ängste zu lindern, geschieht nicht durch eine pure Belehrung: Wer Angst um seinen Ehepartner hat, wird sich nicht durch eine Urkunde über eine Lebensversicherung beruhigen lassen. Wer nicht weiß, was ihn nach dem Tod erwartet, braucht keine Auszüge aus dem Katechismus. Wer Angst vor der Begegnung mit dem Allmächtigen hat, braucht keinen Nicht-Angriffs-Pakt.
Angst ist das Gegenteil von Liebe! Was der angstvolle Mensch braucht, ist vielmehr die Erfahrung der liebenden Gegenwart Gottes. Wer Angst vor Strafe, Hölle und Vergeltung hat, braucht die spürbare Nähe des barmherzigen Vaters und Seinen liebenden Blick. Wer fürchtet, von einem üppigen irdischen Leben in eine fade himmlische Sphäre zu treten, braucht die handfeste Erfahrung mit dem Auferstandenen. Wer nicht loslassen kann, braucht die Erfahrung einer allumfassenden Geborgenheit im Heiligen Geist, der Alles und Jeden in Händen hält.
Das ist die erste Wirkung des Sakramentes der Krankensalbung: Gott schaut dich an. Er offenbart sich dir, umhüllt dich und berührt dich. Der erste Schritt in diese große Freiheit ist die befreiende Ruhe in seinen Händen.

b. Frei von verqueren Bindungen

Zur wahren Freiheit gehört auch die innere Abkehr von den eigenen Sünden, die oft erst im Bewusstsein der großen Barmherzigkeit Gottes geschehen kann. Deshalb sollte der Spendung der Krankensalbung möglichst eine sakramentale Beichte vorausgehen. Aber die Krankensalbung hat noch eine über das Beichtsakrament hinausgehende Wirkung. Denn während die Beichte spürbar die schwere und bedrückende Schuld von absichtsvollen Sünden nimmt, befreit die Krankensalbung mehr von den lästigen Angewohnheiten der kleinen Charakterschwächen (auch lässliche Sünden genannt). Diese befreiende Wirkung sollen wir zwar auch wollen - aber wir können sie oft genug nicht klar benennen. Diese Anhänglichkeiten an verquere Bindungen sind uns oft schon zur zweiten Natur geworden und dringen vielleicht gar nicht mehr in unser Bewusstsein vor.
Auch hier gilt wieder, dass nicht eine «magische Kraft der Reinheitsgabe» uns bis in die Poren reinigt, sondern die überwältigende Erfahrung der Nähe Gottes. Wer diesen Blick erwidern und sich in die Hände Gottes wirklich fallen lassen kann, der lässt auch los von den kleinen, blöden Nickeligkeiten, die uns von Gott so oft entfernt haben. Die Dramatik der Situation, in der oft die Krankensalbung gespendet wird, führt dann zu einer Tiefe der Gottesbegegnung, die bis auf den Grund der Seele frei machen kann.

c. Frei vom Echo des Zweifels

Vielleicht hast du erwartet, dass die Begegnung mit Gott uns zu allererst von unseren Zweifeln befreit. Wer Gott spürt und Seine Macht (so könnte man denken), hat dann ja wohl keine Angst mehr vor dem Nichts des Atheismus! Oder? - Aber Zweifel haben oft eine zweite, verzögerte Wirkung. Es mag sein, dass man sein Leben lang gezweifelt hat, ob Gott existiert und nun einfach angenehm überrascht ist, dass es Ihn doch gibt. «Glück gehabt, Gott existiert!» Aber ich weiß aus zahlreichen Gesprächen, dass kurz darauf der Zweifel erneut zubeißt: Was, wenn Gott mir mein lebenslanges Zweifeln übelnimmt? Wieso habe ich nicht schon vorher geglaubt? Bin ich eventuell ein Glaubens-Versager? - Oder, noch bohrender: Wenn ich mich mein Leben lang getäuscht habe - vielleicht täusche ich mich jetzt auch? Vielleicht ist die Gottesbegegnung im Angesicht des Todes nur eine Illusion? Ein Vorspiegelung meines Unterbewusstseins? Eine Phantasie, die sich in noch größere Angst auflöst?
Wer glauben will, der braucht sich vor dem Bumerang des Glaubenszweifels nicht zu fürchten. Jeder, der die Nähe Gottes spürt, weiß intuitiv auch von seiner liebenden Allwissenheit. In diesem Wissen Gottes um meine allergrößten und allerkleinsten Schwächen ist kein Grund mehr für meine Scham, dass ich nicht eher und nicht fester geglaubt habe. Gott achtet und freut sich so sehr über meinen noch so kleinen Glauben, dass bei Ihm kein Platz mehr ist für Ärger über das, was meinem Glauben noch gefehlt hat.

«Wenn ihr Glauben habt nur so groß wie ein Senfkorn...» Mt 17,20 «Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben.» Lk 15,7
3. Hingabe als Vollendung der Freiheit
a. Die Sterbesakramente

Wenn möglich, sollte die Spendung der Krankensalbung eingebettet sein in eine Feier, die noch zwei weitere Sakramente einbezieht. Wir sprechen dann von «den Sterbesakramenten».
Wie schon erwähnt, sollte der Krankensalbung möglichst eine Beichte vorangehen, in der der Kranke seine Schuld selbst formuliert, bereut und Vergebung empfängt. Zusammen mit der Salbung steht dabei das Geschenk der Freiheit im Vordergrund, die Vergebung der Sünden, das Schwinden der Ängste, der verqueren Bindungen und der Zweifel.
Danach aber erst verwirklicht sich diese Freiheit in der Zuwendung und Hingabe, die ihren schönsten Ausdruck in der Kommunion erhält. Denn nun gibt sich nicht nur der Kranke in die Hände Jesu, sondern auch Gott gibt sich in die Wirklichkeit des Kranken. (Dazu findest du in der Katechese zur Eucharistie weitere Gedanken!) So ist die Salbung nach der Beichte die Vorbereitung auf eine neue Weise der Kommunion, der Einheit mit Jesus. Sowohl in der Gestalt des eucharistischen Brotes, als auch in der Verheißung der Aufnahme in das göttliche Liebesgeschehen im Jenseits.

b. Hingabe als Vollendung der Freiheit.

Im Alltag scheinen das Gegensätze zu sein: Entweder ich bin frei - oder ich binde mich. Gehe ich ein Angestelltenverhältnis ein - oder bleibe ich ein freier Mitarbeiter? Lasse ich mich nieder - oder bleibe ich ein Vagabund?
Wer aber Gott kennt, der begreift, dass auch schon für diese Welt die höchste Erfüllung der Freiheit darin liegt, sich in Liebe zu binden. Eine Bindung, die mir auferlegt wird, ist ja doch von grundlegend anderer Qualität als eine Verbindung, die ich in Freiheit selbst wähle, in Liebe eingehe und im Guten lebe. Ja, wahrhaftige und gute Bindungen und Beziehungen beenden nicht die Freiheit, sondern vergrößern sie noch!

So wird ein glücklich verheirateter Ehepartner seine Eheschließung und die unlösbare, exklusive Bindung an den einen Ehepartner nicht als Ende, sondern als Beginn einer neuen, größeren Freiheit begreifen. Mit einer Bindung an den Geliebten, an einen Orden und somit an Gott wächst die Freiheit wunderbar. Auch wenn die Welt uns manchmal das Gegenteil glauben machen möchte.

Deshalb führt die wahre Freiheit nicht zu einer Beliebigkeit («Jetzt kann ich endlich alles Mögliche und Unmögliche tun und lassen, was ich will!»), sondern zur größeren Hingabe («Jetzt kann ich den, den ich liebe, noch vorbehaltloser, umfassender und grenzenloser lieben!»).
Das mag in den Ohren von Skeptikern nach einem Schönreden von Freiheitsverlust klingen. Tatsächlich gibt es für das «größere Glück durch tiefere Bindung» keinen unwiderlegbaren empirischen Beweis (aber sehr wohl unzählige Beispiele, Erfahrungen und Indizien!). Für den Glaubenden ist die Hingabe als Erfüllung von Freiheit jedoch maximal verbürgt: Wir folgen nämlich dem Beispiel unseres Gottes. Der, der unendlich frei ist, hat es nicht als Verlust seiner Freiheit angesehen, sich den Menschen hinzugeben.

Paulus schreibt: «Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters.» Phil 2,5-11
c. Letzte Ölung oder Krankensalbung?

Nun klärt sich vielleicht auch die Bezeichnung des Sakramentes, das früher als «Letzte Ölung» bezeichnet wurde, heute aber die offizielle Bezeichnung «Krankensalbung» trägt. Denn wer so wie eben beschrieben frei wird von allen metaphysischen Ängsten, kann sich nicht nur der himmlischen Herrlichkeit neu zuwenden, weil er diese in Gott erkennt. Er kann durchaus auch die Möglichkeit haben, sich neu dem irdischen Leben zu widmen. Weil er dort Gott ebenfalls findet. Wer die Angst vor dem Tod verliert, verliert damit auch die Angst vor dem Leben!

Das setzt natürlich voraus, dass die Krankheit oder Verletzung des Empfängers eine Heilung zulässt («gratia supponit naturam» - die Gnade setzt die Natur und deren Möglichkeiten voraus). - Es haben mir aber auch viele Priester schon von wunderbaren Heilungen bei der Spendung der Krankensalbung berichtet.

Wer Gott in seiner großen Liebe, Kraft und Realität erfahren hat, wird vielleicht neuen Mut zum Leben gewinnen; eine wiedererstarkte Motivation oder ein neues Erkennen von Verantwortung für die Lebenden. Für diejenigen, die gestärkt durch die befreiende Wirkung des Sakramentes nun den letzten Schritt auf ihrem Weg von dieser in die nächste Welt gehen, war es dann tatsächlich die «Letzte Ölung» und eines der «Sterbesakramente»; für diejenigen die sich seelisch und körperlich gestärkt noch einmal dem Leben in dieser Welt zuwenden, war das Sakrament eine Hilfe zur Überwindung einer ernsten Krankheit - die «Krankensalbung».
Überlassen wir es dem wunderbaren und nicht näher durchschaubaren Beziehungsgeschehen, dass sich in diesem Augenblick zwischen Gott und dem Menschen abspielt, welche Folgen die Spendung des Sakramentes hat. Die Wirkung ist dagegen immer die gleiche: Durch das Schwinden der Ängste wird eine noch größere Liebesbeziehung zwischen Gott und Mensch möglich. Ob in dieser oder in der nächsten Welt. (In der «Litanei für die Verstorbenen» wird darum gebetet, dass der Verstorbene von der Angst vor dem Tod und der Angst vor dem Leben befreit wird!)

III. Die Ausstrahlung dieses Sakramentes
1. Märtyrer

«Der Mensch stirbt, wie er gelebt hat!» sagt ein Sprichwort. Damit ist nicht nur gemeint, dass wir am Sterben eines Menschen erkennen können, was er für ein Leben geführt hat (falls das immer so stimmt), sondern vor allem, dass wir das Ende unseres Lebens gestalten können, indem wir uns bemühen, zuvor entsprechend zu leben. Oder, wie es die selige Schwester Euthymia geschrieben hat: «Ja, die Hingabe und das Vertrauen ist schwer. Man muss sie ein Leben lang geübt haben, um es am Ende des Lebens und in Krankheit zu können.»
Es ist wirklich eine besondere Art zu leben, sich immer wieder darum zu bemühen, sich von den Dingen dieser Welt zu lösen und sich den Menschen und Gott jeweils neu zuzuwenden. Und sich mit ihnen zu verbinden.

Paulus schreibt: «Denn ich sage euch, Brüder: Die Zeit ist kurz. Daher soll, wer eine Frau hat, sich in Zukunft so verhalten, als habe er keine, wer weint, als weine er nicht, wer sich freut, als freue er sich nicht, wer kauft, als würde er nicht Eigentümer, wer sich die Welt zunutze macht, als nutze er sie nicht; denn die Gestalt dieser Welt vergeht.» (1 Kor 7,29-31)

Das Beeindruckende an einem Märtyrer - also einem Menschen, der bereit war, für den Glauben den Tod zu erleiden - ist also nicht allein das Ende seines Lebens. Denn das Ende des Lebens ist zumeist keine einsame Heldentat, sondern oft die Quintessenz einer lebenslangen Suche. Paulus schreibt in einem Brief an seinen geistlichen Sohn Timotheus: «Ich werde schon geopfert und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe. Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue bewahrt. Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, aber nicht nur mir, sondern allen, die sein Erscheinen ersehnen.» (2 Tim 4, 6-8) Ich möchte hier besonders das Wort «ersehnen» hervorheben. Denn darin liegt der tiefere Grund, die von Gott geschenkte Freiheit von den irdischen Dingen anzunehmen: weil diese uns nicht wirklich erfüllen, unsere Sehnsucht nicht stillen und wir uns immer neu nach dem Größeren sehnen.
Wir können die Märtyrer nach ihrem Martertod nicht mehr befragen (noch nicht), aber ich bin mir sicher, dass viele uns versichern würden, dass sie sich im Augenblick ihres Todes gar keines Verlustes bewusst gewesen sind. Sie haben nur das, was sie in Händen hielten, losgelassen, um frei zu werden für das, was ihnen unendlich schöner, wertvoller und lebendiger geschenkt wurde.

2. Alltägliche Märtyrer

Manchmal erscheinen Zeitungsartikel unter der Überschrift «Helden des Alltags». In scheinbar gewöhnlichen Situationen leisten ganz normale Menschen Außergewöhnliches. (Man mag darüber streiten, ob sie wirklich Ungewöhnliches vollbracht haben - oder ob sie nur Selbstverständliches getan haben, während andere wie gelähmt waren...) Wenn das für das irdische Heldentum gilt, dann noch viel mehr für die Märtyrer des Glaubens. Denn ein wahrer Märtyrer ist nicht nur der, dem am Ende sein Leben gewaltsam entrissen wird. Sondern auch der, der schon zu Lebzeiten Wünsche, Pläne, Eigeninteresse und Freiheiten aufgibt, um für andere Gutes zu tun.

So begegnen mir immer wieder Menschen, die ihre Berufspläne begraben haben, weil sich Nachwuchs einstellte - früher als erwartet. Andere geben Hobbies auf, weil das behinderte Kind soviel mehr Zeit und Zuwendung braucht. Menschen reduzieren ihre Arbeitszeiten, um einen kranken Angehörigen zu pflegen und verzichten dadurch auf geplante Urlaubsreisen oder Anschaffungen. Diese Aufzählung könnte ins Unendliche verlängert werden, selbst wenn wir nur diejenigen Beispiele gelten lassen wollen, die ein solches «Aufgeben und Loslassen» gar nicht als Verlust ansehen, sondern als Selbstverständlichkeit.

Ungewöhnlicher sind in unserer Zeit dagegen die Menschen, die eine gewünschte Urlaubsfahrt nicht buchen, weil am Zielort keine Möglichkeit besteht, den Sonntagsgottesdienst zu besuchen. Oder die ein viel gepriesenes Theaterereignis ausschlagen, weil dort Glauben und Religion verunglimpft werden. Oder die nicht bereit sind, sich einem Gruppenzwang zu beugen, der von ihnen unmoralisches Verhalten erwartet. Oder keinen Politiker zu wählen, der sich öffentlich für die Freigabe von Abtreibungen ausgesprochen hat. Oder eine Fußballerkarriere auszuschlagen, weil man lieber Messdiener oder in der Malteser-Jugend bleiben möchte. Und so weiter.
Wer sich auf diese Weise verhält, ist oft ein doppelter Märtyrer. Zum einen verzichtet er zugunsten eines höheren Wertes auf einen legitimen, wenn auch diesseitigen Vorteil. Zum anderen muss er sich noch dazu gefallen lassen, selbst von Mitchristen als «eng, kleinkariert und altmodisch« tituliert zu werden. Man bedauert ihn als «unglücklich und in der Religion gefangen» - obwohl ein solcher Mensch durch seine Wahl deutlich gemacht hat, dass er viel freier von den Zwängen dieser Welt ist. Und sich in dieser Freiheit ungeteilter der größeren Wirklichkeit zuwenden kann.
Wer dagegen einwendet, dass man all diese großen und kleinen Opfer von einem heutigen Menschen (zumal einem jungen Menschen) nicht erwarten kann, weil das doch eine Überforderung sei, betrachtet nur die Natur und vergisst die Gnade. Denn gerade die Erfahrung der zuvorkommenden Gnade (der gratia sufficiens) zeigt, dass jeder Mensch in jedem Alter und zu jeder Zeit von Gott erneut in die Freiheit erhoben wird, eine solche Wahl zu treffen. Das ist dann keine Überforderung mehr, sondern Geschenk. Dieses Geschenk anzunehmen und die Beziehung zu Gott an die erste Stelle zu setzen, ist eine Erfüllung. Keine Leistung.

3. Die anderen sechs Sakramente

Die beiden Wirkweisen der Gnade fallen bei den Sakramenten unterschiedlich auf. Und doch sind in allen Sakramenten immer beide Wirkweisen vorhanden: Das Schenken der Freiheit und die Mitwirkung in der Hingabe. So wirft die Erfahrung der Krankensalbung auch ein erhellendes Licht auf die anderen Sakramente:
Taufe: Die Taufgnade hebt die Abwendung der Menschen von Gott auf - und schenkt uns die Freiheit, nun Jesus gleich zu werden und in eine neue Gemeinschaft mit Gott hineinzuwachsen. Die Firmung nimmt uns die Frucht vor der Veröffentlichung unserer Gottesbeziehung und schenkt uns die Freiheit, im freimütigen Bekenntnis der Gottesbeziehung in dieser zu wachsen. Die Eucharistie schenkt uns mehr als jedes andere Sakrament die Begegnung und Verbindung mit Jesus, der in seinem Sterben und Tod die größtmögliche Hingabe vollzogen hat - und sich und uns damit die maximale Freiheit erwarb. In der Beichte entlässt uns Gott aus den Schuldmechanismen in die Freiheit, nicht mehr sündigen zu müssen. Die Ehe verwirklicht die Freiheit, sich ganz binden zu können, um so ganz lieben zu dürfen. In der Weihe entlässt Gott den Kandidaten durch die Vermittlung der Kirche aus den weltlichen Verpflichtungen, um davon befreit ganz zum Werkzeug der tätigen Gegenwart Gottes zu werden.
Ja, wer die Krankensalbung mit Augen für Gottes Wirken und des Menschen Mitwirken sieht, entdeckt nicht nur in den anderen Sakramenten, sondern auch im Gebet, im Dienst am Nächsten und im verstandesmäßigen Glauben immer sowohl ein Geschenk als auch eine Gelegenheit, mit diesem Geschenk zu wachsen. Die Salbung am Ende des Lebens wirft so ein Licht auf das Leben, das so in einem neuen Glanz erscheint: Im wunderbaren Zusammenwirken von Gottes allmächtiger Liebe und menschlicher freier Antwort.

IV. Einzelfragen
1. Der Ritus der Krankensalbung

Die Feier der Krankensalbung sollte möglichst im Kreis der Angehörigen geschehen. Ich habe schon erlebt, dass die Angehörigen das Zimmer verlassen wollten, als ich von der Krankensalbung sprach - so, wie sie es gewohnt waren, wenn der Arzt seinen Koffer auspackt und zur Behandlung schreitet. Sie sollten bleiben, auch wenn es ihnen schwerfällt! Es ist nicht nur für den Kranken selbst wichtig, der Feier aktiv beizuwohnen, sondern auch sich mit denen verbunden zu wissen, die ihm im Alltag zur Seite stehen.

Die Feier der Krankensalbung kann man hier ausführlich einsehen.
a. Beichte

Falls der Krankensalbung eine sakramentale Beichte vorausgeht, sollte diese selbstverständlich mit größter Diskretion geschehen. Ist der Kranke nicht mehr in der Lage zu beichten, nimmt die Krankensalbung auch ohne Bekenntnis alle Sünden von ihm.

b. Die Feier der Krankensalbung

Die Feier der Krankensalbung ist verbunden mit einem kleinen Gottesdienst, der die klassischen Elemente (Begrüßung, Schuldbekenntnis, Lesung, Bitten, Vaterunser und Segen) enthält.
Zu Beginn werden alle Anwesenden mit dem Weihwasser besprengt und damit spürbar an ihre Taufe erinnert. (Solche spürbaren Zeichen sind gerade für Kranke wichtig, deren geistige Fähigkeiten manchmal nachlassen, aber deren Sinne geschärft sind!)
Als Lesung wird zumeist die Stelle aus dem Jakobusbrief genommen, die sich auf die Salbung des Kranken bezieht:
«Ist einer unter euch krank, dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Das gläubige Gebet wird den Kranken retten und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben.» (Jak 5, 14f).
Nach den Fürbitten, vor der sakramentalen Salbung, tritt noch ein sehr wichtiger und intimer Ritus hinzu: Nach einem Gebet legt der Priester dem Kranken schweigend beide Hände auf. Eine solche Handauflegung darf ruhig auch mehr als nur einen Augenblick dauern. Die Zuwendung, die der Kranke dadurch spürt, ist mehr als nur Psychologie: Der Priester ist mit dieser Geste der Nähe reales Zeichen für den Gott, der mitleidet und gleichzeitig stärkt und erhebt.
Vor der Salbung wird ein Lobpreis über das Öl gesprochen, das vom Bischof normalerweise jährlich in der Karwoche (zumeist in der Chrisammesse am Gründonnerstag) geweiht wird. Von der Bistumskirche aus wird das Öl dann in alle Gemeinden und zu allen Priestern gebracht, die es ein Jahr lang für die Krankensalbungen aufbewahren. Das Öl ist in der Regel reines Olivenöl. - Falls kein geweihtes Öl vorhanden ist, kann der Priester auch im Krankengottesdienst Olivenöl oder im Notfall auch anderes pflanzliches Öl weihen.
Die eigentliche Salbung geschieht, indem der Priester die Stirn des Kranken und die Hände (wenn möglich die Innenflächen) salbt und dabei spricht: «Durch diese heilige Salbung helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen, er stehe dir bei mit der Kraft des Heiligen Geistes. Der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf!»

In früheren Zeiten wurden auch die Füße und zudem alle Sinnesorgane (Augenlider, Ohren, Nase, Mund) gesalbt. - In besonderen Situationen kann die Salbung aber auch auf einer anderen Stelle des Körpers erfolgen.

Nach der Salbung folgt noch ein Gebet und das Vaterunser. Wenn sich keine Kommunionfeier anschließt, folgt direkt der Krankensegen. - Die Feier der Krankensalbung kann gekürzt werden, wenn die Umstände und vor allem der Gesundheitszustand des Kranken es erfordern. Die Handauflegung und die Salbung bilden dabei den unverzichtbaren Kern der sakramentalen Handlung.

c. Die Krankenkommunion

Wenn möglich, sollte in diesem Gottesdienst auch die Spendung der Kommunion erfolgen, die dem Ritus der Haus- und Krankenkommunionen folgt. Falls der Kranke die Hostie nicht mehr schlucken kann, können unter Umständen nur kleine Teile der Hostie gereicht werden; es ist auch möglich, die Kommunion unter dem Zeichen des gewandelten Weins zu spenden.

Falls es möglich ist, kann die Feier der Krankensalbung auch in eine Eucharistiefeier (als Messfeier am Krankenbett, in der Krankenhauskapelle oder in der Kirche) eingebettet werden. Dann erfolgt die Spendung der Krankensalbung vor den Fürbitten, danach schließt sich die Eucharistiefeier an.
d. Der Krankensegen

Am Ende des Gottesdienstes steht (wie sonst auch) der Segen. Dieser Segen hat jedoch eine besondere, dreifach gestaffelte Form. Der Krankensegen kann auch einem Kranken ganz unabhängig von Salbung und Eucharistiefeier gespendet werden. Viele Priester (oder Diakone), die regelmäßig Kranke zuhause oder in den Krankenhäusern besuchen, schließen einen einfachen Besuch (ohne Krankenkommunion oder Salbung) gerne mit der Spendung des Krankensegens ab.

2. Wann? Wo? Wem?
a. Nicht zu spät

Wie schon erwähnt, sollte mit der Bitte an den Priester, zur Krankensalbung zu kommen, nicht zu lange gewartet werden. Manche Angehörigen fürchten, der Kranke könne die Salbung als eine Art «Todesritus» auffassen und nun alle Hoffnung aufgeben. Deshalb ist es auf der einen Seite wichtig, zwar die Krankensalbung anzubieten, aber eben nicht voreilig von den «Sterbesakramenten» zu sprechen.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine übertriebene Scheu, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Es ist mir schon passiert, dass die Angehörigen mich baten, dem Kranken nicht zu sagen, dass es keine Hoffnung auf Heilung mehr gebe - und der Kranke mich anschließend bat, den Angehörigen nicht zu sagen, dass er längst weiß, dass er nun bald sterben wird. Ja, es ist mir noch viel häufiger vorgekommen, dass die Kranken oder Alten genau wussten, dass sie nicht mehr lange zu leben hatten, obwohl es noch keine Anzeichen für eine ernstere Krankheit gab.

Nicht ohne Grund

Anstatt mit der Krankensalbung zu lange zu warten, gibt es aber auch den umgekehrten Trend. In manchen Gemeinden ist es üblich, zu einer jährlichen Feier der Krankensalbung alle Älteren einzuladen, auch wenn sie nicht akut krank sein sollten. Ja, gelegentlich bitten mich auch gesunde und junge Menschen um die Krankensalbung, durch die sie die Befreiung von bedrängenden Krankheiten oder psychisch belastenden Phasen erhoffen.
Auch wenn die Priester niemanden abweisen sollen, der zu Recht um ein Sakrament bittet, sollen Priester hier zurückhaltend sein. Die Spendung der Krankensalbung ist schon gebunden an eine Situation, in der der «Gesundheitszustand bedrohlich angegriffen ist» (II. Vaticanum). Es wird also eine akute Krise vorausgesetzt.

Dennoch ist es möglich, die Krankensalbung nach einiger Zeit erneut zu spenden, wenn sich der Gesundheitszustand zwischenzeitlich gebessert hat und dann wieder schlechter wird.

Die Krankensalbung kann in Gottesdiensten auch mehreren Personen zugleich gespendet werden (z. B. in Krankenhäusern); nicht sinnvoll ist es jedoch, alle zu diesen Gottesdiensten einzuladen, die ein bestimmtes Alter erreicht haben, ohne dass ihr Gesundheitszustand beeinträchtigt ist. Eine Abwägung ist sicherlich nicht leicht, deshalb mag es helfen, die Formulierung des Katechismus zu erwägen: «Die Krankensalbung ist nicht nur das Sakrament derer, die sich in äußerster Lebensgefahr befinden. Daher ist der rechte Augenblick für ihren Empfang sicher schon gegeben, wenn der Gläubige beginnt, wegen Krankheit oder Altersschwäche in Lebensgefahr zu geraten» (KKK 1514)

Nur den Lebenden

Sakramente werden grundsätzlich nur den Lebenden gespendet. (Die Beerdigung ist kein Sakrament!) Manche Priester weigern sich deshalb beharrlich, einem soeben Verstorbenen noch die Krankensalbung zu spenden. Die Erfahrung der Kirche lehrt aber, dass der Todeszeitpunkt nicht so eindeutig zu bestimmen ist. Das Aussetzen von Atmung und Herzschlag sind dabei zwar eindeutige körperliche Anzeichen, aber ob der Sterbende nicht doch noch wahrnehmungsfähig ist, seelisch vielleicht noch anwesend und aufnahmefähig für Gebet und Sakrament, ist zumindest möglich.

Darauf weist nicht zuletzt die moderne Medizin hin, die klinisch Tote auch noch nach längeren Zeiträumen wiederbeleben kann. Wir müssen nicht auf die Berichte aus dem Bereich der Nahtoderfahrungen zurückgreifen - die uns ähnliches nahelegen.

Ein Priester, der um die Salbung eines soeben Verstorbenen gebeten wird, sollte mit der Spendung des Sakramentes nicht zu restriktiv sein. So gibt es die Tradition, die Spendung der Krankensalbung bis zu einer Stunde nach dem klinischen Tod als möglich und sinnvoll anzusehen.

3. Von wem?

Die Krankensalbung wird gültig nur vom Priester (oder Bischof) gespendet.
Noch vor einiger Zeit wurde eifrig diskutiert, ob nicht auch ehrenamtlich in der Krankenseelsorge Tätige das Sakrament der Krankensalbung spenden können. Die Befürworter einer Änderung sprachen von den gewachsenen persönlichen Beziehungen, die in einer oft über Jahre ausgeübten Seelsorge entstanden sind; auf der anderen Seite wurde das Hinzuziehen eines Priesters, der dem Kranken eher als Fremder gegenüber tritt, als unangenehm und hinderlich beschrieben.
Dagegen ist einzuwenden, dass es im Sakrament eben nicht um die Würdigung der Bemühungen anderer Menschen um den Kranken geht (dann müssten wir auch die pflegenden Angehörige und Familienmitglieder zu Spendern machen); es geht vielmehr um die sakramentale Gottesbegegnung. Da diese ein objektives Geschehen ist, ist es sogar ganz sinnvoll, einen bisher unbeteiligten Amtsträger der Kirche um die Spendung zu bitten. Das Sakrament ersetzt oder entwertet ja nicht die Anwesenheit Gottes in jeder liebevollen Zuwendung durch alle um den Kranken bemühten Menschen! Es ergänzt vielmehr das, was bisher geschah, durch eine vollmächtige Handlung der Kirche. Deshalb spricht der Apostel Jakobus von den «Ältesten der Kirche», die für die Spendung des Sakramentes gerufen werden sollen. Damit sind nach übereinstimmender Meinung der Fachleute nicht charismatisch begabte Privatpersonen, sondern Amtsträger gemeint.

In der griechischen Liturgie sollen für die Krankensalbung nach Möglichkeit sogar sieben Priester gerufen werden, weshalb das Sakrament auch «Sieben-Väter-Dienst» heißt. So wird besonders deutlich, dass es sich um einen Dienst der Kirche handelt. - Es reicht aber auch dort, wenn nur ein Priester verfügbar ist.

Der äußere Grund für die Beschränkung auf den Priester ist die Sündenvergebung, die mit dem Sakrament verbunden ist. Diese ist - wie die Beichte - dem Priester vorbehalten.

In frühchristlichen Zeiten (vom 3. bis zum 8. Jahrhundert) gab es den Brauch, die Öle zwar vom Bischof weihen zu lassen, die Salbung aber auch durch Laien zu vollziehen. Ja, manche Kranke salbten sich selbst mit dem ihnen gebrachten Öl - andere tranken es sogar. Der Theologe Chavasse meint, dass sich diese Praxis aus dem Gedanken ergab, die Krankenöle mit dem Brot und Wein der Eucharistie zu vergleichen. Man dachte, das Öl würde sakramental verwandelt und könne auch von Laien den Kranken gebracht werden; ähnlich wie ja auch die Krankenkommunion in Notfällen von beauftragten Laien den Kranken nach Hause gebracht werden kann.
Ein näheres Nachdenken der Kirche hat aber den Gedanken abgelehnt, schon in der Weihe der Öle ein sakramentales Geschehen zu sehen. (So schreibt schon Jakobus in der Heiligen Schrift, dass die Presbyter zur Salbung geholt werden sollen - und nicht etwas nur die Heiligen Öle). Zwar hat sich in einigen Kirchen der Orthodoxie der Brauch erhalten, in einem zweiten Tabernakel neben dem Leib Christi auch die Heiligen Öle aufzubewahren und zu verehren. Die Spendung der Krankensalbung aber wurde durch Konzilsbeschluss nur dem Priester zugestanden. (Siehe dazu den lesenswerten Artikel von Prof. Dr. A. Ziegenaus «Ausdehnung der Spendevollmacht der Krankensalbung?»).

Immer schon gab es (und gibt es bis heute) neben der sakramentalen Salbung der Kranken durch den Priester selbstverständlich auch eine nicht-sakramentale Salbung. Angehörige aller Religionen und Zeiten haben ihre Kranken gesalbt, dachten dabei aber vor allem an eine körperliche bzw. psychische Wirkung. Das Entscheidende des sakramentalen Geschehens ist jedoch die erwartete Wirkung: die Vermittlung des Heils. Eine körperliche Heilung ist zwar möglich und kommt vor - aber sie ist nicht die eigentliche Absicht der Sakramentenspendung. Sie kann jedoch durchaus Folge der Vermittlung von Heil und Gottesbeziehung durch das Sakrament sein.