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Die objektive geistige Welt

Es gibt Menschen, die glauben in einer kompletten Illusion zu leben: Alles, was sich außerhalb ihrer selbst abspielt, sei nur eine Vorgaukelung ihres eigenen Gehirns. Im Grunde seien nur sie selbst wirklich und real - von den Dingen «da draußen» weiß man es ja nicht wirklich.
Das mag den Meisten von uns absurd erscheinen. Auch, wenn wir im gleichen Atemzug, mit dem wir noch den Kopf über solche Freaks geschüttelt haben, die Existenz von Seele, Geist und Bedeutung als höchst subjektiv bezeichnen: «Was sich hinter der sichtbaren Welt abspielt, weiß man ja nicht wirklich.» Das lege jeder letztlich mit seinem Glauben selbst fest.
Wirklich überzeugend sind beide Positionen nicht - auch wenn sie nur schwer zu widerlegen sind. Aber nur, weil ein Zweifel nicht zwingend ausgeräumt werden kann, ist er noch lange nicht angebracht.


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Dieser Diskussionsbeitrag ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 139) erhältlich: Kostenlose Bestellung

Es war einmal im Priesterseminar...

Ich kann mich noch gut an die Diskussion erinnern, die kurz aufkam - und dann genauso schnell beendet war. «Heutigen Menschen kann man einfach nicht mehr damit kommen, dass es so etwas wie eine Seele wirklich gibt.» bemerkte ein Student. Ein anderer pflichtete ihm bei: «Wir stehen mit unserer Botschaft von Gott, ewigem Leben und unabänderlicher Moral auf verlorenem Posten!» - «Wirklich?» hielt ein anderer dagegen, «Ich finde es doch so offensichtlich! Jeder unverbildete Mensch weiß doch, dass er mehr ist als nur eine Ansammlung von Molekülen...» - «Ach ja?» fragte man zurück, und beendete die Diskussion: «Wie will man das beweisen? Muss das nicht jeder für sich entscheiden?»
Dieses Gespräch hat sich zwar tatsächlich im Priesterseminar zugetragen, hätte aber auch in jeder Schulklasse, in jedem Friseursalon oder Zugabteil stattfinden können. Auf die Nachfrage, wie man denn etwas beweisen kann, weiß keiner eine schlüssige Antwort, außer: «Das geht nicht, weil es in solchen Dingen keine objektive Antwort gibt!» Ende der Diskussion.
Stehen wir wirklich mit der Botschaft von einer übernatürlichen Welt auf verlorenem Posten? Gibt es noch Hoffnung, dass unsere Verkündigung auf fruchtbaren Boden fällt?

Indizien für eine verborgene, andere Sicht

Ja, diese Hoffnung gibt es. In meinen Augen nicht nur eine Hoffnung, sondern eine Gewissheit. Beweisbarkeit (dazu später mehr) hin oder her: Die Menschen sind von geistiger Natur und denken, leben und handeln dementsprechend - so meine These. Es ist schon ein komplizierter Akt der Selbstverleugnung, das auszublenden. Die Grundmaxime «Das muss doch letztlich jeder selber wissen!» hat im privaten Leben der Menschen kaum eine Bedeutung. Und auch nicht im inneren Denken der Menschen. So eine gelassene Haltung legen wir allenfalls an den Tag, wenn es Fragen betrifft, die uns genügend fern sind und uns nicht wirklich berühren. Oder - um es mit Mark Twain zu sagen - die uns in unserer eigenen Meinung bestätigen.

Mark Twain: «Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen - vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir.»
Unser Rechtsempfinden

Diese Gelassenheit hat aber sofort ein Ende, wenn wir selbst betroffen sind. Und dann verhalten wir uns ganz und gar nicht wie Menschen, die jeweils in ihrer eigenen Werte-, Sinn- und Moralblase leben und das auch jedem anderen zugestehen. Vor allem erwarten wir mit großer Entrüstung und Selbstverständlichkeit, dass die anderen Menschen sich gefälligst an die allgemeinen Maßstäbe von Gerechtigkeit und Anstand halten.

Beispiele könnte ich hier ohne Ende anführen. Wer zu Unrecht ein Strafzettel für Falschparken bekommt, nimmt das auch nicht mit einem Achselzucken als eine allgemeine Unschärfe der Rechtswahrnehmung hin. «Muss halt jeder Mitarbeiter vom Ordnungsamt selbst wissen, ob und wann er mir einen Strafzettel gibt.»
Wer von seiner besten Freundin belogen und hintergangen wurde, hält ihr auch nicht zugute, dass sie nunmal einen anderen Begriff von Moral und Wahrheit habe.
Wer in alten Dokumenten von Verfolgungssituationen in früheren Gesellschaften liest, lächelt mit Sicherheit nicht nachsichtig und murmelt: «Andere Zeiten, andere Sitten.»
Und auch wer erfährt, dass es im Fernen Osten Diktaturen gibt, die Menschen nur für den Besitz einer Bibel oder aufgrund der Zugehörigkeit zu einer missliebigen Ethnie hingerichtet werden, freut sich ebensowenig über die Vielfalt der Kulturen.
Sorry, wenn ich ein wenig sarkastisch werde: Aber einem armen Menschen auf der Folterbank zu erzählen, es sei nur seine Wahrnehmung, dass ihm Unrecht geschehe, ist wohl keine sonderlich menschenfreundliche Idee.

Natürlich brauchen wir ein Rechtssystem in unserem Staat, das unser Zusammenleben ordnet. Daran halten wir uns, weil es uns nützt. Aber wenn es nicht ein übergeordnetes, überzeitliches Naturrecht gibt, dann könnte man das Rechtssystem als solches überhaupt nicht kritisieren - oder das Rechtsempfinden früherer Zeiten oder ferner Kulturen. Dann gilt schlicht, was der Machthaber oder die Mehrheit für richtig hält. - Und dennoch kritisieren wir: Wir stellen die Mächtigen in Frage, wir hinterfragen das System. Mit großer Selbstverständlichkeit und klarem Rechtsempfinden.

Sind Rechtsempfindungen eben nur Empfindungen?

Natürlich kann man behaupten, die allgemeine Entrüstung angesichts von Straftaten in früheren Zeiten oder fremden Kulturen seien eben nur Empfindungen - Gefühle. Gerne auch allgemein verbreitete Gefühle; durch eine gemeinsame Evolution bei allen Menschen vorhandene Gefühle.Aber eben keine Entrüstung angesichts einer wirklichen, objektiven Ungerechtigkeit.
Die Behauptung, ein Rechtsempfinden sei nur ein Gefühl - eine Emotion -, klingt vielleicht noch plausibel und annehmbar. Aber wenn wir nachfragen, ob denn ein Gefühl für Gerechtigkeit möglich ist, wenn es doch an sich gar keine Gerechtigkeit gebe, wird es schon schwieriger. Wenn nun dieses Gefühl nichts anderes ist als eine Funktion der Evolution, die uns früher das Überleben sicherte, dann wird aus dem «Gefühl für Gerechtigkeit» letztlich doch nichts anderes mehr als die Erlaubnis für jedwedes Verhalten - solange derjenige ernsthaft glaubt, sich dadurch einen Überlebensvorteil zu verschaffen. Dann wird gut zu einer Tautologie: Wenn gut das ist, was dem Überleben dient, dann wäre ein Überleben um jeden Preis und auf Kosten anderer immer gut - ein niemals zu hinterfragendes Ideal. Nein! Gut ist etwas Geistiges. Reales. Dem Menschen Vorgegebenes.

  • Ich belasse es bei diesem Anknüpfungspunkt aus der Moral. Ich hätte auch von unserem Empfinden ausgehen können, dass die Menschen, zu denen wir eine Beziehung haben, eben keine Molekül-Verbindung sind, sondern Personen - ebenfalls eine geistige Realität, die unserem Empfinden vorgegeben ist.

  • Ich hätte von der Sprache ausgehen können, die nicht nur von mir mit Inhalten aufgeladen wird, sondern geistige Realitäten transportiert: Wir können Menschen krank machen, indem wir sie sprachlich (und damit seelisch) verletzen und niedermachen. Wir können Menschen heilen, indem wir ihnen Selbstbewusstsein und Mut einflößen. Manchmal nur mit Worten.

  • Ich hätte von der Psychosomatik ausgehen können, in der physisch-körperliche Krankheiten durch seelisches Befinden ausgelöst und verstärkt - oder geheilt oder gemildert werden können. Ich könnte von der Logotherapie (begründet von Viktor Frankl) sprechen.

Aber die entscheidende Frage bleibt dann doch: Wie kann das sein, wenn wir geistige Realitäten nicht objektiv nachweisen können und sie sich letztlich nur in unserer Vorstellung wiederfinden? Es gibt doch keine objektiven Daten über solche Realitäten, als nur unsere Deutungen von Krankheit, Sprache, Not und Moral. Und Deutungen sind per se subjektiv. Oder?

Es gibt keine Beweise - deshalb glaubt jeder anders

Einverstanden: Es gibt keine Beweise ... zumindest keine naturwissenschaftlichen Beweise. Was aber auch nicht zu erwarten war, denn die Naturwissenschaft beschäftigt sich mit den Dingen der materiellen Natur (daher auch der Name: Naturwissenschaft). Die Bedeutung eines Rituals oder die Qualität einer Beleidigung ist aber eben nicht materiell, sondern geistig.

Auch hier gilt, dass wir alle selbstverständlich davon ausgehen, dass die Wirklichkeit größer ist als das, was die Naturwissenschaften erkennen können. Das weiß jeder, der sich an die erste große Liebe oder den Erfolg im Fußball oder das unerwartet gute Zeugnis erinnert - alles naturwissenschaftlich nicht fassbar und nicht beweisbar. Und doch real. Sobald wir aber nach allgemeinen Beweisen für die geistige Realität gefragt werden, schalten wir in den modernen Modus um und bezweifeln, was wir gerade noch als felsenfest sicher angesehen haben: Dass es eine reale, unsichtbare Welt gibt.

Wir erkennen Geistiges nur mit dem Geist - nicht mit Messgeräten. Selbst dann nicht, wenn diese Geräte Gehirnströme messen. Der Geist ist nämlich kein Nervenimpuls. Er ist nicht-materiell.

Es bedarf eines Geistes

...um geistige Dinge zu erkennen. Das mag vielleicht der Schlüsselsatz dieser Katechese sein. Notieren!

Es bedarf eines Geistes, um Geistiges zu erkennen

Geistige Realitäten per se als nicht-existent zu bezeichnen, nur weil sie nur von Menschen erkannt werden können, ist ein Vorurteil. Wer herausfinden will, ob es so etwas wie eine objektiv vorhandene geistige Welt gibt, darf deren Existenz nicht von vorneherein ausschließen.
Ein Hund erkennt nicht den Unterschied zwischen einem Roman und einem Sachbuch. Eine Maus nicht den Unterschied zwischen dem Leib Christi und einem einfachem Brot. Und dennoch gibt es diese Unterschiede. Nicht nur für den Menschen, sondern in der Realität. Auch wenn diese Realität nur von geistbegabten Wesen erkannt werden kann.

Das war übrigens schon als Grundlage der Rechtsprechung Anfang des 19. Jahrhunderts: «Geistige Realitäten wirken nur auf gleichfalls geistbegabte Wesen, die meisten nur auf Menschen, einzelne wohl auch auf die Klassen der Tiere, bei denen etwas dem menschlichen Geist Verwandtes angenommen werden kann.» (Ernst Immanuel Bekker, 1827-1916).
Immateriell heißt nicht «frei von Materie»

Allerdings sind wir keine rein-geistigen Wesen, sondern leib-seelische Geschöpfe. Wir Menschen sind mit einer real-existierenden geistigen Seele ausgestattet - aber wir erkennen sie nicht ohne den Leib. Wir erkennen diese durch den Leib, durch Bilder, durch Stimme, Sprache, Kunst und Ausdruck.
Wir können (in dieser Welt zumindest) nicht einfach von Seele zu Seele kommunizieren; als Leib-Seele-Einheit sind wir auf ein materielles Medium angewiesen. Warum das so ist - und warum wir Christen auf eine Zeit hoffen, in der wir Gott und die geistige Welt (inklusive der menschlichen Seelen) ohne Schleier, unverhüllt schauen werden - das will ich hier nicht ausfalten.
Die Leib-Seele-Einheit mag eine Einschränkung unserer geistigen Möglichkeiten sein, aber es ist keine Ausrede dafür, im Materiellen den geistigen Ausdruck zu leugnen. Ja, wir erkennen die immaterielle Seele nicht als Aura, Ektoplasma oder Astral-Erscheinung, sondern im handfesten, materiellen Leib. Aber dennoch ist diese Erkenntnis sicher.

Keine Ausreden! Denkt an das Buch, das Shakespeares Hamlet beinhaltet: Die Behauptung, das Buch sei halt nur ein Stück Materie und nur als Briefbeschwerer zu erkennen gewesen - und die Tatsache, dass man es lesen kann und dort Geistiges zu finden sei, sei nicht so klar hervorgetreten - diese Behauptung als Ausrede für nichtgemachte Englisch-Hausaufgaben ist nicht sehr Erfolg versprechend.
Der Fischer und das Netz

Eigentlich liegt es auf der Hand: Man kann den Geist, das Gute, die Seele, Gott oder die Liebe nicht mit materiellen Messgeräten aufspüren. Jedes Messgerät muss in etwa von der Art dessen sein, was gemessen werden soll.

Es ist eine Kunst, Messverfahren zu entwickeln, die neuartige Phänomene nachweisen können. Das weiß jeder Experimental-Physiker, dessen Hauptarbeit zum Teil darin besteht, immer neue Konstruktionen zu erdenken, um Daten zu liefern, die Thesen widerlegen oder bestätigen können.

Natürlich wäre es ein Leichtes, wie der Fischer mit dem grobmaschigen Netz zu argumentieren: «Ich fange mit meinem Netz alle Fische in diesen Gewässern! Der Vorwurf, mein Netz würde nicht alle Fische fangen, ist absurd: Was nicht in den Maschen meines Netzes hängen bleibt, ist nämlich gar kein Fisch.»
So seltsam wie diese Argumentation des Fischers klingt, so alltäglich ist sie: Was die Naturwissenschaften mit ihren Armaturen und Kaskaden von Messapparaten nicht messen - nämlich die immaterielle Welt - wird schlicht als nicht-existent bezeichnet.

Nochmal: Es bedarf des Geistes, um Geist zu erkennen

Verwenden wir aber andere Messgeräte als die High-Tech-Geräte der Physik, können wir auch anderes nachweisen. Verwenden wir unseren Geist, entdecken wir auch Geist.
Dann sind natürlich auch die Messverfahren andere. Wir erkennen das Genre eines Buches, das wir in Händen halten, indem wir es lesen. Dieser geistige Vorgang des Lesens erschließt uns Einsichten über dieses Buch, die uns keine Spektral-Analyse, Isotopen-Quantifizierung oder Kernspin-Tomographie erschließen können. Und doch ist das Urteil: «Es handelt sich bei diesem Buch um den "Hamlet" von William Shakespeare» nicht etwa subjektiv, zweifelhaft oder konstruiert.
Der Vorwurf, alle geistige Erkenntnis sei letztlich nicht belegbar; jede Interpretation der materiellen Wirklichkeit (zum Beispiel eines materiellen Buches) sei subjektiv und irgendwie willkürlich - dieser Vorwurf rettet keinen Schüler im Unterricht vor der drohenden schlechten Note in seiner misslungenen Hamlet-Interpretation.
Und gerade deshalb ist es voll in Ordnung, von einer objektiven geistigen Realität zu sprechen. Auch wenn das den Geschmack von «politischer Unkorrektheit» hat. Über Geschmack kann man nicht streiten, der ist vollkommen subjektiv. Die geistige Wirklichkeit dagegen ist objektiv real.

Einwand: Es gibt doch so viele widerstreitende Ansichten!

Ja, die gibt es. Aber: Dass es nicht nur zwischen den Kulturen, sondern auch innerhalb einer relativ homogenen Gesellschaft voneinander abweichende Weltbilder gibt, bedeutet nicht, dass jedes Weltbild falsch oder zumindest eingebildet ist. Als Lehrer weiß ich, dass Schüler mitunter selbst in der Mathematik zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Daraus zu schließen, dass Mathematik ein rein subjektives Fach ist ohne Anspruch auf eine klare Lehre, ist selbstverständlich abwegig.

Und, das nur nebenbei: Mathematik ist keine Naturwissenschaft, sondern die reinste Geisteswissenschaft, die es gibt. Mathematik führt keine Experimente durch, erhebt keine Daten, interpretiert keine Versuchsreihen. Ja, Mathematik interessiert sich überhaupt nicht für eine materielle Realität. Im Gegenzug kann man aber die Erkenntnisse der Mathematik gut gebrauchen, um in den Naturwissenschaften zu arbeiten. Umgekehrt geht das nicht.

Das gilt auch für rein geistige Vorgänge wie die Interpretation eines Gedichtes oder eines Dramas. Oder das Erkennen von Zusammenhängen in der Geschichte, von Bedingungen, Voraussetzungen und Anlässen für Krieg und Frieden in der Vergangenheit. Den Geisteswissenschaften ihre Wissenschaftlichkeit abzusprechen, ist die Hybris von schlechten Naturwissenschaftlern. Auch wenn die Kenntnis von Geisteswissenschaften umgekehrt nützlich für die Naturerkenntnis ist.

Zweitens: Das Faktum, dass es viele Menschen (nicht nur Schüler der Mathematik) nicht schaffen, richtige Lösungen für geistige Fragestellungen zu finden, berechtigt nicht zu dem Schluss, dass diese Lösungen grundsätzlich nicht erkennbar sind. Das könnte man als die «Hybris des schlechten Schülers» bezeichnen.

Drittens: Zuletzt wäre zu hinterfragen, ob derjenige, der sich frei von jeder kulturellen und moralischen Verpflichtung wähnt, sich an keine Regeln hält und weder Teufel noch Hölle fürchtet, dies tatsächlich als eine angemessene Wirklichkeitsbeschreibung ansieht - oder nur als eine billige Rechtfertigung seines Tuns. Nicht wenige faktische Leugner einer jeden Moral wissen um die moralische Qualität und die Konsequenzen ihres Tuns, folgen aber lieber ihrem Wunsch nach einem kurzem Triumph als ihrem Gewissen.

Aufbruch in die neue Welt

Wir Christen glauben also an eine geistige Welt, voller Wirklichkeit und Realität, auch dann, wenn andere menschliche Geister diese Realität leugnen, nicht wahrhaben wollen oder ignorieren.
Aber diese Welt ist nicht einfachhin geistig - und mehr nicht. Auch die sichtbare Welt wäre nicht erschöpfend beschrieben, wenn wir sie nur als materiell bezeichnen. In unserer materiellen Welt gibt es Sichtbares und Unsichtbares, Kräfte, Energie und Stoffe; darüber hinaus Naturgesetze, Standardgrößen und Abhängigkeiten. Obwohl dies alles Gegenstand der Naturwissenschaften ist, lässt sich diese Welt in viele Bereiche sinnvoll unterteilen.
Die geistige Welt ist ebenso differenziert: So gibt es in-sich existierende Wesen (allen voran Gott, aber auch eine ganze himmlische Welt voller Engel und Heiligen) und es gibt den Menschen als Leib-Seele-Einheit. Darüberhinaus ist in der geistigen Wirklichkeit eine Ordnung zu erkennen, die im Verhältnis der Wesen zueinander erkennbar ist.

Diese Ordnung ist die Grundlage der Moral. Wer in Freundschaft mit dieser Ordnung lebt und handelt, schützt und bewahrt sein Glück; wer im Widerspruch zum erfüllten Verhältnis zu sich und den geistigen Realitäten existiert, verursacht Mangel.

Mit anderen Worten: Diese unsichtbare Welt ist ein ebenso großes wissenschaftliches Entdeckungsfeld und geistiges Abenteuer, wie unsere sichtbare Welt. Wir dürfen nicht erwarten, dass allein der Entschluss, die größere Wirklichkeit zu akzeptieren, schon alle Fragen beantwortet.
Vielleicht waren Menschen früherer Zeit etwas fitter als wir, sich in dieser Welt zurechtzufinden. Einen Großteil unserer philosophischen Energie geht heutzutage dabei verloren, die Existenz dieser geistigen Wirklichkeit anzuerkennen. Gottseidank bleibt es uns aber unbenommen, früheren Geistesgrößen in ihre Erkenntnisse durch Lesen ihrer Werke zu folgen.

Das erklärt so einiges

Valerie Schönian, eine ausdrücklich nicht-religiöse Journalistin, hat ein Jahr lang einen katholischen Priester begleitet und darüber einen Blog geführt («Valerie und der Priester») und ein Buch geschrieben («Halleluja – Wie ich versuchte, die katholische Kirche zu verstehen»). In einem Blogeintrag berichtete sie, wie sie auf die kritische Frage eines (ebenfalls atheistischen) Mitstudenten, wie man nur so denken könne wie dieser Priester, antwortete: «Weißt du - der hält das alles für real.»
Wie sieht die Innenansicht des katholischen Glaubens aus, wenn wir einfach mal von der Realität der geistigen Wirklichkeit ausgehen?

Menschenwürde: Dass der Mensch eine Würde hat, liegt begründet in seiner geistigen Eigenschaft, Ebenbild Gottes zu sein. So kann ich diese Würde verletzen, auch wenn es sich rein materiell gut anfühlt (zum Beispiel beim Konsum von Pornografie), und ich kann die Würde bewahren, obwohl mir körperlicher Schaden entsteht (indem ich zum Beispiel bei der Rettung eines Ertrinkenden selbst in Gefahr gerate).

Die Seele: Auch auf der geistigen Ebene gibt es Objekte von unterschiedlicher Seinqualität. Manches hat ein eigenes Sein, anderes ist nur die Eigenschaft geistiger Dinge. Die Seele jedoch ist nicht nur die Eigenschaft materieller Organismen (wie zum Beispiel die Software in einem Computer), sondern hat ein eigenes, unzerstörbares Sein. Sie organisiert den Körper (angefangen mit der Verschmelzung von Samen- und Eizelle), gibt ihm Struktur und formt ihn zum menschlichen Leib. Die Seele ist die eigentliche Quelle von Person und Individualität; auch wenn der leibliche Ausdruck von materiellen Größen (Gene, Umwelt, Stoffwechsel, Epigenetik usw.) abhängt. Mann- und Frausein ist beispielsweise nicht nur eine körperliche Ausgestaltung der Gene, sondern ist auch Teil der seelischen Identität. Nach der Trennung vom Leib, die wir Tod nennen, existiert die Seele weiter.

Mann und Frau: Die Seelen der Menschen sind einander immer und absolut gleichwertig, aber nicht immer gleichartig. Wir Christen sehen in der Erschaffung von Mann und Frau auch eine geistige Realität. Diese Geschlechterdifferenz ist real und wurzelt in einer seelischen Identität, auch wenn wir sie nicht immer an körperlichen Eigenschaften oder Fähigkeiten festmachen können. Wenn die Kirche daran festhält, dass die Ehe ein Bund zwischen Mann und Frau ist, dann können wir das nicht allein damit begründen, dass die Geschlechter bestimmte Eigenschaften mitbringen.

Die Ehe: Wenn Menschen heiraten, dann verändert der geschlossene Bund sie geistig. Ein Ehepaar geht anders aus dem Traugottesdienst heraus, als es hineingegangen ist. Diese Änderung ist nicht nur mit einer gesellschaftlichen Anerkennung zu erklären - oder mit dem Gefühl der Brautleute, jetzt angenommen zu sein. Zwei Menschen werden von Gott miteinander verbunden und prägen sich allein schon durch die sakramentale Eheschließung gegenseitig. Eine spätere Erklärung, dass diese Ehe nicht mehr bestehen soll, ändert nichts an dieser geistigen Wirklichkeit.

Wandlung: Auch wenn es in der Messfeier heißt, der Geist möge die Gaben «uns zum Leib und Blut Jesu Christi werden» lassen, handelt es sich um eine reale Veränderung der Wirklichkeit von Brot und Wein. Für uns meint also nicht, dass diese Wirklichkeit nicht objektiv, sondern nur durch unsere Anerkennung geschehe. Aussagen, die Wandlung hätteÄhnlichkeit mit einem Andenken, das nur eine Bedeutung für den Besitzer habe, gehen am Glauben der Kirche und der Intention Jesu vorbei.
Für uns bedeutet vielmehr, dass die Wandlung uns zuliebe geschieht - für uns und unserem Heil. Für uns meint aber auch, dass diese Realität nur von uns Menschen erkannt werden kann. Es bedarf eines Geistes, um diese geistige Wirklichkeit zu erkennen. (Eine Maus, die an einer gewandelten Hostie knabbert, nimmt nicht Christus in sich auf - ihr fehlt der Geist für diese Wirklichkeit).

Der Priester: Zum Priester wird man nicht durch einen rechtlichen Auftrag, der an dessen individuellen Fähigkeiten geknüpft ist - so wie ein Handwerker aufgrund seiner handwerklichen Kunst die Erlaubnis erhält, ein Gewerk auszuführen und deshalb die Baustelle betreten darf. Jemand wird zum Priester, indem er eine geistige Vollmacht erhält - real, wirklich. Die Ausweitung dieser Vollmacht geschieht also nicht durch eine «Baustellenverordnung», sondern ist gebunden an den Willen dessen, der diese Wirklichkeit verleiht. Wie ein Handwerker, der nicht nur den Auftrag, sondern das nötige Werkzeug und Arbeitsmaterial erhält.

Die Sakramente: Im Gegensatz zu den Sakramentalien (auch «rheinische Sakramente» genannt: Der Blasiussegen, das Aschekreuz, die «Tante im Kloster», das «Krippengucken» und «eine Opferkerze in der Kirche entzünden»), die ihre Wirkung tatsächlich erst durch die individuelle Beteiligung erhalten, vermitteln die Sakramente eine geistige Realität durch das Wirken Gottes (in leiblichen Zeichen). Wie auch beim Ehesakrament (siehe oben) und bei der Priesterweihe kehren die Getauften nach der Taufe real verändert in die Welt zurück; ebenso verlässt der Beichtende den Beichtstuhl in einem anderen Zustand, als er ihn betreten hat. Könnten wir diese geistige Realität mit leiblichen Augen sehen, dann könnten wir diese Veränderung auch bei denen sehen, von denen wir nichts vom Sakramentenempfang wissen.
Das gilt selbstverständlich auch für alle anderen Sakramente; Taufe, Firmung und Weihe verleihen der Seele ein unauslöschliches Merkmal; die Ehe bindet zwei Menschen zu einer neuen Zweier-Existenz, Eucharistie, Beichte und Krankensalbung führen den Menschen kraft ihrer seelischen Wirkung zum Heil.

Segen: Während der Glückwunsch von Menschen geäußert nur eine Absicht enthält («Mögest du Glück auf deinen Wegen haben!»), ist das Segenswort Gottes immer ein Versprechen Gottes, das sich auch real bemerkbar macht. Wer Segen vermittelt (der Priester segnet die Gemeinde, Eltern ihre Kinder, Ehepartner einander), stellt Menschen unter dieses Versprechen Gottes - wie unter einen Regen- oder Sonnenschirm. Ein Segen ist ein geistig-reales Angebot Gottes, dass aber durch den Gesegneten verworfen werden kann (derjenige «verlässt den Schutz des Schirmes»). Segen ist nicht nur wirksam, wenn der Gesegnete ihn bewusst empfängt und glaubt, - sondern wirksam durch den Spender, durch Gott; wird aber unwirksam, wenn er abgelehnt wird.
Die Vermittlung von Segen kann durch Worte, Gesten oder auch durch Gegenstände geschehen (zum Beispiel durch die Weihe von Medaillen, Kreuzen, Kerzen und Bildern); auch kann der Segen, den wir einem Menschen zusagen, sich auch auf die in seinem Dienst stehende Gegenstände oder Dinge beziehen (zum Beispiel auf Wohnungen oder Autos). Auch dieser Segen ist eine geistige-reale Wirklichkeit, die zwar nicht das Auto verändert (Autos haben keinen Geist), aber die Zusage Gottes mit dem Auto verbindet.

Moral: Gut und Böse sind nicht in das Belieben einer eigenen Definition gelegt. Ob ich die geistige Wirklichkeit einer anderen Person respektiere oder mit Füßen trete, ist real. Ich kann mich nicht darauf berufen, dass ich nunmal andere Ansichten habe - die geistige Wirklichkeit der Würde des Menschen ist objektiv. So sind auch meine Handlungen objektiv gegen diese Würde gerichtet oder im Einklang mit ihr. Dennoch bedarf es einer geistigen Einsicht, um das zu erkennen - allein der materielle Befund von Schaden oder Nutzen trügt oft genug. Zudem ist es nicht möglich, lediglich durch Erteilung einer Erlaubnis (beispielsweise zum vorehelichen Geschlechtsverkehr) diese real-existierende Ordnung des Seins zu verändern.

Gut und Böse können nicht durch die Naturwissenschaften erkannt werden, weil sie geistige Größen sind. Gut und Böse ergeben sich ebensowenig aus der puren Funktion, die diese Zuschreibung für den Zusammenhalt der Gesellschaft hat. Eine Gesellschaft, die sich Normen gibt, die gegen geistige Wirklichkeit der Seele und Würde des Menschen gerichtet sind, kann auf Dauer keinen Bestand haben.

Sünde: Ja, es gibt Vorschriften, die sind menschengemacht, irgendwie willkürlich (warum sollten man rechts und nicht links fahren? In England geht's doch auch!) und abhängig von der Kultur (schneuzt Euch in Südkorea niemals in ein Taschentuch!). Aber wer vorsätzlich sündigt, erleidet einen Schaden nicht nur, weil es eine Obrigkeit gibt. Er schadet sich (und andere) objektiv, real - und geistig. Seit Augustinus wird dieser Schaden sogar klar beschrieben: Er besteht in einem zunehmenden Mangel an Sein. Er fortwährend sündigt (auch wenn 's keiner merkt!), verliert sich selbst.

Erbsünde: Die «Vererbung» der Sündenfolgen (nicht nur von Adam und Eva an, sondern durch jeden, der selbst persönlich sündigt) ist weder rein sozial zu verstehen («ich werde in eine ungerechte Welt geboren, so bleibt mir nichts anderes übrig, als mich in den Strukturen dieser Welt schuldig zu machen)», noch biologistisch im Sinne eine «Gendefektes». Vielmehr handelt es sich um eine geistige Wirklichkeit, die verloren gegangen ist: Mit der Erbsünde ging der Menschen seiner natürlich eingesenkte Vorliebe für das Gottgewollte verlustig - diese Vorliebe kann seitdem auch nicht mehr an nachfolgende Generationen vermittelt werden.

Zeichen sehen: Darüberhinaus ergibt sich aus dem Gesagten, dass wir an eine objektive Bedeutung der Welt glauben, die aber von jedem selbst auf eigene Weise erkannt werden muss. In der Katechese «Zeichen sehen» habe ich ausgeführt, dass die Bedeutung von Ereignissen nicht rein fiktiv-subjektiv vom Menschen erschaffen wird - sondern objektiv vorhanden ist. Und gleichzeitig wird dort behauptet, dass die Bedeutung unter Umständen nicht allgemeingültig festgestellt werden kann - sondern für jeden, der dieses Ereignis erlebt, anders sein mag.

Der scheinbare Widerspruch hebt sich auf, indem wir erkennen, dass der Sinn von Ereignissen kein eigenes Sein hat wie ein Engel, eine Seele oder Gott. Der Sinn von Ereignissen ist wie ein Zeichen, ein Brief oder eine Frage - eine Aufmunterung oder Ermahnung. Wie eine Frage, die der Lehrer an eine ganze Klasse voller Schüler stellt («Habt ihr auch gut gelernt?!»), die aber jeder der Schüler aufgrund seiner eigenen Situation mal als Lob, mal als Kritik, mal als Wachruf versteht.

Gott lässt Ereignisse zu, die nicht von Ihm verursacht und eventuell auch nicht gewollt sind. Er lässt sie zu, nicht ohne darin einen größeren Sinn für uns Menschen zu bewirken. Dieser Sinn ist objektiv und wird nicht erst durch positives Denken vom Menschen erschaffen. Und dennoch kann er für jeden Menschen in etwas anderem bestehen, weil Gott für jeden Menschen einen anderen Gewinn im Blick hat.

Sinn: In einer bereits geschriebenen Katechese stelle ich ausführlich dar, dass der Glaube an eine größere als nur die sichtbare und messbare Welt etwas Urmenschliches ist. Der Mensch ist vom Wesen her auf diese größere Welt ausgerichtet; er fragt immer nach dem Sinn, der Bedeutung von allem. Weil er nicht anders kann, als ein geistiges Wesen nach der Rolle zu fragen, die jedes Ding, jeder Mensch und jedes Wort in der geistigen Wirklichkeit spielt. Ja, Psychologen sprechen von Menschen, die nirgendwo einen Sinn finden, als dringend behandlungsbedürftig - weil depressiv. Der Mensch ist Mensch, weil er nach Sinn sucht, solange er lebt. Und weil der Mensch einen Sinn weder schaffen noch zuschreiben, sondern nur erkennen kann, liegt sein Glück allein in der abjektiven Wirklichkeit der geistigen Welt - und in der Hand dessen, der sie ins Dasein gerufen hat.

Wenn die Welt den Geist verliert

Allerdings leben wir in einer Welt, die sich (zumindest im öffentlichen Diskurs) zum Dogma gemacht hat, nichts Sicheres über diese größere Wirklichkeit wissen zu wollen. Alles, was man nicht zählen, messen oder wiegen kann, sei nicht real. Eine objektive und allgemeingültige geistige Realität kann und darf es nicht geben. Ja, man hat regelrecht Angst vor einer solchen Annahme, denn das wäre ja das Ende der Toleranz - sagt man. Wer tatsächlich seine geistige Welt für objektiv und real hält, könne leicht übergriffig und gefährlich werden; es bestehe die Gefahr, dass er anderen sein Fantasieprodukt aufzwängen will.
Ohne geistige Realität ist die Wahrheitsfindung abgeschafft und das Leben viel entspannter. Denn ohne objektive geistige Wirklichkeit gibt es kein richtig oder falsch mehr von Religionen, Rechtssystemen oder Philosophien; keine Möglichkeit zur Überprüfung und damit schließlich auch kein Argument mehr - weder für noch gegen eine Kultur, Religion oder Fantasie. Das klingt nicht nur nach einer geschmeidigen Zukunft, das ist bereits eine Beschreibung der zur Zeit gültigen «political correctness». Natürlich gibt es noch eine Vorstellung von Gut und Böse, die Moral nicht gänzlich auf eine Geschmacksfrage reduziert («muss doch jeder selber wissen!»). Aber als Grund dafür dient der Gesellschaftsvertrag, an den sich jeder halten muss, weil wir in unserer Gesellschaft einen Konsens brauchen, um glücklich und in Wohlbefinden zusammenleben zu können. Allein diesem Ziel dient die menschengemachte Moral. Und wenn eine Moral nicht mehr dem Wohlbefinden dient, hat sie ausgedient.

Die Abschaffung des Menschen

Dass wir Christen uns dennoch verpflichtet sehen, von der größeren Wirklichkeit und der objektiven geistigen Welt zu sprechen, wird deshalb argwöhnisch beäugt und als ein zumindest potentieller Angriff auf den gesellschaftlichen Frieden gewertet. Dass wir dennoch diese Herausforderung annehmen, ist allerdings kein Eigennutz, der auf die Vermittlung des Glaubens zur Vermehrung der Kirchensteuer- einnahmen zielt. Wenn sich die Einschätzung, eine geistige Wirklichkeit gebe es nicht und sei nur eine ausgedachte, durchsetzt, dann steht viel mehr auf dem Spiel.
Denn wie wir es drehen und wenden: Die Leugnung einer objektiven geistigen Wirklichkeit ist die Abschaffung einer allgemeingültigen Moral; zugleich die Abschaffung einer jeden Religion; wenn es einen Gott gibt, dann nur als Vorstellung in den Köpfen der Menschen; und in den Köpfen der Menschen befindet sich nichts anderes als die Vorstellungen vermittelt durch eine Kultur, die durch die Evolution nur deshalb so geformt wurde, damit unsere Spezies - der Mensch - überlebt. Ja, der weltbekannte Autor C. S. Lewis sah sogar eine noch größere Dramatik: In der Leugnung einer realen geistigen Welt, die die Wirklichkeit auf subjektive und emotionale Reaktionen reduziert, sah er «Die Abschaffung des Menschen» («The Abolition of Man»).
Wer ein Christ ist, hat eigentlich nur die Wahl, sich gegen das gesellschaftliche Dogma zu stellen und mit allen Nachteilen, Shitstorms und Verdächtigungen überhäuft zu werden. Oder er verändert den christlichen Glauben auf eine Art und Weise, die heute ebenso verbreitet ist: Indem unsere Religion von allen übernatürlichen Elementen befreit wird.

Woher kommt's?

Es mag sein, dass die Abschaffung einer objektiven geistigen Welt im Gefolge der Aufklärung und der deterministischen Naturwissenschaften aufkam. Zwar hat die moderne Physik den Determinismus (das ist der Glaube, dass alles in dieser Welt allein durch physikalische Prozesse absolut und ausreichend bestimmt ist) längst abgelegt und überwunden; herumgesprochen hat sich diese Erkenntnis noch nicht wirklich. In den Köpfen vieler Theologen regiert noch immer die Angst, aufgrund eines Glaubens an Wunder, Fügung, Engel und Dämonen von aufgeklärten Naturwissenschaftlern belächelt zu werden. (Dazu steht so einiges in der biografischen Katechese «Die Evolution (m)eines Glaubens».)
Vielleicht hat die heutige Theologie wirklich Angst, den Anschluss an die Aufklärung zu verlieren - obwohl die deterministische Naturwissenschaft der Aufklärungszeit von der Physik inzwischen längst ad acta gelegt wurde. Vielleicht geht es aber auch nur um einen kurzfristigen Gewinn von gesellschaftlicher Akzeptanz - oder der subjektiven Überzeugung, jeder übernatürlich fundierte Glaube sei dem Untergang geweiht. Deshalb hilft meiner Meinung nach vor allem eines: Der Aufweis, dass gerade die übernatürliche Wirklichkeit der Natur des Menschen entspricht. Jeder Mensch verlangt nach geistiger Realität (weil er Mensch ist), auch wenn er sich das öffentlich nicht eingesteht. Und wir haben die Antwort darauf geschenkt bekommen.

Geistliche Derivate

Eine Katechese sollte immer Mut machen, Möglichkeiten aufzeigen und wo eben möglich von der Schönheit des Glaubens sprechen. Wenn eben möglich, sollte eine Katechese sich nicht mit der Beschreibung von Fehlentwicklungen aufhalten. An dieser Stelle möchte ich dennoch einen Blick auf die Defizite und Derivate (ein Derivat ist ein Produkt mit reduzierter Wirklichkeit) werfen. Dieser Blick kann helfen, die Tragfähigkeit und Tragweite einer auf die übernatürliche Wirklichkeit vertrauende Verkündigung zu entdecken.

  • Besonders schade finde ich die Erklärungen der Eucharistie, die ohne jede übernatürliche Wandlung auskommt: lediglich die Bedeutung des Brotes werde in der Eucharistie verändert - heißt es in vielen Erklärungen zur Kommunion. Diese Reduktion ist vor allem unnötig, weil die Kindern zumeist voll des Glaubens an eine größere Wirklichkeit zur Erstkommunionkatechese kommen (auch dann, wenn sie kein explizites religiöses Wissen mehr haben. Kinder leben immer in einer übernatürlichen Welt - bis sie durch eine von außen vermittelte Skepsis daran zu zweifeln beginnen).

  • Wenn also in der Eucharistiefeier keine wirkliche, wesenhafte Wandlung stattfindet, so braucht es auch keinen von Gott beauftragten Priester. Die Priesterweihe ist ja nur notwendig für die übernatürliche Wirklichkeit der Eucharistie. Für ein reines Gedächtnismahl reicht eine Beauftragung durch die Gemeinde.

  • Die Sakramente wirken angeblich nur durch ihre Schönheit, nicht durch Gott: Die heilende Wirkung von Ritualen bedarf einer anprechenden und emotionalen Durchführung - und Vorbereitung. Denn ohne jede übernatürliche Gnadenwirkung sind Sakramente nichts anderes als hilfreiche Rituale.

  • Gute Seelsorger spenden nicht nur Sakramente, ein gutes Gespräch hilft mindestens genauso, wenn nicht sogar mehr. Echte Seelsorger sind dann eher geschulte Therapeuten, die auch die Rituale der Sakramente beherrschen. Natürlich können auch geweihte Priester gute Seelsorger sein, aber nicht aufgrund ihrer Weihe, sondern durch ihre Fortbildungen in Krisenintervention und achtsamer Gesprächsführung.

  • Selbst Jesus Christus ist nicht wirklich Gott - eine solche Aussage findet sich selten in Schulbüchern oder Dogmatikvorlesungen seit Mitte des letzten Jahrhunderts.

  • Ein Messias und Heiland braucht keine göttliche Kraft oder Herkunft: Jesus heilt uns allein durch die Aktivierung von Selbstheilungsmechanismen, auch Glauben genannt.

  • Wenn die ganze Moral - mit besonderem Blick auf die Sexualmoral - nur Konvention ist und kein objektives Fundament hat, muss sie natürlich geändert werden, sobald sie nicht mehr konsensfähig ist und von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Denn ihr Zweck ist schließlich der Zusammenhalt der Gesellschaft - damit bestimmt auch die Gesellschaft, was Gut und Böse ist.

Wir können der Theologie die Angst nehmen, sich vor der Gesellschaft zu blamieren, aber wir können sie nicht vor Spott und Hohn bewahren. Denn das ist die Art und Weise unserer Zeit, auf eine Wirklichkeit zu reagieren, die man nicht wahrhaben will, aber nicht leugnen kann.
Genauso können wir jedem Getauften Mut machen, sich dieser Angst zum Trotz zur Wahrheit des Glaubens zu bekennen: Wir werden mit dieser Botschaft sehnlichst erwartet. Die Angst, sich öffentlich zu blamieren, sollte uns nicht davon abhalten, Menschen zu Gott zu führen und ihnen damit die größere Wirklichkeit zu eröffnen, auf die hin sie geschaffen wurden.
Nirgendwo anders liegt der Schlüssel zum Glück eines jeden Einzelnen.