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Ein Diskussionbeitrag zur Organspende aus christlicher Sicht

Die Öffentlichkeit kriegt von dieser Diskussion nicht soviel mit, aber innerhalb der katholischen Moraltheologie gibt es sie: Die Frage, ob man denn aus einem menschlichen Körper, der künstlich beatmet wird und dessen Herzfunktion von einer Maschine übernommen wurde, Organe entnehmen darf - falls keine Hirnfunktionen mehr nachweisbar sind. Innerhalb der Theologie ist dabei die Frage entscheidend, ob der hirntote Mensch als tot bezeichnet werden darf - auch wenn seine übrigen Körperfunktionen zum Teil noch eigenständig weiterarbeiten.
Eine schwierige Diskussion! Vor allem weil die Frage nach dem exakten Todeszeitpunkt und den untrüglich Kriterien dafür nicht allein medizinisch beantwortet werden kann. Der Tod ist vor allem ein philosophisches Konzept - und letztlich auch ein religiöses.
Was aber, wenn wir den Streit um den exakten Todeszeitpunkt aus der Diskussion ausklammern - und die Frage nach Organspende einmal ganz anders stellen?


Wohlgemerkt: Die folgenden Überlegungen stellen keine Katechese dar - sie sind also keine Wiedergabe der Lehre der katholischen Kirche. Dieser Text steht in der Kategorie «Meinung». Er ist also nur eine Überlegung. Aber als solche kann er eine festgefahrene Diskussion vielleicht in eine neue Richtung lenken.


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Dieser Diskussionsbeitrag ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 140) erhältlich: Kostenlose Bestellung

Das Problem der bisherigen Diskussion

In der Frage, ob und unter welchen Umständen eine Organspende erlaubt sei, hing bislang vor allem an der Definition des Todeszeitpunktes. Aus einem lebenden Körper, so war die übereinstimmende Auskunft von Medizinern, Juristen und Philosophen, dürfen keine lebenswichtigen Organe entnommen werden, denn das käme der Tötung eines Menschen gleich.

Die Frage, ob die Tötung dieses einen Menschen (dem Spender der Organe) nicht gerechtfertigt sei, wenn man dagegen so viele andere Menschen (die Empfänger der Organe) retten könne, wird in Deutschland nicht diskutiert. Gottseidank! Im deutschen Rechtssystem ist eine Abwägung von "Leben gegen Leben" nicht vorgesehen. Das mag in anderen Staaten und Rechtssystemen anders sein.

Es muss also zuvor festgestellt werden, ob der potentielle Spender von Organen im umfassenden Sinne tot ist. Und damit ist eine Diskussion eröffnet worden, was denn tot nun genau bedeutet.

Der Tod eines Menschen wird allgemein angenommen, wenn sowohl Herzschlag als auch Atmung über einen bestimmten Zeitraum hinweg nicht mehr feststellbar sind. Diese Feststellung des Todes gilt auch heute noch «im Allgemeinen» (verbunden oft mit der Messung des Sauerstoffgehaltes im Blut und der Körpertemperatur und anderen Indikatoren). Aber für die spezielle Situation einer Organspende ist diese Definition nicht tauglich. Wenn erst abgewartet wird, ob der Herzschlag und die Atmung nicht wieder von alleine einsetzten, sind die meisten Organe durch die Unterversorgung mit Sauerstoff und dem nicht vorhandenen Blutkreislauf unbrauchbar für eine Transplantation geworden.
Wenn man also lebenswichtige innere Organe transplantieren will, braucht man eine andere Definition von tot, bzw. andere Kriterien für die Feststellung des Todeszeitpunktes.
Aber: In diese Diskussion will ich an dieser Stelle erst gar nicht einsteigen.
Der Tod in der christlichen Anthropologie

Seit es nicht nur in der Politik, sondern auch in vielen Krankenhäusern einen Ethikbeirat gibt, werden auch die christlichen Kirchen um eine Stellungnahme in dieser Frage gebeten. Für uns Katholiken ist diese Frage jedoch eher eine philosophische Frage, die sich aus der christlichen Lehre vom Menschen als Leib-Seele-Einheit ergibt.

Dagegen ist die Frage, ob wir einen lebenden Menschen töten dürfen (zum Beispiel durch die Entnahme von Organen) - oder ob wir aus einem toten Körper Organe entnehmen und in einen lebenden Menschen verpflanzen dürfen, eine ethische Frage. In dieser Hinsicht spielt auch das Lehramt der Kirche für uns Katholiken eine große Rolle. Aber zur Frage des Todeszeitpunktes hat sich das Lehramt der Kirche nicht geäußert: Das überlässt die Kirche den Katholiken, die zugleich Philosophen und medizinisch informiert sind.
Wenn die Seele den Leib verlässt

Wenn der Mensch eine Leib-Seele-Einheit ist, dann ist der Tod eines Menschen identisch mit der Trennung der Seele vom Leib. (Hat sich die Seele vom Leib getrennt, sprechen wir nicht mehr vom Leib, sondern vom Leichnam - beziehungsweise in der medizinischen Ausdrucksweise vom Körper.)
Den genauen Zeitpunkt des Verlassens der Seele (also des Todes) kennt die Kirche nicht - das spielt zum Beispiel eine Rolle bei der Spendung der Krankensalbung:

Dieses Sakrament darf (wie jedes Sakrament) nur den Lebenden gespendet werden. Die Zurückhaltung der Kirche, nicht genau bestimmen zu können, wann nun die Trennung der Seele exakt vollzogen ist, spiegelt sich in der Bestimmung wider, das Sakrament der Krankensalbung bis zu einer halben Stunde nach dem offensichtlichen, körperlich feststellbaren Tod eines Menschen zu spenden.

Die Seele ist in der christlichen Philosophie das Lebensprinzip. Alles Lebendige hat eine Seele, auch die Pflanzen und die Tiere. Die Pflanzenseele ist Sitz der grundlegenden Prinzipien des Lebendigen, die Tierseele hat zudem die Fähigkeit, Sinneseindrücke zu einem inneren Abbild zu verarbeiten. Die menschliche Seele ist darüber hinaus eine geistige Seele und damit Quelle der Persönlichkeit.
Somit können wir sicher sein, dass jemand, der ansprechbar und bei Bewusstsein ist, im vollen Sinne lebt. Aber selbst, wenn sich die Merkmale des Lebendigen bei einem Menschen darauf reduzieren, dass er nur noch einen Stoffwechsel hat - selbst, wenn Herzschlag und Atmung nur durch (maschinelle) Hilfe funktionieren -, müssen wir von einem lebendigen Körper sprechen. Auch das allgemein bekannte Kriterium des Hirntodes ist kein Grund, die Abwesenheit der Seele anzunehmen: Jemand, der lebt, lebt nicht nur durch sein Gehirn.

Wieviele Seelen hat der Mensch?

Nicht die Frage nach dem genauen Todeszeitpunkt muss geklärt werden, sondern die Frage, wie viele Seelen der Mensch denn nun genau hat.
Man könnte nämlich annehmen, dass die Einteilung in Pflanzen- ,Tier- und Geistseele verschiedene eigenständige Größen auch im Menschen sind. Manchmal sprechen Philosophen anderer Religionen (zum Beispiel der Juden) von einer Dreiheit im Menschen: Leib, Seele und Geist. Demnach hätte der Geist, der Träger der Persönlichkeit ist, den hirntoten Menschen schon verlassen, während seine Seele noch bestimmte Phänomene des Lebendigen aufrechterhält.

Ja, man könnte sogar annehmen, dass verschiedene Organe als eigene lebendige Einheiten jeweils eine eigene, immaterielle Substanz haben; dass man also von verschiedenen «Seelen» oder «seelischen Untereinheiten» sprechen kann. Diese Meinung hat es gelegentlich (wenn auch selten) im frühen Augustinismus gegeben und ist als «Pluralitas formarum» bekannt. William von Ockham gehört zu den Vertretern der Drei-Formen-Lehre; Duns Scotus vertrat immerhin eine Zwei-Formen-Lehre.

Die meisten christliche Philosophen und Theologen (ausgehend von Albertus Magnus und Thomas von Aquin) haben diese Drei- oder Mehrteilung der menschlichen Seele abgelehnt, um die Einheit des Menschen sicherzustellen: Zur Pflanzenseele kommt nicht irgendwann eine Tier- und dann eine Geistseele hinzu. Der Mensch ist eine Leib-Seele-Einheit. Damit wäre eine erste Aufgabe der Selbtvergewisserung der christlichen Philosophie umschrieben:

Hält auch eine aktuelle christliche Philosophie des Menschen daran fest,
dass es allein eine individuelle Seele des Menschen ist,
die der Grund für alle Kennzeichen des Lebendigen ist?

Wenn ja, dann wäre eine Organspende nicht möglich, solange ein möglicher Organspender noch Anzeichen von Leben erkennen lässt. Das gilt dann auch für jeden an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossener Patient, selbst, wenn dessen Hirntod zweifelsfrei erwiesen ist.
Das wäre aber ein Ende jeder Organspende-Debatte - oder zumindest der Beteiligung katholischer Philosophen an diesen Debatten in den Ethikräten.

Das Verbot der Lebend-Spenden

Wir können die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit von Organspenden - ohne uns in der Frage nach dem Todeszeitpunkt zu verzetteln - aber auch umgehen, indem wir zunächst akzeptieren, dass alle für eine Organspende in Frage kommenden möglichen Spender nicht tot sind, sondern eben nur sterbend. Und zugleich das Verbot von Lebend-Spenden in den Blick nehmen.
In Deutschland ist die Lebend-Spende von Organen nur bei direkten Angehörigen erlaubt - und nur dann, wenn es sich um «paarige Organe» handelt - also Organe, die natürlicherweise doppelt angelegt sind, zum Beispiel die Nieren. Ein Bruder darf also von seiner Schwester eine Niere annehmen, wenn seine eigenen Nieren nicht mehr funktionieren. Er muss damit nicht bis zu ihrem Tod warten. - Auch Hautspenden (nach großflächigen Verbrennungen) sind unter nahen Angehörigen möglich - und weitere, spezielle Transplantationen.
Ansonsten spielt die Frage nach den Lebendspenden in der jetzigen Diskussion keine große Rolle. Das staatliche Verbot der Lebendspenden außer in den genannten Fällen wird nicht hinterfragt: Organhandel und Verkauf seiner eigenen Organe wären die Folge - und eindeutig ethisch verwerflich.
Aber dieses Tabu möchte ich hier einmal brechen. Nicht, um nun doch Organhandel und Selbstverkauf zu ermöglich; sondern um die Diskussion um die Organtransplantation von einer anderen Warte her anzugehen.
Die zweite Frage, die ich als klärungsbedürftig in den Raum stellen möchte, könnte man nämlich folgendermaßen formulieren:

Würde sich die Erlaubtheit der Organspende nicht ganz anders darstellen,
wenn wir nicht nach dem Todeszeitpunkt des Spenders fragen,
sondern eine Lebendspende von Organen erwägen?

Natürlich wären dann immer noch bestimmte Organspenden nicht möglich, nämlich die Übertragung aller Organe, deren Entnahme unmittelbar zum Tod des Spenders führen würden. Die Entnahme (beispielsweise) beider Nieren gehört aber nicht dazu: Ein (hirntoter) Sterbender könnte bis zu seinem natürlichen Tod über die Dialyse entgiftet werden.
Das mag auch für andere Organe gelten, deren Entnahme aus einem lebenden Körper auch dann gerechtfertigt werden könnten, wenn diese langfristig zum Tod führen würde - aber nicht unmittelbar durch die Entnahme. Wenn der Spender mit Sicherheit durch Abschaltung der Herz-Lungen-Maschine oder anderer lebenserhaltender System sterben wird und nicht am Fehlen der entnommenen Organe, könnte dies ethisch gerechtfertigt sein.
Dazu bedarf es aber weiterer Informationen - vor allem auch aus der Medizin. Die Frage, woran schließlich ein Mensch sterben wird, bleibt jedoch selbst für einen Mediziner spekulativ; deshalb sind Gespräche mit vielen weiteren Disziplinen nötig.

Nur eine Anregung zur Diskussion: Weitere Klärung notwendig!

Ich betrachte diese zwei Fragen an die Philosophie und an die Medizin (erstens: nach der bleibenden Verwerfung der pluralitas formarum; zweitens: nach der Möglichkeit einer Lebendspende von Organen) als bislang unbeantwortet. Ich kenne die Antworten nicht; die Tatsache, dass ich diese Fragen stelle, bedeutet nicht, dass ich eine bestimmte Antwort erwarte.

Vielleicht ergeben sich aus der Diskussion dieser beiden Fragen weitere Fragen und schließlich Lösungen an ganz anderer Stelle - mit ganz unerwarteten Antworten. Auch das weiß ich nicht, vielleicht führen meine Gedanken in eine Sackgasse. Dennoch scheint es mir wichtig, die Diskussion um den Todeszeitpunkt nicht zum alleinigen Streitpunkt in der Debatte um die ethische Bewertung von Organspenden zu machen. Auch dann, wenn sich neue Fragen als unbedacht erweisen sollten. Perspektivwechsel tun fast immer gut!

Noch einmal rufe ich meine Eingangsbemerkung in Erinnerung: diese Gedanken stehen nicht in der Reihe der «Katechesen»! Auch, wenn die aktuelle Kategorie «Meinung» auch nicht ganz treffend ist (eine Frage ist etwas anderes als eine «Meinung»), ist es wichtig zu bedenken:

Dieser kleine Aufsatz ist keine Darstellung des katholischen Glaubens
und beinhaltet keine abgeschlossene Erkenntnis.

Es handelt sich hier nur um einen privaten Diskussionsbeitrag,
der lediglich Fragen stellen möchte.