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KARL-LEISNER-JUGEND |
Gott ist Liebe (Joh 4,8.16)
Sechs Predigten über die erste Enzyklika des Papstes
|
Liebe Gemeinde!
"Deus caritas est.
Gott ist die Liebe." Diesen Satz aus dem 1. Johannesbrief kennen seit einem
halben Jahr fast alle Menschen. Denn so hat Papst Benedikt XVI. seine erste
Enzyklika überschrieben. Ich möchte Ihnen dieses päpstliche
Lehrschreiben heute und an den folgenden Sonntagen vorstellen und die wichtigsten
Aussagen erklären.
Heute möchte ich beginnen mit der Grundaussage.
Was hören wir eigentlich aus dem programmatischen Wort heraus "Gott
ist die Liebe"? Was ist gemeint? Unser Papst sagt, hier sei die Mitte des
christlichen Glaubens ausgesprochen, das christliche Gottesbild wie auch
das Bild vom Menschen. Vielleicht wird es klarer, wenn ich es negativ sage:
Die Mitte unseres Glaubens ist nicht die Erkenntnis, ebensowenig ein Ritus,
nicht eine Unterwerfung, nicht eine schriftliche Urkunde, nicht eine bestimmte
Tradition; unser Glaube hat es nicht mit Macht zu tun, weder mit der göttlichen
Macht noch dem Versprechen, durch den Glauben mehr Macht zu haben. Und
so könnte ich fortfahren... Nein, all das macht unseren Glauben nicht
aus, sondern einzig die Liebe verdient es, als das Wesentliche des Glaubens
genannt zu werden. Wir glauben an einen Gott der Liebe, und das heißt
zuerst und vor allem: Gott ist ein Jemand, eine Person mit Name und Gesicht,
mit dem Vermögen zu lieben und geliebt zu werden.
So heißt
es im 1. Joh 4,7f: "Liebe Brüder, wir wollen einander lieben; denn
die Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt
Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe."
Und weiter (V. 10): "Nicht darin besteht die Liebe, daß wir Gott
geliebt haben, sondern daß er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne
für unsere Sünden gesandt hat."
Es lohnt sich, kurz darüber
nachzudenken, warum Papst Benedikt ausgerechnet dieses Thema zum Inhalt
seiner ersten Enzyklika erwählt hat. Er selbst spricht davon, daß dies
"eine Botschaft von hoher Aktualität und von ganz praktischer Bedeutung"
ist, weil wir in einer Welt leben, "in der mit dem Namen Gottes bisweilen
die Rache oder gar die Pflicht zu Haß und Gewalt verbunden wird".
(DCE n. 1) Damit erinnert er an die Bedrohung der heutigen Welt durch eine
neue Form des Terrorismus, der insofern nie dagewesene Ausmaße angenommen
hat, als hier die religiösen Gefühle gläubiger Muslime für
die inhumansten Zwecke eingespannt und mißbraucht werden. Offenbar
hegt der Papst die Hoffnung, daß die Menschen guten Willens diesem
verderblichen Denken leichter widerstehen können, wenn sie sich bewußt
machen, daß Gott die Liebe ist und darum niemals zur Legitimation
von Gewaltanwendung herangezogen werden kann.
Eine zweite Absicht richtet
sich mehr auf uns Christen in Europa, die wir die Botschaft von der Liebe
Gottes schon so lange kennen und tradieren und doch anscheinend immer noch
weit entfernt davon sind, sie wirklich innerlich aufgenommen und umgesetzt
zu haben. Vielmehr sieht es ganz so aus, als taumelten wir immer zwischen
zwei Extremen hin und her, ohne die rechte Mitte zu finden: Das eine Extrem
betont Gottes Heiligkeit und entsprechend seinen Zorn über die Sünde;
das Evangelium wird dann als Drohbotschaft verstanden; das äußere
Verhalten wird durch sozialen Druck und durch Angstmache reguliert; man
tut zwar das Rechte, aber nur ungern, gezwungen und ohne Überzeugung,
und man will aus diesem Zwang ausbrechen. - Das andere Extrem betont Gottes
nachsichtige Güte und Barmherzigkeit, angesichts derer die Rede von
Sünde antiquiert erscheint; das Evangelium wird als Bestätigung
des Menschen verstanden, als freies Angebot, dem keinerlei Verbindlichkeit
zukommt, als folgenloser Appell an das Werteempfinden der Menschen; die
Menschen folgen ihren Launen und beginnen sich wieder nach strenger Ordnung
sehnen.
Obwohl das ein wenig schwarz-weiß gezeichnet ist, trifft
es wohl weitgehend zu. Ich vermute, der Papst wollte mit seiner Enzyklika
zeigen, daß beide Extreme vom Unverständnis der Liebe Gottes
geprägt sind. Das erste nicht, weil es ganz auf Angst und Druck baut,
das zweite aber ebensowenig, weil Liebe hier mit unverbindlicher Nachsichtigkeit
verwechselt wird. Denn man spricht hier vom harmlosen "lieben Gott" und
hat ein Bild von Gott im Kopf wie das von einem Urgroßvater, der
seinen Lebensabend im Heim verbringt. Man besucht ihn an Feiertagen und
hört sich seine alten Geschichten an. Grundsätzlich ist man ihm
schon dankbar, vor allem, wenn er auch jetzt noch Geschenke verteilt oder
weil man sich ein Erbe erwartet. Aber ansonsten läßt man ihn
im heutigen Leben nicht mitreden. Ein solcher Glaube kostet nicht viel,
bringt aber auch nichts; er ist wirkungslos, und die Rede von Liebe ist
unwahr. Das sagt die heutige Lesung ganz klar: "Wer sagt: Ich habe ihn
erkannt!, aber seine Gebote nicht hält, ist ein Lügner, und die
Wahrheit ist nicht in ihm." (1 Joh 2,4)
Liebe Gemeinde! Die Enzyklika
des Papstes könnte man als Kommentar zu diesem Satz auffassen: "Wer
sagt: Ich habe ihn erkannt!, aber seine Gebote nicht hält, ist ein
Lügner, und die Wahrheit ist nicht in ihm." Als einen Kommentar jedoch,
der an die Freiheit des Hörers oder Lesers appelliert, nicht als Rückfall
in die alte Form der Drohbotschaft. Denn so könnte man den Satz ja
auch verstehen und dann mißdeuten: Wenn ihr die Gebote nicht haltet,
dann seid ihr Lügner. Fangt also schon mal an, euch vor dem Zorn Gottes
zu fürchten! So nicht! Eher so: Lügt euch nicht in die Tasche!
Macht euch nichts vor, und laßt euch nichts vormachen! Glaubt ihr
wirklich, daß ihr freier werdet, wenn ihr das Gebot der Liebe in
den Wind schlagt? Daß ihr frei werdet, wenn ihr den Tag des Herrn,
den Sonntag, zum Werktag degradiert? Es ist doch gerade umgekehrt: Die
Gesetze der Ökonomie zwingen immer mehr Menschen, rund um die Uhr,
auch nachts und sonntags, zu arbeiten. Sie machen uns nicht frei, sie machen
uns kaputt. Seht ihr nicht, daß Gottes Gebote unser bester Schutz
davor sind, ausgebeutet und kaputt gemacht zu werden?
Der Glaube ist
nichts Theoretisches, sondern etwas Praktisches, er ist eine Praxis, ein
Handeln. Johannes sagt dies mit folgendem etwas merkwürdig klingenden
Satz: "Wenn wir seine Gebote halten, erkennen wir, daß wir ihn erkannt
haben." (1 Joh 2,3) Gott erkennen, an Gott glauben heißt immer auch,
tun, was er uns sagt, denn er sagt uns nichts anderes, als in der Liebe
zu bleiben und aus der Liebe zu leben. Glauben heißt, auf Gottes
Liebe antworten und sie erwidern. "Wer sich aber an sein Wort hält,
in dem ist die Gottesliebe wahrhaft vollendet." (1 Joh 2,5) In allen Geboten
geht es immer nur um das Eine: die Liebe zu Gott und zum Nächsten
umzusetzen. Dann halten wir uns an sein Wort und erfahren, daß der
Glaube uns trägt.
Liebe Gemeinde!
"Gott ist
(die) Liebe." Heute hören wir die Aussage wieder, die der Papst als
Überschrift seiner ersten Enzyklika gewählt hat. In meiner 2.
Predigt darüber möchte ich über die verschiedenen Bedeutungen
des Wortes "Liebe" sprechen.
Der Papst macht auf die Schwierigkeit
aufmerksam: "Das Wort ,,Liebe'' ist heute zu einem der meist gebrauchten
und auch mißbrauchten Wörter geworden, mit dem wir völlig
verschiedene Bedeutungen verbinden." (DCE n. 2) Und er zählt einige
Beispiele auf: Vaterlandsliebe, Liebe zum Beruf, Liebe unter Freunden,
Liebe zur Arbeit, Liebe zwischen den Eltern und ihren Kindern, zwischen
Geschwistern und Verwandten, Liebe zum Nächsten und Liebe zu Gott.
Er fragt: Gehören alle diese Formen zusammen, ist Liebe eine einzige
Wirklichkeit? Oder haben wir es mit vielen verschiedenen Phänomenen
zu tun, die nur zufälligerweise mit einem einzigen Wort bezeichnet
werden?
Immerhin gibt es in anderen Sprachen verschiedene Wörter,
während wir nur dies eine Wort "Liebe" zur Verfügung haben. Im
Griechischen und Lateinischen gibt es drei Arten von Liebe:
Eros /amor - Philia / dilectio - Agape/ caritas.
Der Eros meint die Liebe
zwischen Mann und Frau, die bräutliche Liebe und v.a. das Verliebtsein.
Der Eros kann den Menschen geradezu übermächtigen, er kommt gleichsam
von außen über ihn. Der Eros richtet sich ganz exklusiv auf
einen einzigen Menschen. - Die Agape (Caritas) meint die Nächstenliebe.
Sie kommt aus dem Eigenen des Menschen, insbesondere aus der gläubigen
Einsicht. Es handelt sich um die schenkende, selbstvergessene Liebe, die
sich auf viele Menschen erstrecken kann und soll, letztlich sogar auf alle.
Dazwischen
liegt die Freundschaftsliebe. Von ihr handelt die Enzyklika nur am Rande,
Jesus aber spricht im heutigen Evangelium ausdrücklich von ihr: Sie
steht im Gegensatz zum Verhältnis von Herr und Knecht. Sie meint wahre
Zuneigung, die aber nicht erotisch ist und darum auch nicht exklusiv. Man
kann viele Freunde haben, verliebt ist man aber nur in eine Person. Die
Freundschaftsliebe basiert auf einer Geistesverwandtschaft, die große
Freude auslöst: Da ist ja einer, der genauso denkt und empfindet wie
ich! Einer, der mich versteht!
Das erste große Thema der Enzyklika
ist aber das Verhältnis von Eros und Agape. Um das Problem zu sehen,
müssen wir uns ihre gegensätzlichen Eigenschaften noch einmal
vor Augen führen:
Der Eros kommt überfallartig über
mich, wie man am Beispiel des Verliebtseins sieht. Der / die andere überwältigt
mich und verheißt mir ein unbändiges Glück. Dieses Gefühl
hebt mich über alles hinaus, was ich im Alltag erlebe, und schenkt
mir unsagbare Lebensfreude und Erfüllung. Darum wird der Eros gerne
mit der Trunkenheit und dem Rausch verglichen, ja mit Raserei und Wahnsinn.
Darum ist er auch oft vergöttlicht worden; viele heidnische Religionen
hatten einen Gott der Liebe, die Römer etwa den Gott Amor, mit dem
man sich im Kult verbinden wollte. So kam es zur sog. Tempelprostitution,
was von der Bibel scharf als Perversion und Abgötterei verurteilt
wurde.
Wie anders ist da die Agape, die Caritas, sie hat nichts davon,
ist gleichsam nüchtern und vergeistigt. Diese Liebe kommt nicht wie
ein Überfall von außen, sondern mehr von innen, aus der Vernunft
und als Frucht des Glaubens. Hinter ihr steht nicht die Selbstsucht, sondern
die Selbstlosigkeit; sie will nichts gewinnen, sondern frei schenken.
Der
Eros ist somit begehrend, die Agape schenkend, der Eros egoistisch, die
Agape selbstlos, der Eros will empfangen, die Agape geben, der Eros kommt
aus einer Leere, die Agape aus einer Fülle.
Papst Benedikt stellt
nun fest, daß beide Formen der Liebe einander bedingen, und darum
gehören sie zusammen und bilden beide das eine Phänomen der Liebe.
Ohne die Ergänzung durch die andere Form der Liebe wird der Eros schrankenlos,
ja, zerstörerisch. In diesem Zusammenhang fällt der berühmte
und oft zitierte Satz:
"Der zum ,Sex' degradierte Eros wird zur Ware,
zur bloßen ,Sache'; man kann ihn kaufen und verkaufen, ja, der Mensch
selbst wird dabei zur Ware." (DCE n. 5)
Zur Ware werden will kein
Mensch, das sieht jeder ein. Dies ist aber erst die Endstufe eine Verfehlung,
deren Vorstufen nicht so klar als Irrformen der Liebe erkannt werden. Daß
man überhaupt von einem anderen Menschen erwartet, daß er mich
endgültig glücklich machen kann - darin liegt schon die Verkehrung,
ein doppelter Irrtum, denn
1. sollte die wahre Liebe nicht fragen:
Wie kann ich glücklich werden?, sondern: Wie kann ich den anderen
glücklich machen?
2. kann nur Gott endgültiges Glück
schenken. Ein Mensch ist mit dieser Aufgabe überfordert.
In der
Enzyklika wird besonders der 1. Punkt betont. Wahre Liebe ist erst dann
gegeben, wenn der egoistische Zug überwunden ist, wenn die Liebe das
Gute zuerst für den Geliebten will, wenn sie darum auf das eigene
Glück verzichten kann und will, wenn sie bereit wird zum Opfer. (DCE
n. 6) Jesus drückt dies im heutigen Evangelium so aus: "Es gibt keine
größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde
hingibt." (Joh 15,13) Wer liebt, der sehnt sich so sehr nach dem Glück
des anderen, daß er sein eigenes Glück hintanstellt, ja, sein
Leben hingeben kann, wenn die Liebe entsprechend groß ist. Der Papst
bringt ein anderes Jesuswort ins Spiel (Lk 17,33): "Wer sein Leben zu bewahren
sucht, wird es verlieren; wer es dagegen verliert, wird es gewinnen." Damit
wird ein tiefer Zusammenhang von Lieben und Sterben aufgezeigt; der Papst
spricht vom
"Weg aus dem in sich verschlossenen Ich zur Freigabe des
Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung, ja, zur Findung Gottes".
(DCE n. 6)
Das ist eine tiefe Einsicht: Um wahres Glück zu finden,
muß ich aus mir herausgehen, mein verschlossenes Ich sprengen, mich
vergessen, mich hingeben, an den anderen übergeben und so in gewisser
Weise sterben, aber ich werde mich dadurch gerade nicht verlieren, sondern
das Leben gewinnen. Denn so ist Gott: Gott ist hingebende Liebe, im scheinbaren
Verlieren gewährt er das Leben.
Dies also ist das erste große
Thema der Enzyklika: in der Vielfalt der verschiedenen Formen der Liebe
ihre Einheit erkennen. Die Antwort ist in der christlichen Offenbarung
enthalten, die sagt: Alle Liebe wurzelt in Gott. Auch die bräutliche
Liebe, der Eros, stammt von Gott, aber sie ist nicht selbst göttlich,
sondern bedarf der Ergänzung, sonst stürzt sie ab. Die Ergänzung
kommt ihr von der schenkenden Liebe zu, der Agape. Diese aber kommt uns
zuerst von Gott selbst entgegen. "Nicht darin besteht die Liebe, daß wir
Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat." (1 Joh 4,10)
Diese Liebe Gottes ist das Angebot seiner Freundschaft. Wir dürfen
Gottes Freunde sein, nicht nur seine Knechte, dürfen auf einer Augenhöhe
mit ihm stehen, mit ihm geistesverwandt werden. Und Paulus, der dies tief
erfahren hat, ruft aus: "Wenn Gott für uns ist, wer ist dann gegen
uns?" (Röm 8,31) Wenn Gott mein Freund ist, was können meine
Feinde dann noch gegen mich ausrichten? Wovor muß ich dann noch Angst
haben?
Liebe Gemeinde!
"Wenn Gott uns so geliebt hat,
müssen auch wir einander lieben." (1 Joh 4,11) Der Evangelist Johannes
stellt diese Folgerung auf angesichts der überraschenden Aussage,
daß "Gott (die) Liebe ist." (1 Joh 4,8.16) Papst Benedikt kommentiert
diese Aussage dahingehend, daß uns hier ein ganz neues Gottesbild
vor Augen gestellt wird. (DCE n. 9) Für uns erscheint diese Aussage
vielleicht gar nicht so neu, weil unsere Tradition sie seit Jahrhunderten
überliefert, so daß sie eher alt und nichtssagend zu sein scheint.
Aber der Schein trügt, denn auch in unserer Zeit herrscht ein
Denken vor, in das die Liebe nicht so recht hineinpaßt. Das Denken,
das ich meine, ist vom Willen zur Macht bestimmt. Der moderne Mensch hat,
wie der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker gesagt
hat, mit Wissenschaft und Technik das Wagnis einer "Erkenntnis ohne Liebe"
unternommen.1 Am Anfang der Neuzeit hoffte René DESCARTES, daß die
Technik uns Menschen "zu Herren und Eigentümern der Natur machen"
könnte und daß insbesondere die Medizin uns vor allerlei Krankheiten,
"ja vielleicht sogar auch vor Altersschwäche bewahren" können
müßte.2 Er sah den Leib des Menschen als eine Maschine an, die
man mit den nötigen Kenntnissen beliebig lange in Betrieb erhalten
kann. Seit diesen Worten sind gut 300 Jahre vergangen, die Atombombe ist
gebaut worden und hat ihren Schrecken über die Menschheit gelegt.
Aber die Menschen träumen weiter vom Sieg der Technik über die
Natur und verdrängen ihre eigene Sterblichkeit. Sie setzen auf die
machtförmige Wissenschaft und überlassen der Liebe höchstens
den zweiten Platz in ihrem Leben.
Fragen Sie einmal in Ihrem Bekanntenkreis:
Was ist die alles bestimmende Wirklichkeit? Sie werden verschiedene Antworten
bekommen, aber wohl kaum hören, daß es die Liebe sei. Viele
werden sagen: das Geld; andere werden auf Wissenschaft und Technik verweisen,
wieder andere auf die militärische Macht. Da sind sich selbst Präsident
Bush und der iranische Diktator Mahmud Ahmadineschad vermutlich einig.
Denn auch wenn sie beide ein verschiedenes Gottesbild haben, so wird dieses
doch in genau diesem einen Punkt übereinstimmen: ihr Gott ist der
Allmächtige, und jeder will seinen Gott durch den Erfolg erweisen,
den er in der Geschichte errungen hat - letztlich durch Inanspruchnahme
menschlicher Macht. Aber wir brauchen gar nicht so weit zu gehen und die
Inhaber höchster Ämter zu befragen, auch der kleine Mann auf
der Straße wird so urteilen: Wenn es überhaupt einen Gott gibt,
dann muß er die alles bestimmende Wirklichkeit sein, d.h. er wird
zur Durchsetzung seiner Interessen alle seine Macht einsetzen. Und wenn
er dies nicht tut, dann gibt es ihn gar nicht. Das meine ich, wenn ich
eingangs sagte, auch unser Denken sei vom Willen zur Macht bestimmt oder
jedenfalls infiziert.
Die Bibel fordert uns heraus, dieses unser Denken
in Frage stellen zu lassen und zu ändern. Wir sollen uns auf die überraschende
Botschaft einlassen, daß Gott zwar allmächtig ist, aber daß er
vor allem die Liebe ist und daß er deshalb nicht einfach die Wirklichkeit
nach seiner beliebigen Willkür beherrscht, sondern der menschlichen
Freiheit Raum zur Entfaltung läßt. Gott hat in seiner Liebe
zu seinen Geschöpfen so großen Respekt vor unserer Freiheit,
daß er seine eigene Freiheit und Macht zurückzieht, selbst dann,
wenn die Freiheit zum Bösen mißbraucht wird.
Wie wenig wir
das wirklich verstanden haben, zeigt sich daran, daß wir immer sogleich
entrüstet fragen, warum Gott denn dies und das zugelassen hat. Warum
läßt Gott es zu, daß so viele Verbrechen geschehen? Warum
geht es den Guten so schlecht und den Bösen so gut? - Ich behaupte
nicht, daß ich eine Antwort auf diese oft wirklich bedrängende
Frage wüßte. Die kann nur Gott selbst geben. Aber dies eine
sollte doch klar sein: Wenn Gott auch die Bösen zum Guten führen
will - was ich fest glaube -, dann kann er das nur erreichen, indem er
durch seine werbende Liebe ihr Herz erreicht; dann muß er wohl viel
Geduld haben - wie uns die Heilige Schrift ausdrücklich versichert
(Röm 2,4; 2 Petr 3,9) -, denn er kann nicht einfach mit Gewalt durchsetzen,
was doch aus Einsicht und freier Entscheidung kommen soll. Die Liebe zieht
sich darum immer wieder zurück und gebraucht keine Gewalt, sondern
wartet in selbstgewählter Ohnmacht ab, bis der andere verstanden hat.
Und gerade so erweist sich die Liebe als die größte Macht dieser
Welt, als diejenige Wirklichkeit, die uns letztlich aus der Macht der Nichtliebe
und des Todes erlösen wird. Aber das ist ein Glaubenssatz, der durch
die Erfahrung nur unvollkommen gedeckt ist.
Der Papst weist in diesem
Zusammenhang auf eine Stelle beim Propheten Hosea hin. Hier geht es um
den Abfall des Gottesvolk vom Bund; Israel hat sozusagen die "Ehe" gebrochen
- "den Bund; Gott müßte es eigentlich richten, verwerfen. Aber
gerade nun zeigt sich, daß Gott Gott ist und nicht ein Mensch: »Wie
könnte ich dich preisgeben, Efraim, wie dich aufgeben, Israel? ...
Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf. Ich will meinen
glühenden Zorn nicht vollstrecken und Efraim nicht noch einmal vernichten.
Denn ich bin Gott, nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte« (Hos
11,8-9)." Und Benedikt XVI. kommentiert:
"Die leidenschaftliche Liebe
Gottes zu seinem Volk - zum Menschen - ist zugleich vergebende Liebe. Sie
ist so groß, daß sie Gott gegen sich selbst wendet, seine Liebe
gegen seine Gerechtigkeit. Der Christ sieht darin schon verborgen sich
anzeigend das Geheimnis des Kreuzes: Gott liebt den Menschen so, daß er
selbst Mensch wird, ihm nachgeht bis in den Tod hinein und auf diese Weise
Gerechtigkeit und Liebe versöhnt." (n. 10)
Der Papst fährt
nun fort, indem er das biblische Gottesbild als eine großartige Synthese
deutet, eine Synthese von Vernunft und Liebe, von Erkenntnis und Hingabe,
von Nüchternheit und Leidenschaft. Was wir Menschen so gerne trennen,
das ist in Gott Eines; jede Einseitigkeit verbietet sich von hier aus.
Auch die Differenzen im Begriff der Liebe sind geeint, wie der Papst schreibt:
"Damit ist der Eros aufs Höchste geadelt, aber zugleich so gereinigt,
dass er mit der Agape verschmilzt." Darum kann es auch eine liebende Vereinigung
des Menschen mit Gott geben, "aber diese Vereinigung ist nicht Verschmelzen,
Untergehen im namenlosen Ozean des Göttlichen, sondern ist Einheit,
die Liebe schafft, in der beide - Gott und der Mensch - sie selbst bleiben
und doch ganz eins werden." (n. 10)
Das neue Gottesbild hat ein neues
Menschenbild zur Folge. Darüber werde ich beim nächsten Mal sprechen.
Liebe Gemeinde!
In
der letzten Predigt über die Enzyklika des Papstes habe ich über
das neue Gottesbild gesprochen, das sich in dem Satz äußert:
"Gott ist (die) Liebe." Der heutige Dreifaltigkeitssonntag stellt uns eben
diese Liebe, die Gott wesenhaft und in sich ist, heraus: Gott ist kein
einsamer Monarch, sondern in sich selbst ein Gegenüber von Personen,
die einander unendlich lieben und in dieser Liebe so sehr EINS sind, daß
es keine Spaltung, keine Trennung, kein Zerwürfnis, keine Entfremdung,
keinen Mißklang und keine Konkurrenz gibt. Die biblische Offenbarung
vom Dreifaltigen Gott ist darum keine bloße Zutat zum Christentum.
Sie ist vielmehr der Höhepunkt der Selbstoffenbarung Gottes. Sie besagt,
daß Gott im tiefsten Wesen Liebe ist, Mitteilung seines unendlichen
strömenden Lebens: vom ewigen Vater zum ewigen Sohn, von beiden zum
Heiligen Geist: Austausch und Beziehung in der Einheit des göttlichen
Wesens.
Heute möchte ich darüber sprechen, welche Folge
diese Offenbarung Gottes für das Bild vom Menschen hat. Denn wenn
der Mensch, wie es schon im ersten Buch der Bibel heißt, nach dem
"Bilde Gottes" geschaffen ist (Gen 1,26), dann muß es einen Unterschied
auch für das Menschenbild machen, ob zu Gott wesenhaft die Liebe gehört
oder nicht. Und tatsächlich erzählt uns die Bibel schon ein paar
Seiten später, daß "es nicht gut ist, daß der Mensch allein
bleibt" (Gen 2,18). Wenn Gott in seinem innersten Wesen Beziehung ist,
dann ist der nach seinem Bild geschaffene Mensch ohne Beziehungen unvollständig
- sozusagen nur ein halber Mensch. Doch kommt hier nur eine Beziehung zu
einem anderen Menschen in Frage, Tiere sind dazu nicht in der Lage, dem
Menschen die nötige Hilfe und Ergänzung zu sein. Als darum Gott
dem Mann die Frau hinzuschafft, ruft dieser aus: "Das ist endlich Bein
von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch". (Gen 2,23) Und dann folgt
eine Prophezeiung: "Darum verläßt der Mann Vater und Mutter
und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch." (Gen 2,24)
Der Papst findet an dieser Erzählung zwei Punkte bemerkenswert:
Der erste betrifft die Weise der menschlichen Liebe, die Eros genannt wird.
Er schreibt:
"Der Eros ist gleichsam wesensmäßig im Menschen
selbst verankert; Adam ist auf der Suche und »verläßt Vater
und Mutter«, um die Frau zu finden; erst gemeinsam stellen beide die Ganzheit
des Menschseins dar, werden ,,ein Fleisch'' miteinander."
Und dann
kommt er auf den zweiten Punkt zu sprechen, den Sinn des Eros:
"Nicht
minder wichtig ist das zweite: Der Eros verweist von der Schöpfung
her den Menschen auf die Ehe, auf eine Bindung, zu der Einzigkeit und Endgültigkeit
gehören. So, nur so erfüllt sich seine innere Weisung. Dem monotheistischen
Gottesbild entspricht die monogame Ehe. Die auf einer ausschließlichen
und endgültigen Liebe beruhende Ehe wird zur Darstellung des Verhältnisses
Gottes zu seinem Volk und umgekehrt: die Art, wie Gott liebt, wird zum
Maßstab menschlicher Liebe. Diese feste Verknüpfung von Eros
und Ehe in der Bibel findet kaum Parallelen in der außerbiblischen
Literatur." (DCE n. 11)
Fassen wir es noch einmal kurz zusammen: 1.
Der Mensch ist gleichsam unvollständig, solange er ohne Beziehung
in Einsamkeit lebt. 2. Die erotische Liebe zwischen Mann und Frau ist dem
Menschen eingestiftet, damit die zwei sich zur Ganzheit ergänzen.
Gerade in dieser Liebesbeziehung können sie Ebenbild der göttlichen
Liebe sein. 3. Diese Beziehung ist exklusiv und auf Endgültigkeit
angelegt; sie sagt: "Nur du - und du für immer!" Und dies ist so,
weil dies die Art ist, wie Gott liebt, und weil Gottes Liebe den Maßstab
für die menschliche Liebe abgibt.
Der Eros ist freilich nicht
die einzige Form der Liebe. Der Mensch steht noch in anderen Beziehungen
zu seinen Mitmenschen, und auch hierin spiegelt sich sein Geschaffensein
nach dem Bilde Gottes. So werden die Brautleute unmittelbar vor ihrer Trauung
gefragt: "Sind Sie beide bereit, als christliche Eheleute Mitverantwortung
in der Kirche und in der Welt zu übernehmen?" Das heißt: In
dem Augenblick, in dem es um die exklusivste Bindung von Menschen aneinander
geht, wird deutlich gemacht, daß diese Bindung nicht als isolierte
Zweisamkeit verstanden werden darf, sondern wesentlich auf Außenbeziehungen
angelegt ist. Anders gesagt: Der Mensch ist ein soziales Wesen, und diese
seine Natur erschöpft sich nicht darin, einen Lebenspartner zu finden,
zu heiraten und Kinder zu zeugen. So vielgestaltig die Liebe ist, so mannigfaltig
können und sollen auch die Beziehungen sein, in denen der Mensch seine
soziale Natur verwirklicht. In dem ganzen zweiten Teil seiner Enzyklika
geht der Papst auf die christliche Caritas ein, das Liebestun der Kirche,
zu dem jeder einzelne berufen ist. Und immer wieder weist er auf die eigenartige
Struktur der menschlichen Sozialnatur hin, die nur dann zur Selbstverwirklichung
kommt, wenn der Mensch "aus der Enge seines Daseins heraus" geht (n. 4;
14), wenn er "den Weg aus dem in sich verschlossenen Ich zur Freigabe des
Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung" (DCE n. 6) geht.
Das
christliche Menschenbild ist somit weit entfernt von einem Individualismus,
der von der Autonomie des Einzelnen ausgeht und die Gemeinschaft als etwas
nur Sekundäres auffaßt. Es ist aber genauso weit vom Kollektivismus
entfernt, der das einzelne Individuum mißachtet und als bloßen
Teil eines großen Ganzen betrachtet, so wie in einem Ameisenhaufen
alle gleichgeschaltet sind, und der einzelne nicht für sich, sondern
für das Kollektiv da ist. In beiden extrem entgegengesetzten Vorstellungen
wird der Liebe keine Bedeutung beigemessen: der Individualist kennt nur
die Selbstliebe, der Kollektivist hat kein personales Gegenüber und
verliert selbst sein persönliches Gesicht in der Masse, in der er
gerne untergeht.
Wenn Jesus kurz vor seiner Himmelfahrt den Auftrag
gibt, zu allen Völkern zu gehen, alle Menschen zu seinen Jüngern
zu machen, sie auf den Namen des Dreifaltigen Gottes zu taufen und sie
zu lehren, alles zu befolgen, was er geboten hat (Mt 28,19f), dann wünscht
er, daß alle, die die Liebe Gottes erfahren haben, diese auch weitergeben
- und zwar uneingeschränkt. Die Mission ist selbstverständlich
für denjenigen, der von der Liebe Gottes ergriffen ist. Es wäre
schnöde Undankbarkeit, wollte ich diese Liebe nur für mich allein
haben, und törichter Unverstand, wenn ich nicht wünschte, daß
alle Menschen gleichfalls von dieser Liebe ergriffen würden. Der Papst
fordert uns auf, Menschen zu sein,
"die von der Liebe Christi berührt
sind, deren Herz Christus mit seiner Liebe gewonnen und darin die Liebe
zum Nächsten geweckt hat. Ihr Leitwort sollte der Satz aus dem Zweiten
Korintherbrief sein: »Die Liebe Christi drängt uns« (2 Kor 5, 14).
(DCE n. 33)
Liebe Gemeinde!
Wenn ich Sie fragen würde: "Was bedeutet
eigentlich das Wort 'Hostie'?", dann gäbe es vermutlich kaum jemanden,
der mir die ursprüngliche Wortbedeutung nennen könnte: nämlich
'Opfer' oder 'Opfertier'. Wir verbinden mit der Eucharistie alles Mögliche,
am wenigsten aber den Gedanken an einen Opferkult. Das war in der Urkirche
anders. Da sah man ganz klar den Zusammenhang zwischen Jesus Christus,
der Eucharistie und den alttestamentlichen Opferkulten.
Der Hebräerbrief
zeigt uns diesen Zusammenhang auf: "Denn wenn schon das Blut von Böcken
und Stieren und die Asche einer Kuh die Unreinen, die damit besprengt werden,
so heiligt, daß sie leiblich rein werden, wieviel mehr wird das Blut
Christi unser Gewissen von toten Werken reinigen." (Hebr 9,13f) Und kurz
vorher heißt es: Christus "ist ein für allemal in das Heiligtum
hineingegangen, nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren,
sondern mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung
bewirkt." (Hebr 9,12) - Was heißt das? Es heißt, kurz gesagt,
erstens, daß Jesu Tod ein Opfer gewesen ist, d.h. ein Hingabeakt
und eine Gabe an den Vater zum Zweck der Vergebung und Versöhnung.
Zweitens: Dieses Opfer ist ein für allemal geschehen, es ist nicht
wiederholbar, sondern steht einmalig in der Geschichte da, weil es eine
Kraft hat, die alle bisherigen Opfer übersteigt. Und drittens: an
diesem Opfer nehmen wir Anteil, wenn wir die Eucharistie feiern: Die Kommunion
ist die Hostie, die Opferspeise: der geopferte Leib Jesu.
Aber warum
Opfer, warum Tod, warum Blut? Wir finden die Antwort in der Enzyklika des
Papstes über die Liebe Gottes. Am letzten Sonntag habe ich von der
menschlichen Sozialnatur gesprochen, die nur dann zur Selbstverwirklichung
kommt, wenn der Mensch "den Weg aus dem in sich verschlossenen Ich zur
Freigabe des Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung" geht (DCE
n. 6). Der Papst begründet diesen Gedanken mit einer Schriftstelle:
"Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren; wer es dagegen
verliert, wird es gewinnen" (Lk 17, 33)... Jesus beschreibt damit seinen
eigenen Weg, der durch das Kreuz zur Auferstehung führt - den Weg
des Weizenkorns, das in die Erde fällt und stirbt und so reiche Frucht
trägt; aber er beschreibt darin auch das Wesen der Liebe und der menschlichen
Existenz überhaupt von der Mitte seines eigenen Opfers und seiner
darin sich vollendenden Liebe her." (n. 6)
Liebe ist demnach wesentlich
Hingabe, und als Hingabe ist sie Opfer: Verzicht auf das Eigene zum Wohle
des anderen. In einer Welt, die mit Bosheit angefüllt ist, kann die
Liebe sogar die Gestalt des blutigen Opfers annehmen - und gerade so überwindet
sie die Bosheit von innen her.
Der Papst zeigt von hier aus den Zusammenhang
mit der Eucharistie auf: "Diesem Akt der Hingabe hat Jesus bleibende Gegenwart
verliehen durch die Einsetzung der Eucharistie während des Letzten
Abendmahles." Die Eucharistie ist die Feier, in der der Opfertod Jesu immer
neu gegenwärtig gesetzt wird, damit alle Menschen, eben auch wir,
zugegen sein können und die Frucht der Versöhnung erhalten. Während
der Alte Bund einen Kult erforderte, bei dem immer neue Opfertiere geschlachtet
werden mußten, hat Christus mit seinem Blut einen neuen Bund gestiftet,
der am Kreuz ein für allemal besiegelt wurde und unsererseits keine
neuen Opfer erfordert, sondern lediglich die Bereitschaft, uns davon erfüllen
und umwandeln zu lassen.
Und nun kommt ein sehr tiefer Gedanke in
der Enzyklika:
"Wenn die antike Welt davon geträumt hatte, daß
letztlich die eigentliche Nahrung des Menschen - das, wovon er als Mensch
lebt - der Logos, die ewige Vernunft sei: Nun ist dieser Logos wirklich
Speise für uns geworden - als Liebe. Die Eucharistie zieht uns in
den Hingabeakt Jesu hinein. Wir empfangen nicht nur statisch den inkarnierten
Logos, sondern werden in die Dynamik seiner Hingabe hineingenommen." (n.
13)
Wovon lebt der Mensch? Nach der Auffassung der griechischen Philosophen
lebt der Mensch von der Theorie, der Schau, der Vernunft. Die christliche
Lehre überbietet diese Meinung: Der Mensch lebt zwar auch von alledem,
aber mehr noch lebt er von der Liebe. Ja, er kann nur leben, wenn Logik
und Liebe keine Gegensätze mehr sind, wenn sie zusammengehen. Und
darum darf die Kommunion auch nichts Statisches bleiben, kein bloßes
Konsumieren und Besitzen; sie zielt vielmehr auf eine Dynamik, auf die
Liebe Christi nämlich, an der der Kommunizierende Anteil nehmen kann
und soll. Der Empfang der Opferspeise soll mich selbst bereit machen zur
Liebe, zum Mitgehen mit der Liebe Christi, zum Eingehen in sein Opfer;
die Kommunion soll wirklich sein, was das Wort bedeutet: Gemeinschaft.
Hieran
schließt sich ein weiterer wichtiger Gedanke: Die Kommunion ist nie
etwas Isoliertes, das allein einem einzelnen zukommt.
"In der Kommunion
werde ich mit dem Herrn vereint wie alle anderen Kommunikanten: »Ein Brot
ist es. Darum sind wir viele ein Leib, denn wir alle haben teil an dem
einen Brot«, sagt der heilige Paulus (1 Kor 10, 17). Die Vereinigung mit
Christus ist zugleich eine Vereinigung mit allen anderen, denen er sich
schenkt. Ich kann Christus nicht allein für mich haben, ich kann ihm
zugehören nur in der Gemeinschaft mit allen, die die Seinigen geworden
sind oder werden sollen. Die Kommunion zieht mich aus mir heraus zu ihm
hin und damit zugleich in die Einheit mit allen Christen." (n. 14)
Die
Liebe Gottes macht sich gerade darin kund, daß sie die von ihr Ergriffenen
berührt und zu einem Leib zusammenschmilzt. In dieser Mitte des christlichen
Kultgeschehens ist jeder Egoismus ausgeschlossen! Man kann nun nicht mehr
Kult und Ethos getrennt praktizieren oder gegeneinander ausspielen, also
das eine tun und das andere lassen. Wer ohne Liebe an der Eucharistie teilnimmt,
dem fehlt das wichtigste - er geht leer aus. Ich zitiere:
"Im 'Kult'
selber, in der eucharistischen Gemeinschaft ist das Geliebtwerden und Weiterlieben
enthalten. Eucharistie, die nicht praktisches Liebeshandeln wird, ist in
sich selbst fragmentiert, und umgekehrt wird ... das 'Gebot' der Liebe überhaupt
nur möglich, weil es nicht bloß Forderung ist: Liebe kann 'geboten'
werden, weil sie zuerst geschenkt wird." (n. 14)
Liebe Gemeinde! "Gott
ist Liebe!" ist kein schöner Kalenderspruch, sondern eine Wahrheit,
die wir nicht genug bedenken können. Heute steht mit der Eucharistie
der Aspekt dieser Liebe im Vordergrund, der darauf zielt, daß wir
alle immer mehr von dieser Liebe durchdrungen werden. Und wir antworten
darauf mit Dankbarkeit und hochgemuter Freude, wenn wir nun den Leib des
Herrn durch unser Dorf begleiten.
Liebe Gemeinde!
In Indien wurde
einmal ein Mädchen, das seinen kleinen Bruder bergauf trug, gefragt:
"Wird dir die Last nicht zu schwer?" - "Das ist keine Last", antwortete
das Mädchen, "das ist mein Bruder". In diesen kurzen Worten kommt
sehr schön zum Ausdruck, was Nächstenliebe ist. Sie ist keine
Kraftanstrengung, die auch noch zu leisten ist und gerade noch geschultert
werden kann. Nächstenliebe ist nicht zuerst eine Tat, sondern eine
Einstellung, eine innere Haltung, die dem Tun vorausgeht und ihm die Seele
gibt.
Am heutigen Caritassonntag werden wir daran erinnert, daß die
Liebe zum Nächsten aufs engste mit der Liebe zu Gott zusammenhängt.
Der Jakobusbrief spricht dies unmißverständlich aus: "Meine
Brüder, was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber
es fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten?" (Jak 2,14) Glaube
ohne Werke ist toter Glaube (Jak 2,17), im Grunde bloß geheuchelt,
denn der Glaube "kommt in der Liebe zur Wirksamkeit" (Gal 5,6). Und wo
es an dieser Frucht fehlt, da ist auch das ganze Gewächs nichts wert.
Der
Papst macht in seiner Enzyklika sehr eindringlich auf die Einheit von Gottes-
und Nächstenliebe aufmerksam. Er geht aus von der Frage: "Können
wir Gott überhaupt lieben, den wir doch nicht sehen?" (DCE n. 16)
Dazu zitiert er aus dem 1. Johannesbrief: "Wenn jemand sagt: 'Ich liebe
Gott'', aber seinen Bruder haßt, ist er ein Lügner. Denn wer
seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er
nicht sieht". (1 Joh 4, 20) Er erklärt dazu, "daß die Nächstenliebe
ein Weg ist, auch Gott zu begegnen, und daß die Abwendung vom Nächsten
auch für Gott blind macht." In dem Beispiel von eben: Das Mädchen,
das seinen Bruder aus Liebe trägt, begegnet in ihrem Tun dem lebendigen
Gott, der die Liebe selbst ist. Es lernt die Gottesliebe in der konkreten
Liebe zum Nächsten, zum Bruder.
Und umgekehrt: der Bruder spürt
in der Liebe seiner Schwester die Liebe Gottes. Gott geht - wie der Papst
sagt - "durch Menschen" immer neu "auf uns zu"; er geht also in dem Mädchen
auf den kleinen Jungen zu und trägt ihn, indem das Mädchen ihn
trägt.
Das Mädchen empfindet seinen Bruder nicht als Last.
Das Tragen ist keine Zumutung, nichts äußerlich Auferlegtes,
vielmehr eine Tat, die aus dem Innern seines Herzens herauskommt. So ist
das Ideal der Liebe: daß die Pflichten leicht werden, keine äußerlichen
Gebote mehr sind, daß der Wille desjenigen, den ich liebe, mit meinem
Willen eins wird, so daß ich gern tue, was der andere von mir erwartet
bzw. wozu mich meine Verantwortung aufruft. Genauso ist aber auch das Ideal
der Gottesliebe: daß - so schreibt der Papst:
"der Wille Gottes
nicht mehr ein Fremdwille ist für mich, den mir Gebote von außen
auferlegen, sondern mein eigener Wille aus der Erfahrung heraus, daß in
der Tat Gott mir innerlicher ist als ich mir selbst. Dann wächst Hingabe
an Gott. Dann wird Gott mein Glück." (DCE n. 17)
Es gibt somit
einen Weg von der Nächstenliebe zur Gottesliebe, aber es gibt ebenso
einen Weg von der Gottesliebe zur Nächstenliebe - beide stehen in
einer "notwendigen Wechselwirkung". Ich zitiere:
"Wenn die Berührung
mit Gott in meinem Leben ganz fehlt, dann kann ich im anderen immer nur
den anderen sehen und kann das göttliche Bild in ihm nicht erkennen."
(DCE n. 18)
Denn Nächstenliebe heißt ja, dem anderen "den
Blick der Liebe" geben, und das ist so gut wie unmöglich bei Mitmenschen,
die ich kaum kenne oder die mir wenig sympathisch sind. Dann muß ich
"von Gott her lieben", "aus der Perspektive Jesu Christi heraus", der jeden
Menschen als Freund annimmt. Dann kann auch der Fremde wie ein Bruder,
wie eine Schwester, wie ein Freund werden, denn "sein Freund ist mein Freund."
Oder wie Jesus einmal gesagt hat: "Was ihr dem Geringsten meiner Brüder
getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,40)
Und wieder umgekehrt
- ich zitiere wieder:
"Wenn ich aber die Zuwendung zum Nächsten
aus meinem Leben ganz weglasse und nur 'fromm' sein möchte, nur meine
'religiösen Pflichten' tun, dann verdorrt auch die Gottesbeziehung.
Dann ist sie nur noch 'korrekt', aber ohne Liebe. Nur meine Bereitschaft,
auf den Nächsten zuzugehen, ihm Liebe zu erweisen, macht mich auch
fühlsam Gott gegenüber. Nur der Dienst am Nächsten öffnet
mir die Augen dafür, was Gott für mich tut und wie er mich liebt.
... Liebe wächst durch Liebe."
Mit diesen Gedanken beschließt
der Papst den ersten Teil seiner Enzyklika, um im zweiten Teil auf das
Liebestun der Kirche, die Caritas, einzugehen. Hierauf komme ich vielleicht
später noch einmal zurück. Aber mir scheint heute ein aktueller
Hinweis angebracht: Der Papst hat in einer Vorlesung in Regensburg in Glaubenssachen
Frieden und Gewaltlosigkeit angemahnt und einen mittelalterlichen Kaiser
zitiert, der die Frage gestellt hat, welchen Beitrag der Islam dazu gegeben
hat und heute gibt. Dem Kaiser Manuel ging es in seinem damaligen Dialog
mit einem persischen Muslimen um die christliche Einsicht, daß Gewalt
im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele steht. Diese Einsicht,
die sich aus dem Doppelgebot der Liebe ergibt, vermißt er bei Mohammed.
Dieser dachte und handelte aus der Vorstellung, daß Gott sich mit
seiner Allmacht durchsetzt und daß folglich derjenige, der Gott auf
seiner Seite weiß, auch Gewalt anwenden darf, um der Wahrheit Raum
zu geben. Jesus jedoch hat dieser Denkungsart widersprochen und Gott als
einen Gott der Liebe gepredigt.
Der Papst zitiert den Kaiser: "Zeig
mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes
und Inhumanes finden wie dies, daß er vorgeschrieben hat, den Glauben,
den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." Diese Kritik am Djihad,
am Heiligen Krieg, also an der Durchsetzung religiöser Überzeugungen
mit Gewalt und Terror, war damals berechtigt und ist auch heute nicht weniger
legitim. Es ist eine Tatsache, daß der Koran den Heiligen Krieg empfiehlt
und daß Mohammed selbst aus diesem Geist heraus Gewalt ausgeübt
hat. Hierauf hinzuweisen, ist keine Beleidigung Mohammeds und der Muslime
- wie es z.B. die Karikaturen gewesen sind, vielmehr ein Appell an den
guten Willen aller Menschen, sich nachdrücklich von Terror und Gewalt
zu distanzieren. Gerade die verbrecherischen Terroranschläge der letzten
fünf Jahre beweisen die Notwendigkeit, daß insbesondere die
führenden Religionsvertreter Gewalt im Namen Gottes ächten. Dies
zeigen um so mehr die gewaltsamen Reaktionen, die aus dem von Papst Benedikt
beklagten Ungeist stammen und von Menschen geschürt werden, die Freude
an Chaos, Krieg und Gewalt haben. Wir dürfen uns von diesen verbrecherischen
Freunden des modernen Djihad nicht einschüchtern lassen, dürfen
nicht tolerieren, daß der Papst als der Bote des Friedens und der
Liebe von Predigern des Hasses zum Schweigen gebracht wird.
1 Carl
Friedrich VON WEIZSÄCKER: Die Geschichte der Natur. Zürich: Hirzel,
1948, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 61964, 126.
2 René
DESCARTES: Discours de la méthode. Hamburg: Meiner, 1990, VI, 2.