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Richard David Precht - Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?

 

Buchkritik: Richard David Precht - Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?

Mit einem Buch über Philosophie als Kerkeling-Nachfolger hatte wohl kaum einer gerechnet. Doch Richard David Precht schuf mit seinem Werk "Wer bin ich? Und wenn ja - wie viele?" ein gut lesbares Portal zur Philosophie - ähnlich den "Portal-Seiten" im Internet. Entlang den drei großen philosophischen Fragen Kants "Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen?" (Die letzte Frage: "Was ist der Mensch?" sieht Precht in den ersten drei Fragen eingeschlossen) geht Precht die Philosophie nicht aus der historischen Sicht an (wie noch Jostein Gaardner in "Sofies Welt"), sondern verschafft sich einen guten Überblick über die heute anstehenden bzw. immer noch aktuellen Fragen.

Dabei kündet Precht im Vorwort an, endlich aus dem philosophischem Elfenbeinturm auszubrechen und die Philosophie mit den anderen Wissenschaften in Verbindung zu setzen - zum Beispiel mit der modernen Hirnforschung. Zum Beispiel...? Das lässt vermuten, dass er auch die Bögen zu anderen Wissenschaften sucht. Genau das tut Precht aber nicht.

Im Gegenteil: Precht geht vom philosophischen Elfenbeinturm schnurstracks in den nächsten Turm der Hirnforschung, der vermutlich weniger aus Elfenbein ist, zudem noch nicht einmal ein fertiger Turm, sondern eher ein Rohbau ohne Fundament. Dennoch misst Precht alle Erkenntnisse der Philosophie immer nur an dieser einen Messlatte: Der Hirnforschung. Mag es die Erkenntnis, die Moral oder Gott sein - am Ende eines jeden Kapitels befragt Precht immer nur die Hirnforschung. Nicht die Quantentheorie, nicht die Relativitätstheorie, nicht die Suche nach der "Großen Vereinheitlichung". Immer nur die Hirnforschung.

Das wäre ja dennoch ein ganz interessanter Ansatz, wenn Precht die Hirnforschung selber philosophisch hinterfragen würde. Ist das Gehirn Produzent von Erkenntnis und Gefühlen - oder nur ein Werkzeug der Seele? Ist das "Ich" ein Produkt der Neuronen oder sind die Neuronenströme Produkt eines überzeitlichen, nicht-materiellen Geistes? Was ist Geist - im Gegensatz zum Gehirn?
Aber diese Fragen beantwortet Precht nicht. Nein - er stellt sich diese Fragen noch nicht einmal! Er geht weder dem Seele-Leib-Dualismus nach, erwähnt noch nicht einmal das Konzept der "anima forma corporis", noch befragt er die Hirnforschung auf deren materialistische oder theologische oder epistemologische Konzeption. Das ist mehr als ein Manko. Das ist eine Bankrott-Erklärung.

Demnach kann Precht zwar einen Überblick über die Fragen geben, die sich ein materialistischer Hirnforscher zur Zeit stellt. Ob das aber ausreicht, sich als Einsteiger-Philosoph zu gebärden, ist zweifelhaft.

Besonders peinlich ist für einen Philosophen die Antwort "Das muss jeder selber für sich entscheiden!" - solche Antworten sind gerade die Verweigerung jeder philosophischen Betätigung. Interessant, dass Precht genau diese Antwort für abschließend hält, wenn es um die Frage nach Gott und dem Essen von Tieren geht. Es scheint, als wenn der Autor weder den Vegetariern noch den Glaubenden eine seiner Antworten zumuten wollte.

Allerdings sollte auch Gutes erwähnt werden: Wirklich beeindruckend und auch überzeugend ist Prechts kurze moral-theologische Stellungnahme: Werte lassen sich nicht rational herleiten, sondern werden intuitiv erkannt; ebenfalls überzeugend ist seine Kritik am Präferenz-Utilitarismus; auch seine Überlegungen zum Glück und Glücklichsein sind stellenweise erhellend und schlicht wahr... allerdings immer nur, bis Precht deren tieferen Gründe in Hormonen, Glückstoffen und Hirnaktivitäten findet.

Fazit: Precht bleibt weit hinter seinem eigenen Anspruch zurück, die Philosophie auf den modernen Stand zu bringen. Das gelingt ihm weder in Hinblick auf die philosophischen Fragen noch im Hinblick auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Ausgerechnet die Hirnforschung, die zur Zeit überhaupt nicht weiß, was sie glauben soll, erwählt er zum Sieb, um Wahrheit von Spekulation zu trennen. Precht dreht sich im Kreis: Die Hirnforschung wird zum Kriterium für die Wahrheit in der Philosophie, dabei bleibt das philosophische Fundament der Hirnforschung dunkel und unklar - bzw. entpuppt sich als materialistisch: Precht sortiert also aufgrund einer philosophischen Vorentscheidung alles aus, was dazu nicht passt. Gegenteilige Meinung werden ignoriert (!). So scheint es, als wenn Precht nur das zu Fischen erklärt, was seine Netze fangen. Und das ist nicht allzuviel.

Prädikat: Nicht lesenswert.

Wer bin ich? Und wenn ja - Wieviele?, Richard David Precht, Verlag Goldmann HC, September 2007, 397 Seiten, ISBN-10: 3442311438, ISBN-13: 978-3442311439, 14,95 Euro.