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Brief einer Mutter an ihr ungeborenes Kind

Nach wie vor finden wir bei nicht wenigen Müttern und Vätern das uneingeschränkte Ja zum Kind. Auch in unseren Tagen bringt Mutterliebe bewundernswerte Opfer, die bis hin zur Selbstaufgabe reichen können. Hier ist der Brief einer Frau, die nach ärztlicher Erkenntnis vor der unerbittlichen Alternative stand, dass bei der Geburt ihres ersten Kindes entweder nur die Mutter oder nur das Kind am Leben bleiben konnte. Sie schrieb an das Kind, das unter ihrem Herzen lebte, einen Brief:

Brief einer Mutter an ihr ungeborenes Kind

Mein Liebstes,
wenn Du diese Zeilen liest, werden Jahre dahingegangen sein, seit Du das Licht der Welt erblicktest. Wir beide haben uns nie in die Augen gesehen. Wir konnten uns kein Lächeln schenken. Ich durfte Dich nicht an meine Brust drücken und Dir Geborgenheit schenken, während Du meinen Herzschlag vernahmst. Und wie habe ich mich auf Dich gefreut! An dem Tag, an dem Du geboren wurdest, schied ich von dieser Welt. Die Ärzte stellten mich vor die Wahl: Du oder ich.

Es waren schreckliche Stunden, in denen mich diese Nachricht traf. Meine Liebe zu Dir kämpfte mit der Todesangst. In all den schlaflosen Nächten tastete meine Hand an die Stelle, an der ich Dich unter meinem Herzen lebend wusste. Ich spürte Deine Bewegungen und fühlte Deine Nähe. Da warst Du, mein Kind, nichts ahnend von der Entscheidung, die Deinen Vater und mich mit den Qualen der Ausweglosigkeit traf. Es gab nur zwei Möglichkeiten, und die Entscheidung darüber wollte ganz alleine ich treffen. Ja, es gab Stunden, da brach mein Lebenswille mit Gewalt durch. Ich wollte nicht sterben. Ich legte mir Gründe zurecht: Dass es nicht meine Schuld sei, wenn Du Dein Leben verlierst. Dass Dein Vater mich braucht, und dass ich ihn nicht allein lassen dürfe. Dass die Ärzte mir zu meinem Leben rieten, und dass alle Welt dafür Verständnis haben würde.

Aber dann versuchte ich immer wieder, Dich mir vorzustellen: Deinen kleinen Körper, Deine Augen, Deinen Mund. Und wie alles an Dir bereit ist, ein neues und einmaliges Leben zu entfalten. Mein Herz traf eine heiße Welle der Liebe und auf einmal wusste ich: Du sollst leben! Eine seltsame Ruhe überkam mich. Ja, ich will, dass Du lebst. Als ich es Deinem Vater sagte, nahm er mich erschüttert in die Arme. Ich wusste, dass er meinen Entschluss respektierte. Aber jeder spürte den Schmerz, der die Seele des anderen durchzog. Mein Opfer erforderte auch sein Opfer. Unter Tränen fühlten wir, wie sehr wir uns liebten. So trugen wir beide schwer an der Entscheidung, die Deinem Leben galt.

Mein Liebstes, ich weiß nicht, wie wenige Tage wir beide noch zusammen leben dürfen. Dein Geburtstag steht unmittelbar bevor. So nehme ich Abschied von Dir. Gott segne und behüte Dich!

Deine Mutter

 

(Quelle: "Liebe Ehe Sexualität - Grundgedanken aus pädagogisch-psychologischer Sicht", Reinhold Ortner, Steyler Verlag - Wort und Werk 1989, S. 94-96)