Suche: 

Neue Site - empfehlenswert! Ein Ableger der Karl-Leisner-Jugend: aktueller, kürzer, frischer und moderner: www.gut-katholisch.de.

Grundkurs des Glaubens - Wer war Jesus

Auf die Frage, wer Jesus denn gewesen ist, kann man sehr unterschiedliche Antworten erhalten: ein Prophet; ein Lehrer der Weisheit - ein Philosoph; ein Psychologe und Arzt; ein Prediger mit hypnotischer Ausstrahlung; ein Bote Gottes; »Der neue Mann« und noch vieles mehr. Vorausgesetzt, dass die Evangelien einigermaßen korrekt überliefern, was Jesus alles gepredigt und getan hat, müsste die Antwort auf die Frage am besten dadurch zu klären sein, indem wir uns seine Botschaft einmal näher anschauen.

zurück

PDF-Datei zum Drucken oder Download

3. Abend zur Theologie: Wer war Jesus?

I. Das Zeugnis der Evangelien
1. »Jesus ist Gott!« durch die Blume gesprochen
2. Die Göttlichkeit von Jesu Werk und Wort
a. Die Wunder Jesu
b. Zwölf Jünger
c. Jahwe - »Ich bin«
d. Ich aber sage Euch
e. Thomas spricht es aus
f. Niederfallen - Saum küssen - proskyneo
g. Die Sündenvergebung
h. »Ich und der Vater sind eins«
i. Rabbi Neusners Problem
k. Die Auferstehung

II. Die Entfaltung der Christologie in der frühen Kirche
1. Heidnische Fragestellung - Christliche Antworten?
2. Hellenisierung = Verfremdung = Verfälschung?
3. Wer entfalten will, muss verstehen

III. Die frühchristlichen Versuche, Jesus als Christus zu verstehen
1. Die zwei Hauptfragen der frühen Kirche
2. Die zwei Hauptwahrheiten zur Überprüfung
3. Einteilung der Häresien
a. Häresien, die lehren, Jesus sei gar kein richtiger Mensch gewesen
b. Häresien, die lehren, Jesus sei nicht richtig Gott gewesen
c. Häresien, die keine rechte Einheit der beiden Naturen in Jesus finden

I. Das Zeugnis der Evangelien

Ein Schlüssel zum Auffinden der eigentlichen Botschaft Jesu liegt allerdings nicht in den Evangelien - sondern in der Apostelgeschichte. Und zwar in der Predigt des Petrus am Pfingsttag. Natürlich hatte Jesus eine Botschaft an uns. Aber verblüffenderweise spielte sie für die Apostel - schon wenige Tage nach seiner Himmelfahrt - keine so große Rolle mehr. Am Pfingsttag traten die Apostel zum ersten Mal in die Öffentlichkeit und Petrus hielt seine - von Lukas niedergeschriebene - Pfingstpredigt. Nun hätte man erwarten können, dass Petrus - ganz in seinen Auftrag versunken, die Botschaft Jesu weiterzugeben - Teile der Bergpredigt wiederholt, von den Wundern Jesu berichtet oder die schönsten Gleichnisse Jesu zum Besten gibt. Aber - Fehlanzeige. Petrus predigt seitenweise - aber er gibt nicht die Botschaft Jesu weiter, sondern er verkündigt Jesus. (Wer möchte, mag die Predigt des Petrus nachlesen: Apg 2, 14-36).

Kann es sein, dass die Botschaft Jesu - also die Botschaft der Evangelien - Jesus selbst gewesen ist? Für uns Christen, die immer wieder in den Gottesdiensten Abschnitte der Evangelien hören, ist das ein ungewohnter Gedanke. Denn die Inhalte der Bergpredigt, der Wunder und der Gleichnisse sind uns wohlvertraut und wir kämen nicht auf den Gedanken, die eigentliche Botschaft irgendwo anders zu suchen.

Ein Rabbi jedoch, der aus der jüdischen Distanz zum christlichen Glauben das Neue Testament liest und es mit der überlieferten Lehre von Thora und Talmud vergleicht, hat es dagegen in einem fiktiven Dialog so formuliert: Auf die Frage, ob Jesus das Gleiche gelehrt hat wie die Propheten und Chassidim, antwortet der Rabbi: »Nicht genau, aber ungefähr« - »Was hat er weggelassen?« - »Nichts« - »Was hat er dann hinzugefügt?« - »Sich selbst« - »Oh!« (aus: Rabbi Jakob Neusner »Ein Rabbi spricht mit Jesus«).

Es stimmt tatsächlich: Das Evangelium ist nicht etwas, das Jesus uns erzählt hat und das wir nun, unabhängig von ihm, weitererzählen könnten. Das Evangelium ist Jesus selbst: die »Frohe Botschaft«, die »Gute Nachricht« ist, dass Jesus Christus der Herr ist.

Falls das stimmt, würden sich damit auch die ganzen Alternativen (Jesus als Prophet, als Philosoph, als Erfinder einer neuen, themenzentrierten Lebensweise oder als alternatives Lebensmodell mit ausbalanciertem Ich-Du-Verhältnis) erledigen. Nicht, dass Jesus nicht auch weise, philosophisch und therapeutisch geredet hat. Aber er hat es eben als Gott getan - nicht bloß als ein kompetenter Mensch.

1. »Jesus ist Gott!« durch die Blume gesprochen

Tatsächlich behauptet Jesu an keiner Stelle in den überlieferten Evangelien: »Ich bin Gott - Jahwe - Der Einzige und Ewige!« oder so ähnlich. Das macht die Sache natürlich schwierig ... Wenn es tatsächlich das Zentrum der Botschaft sein sollte, dass Jesus der menschgewordene Gott ist, dann hätte er es doch auch klipp und klar sagen können, oder?

Nun, wir haben schon über die angebliche künstlerische Freiheit der Evangelisten nachgedacht. Wenn es einen triftigen Grund gegeben hat, dass Jesus sich selbst nicht als Gott bezeichnete, die Evangelisten aber von seiner Göttlichkeit überzeugt gewesen sind, dann hätten sie diesen Ausspruch »Hallo, meine lieben Juden - ich bin’s - Euer Gott!« Jesus in den Mund legen können, ohne ihm Unrecht zu tun.
Aber nicht nur Jesus (von dem wir es bisher noch nicht mit Sicherheit gesagt haben), sondern auch die Evangelisten lassen den Anspruch Jesu, Gott zu sein, nur indirekt erkennen; aber immerhin so deutlich, dass die eigentliche Aussageabsicht der Worte Jesu unzweifelhaft erkennbar war. Warum diese Verrenkungen?

Der Grund dafür ist einfacher, als es scheint: Hätte Jesus sich einfach als Gott bezeichnet, so wäre er absolut missverstanden worden - denn dann hätten die Juden in Jesus »Jahwe« sehen müssen - also das Wandeln des einen Gottes auf Erden wie in den römischen, griechischen und ägyptischen Mythologien. Von »Dreieinigkeit« oder »Trinität« hatte damals noch keiner etwas gehört - und selbst, wenn Jesus diese Begriffe eingeführt hätte, wären sie nicht verstanden worden. Es bedurfte immerhin einer fast 200-jährigen theologischen Diskussion und intensiven Nachdenkens, um den Horizont zu schaffen, in dem das neue Gottesbild (»Ein Gott« wie im Glauben der Juden, und dennoch »drei Personen«) zu verstehen war. Mit anderen Worten: Für die Selbsterklärung Jesu war weder das notwendige Vokabular noch der unverzichtbare philosophische Background gegeben.

Allerdings geht Jesus in dem, was er sagt, schon bis an die Grenzen der pharisäischen Zumutbarkeit. Oft genug hat er die Grenze überschritten und sich doch mit Gott gleichgesetzt oder Göttlichkeit beansprucht (immer dann, wenn die Pharisäer Steine aufheben und Jesus umbringen wollen).
Auch bei seiner Brotrede (»Ich bin das Brot des Lebens«) ist Jesus dem Verstehenshorizont seiner Zuhörer so weit voraus, dass diese ihn tatsächlich kopfschüttelnd verlassen. Zurück bleiben nur die Apostel, die von Jesus gefragt werden: »Wollt auch ihr gehen?« - Nun, geblieben sind die Apostel nicht, weil sie alles verstanden haben (etwa durch private Nachhilfe durch Jesus), sondern weil sie neben den damals noch unverständlichen Worten Jesu auch das vor Augen hatten, was sie verstehen konnten: »Wohin sollten wir gehen? Herr, Du hast Worte ewigen Lebens!« (Joh 6,67-86).

Der Jesus der Evangelien geht vielmehr typisch jüdisch und psychologisch geschickt vor: Die Zuhörer der Predigten, Partner in Streitgesprächen und Augenzeugen der Wunder sollen durch ein Bedenken der Worte und Ereignisse selbst zum Schluss kommen, wer Jesus denn sein könnte. Nicht nur, weil Jesus es behauptet, sollen wir Ihn als Gott glauben, sondern weil er »mit einer ungewohnten Vollmacht lehrt«, weil er »Dinge tut, die nur Gott tun kann« - und weil er uns einen Blick auf einen Gott werfen lässt, der viel göttlicher ist als erwartet. Ein solcher Glaube ist das Gegenteil eines blinden Glaubens: Dem so gewonnenen Glauben liegt dann eine eigene Erkenntnis zugrunde, selbst wenn man dafür noch keine angemessenen Worte, Begriffe oder Begriffssysteme zur Verfügung hat.

Den Anspruch, Gott zu sein, sollte jeder, der Ihm begegnet, durch die Einzigartigkeit des Auftretens, Wirkens und des Lebens Jesu selbst erschließen können. Entweder ist der, der behauptet, Gottes Sohn zu sein, wahnsinnig - oder er hat recht.

2. Die Göttlichkeit von Jesu Werk und Wort

Nun, es ist plausibel, dass die Evangelisten den Anspruch Jesu auf die gleiche Weise in Worte fassten wie es Jesus selbst getan hat - aber ebenso klar lehrten, dass an der Göttlichkeit Jesu selbst kein Zweifel blieb. Aber nur, weil diese »implizite Christologie« plausibel sein könnte, muss sie nicht schon tatsächlich wahr sein. Wie sieht es also mit den Hinweisen auf die göttliche Natur Jesu aus?

Auch ein Dan Brown behauptet, Leonardo da Vinci hätte in seinen Meisterwerken Botschaften versteckt, weil es ihm zu gefährlich war, sie öffentlich zu benennen. Nun - das klingt überhaupt nicht plausibel, denn Leonardo hat sie angeblich so gut versteckt, dass er sie auch gleichzeitig hätte weglassen können. Aber abgesehen von der Frage, warum Leonardo etwas versteckt, was er doch allen erzählen möchte, ist das entscheidende Manko der Da-Vinci-Verschwörungstheorie, dass die angeblichen Hinweise vollkommen aus der Luft gegriffen und unhistorisch sind.
Trifft das vielleicht auch auf die Evangelien zu? Ist die Vermutung, dort seien Hinweise auf die Göttlichkeit Jesu »versteckt«, auch nur eine Verschwörungstheorie?

Nun, beginnen wir also zum zweiten Mal eine Spurensuche. Diesmal allerdings liegt die Beweislast bei uns Christen: Es ist unsere Aufgabe, einwandfrei nachzuweisen, dass es die Intention der Evangelisten war, die Göttlichkeit Jesu zu belegen.

a. Die Wunder Jesu. — Wer als erstes Argument für die Göttlichkeit Jesu nun erwartet, dass ich hier die Wundertaten Jesu aufzähle, den muss ich enttäuschen: Die Wunder- oder Zeichenhandlungen sind Bestandteil der Predigt Jesu und seiner Botschaft. Aber Wundertäter gibt es in allen Religionen und zu allen Zeiten; dieses Kriterium allein ist nicht eindeutig.

b. Zwölf Jünger. — Ein erster Hinweis ist vielmehr die Tatsache, dass Jesus zwölf Jünger zu Aposteln ernannte und damit - in Bezug auf die zwölf Stämme Israels - ein »neues Israel« begründete. Wohlgemerkt - Jesus ernannte die zwölf Apostel; er selbst aber war keiner davon. Im Gegensatz zu Josef und seinen elf Brüdern ist Jesus nicht einer, der zum neuen Volk gehört. Er setzt das neue Volk ein. Wie Jahwe, der im Alten Testament das alte Israel erschuf. (So heißt es im Urtext bei der »Erwählung« der Zwölf (Lk 6,13; Mk 3,13-16 und Mt 10,2) auch: »Und er schuf die Zwölf«.)

c. Jahwe - »Ich bin«. — An einer Stelle sagt Jesus einen grammatikalisch unkorrekten Satz: »Amen, Amen, ich sage Euch: Ehe Abraham wurde, bin ich« (Joh 8, 58). Das mag für unsere Ohren nur ungewohnt klingen - für die Juden zur Zeit Jesu war es pure Anmaßung; denn das »Ich bin» ist schließlich der Gottesname Jahwe (Und Gott sprach: Ich bin der »Ich bin« - Ex 3,14). Nicht umsonst ist die Reaktion der Juden an dieser Stelle eindeutig: Sie heben Steine auf, um Jesus zu steinigen.

Ebenso klangen die sieben »Ich-bin«-Worte (Ich bin das Leben, Ich bin die Wahrheit, der Weg, das Licht, das Brot, die Tür, der gute Hirte, die Auferstehung und der Weinstock) auch sehr nach dem Gottesbegriff »Jahwe«.

d. Ich aber sage Euch. — In der Bergpredigt heißt es an fünf Stellen: »Ihr habt gehört, dass gesagt wurde« (oder: »zu den Alten gesagt wurde«), »ich aber sage Euch …« (Mt 5, 21.27.31.33.38 und 43). Nun, an diesen Stellen setzt Jesus sich nicht nur mit Mose gleich (zumindest der Autorität nach); denn Mose hat das Gesetz, dass er verkündet hat, ja auch nur von Gott auf dem Berg Sinai empfangen. Nein - er vertieft und korrigiert das, was »die Alten verstanden haben«, mit der Autorität dessen, der schon damals zu ihnen gesprochen hat.

Von daher ist es auch keine Nebensächlichkeit, dass diese berühmte Predigt, in der Jesus sein neues Gesetz formuliert, ebenfalls auf einem Berg stattfand - daher der Name »Bergpredigt«.

e. Thomas spricht es aus. — Entgegen dem unpassenden Spitznamen, »der ungläubige Thomas«, ist Thomas der einzige Apostel, der es aussprach: Als er nämlich nach anfänglicher Skepsis dem Auferstandenen tatsächlich begegnet, sagt er zu Jesus: »Mein Herr und mein Gott!« (Joh 20,28).

f. Niederfallen - Saum küssen: proskyneo. — »Als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder« (Mt 28,17). Nun, auf den ersten Blick kein klares Argument. Denn das griechische Wort »proskyneo« kann mit »niederfallen«, »Saum küssen« oder auch »anbeten« übersetzt werden. Aber so, wie das Wort »proskyneo« im Neuen Testament verwendet wird, wird deutlich (egal, was das Wort »proskyneo« bedeutet): man tut »es« allein Gott gegenüber.

»Ich, Johannes, habe dies gehört und gesehen. Und als ich es hörte und sah, fiel ich dem Engel, der mir dies gezeigt hatte, zu Füßen, um ihn anzubeten (‘proskyneo’). Da sagte er zu mir: Tu das nicht! Ich bin nur ein Knecht wie du und deine Brüder, die Propheten, und wie alle, die sich an die Worte dieses Buches halten. Gott bete an (‘proskyneo’)!« (Offb 22,8-9)

g. Die Sündenvergebung. — Ein weiteres Indiz an verschiedenen Stellen der Evangelien ist die Vergebung der Sünden, die Jesus verschiedenen Menschen gewährt. Zu Recht beschweren sich die Juden, dass Jesus damit etwas in Anspruch nimmt, das allein Gott zukommt (Lk 5, 21). Dennoch bleibt Jesus dabei - er kann diese Vollmacht sogar weitergeben (Joh 20,23); das macht deutlich, dass die Macht zur Sündenvergebung sogar von ihm ausgeht.

h. »Ich und der Vater sind eins.« — Im Johannesevangelium gibt es so zahlreiche Belege für die Göttlichkeit Jesu, dass ich mich hier auf zwei weitere beschränken will. Zum einen sagt Jesus in Joh 10,30: »Ich und der Vater sind eins« - mit der entsprechenden Reaktion der Juden, die wiederum Jesus steinigen wollen.

Zu Beginn des Johannesevangeliums heißt es noch deutlicher: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott« (Joh 1,1). Das »Wort« ist hier unzweifelhaft Jesus, wie der Fortgang des Prologs deutlich macht. In diesem Prolog wird Jesus in Vers 1 nicht nur mit Gott gleichgesetzt »und das Wort war Gott«, sondern bekommt auch im folgenden göttliche Attribute: »Er war vor aller Zeit und durch ihn ist alles geworden, was existiert« (Joh 1,2-3). Diese Aussage findet sich auch in anderen neutestamentlichen Hymnen: 1 Kor 8,6; Phil 2,6; Kol 1,15-20; Eph 1,4; Hebr 1,2f.

i. Rabbi Neusners Problem. — Rabbi Neusner, der den Gottesanspruch Jesu ablehnt und lieber Jude bleiben will, erkennt aber in seinem Buch »Ein Rabbi spricht mit Jesus« eindeutig an, dass Jesus sich selbst an die Stelle Gottes setzt: Rabbi Neusner schreibt: »Jeder, der dem Jesus bei Matthäus begegnet, erkennt, dass der Evangelist den inkarnierten Gott vor Augen hat«.

Er macht diesen Anspruch (und auch die Gründe, warum er diesen Anspruch ablehnt) an vielen Stellen des Evangeliums fest; die - zumindest grob gesprochen - alle darauf hinauslaufen, dass Jesus sich mit der Veränderung der Gebote nicht nur göttliches Recht anmaßt - sondern sich selbst zum Sinn und Gegenstand der Gebote macht. »Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig« (Mt 10, 37) - »Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig« (Mt 10, 38) - »Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen« (Mt 10, 39) - »Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat« (Mt 10, 40). »Denn der Menschensohn ist Herr über den Sabbath« (Mt 12,8). »Jesus antwortete ihm: Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach« (Mt 19,21).

Immer wieder läuft eine eingehende, auf jüdische Tradition basierende Analyse auf das gleiche Ergebnis hinaus: Während die Juden das Gesetz befolgen, weil es sie zu Gott führt, erwartet Jesus, dass wir die Gesetze so befolgen, dass sie uns zu ihm führen. Jesus spricht zu uns als Gott. »Und das lehne ich ab!«, schließt Jakob Neusner. Aber seine Erkenntnis bleibt.

Die Erkenntnis hat nicht erst Rabbi Neusner gewonnen; als Edith Stein ihrer Mutter erklärte, dass sie sich taufen lassen wolle, meinte ihre Mutter - aus jüdischer Perspektive - über Jesus: »Er war ja ein guter Mann. Wenn er sich doch nur nicht zu Gott gemacht hätte!«.

k. Die Auferstehung. — Den letzten und entscheidenden Punkt - die Auferstehung Jesu - möchte ich an dieser Stelle aussparen - darüber werden wir an spätere Stelle tiefer nachdenken (Soteriologie III).

Die hier angeführten Bibelstellen sind nur ein Bruchteil dessen, was angeführt werden könnte. Mag sein, dass die eine oder andere Bibelstelle in der Interpretation noch diskutiert wird - dennoch geht kein Weg daran vorbei: Wenn das Zeugnis der Evangelien wahr ist (und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln), hat Jesus klar und deutlich den Anspruch für sich erhoben, mit der Stimme Gottes zu seinem Volk zu sprechen. Mögen wir wie viele Zeitgenossen Jesu oder wie Rabbi Neusner heute diesen Anspruch ablehnen - es bleibt unstrittig, dass Jesus ihn erhoben hat.

Wie gesagt, war in diesem historischen Augenblick noch nicht ganz klar formuliert, was das nun genau bedeutete. War Jesus Jahwe? War Jesus vielleicht nur ein Mensch, der von Jahwe zu Gott gemacht wurde - oder durch Adoption zu Gottes Sohn wurde? Oder ...?

Diese Fragen stellten sich natürlich den Christen von Anfang an; sie wurden heiß diskutiert und immer wieder mit den Aussagen in den Evangelien verglichen. Denn bei diesen Fragen ging es nicht nur darum, die Behauptung, Jesus sei Gott gewesen, vor den Kritikern zu rechtfertigen. Viel mehr und viel drängender ging es darum, den Gedanken eines menschgewordenen Gottes vor der Vernunft zu rechtfertigen. »Gott wird Mensch - ist das nicht ein Widerspruch in sich und deshalb ein Ding der Unmöglichkeit?«

Es dauerte seine Zeit, bis sich die Kirche - über lange und zum Teil auch sehr heftige Auseinandersetzungen hinweg - zu einer Reihe von Sätzen bekannte, die ein einheitliches Verständnis der »Christologie« (so die zur Wissenschaft gewordene Frage nach dem Gott Jesus) für die ganze Christenheit ermöglichten. Grundlage der so genannten »christologischen Konzilien« war dabei nicht nur die Heilige Schrift - sondern auch die gelebte Spiritualität der Kirche.

Fazit

Wenn wir die Frage bedenken, was die Evangelisten glaubten und vermitteln wollten, kommen wir nicht um die Erkenntnis herum, dass sie Jesus als Gott vor Augen hatten und von dieser Erkenntnis erzählten. Dass die ersten Christen noch nicht die nötigen Begriffe und theologischen Unterscheidung zur Verfügung hatten, um klar und deutlich von einer Trinität (Dreifaltigkeit) zu sprechen, liegt auf der Hand: Aber gerade das lässt die Aussage umso klarer werden.

II. Die Entfaltung der Christologie in der frühen Kirche

Es geht im Folgenden nicht darum, die gesamte Entwicklung der christologischen Definitionen wiederzugeben. Ebenso wenig werde ich alle Varianten der »christologischen Häresien« (was das bedeutet, erkläre ich gleich) darstellen. Es geht im Grund nur um zwei wesentliche Erkenntnisse: Die Versuche der frühen Kirche, den doppelten Gegensatz in der Christuswirklichkeit zu verstehen (»Ein Gott - Drei Personen« und »Zugleich Gott und Mensch«), wurden nicht durch Machtverhältnisse entschieden (»Welcher Bischof hat mehr Anhänger? Welcher Papst gewinnt ein Konzil für sich?«), sondern (1) durch das Festhalten an der in der Bibel bezeugten Lehre und (2) durch die Konsequenzen, die die Christologie für den gelebten Glauben hat.

1. Heidnische Fragestellung - Christliche Antworten?

Es kommt im Alltag immer wieder vor, dass ich jemandem begegne, von dem ich einen klaren und eindeutigen Eindruck habe; ich weiß (oder glaube zu wissen), wer diese Person ist, inwieweit ich ihr trauen kann; oder ich habe den vagen Eindruck, dass irgendetwas Unbestimmtes in dieser Person verborgen ist. Einen solchen Eindruck von jemandem zu gewinnen, gehört zu unseren intuitiven Fähigkeiten. Diesen Eindruck aber jemandem zu vermitteln, der diese Person nicht kennt, ist die Aufgabe der Sprache - und die ist uns nicht angeboren. Wer nach Worten ringt, um angemessene Ausdrücke für einen eigentlich klaren Eindruck zu finden, steht vor der Aufgabe, Intuition in Begriffe zu kleiden. Oder, etwas poetischer ausgedrückt: Das Herz gibt dem Verstand vor, was dieser in Begriffe zu kleiden versucht.

Nachdem Jesus in seiner Person und mit seinen Handlungen (darunter auch die Wunder), Predigten und am Ende durch seine Auferstehung und Himmelfahrt den Aposteln und Evangelisten klar und verständlich ins Herz gegeben hatte, wer er nun ist, brauchte die frühe Kirche (selbst mit dem Beistand des Heiligen Geistes) mehr als 700 Jahre, um dies auch abschließend so zu formulieren, dass Missverständnisse weitestgehend ausgeschlossen wurden. Manche Theologen meinen, dass eine solche Formulierung nur notwendig geworden ist, weil eine Verkündigung Jesu sich auch den Fragen der heidnischen (d. h. zunächst der römischen und griechischen) Zuhörer stellen musste; wäre der christliche Glaube im ursprünglichen jüdischen Kontext geblieben, so wäre der Kirche 700 Jahre theologischer Streit erspart geblieben.

Dahinter steckt manchmal eine Abneigung gegenüber den griechischen und philosophischen Gedanken - auf jeden Fall aber eine Unkenntnis des jüdischen Denkens. Denn die Fragestellung, wie Jesus denn von sich als Gott sprechen konnte - und dennoch zum Vater im Himmel - und wie es dann trotzdem nur einen Gott geben solle - das war auch den Juden ein Rätsel, das sie noch lösen mussten. Es waren also nicht erst die (griechischen) Heiden, die »unangemessene« philosophische Fragen nach dem »Wesen» und dem »Sein» Jesu stellten. Der »christologische Streit« war keine Auflösung des Christusereignisses in philosophische Spitzfindigkeiten, sondern war von Anfang an - schon bei den Aposteln und Pharisäern, die Jesus zuhörten - vorhanden.

Dieses Einmalige und vollkommen Neue an Christus als Einheit von Gott und Mensch und Gott als Vater-Sohn-Geist-Einheit wurde von den ersten Christen in der direkten Nachfolge der Apostel schon eindeutig bekannt - wenn auch nicht begrifflich geklärt. Vielleicht haben sich die, die Jesus noch leibhaftig erlebt haben, die Frage »Wie kann das sein?« nicht gestellt. Als es aber an die Verkündigung ging, tauchten die Probleme auf. Nicht, weil die Heiden (allen voran die Griechen) so dämlich fragten (wie manche Romantiker und Anti-Hellenisten heute meinen), sondern weil den Aposteln und den Evangelisten die Worte fehlten, das auszudrücken, was sie erfahren und gesehen hatten.

Vermutlich war für die Kinder der ersten Christen das Strahlen in den Augen der Eltern ausreichend, wenn sie von ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen sprachen. Die Begeisterung und Ehrfurcht, die sicherlich in den Erzählungen mitschwang, verlangte zunächst noch nicht nach einer Erklärung. So wird auch bei der Erzählung des Vaters, wie er die Mutter kennen und lieben gelernt hat (»How I met your mother»), keines der eigenen Kinder fragen, ob diese erste Liebe der Eltern nicht nur die Auswirkung von Hormonen gewesen sei. Das wäre eine alberne Denkweise - klar! Wenn aber ein verliebter Mensch von einem kritischen Materialist immer wieder darauf hingewiesen wird, er sei gar nicht verliebt, sondern hätte nur zu viel Schokolade gegessen, dann muss er sich zweifelsohne Gedanken machen, wie seine Verliebtheit und sein Hormonspiegel zusammenhängen.
Nicht die Liebe drängt zur Begriffsklärung - sondern die Not, es denen zu erklären, die keinen Begriff von Liebe haben.

Die Not, das Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem in Jesus zu erklären, war eine Not, die sich aus der Verkündigung ergab. Natürlich sind diese Klärungen angesichts des großen Geheimnisses der Menschwerdung Gottes von geringerer Strahlkraft als eine Begegnung mit dem Auferstandenen. Aber dennoch wahr, notwendig und hilfreich.

2. Hellenisierung = Verfremdung = Verfälschung?

Manche romantisch veranlagten Menschen glauben, dass in der alten Zeit, in der man Dinge unreflektiert einfach erspürt hat und noch nicht darüber nachdenken musste, die Welt noch besser gewesen sei. Das »Geheimnisvolle Zwielicht beim Morgengrauen« ist ein Idealbild der Romantik, dorthin wieder zurückzukehren und zugleich jedes aufgeklärte Denken abzulegen. Und so gibt es auch Theologen, die der Meinung sind, nur das jüdische Denken sei dem Geheimnis Christi angemessen und die griechische Philosophie habe den christlichen Glauben zunächst verfremdet und dann schließlich verfälscht. (Das bezeichnen diese Theologen als »Hellenisierung«).

Diese Auffassung geht davon aus, dass entweder eine bestimmte Kultur und Sprache (die »jüdische Denk- und Sprechweise«) besser sei als alle anderen - oder dass es noch besser sei, überhaupt nicht zu reden und zu denken, sondern nur zu fühlen, zu erspüren und bunte Bilder zu malen.

Noch schlimmer: Wer so argumentiert, unterstellt den Juden bzw. den orientalischen Menschen der damaligen Zeit, sie wären nicht wirklich in der Lage gewesen, logisch zu denken.

Diese Kritik an der griechischen Denkweise, oder auch an jeder rationalen Herangehensweise, übersieht, dass wir Menschen immer denkende Wesen sind und uns schon aus eigenem Antrieb nicht mit »Spüren und Fühlen« zufrieden geben - vor allem dann, wenn wir logische Widersprüche hinnehmen sollen. Wir wollen uns selbst versichern, was wir denn da erlebt haben (das haben auch schon die Juden getan, nicht erst die Griechen); nicht um das Großartige, was wir erlebt haben, auf Begriffe zu reduzieren und in kleine Schubladen zu verstauen - sondern um die Größe dessen, was wir intuitiv erfasst haben, zu bewahren und vor Reduktionen zu schützen.

Nicht-theologische Schwärmer glauben, das Ereignis (der menschlichen Liebe oder der Menschwerdung Jesu) zu schützen, indem sie nicht darüber philosophieren, sondern nur in Bildern reden - und sich dann auch noch weigern zu erklären, was sie mit ihren Bildern denn aussagen möchten. Aber gerade dadurch verlieren sie das, was sie bewahren möchten.

Nichts gegen die blumige und bildverliebte Schwärmerei: Ich finde das Bewahren einer poetischen und bildhaften Sprache wichtig; ich habe meine frühen Liebesbriefe auch noch aufbewahrt und bin stolz darauf. Aber das entbindet mich nicht von der (vielleicht lästigen) Aufgabe, zu fragen, ob das denn wirklich Liebe war, was damals geschah.

Die »Hellenisierung« des christlichen Glaubens bedeutet also nicht eine Verfremdung oder Verfälschung. Die mit Hilfe der griechischen Philosophie gewonnenen Antworten auf die Fragen nach Christus dienen vielmehr der Bewahrung des größten Ereignisses der Geschichte: der Menschwerdung Gottes.

3. Wer entfalten will, muss verstehen

Aber nicht nur andere Denkweisen legen den Christen die Verpflichtung auf, über das, was sie verkünden wollen, nachzudenken. Auch die zunehmende Entfaltung des christlichen Glaubens - in den Sakramenten, den Gottesdiensten und in der Erwartung dessen, was den Christen verheißen ist - setzt voraus, dass wir uns dessen, was wir entfalten, sicher sind.

Wer glaubt, Liebe sei nur ein erhöhter Serotonin-Spiegel im Blut und die Konsequenz von übermäßigem Schokoladen-Konsum, der wird zu dem Schluss kommen, dass zur Erhaltung der Liebe ein großer Vorrat an Schokolade wichtiger ist als das Bemühen, sich immer neu in die Person des Geliebten zu vertiefen. Ein fataler Fehler.

Wenn ich auf Christus schaue und versuche, ihm nachzufolgen: Was erwartet mich dann? Was muss ich tun, um Christ zu bleiben? Und was bedeutet das: Ich »werde Christ«?

Das ist die vielleicht wichtigere Frage, die sich die Christen der ersten Jahrhunderte stellten. Dieser Frage wollen wir nun nachgehen.

Fazit

Dass es in den Evangelien noch keine theologisch klaren Begriffe gab, liegt nicht an der Unklarheit des Glaubens. Diesem neuen Glauben entsprechend musste sich erst eine angemessene Sprache entwickeln. Dementsprechend gab es keine »Hellenisierung des christlichen Glaubens» im Sinne einer »Verfälschung«, die griechische Philosophie half lediglich, logische Fragen zu klären und die biblischen Aussagen zu verstehen.

III. Die frühchristlichen Versuche, Jesus als Christus zu verstehen

Es ist der Horror aller Theologiestudenten, die »frühchristlichen Häresien« zu studieren. Da tauchen so seltsame Begriffe auf wie Monarchianismus, Adoptianismus, Propheten-Christologie, Modalismus, Subordinationismus, Arianismus, Tritheismus, Monophysitismus, Doketismus, Ebionitismus und Nestorianismus. Hinter all diesen Begriffen verbirgt sich jeweils ein Versuch, zu verstehen und auf einen Begriff zu bringen, was der Glaube »Jesus war Gott und Mensch zugleich« eigentlich bedeutet.

Die frühchristlichen Häresien waren allerdings - im Gegensatz zu vielen anderen »Irrlehren« - keine böswilligen Verfälschungen des Christusglaubens, sondern eben redliche Versuche, die geglaubte Christologie in Einklang mit unterschiedlichen Denkweisen zu bringen. Das schließt zwar nicht aus, dass ihre Vertreter oder Gegner oft verbissen an ihren jeweiligen Lösungen festhielten und die Auseinandersetzung nicht immer mit fairen, unpolitischen Mitteln ausgetragen wurde. Aber dennoch sollten wir allen Vertretern einer jeweiligen Interpretation zunächst ein ehrliches Ringen um die Bewahrung der biblischen Vorgaben unterstellen.

1. Die zwei Hauptfragen der frühen Kirche

Zwei Problemfelder boten sich den Christen des ersten Jahrtausends:

Wie kann es sein, dass Jesus zugleich Gott und Mensch war? (Das Problem der »Zwei Naturen Christi«)

Wie kann es sein, dass Jesus Gott war - und der Vater und der Hl. Geist ebenfalls? (Das Problem der »Trinität«)

Wie war es denkbar, dass Jesus zugleich Gott und Mensch war - wenn doch Gott ewig und der Schöpfer ist; Mensch aber zeitliches, endliches Geschöpf bedeutet? Und, falls Jesus wirklich und im eigentlichen Sinn Gott war, - wie ist das denkbar, wenn wir dennoch an dem Ein-Gott-Glauben (dem Monotheismus) festhalten wollen? Genau genommen ging es nicht um eine Klärung dessen, was die Christen glauben sollten. Eine solche Auffassung, dass der Inhalt des Glaubens erst durch historisches Ringen festgelegt wird, ist eine Irrlehre, die als Historizismus bezeichnet wird.

Nein, was die Christen glaubten, war eigentlich klar: Jesus ist Gott - und zugleich Mensch. Jesus, der Vater und der Hl. Geist sind Gott - und dennoch gibt es nur den einen Gott. Zu klären war allerdings, wie das zu verstehen sei, da doch in den jeweiligen Aussagen ein innerer Widerspruch zu liegen scheint.

Eine erste, naheliegende Lösung wäre das berühmte »credo quia absurdum« - »ich glaube es, weil es absurd ist«. Diese Schein-Lösung unterstellt, dass »glauben« bedeuten kann, etwas anzunehmen, was unserer Logik widerspricht. Viele Atheisten glauben, das sei das Kennzeichen aller Christen - vor allem der Katholiken.
Dagegen hat die Kirche immer festgehalten, dass Glauben und Vernunft keine Gegensätze bilden dürfen; im Gegenteil. Zwar lässt sich beides nicht immer sofort zur Deckung bringen; zudem sind manche Glaubenssätze über-rational. Aber niemals ist unser Glaube ir-rational. (Zu dieser Unterscheidung findest du mehr im Abschnitt zur Dreifaltigkeit.)
Das Wort »credo quia absurdum« ist im Übrigen kein Zitat eines Theologen oder Kirchenvaters - es ist eher ein theologischer Scherz.
2. Die zwei Hauptwahrheiten zur Überprüfung

Jetzt kann man - vorausgesetzt, man hätte keine Bibel - sehr, sehr lange darüber diskutieren, wie viele Götter es wohl gibt. Von mir aus drei Götter - oder auch Vater, Sohn und Geist (oder, wie Mohammed es von den Christen fälschlicherweise glaubte: Vater - Mutter - Kind). Oder 28 Götter. Oder nur einen Gott. Oder - warum nicht - überhaupt keinen Gott? Rein denkerisch ist das nicht entscheidbar.

Wir brauchen noch etwas anderes zur Klärung dieser Frage - und zwar den Hintergrund des christlichen Glaubens. Es würde unseren Glauben fundamental verändern, wenn wir plötzlich drei Götter hätten - oder wenn Jesus doch kein Gott wäre - oder kein richtiger Mensch.

Der hier gewählte erste Prüfstein ist die Erlösung. (»Quod non est assumptum, non est sanatum«, frei übersetzt: Wenn Gott kein Mensch geworden ist, hat er auch keinen Menschen erlöst). Allerdings würde es den Rahmen eines Glaubens-Grundkurses sprengen, die gesamte Soteriologie (die Lehre von der Erlösung) durchzugehen. Wir schauen vor allem auf das Ziel der Erlösung: Wir sollen Anteil an der dreifaltigen Liebesgemeinschaft Gottes erhalten - durch den Sohn. Als »zweite Christusse» sieht Gottvater in uns das, was er in seinem Sohne sieht. Können wir das noch wollen, wenn wir die Christologie ändern würden?

Der zweite Prüfstein soll hier die Voraussetzung für die Erlösung sein: Dass wir wie Christus werden (deshalb tragen wir ja den Namen »Christen«). Ihm nachfolgen heißt ja nicht nur sein Tun kopieren, sondern Ihm ähnlich (wenn möglich, sogar »gleich») werden. Können wir das noch wollen, wenn wir die Christologie ändern würden?

Jetzt haben wir also wunderbare Kriterien: Die Aussagen Jesu selbst (bzw. die Aussagen des Neuen Testamentes), und das Ziel der Erlösung und deren Voraussetzung. Damit können wir eigentlich jeden dahergelaufenen christologischen Häretiker selbst bewerten, ohne ein Konzil abzuhalten.

Natürlich spart es sehr viel Zeit, wenn wir uns im Zweifelsfall dann doch auf die Konzilien berufen. Zeit, die wir für Sinnvolleres und Notwendigeres nutzen können: z. B. Jesus tatsächlich nachzufolgen, anstatt nur darüber zu spekulieren.
3. Einteilung der Häresien

Jetzt müssen wir nur noch den unübersichtlichen Wust von Häresien in ordentliche Haufen sortieren. Ohne uns nun an den unterschiedlichsten Sortier-Systemen anderer zu stoßen, denke ich, gibt es hauptsächlich drei Haufen: Entweder wird (A) die wahre Menschheit Jesu geleugnet (oder abgeschwächt) oder (B) seine Gottheit bestritten oder (C) die Einheit von Gott und Mensch in der Person Jesu wird verkannt.

a. Christologische Häresien - A-Klasse. — Von den Häresien, die lehren, Jesus sei gar kein richtiger Mensch gewesen, kennen wir

den Doketismus (griechisch: dokein = »scheinen»): Jesus hatte nur einen Schein-Leib; ähnliches lehrten auch die Manichäer und Valentinus;

den Apollinarismus (nach Apollinaris von Laodizea): Der Mensch besteht aus Leib, Seele und Geist. Bei Jesus wird der Geist durch Jesus-Gott ersetzt, der nun einen beseelten Leib in Besitz nimmt;

die Monophysiten (griechisch: monos physis = »eine einzige Natur«) oder auch Miaphysiten (griechisch: »eine einheitliche Natur»): Bei der Vereinigung von Gott und Mensch in Jesus wird die Menschheit Jesu »wie ein Tropfen im Meer« aufgelöst und verschwindet;

den Monotheletismus (griechisch: thelo = »wollen«) und Monenergismus (griechisch: ergein = »wirken»): In Jesus gab es nur einen Willen (den göttlichen) und eine Wirkungsweise (klar: auch nur die göttliche);

und den Modalismus: Der immer eine Gott erscheint auf drei verschiedene Weisen; die Personen sind Masken, die wechseln (daher werden sie auch Patripassianer genannt: Gott-Vater hat am Kreuz gelitten). - Der Modalismus hält am Ein-Gott-Glauben und der Göttlichkeit Jesu fest, leugnet aber die Menschwerdung Jesu.

Die Gründe, diese Erklärungsversuche (und Rettungsversuche des Monotheismus) abzulehnen, mögen auch philosophischer Natur gewesen sein. Grundlage ist zudem selbstverständlich die biblische Wahrheit. Aber auch die Frage, »was macht das mit uns», ist sehr erhellend: Wenn wir die Einheit von Gott und Mensch in Jesus als Vorbild und Voraussetzung für uns Menschen begreifen, Teil der göttlichen Gemeinschaft zu werden, dann bedeutet der Monotheletismus also, dass wir unseren menschlichen Willen abgeben und nur noch der göttliche Wille in uns regiert. Wohlgemerkt: Abgeben ist mehr als nur Gehorsam, der Monotheletismus verlangt so etwas wie eine Hirnamputation um der Erlösung willen.

Ähnliches gilt für den Apollinarismus: Das Ziel des Menschen und seine Vervollkommnung in Jesus hieße also, unseren beseelten Leib Jesus zur Verfügung zu stellen und dafür auf unseren Geist zu verzichten.

So etwas ähnliches geschieht - nur mit umgekehrten Vorzeichen - bei Menschen, die von einem bösen Geist besessen sind. Erlösung soll eine »positive Besessenheit« sein?
Grundsätzlich gilt: Wenn Jesus kein richtiger Mensch war, hat er uns entweder nicht wirklich erlöst - oder wir müssen, um Ihm nachzufolgen, auch unser »richtiges Menschsein« opfern und hinter uns lassen.

Klar, dass da die Christen der ersten Jahrhunderte (nicht nur die, die auf den Konzilien eingeladen waren) deutlich »Nicht mit uns!« gesagt haben.

Aber auch der Monophysitismus hält keine wirklich frohmachende Hoffnung für uns Menschen bereit: Wenn bereits in Christus seine menschliche Natur so sehr von der Göttlichkeit aufgesogen wurde, dass nur noch von einer Natur gesprochen werden kann - nämlich der göttlichen Natur Jesu -, dann steht uns Menschen das gleiche Schicksal bei einer seligen Begegnung in der Ewigkeit bevor. Wie ein Stück Zucker sich im Kaffee auflöst (ein ziemlich kleines Stück Zucker in einem unendlichen Ozean von Kaffee), so werden wir zwar in Gott »eingehen«, dabei aber auch verschwinden. Ein göttliches Nirwana ... nicht gut.

b. Christologische Häresien - B-Klasse. — Unter die Häresien, die lehren, Jesus sei nicht richtig Gott gewesen, fallen die

Ebioniten, Markion, Cerinth, Paul von Samosta, Photinus u.a.: Sie leugnen ohne große Scheu die Göttlichkeit Jesu und seine Präexistenz (also seine ewige Existenz auch schon vor der Geburt in Bethlehem);

die verschiedenen Varianten des Subordinatianismus (lat.: »unterordnen«): Der Subordinatianismus nimmt zwar drei verschiedene Personen in Gott an, spricht aber der zweiten (und dritten Person) die Wesensgleichheit mit dem Vater und damit die volle Gottheit ab (und da es genau genommen keine Halb-Götter und auch keine Dreiviertel-Götter gibt, ist Jesus dann eben gar kein richtiger Gott);

die Theorien des Adoptianismus (von »adoptieren«): Gott nimmt einen gewöhnlichen Menschen (Jesus) als seinen eigenen Sohn an, dieser Mensch hat sich die Sohnschaft durch seine einmalige Gesetzestreue verdient. Viele »Adoptianer« glauben, dieser Moment der Adoption sei in der Taufe Jesu zu finden: Dort wird er zum Sohn. - Der Adoptianismus wahrt den Ein-Gott-Glauben auf Kosten der Göttlichkeit Jesu.

die Vertreter der Propheten-Christologie: Teilströmung des Adoptianismus; Jesus war Prophet und wurde als größter aller Propheten zum Sohn;

und die Anhänger des Arianismus (nach dem alexandrinischen Presbyter Arius, 260-336): Der Sohn ist ein Geschöpf des Vaters, dem Vater ungleich und zeitlich, aber dennoch Gott (genannt). Gott wurde Vater, als er sich in Vater und Sohn aufspaltete. Gott war also nicht schon immer Vater, der Sohn war nicht von jeher. Jesus ist geschaffen, er ist ein anderer Gott, der unter dem einen Gott steht. Er wurde aber vor der Erschaffung der Welt und der Zeit erschaffen.

Auch der Arianismus, genauso wie die anderen Häresien, die die Gottheit Jesu leugnen, ist nur eine Schein-Lösung auf Kosten des biblischen Befundes; noch schlimmer und weitreichender aber sind die Konsequenzen für die ganze Theologie: Wie Jesus zu werden - und an seiner Stelle Teil der trinitarischen Liebesgemeinschaft zu werden, verliert hier jeden Wert: Denn Jesus war nie Teil eines innergöttlichen Geschehens. Gott ist ein anderer, nicht Jesus.

Weiter noch: Jeder Mensch ist auf die gleiche Weise wie Jesus bereits als Geschöpf gott-ähnlich (Gen 1, 27). Jesus mag vielleicht Gott noch ähnlicher gewesen sein als wir übrige Menschen, aber es ist dann eben nicht Gott, der uns erlöst; es ist auch nicht Gott, der Mensch wird; und somit bedeutet Christ-sein und Christ-werden nicht, in einer gnadenhaften Verbindung mit Gott unser Glück zu finden, sondern nur noch in der Ähnlichkeit zu wachsen. Das ist aber kein liebendes Geschehen zwischen Gott und Mensch, sondern nur eine höhere Stufe des Seins.

Ein nach Liebe hungernder Mensch möchte aber nicht nur eine höhere Gehaltsstufe erreichen. Ewiges Glück liegt darin, dass der ewige Gott sich mir endgültig zuwendet.

Der Adoptianismus und die Propheten-Christologie wollen den (scheinbaren) Widerspruch, Jesus zugleich als Gott und als Mensch zu bezeichnen, dadurch lösen, dass sie Jesus zunächst nur ein Geschöpf sein lassen, das erst später zum Gott gemacht (adoptiert) wurde. (Manche Theologen halten die Taufe Jesu für den Augenblick seiner Adoption. Erst nachdem Jesus getauft wurde, ertönte die Stimme Gottes, die ihn nun zu seinem Sohn erklärte: »Du bist mein geliebter Sohn. An dir habe ich Gefallen gefunden« (Mk 1,11; Lk 3,22). Aber das löst das eigentliche Problem nicht, sondern leugnet in der Konsequenz nur die Göttlichkeit Jesu. Ein Geschöpf kann niemals wirklich und ganz Gott werden - es kann allerhöchstens mit Eigenschaften ausgestattet werden, die scheinbar nur Gott zukommen (z. B. Wunder wirken oder ewig leben, d. h. zukünftig unbegrenzt). Aber wirkliche göttliche Eigenschaften (wie z. B. Allmacht, Unendlichkeit und Ewigkeit) kann niemand »erhalten«.

Warum wurde diese doch eigentlich naheliegende Erklärung abgelehnt? Zunächst einfach deshalb, weil damit der biblischen Tradition widersprochen wird; offensichtlich haben auch die Apostel Jesus nicht so verstanden: Er war nicht nur »irgendwie göttlich», er war Gott selbst. Hier zeigt sich besonders deutlich, dass die Kirche mit ihrer Ablehnung des Adoptianismus eben nicht dem griechischen Denken gefolgt ist. Für die griechischen Philosophen wäre die Leugnung der unbedingten Göttlichkeit eine wunderbare Lösung gewesen. Aber die Konzilien haben sich von Anfang an geweigert, den biblischen Glauben an »die göttliche Natur Jesu von Ewigkeit her» aufzugeben.

Noch wichtiger ist es, die Konsequenzen für die ganze christliche Lehre zu bedenken. Denn wenn Jesus sich die Gottheit verdient hat - entweder durch seine Gesetzestreue, seine vorbildliche Prophetentätigkeit oder auch durch seine unüberbietbare Nächstenliebe - dann hieße das für die Erlösung, dass auch wir erst auferstehen werden, wenn wir uns durch unsere eigenen Taten würdig erweisen. Ja, wir müssten unser Heil verdienen - das große Geschenk der Erlösung wäre kein Geschenk mehr; Gnade wäre keine Gnade, sondern Lohn.

Entsprechend dieser Auffassung hat sich in der frühen Kirche der Pelagianismus entwickelt: Glaube, Liebe und Gnade sind »Geschenke», die der Mensch sich erst erarbeiten muss. Bischof Pelagius veränderte die Reihenfolge der christlichen Moral: Zuerst kommt der Fleiß (die moralische Anstrengung), dann der Preis (die göttliche Gnade); in Wirklichkeit wird uns Menschen zuerst die Gnade geschenkt, mit der wir dann - mitwirkend - zum neuen Menschen werden.
Gottseidank wurden der Pelagianismus und dessen Voraussetzung, der Adoptianismus, verworfen. Ein solcher Glaube wäre eine moralische Hölle.

Natürlich könnte man einwenden, der Mensch Jesus habe seine Gottheit zwar geschenkt bekommen, aber eben unverdient. Damit vermeiden wir den Pelagianismus - sind dann aber schnell bei der All-Erlösung; denn wenn Jesus seine Sohnschaft einfach so geschenkt bekommt, dann gilt das ja wohl auch für uns und alle Menschen. Aber dann wird unser ganzes irdisches Tun entwertet - es hat keine Bedeutung; wir kommen ja sowieso alle in den Himmel. Anders ausgedrückt: Wenn Erlösung auf keinerlei Erlösungstat beruht - sondern nur auf einem Entschluss Gottes -, dann ist es reine göttliche Willkür, dass wir noch nicht alle im Himmel sind.

c. Christologische Häresien - C-Klasse. — Häresien, die zwar davon ausgehen, dass Jesus sowohl wahrer Gott und wahrer Mensch ist (wie im Glaubensbekenntnis von Nicäa formuliert), aber keine rechte Einheit der beiden Naturen in Jesus finden, sind zum Beispiel:

der gnostische Dualismus (»Gnosis«, von griechisch gnosein = wissen: eine eher philosophische Richtung in verschiedenen Religionen und Varianten; »Dualismus«: Annahme von zwei einander widerstreitenden Prinzipien): Jesus war Mensch und Gott - aber beides (oder beide) existierte zunächst voneinander getrennt; Jesus war z. B. bis zu seiner Taufe nur ein Mensch; in der Taufe kommt der ebenfalls schon existierende geistige Christus auf Jesus herab. Beide bilden keine wirkliche personale Einheit;

der Nestorianismus (nach Nestorius in Konstantinopel, der diese Lehre aber vermutlich gar nicht vertreten hat): Jesus-Gott und Jesus-Mensch sind zwei verschiedene Personen mit verschiedenen Eigenschaften und nur durch das »Band der Liebe» miteinander verbunden (sie bilden nur eine »moralische Einheit»);

und schon wieder die Adoptianer (die wir auch schon bei den Häresien der A-Klasse eingeordnet hatten). In einer speziellen Variante (»dynamistischer Monarchianismus») lehrten sie, dass ab der Taufe Jesu Gott in Jesus gewirkt hätte, so dass Jesus »der Kraft nach» Gott war (daher: »dynamistisch« von griechisch. dynamos = »Kraft«).

Hier kommt nun der biblische Befund an seine Grenzen: Denn das unbedingte Festhalten an den biblischen Erkenntnissen »Jesus war Gott« und gleichzeitig »Jesus war Mensch« scheint in diesen Häresien der C-Klasse gewahrt.

Der Grund für eine Ablehnung liegt auch nicht in der philosophischen Logik: Prinzipiell denkbar sind Dualismus, Nestorianismus und Monarchianismus schon. Aber sie widersprechen dem ganz klaren Befund unseres Glaubens, dass der erhöhte Herr, Christus, niemand anderer war als Jesus selbst - und Christus nicht eine zweite Person war. Nun geschieht etwas Wunderbares: Durch das Festhalten an der biblischen Vorgabe klärt sich jetzt nicht etwa die christliche Theologie, sondern das griechische Denken! Es lernt nämlich zu verstehen, was »Person« (bzw. auf griechisch »Hypostase«) genau ist. Im Grund wussten die Griechen bzw. die griechischen Philosophie-Treibenden das zuvor selbst nicht so genau. Noch im 4. Jahrhundert nach Christus schien sogar der äußere Besitz eines Menschen zu dessen Person oder Hypostase dazu zu gehören. Erst durch diese christologische Auseinandersetzung verfeinerte sich der Begriff. Erst durch diese Diskussion ist unser heutiger Subjektbegriff entstanden!

Schließlich fand man die Beschreibung, dass die zwei Naturen (Gott und Mensch) in einer Person geeint wurden (»hypostatische Union»), ohne dass die Göttlichkeit dabei die Menschennatur verschlang (gegen die Monophysiten). Die berühmte Formel »ungetrennt und unvermischt« richtete sich dabei gegen die beiden Extreme: »ungetrennt« verwirft den Nestorianismus & Co.; »unvermischt« richtet sich gegen die Monophysiten.

Es gibt aber noch einen gewichtigen Grund gegen die Nestorianer und für die »hypostatische Union«. Nämlich unsere eigene Hoffnung. Der Gedanke, unsere Erlösung bestehe darin, zu unserem menschlichem »Ich« noch ein zweites »Ich« hinzugefügt zu bekommen, ist nicht sonderlich reizvoll. Die große Hoffnung der Christen besteht ja nicht darin, einfach nur neben Gott zu existieren - meinetwegen in Liebe miteinander verbunden. Das haben wir ja schon hier auf Erden.

Der Gedanke, dass unsere Gottebenbildlichkeit durch eine Umgestaltung in Christus so herausgebildet wird, dass wir mithineingenommen werden in Gott, ist eine andere, ungleich schönere Hoffnung. Die Erlösung geschieht an uns, und nicht in einer Hinzufügung einer weiteren Person (wie z. B. in einer Art göttlichem »Avatar«).

Fazit

Die frühchristlichen Versuche, das Christusgeheimnis zu umschreiben, hat zu einer zunehmenden Klarheit des Glaubens geführt - noch mehr aber zu einer zunehmenden Klarheit der Begriffe »Person« und »Natur«. Normativ für diese Klärung war immer das biblische Zeugnis und die eschatologische Verheißung (»Christologie für Nachfolger«). Anstelle von einer »Hellenisierung des Glaubens« müsste man besser von einer »Christianisierung des griechischen Denkens« sprechen.