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Grundkurs des Glaubens - Individuelle Eschatologie

Obwohl in unseren Breiten der Glaube an ein persönliches göttliches Wesen zunehmend schwindet, glauben immer noch mehr als 80 % der Europäer an ein Leben nach dem Tod. Dabei scheinen der Phantasie keine Grenzen gesetzt zu sein: Von der Wiedergeburt mit oder ohne Karma, über das Entschweben in eine andere Dimension, dem Entgleiten in den Himmel mittels vorbeiziehender Kometen bis hin zum klassischen Himmel mit oder ohne Hölle und Fegefeuer. Selbst Katholiken neigen immer mehr dazu, an eine Wiedergeburt zu glauben - als an den biblischen Vorstellungen von Himmel, Hölle und Fegefeuer festzuhalten. Und dann gibt es noch diejenigen, die behaupten, darüber könne man gar nichts wissen; noch nicht einmal vermuten oder spekulieren mache einen Sinn. Wie aber ist denn nun die Lehre der katholischen Kirche?

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1. Abend zur persönlichen Zukunft: Unser Glaube

I. Das Leben nach dem Tod: Christliche Lehre
1. Der Tod: Trennung von Leib und Seele
2. Drei Zustände: Himmel, Hölle, Fegefeuer
a. Hölle
b. Fegefeuer
c. Himmel
3. «Der jüngste Tag»
a. Der neue Leib
b. Zeit und Raum im Jenseits
c. Die Eintrittskarte in den Himmel

II. Der biblische Befund
1. Die Vereinigung mit den Vorfahren
2. Ewiges Leben der Seele
3. Leibliche Auferstehung

III. Das Gericht, die Hölle und der Himmel
1. Das Gericht
a. Selbstgericht und Strafgericht
b. Das Nicht-Sehen-Wollen
c. Erlösung
2. Die Hölle
a. Gottferne als Himmel
b. Hoffen und Wünschen
c. Implizite Ablehnung Gottes
3. Der Himmel
a. Gott und Menschen als Spiegel des anderen
b. Perfektion und Defizite
c. »Luja sog i!« - Lobpreis ohne Langeweile

I. Das Leben nach dem Tod: Christliche Lehre

Im allgemeinen behauptet und glaubt man, über das, was nach dem Tod kommt, könne nichts gewusst werden. Nun, die katholische Kirche macht über dieses »unbekannte Land« jenseits des Todes überraschend eindeutige Aussagen; sie weiß aber genauso eindeutig, wo die Grenzen ihres Wissens sind. Denn eigentlich gilt: Vom Leben nach dem Tod können wir nichts wissen, denn keiner war jemals tot und ist wieder zurückgekehrt. Außer - Jesus. Und der hat einiges davon seinen Aposteln anvertraut; 40 Tage hat er nach seinem Tod und seiner Auferstehung die Jünger unterrichtet (Apg 1, 3). Vor allem aber konnten die Jünger an Jesus sehen, was Auferstehung bedeutet. Und, das wissen wir bis heute, sie waren begeistert.

1. Der Tod: Trennung von Leib und Seele

Über Generationen hinweg erlebte jeder noch das Sterben von Alt und Jung im Kreis der Familie; alle, die einen Menschen haben sterben sehen, machten ähnliche Erfahrungen: Zunehmend verliert der Sterbende die Kontrolle über seinen Körper; der Mensch, der dem Tode nahe ist, ist immer schwerer über seine Sinne anzusprechen und reagiert kaum noch auf äußere Reize; je näher der Tod kommt, um so weniger leidet der Mensch unter den Schmerzen seiner Krankheit oder Verwundung. Für gläubige Menschen entsprach das genau dem, was die Kirche über das Sterben sagt: »Im Tod trennt sich die Seele vom Leib.«

Das ist allerdings - auch nach Auffassung der Kirche - keine biologische Selbstverständlichkeit wie zum Beispiel die Verwandlung einer Raupe zu einem Schmetterling. Nein, die Kirche bezeichnet das Sterben eines Menschen schon als ein Unglück: Denn die Seele verliert mit dem Leib ihre Möglichkeiten der Kontaktaufnahme, der Wissensaneignung, der Ausdrucksfähigkeit von Gefühlen und noch vieles mehr. Eine Seele ohne Leib ist nicht, wie die alten Griechen (wie Sokrates oder Platon) noch glaubten, eine befreite Seele, sondern eine beraubte Seele.

Dabei scheint das eigentlich Bedrückende im Tod nicht der leibliche Schmerz zu sein - wovor die Menschen heutzutage verständlicherweise am meisten Angst haben - sondern die zunehmende Einsamkeit. Nach der Angst, schmerzvoll zu sterben, ist das (Umfragen zufolge) die zweitgrößte Befürchtung: Allein zu sterben.

2. Drei Zustände: Himmel, Hölle, Fegefeuer

Eine Seele, die ihres Leibes beraubt ist, hindert nichts mehr, ihren seelischen Regungen, die sie sich im Laufe ihres Lebens zueigen gemacht hat, freien Lauf zu lassen. Die Seele, ohne die Grenzen ihres Leibes, prägt nun das Universum, das sie selber ist: Hier spricht die Kirche von drei verschiedenen Zuständen: Himmel, Hölle und Fegefeuer. Das klingt so, als ob es sich dabei um drei verschiedene Orte handeln würde, in die man dann mehr oder weniger zwangsweise verfrachtet wird; vor allem die Hölle wird doch wohl kaum einer freiwillig aufsuchen, oder? Im Grunde ist aber jede Seele ein Ort für sich. Es handelt sich eher um die Art, wie die Seele nun das Universum ihrer eigenen Existenz prägt. Das seelische Universum ist dabei immer einmalig, aber es kann eher höllisch oder himmlisch sein - oder eben irgendwie dazwischen.

a. Hölle. — Es gibt Menschen, die waren noch nie großartig an dem Wohl anderer Menschen interessiert; für die scheint die absolute Vereinzelung durch den Verlust des eigenen Körpers kein großes Unglück. Vielleicht verzichten sie gerne darauf: Keiner macht mehr Vorhaltungen, keiner beeinträchtigt ihr eigenes Streben nach Lust und Vergnügen; vor allem scheint kein Gott in der Nähe zu sein, der das eigene Verhalten als moralisch verwerflich abqualifiziert.

Allerdings ist das Streben nach Lust und Vergnügen ebenfalls an ein Ende gekommen: Selbst solch niedrige Güter wie Spaß, Unterhaltung, Lust - auch die sexuelle Lust, Vergnügen und Ablenkung - alles das kann nicht ohne die Gegenwart anderer Menschen existieren; zumindest aber nicht ohne den vollen Besitz seines eigenen Körpers.

Alles in allem: Einem solchen Menschen geht es ziemlich schlecht - und trotzdem wird er eher die Einsamkeit wählen als ein Leben in der Gegenwart Gottes. Nun: Gott gewährt ihm diesen Wunsch.

b. Fegefeuer. — Es gibt allerdings auch Menschen, die sich auch ein wenig - oder ein wenig mehr - nach der Gegenwart Gottes gesehnt haben. Die in allem, was sie getan haben, immer auch den Versuch sahen, Gott näher zu kommen. Oder zumindest ab und zu. Menschen, die manchmal sogar Zeit aufgebracht haben, Gott nahe zu sein - natürlich meistens mit Hintergedanken. Naja, man hat halt seine Bitten und Anliegen.... Vielleicht haben diese Menschen sich, trotz allem, die Sehnsucht nach der Gegenwart Gottes bewahrt.

Es ist unser Glaube, dass Gott zu dem kommt, der ihn ruft. »Bittet, so wird Euch gegeben, klopfet an, so wird Euch aufgetan.« Während die pure Seele leiblos zu niemanden Kontakt aufnehmen kann, kann Gott sich sehr wohl dieser Seele zeigen. Gottesschau nennt die Bibel dieses unsagbare Glück. »Klingt aber ziemlich langweilig«, wirst Du wohl denken. Das habe ich auch immer gedacht, wenn davon die Rede war, dass wir im Himmel endlich Gott sehen werden, wie er ist. »Naja«, dachte ich damals, »wenn's mehr nicht ist...« Aber jetzt stell Dir einmal vor, Du bist in dieser absoluten Einsamkeit, ohne Chance auf irgendeine Zuwendung, ohne Möglichkeit, irgendjemanden in Deiner Nähe zu spüren - und dann hast Du die Möglichkeit, Gott, das Urwesen der Liebe, die Unendlichkeit der Zuneigung selbst zu schauen, zu spüren und darin aufzugehen - na, das nenne ich Glück!

Allerdings hat die Sache natürlich einen Haken: Gott liest Dir jeden Wunsch von Deinen (nichtvorhanden) Lippen ab. Was daran der Haken ist? Schauen wir auf den Menschen im Fegefeuer:

Wenn in dem bisherigen Leben dieser bedauernswerte Mensch Gott lediglich als eine Art »Bittenerhörer« betrachtet hat, dessen einzige Funktion die Wunscherfüllung war, wird sich die Sehnsucht und Freude des Menschen nicht zunächst auf Gottes Gegenwart richten - sondern in IHM lediglich ein Mittel zum Zweck sehen: »Oh, Gott, gut, dass Du hier bist! Könntest Du mir vielleicht sagen, wo ich hier jemanden treffen kann? Mir ist langweilig. Weißt Du, wo die nächste Fete ist?« - »Hast Du meine Freundin gesehen? Ach komm, Du bist doch Gott, Du kannst sie mir doch herholen! Worauf wartest Du noch?«

Es dauert einfach seine Zeit, bis ein solcher Mensch begreift, dass Gott sich nur wirklich zeigen wird, wenn er um seiner selbst willen erwünscht ist. Deshalb spricht die Kirche auch vom Purgatorium - dem Reinigungsort. Der Glaube an Gott und die Liebe zu ihm ist schon da - gottseidank. Allerdings noch verunreinigt, vermengt mit ziemlich irrigen und unangenehmen Vorstellung von Gott. In einem Buch von C. S. Lewis (»Die Reise auf der Morgenröte«) wird dieser Prozess verglichen mit dem Schrubben der eigenen Panzerhaut, bis diese sich löst und der Mensch unter dem Drachenpanzer zum Vorschein kommt. Da mag einer im irdischen Leben vielleicht sogar sieben Drachenhäute bekommen haben: Es lohnt sich zu schrubben, denn darunter schlägt ein lebendiges Herz, das sich Gott öffnen will.

Selig übrigens, wer dieses Schrubben bereits auf der Erde über sich ergehen lassen musste...

c. Himmel. — Nun, daraus ergibt sich auch, was wir dann unter Himmel verstehen: Die reine Gottesschau. Die »selige Seele« ohne Leib ist eben nicht einsam: Sie schaut Gott; ohne Trübung, ohne Irritationen. Sie ist selig im irdischen und im himmlischen Sinne. Und noch etwas: Einer solchen, wunderschönen Seele gewährt Gott sogar die Gemeinsamkeit mit anderen Seelen. Das können die natürlich nicht aus eigener Kraft, denn auch die Seelen im Himmel sind noch ihres Körpers beraubt. Aber was Gott will, das geschieht... Deshalb, so lehrt die katholische Kirche, können wir uns im Gebet an diese Seelen wenden, und diese Seelen können uns und anderen Gutes tun (weil es das ist, was sie ein irdisches Leben lang getan haben) - dank der Gnade und des Wirkens Gottes. Eine Verehrung der Heiligen geht deshalb niemals auf Kosten der Verehrung Gottes, sondern vermehrt noch die Liebe zu Gott, der uns diese Gemeinschaft der Heiligen ermöglicht.

3. Der jüngste Tag

Nun ist das allerdings nicht das Ende aller Dinge. Die Offenbarung Jesu (in der Bibel und in der kirchlichen Tradition) spricht eindeutig von einem Tag der Wiederkunft Christi - dessen genauer Termin allerdings nicht bekannt gemacht wurde. Was, so denke ich mir, eigentlich ganz gut ist.

An diesem Tag, so sagt Jesus, wird so einiges passieren: Jesus wird wiederkommen; alle Seelen (und auch die Menschen auf der Erde, die noch nicht gestorben sind) werden Gott sehen - ob sie wollen oder nicht. Die Toten werden auferstehen - sie bekommen den Leib wieder, der ihrer Seele entspricht. Und sie gehen von da an zwei verschiedene Wege: Die einen folgen dem Sohn Gottes in die ewige Herrlichkeit - oder wählen erneut die gemeinschaftliche Einsamkeit, die freiwillig auf die Gegenwart Gottes verzichtet. - Okay, ich gebe zu, auch das bedarf einer Erläuterung.

a. Der neue Leib. — Es gibt die Vorstellung, dass wir im Himmel leiblose Geschöpfe bleiben; wie Engel oder wie Geister. Dem widerspricht das, was Jesus uns sagt - und übrigens auch, was Jesus uns in seiner eigenen Auferstehung gezeigt hat. Der auferstandene Jesus ist eben kein Geist, keine leiblose Gestalt. Thomas wird aufgefordert, seine Finger in die Wunden Jesu zu legen; bei zahlreichen Begegnungen des Auferstandenen isst Jesus ausdrücklich vor den Augen seiner Jünger. Und bei Lukas heißt es:

»Sie erschraken und hatten große Angst, denn sie meinten, einen Geist zu sehen. Da sagte er zu ihnen: Was seid ihr so bestürzt? Warum lasst ihr in eurem Herzen solche Zweifel aufkommen? Seht meine Hände und meine Füße an: Ich bin es selbst. Fasst mich doch an, und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht.« (Lk 24, 37-39)

Aber frag mich jetzt nicht, wie dieser Leib genau aussehen wird - in welchem Alter, in welchem Zustand und mit welchen Möglichkeiten. Jesus war wohl wiederzuerkennen, das ist klar; aber auch nicht auf den ersten Blick: Maria Magdalena, Petrus und andere engste Freunde Jesus hatten ihn zunächst nicht erkannt - erst auf den zweiten Blick wurde ihnen klar, wer da mit ihnen redete.

Das heißt für uns, dass wir uns im Himmel wiedersehen werden; Freunde und Verwandte, Bekannte und Unbekannte werden sich in die Augen schauen und umarmen können. Der Himmel ist nicht das Gegenteil von dem, was wir hier auf Erden kennen; er wird nichts anderes sein als die vollkommene Ausgestaltung aller Möglichkeiten, die wir hier auf Erden schon als gut und schön begreifen - aber leider nie ganz verwirklicht haben.

b. Zeit und Raum im Jenseits. — Neben der weit verbreiteten Vorstellung, wir würden ohne unseren Leib in den Himmel kommen, glauben die meisten Christen, sie kämen in eine zeitlose Ewigkeit. Wer einmal darüber nachdenkt, wird feststellen, dass das einem Menschen gar nicht möglich ist. Wir bleiben ja endliche Menschen (nur Gott ist unendlich), und für endliche Menschen kann es nur ein Nacheinander von Ereignissen geben (während für Gott alles gleich gegenwärtig ist). Nacheinander heißt allerdings: Zeit, wenn auch in einer neuen Qualität, die wir uns noch nicht vorstellen können.

Zeit und Raum bedingen sich; wenn wir tatsächlich einen Leib als vollkommenen Ausdruck unserer Seele auch im Himmel haben werden, dann muss dort auch Raum existieren. Allerdings ein Raum, der ganz dem Willen der Seelen zu Diensten ist: Für die erlösten Seelen die Bedingung zur Begegnung; für die gemeinschaftlich vereinsamten Seelen die Ermöglichung, sich aus dem Wege zu gehen.

Wie auch für den Leib gilt für die Zeit und den Raum im Jenseits: Es wird im Jenseits ganz anders sein, als wir es uns jetzt vorstellen können - und gleichzeitig weniger verändert, als wir es uns jetzt denken.

c. Die Eintrittskarte in den Himmel. — In Comics, Witzen und auch in der Werbung erwartet uns nach dem Tod ein ziemlicher Bürokratismus: Dort steht Petrus mit einer langen Liste in der Hand und rechnet anhand unserer irdischen Taten einen himmlischen Kontostand aus; je nachdem, wie hoch die erreichte Punktzahl ist, geht's ab in die Hölle oder 'rauf in den Himmel - oder, bei Unentschieden, in die Warteschleife. Da müssen wir uns hier auf der Erde also anstrengen: Punkte sammeln!

Die Punkte bekommt man, so wird sich immer noch erzählt, wenn man Gutes tut. Das genaue Bewertungssystem unserer irdischen Taten ist zwar geheim; aber soviel ist wohl durchgesickert: Je braver und freundlicher man zu den Menschen ist, desto besser die Chancen auf einen Logenplatz.

Diese Auffassung ist nicht richtig, ziemlich albern und vor allem auch gefährlich. Angenommen, es kommt  in unserem Leben zuerst auf unser moralisches Verhalten an, auf die Punkte, die wir gesammelt haben. Dann kann doch ein wirklich guter und liebevoller Gott keinen in die Hölle schicken! Gott ist doch großzügig; er wird doch keinen, der nicht ausreichend Punkte gesammelt hat, wegschicken. So ähnlich wie der Nikolaus: Der hat auch manchmal eine ziemlich lange Liste von Missetaten zu verlesen. Aber da er ein guter Mann ist, gibt es am Schluss immer etwas Gutes aus seinem Geschenkesack. Er könnte es gar nicht übers Herz bringen, und eines der Kinder leer ausgehen lassen. - Was aber, wenn wir nicht mehr an den Nikolaus glauben? Wenn wir nicht dabei sein wollen, wenn er uns besucht?

Der Tag des Gerichts ist kein Tag, an dem es um einen Kassensturz geht; Gott ist nicht der unparteiische Hüter unseres himmlischen Punktekontos; und im Leben geht es nicht darum, dass wir uns den Himmel verdienen. Der Himmel, das ist schließlich Gott selbst. Wenn es um nichts anderes geht, als dass sich Gottes Herz und unser Herz vereinigen, dann gibt es selbstverständlich auch die menschliche Verweigerung: Nicht als Strafe für zu wenig Punkte, sondern als Anerkennung des freien Willens: «Gott, ich habe ein Leben lang nichts von Dir erwartet; Du kannst mir auch in alle Ewigkeit gestohlen bleiben.» Das mag Gott sein Herz brechen, aber er rührt unseres nicht an, weil er uns liebt.

Fazit

Bei der einfachen Skizzierung dessen, was wir über das Leben nach dem Tod wissen (und das ist nicht viel - bezogen auf die Details; aber genug - bezogen auf unsere Ängste und Hoffnungen), offenbaren sich zahlreiche Diskrepanzen zum »modernen Glauben«. Wichtig ist vor allem die Betonung der leiblichen Auferstehung; der Realität von Himmel, Hölle und Fegefeuer um der Freiheit des Menschen willen; und des Fortbestandes von Leib, Raum und Zeit bei gleichzeitiger Verklärung.

II. Der biblische Befund

Sicherlich haben andere Religionen andere Vorstellungen von dem, was nach dem Tod des Menschen geschieht. Denn solche Vorstellungen hängen sehr stark vom Gottesbild der Religion ab. Allerdings verwundert es schon, dass sich die Christen untereinander ebenfalls nicht einig sind. Woher kommt das?

Wir wundern uns über diese Uneinheitlichkeit, weil oft genug übersehen, dass die Christen gar kein so einheitliches Gottesbild haben, wie wir oft annehmen. Noch unterschiedlicher ist aber das Menschenbild und die Vorstellungen, wie der Mensch an der Erlösung beteiligt ist. Weiterhin nehmen wir an, dass alle Christen die gleiche, gemeinsame Grundlage haben: Die Bibel. Was natürlich nicht stimmt: Die katholische Kirche bekennt sich dazu, zwar nur eine Offenbarung (die durch Jesus Christus erfolgt ist) zu haben, die allerdings durch zwei Kanäle zu uns kommt: Durch die Bibel und die Tradition. Die Protestanten bestehen zwar darauf, wirklich nur die Bibel als Grundlage zu haben, übersehen dabei aber, dass sie genauso auf Traditionen zurückgreifen, um diese Bibel zu interpretieren und zu deuten. Da die Protestanten aber diese Tradition nicht so, wie die katholische Kirche, offen diskutieren, sind sie ihnen haltloser ausgeliefert.

Die Bibel allein ist nämlich gar nicht einheitlich; das gilt vor allem für das Alte Testament, das sich ja über mehrere Jahrhunderte hinweg entwickelt hat. Während in dieser Zeit das jüdische Volk unbeirrbar an der Einzigkeit ihres Gottes festgehalten hat, hat sich vor allem der Jenseitsglaube sehr stark verändert und entwickelt.

Es ist ein frommer Irrglaube, dass die Bibel sich jedem, der sie liest, von allein erschließt. Es kommt ja immer darauf an, welche Stellen man liest. Und wenn sich Bibelstellen widersprechen - welcher Idee soll man den Vorzug geben? Hauptsächlich wählt jeder das aus, was zu seinem Vorverständnis passt.
Bereits die Juden zur Zeit Jesu waren sich besonders in der Frage der Jenseitsvorstellung nicht einig: Die Sadduzäer glaubten beispielsweise nicht an ein Leben nach dem Tod (»Am selben Tag kamen zu Jesus einige von den Sadduzäern, die behaupten, es gebe keine Auferstehung.« Mt 2, 22)

Im Judentum hat sich erst spät eine ausgeprägte Jenseitsvorstellung entwickelt. Im Gegensatz zu den anderen Völkern hielten die Juden sich an einen strengen Monotheismus: Es gibt nur einen Gott - und neben diesem einen Gott keine weiteren Götter und keine göttlichen Wesen. Auch die Unsterblichkeit des Menschen wurde als Beeinträchtigung der Einzigkeit Gottes gesehen.

Erst im Laufe der Jahrhunderte wurde aus einem unreflektierten Sein im Todesreich eine ausgefaltete Jenseitsvorstellung. Man kann folgende Phasen unterscheiden:

1. Die Vereinigung mit den Vorfahren

Demnach werden die Verstorbenen mit den »Vorfahren vereint« (Gen 25, 8.17; 35, 29; 49, 33; Num 20, 24; 27, 13; 31, 2; Dtn 32, 50) oder »entschlafen zu ihren Vätern« (1 Kön 1, 21; 2, 10; 11, 21; 2 Kön 14, 16; 15, 38; 21, 18; 2 Chr 32, 33 und 33, 20). Damit ist zwar zuerst das gemeinsame Grab gemeint; aber oft lagen die Gräber soweit auseinander, dass die »Vereinigung mit den Vätern« eben nicht im räumlichen Sinne gemeint war, sondern eher im geistigen Sinn. Der Mensch wird durch den Tod also nicht völlig aufgelöst; allerdings fehlen ihm wesentliche Qualitäten: Kraft, Festigkeit und Freude und die Gemeinschaft mit Jahwe. (vgl. Ijob 3, 13; 14, 21; 17, 16; Ps 6, 6.)

Es ist biblisch sogar möglich (wenn auch verwerflich), den Geist Samuels aus der Unterwelt heraufzubeschwören: 1 Sam 28, 8-19.
2. Ewiges Leben der Seele

In der ersten Phase geschah die Belohnung und Bestrafung zwangsläufig nur in der diesseitigen Welt. Aber im dritten Jahrhundert v. Chr. kam diese Sicht in einer Krise. Der diesseitige Vergeltungsglaube wurde brüchig: Unheil trifft den Frommen und den Bösen (Kohelet 8, 12; 3, 16f). Vor allem aber macht man die Erfahrung, dass gerade der Gesetzestreue und Gerechte wegen seiner Treue Leid und Unrecht erdulden musste - bis hin zum Martyrium.

Ausdruck einer neuen Phase der Jenseitsvorstellung ist Psalm 16: »Ich sage zum Herrn: 'Du bist mein Herr; mein ganzes Glück bist du allein.' An den Heiligen im Lande, den Herrlichen, an ihnen nur hab' ich mein Gefallen. Viele Schmerzen leidet, wer fremden Göttern folgt. / Ich will ihnen nicht opfern, ich nehme ihre Namen nicht auf meine Lippen. Du, Herr, gibst mir das Erbe und reichst mir den Becher; du hältst mein Los in deinen Händen. Auf schönem Land fiel mir mein Anteil zu. Ja, mein Erbe gefällt mir gut. Ich preise den Herrn, der mich beraten hat. Auch mahnt mich mein Herz in der Nacht. Ich habe den Herrn beständig vor Augen. Er steht mir zur Rechten, ich wanke nicht. Darum freut sich mein Herz und frohlockt meine Seele; auch mein Leib wird wohnen in Sicherheit. Denn du gibst mich nicht der Unterwelt preis; du lässt deinen Frommen das Grab nicht schauen. Du zeigst mir den Pfad zum Leben. / Vor deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle, zu deiner Rechten Wonne für alle Zeit.«
Noch deutlicher wird Psalm 73 (Verse 23-28): »Ich aber bleibe immer bei dir, du hältst mich an meiner Rechten. Du leitest mich nach deinem Ratschluss und nimmst mich am Ende auf in Herrlichkeit. Was habe ich im Himmel außer dir? Neben dir erfreut mich nichts auf der Erde. Auch wenn mein Leib und mein Herz verschmachten, / Gott ist der Fels meines Herzens und mein Anteil auf ewig. Ja, wer dir fern ist, geht zugrunde; du vernichtest alle, die dich treulos verlassen. Ich aber - Gott nahe zu sein ist mein Glück. / Ich setze auf Gott, den Herrn, mein Vertrauen. Ich will all deine Taten verkünden.«
3. Leibliche Auferstehung

Während in Phase zwei noch irgendwie ein Leben nach dem Tod um der Gerechtigkeit willen erwartet wird, wartet das Zweite Makkabäerbuch mit einer Fülle von eschatologischen Gedanken auf. Neben der seelischen Erhöhung des Menschen wird es nun auch eine leibliche Neuschöpfung geben (vgl. 7, 11; 14, 46). Weiterhin wird die Fürbitte des Volk Gottes für die Verstorbenen erwähnt und gutgeheißen (12, 43); außerdem beten die Frommen, die verstorben sind, für das Gottesvolk (15, 12-16); das Todesleiden wird sogar als Sühneleiden verstanden (7, 37f). Allerdings werden nur die Guten auferstehen - die Bösen bleiben im Tod. In diesem Sinne finden sich auch zahlreiche Stellen im Buch der Weisheit: 3, 13-4, 6; 2, 12-22; 3, 1ff; 3, 6; 4, 10f; 4, 19ff.

Erst im Buch Daniel (12, 2f) findet sich die Auferstehung mit einem »doppelten Ausgang« - mit der Belohnung der Guten und der Bestrafung der Bösen (siehe auch schon im Buch der Weisheit 4,20-5,18). Weitere Verse, die diesen Glauben zum Ausdruck bringen, finden sich bei Dan 3,24-90; in Tob 13,1f; und bei Jdt 16,17: »In Ewigkeit sollen sie heulen vor Schmerz«.

Daher also die Widersprüche in der Bibel: Die (vorsichtige) Ablehnung eines Lebens nach dem Tod stammt also aus der frühesten Zeit des jüdischen Volkes. Die jüngsten Bücher dagegen sprechen von einem Leben nach dem Tod fast genauso wie später die Christen. Leider sind die neuesten Bücher der Juden, die von der Auferstehung aller Menschen reden, auf griechisch verfasst und wurden später - in der Reformation - wieder aus der Bibel der Protestanten gestrichen.

Fazit

Der biblische Befund bezüglich des Jenseitsglaubens im Alten Testament ist sehr widersprüchlich - je nach Alter des Textes wird das Weiterleben des Menschen überhaupt geleugnet; dann in einer Schattenwelt zugestanden - bishin zum späten Glauben an Gericht, Auferstehung und ewigem Leben. Die Stadien sind gegensätzlich, aber die Entwicklung des jüdischen Glaubens im Laufe der Jahrhunderte ist einheitlich und führt geradewegs zur christlichen Eschatologie.

III. Das Gericht, die Hölle und der Himmel

Drei Momente der persönlichen Eschatologie möchte ich an dieser Stelle herausnehmen und noch einmal näher beleuchten. Denn gerade, wenn die Eschatologie falsche Akzente setzt, verdirbt sie alle anderen Bereiche der Theologie: Wenn das Ziel, von dem her wir unsere Religion her allein verstehen können, falsch gesetzt oder zumindest schlecht beschrieben ist, verlieren alle anderen theologischen Aussagen ihren Bezugspunkt.

Manche meinen, das sei bereits der Fall und die Ursache der heutigen Glaubenskrise: Eine verquere Eschatologie böte keine ausreichende Motivation mehr, an Gott zu glauben und kirchlich zu leben. Ich bin mir da nicht so sicher...: Wir glauben nicht an Gott, weil wir sonst in die Hölle kommen, sondern weil Gott einfach liebens- und lobenswert ist.
1. Das Gericht

a. Selbstgericht und Strafgericht. — Das persönliche Gericht nach unserem Tod wird oft so lachhaft dargestellt, dass wir daran selbstverständlich nicht mehr glauben: Gott führt Buch über unsere Taten und bewertet jede Tat nach einem geheimen Punkteschema. Wer genügend Punkte erhält, dürfe in den Himmel; wer die erforderliche Punktzahl verpasst, müsse in die Hölle oder ins Fegefeuer zur Strafarbeit. - Dass diese Karikatur nicht zu einem wahrhaft christlichem Gottesbild passt, ist klar; dass daraus also die Abschaffung eines jeden Gerichts folgt und wir alle in den Himmel kommen werden (»weil wir so brav sind...!«) ist zwar nicht logisch, aber weit verbreitet. Neben der Apokatastasis - der Allerlösung gibt es aber auch noch die Möglichkeit, statt von einem Gericht Gottes vom Selbstgericht des Menschen zu sprechen: Nicht Gott ist es, der uns verurteilt, sondern der Mensch ist derjenige, der den Zutritt in den Himmel verweigert.

Dem würde ich tatsächlich zustimmen - mit zweierlei Einschränkungen: (1) Es ist nicht nur entscheidend, ob jemand »irgendwie in den Himmel« möchte; deshalb ist es (2) gleichzeitig denkbar, dass zum Selbstgericht auch das Strafgericht tritt. - Der christliche Himmel ist nicht einfach eine Wellneszone mit Wunscherfüllungsautomat - der Himmel ist Gott. Ein Mensch, der nach seinem Tode zwar »in den Himmel« möchte, aber »bitte ohne Gott«, formuliert also einen Widerspruch in sich. Einen solchen gottlosen Himmel gibt es nicht; er kann nicht beides haben. Schließlich richtet er sich selbst (bzw. er richtet seine eigene Zukunft), indem er entweder einen Himmel mit Gott oder die Gottlosigkeit ohne Himmel wählt. Unter Umständen - und hier kommt der Gedanke des Strafgerichtes ins Spiel - bedeutet die Enthüllung von verborgenen Widersprüchen (»ich hätte gerne einen Himmel nur für mich - ohne die anderen Menschen!«) und die Konfrontation mit der Wahrheit so etwas wie einen »Rauswurf«. Das ist natürlich ein sehr menschlicher Gedanke - viel schöner und angemessener ist das Bild des Engels mit dem Flammenschwert (der Wahrheit), der am Eingang steht und scheidet, was nicht zusammengehen kann.

Mögliche innere Widersprüche sind in C. S. Lewis genialem Roman »Die große Scheidung« beschrieben: Eine Mutter, die zwar Gott im Himmel duldet, aber erst ihren Sohn sehen will; eine Person, die für den Himmel nichts Rechtes zum Anziehen hat; ein Theologe, der nicht wahrhaben möchte, dass es auch eine Entscheidung gegen den Himmel gibt; ein Opfer eines Verbrechens, das nicht mit dem Täter gemeinsam im Himmel sein möchte... usw.

b. Das Nicht-Sehen-Wollen. — Ebenfalls weit verbreitet ist der Gedanke, wenn wir nach unserem Tod alle Gott schauen werden, wie er wirklich ist, dann wird keiner mehr »Nein« zu Gott und »Nein« zum Himmel mehr sagen. Dieser Einwand übersieht, dass »Sehen« kein passives Geschehen ist (wie eine naturwissenschaftliche Beschreibung des Vorgangs nahelegt: Licht trifft auf meine Netzhaut und wird in Nervenimpulse umgesetzt - also sehe ich). Wir sehen nur das, was wir sehen wollen - und nur dann, wenn wir etwas wahrhaben wollen. »Sehen« ist ein aktives und willentliches Geschehen (der Philosoph sagt intentional dazu). Die Liebe Gottes zum Menschen und die von Gott geschenkte Freiheit lassen es nicht zu, einem Menschen eine Wahrnehmung aufzuzwingen. Was ich nicht sehen will, kann mir auch nicht aufgezwungen werden.

Wiederum ist es C. S. Lewis, der das wunderschön illustriert hat: Zum Schluss des letzten Bandes der Narnia-Chroniken (»Kampf um Narnia«) ist die alte Welt schon längst vergangen und der Himmel Wirklichkeit, und dennoch weigern sich die Zwerge, diese Realität anzuerkennen. Sie glauben immer noch in ihrem dunklen Zelt zu sitzen und bestärken sich gegenseitig darin, die neue Welt nicht anzuerkennen und ihr keine Aufmerksamkeit zu schenken. So sind die Zwerge mitten im Himmel in einer selbstgewählten Hölle. - Besser kann man kaum erzählen, dass Himmel und Hölle keine Orte, sondern Zustände sind.

Wir müssen also nicht nur zu Menschen werden, die bereit sind, zu Gott »Ja« zu sagen - wir müssen zuvor auch bereit sein, uns von Gott die Augen für Seine Wirklichkeit öffnen zu lassen.

c. Erlösung. — Es ist wichtig, dass wir in Katechese, Predigt und Unterricht deutlich machen, dass wir neue Menschen werden müssen, um zu himmlischen Menschen zu werden. Beschreiben wir auch ruhig den Weg dorthin und die konkreten Auswirkungen, die das auf unser irdisches Leben hat. Vergessen wir aber nicht, bei jeder Gelegenheit immer und überall hinzuzufügen, dass es Gott ist, der uns erlöst. Niemals werden wir letztlich nicht in den Himmel kommen, weil wir das finale »Ja« schließlich erfolgreich gesprochen haben - sondern immer nur, weil Gott es ist, der sein endgültiges »Ja« zu uns spricht. Natürlich muss dieses »Ja« Gottes erkannt, geglaubt und angenommen werden; selbstverständlich braucht dieses auch Zeit, Übung und einen langem Atem. Dennoch müssen wir (immer und immer wieder) festhalten: Am Ende unseres Lebens werden wir alle als Sünder sterben und uns eingestehen müssen, dass wir das Ziel unseres Lebens nicht wirklich erreicht haben - sondern dass Gott es ist, der uns entgegenkommt, uns das nicht-Erreichte nachlässt (aufgrund des Opfers Jesu) und uns erlöst.

2. Die Hölle

a. Gottferne als Himmel. — Und was ist mit denen, die nicht mit uns im Himmel sind? Wie können wir Erlöste glücklich werden, solange wir um die gescheiterten Existenzen in der selbstgewählten Gottferne (der Hölle) wissen? - Nun: Wir müssen (und werden es dann auch) vertrauen und glauben, dass Gott wirklich alles versucht und unternommen hat, um diese Menschen zu retten; wenn Gott es nicht konnte, dann kann es niemand. Noch wichtiger ist aber: Am Ende ist jeder dort, wo er sein will. Auch die »höllischen Menschen« sind in der Gottferne deshalb, weil sie die Vorstellung, im Himmel sein zu müssen, als noch schrecklicher ansehen als ihr jetziges Sein in der Gottferne. So gesehen sind auch die endgültig Gottlosen in »ihrem Himmel«. Sie sind dort zwar nicht im eigentlichen Sinne glücklich - aber der Himmel wäre für sie ein noch viel größeres Unglück. Mit anderen (etwas rationaleren Worten): Sie sind maximal glücklich. Auch wenn Gott sie für Größeres geschaffen hatte.

b. Hoffen und Wünschen. — In der klassischen katholischen Theologie hieß es vor einiger Zeit noch, dass wir »für die Seelen der Verdammten nicht einmal hoffen dürfen, dass sie gerettet werden«. Das sorgt bei uns natürlich für Kopfschütteln: Sollten wir die Hoffnung, dass alle Menschen gerettet werden, niemals aufgeben? - Dahinter steckt ein Missverständnis im Begriff. Der theologisch geprägte Begriff der Hoffnung beinhaltet die »feste Überzeugung einer Wirklichkeit, deren Erfüllung wir noch nicht sehen«. In diesem Sinne würde die Hoffnung, dass doch alle Menschen gerettet werden - auch die, die nach eigener Wahl in der Gottesferne sind - bedeuten, dass wir davon überzeugt sind, dass schließlich die Hölle aufgehoben und auch die Menschen in den Himmel geführt werden, die dort gar nicht sein wollen.

Tatsächlich meinen wir in diesem strengen Wortsinn, dass wir selbstverständlich wünschen, dass alle gerettet werden. Dieser Wunsch konkurriert leider mit der eventuellen Selbstwahl derjenigen, die Gott ablehnen.

c. Implizite Ablehnung Gottes. — Zuletzt möchte ich noch auf eine Sichtweise eingehen, die uns häufig von den Menschen unterbreitet wird, die Kritik an der bestehenden kirchlichen Moral üben (z.B. der Sexualmoral der Kirche): Jemand, der sich entscheidet, nicht nach der Moralvorstellung der Kirche zu leben, entscheide sich ja nicht gegen Gott. Tatsächlich sind viele unserer Sünden nicht explizit gegen Gott gerichtet - sie zielen vielmehr auf ein scheinbares (oder auch tatsächliches) Gut. Wir sollten aber nicht vergessen, dass in solchen Handlungen Gott zumindest implizit abgelehnt wird (vorausgesetzt, die kirchliche Moral erhebt in der betreffenden Frage tatsächlich diesen Anspruch! So dürfte zum Beispiel die Kleiderordnung in der Kirche nicht heilsrelevant sein - selbst wenn der Banknachbar uns das weismachen will).

So möchte ein wiederverheiratet Geschiedener zunächst nur die Nähe seines neuen Lebenspartners nicht verlieren - und sieht darin keinen Widerspruch zur bleibenden Nähe Gottes. Implizit besteht aber die Möglichkeit, dass ein solcher Mensch auch Gott ablehnt, wenn dieser sich als Vertreter und Verfechter des ersten Ehebundes erweisen sollte. - Jemand, der zwar schwer gesündigt hat, aber dennoch an seiner Gottesbeziehung festhalten will, lehnt unter Umständen implizit Gott ab, da er nicht einsieht, warum Reue und die Bitte um Vergebung von diesem Gott erwartet wird.

So wichtig es ist, die Möglichkeit einer impliziten Gottesleugnung vor Augen zu haben, so gefährlich ist es, sie in konkreten Fällen bestimmten Menschen zu unterstellen. Ob ein Mensch im Jüngsten Gericht vor Gott lieber an seiner geleugneten Sünde festhält oder sich im Zweifelsfall doch Gottes Barmherzigkeit anvertraut, kann heute niemand sicher sagen - vermutlich noch nicht einmal der Sünder selbst.

3. Der Himmel

a. Gott und Menschen als Spiegel des anderen. — Dass der Himmel in der ewigen, ungetrübten Anschauung Gottes besteht, ist eine biblische Grundüberzeugung. Gleichzeitig freuen sich viele Menschen darauf, im Himmel bereits Verstorbene wiederzusehen. Besteht darin nicht eine Konkurrenz? Dürfen wir uns überhaupt auf den verstorbenen Ehepartner freuen - ist das nicht eine Trübung der doch eigentlich ungetrübten Anschauung Gottes? - Wieder sollten wir uns daran erinnern, dass das Jenseits bereits in unserer Welt hineinreicht: Auch in dieser Welt besteht nur ein scheinbarer Gegensatz zwischen Gottesliebe und Nächstenliebe. In Wirklichkeit steht die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten nicht in Konkurrenz zu einander, sondern ergänzt sich. Das gilt sicherlich in gesteigertem Maße für das Leben in der kommenden Welt. - Dieses in ein Bild zu fassen, ist natürlich sehr spekulativ (wer weiß, wie es im Himmel wirklich sein wird!); wenn wir dennoch jetzt schon einen Vergleich finden, der den Gegensatz zwischen Gottes- und Nächstenliebe verblassen lässt, dürfte uns das zuversichtlich machen, dass die himmlische Wirklichkeit noch harmonischer sein wird. Hier also nun ein Vergleich:

Da wir Menschen Gottes Ebenbilder sind (Gen 1) und Gott seine Geschöpfe liebt, ist jede Liebe zum Geschöpf auch eine Anerkennung und Freude für den Schöpfer. Ebenso gilt, dass Gott zu lieben bedeutet, die zu lieben, die er erschaffen und erlöst hat. Wir schauen in Gott wie in einem Spiegel seine unendliche Vielfältigkeit und seinen unendlichen Facettenreichtum, von dem sich wiederum in jedem Menschen ein Teil wiederfindet. Und wir schauen in jedem Menschen eine Facette dessen, was Gott ist. So ist allein schon der Gedanke, Gott und Menschen seien Spiegel des anderen, eine Aufhebung jeder Konkurrenz. Dass über diesen Vergleich hinaus gesagt werden muss, dass Gott nicht nur ein Spiegelbild aller Menschen ist - sondern darüber hinaus auch noch unendlich größer Er selbst, muss ich nicht extra betonen.

b. Perfektion und Defizite. — Schon aus der christlichen Erbsündenlehre (»Der Mensch ist gut geschaffen und zu Höherem auserwählt, aber er ist gefallen und fällt immer wieder, wenn er sich nicht aufrichten lässt von dem, der ihm aus der Höhe zu Hilfe kommt«) ergibt sich die Hinordnung des Menschen auf eine Hilfe von außen.

Diese Angewiesenheit ist allerdings nicht erst eine Folge der Sünde: Schon vor dem Sündenfall (im zweiten Schöpfungsbericht) beschließt Gott, dass es nicht gut sei, wenn der Mensch alleine bliebe (Gen 2, 18-25). Der Mensch ist nur Mensch, wenn er dazu eine Hilfe erfährt. Gott führt ihm die Tiere zu und schließlich »als Fleisch von meinem Fleisch« die Frau. Der Mensch vollendet also sein Wesen, indem er in Beziehung tritt: Zur Schöpfung, zu den anderen Menschen und zu Gott. Ohne diese »Ergänzung« ist der Mensch unvollkommen und unfertig. Sünde ist, in der Beziehungsfähigkeit Schaden zu nehmen und sich damit vom erfüllten Leben zu entfernen.

Und so besteht unsere Heiligkeit nicht in einer »autonomen Perfektion«. Heiligkeit findet sich nur in der (vollkommenen) Beziehung zu dem, der mich ergänzt und somit »heiligt«. Wenn darin nun eine Grundkonstante des Menschseins liegt - und nicht nur ein Defizit aufgrund des Sündenfalls -, dann liegt hierin auch das Glück des Jenseits. Wir werden im Himmel nicht »autonom perfekt« sein, sondern bleiben aufeinander und auf Gott angewiesen. Diese Angewiesenheit aber nicht als Last zu erfahren, sondern als wunderbare Gelegenheit, den anderen groß sein zu lassen und zu erheben, indem ich ihn um Hilfe bitte (und umgekehrt), ist »Himmel«. Sein eigenes »Defizit« als Gnade anzusehen, die einem anderen die Möglichkeit schenkt, mich zu ergänzen, ist »Himmel«. Einem anderen zu Hilfe zu kommen und darin einen Grund zur Freude für ihn und für mich zu entdecken, ist »Himmel«.

c. »Luja sog i!« Lobpreis ohne Langeweile. — Und ein letzter Gedanke, der mich schon als Kind umgetrieben hat: Müssen wir im Himmel den wirklich die ganze Zeit Gott loben? Gibt es nicht auch mal »Lobpreis-Pausen«?

Schön umgesetzt wurde diese Vorstellung eines langweiligen Halleluja-Himmel durch den (später illustrierten) »Münchner im Himmel«; der irgendwann die Lust am »Luja-Singen« verliert und wieder ins Hofbräuhaus zurückkehrt.
Ähnlich selbstironisch fragen Chris Padgett und Bob Rice (als »Decaf«), ob es im Himmel die typischen Lobpreis-Gebärden geben wird (Auf Youtube: »Will there be Handmotions in Heaven?«). Sehenswert!

Auch diese Frage lässt sich ähnlich beantworten wie die vorangegangene: In dieser Welt können wir nicht alles gleichzeitig. Manchmal haben wir Freude, manchmal schenken wir Freude. Manchmal entspannen wir uns, dann wieder reißen wir uns zusammen und sind für andere, hilfsbedürftige Menschen da. In Wahrheit besteht aber kein nennenswerter Unterschied zwischen »glücklich machen« und »glücklich werden«; ebenso ist das »groß-sein-lassen« eines anderen Menschen kein Gegensatz, dadurch seine eigene Größe zu entfalten. Gott loben bedeutet immer auch, Freude zu verspüren - und sich ein gutes Stück Freude zu gönnen heißt, den Schöpfer zu loben! So wird erst recht in der kommenden Welt jede (gute) Handlung in ihrem Kern erkannt und gewollt, ja: gefeiert werden. - Verzeiht mir bitte die erneute, abschließende Bemerkung: Das hier sind alles irdische Worte. Der Himmel wird größer und schöner sein, als wir ihn jetzt mit Worten ausmalen können!

Fazit

Die Hölle ist der selbstgewählte »Himmel« des Mensch, in der er zwar leidet - aber sich sicher ist, im Himmel noch schlimmer leiden zu müssen. Das Fegefeuer ist die selbstgewählte Reinigung unserer Entscheidung für Gott. Der Himmel ist die unverhüllte Anschauung Gottes - und die ungetrübte Freude am Mitmenschen. Das Gericht ist zunächst die Selbstwahl des Menschen angesichts eines Gottes, von dem nur der subjektiv erträgliche Teil wahrgenommen wird; darüber hinaus ist das Gericht aber auch das Offenbarwerden von impliziten Entscheidungen. Das unentschiedene »sowohl-als auch« für Gott und für ein Leben ohne hin wird einer klaren Entscheidung zugeführt.