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Grundkurs des Glaubens - Alternative Jenseitsvorstellungen

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2. Abend zur persönlichen Zukunft: Alternative Jenseitsvorstellungen

I. Alternative Konzepte - Teil 1
1. Die End-Entscheidungshypothese (Ladislaus Boros)
a. Entscheidungen - in dieser Welt und im Jenseits
b. Kritik an der End-Entscheidungshypothese
c. Piper trifft's besser
2. Die Ganztod-Theorie
a. Die Theorie
b. Biblische Begründung des Zwischenzustandes
c. Kritik an der Ganz-Tod-Theorie
3. Auferstehung im Tod
a. Die Theorie
b. Kritik an der »Auferstehung im Tod«

II. Alternative Konzepte - Teil 2
1. Reinkarnation
a. Die Theorie
b. Kritik am Wiedergeburtsglauben
c. »Beweise« für die Wiedergeburt
2. Diesseitige Unsterblichkeit
a. Physische Unsterblichkeit
b. Ideelle Unsterblichkeit
c. Unsterblichkeit der Erinnerung
3. Apokatastasis - All-Erlösung
a. Die Theorie
b. Der biblische Befund
c. Einwände gegen die Ewige Verdammnis

III. Einzelfragen
1. Das Interim und die Zeit
2. Der Auferstehungsleib
3. Ewigkeit: keine unendliche Quantität, sondern Qualität

I. Alternative Konzepte - Teil 1

Mit Bezug auf den 22. Abend erfolgt zunächst ein kurzer und stichwortartiger Überblick des katholischen Jenseitsglaubens:

1. Tod: Der Tod des Menschen ist die Trennung von Leib und Seele (die Auffassung, dass der Mensch aus Leib und Seele besteht, nennt man Dualismus). Das heißt, der Leib (der im Leben auf die Seele angewiesen ist und Ausdrucksmedium der Seele ist) zerfällt im Tod; die Seele, nun nicht mehr an den Raum gebunden, findet sich nun Gott gegenüber.

2. Das persönliche Gericht: Im Angesicht Gottes vollzieht die Seele die Entscheidung für oder gegen Gott, die sozusagen eine Quintessenz ihres Lebens darstellt. Es handelt sich nicht um eine neue, vom irdischen Leben vollkommen losgelöste Entscheidung. Aber dennoch kann es sein, dass diese Entscheidung im Leben zuvor nur ansatzweise getroffen wurde - und nun endgültig wird.

3. Der Zwischenzustand: Im Grunde gibt es unendlich viele Wege, die die Seele nun gehen kann. Die Kirche benennt drei davon; aber nicht so, als wenn es sich um Orte handelt, sondern eher um Zustände der Seele: Der Himmel (also die liebende Gemeinschaft mit Gott); die Hölle (die Ablehnung Gottes und Verweigerung der Gemeinschaft mit ihm) - und der Reinigungsort - auch Fegefeuer genannt (die bedingte Zustimmung zu Gott, die jedoch noch der Klärung und Läuterung bedarf).

4. Das allgemeine Gericht: Am Ende der Zeiten gibt es nur noch zwei Zustände: Den der Zustimmung zu Gott - und den der Ablehnung Gottes. Gott respektiert diese Entscheidung, auch wenn er sich im Grunde jeden Menschen als liebendes Gegenüber wünscht.

5. Die Auferstehung: Auch bei der Auferstehung existiert der Mensch in einer konkreten Gestalt, das heißt leiblich. Er verfügt dann über einen verklärten Leib, einen Auferstehungsleib, so wie sich Jesus als der auferstandene Herr den Seinen gezeigt hat.
Die himmlischen Menschen gebrauchen diesen Leib, um ihre Liebe Gott und den anderen himmlischen Menschen zu zeigen. Die höllischen Menschen hingegen vollziehen ihr Dasein, um sowohl Gott als auch einander aus dem Weg zu gehen (der Tradition zufolge ist der Leib der gott-ablehnenden Menschen nicht verklärt). Leider ist auch diese Entscheidung endgültig.

Entsprechend diesen fünf Schritten des katholischen Modells gibt es (mindestens) fünf Alternativen dazu, die jeweils eine abweichende Vorstellung haben...

1. Tod: Dass der Tod des Menschen die Trennung von Leib und Seele ist, setzt die Auffassung voraus, dass der Mensch aus Leib und Seele besteht. Leugnet man dieses und nimmt an, der Mensch bestehe nicht aus Leib und Seele, sondern nur aus einem einzigen Prinzip (das nennt man dann Monismus), ist der Tod logischerweise das vollständige Ende des Menschen. Diese Theorie nennen wir Ganz-Tod-Theorie. Vertreter finden sich bei den Zeugen Jehovas, weit verbreitet bei den protestantischen Bekenntnissen, vor allem bei Evangelikalen, und durchaus auch bei einigen katholischen Theologen.

2. Das persönliche Gericht: Nach Auffassung des Hinduismus und des Buddhismus (und auch der frühen Griechen wie z.B. Platon) findet nach der Trennung von Leib und Seele das persönliche Gericht in Form einer höheren oder niederen Wiedergeburt statt (Reinkarnation). Ohne dass es dafür einen Richter geben muss (der Buddhismus kennt keinen Gott), bestimmt das vorangegangene Leben die Ausgangsbedingungen für das kommende Leben. Erlösung bedeutet, diesem ewigen Kreislauf zu entkommen. In der westlichen Variante wird das schließlich für alle Menschen irgendwann der Fall sein.

3. Der Zwischenzustand: Wird der Zwischenzustand geleugnet, bleibt als Alternative entweder die Ganz-Tod-Theorie (die aber wenig frohmachend ist und sich für eine Verkündigung kaum eignet), oder die Auferstehung im Tod. Demnach gibt es im Jenseits überhaupt keine Zeit - und wir sind endgültig im Himmel (oder auch in der Hölle) im Augenblick des Todes.

4. Das allgemeine Gericht: Das größte Problem ist und bleibt aber die Frage, ob es am Ende der Zeiten Menschen gibt, deren Leben endgültig als gescheitert angesehen werden muss. Vertreter der All-Erlösung können nicht glauben, dass jemand sich angesichts Gottes gegen diesen Gott entscheidet. Auf Erden mag das vielleicht gelten, aber spätestens im Jenseits werden doch alle Vorbehalte Gott gegenüber fallen, oder? Diese Theorie wird vor allem durch die End-Entscheidungshypothese vertreten.

5. Die Auferstehung: Andere, die ebenfalls eine ewige Verdammung des Menschen nicht mit der Liebe und Barmherzigkeit Gottes übereinbringen können, gehen zumindest davon aus, dass durch das Fegefeuer schließlich jeder gereinigt wird - und am Ende alle Menschen zu Gott finden. Jede Theorie, die von der Erlösung aller Menschen ausgeht, nennt man Apokatastasis.

1. Die End-Entscheidungshypothese (Ladislaus Boros)

Insbesondere zwei Aspekte bewegen und erregen die Gemüter: Dass die Seele für eine gewisse Übergangszeit ohne Leib existieren soll - und dass am Ende neben dem Himmel auch noch eine Hölle existiert, die den Zustand des endgültigen Getrenntseins von Gott bedeutet. Um diese beiden Streitpunkte zu umgehen, wurden noch weitere Alternativen zur katholischen Jenseitsvorstellung entwickelt: Die End-Entscheidungshypothese, die Auferstehung im Tod und die All-Erlösung. So wie die Ganz-Tod-Theorie ist auch die End-Entscheidungshypothese (EEH) neueren Datums (und, wie William Hoye einmal schreibt, ist jeder neue theologische Gedanke mit Sicherheit häretisch - also irrig). Die Vertreter dieser Ansicht, zu denen allen voran Ladislaus Boros gehört, gehen davon aus, dass der Mensch im Augenblick seines Todes einen Augenblick ausgezeichneter Freiheit erfährt, losgelöst von allen irdischen Eingrenzungen, und in diesem Augenblick eine Entscheidung (für oder gegen Gott) von ganz neuer Qualität treffen kann. Eine Entscheidung im Tod, vollverantwortlich und in völliger Freiheit, das klingt gut. Sowohl, was die Begründung für eine solche Annahme angeht - als auch, was die Konsequenzen dieser Theorie betrifft.

a. Entscheidungen - in dieser Welt und im Jenseits. — Aber zunächst zur Begründung: Tatsächlich sind ja alle hier auf Erden getroffenen Entscheidungen korrigierbar; sie können jederzeit zurückgenommen werden (was natürlich nicht für die Handlungen und Konsequenzen einer Entscheidung gilt: Ein abgebranntes Haus bleibt abgebrannt, auch wenn wir die Entscheidung, es anzuzünden, nachträglich zurücknehmen).

Die Evangelikalen sind da übrigens anderer Meinung. Viele der freikirchlichen Gemeinden gehen davon aus, dass eine Glaubensentscheidung wirklich Heilsgewissheit schenkt; was ja nichts anderes bedeutet, als dass der Mensch diese Entscheidung im ganzen restlichen Leben nicht mehr revidieren kann. Allerdings gilt, dass jemand, der in seinem Leben nach einer Glaubensentscheidung wieder vom Glauben abfällt, logischerweise auch keine echte Glaubensentscheidung getroffen haben kann. Womit die Evangelikalen wieder an der gleichen Stelle sind, wo sie vorher waren - und wir Katholiken uns auch befinden.

Wir können Entscheidungen nur deshalb rückgängig machen, weil sie unvollkommen gewesen sind. Entweder waren wir schlecht gelaunt, von starken Gefühlen erregt, nicht richtig ausgeschlafen, schlecht informiert, zu jung oder schon zu alt. Es gibt viele Gründe, warum eine irdische Entscheidung fehlbar ist. Das gilt – nach Auffassung des vorchristlichen Philosophen Platon – nicht mehr für die vom Leib »befreite« Seele. Sie ist keinen Gefühlswallungen mehr unterworfen, hat die vollkommene Erkenntnis und weiß einfach Bescheid. Was eine solche Seele entscheidet, kann nicht mehr zurückgenommen werden. Nicht, weil irgendjemand das verbietet, sondern weil es keinen Grund gibt, diese Entscheidung zu überdenken: Es gibt eben keine neuen Aspekte, die wir vorher nicht bedacht haben. Perfekt ist perfekt. Noch perfekter geht nicht. Platons Idee von der Seele, die vom Leib befreit wird, ist allerdings nicht christlich. Der Leib ist Platon zufolge ein »Gefängnis«, ein Grab. Im Tod wird die Seele davon befreit. Daher versteht er den Tod im Sinne der Befreiung der Seele als einen Grund zum Jubeln.

Entsprechend hat Sokrates in Platons Schrift »Phaidon«, wegen »Verführung der Jugend« zum Tode verurteilt, seinem Diener aufgetragen, nach seinem Ableben einen Hahn zu opfern: nämlich jenes Opfer, das damals ein Sklave darbrachte, wenn er freigelassen wurde.

Wir Christen sehen den Tod nicht als Befreiung, sondern als Unglück. Der Leib ist kein Gefängnis, sondern die Heimat der Seele. Die Seele ohne Leib ist nicht befreit, sondern beraubt. Aber der Gedanke, dass die irdischen Entscheidungen immer nur bedingte, unvollkommene Entscheidungen sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Wie aber kommt es dann zur endgültigen Entscheidung für oder gegen Gott? Nun – diese ist erst im Tod möglich, so sagt Ladislaus Boros. Andere meinen, eine solche Entscheidung sei erst nach dem Tod möglich, im Angesicht Gottes, sicherlich aber nicht schon hier auf Erden.

Ladislaus Boros zufolge lösen sich somit eine ganze Reihe theologischer Probleme. Zum Beispiel die Frage, was mit den Heiden und Atheisten geschieht, die nichts von Gott oder Christus und der Taufe gewusst haben; ebenso das Problem der gestorbenen Kinder, die nicht zu einer Entscheidung fähig waren und/oder nicht getauft wurden. Vor allem meint Boros aber, dass es so jedem Menschen möglich ist, sich dem Wunsche Gottes zu öffnen, dass alle in den Himmel kommen können. Und damit sind wir bei der eigentlichen Konsequenz der EEH: Wir bekommen alle noch einmal eine Chance, eine richtige Entscheidung zu treffen. Richtig im doppelten Sinne: Einmal eine nicht durch Gefühle, Leidenschaften oder Falschinformation verunreinigte Entscheidung; und zum anderen eine richtige Entscheidung, weil wir uns jetzt für das Richtige entscheiden: für Gott. Falls – was Boros nicht ausschließen will – sich dann doch jemand gegen Gott entscheiden sollte, so kann man diese Entscheidung nicht Gott anlasten. Immerhin hat dieser unglückliche Mensch seine Entscheidung im vollen (!) Besitz seiner Kräfte getroffen. Es gibt eben keine überraschende, zu frühe oder zufällige Todesfälle mehr: Jeder stirbt in einem Augenblick absoluter Bewusstheit.

b. Kritik an der End-Entscheidungshypothese. — Alles vergebliche Liebesmüh': Die Kritikpunkte an der EEH sind zahlreich und gewichtig. Zunächst gilt, dass es für diese Hypothese keinen biblischen Grund gibt. Ganz im Gegenteil: Das Glück oder Unglück im Jenseits ist in allen Phasen der biblischen Theologie ganz konsequent an die Entscheidungen gebunden, die wir hier in diesem Leben treffen (vor allem: Mk 13, 33ff; Mt 24, 42ff; 25, 13; 1 Thess 5, 3ff und viele andere). Das inhaltliche Problem dieser Theorie liegt in der Frage, inwieweit die im Leben getroffenen Entscheidungen für diese End-Entscheidung eine Rolle spielen. Für die strengen Verfechter der EEH ist die Antwort naheliegend: Die vorangegangenen irdischen Lebensentscheidungen spielen keine Rolle. Damit aber würde alles, was wir hier auf Erden zuvor tun, erleiden und erhoffen, alles, was wir für Gott, für unsere Seele und aus Liebe tun, bedeutungslos. Unter diesen Umständen ließen sich durch die Religion möglicherweise noch die irdischen Verhältnisse verbessern; aber für das himmlische Paradies bliebe unser irdisches Leben im Prinzip ohne Bedeutung. Entwertet wird dadurch nicht nur jedes menschliche Bemühen, sondern auch jede Religion und schließlich auch jede Offenbarung - und auch die Menschwerdung und Erlösung durch Jesus Christus. Denn wenn wir sowieso alle am Ende unseres Lebens – aus der Natur der Sache heraus – Gott sehen, wie er ist und im Angesicht der vollen Erkenntnis die einzige wirkliche Entscheidung unserer Existenz treffen, dann brauchen wir uns zuvor doch mit mühevollen Halb-Erkenntnissen aus Religion, Bibel und Gebet gar nicht abmühen.

Das sehen andere Vertreter der EEH ebenso – und flüchten sich in die Behauptung, dass die irdischen Entscheidungen doch auf irgendeine Weise in diese letzte Entscheidung hineinwirken und diese mit bedingen. Aber damit wird natürlich die eigentliche Sinnspitze der EEH-Theorie stumpf. Immerhin waren die Vertreter der EEH ja gerade deshalb mit ihrer Hypothese angetreten, um die letzte Entscheidung, die Grundentscheidung, auf welche das ganze Leben hinausläuft, von allen irdischen Bedingungen und Voraussetzungen zu befreien.

c. Der Lösungsvorschlag von Josef Pieper. — Im Grunde hat der geniale Philosoph Josef Piper das Problem schon längst gelöst und die Frage, wie aus einer unvollkommenen irdischen Entscheidung eine endgültige Entscheidung im Jenseits wird, beantwortet, ohne alle irdischen Entscheidungen ihrer Bedeutung zu berauben: Piper zufolge ist das Sterben des Menschen kein zufälliges, vorzeitiges, plötzliches und unerwartetes Abreißen der Lebensfunktionen, sondern ein »abschließender Akt, ein Zu-Ende-Bringen, Unterschrift und Vollzug des Lebensganzen, Auftragung, Komplettmachen und Beschluss.« - Der Tod ist »Beendigung des inneren Weges, gewirkt in einer endgültigen, das ganze Dasein betreffenden freien Entscheidung«.

Exkurs zum Selbstmord

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Frage nach dem Heil von Selbstmördern zurückkommen. Ich habe zuvor schon erwähnt, dass die Evangelikalen im amerikanischen Raum einem Selbstmörder keinen Platz im Himmel zuerkennen - und eine derartige Auffassung auch den Katholiken unterstellen.

Nach Piper fällt jeder Mensch eine letzte Entscheidung im Tod (oder auch als letzte Entscheidung vor dem Tod), in der das Lebensganze zum Abschluss gebracht wird. Diese Entscheidung kann unter Umständen aber genau das Gegenteil bedeuten von dem, was der letzten Handlung (in diesem Fall dem Selbstmord) zugrunde liegt. Wie aber – so fragen viele – kann jemand, der sich tötet, diese Tat noch bereuen und als »nicht das Lebensganze bestimmend« einordnen?

Was für Boros mit seiner EEH kein Problem ist, stellt auch für den klassischen katholischen Glauben keine Schwierigkeit dar. Josef Piper zufolge kann sich eine solche Entscheidung im Bruchteil einer Sekunde vollziehen, vielleicht sogar in einem »dem eigenen reflexen Bewusstsein verborgenen Seufzer«. Was Piper in seiner philosophischen Sprache beschreibt: Auch ein Mensch, der noch mit Hasstirade auf den Lippen stirbt, kann sich möglicherweise in tieferen Schichten, unterhalb des Bewussten, Gott zuwenden.

Die Frage also, ob ein Selbstmörder in die Hölle oder in den Himmel kommt, ist aus Sicht der katholischen Kirche genauso offen wie bei allen anderen sündigen Menschen.

Der Unterschied zwischen Piper und Boros - und damit der Unterschied zwischen der katholischen Position und einer nicht-katholischen Sichtweise - liegt allein in der Frage, ob die Entscheidung im Augenblick des Todes eine vom bisherigen Leben geprägte Entscheidung ist, oder inwiefern es sich um eine vom irdischen Leben absolut losgelöste Entscheidung handelt.

Selbstverständlich kann Gott aus einem Akt der Gnade heraus im Tod bzw. kurz davor dem Menschen kraft einer besonderen Gnade eine neue Entscheidung ermöglichen. Vielleicht tut Gott das erheblich öfter als wir denken. Es gibt viele Fälle, in denen von einer solchen Gnade der Bekehrung berichtet wird, wie etwa jener Mörder, der sich durch das Gebet der kleinen Therese von Lisieux kurz vor seiner Hinrichtung bekehrt. Es ist aber unzulässig, und würde eine anmaßende Einschränkung der Freiheit Gottes bedeuten, anstelle der gewährten Gnade zur Neu-Entscheidung ein rein natürliches Phänomen beim Tod eines jeden Menschen anzunehmen.

2. Die Ganztod-Theorie

a. Die Theorie. — Bei den Zeugen Jehovas, aber auch bei einigen Evangelikalen, Evangelischen und Protestanten findet sich eine strikte Ablehnung des sogenannten Dualismus. Der anthropologische Dualismus behauptet, dass der Mensch aus Leib und Seele bestehe und der Tod nichts anderes als die Trennung von Leib und Seele sei. Der Leib zerfällt ohne die Seele; die Seele aber lebt weiter und erhält am jüngsten Tag erneut einen Leib. Die reformatorische Alternative dazu lautet: Der Mensch ist Leib und Seele – und beides stirbt im Augenblick des Todes. Auch die Seele ist nun tot und zerfällt in Nichts.

Erst am Jüngsten Tag erschafft Gott den Menschen wieder neu – aus Seiner Erinnerung. In den meisten Varianten dieser Theorie beschränkt sich Gott allerdings darauf, nur die Guten zurückzuholen. Die Bösen bleiben, wo sie sind: Weg. Nicht-existent. Für immer verschwunden. Diese sogenannte Ganz-Tod-Theorie hat einen entscheidenden Vorteil: Man braucht keine Hölle und kein Fegefeuer mehr anzunehmen – nur den Himmel. Dorthin mögen zwar vielleicht nicht alle gelangen. Einen Zustand der Hölle im Sinne eines Ortes ewiger Qualen braucht man aber nicht anzunehmen, zumal eine derartige Höllenvorstellung mit der Vorstellung vom lieben, barmherzigen und all-gütigen Gott im Widerstreit steht. Zudem entfällt die Problematik, die mit der Annahme eines Zwischenzustands zwischen dem persönlichen Tod und dem Tag der Auferstehung verbunden ist. Die Antwort ist einfach: Es gibt kein Dazwischen. Und noch ein dritter Grund spricht für diese Theorie: Der biblische Befund. Es gibt zahlreiche Stellen, die (vor allem im Alten Testament) eine solche Vorstellung nahe legen.

Auf der anderen Seite ergibt sich die Frage nach den Gegenargumenten: Aus der oben geschilderten Entwicklung des Jenseitsglaubens im Alten Testament selektieren die Vertreter der Ganz-Tod-Theorie nur jene Stellen heraus, die davon sprechen, dass der Mensch im Totenreich nichts mehr vermag und nur noch blasse Erinnerung ist. Aber es gibt auch andere biblische Stellen, die von einer Zeit bis zur Auferstehung sprechen, sowie davon, dass die Seelen diese Zeit erleben:

Im Buch der Weisheit, Kapitel 3, Vers 1-11, steht: »Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand, und keine Qual kann sie berühren. In den Augen der Toren sind sie gestorben, ihr Heimgang gilt als Unglück, ihr Scheiden von uns als Vernichtung; sie aber sind in Frieden. In den Augen der Menschen wurden sie gestraft; doch ihre Hoffnung ist voll Unsterblichkeit. Ein wenig nur werden sie gezüchtigt; doch sie empfangen große Wohltat. Denn Gott hat sie geprüft und fand sie seiner würdig. Wie Gold im Schmelzofen hat er sie erprobt und sie angenommen als ein vollgültiges Opfer. Beim Endgericht werden sie aufleuchten wie Funken, die durch ein Stoppelfeld sprühen. Sie werden Völker richten und über Nationen herrschen, und der Herr wird ihr König sein in Ewigkeit. Alle, die auf ihn vertrauen, werden die Wahrheit erkennen, und die Treuen werden bei ihm bleiben in Liebe. Denn Gnade und Erbarmen wird seinen Erwählten zuteil. Die Frevler aber werden für ihre Pläne bestraft, sie, die den Gerechten missachtet haben und vom Herrn abgefallen sind. Unglücklich sind alle, die Weisheit und Belehrung verachten; leer ist ihre Hoffnung, vergeblich sind ihre Mühen und wertlos ihre Taten.«
Beim Propheten Jesaja steht geschrieben: »Er beseitigt den Tod für immer« (Kapitel 25, 8). Und im weiteren Text (Kapitel 26, 19) heißt es: »Deine Toten werden leben, die Leichen stehen wieder auf; wer in der Erde liegt, wird erwachen und jubeln.«

Die Ganz-Tod-Theorie findet sich zwar ansatzweise schon bei Luther; aber hauptsächlich bezeugt Luther, genauso wie die anderen Reformatoren, seinen festen Glauben an die Unsterblichkeit des Menschen. Luther zeigt sich ähnlich uneinheitlich wie die Schriften des Alten Testaments. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wendet sich die reformatorische Theologie davon ab. Insbesondere C. Stange und P. Althaus behaupten, dies sei schon immer Luthers Auffassung und jene der gesamten Reformation gewesen. Und die Evangelikalen, die eine Entwicklung des Glaubens grundsätzlich ablehnen, sind heute ebenfalls der Meinung, die Ganz-Tod-Theorie wäre nicht nur eine Überzeugung der Reformatoren gewesen, sondern schon seit Jesus Christus Grundüberzeugung der gesamten Christenheit. Fakt dagegen ist, dass die Ganz-Tod-Theorie wohl noch keine 150 Jahre alt ist.

Aber zugegeben: Sie entspricht viel konsequenter der protestantischen Theologie. Dass es kein Fegefeuer gibt, fügt sich gut zu jener Auffassung, dass der Mensch sich nicht selbst reinigen und an seiner Erlösung, die allein gottgewirkt ist, nicht mitwirken kann. Ansätze einer ausgeprägten Auferstehungstheologie, die von Unsterblichkeit und Auferstehung redet, finden sich erst in den am spätesten entstandenen Büchern des Alten Testamentes. Die Zugehörigkeit jener spät entstandenen, in griechischer Sprache verfassten Bücher zur Bibel wurde von den Reformatoren bestritten. Diese waren der Meinung, die Heilige Schrift von einer Verfälschung befreit zu haben.

b. Biblische Begründung des Zwischenzustandes. — Vor allem Lk 16, 19-31 bietet ein Zeugnis für einen doppelten Ausgang und eine »Zeit« direkt nach dem Tod. Denn während an vielen anderen Stellen vom Tag der Auferstehung die Rede ist, wird dieses Gleichnis nach dem Tod des armen Bettlers Lazarus verortet, zu einer Phase zwischen dem persönlichen Tod und der allgemeinen Auferstehung von den Toten am jüngsten Tag. Zudem sagt Jesus zu dem reuigen Verbrecher am Kreuz neben ihm: »Ich sage Dir, noch heute wirst Du mit mir im Paradies sein.«

Auch hierzu haben die Zeugen Jehovas eine clevere Antwort gefunden: In der Bibel wäre das Komma falsch gesetzt. Es müsse heißen: »Ich sage Dir heute noch, Du wirst mit mir im Paradies sein.« – Es bleibt die Frage, warum Jesus am Kreuz betonen sollte, dass er etwas »heute noch« sagt. Für die Theorie der Zeugen Jehovas fehlt im Übrigen jeder Beleg.

c. Kritik an der Ganz-Tod-Theorie. — Das größte Problem der Ganz-Tod-Theorie ist die Frage der Individualität und Kontinuität des Menschen. Wenn der Mensch in seinem Tod vollkommen vergehen sollte und dann am jüngsten Tag von Gott wieder neu erschaffen würde – inwiefern könnte dies dann noch derselbe Mensch, dieselbe Person sein? Was hätte der neue Mensch dann noch mit dem alten zu tun? Wie wird seine Individualität bewahrt? Zwar könnte Gott in seiner Allmacht dem neu erschaffenen Menschen Erinnerungen zuordnen; aber dies wären nicht die Erinnerungen ein und derselben Person.

Noch drastischer erscheint es, wenn Gott am jüngsten Tag Menschen erschaffen würde, denen er Erinnerungen und Wesensarten verleiht, die zu ihrer Verdammung führen. Insofern ziehen die Vertreter der Ganz-Tod-Theorie den vernünftigen Schluss, dass sich diese Theorie nicht mit der Existenz der Hölle verträgt. Gott erschafft keinen Menschen nur zum Leid.

Aber umgekehrt stellt sich diese Frage genauso, wenn auch weniger dramatisch: Wie kann Gott einem Menschen nur zur Freude erschaffen, ausgestattet mit positiven Erinnerungen – wenn andere hingegen im Tod bleiben müssen und nicht neu erschaffen werden? Vor allem aber drängt sich die Frage auf, warum es dann überhaupt diese Erdenzeit gibt, wenn Gott am Ende Menschen aus dem Nichts erschaffen würde, die sogleich himmlisch sind und an der Ewigkeit teilhaben. Mit anderen Worten: Warum erschafft er uns nicht direkt so?

Der Ausweg, nicht von einer Neu-Erschaffung der Menschen zu sprechen, sondern von einer Erweckung aus der Erinnerung Gottes, ist nichts anderes als eine Worthülse. Gleiches gilt von der Rede vom Seelenschlaf, die voraussetzt, dass die Seelen doch noch existent sind und irgendwo schlummern. Falls die Seelen nur schlafen und dann am Ende der Zeit zur Ewigkeit aufstehen, was geschieht dann mit den schlafenden bösen Seelen? Werden sie noch einmal in einem eigenen Akt vernichtet?

Ein weiteres Manko der Ganz-Tod-Theorie besteht weniger in einem logischem Bruch, sondern in den Konsequenzen, die gerne in Predigten zu Beerdigungen ausgeblendet werden: Es gibt keinen Trost, dass es dem Verstorbenen »nun besser geht«; sie sind eben nicht »im Frieden«, sondern im Nichts; es gibt keine Gebete für die Verstorbenen und keine Gemeinschaft mit den Verstorbenen. Aus einer derartigen Perspektive wird auch die Verehrung der Heiligen gegenstandslos.

Ausschlaggebend für die katholische Auffassung bleibt, dass es aufgrund der Gemeinschaft mit Christus ein Fortleben der Person auch nach ihrem Tod gibt. Für diesen Fortbestand wird allgemein das Wort »Seele» gebraucht, welches daher mangels einer besseren Bezeichnung übernommen wurde.

3. Auferstehung im Tod

a. Die Theorie. — Die dualistische Vorstellung, der Mensch bestehe aus Leib und Seele, und nach der Trennung vom Leib lebe die Seele alleine weiter fort, wird verbreitet als etwas »Unbiblisches« betrachtet. Wir haben unseren ersten Abschnitt dennoch mit diesem Ansatz begonnen. Lehnen wir allerdings ein Weiterleben der Seele ohne Leib ab, kommt man zur Ganztodtheorie, welche sich als sehr unbefriedigende Theorie erwiesen hat.

Dem gegenüber hat sich die Theorie von einer »Auferstehung im Tod« entwickelt, die zwar auch eine Trennung von Leib und Seele ablehnt, zugleich aber dennoch optimistisch ausgerichtet ist: Die allgemeine Auferstehung, die nach biblischer Auffassung mit dem Tag des Herrn einhergeht, wird als Auferstehung angenommen, welche sich im Augenblick des Todes ereignet. Schon Luther hat einmal gesagt, dass »in jener Welt nicht Zeit noch Stunde ist, sondern alles ein ewiger Augenblick«. Zusammen mit der philosophischen Erkenntnis, dass in der Ewigkeit alle Ereignisse in einer ewigen Gegenwart gewissermaßen übereinkommen, würden bei der »Auferstehung im Tod« der individuelle Tod des Menschen und die alles vollendende Wiederkunft Christi übereinkommen. Aus irdischer Perspektive mögen durchaus Jahrtausende zwischen dem Tod eines einzelnen Menschen liegen und der Wiederkunft Christi am Ende aller Zeit liegen. Aus der Perspektive des Verstorbenen, der alle Zeit hinter sich gelassen hat, fallen die Ereignisse seines individuellen Todes und der Wiederkunft Christi ineins.

Zu den bekannten Vertretern dieser Theorie gehört auf evangelischer Seite Karl Barth, auf katholischer Seite Karl Rahner, Gisbert Greshake und viele Exegeten, wie z.B. G. Lohfink. Aber auch Michael Schmaus und sogar Joseph Ratzinger waren vorübergehend von dieser Hypothese angetan, beide haben sie dann aber letztlich als unvereinbar mit dem katholischen Glauben verworfen. Die Evangelikalen halten ebenfalls nicht viel von dieser Theorie. Zu den »five fundamentals«, den fünf fundamentalen Grundsätzen der Evangelikalen in Amerika (daher nannten sich die Evangelikalen selbst auch die Fundamentalisten, eine Bezeichnung, die ihnen inzwischen nicht mehr so behagt) gehört auch die »buchstäbliche - leibliche - Wiederkunft Christi«. Wenn aber die Wiederkunft Christi im Augenblick des Todes als Geschehen in der Ewigkeit seinen Platz hat, so handelt es sich eben nicht um ein geschichtliches Ereignis. Insofern sind sich Katholiken und Evangelikale in der Ablehnung der »Auferstehung im Tod«-Theorie einig.

Wenn der Zeitpunkt der Auferstehung mit dem Zeitpunkt des Todes zusammenfällt, gibt es auch keine leiblose Seele mehr: Wir sind unmittelbar mit Leib und Seele in die Ewigkeit hineingenommen.

Ratzinger (nachdem er sich von der Auferstehung im Tod abgewandt hat) hat Greshake vorgeworfen, die Auferstehung zu »entmaterialisieren«. Denn wenn der Leib des Verstorbenen hier auf Erden zerfällt – was für einen Leib haben denn dann die im Augenblick des Todes Auferstandenen? Greshake weiß sich zu wehren. Er bezieht sich allerdings auf einen relativ komplizierten Gedankengang von Teilhard de Chardin, den ich hier nicht im Einzelnen wiedergeben möchte. Fazit ist lediglich: Der Auferstehungsleib ist ein »geistiger Leib«. Greshake: »Leib, und damit Welt und Geschichte, werden im Tod nicht einfach abgestreift.« - »Alle Gestalten der kosmischen und menschlichen Geschichte werden vergeistigt eingebracht in die absolute Vollendung, in das Pleroma, in die Heimholung und Vereinigung der Welt in und mit Gott.«

b. Kritik an der »Auferstehung im Tod«. — In der Darstellung der katholischen Sicht vom Jenseits wurde bereits erwähnt, dass ein endlicher Mensch (und das sind alle Menschen) insofern nicht zeitlos, ewig wie Gott werden kann, weil jeder Mensch geworden ist und einen Anfang hat. Zeitlose Ewigkeit aber würde bedeuten, dass wir alles, was wir tun, getan haben und tun werden, auf einmal tun - in einem zeitlosen Augenblick. Dass wir alles, was wir hören, sehen, erleben und erkennen, auf einmal erfahren. Das setzt voraus, dass wir unendlich sind. Aber das sind wir definitiv nicht und das werden wir auch nicht im Himmel sein.

Genau diesem Missverständnis unterliegt jedoch die Vorstellung von der »Auferstehung im Tode«. Dagegen ist festzuhalten, dass nur Gott allein ewig ist und dass er allein als Schöpfer von allem über allem steht. Auf das Engste mit Christus durch die Gabe des Geistes verbunden zu sein (vgl. Taufe, Firmung, Eucharistie), bedeutet zwar, dass wir mit Christus Anteil an seiner Gemeinschaft mit dem Vater haben. Wir aber sind geschaffen, haben einen Anfang und sind in unserem leben durch ein Stück der Zeit gegangen. Wenn wir also mit Christus auferstehen und Anteil an seiner Herrlichkeit beim Vater erhalten, bleibt zugleich unsere Herkunft, unsere Geschichte, unser Gewordensein wahr. Insofern ist auch der Himmel gewissermaßen zeitlich, aber er besteht in einer »verklärten Zeit«, so wie sich der auferstandene Herr den Seinen in seinem verklärten Leib gezeigt hat.

Wie schon beim »verklärten Leib« wissen wir nicht genau, was das bedeutet. Wir wissen nur, dass es im Himmel keine Langeweile mehr gibt, kein Warten und kein entsetzter Ausruf: »Wie? Schon vorbei?« Aber es handelt sich immer noch um Zeit, das heißt um ein Nacheinander von liebevollen Ereignissen. Tatsächlich reden wir häufig vom »ewigen Leben«; gemeint ist damit aber nicht ein »zeitloses Leben«, sondern ein Leben ohne Ende in der Gegenwart Gottes. Wenn wir vom »ewigen Gott« sprechen, meinen wir dagegen immer auch den Schöpfer der Zeit, der insofern über aller Zeit steht.

(1) Das leere Grab braucht nicht leer zu sein! Die »Auferstehung im Tode« mag auf den ersten Blick verheißungsvoll klingen. Auf den zweiten Blick aber zeigen sich Widersprüche zum katholischen Glauben. Sei es die »leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel« (das wäre dann ja nichts besonders mehr - das gilt dann ja für alle!), sei es die Auferstehung Jesu, dessen Grab dann wohl nicht leer gewesen wäre.

(2) Ich bin doch schon da! Auch die (im zweiten Makkabäerbuch) bezeugte Fürsprache der bereits Verstorbenen für die noch Lebenden macht dann keinen Sinn. Wenn es im Jenseits keine Zeit gibt, sind für den einen Verstorbenen auch alle anderen Verstorbenen »schon da«. Warum dann noch für jemanden beten, der ja gar nicht mehr auf Erden weilt? Damit wäre auch die »Gemeinschaft der Heiligen«, wie wir sie im Glaubensbekenntnis bekennen, aufgehoben. Die uns bereits im Tod Vorausgegangenen brauchten nicht mehr für uns, die wir noch auf Erden leben, einzutreten – wir wären in der Perspektive des Himmels immer schon auferstanden, alle früheren Geburtswehen erscheinen demgegenüber wie nichts.

(3) Offenes Feuer verboten! Es mag beruhigend sein, sich das Jenseits ohne Fegefeuer vorzustellen. Aber abgesehen davon, dass das »Fegefeuer« sowieso als ein »Zustand der Reinigung« verstanden werden sollte und nicht als ein Ort des Feuers, erscheint der Verzicht auf die Annahme einer Reinigung der Seele nach dem Tod wie ein Bumerang, der den Werfer trifft: Wenn es keine Zeit der Reinigung nach dem Tod gibt, dann macht auch eine Reinigung vor dem Tod keinen Sinn: Es gibt nur schwarz und weiß. Wer glaubt, der gelangt zur Auferstehung. Über diese eine Bewegung auf Gott zu bedarf es dann keiner weiteren Bemühungen.

Das ist wie mit einer Generalamnestie: Wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Strafen nachgelassen werden, dann macht es keinen Sinn, schon vorzeitig Reue zu zeigen. Im Gegenteil: Man kann sich sogar bis zu diesem Termin noch weiter sündigen und seine eigene Bekehrung aufschieben, vergeben wird dann ja doch alles. Wenn mit dem Zeitpunkt des Todes bereits die Auferstehung im Sinne einer Teilhabe an der Ewigkeit einsetzt, dann brauche ich vorher zumindest keine intensive Buße tun, nicht mein Leben ändern, alles auf Gott setzen und Christus nachfolgen. Ein durchschnittliches Christentum müsste doch reichen, oder?

Die Vertreter der »Auferstehung im Tod« sind zwar nicht alle einer einheitlichen Auffassung; die meisten Anhänger dieser Lehre gehen jedoch davon aus, dass es keinen »doppelten Ausgang« (also Himmel und Hölle) gibt, sondern dass Auferstehung immer den Himmel meint.

Fazit

Die End-Entscheidungshypothese besagt entweder das, was die Kirche immer schon geglaubt hat; oder sie steht in der Gefahr, den Menschen in dieser Welt eine Heilsentscheidung nicht zuzutrauen – der Leib wird zum Gefängnis der Seele. Auferstehung im Tod bringt vor allem logische Probleme mit sich, indem sie den Menschen göttliche Eigenschaften zukommen lässt. Unlogik wird nicht dadurch besser, wenn man sie erst für das Jenseits erwartet. Die Ganztod-Theorie, die sich vor allem in evangelischen, inzwischen aber auch zunehmend in katholischen Kreisen wachsender Beliebtheit erfreut, verzichtet auf alle Probleme des Zwischenzustandes, der Hölle und des Fegefeuers auf Kosten der Autonomie des Menschen: Letztlich entscheidet Gott über unsere Freiheit hinweg.

II. Alternative Konzepte - Teil 2
1. Reinkarnation

a. Die Theorie. — Umfragen zufolge glauben mehr als 30% der Katholiken an eine Wiedergeburt (Reinkarnation). Das überrascht, denn diese Jenseitsvorstellung hat niemals eine Rolle im christlichen Glauben gespielt. Wiedergeburt ist dagegen eine im Hinduismus und Buddhismus verwurzelte Vorstellung. Interessant ist vor allem, dass der Gedanke der Wiedergeburt in der westlichen Kultur als verlockend und sympathisch angesehen wird - denn im Buddhismus und Hinduismus ist der ewige Kreislauf die Hölle. Erlösung im Buddhismus bedeutet gerade das Ausbrechen aus dem Zyklus an Wiedergeburten, aus diesem ewig kreisenden Rad, das manchmal sogar als »Folterrad« bezeichnet wird.

Europäer hingegen, welche eine Wiedergeburt erwarten, verbinden eine positive Erwartung mit der Vorstellung, noch einmal leben zu können. Wiedergeburt aber würde bedeuten, dass in unserem jetzigen Leben nichts wirklich endgültig ist; alle Fehler, die wir gemacht haben, ließen sich in einem späteren Leben noch einmal korrigieren; alles, was wir verpasst haben, können wir nachholen. Christen hingegen glauben, dass während unseres einen irdischen Lebens jede positive oder negative Endscheidung korrigiert werden kann. Mit dem Tod endet diese Möglichkeit. Das Leben in seiner Gestalt und mit all den getroffenen Endscheidungen wird endgültig.

Dabei dürfen wir nicht dem Irrglauben verfallen, dass eine zufällige, am Lebensende stehende Entscheidung automatisch »verewigt« wird. Das gilt z.B. für Selbstmörder. Während im Amerikanischen der Glaube weit verbreitet ist, Selbstmörder sind immer und unter allen Umständen verdammt und in der Hölle (so sehen es viele Evangelikale und so wird es - z.B. in zahlreichen Hollywoodfilmen – auch der katholischen Kirche unterstellt: z.B. in Constantine, Hinter dem Horizont, Der Gute Hirte usw.), halten wir Katholiken daran fest, dass wir zwar von einigen Menschen mit Gewissheit sagen können, dass diese bei Gott sind (Selig- bzw. Heiligsprechung), umgekehrt aber von niemandem mit Sicherheit gesagt werden kann, dass dieser in der Hölle ist. Am Ende des Lebens zählt eben nicht die zufällig letzte, eventuell krankheitsbedingte Entscheidung, sondern die »Essenz« des ganzen Lebens einer Person.

Die Notwendigkeit einer endgültigen Entscheidung leuchtet ein, wenn man sich das Wesen des Himmels vergegenwärtigt. Wirklich selig ist nur derjenige, der weiß, dass er auf ewig selig ist. Sobald im Himmel auch nur die Möglichkeit bestände, dass in absehbarer Zukunft dennoch eine Entscheidung gegen Gott möglich wäre, wäre die Seligkeit wieder von Angst, Sorge und Zweifel überlagert. Das aber kann im Himmel nicht sein. Aber das bedeutet natürlich auch, dass derjenige, der sich gegen Gott entscheidet, eine ebenso endgültige Entscheidung trifft, die nach dem Tod nicht mehr korrigiert werden kann. Diese Möglichkeit zu akzeptieren, fällt jedoch vielen Zeitgenossen schwer.

Vielleicht ziehen manche Zeitgenossen die Vorstellung von einer ewigen Wiedergeburt der Erwartung der ewigen Freude des Himmel deshalb vor, weil man heute kaum noch die Vollendung im Himmel als Ziel der irdischen Pilgerschaft vor Augen hat. Wer das Irdische nicht als Weg versteht, bleibt bei den irdischen Dingen stehen. Da die Menschen in Deutschland vergleichsweise in Wohlstand leben, erschaudert es ihnen beim Gedanken an eine Wiedergeburt nicht. Wenn Menschen jedoch im Elend leben, werden sie einen Zyklus von Wiedergeburten fürchten. Es wundert deshalb nicht, dass die asiatischen Regionen, in denen die Wiedergeburt als Fluch und nicht als Segen angesehen wird, zu den ärmeren Gegenden dieser Welt gehören.

b. Kritik am Wiedergeburtsglauben. — Verträgt sich die Reinkarnation mit der Bibel? - Die Antwort ist ein klares »Nein«. Es gibt zwar einzelne Anklänge im Alten und Neuen Testament. Aus diesen jedoch eine Wiedergeburtslehre ableiten zu wollen, würde der biblischen Botschaft völlig widersprechen.

Nachdem Elija »im Wirbelsturm« zum Himmel emporfuhr (2 Kön 2, 11), erwarteten die Juden, dass er erneut auf der Erde kommen würde. So hielt man Johannes den Täufer für den wiedergekommenen Elija (Mt 11, 24; 17, 10-13; Mk 6, 14ff; 9, 11ff; Lk 1, 17).
Einmal davon abgesehen, dass Johannes diesen Gedanken weit von sich weist, handelt es sich hier eben nicht um eine Reinkarnation, denn Elija ist eben nicht gestorben. Man glaubte, Elija käme am Ende der Zeit wieder, um dann den Märtyrertod zu sterben. Die Wiederkunft des Elija ist jedoch keine Wiedergeburt. Insofern bedeutet die erwartete Wiederkunft des Elija ein Zeichen Gottes, keine Lehre über das Schicksal des Menschen.
Eine weitere Stelle wird mit Joh 3, 3 und Joh 3, 7 angeführt. Jesus sagt dort im Gespräch mit Nikodemus: »Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus entgegnete ihm: Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden? Er kann doch nicht in den Schoß seiner Mutter zurückkehren und ein zweites Mal geboren werden. Jesus antwortete: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist.«
Hier wird zwar von einer »neuen« Geburt gesprochen; aber das Wort »von neuem« (griechisch: anothen) meint eben nicht »wiederum«, sondern »von oben«. Eine »erneute« Geburt wäre ja wieder nur eine Geburt aus dem Fleisch. Gemeint ist hier also eine andere Geburt: Die Wiedergeburt aus dem Geist – also die Taufe.
Und noch eine dritte Stelle wird gerne als Hinweis auf die Wiedergeburt missdeutet: In Joh 9, 2 fragen die Jünger, als Jesus dem Blindgeborenen begegnet: »Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst? Ober haben seine Eltern gesündigt, so dass er blind geboren wurde?« Es ist ziemlich abwegig, in der Geburt des Blindgeborenen eine Reinkarnation seiner eigenen Eltern zu sehen (dies würde übrigens voraussetzen, dass die Eltern zum Zeitpunkt seiner Geburt bereits gestorben wären, was einen Widerspruch in sich darstellt). Die Frage ist keine Anspielung auf das »Karma«, sondern entspricht dem jüdischen Gedankengang, dass spätere Generationen für die Sünden der früheren zu büßen haben.

Nein, es gibt keinen Hinweis in der Bibel auf eine Reinkarnation, wohl aber ziemlich deutliche Worte dagegen. Ich möchte hier allerdings nur eine einzelne Stelle zitieren:

Im Brief an die Hebräer heißt es (Hebr 9, 27): »Und wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben, worauf dann das Gericht folgt, so wurde auch Christus ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler hinwegzunehmen; beim zweitenmal wird er nicht wegen der Sünde erscheinen, sondern um die zu retten, die ihn erwarten.«

(1) Fehlende Erinnerung: Der Glaube an die Wiedergeburt offenbart eine ganze Reihe von logischen Problemen. Zunächst ist da die fehlende Erinnerung an das frühere Leben. Platon erklärt zwar das Verschwinden der Erinnerung dadurch, dass die Verstorbenen vor ihrer Wiedergeburt vom »Wasser des Vergessens« trinken (aus dem Fluss des Vergessens - der »Lethe«); aber das löst nicht das Problem, dass der Reiz der »erneuten Chance« verloren geht, wenn man keine Erinnerungen an das frühere Leben hat. Wie will man aus den Fehlern des alten Lebens lernen, wenn man sich nicht erinnert? Aber auch das negative Karma wird so zur himmelschreienden Ungerechtigkeit. Angenommen, ein Mensch muss in seinem Leben viel leiden, grundlos, immer wieder, ohne Ende. Ihm wird erklärt, dass liege vermutlich daran, dass er in seinem früheren Leben ein ganz schlimmer Mensch gewesen ist. Wäre denn eine solche Strafe nicht ungerecht, wenn sich der (angebliche) Täter an nichts mehr erinnert? Eine solche Strafe wäre zudem sinnlos. Wie soll der immer wieder geborene Mensch aus der Strafe lernen, wenn er nicht weiß, warum er sie tragen muss?

(2) Fatalismus: Es ist, wie es ist – und es bleibt so. Da jedes vorangegangene Leben durch das Karma die Ausgangsbedingungen für das nächst folgende Leben festlegt, ist erklärt, warum für den jeweiligen Menschen die Lebensverhältnisse derart positiv oder negativ geprägt sind, wie er sie in seinem gegenwärtigen Leben erfährt.

Die mangelnde Möglichkeit, sein eigenes Schicksal als ungerecht zu empfinden, führt aber zum absoluten Fatalismus. Denn nicht nur Dein Leben ist aus guten Gründen so, wie es ist, sondern auch das der anderen Menschen. Wer in den Slums dieser Welt geboren wurde, hat es nicht anders verdient. Wer als Kind hungern muss, wird wohl im letzten Leben Hunger verursacht haben. Wer im Luxus auf Kosten anderer lebt, hat sich das wohl verdient. Jeder Gedanke an eine religiös motivierte Veränderung der Welt verbietet sich schnell. Dass es ist, wie es ist, entspricht der Ordnung der Welt. Zugegeben: Fatalismus ist dem Buddhismus fremd. Aber im Hinduismus nimmt der Fatalismus manchmal grausame Formen an, gegen die z.B. Mutter Teresa in Kalkutta unermüdlich angegangen ist. Wer daran glaubt, dass das Karma bereits für einen allgemeinen Gerechtigkeitsausgleich sorgt, braucht sich nicht mehr selbst für Gerechtigkeit einzusetzen. So ist der Gedanke der tätigen Nächstenliebe und der Glaube an einen Einsatz für eine bessere Welt dem fatalistischen Hinduismus vollkommen fremd.

(3) Fehlende Erklärung: So genial, wie der Wiedergeburtsglaube das unterschiedliche Schicksal der Menschen erklärt (und leider auch rechtfertigt), so wenig erklärt sich das ganze System. Warum kam es überhaupt zum ewigen Kreislauf? Wie ist alles angefangen? Woher kommen die Seelen, die Körper und die Mechanismen? Gerade in einer Welt, die weiß, dass sie einen Anfang hat und nicht schon ewig existiert hat, ist der Gedanke der Reinkarnation eine bloße Vorstellung, welche anzunehmen überzeugende Argumente fehlen.

(4) Moralische Tiere? Einige Varianten der Wiedergeburt gehen davon aus, dass der Mensch sich im Laufe seiner vielen Leben durch moralisches Verhalten »hocharbeiten« wird. Das allein ist schon ziemlich abwegig, da doch die »Belastungen« durch negatives Karma im Laufe der Zeit immer größer wird. Jemand mit schlechtem Karma, d.h. schlechten Lebens-Startbedingungen, wird es schwerer haben, ein moralisch gutes Leben zu führen; im nächsten Leben wird es dann noch schwerer, im übernächsten nochmals schwerer usw.). Vollends unbegreiflich wird es jedoch, wenn auch die Wiedergeburt als Tier angenommen wird. Kann sich eine Küchenschabe moralisch so verhalten, dass sie im nächsten Leben aufsteigt? Gibt es heiligmäßige Kakerlaken? Kann sich ein Tier überhaupt moralisch verhalten?

(5) Mein Leib – Dein Leib: Ein weiterer Einwand ist die Frage nach der Zugehörigkeit des Leibes. Im Christentum wird zwar der Dualismus ähnlich wie in der Wiedergeburt gesehen: Der Mensch besteht aus Leib und Seele, und die Seele verlässt beim Sterben den Leib. Aber der Leib ist nicht ein beliebiges Haus. Der Leib ist durch die Seele durchgeformt und Ausdruck der Seele, unverwechselbar und individuell. Die Tatsache, dass wir den Verlust des Leibes als Unglück empfinden und die Wiederherstellung des Leibes in der Auferstehung als himmlisches Glück, wertet den Leib als integralen Bestandteil des Menschen enorm auf.

Für Christen bedeutete es eine Herabsetzung der leiblichen Würde, wenn der eigene Leib nur wie ein Pullover zu denken wäre, der mir nicht wirklich zugehört, austauschbar wäre und eigentlich auch ganz anders aussehen und gestaltet sein könnte. Zwar wird der Kirche immer wieder (ungerechtfertigterweise) Leibfeindlichkeit vorgeworfen; aber im Gegensatz zum Glauben an eine Reinkarnation, der im Leib eine Ein-Weg-Verpackung sieht, darf man diesen Vorwurf wohl nicht mehr erheben. Nicht weiter erörtern möchte ich hier das »Gender-Problem«: Sind wir als geschlechtslose Seelen nur zufällig in männlichen bzw. weiblichen Körpern? Oder sind wir wesenhaft Mann und Frau, mit Leib und Seele?

(6) Moral und Glaube: Ich möchte mit Bezug auf das Wesen des Christentums schließen, welches gerade nicht in der Lehre von einer moralisch einwandfreien Lebensführung besteht. Falls tatsächlich diejenigen in den »Himmel kommen«, die sich in ihrer Umwelt einwandfrei betragen haben, so mag der Gedanke der Reinkarnation noch eine gewisse Berechtigung haben.

Am Ende seines »Rückführungs-Kapitels« in dem Buch »Ich bin dann mal weg« (dazu später mehr) schreibt Hape Kerkeling: »Es wäre durchaus vorstellbar, dass man, obwohl man sich nicht daran erinnert, schon Tausende Male gelebt hat. Vielleicht sind wir in jedem Leben – unter Beibehaltung eines Kerns – jedesmal ein ganz anderer. Jedes Leben könnte wie eine Art Hindernis-Parcours funktionieren. Der Reiter ist die Seele, das Pferd der Körper und der Parcours das Leben. Zehn Hindernisse oder besser Prüfungen sind vorgegeben, die man zu bewältigen hat. Aber die Reihenfolge und die Zeit, in der wir sie angehen, sind uns vollkommen freigestellt. Die Art und Weise, wie wir die zehn Hindernisse nehmen, wird dann von einer himmlischen Jury bewertet. Das, was wir vor und nach den entscheidenden Hürden tun, wird nicht bewertet. Es ist eine Art Urlaub von der zentralen Lebensaufgabe.«

(7) Das Leben als Hindernis-Parcours – das passt zur Vorstellung von einer Reinkarnation. Aber nicht zum christlichen Gott. Nach christlicher Auffassung entscheidet sich Himmel und Hölle nicht an unserer Moral und unserer Disziplin, sondern durch unseren Glauben und unsere Liebe zu Gott und seinem Sohn. Dieser Glaube ist aber keine Frage von jahrtausendelanger Übung durch hunderte Leben hindurch, sondern ist jedem Menschen in seinem einen Leben möglich (ja, sogar in einem Augenblick!). Eine Wiederholung des Entscheidungszeitraums würde das Glauben übrigens nicht einfacher machen. Der Akt des Glaubens wie alle personalen Akte würden vielmehr entwertet.

c. »Beweise« für die Wiedergeburt. — Vor allem zwei Phänomene werden gerne als »Beweis« für die Wahrheit der Reinkarnation angeführt: Das sogenannte Dejavu und die hypnotische Rückführung in »Reinkarnationsseminaren«.

(1) Das Deja-vu-Erlebnis: Das »Dejavu« (aus dem französischem »schon gesehen«, korrekt geschrieben: déjà-vu) ist ein gefühlsmäßiges Einordnen einer bestimmten Situation als »schon mal erlebt«.

Zum Beispiel besucht man einen bislang fremden Ort, z.B. eine spanische Stadt, und schlendert eine unbekannte kleine Gasse entlang – und plötzlich, an einer an sich bedeutungslosen Stelle, drängt sich das intensive Gefühl auf: »Hier warst Du schon einmal!«
Das gleiche kann sich auch auf Situationen beziehen (und nicht auf Orte). Zum Beispiel gehst du einkaufen, an der Kasse fragt dich ein Kunde hinter dir nach der Uhrzeit und gleichzeitig klingelt dein Handy - und Du denkst: »Das habe ich doch schon einmal genauso erlebt!«
Ganz selten paart sich diese Erfahrung mit einer Präkognition: Du meinst nicht nur, diese unbekannte Gasse zu kennen, du weiß auch, dass sich hinter der nächsten Ecke eine Eisdiele befindet - obwohl du sie noch nicht siehst und noch nie hier gewesen bist. Oder, auf Situationen bezogen: Du gehst über die Straße und weißt plötzlich, dass du das alles schon einmal erlebt hast - und das gleich ein schwarzer Mercedes um die Ecke biegen wird - und prompt taucht er auf.

Verfechter der Wiedergeburt erklären das Dejavu-Erlebnis mit nicht gelöschten Erinnerungen aus einem früheren Leben – zumindest, wenn es sich um Dejavus handelt, die an einen bestimmten Ort geschehen, an dem du vorher noch nie warst. Dejavu-Erlebnisse, die an eine bestimmte Situation gebunden sind, lassen sich so allerdings nicht erklären, denn die Reinkarnations-Erinnerungen würden ja aus einer früheren Zeit stammen und hätten mit momentanen Situationen nichts zu tun. Und damit ist schon ein deutlicher Hinweis gegeben, dass es sich vermutlich um ein anderes Phänomen handelt. Letztendlich ist das Phänomen nicht wirklich einzuordnen. Gerade deshalb lässt sich daraus aber auch kein Argument für die Reinkarnation ableiten. Vor allem, da es sich auch auf Situationen bezieht, die definitiv in der Vergangenheit noch nicht aufgetreten sein konnten. Dejavu-Erlebnisse mit Präkognition (also mit einem Vorauswissen) sind naturwissenschaftlich nicht erklärbar – aber auch kaum nachweisbar. Auch hier gilt, dass Dejavu-Erlebnisse, die sich nicht auf einen Ort, sondern auf eine Situation beziehen und dort ein Vorauswissen offenbaren, durch die Annahme eines früheren Lebens nicht erklärt werden können.

(2) Rückführungen in Reinkarnationsseminaren: Ein Beispiel, lebensnah und spannend geschildert, liefert Hape Kerkeling in seinem Pilgerbuch »Ich bin dann mal weg«. Auf den Seiten 193-198 schildert er den Besuch eines Rückführungs-Seminars, in dem die Teilnehmer durch Meditation und Hypnose in frühere Leben zurückgeführt werden und davon berichten. Am Ende des Seminars, in dessen Verlauf die Teilnehmer schon alle möglichen historischen Figuren gewesen sind, berichtet Hape allerdings von einem sehr intensiven Erlebnis, detailreich und dramatisch: Er selbst war ein junger Franziskanermönch gewesen, der während der Nazizeit im Kloster Juden versteckt haben soll. Von den Nazis entdeckt, wurde er zum Tode verurteilt und hingerichtet, zusammen mit seinen franziskanischen Mitbrüdern. So, wie Hape dieses Erlebnis schildert, ist es für ihn absolut authentisch gewesen. Nicht von ungefähr bezeichnet er sich zu Beginn des Buches als »Buddhist mit christlichem Überbau«. Und so wie Hape erleben viele Teilnehmer bei Rückführungsseminaren ein früheres Leben intensiv und lebendig.

Die erste Frage, die sich stellt, besteht darin, ob die historische Erinnerung, die Hape auf dem Boden eines Frankfurter Seminarraumes gemacht hat, der Wahrheit entspricht. Natürlich lässt sich das nicht bei allen Rückführungen sagen (manche historische Figuren sind einfach zu unbedeutend, als dass sich darüber historische Quellen finden lassen), aber bei Hape finden sich so viele Hinweise, dass eine Überprüfung möglich ist. Das Ergebnis ist klar: Was Hape erlebt hat, deckt sich nicht mit den historischen Fakten. Weitere Informationen dazu finden sich in einem Interview zu diesem Thema mit Dr. Michael Hirschfeld von der Uni Vechta.

2. Physische Unsterblichkeit / Ideelle Unsterblichkeit

Nur kurz möchte ich hier auf zwei Randerscheinung des Jenseitsglaubens eingehen, die diese Bezeichnung (»Jenseits«) im Grund nicht verdienen: Zum einen die Bemühungen einiger eher spleeniger Zeitgenossen, durch medizinische Behandlungen den Menschen im Diesseits unsterblich werden zu lassen, sowie einer noch seltsameren Idee, durch den Einsatz des Computers den Menschen »ideell« zum ewigen Leben zu verhelfen.

a. Physische Unsterblichkeit. — Der rasant voranschreitende medizinische Fortschritt weckt in manchen Menschen die Hoffnung, dass irgendwann ein Unsterblichkeitsgen gefunden wird oder ein Sterblichkeitsgen ausgeschaltet werden könnte. Die Mechanismen, die zur Erlangung der physischen Unsterblichkeit eingesetzt werden könnten, sind mannigfaltig: Manche Einzeller können sich beliebig oft teilen ohne dabei an eine natürliche Grenze zu kommen: Könnte man dieses nicht auch für die Körperzellen des Menschen erreichen? - Mit jeder Zellteilung verkürzen sich die sogenannten Telomere (die Enden der Chromosomen) und führen schließlich zum Ende der Zellerneuerung: Könnte man die Telomere nicht künstlich verlängern oder regelmäßig erneuern? - Viele Krankheiten sind inzwischen heilbar: Kann es nicht sein, dass irgendwann alle körperlichen Defekte behebbar sind? – Von der Herstellung künstlicher Organe bis hin zur Organzucht im Labor und der Transplantation des Gehirns in junge Körper, die möglichst auch künstlich gezüchtet werden. Die Träume von einem medizinischen Jungbrunnen sind vielfältig.

Abgesehen davon, dass es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass die Medizin das Lebenshöchstalter des Menschen, das Naturwissenschaftler zur Zeit bei ca. 120 Jahren ansetzen, tatsächlich erhöht hat: Wäre ein »ewiges« Leben in dieser Welt wirklich so erstrebenswert? Manche Utopisten glauben, dann gäbe es keinen Grund mehr für Krieg, Gewalt und Eifersucht; andere dagegen sehen eher die gegenteilige Gefahr: Wenn ein Leben ohne zeitliches Ende währt, wird auch jeder Unfall oder Mord zu einem unendlich schwerwiegenden Verbrechen; Rache, Angst und Hass könnten ebenso ins Unendliche wachsen.

Wir brauchen uns mit diesen Fantasien nicht weiter auseinanderzusetzen. Erstens, weil es für sie keinerlei realistischen medizinischen oder biologischen Grund gibt: Sie sind reines Wunschdenken. Und zweitens, weil diese Fantasien nichts mit der Verheißung zu tun haben, die die Religionen uns machen: Ein jenseitiges Leben ist nicht nur »unendlich verlängert«, sondern vor allem von ganz anderer Qualität.

b. Ideelle Unsterblichkeit. — Mit dem Buch »Physik der Unsterblichkeit« hat Frank J. Tipler in den 90-er Jahren für Aufsehen gesorgt – zumindest in den weniger informierten populärwissenschaftlichen Kreisen. Ihm zufolge ist der Mensch nur eine Maschine mit dem Gehirn als zentrale Recheneinheit und der Seele als Software. Da nun jeder Mensch datentechnisch eindeutig zu bestimmen ist, kann seine Struktur auch auf einen hochkomplexen Computer übertragen werden: Mit fortschreitender Entwicklung der Hardware sei irgendwann auch eine perfekte Simulation eines jeden Menschen möglich. Eine perfekte Simulation - so Tipler - ist aber in nichts mehr vom biologischen Original zu unterscheiden. In dieser Computersimulation könne dann jeder Mensch ewig leben.

Auch diese Theorie brauchen wir nicht lange zu diskutieren. Die Fantasie Tiplers spinnt lediglich eine Fehlannahme fort, die heute allerdings weit verbreitet ist: Dass der Mensch eben nur Materie ist, und die Materie zudem eindeutig bestimmt und bestimmbar ist.

Hier widerspricht Tipler, der von seinem Buch behauptet, die Quantentheorie fortzuschreiben, jeder quantenphysikalischen Erkenntnis: Weder die Welt, noch ein Mensch und auch kein einzelnes Atom ist bestimmt und bestimmbar und damit auch nicht als Information zu speichern.

Wir, die wir die Existenz einer immateriellen Komponente im Menschen erkannt haben, können mit der Unsterblichkeit, die sich aus der Speicherung aller Quantenzustände der körperlichen Existenz ergeben sollen, nur den Kopf schütteln; maximal hätten wir einen menschlichen Körper simuliert - aber einen Körper ohne Seele und somit eine unbelebte - sprich: tote - Menschenkopie.

c. Unsterblichkeit der Erinnerung. — Keine neue Erfindung, sondern die Vorstellung der meisten Naturreligionen, ist die Unsterblichkeit durch Erinnerung der Nachkommen. In einer Zeit, in der der christliche Glaube selbst in kirchlichen Kreisen verdunstet, erhält diese archaische Vorstellung neue Aktualität: Einige Religionen in frühester Zeit glaubten, die Verstorbenen würden in den Lebenden weiter existieren. Davon zeugen zahlreiche Riten, wie etwa jene, dass die Asche der Verstorbenen Getränken beigemischt wurde, und diese so auf die Stammesmitglieder übergingen. Moderne Todesanzeigen sprechen häufig davon, dass die Verstorbenen in »den Herzen der Trauernden« weiterleben und das, solange man an die Toten denke. So verwundert es nicht, wenn nun Lebende versuchen, einen besonderen Status zu erlangen, damit man sich möglichst lange an sie erinnern möge.

Wir müssen vorsichtig urteilen: Manche Formulierungen in Todesanzeigen oder Nachrufen sind vielleicht nur romantisch ungenau; dennoch gibt es nicht wenige Zeitgenossen, die das Fortleben in der Erinnerung der Hinterbliebenen als die einzige Art und Weise des »Lebens nach dem Tode« ansehen. Christlich gesehen ist das nicht nur viel zu wenig, sondern vollkommen kontraproduktiv, da jeder Mensch nun herausgefordert ist, seine eigene Unsterblichkeit durch ein einmaliges und aufsehenerregendes Leben zu verdienen. Erlösung sieht anders aus. Aber selbst, wenn es das göttliche Bewusstsein ist, das uns durch seine Erinnerung »im Dasein« hält: Wie schon bei der Ganz-Tod-Theorie, in der Gott uns aus seiner Erinnerung wieder auferstehen lässt, fehlt jede Identität zwischen dem wirklichen Leben des Verstorbenen und der bloßen Erinnerung im Bewusstsein eines anderen.

3. Apokatastasis - All-Erlösung

a. Die Theorie. — Die Frage nach der Hölle - ob sie existiert, ob Menschen in der Hölle sind, und vor allem, unter welchen Umständen sie dorthin gekommen sind - ist wahrscheinlich die Ur-Frage aller Fragen nach dem Jenseits. Im Grunde fußt jede Religion auf der vor-rationalen Angst bzw. auf der realistischen Einschätzung, dass mein Leben einen verfehlten Ausgang haben könnte. Theologen aller Zeiten und aller Konfessionen haben diesen Glauben an eine ewige Verdammnis als »furchtbares Mysterium«, »denkerische Überforderung«, »schmerzliches Geheimnis«, »erschütternde Wahrheit« bezeichnet und oft zugegeben, dass wir dies hier auf Erden niemals ganz ermessen oder begreifen werden.

Allerdings ist dieses »philosophische und theologische Ungeheuer«, die Hölle, nicht nur oft geleugnet und umgedeutet worden. Es findet sich eine überwältigende Kontinuität von den biblischen Aussagen bis zur heutigen Zeit. Die Botschaft der christlichen Religion ist eine Frohe Botschaft: Nicht die Nachricht von der Hölle, sondern die Kunde von einem liebenden Gott ist unser Evangelium. Aber die Frage, auf die der christliche Glaube antwortet, ist die Frage nach dem Heil: »Was muss ich tun, um in den Himmel zu kommen?« - Würden wir die Möglichkeit des ewigen Scheiterns streichen, hätte sich auch jede Frage nach Gott und Religion erübrigt.

Wenn wir davon ausgehen, dass wir lediglich dieses irdische Leben haben und mit unserem irdischen Tod einfach alles zu Ende ist, dann brauchen wir keine Religion. So denkt der Atheismus, und insofern erscheint er konsequent. Ob es in dieser Weltanschauung einen Gott gibt, ist einerlei: Spätestens wenn wir tot sind, würde die Frage nach der Existenz Gottes ohnehin keine Rolle mehr spielen. Wenn wir aber davon ausgehen, dass wir auf Erden leben und schließlich alle einmal in den Himmel kommen - gewissermaßen automatisch -, dann brauchen wir ebenso keine Religion. So denken viele Halb-Christen, aber in dieser Hinsicht sind sie überhaupt nicht konsequent. Wenn wir alle in den Himmel kommen werden, wäre es egal, wie wir jetzt leben. Wenn wir tot sind, würden sich ohnehin alle im Himmel wiederfinden. Wozu dann noch anstrengen?

Aber wenn wir in einer Entscheidungswelt leben, und am Ende die Erlösung bzw. der Himmel nicht automatisch kommt, dann brauchen wir Religion. Religion, die uns sagt, was wir tun müssen, damit wir so leben können, dass wir am Ende das Glück finden. Die Religionen dieser Welt sagen uns also, wie wir zu leben haben, damit wir Gott nicht verpassen - weil alle religiösen Menschen die Möglichkeit des misslungenen Lebens vor Augen haben. Während die nicht-christlichen Religionen dieser Welt Rezepte anbieten, wie die Menschen zu Gott kommen, verkündet das Christentum das Gegenteil: Wir glauben, dass Gott zu uns gekommen ist. Nicht wir müssen uns erlösen (wie in allen anderen Religionen), sondern Gott kommt, um uns zu erlösen.

Aber das ändert nichts daran, dass es immer noch die Möglichkeit gibt, diese Erlösung zu verpassen oder abzulehnen. Denn wenn Gott alle Menschen - also wirklich alle - erlöst hätte, auch gegen deren Willen und deren ausdrückliche Ablehnung, dann hätte sich damit auch wieder jede Religion erledigt. Wir brauchten dann nur noch abwarten, bis wir sterben. »Gott hat uns erlöst, ist doch alles bestens.« Aber es gibt eine christliche Religion - da die Erlösung, die Gott durch den Tod des Sohnes am Kreuz erwirkt hat, uns nicht automatisch zufällt, sondern vom Menschen in Freiheit angenommen werden muss. Die Tür zum Heil ist von Gott selbst geöffnet worden - aber ob die Menschen durch diese Tür gehen, ist ihnen überlassen.

Auf den ersten Blick wäre es natürlich fein, wenn wir für unsere Erlösung nichts tun müssten. Den zweiten Blick sparen sich dann die meisten Menschen. So gibt es glühende Verfechter der All-Erlösung, die glauben, damit dem Menschen eine große Last von der Schulter zu nehmen. Aber auf den zweiten Blick wird klar, dass Gott, der uns ohne uns zu fragen und ohne unsere Mitwirkung einfach erlöst, nicht sehr liebevoll handelt. Denn dann werden wir zu Marionetten, die einfach umgedreht werden, um nun auf Gott zuzulaufen. Wenn Gott uns auch gegen unseren Willen erlöst, dann verliert alles, was wir tun, seine Bedeutung. Schließlich verliert der Mensch seine Freiheit.

Also erlöst uns Gott nur, wenn wir wollen. Wenn wir »Ja« sagen zu seiner Erlösung. Er zwingt uns nicht, er lässt uns die Wahl. Zwar mögen einige Menschen die Möglichkeit der Wahl zugleich als Qual empfinden. Aber daraus den Schluss zu ziehen, es wäre besser, gar keine Wahl zu haben, würde der Freiheit des Menschen und seiner Würde nicht gerecht. Bei Gott ist die Entscheidung anders. Es geht ja nicht um eine Auswahl zwischen diversen Möglichkeiten. Gott bietet uns die Erlösung an - und erwartet eine Zusage. Es gibt keine Qual der Wahl, sondern nur die Freude, diese Zusage geben zu können.

Wenn wir im Supermarkt vor den Regalen stehen und uns für eine Sorte eines Produkts entscheiden müssen, dann mögen wir uns vielleicht wünschen, dass uns jemand die Wahl abnimmt. Wenn es aber nur noch eine Sorte gibt, dann wird es gewissermaßen einfacher: Man kann sich lediglich dafür oder dagegen entscheiden. Bliebe dem Menschen nicht einmal diese Wahl, wäre sein Personsein in Freiheit aufgehoben.

Dass Gott uns die Freiheit lässt, an der Erlösung mitzuwirken, ist keine unnötige Qual. Er stellt uns ja keine 27 verschiedenen Erlösungsmodelle vor, sondern nur ein einziges: die Liebe zu Christus. Aber diese eine Entscheidung kann er uns nicht nehmen, ohne uns unser Menschsein zu nehmen. Aber wir müssen eben nicht (qualvoll) wählen, sondern dürfen in Freude unsere Zusage geben, uns von Gott derart beschenken zu lassen. Damit aber werden Reiz und Widerspruch der All-Erlösungstheorie deutlich: Es wäre schon reizvoll, wenn Gott uns die Qual der Wahl abnimmt. Aber wenn er uns auch die grundsätzliche Entscheidung abnehmen würde, dann würde er uns zugleich die besondere Würde des Personseins nehmen, was er uns doch gerade geschenkt hat.

Wenn Gott uns die Freiheit schenken würde, sich für Ihn zu entscheiden - und uns gleichzeitig die Möglichkeit nehmen würde, diese Freiheit zu einer Entscheidung gegen Ihn zu missbrauchen - dann hätte er uns keine Freiheit geschenkt.

b. Der biblische Befund. — Es ist und bleibt unbegreiflich: Dieselben Schriften, die davon berichten, dass »Gott die Welt so sehr geliebt hat«, dass er seinen eigenen Sohn hingab (Joh 3, 16) und dass »Gott die Liebe ist« (1 Joh 4, 8) – eben diese Schriften berichten auch von der Hölle.

So ist von den Qualen die Rede, die der Reiche in der Unterwelt erleiden muss (Lk 16, 23); von der engen Tür, durch die nicht alle kommen - und auch von der verschlossenen Tür (Lk 13, 24ff); davon, dass es für einige besser sei, mit einem Mühlstein um den Hals ins Wasser geworfen zu werden (Mk 9, 42-48) oder dass es besser sei, einzelne Gliedmaßen zu verlieren als unversehrt dem Verderben der Hölle zu verfallen, »wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt«. Matthäus spricht von der Scheidung der Schafe und Böcke, der Guten und Bösen, der Spreu vom Weizen; der Täufer droht damit, dass ohne Frucht zu bringen die Spreu im »nie erlöschenden Feuer verbrannt wird« (Mt 3, 10.12). In Mt 13, 40-42 heißt es: »Wie nun das Unkraut aufgesammelt und im Feuer verbrannt wird, so wird es auch am Ende der Welt sein: Der Menschensohn wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen. Dann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten. Wer Ohren hat, der höre!«

Weitere Stellen finden sich in Mt 13, 47-50; Mt 18, 8f; Joh 15, 6; Mt 25, 41.46; Mt 7, 23; Lk 13, 27; Mt 24, 43-51; 25, 13; 1032f; Mk 8, 38; Lk 9, 26; 21, 36; Mt 16, 25f; Mk 8, 36; Lk 9, 24; Joh 12, 25; Mt 10, 28; 1 Kor 6, 9ff, Eph 5, 5; Gal 5, 21; Gal 6, 8; Phil 3, 19; 2 Thess 2, 10; Hebr 3, 18; 4, 6; 10, 26ff; 12, 15ff; 12, 25; Judas 1, 7; 2 Petr; Offb 2, 11; 20, 6.14; 21, 8; 20, 13f; 14, 10f.

c. Einwände gegen die Ewige Verdammnis. — (1) Gott ist doch allmächtig. Kann er uns dann nicht vor der Verdammnis bewahren? Manchmal hört man den vertrauensvollen Satz: »Gott ist allmächtig. Er wird auch den schlimmsten Sünder bekehren« - Eine solche Aussage beweist einerseits Gottvertrauen, blendet aber die Freiheit des Menschen aus. Gott kann nicht böse sein. Er kann nicht beschließen, ab morgen nicht mehr zu existieren. Er kann sich nicht in Luft auflösen. Er kann nicht lügen. Und er kann auch nicht lieblos handeln. Jemanden gegen seinen Willen aber zu etwas zwingen, ist äußerst lieblos. Man kann sagen, dass Gottes Allmacht vor dem freien Willen des Menschen halt macht. Aber schöner ist es, wenn man es so formuliert: »Gottes Allmacht ist so groß, dass er sogar die Macht hat, sich selbst zurückzunehmen und dem Menschen seine eigene Freiheit zu lassen. Diese Freiheit kann der Mensch auch missbrauchen. Wenn Gott dann doch wieder eingreift und diese Entscheidung eigenmächtig korrigiert, ist das kein Zeichen seiner großen Allmacht - sondern ein Rückschritt. Gerade dem größten Sünder noch seine Freiheit zu lassen, ist Zeichen seiner Allmacht und Größe.« Letztlich steckt hinter dem Gedanken, Gott könne so etwas wie die Hölle nicht zulassen, die stillschweigende Unterstellung, Gott wäre verantwortlich für die Entscheidung des Menschen gegen Gott - oder würde den Menschen gegen seinen Willen dorthin verbannen. Man kann nicht oft genug betonen, dass die Hölle keine gegen den Menschen verhängte Strafe ist, sondern eine direkte Konsequenz menschlichen Willens, der sich derart entscheidet. Gott respektiert diese Entscheidung - er trifft sie nicht an unserer statt.

(2) Drohbotschaft oder Frohbotschaft? Wichtig und richtig ist der Einwand, dass es sich bei der christlichen Botschaft um eine Frohbotschaft handelt - und nicht um eine Drohbotschaft. Soweit, so richtig. Und wenn es tatsächlich keine Hölle gäbe, sondern die Kirche nur mit der Hölle drohen würde, dann hätte sie ihren Auftrag verfehlt. Wir wollen die Menschen nicht mit Gott versöhnen, weil ihnen ansonsten unsägliches Leid droht - sondern weil es herrlich ist in den liebevollen Armen Gottes. Aber wenn es die reale Möglichkeit gibt, sich aus diesen Armen Gottes zu lösen, so ist es ebenfalls ein Gebot der Liebe, auf diese Gefahr zu verweisen. Sie darf keineswegs zum Hauptbestandteil der Verkündigung werden. Ein Verschweigen dieser Möglichkeit ist aber ein mindestens ebenso großer Verstoß gegen die Liebe wie eine Überbetonung dieser Möglichkeit. Auf die Gefahren im Straßenverkehr, bei der Gesundheitsvorsorge oder bei der Gesetzgebung zu verweisen, ist ein Gebot der Liebe - und das gilt selbstverständlich für den noch wichtigeren Bereich des Gottesbeziehung.

(3) Dann will ich nicht in den Himmel! Sich vorzustellen, ein sehr nahestehender Mensch könne in der Hölle gelandet sein, führt gelegentlich bei den trauernden Angehörigen zu dem Entschluss: »Unter diesem Umständen will auch ich nicht in den Himmel!« Ein Bekenntnis, das sicherlich aus großer Liebe heraus gemacht wird. Aber dennoch dürfen wir darauf vertrauen, dass Christus dem Verstorbenen in größtmöglicher Liebe zugetan ist und alles versucht und auch getan hat, um eine Liebesbeziehung zu erhalten. Wenn Christus ihn sogar durch sein Leiden und seinen Tod nicht zur Liebe bewegen konnte, dann können auch wir es nicht. Bevor wir uns allerdings auf eine solche Diskussion einlassen, ist es sinnvoller, darauf hinzuweisen, dass die Kirche für keinen Menschen die Hoffnung aufgegeben hat - und uns alle ermuntert, ebenfalls fest in der Hoffnung auch für unsere Lieben zu bleiben.

(4) Barmherzigkeit Gottes und die Hölle: Bleibt noch ein letzter, schwerwiegender Einwand: Ist es mit der Barmherzigkeit Gottes vereinbar, dass Menschen in alle Ewigkeit in der Hölle leiden müssen? Kann ein liebender Gott sich selbst treu sein, wenn er weiß, dass seine Geschöpfe für alle Ewigkeit diese Liebe entbehren. Auch hier steckt der verborgene Gedanke, dass es die Hölle nicht gäbe, wenn Gott etwas an der Ordnung der Welt ändern würde. Das verblüffende ist und bleibt aber: Gott kann daran nichts ändern! Er hat den Menschen die Freiheit gegeben und er würde sich selbst und seiner Güte und Liebe widersprechen, wenn er den Menschen diese Freiheit wieder nehmen würde. Gott kann sich aber nicht selbst widersprechen. Er kann nichts tun, was seinem eigenen Wesen widerspricht. Weder Gott noch die Kirche haben sich die Vorstellung von einer Hölle ausgedacht. Die Entscheidung gegen das Angebot Gottes ist eine notwendige Konsequenz der Freiheit.

Im Grunde treffen sich hier alle zuvor genannten Theorien: Sowohl die Ganz-Tod-Theorie, als auch die End-Entscheidungshypothese, die Wiedergeburt und die Auferstehung im Tod beziehen ihre Faszination daraus, auch ohne Hölle auszukommen. Wenn die Kirche jedoch an der Möglichkeit der Hölle festhält, dann nicht, weil sie so verliebt ins ewige Feuer ist - sondern weil an dieser Frage die Würde des Menschen hängt. Weil Gott uns die Freiheit zur Liebe geschenkt hat, liegt unser Glück auch nur in der Liebe, die wir frei wählen. Gott wird diese Entscheidung nicht verhindern oder aufheben - selbst, wenn wir uns von ihm abwenden und lieber das Vergängliche lieben. Aber es gehört nicht viel dazu, sich Gott zuzuwenden. Diese Hinwendung zu Gott entspricht dem Wesen des Menschen, der von Gott als Freiheit geschaffen ist. Gott ruft uns an. Er wirbt um uns, unser ganzes irdisches Leben lang. Und er zeigt uns am Beispiel so vieler bereits vollendeter Menschen, wie schön es bereits hier auf Erden ist, sich Gott zuzuwenden. Wie schön muss es dann erst in der Ewigkeit des Himmels sein!

Fazit

Auch die Lehre von der Wiedergeburt (Reinkarnation), der physischen Unsterblichkeit (unendliches irdisches Leben) und der All-Erlösung (»Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel!«) entfalten für einige Menschen einen gewissen Reiz. Vordergründig wirken diese Lehren human und erstrebenswert. Tatsächlich sind sie gegen die personale Würde des Menschen und seine Freiheit gerichtet.

III. Einzelfragen

Interessanterweise schließen sich gerade an die Ausführungen zur Eschatologie Unmengen an Fragen an (erfahrungsgemäß mehr als zu allen anderen Themen der Theologie) - vermutlich deshalb, weil die meisten dieser Fragen nicht beantwortbar sind. Wir wissen nicht viel über das Jenseits, obwohl das, was wir wissen, ausreichend genug ist, sich auf die Zeit dort zu freuen. Dass ich nun noch ein paar Fragen aufgreife, liegt nicht daran, dass dieses die wichtigsten oder am häufigsten gestellten Fragen sind, es sind schlicht die wenigen Fragen, auf die wir zumindest ansatzweise eine Antwort geben können.

1. Das Interim und die Zeit

Ich hatte es schon erwähnt: Wir können als endliche Geschöpfe nicht in eine zeitlose Ewigkeit gelangen; das wäre ein Widerspruch in sich. Gleichzeitig wird jedoch die jenseitige Zeit eine andere sein, als wir uns hier im Diesseits vorstellen können. Zudem gilt, dass der jüngste Tag - der Tag der Auferstehung und des Endes der irdischen Welt - ein gemeinsamer Zeitpunkt auf der diesseitigen und der jenseitigen Zeitachse ist.

Paulus betont dies ausdrücklich: Die Wiederkunft Christi wird die bereits Verstorbenen nicht benachteiligen und die noch Lebenden nicht bevorzugen: 1 Thess 4, 13-18: »Brüder, wir wollen euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Wenn Jesus - und das ist unser Glaube - gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen. Denn dies sagen wir euch nach einem Wort des Herrn: Wir, die Lebenden, die noch übrig sind, wenn der Herr kommt, werden den Verstorbenen nichts voraushaben. Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt. Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen; dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen. Dann werden wir immer beim Herrn sein. Tröstet also einander mit diesen Worten!«

Das wirft dann allerdings die Frage nach der Aufenthaltsdauer im Fegefeuer auf. Dementsprechend wären die Verstorbenen, die bereits vor tausend Jahren von uns gegangen sind, bis zur Wiederkunft Christi tausend Jahre länger im Fegefeuer; alle zusammen (also die im Himmel, im Fegefeuer und in der Hölle) müssten deutlich länger auf den Tag der Auferstehung warten als wir.

Falls es noch nicht gesagt wurde: Ja, auch die höllischen Menschen werden zusammen mit uns auferstehen und einen Leib erhalten; in der Tradition wird dieser allerdings als ein »nicht verklärter Leib« bezeichnet - was immer man sich darunter vorstellen mag.

Dazu sind zweierlei zu bemerken: Zum einen wird die verklärte Zeit (wie der verklärte Leib) ganz und gar von der Seele geprägt; ein subjektiv verschiedenes Zeitempfinden wäre also keine Überraschung, dieser Umstand ist uns ja auch schon aus dieser irdischen Welt bekannt. Zum anderen werden - ebenfalls der Tradition der Kirche entsprechend - die Seelen im Fegefeuer nur die Zeit dort verbringen, die sie zur Reinigung ihrer Entscheidung benötigen. Sowohl tatsächliche Zeit (soweit wir noch davon sprechen können) als auch Zeitempfinden sind also möglicherweise individuell verschieden.

2. Der Auferstehungsleib

Die Frage nach der leiblichen Auferstehung kann auch sehr konkret werden: Wieviel individuelle Spuren unserer irdischen Geschichte wird unser zukünftiger Leib noch haben? Werden wir uns wiedererkennen - oder darf sich jeder einen Wunsch-Leib aussuchen (und damit eventuell auch das Geschlecht wechseln)?

Wieder gilt, dass wir die Grenzen unseres Wissens über die jenseitige Welt besser zu klein stecken, als uns in haltlose Spekulationen zu verheddern, die uns letztlich nichts anderes bringen als eine befriedigte Neugier. Aber dennoch können wir zwei »Pflöcke« als Grenzmarkierungen einschlagen:

Zum einen wissen wir vom Auferstehungsleib Jesu, dass er noch die Spuren der Kreuzigung trug: Thomas wollte nicht glauben, wenn er nicht die Male der Nägel und die Seitenwunde an Jesus sehen würde (Joh 20, 25-28). Auch Maria Magdalena, die Apostel und die Emmaus-Jünger erkannten Jesus - wenn auch nicht sofort. Jesu Leib war also durchaus verändert, aber dennoch identifizierbar. Wir dürfen also getrost glauben, dass wir am Tag der Auferstehung zwar einen verklärten und andersartigen Leib erhalten werden, dieser wird aber (noch mehr als unser irdischer Leib) Ausdruck der gleichen Seele und unseres gleichen Ichs sein. Entsprechend den Wunden Jesu wird dieser Leib vielleicht auch Spuren unserer Lebensgeschichte aufweisen; vielleicht vor allem Spuren von Ereignissen, die uns im Guten geprägt haben und uns in der Heiligkeit haben wachsen lassen.

Eine Mutter eines schwerbehinderten Kindes habe ich nach dessen Tod mit dem Gedanken zu trösten versucht, dass ihr Kind nun ganz und gar »heil« bei Gott auf sie wartet. Ihre Antwort war für mich überraschend und zumindest bedenkenswert: »Warum wird mein Kind im Himmel nicht mehr behindert sein? Vielleicht ist es so, wie es ist, ja besonders und gottgewollt. Vielleicht wird im Himmel nicht mein Kind, sondern unsere Vorstellung von Behinderung anders sein!«

Durch die Auferstehung Jesu und das Zeugnis, dass das Grab Jesu leer war, wissen wir zudem, dass der jenseitige Leib auf irgendeine Weise eine Weiterschöpfung am irdischen Leib ist. Auf der anderen Seite wird der verklärte Leib keine materielle Kontinuität mit dem irdischen Leib haben: Die meisten Leiber der Verstorbenen der Weltgeschichte sind mittlerweile verwest, eventuell verbrannt oder von wilden Tieren verspeist worden. Manche Atome und Moleküle sind wohl im Laufe der Jahrtausende schon Bestandteil mehrerer Menschen gewesen. Gäbe es ein atomares Eigentumsrecht, so würden sich die Auferstandenen um die Atome und Moleküle streiten - eine absurder Gedanke. Dennoch ist eine materielle Identität teilweise möglich - diese Vorstellung wird durch die Reliquienverehrung aufrecht erhalten.

Die Kirche positioniert ihren Auferstehungsglauben also irgendwo zwischen der leiblichen Kontinuität, die durch das leere Grab Jesu und die Reliquien der Heiligen bezeugt wird, und der geistigen Kontinuität bei den Menschen, deren Leib in dieser Welt materiell verloren gegangen ist. Wie genau eine Auflösung dieser Spannung aussehen kann, können wir uns nicht wirklich vorstellen und mit Worten auch nur umschreiben.

3. Ewigkeit: Keine unendliche Quantität, sondern Qualität

Und eine letzte Frage soll noch einmal besprochen werden, deren Antwort schon in verschiedenen Absätzen angeklungen ist: Muss es nicht im Leben nach dem Tod eine Zeitlosigkeit geben - weil eine unendlich lange Zeit immer irgendwann langweilig wird? Die Frage beinhaltet zwei Aussagen; zum einen die Frage, ob eine Zeitlosigkeit nach dem irdischen Tod nicht - trotz der logischen Schwierigkeiten - das geringere Übel ist. Warum eine zeitlose Ewigkeit für uns Geschöpfe nicht denkbar ist, haben wir bereits ausgeführt; der Gedanke, die verletzte Logik sei ein geringeres Übel, ist jedoch zumindest originell. Tatsächlich ist eine verletzte Logik kein Übel, sondern schlicht eine sinnlose Aussage. Mit anderen Worten: Etwas, das nicht existent sein kann, kann auch kein geringeres Übel sein. Es kann schlichtweg nur nicht sein.

Der zweite Aussagenteil ist aber vielleicht noch einmal zu bedenken: Ist eine ewige Zeit nicht notwendigerweise irgendwann langweilig?

Mir gefiel als Kind die Erzählung »Das Hirtenbüblein« der Gebrüder Grimm: Ein König lässt einen Hirtenjungen zu sich kommen, der für seine weisen Antworten bekannt ist. Er bietet an, ihn zu adoptieren, wenn er ihm drei Fragen gut beantwortet. Die erste Frage ist, wie viele Tropfen Wasser das Weltmeer enthält. Der Knabe antwortet, der König solle zuerst alle Zuflüsse verstopfen, damit keine weiteren Tropfen dazukommen könnten; dann würde er die Zahl nennen. Die zweite Frage lautet, wie viele Sterne am Himmel stehen, woraufhin der Hirtenjunge auf ein Blatt unzählbar viele Punkte malt, wobei jeder Punkt für einen Stern steht. Die dritte Frage geht darum, wie viele Sekunden die Ewigkeit hat. Der Junge antwortet mit der Erzählung von einem Vögelchen, das alle hundert Jahre sein Schnäbelchen an einem Berg wetze. Wenn der Berg abgetragen sei, dann sei die erste Sekunde der Ewigkeit vergangen. (Dem König gefielen die Antworten des Hirtenjungen, woraufhin er sein Versprechen einlöste.)

Ein solcher Begriff einer unendlichen Zeitspanne klingt weder frohmachend noch erstrebenswert. Der Fehler liegt allerdings in diesem Ewigkeitsbegriff: Wenn das ewige Leben als eine unendliche Abfolge von Zeitfortschritten gesehen wird, und diese Zeitabschnitte von uns zu füllen sind, dann bedeutet Ewigkeit eine unendliche Aufgabe - und damit eine absolute Überforderung des Menschen. Aber vermutlich ist Ewigkeit keine unendliche Zeit, die es zu füllen gibt. Auf uns warten nicht unendlich viele, sondern unendlich schöne Momente der Erfüllung - für die wir dann ewig Zeit haben. Eine junge Frau, auf deren Hochzeit ich eingeladen war, verglich den Himmel mit ihrer Hochzeit, genauer mit dem Moment, in dem die beiden Brautleute »Ja« zueinander gesagt haben. »Dieser Moment ist der Himmel - aber nicht unendlich verlängert, sondern unendlich vertieft.«

Fazit

Es ist eine - auch theologisch - erlaubte Freude, sich die Schönheit des Jenseits auszumalen; auch wenn wir uns der Begrenztheit unserer Vorstellungen immer bewusst bleiben müssen. So schließen sich an die individuelle Eschatologie viele Fragen an; die Antworten jedoch können höchstens in ihrem Ausschluss sicher sein: Wir können ausschließen, in die göttlich-zeitlose Ewigkeit zu gelangen, wir können ausschließen, dass wir körperlose Seelen bleiben werden; und wir können ausschließen, dass wir im Himmel irgendwann an Langeweile sterben werden.