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Warum lässt Gott das zu?

auch als pdf-Datei vorhanden. sowie in der Geschichtensammlung (ebenfalls als pdf)

Ein amerikanischer Facharbeiter, Max Ellerbusch, erzählt aus seinem Leben

«Es war an einem hektischen Freitag, sechs Tage vor Weihnachten, im Jahre 1958. Ich befand mich in meiner Elektrowerkstatt und arbeitete fieberhaft, um die Festtage in Ruhe mit meiner Familie verbringen zu können. Plötzlich klingelte das Telefon, und eine Stimme am anderen Ende teilte mir mit, dass unser fünfjähriger Sohn Craig von einem Auto überfahren worden sei.

Um ihn herum stand eine Menge Menschen, aber als ich auftauchte, wichen sie zurück. Craig lag mitten auf der Straße, sein lockiges, blondes Haar wirkte nicht einmal zerzaust.

Noch am gleichen Nachmittag starb er im Kinderkrankenhaus.

An der Kreuzung bei der Schule war es passiert. Das Auto war so schnell gekommen, dass keiner es bemerkt hatte. Ein Schüler hatte noch geschrien, gewunken und einen Sprung machen müssen, um sein eigenes Leben zu retten. Der Wagen hatte nicht einmal gebremst.

Meine Frau Grace und ich fuhren von der Klinik durch die weihnachtlich beleuchteten Straßen nach Hause. Wir konnten es einfach nicht fassen, was geschehen war. Es dauerte bis zum Abend, als ich an dem unbenutzen Bett vorbeikam, bis mir die Wirklichkeit ins Bewusstsein drang. Plötzlich kamen mir Tränen, nicht nur wegen des leeren Bettes, sondern wegen der Leere und Sinnlosigkeit des Lebens überhaupt.

Von unseren vier Kindern war es vor allem Craig, der uns mehr als die anderen half, mit den Sorgen unseres Lebens fertig zu werden. Als Baby lächelte er so fröhlich in die Welt, dass die Menschen oft an seinem Kinderwagen stehen blieben. Wenn wir Besuche machten, war es der erst dreijährige Craig, der unserer Gastgeberin sagte: "Sie haben ein wunderschönes Haus!"
Bekam er etwas geschenkt, dann war er zu Tränen gerührt, und er gab es an das erste Kind weiter, das ihn darum beneidete.

Wenn solch ein Kind sterben muss - so dachte ich, als ich mich in der Nacht nach jenem verhängnisvollen Freitag im Bett von einer Seite auf die andere wälzte -, wenn solch ein Leben in einer Minute ausgelöscht werden kann, dann ist das Leben an sich bedeutungslos und der Glaube an Gott eine Selbsttäuschung. Am Morgen hatte meine Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit eine Zielscheibe gefunden: Ein blinder Hass auf den Menschen, der uns das angetan hatte, erwachte in mir! Die Polizei hatte ihn inzwischen in Tennessee verhaftet. George Williams hieß er und war erst fünfzehn Jahre alt.

Die Polizei hatte in Erfahrung gebracht, das er aus einem zerrütteten Zuhause kam. Seine Mutter hatte eine Arbeit in Nachtschicht übernommen und schlief am Tage. An diesem Freitag hatte er die Schule geschwänzt, während sie schlief ihre Autoschlüssel genommen und war mit Vollgas die Straße hinuntergerast. Mein ganzer Zorn über ein blindes Schicksalswalten schien sich auf den Namen George Williams zu konzentrieren. Ich rief unseren Anwalt und bat ihn, Williams schärfstens anzuklagen. "Versuchen Sie zu erreichen, dass er als Erwachsener behandelt wird. Die Jugendgerichte sind nicht streng genug!"

So sah meine Gemütsverfassung aus, als sich etwas ereignete, das mein Leben völlig veränderte. Ich kann es nicht erklären, ich kann es nur beschreiben.
Spät in der Nacht von Samstag auf Sonntag lief ich im Vorraum unseres Schlafzimmers auf und ab, die Fäuste gegen die Schläfen gepresst. Ich fühlte mich elend und schwindlig und müde - so entsetzlich müde. "O Gott", betete ich, "zeige mir, warum das geschehen musste!"

Und genau in dem Augenblick, zwischen diesem und dem nächsten Schritt, wurde mein Leben verwandelt. In der inneren Helle dieses Augenblicks stand plötzlich die Gewissheit vor mir, dass dieses Leben nur ein einziges, einfaches Ziel hat: Es gleicht einem Schuljahr, und in dieser Klasse sollen wir die Lektion "Liebe" lernen.

"O Craig", dachte ich laut, "kleiner Craig, in deinen fünf kurzen Jahren hast du viel gelernt. Wie schnell machtest du Fortschritte, wie schnell wurdest du in die nächste Klasse versetzt!"

Grace saß aufrecht im Bett, als ich die Tür zum Schlafzimmer öffnete. Sie las nicht, sie tat nichts. Sie sah einfach nur geradeaus, wie sie es seit Freitagnachmittag fast die ganze Zeit getan hatte.

Ich nahm ihre Hand und versuchte ihr zu sagen, dass die Welt nicht vom blinden Zufall beherrscht werde, dass das Leben einen Sinn habe, dass das Leiden auf dieser Erde nicht das Ende sei, sondern zu einem Glück führe, weit über unsere kühnsten Hoffnungen hinaus.
"Heute abend", so sagte ich ihr, " hat Craig uns nicht mehr nötig. Aber ein anderer braucht uns: George Williams. Es ist Weihnachten. Vielleicht gibt es im Jugendgefängnis keine Weihnachtsgeschenke für ihn, wenn wir ihm nicht etwas hinschicken."

Grace hörte zu und starrte mich dabei still und unentwegt an. Plötzlich brach sie in Tränen aus. "Ja", sagte sie, "das ist richtig. Es ist seit Craigs Tod das erste, was richtig ist."

Und es war recht so. George entpuppte sich als ein intelligenter, verwirrter und einsamer Junge, der einen Vater ebenso nötig hatte wie ich einen Sohn. Er bekam sein Weihnachtsgeschenk, und seine Mutter erhielt eine Schachtel mit Grace' guten Weihnachtsplätzchen. Wir beantragten seine Freilassung und erwirkten sie auch einige Tage später, und unser Heim wurde sein zweites Zuhause.

Nach der Schule arbeitet er jetzt mit mir in der Werkstatt, trifft sich zu den Mahlzeiten mit uns am Küchentisch und ist Diane, Michaela und Ruth-Carol ein guter großer Bruder.»