Die Glaubwürdigkeit der Evangelien |
Beschränkung auf das NT - die Evangelien
Über die Historizität des Alten Testamentes etwas zu sagen,
würde den Rahmen der Jugendkatechese sprengen. Sicherlich sinnvoller
ist es, sich auf die Evangelien zu konzentrieren. Wollen die Evangelien
nur "erzählen" (so die Ausdrucksweise, wie wir sie landauf,
landab finden, selbst bei hohen Vertretern der Kirche ...) oder kann man sagen:
Hier wollen qualifizierte Zeugen etwas überliefern (tradere)?
Ein weiteres ist wichtig: Die Glaubwürdigkeit im historischen Sinne
ist notwendig, damit das, was berichtet wird, auch angenommen werden kann.
Aber: auch wenn etwas historisch glaubwürdig ist, dann bedeutet das damit
noch nicht automatisch etwas für den (existentiellen) Glauben als solchen.
Ein Verkehrsunfall kann exakt dokumentiert sein: er muss mein Leben nicht
notwendigerweise prägen und verändern, wie es mein Glaube tut.
Auch wenn ich historisch sauber und umfassend beweisen könnte: Jesus
hat die verdorrte Hand wirklich geheilt, so muss der Glaube doch noch mindestens
einen Schritt weiter tun und sagen: Der das getan hat, Jesus Christus,
hat damit ein Wunder vollbracht, das mir hilft, ihn als Messias, als
Heiland der Welt, anzunehmen. Das (glaubwürdige) Wunder führt zum
Glauben an Ihn, in dem alle Kräfte des Heils wirken.
Mit anderen Worten: Zwischen den glaubwürdig bezeugten Ereignissen und
der persönlichen Annahme des Glaubens an Gott muss die Brücke
des Vertrauens von Person zu Person - von Mensch zu Gott - gespannt werden.
Berichtet mir ein guter Freund, zu dem ich volles Vertrauen haben darf, eine
Begebenheit, die ungewöhnlich, unwahrscheinlich, außergewöhnlich
ist ...: ich bin eher bereit, ihm das zu glauben, weil ich ihm glaube,
der mir das berichtet.
Manche haben diesen Charakter des Glaubens als Vertrauen, Hingabe, persönliches
Sichübereignen ... so sehr überdehnt, dass sie sagen: Es kommt in
den Evangelien gar nicht auf die historische Authentizität an. Den Evangelisten
ging es nicht darum, historische Ereignisse zu berichten. Nicht darum, was
Jesus getan hat, sollte dargestellt werden, sondern wer er für
uns ist. - Und um das zu erreichen, haben sich die Evangelisten allerhand
Stilmittel bedient, z.B. Wundererzählungen, Legenden, ausschmückende,
orientalisch-übertreibende Darstellungen und manches mehr.
Trotzdem wird man die eine Frage stellen müssen: Wie soll das gehen,
zu zeigen, wer Jesus ist, wenn nicht zugleich auch gezeigt wird, was
er getan und gesagt hat? Beides gehört verstandesgemäß
zusammen. Und eine wesentliche Eigenschaft des Glaubens ist es übrigens,
den Verstand nicht auszuschalten, sondern ihn zu seiner eigentlichen Bestimmung
zu erheben.
Das Beispiel des Thomas
Am 2. Ostersonntag, dem "Weißen Sonntag", hören wir
jedesmal aus dem Johannesevangelium die Episode vom "ungläubigen
Thomas", der die Wundmale Jesu berühren will und dann erst bereit
ist, zu glauben (Joh 20). Dass dieser Apostel der "ungläubige"
genannt wird, ist ein wenig unglücklich ausgedrückt. Denn Thomas
verkörpert im Grunde den modernen Menschen: der moderne Mensch (und,
wie wir an Thomas sehen, auch schon der antike ....) sucht Glaubwürdigkeitskriterien.
Für Thomas war das: den Auferstandenen anrühren zu können.
Thomas hatte, was oft leider übersehen wird, schon eine Vorentscheidung
getroffen, die nicht unwichtig ist: Er wollte glauben. Aber sein
Glaube sollte von einer möglichst großen Gewissheit getragen
sein. Dass er nach seiner Begegnung mit Jesus und nachdem ihm dieser seinen
Wunsch erfüllt hatte, wirklich glaubte und sogar ausruft "Mein
Herr und mein Gott" - das zeigt, dass es Thomas wirklich ernst war
mit dem Glauben an Jesus.
Es gibt auch den unlauteren Glauben, der immer neue Bedingungen
erfindet, nach deren Erfüllung man bereit ist zu glauben: Wenn
z.B. die Priester moderner wären, wenn der Papst nicht soviel
reisen würde (und überhaupt der ganze Prunk in der Kirche), wenn
die Messe am Sonntag zu einer passenderen Uhrzeit stattfände ...
usw., dann fänden sich bestimmt noch andere Gründe, um mit
Glauben und Kirche nichts am Hut zu haben ... Von solcher Art ist die
Bedingung des Thomas nicht! Er sucht "Berührungspunkte" des
Glaubens, denn als Mensch aus Fleisch und Blut will er "leibhaftig"
glauben und erwartet darum vom Auferstandenen einen Ansatzpunkt in die Leiblichkeit
hinein. Dass das legitim ist, bezeugt der Herr selbst, indem er Thomas zu
sich ruft und ihn auffordert, Finger und Hand in die Male der Kreuzigung zu
legen.
Der Schlüssel zum richtigen Verständnis der
Frohen Botschaft: Die Begegnung mit dem Auferstandenen
Das Beispiel des Thomas zeigt noch ein Weiteres: Der Glaube hat für
uns immer einen Bezugspunkt, von dem alles ausgeht und zu dem alles hinführt.
Der Bezugspunkt für unseren Glauben ist ein geschichtliches Ereignis:
die Auferstehung Jesu von den Toten am dritten Tag nach seiner Hinrichtung
am Kreuz. Die Kreuzigung Jesu ist ein historisch fassbares und datierbares
Ereignis. Die Begegnung mit dem Auferstandenen ist somit "Schlüssel"
für das richtige Verständnis der Frohen Botschaft Jesu Christi.
Eine bekannte Episode kann das gut verdeutlichen: Das Gespräch der Emmausjünger
am Osterabend mit Jesus.
Wie Lukas (24,13-35) berichtet, gewinnen die beiden Jünger durch
die Auslegung der Schrift durch Jesus eine neue Sicht der Dinge. Sie beginnen
zu verstehen, weshalb Jesus diesen Weg des Leidens und Kreuzes gehen musste.
Jesus "legte ihnen dar, ausgehend von Mose und den Propheten, was
in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht" (Lk 24,27).
Das heißt: Die ganze Heilige Schrift dürfen wir auf Christus bezogen
lesen. Alles weist in verborgener Weise auf den Erlöser hin, der jetzt
mit ihnen spricht und der ihnen in der Herberge das Brot bricht. Ob es die
Psalmen sind oder die Erzählung von Josef, der von seinen
Brüdern nach Ägypten verkauft wird, ob die Geschichte von Abraham,
der statt seines Sohnes Isaak einen Widder opfert, ob die Bibel das
Schicksal der Propheten anspricht, oder in den apokalyptischen Texten
(Daniel 7: Vision vom Menschensohn ...): immer führt der heilige
Text auf Christus und seine Sendung hin.
Die Auferstehung Jesu ist das zentrale Ereignis, von dem aus alles andere
verstanden werden muss. Immer wieder heißt es in den Evangelien:
Die Jünger verstanden nicht, was Jesus meinte (Mk 9,10.32). Erst nach
seiner Auferstehung wird ihnen der Sinn vieler Worte klar, so z.B. die Bedeutung
der Aufforderung, den Tempel niederzureißen, in drei Tagen werde er
ihn wieder aufrichten (Joh 2,19-22: "Er aber meinte den Tempel seines
Leibes ..."). Nach seiner Verklärung sollen die Jünger
schweigen, bis Jesus von den Toten auferstanden sei (Mt 17,9; Mk 9,9).
Man darf nicht einwenden, diese Vorgehensweise sei unhistorisch oder verstelle
den Blick auf die historische Gestalt des Jesus von Nazareth. Ein Beispiel
aus der allseits bekannten jüngeren Geschichte mag verdeutlichen, dass
man immer wieder von "Schlüsselereignissen" ausgeht, um die
Mitte einer Person und seine Botschaft zu verstehen. Wir wählen der Einfachheit
halber das - zugegebenermaßen negative - Beispiel einer "Unperson":
Adolf Hitler. Von wo aus soll man das Wirken dieses Mannes recht deuten?
Normalerweise macht man es richtigerweise so: Man geht vom Ende aus.
Und das ist in diesem Falle: die Katastrophe des 2. Weltkrieges, der die Welt
in Brand gesetzt hat, die planmäßige Vernichtung unzähliger
Juden und vieles andere, was grauenhaft ist, mehr. - Von hier aus deuten die
Historiker dann auch die Jahre vorher, auch die Jahre vor 1933, der "Machtergreifung"
Hitlers. Sie können zeigen: Da gibt es eine Linie, ein Programm, und
viele Worte, die Hitler sprach und die vielleicht zunächst noch mehrdeutig
und unklar klingen, all die finden ihre Auslegung in dem, was später
geschah.
Die Apostelgeschichte berichtet von der Wahl des Nachfolgers des Judas
Iskariot. Der Nachfolger muss eine wichtige Bedingung erfüllen: Er
muss Zeuge der Auferstehung und des Lebens Jesu sein (Apg 1,21 f.).
Johannes berichtet in seinem Evangelium vom Tod Jesu: Ein Soldat stößt
mit der Lanze in seine Seite, und heraus fließen Blut und Wasser - nicht
nur symbolisch, sondern wirklich, physisch, real. Der Evangelist betont, dass
der Bericht darüber von einem stammt, der es selber gesehen hat, und
er beteuert, dass das Berichtete wahr ist und für wert gehalten werden
kann, dass es geglaubt wird und den Glauben an Christus begründet (vgl.
Joh 19,35).
Lukas beginnt sein Evangelium mit einem "Prolog". Dort legt
er dar, dass er allem, worüber er berichtet, sorgfältig nachgegangen
sei und bemüht ist, es richtig und der Reihe nach zu berichten.
Der Zweite Petrusbrief betont, man sei "nicht irgendwelchen
klug ausgedachten Geschichten gefolgt (...), sondern wir waren Augenzeugen
seiner Macht und Größe" (2 Petr 1,16).
Wunder als Prüfsteine für die Glaubwürdigkeit
der Evangelien
Wunder sind an sich noch keine zwingende Gründe für den Glauben.
Auch der Teufel kann Wunder bewirken: er möchte auch Jesus dazu bringen,
Steine in Brot zu verwandeln (Mt 4,3); er vermag Jesus mitzunehmen und ihm
alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht zu zeigen (Mt 4,8).
Dass bestimmte "wunderbare" Dinge sich tatsächlich ereignet
haben, wird selbst von den Gegnern Jesu nicht bestritten. Sie versuchen aber,
diese Geschehnisse auf Beelzebub zurückzuführen (Mk 3,22).
Oder aber es wird ein Betrug vermutet (Joh 9,9: Heilung des Blindgeborenen;
Mt 28,11-15: Der Leichnam Jesu sei gestohlen worden).
Was sind überhaupt Wunder? Man sagt landläufig: Bei einem Wunder,
wenn sie denn geschähen, würden die "Naturgesetze" "durchbrochen".
Es widerspricht z.B. den Gesetzen der Natur, dass ein Toter sich wieder aufrichtet
und weggeht. Oder dass jemand plötzlich von einer unheilbaren Krankheit
geheilt wird. Oder dass von fünf Broten und zwei Fischen eine sehr große
Menschenmenge satt wird. Oder dass Jesus auf dem Wasser geht. - Alles das
(oder doch das meiste davon) sei nicht wirklich so passiert; es sei "symbolisch"
zu verstehen. Wenn Jesus einen Blinden "heilt", bedeute das eben:
Jesus ist das Licht der Welt. Und so fort ...
Wir stoßen hier aber auf zwei Schwierigkeiten. Die erste Schwierigkeit
ist der Text der Evangelien. Es heißt da eben dem Wortlaut zufolge nicht:
Jesus ist das Licht der Welt, sondern: Der Blinde (bei Mk Bartimäus)
konnte wieder sehen. Oder: "Da richtete sich der Tote auf"
(Lk 7,15), und nicht: Jesus erzählt vom Leben bei Gott. Ohne in einen
Fundamentalismus zu verfallen, müssen wir doch sagen: Die Berichte der
Evangelien sind Zeugnisse, nicht Erzeugnisse der Evangelisten.
Eine zweite Schwierigkeit tut sich auf: Was wissen wir von den Naturgesetzen?
Gerade in den letzten Jahrzehnten hat man erkannt, dass hier von einer statischen
Eindeutigkeit nicht die Rede sein kann. Es gibt nicht "die" Natur,
sondern nur das, was wir bisher an ihr erkannt haben. Im Gefolge des jüdischen
Philosophen Baruch Spinoza haben bis heute immer wieder viele, auch
Theologen, gemeint, Wunder im Sinne einer Durchbrechung von Naturgesetzen
wirke Gott nicht, das sei seiner irgendwie nicht "würdig".
Aber hier befindet man sich in einer Sackgasse. Denn vor allem steht dahinter
die Vorstellung von Gott nicht als dem Schöpfer der Welt, der alles trägt
und erhält, sondern von einem "Konstrukteur" oder "Weltenbauer",
der die Dinge einmal in Gang bringt und dann nicht mehr eingreift. Diese Sicht
nennt man auch "Deismus". Man nimmt einen Gott an, aber der
spielt keine Rolle mehr.
Dem entgegen steht die biblische Sicht von Gott: Gott ist Schöpfer,
und er ist treu. Er begleitet sein Volk. Er leitet es und offenbart sich durch
machtvolle Taten. Und er handelt in Jesus Christus. Insofern ist es ein Zeichen
seiner Liebe und väterlichen Treue, dass er in Jesus Christus wunderbar
handelt.
Für den Bischof und Kirchenlehrer Augustinus sind die Wunder,
die das Neue Testament von Jesus berichtet, gerade nicht erstaunlich. Denn
er weiß: Gott hat ja dieses Wunder gewirkt. Erstaunlich wäre, wenn
ein Mensch es gewirkt hätte.
Wie begründet Augustinus das? Nun, Gott ist Schöpfer, und die Schöpfung
als fortwährendes Geschehen weist in ihren Vorgängen wie Wachstum,
Vermehrung, Geborenwerden auf die Schöpfermacht Gottes hin. Diese Vorgänge
sind im Grunde für uns Menschen nicht vollkommen durchschaubar. Die besonderen
Wunder Jesu müssen damit im Zusammenhang gesehen werden. Sie sind im
Kern nichts Außergewöhnliches für den, der an Gott glaubt,
sondern nur komprimierte Vorgänge dessen, was wir in der Natur bereits
beobachten können.
Augustinus sagt: "Denn der an jenem Tage bei der Hochzeit den Wein
in den sechs Krügen machte, die er mit Wasser zu füllen befahl,
ist derselbe, der dies jedes Jahr in den Weinstöcken tut. Wie das, was
die Diener in die Krüge gossen, durch das Tun des Herrn in Wein verwandelt
wurde, so wird auch, was die Wolken ausgießen, durch das Tun desselben
Herrn in Wein verwandelt."
Ähnlich sieht Augustinus auch die wunderbare Brotvermehrung:
Gott vervielfältigt aus wenigen Saatkörnern die Saat. So vermochte
auch Christus die fünf Brote, die ihm in die Hand gegeben wurden, zu
vervielfältigen, so dass alle satt wurden.
Wenn ein Mensch geboren wird, erkennt der gläubige Mensch die Macht
Gottes, der alles in Leben ruft. So deutet auch Augustinus die Auferweckung
des Lazarus in Entsprechung zu diesem alltäglichen, aber ebenso wunderbaren
Geschehen: "Der hat einen Menschen erweckt, der den Menschen erschaffen
hat. Denn er ist der Eingeborene des Vaters, durch den, wie ihr wisst, alles
geworden ist. Wenn also durch ihn alles geworden ist, was Wunder, wenn einer
durch ihn aufersteht, da doch täglich so viele durch ihn zum Leben kommen?
Es ist mehr, Menschen zu erschaffen als zu erwecken ... Er hat einen bereits
Riechenden wieder erweckt, aber dennoch war in dem riechenden Leichnam noch
die Gestalt der Glieder ..."
Augustinus ist überzeugt: Einen Widerspruch zwischen Naturordnung und
Jesu Wundertaten kann es nicht geben. Und wenn der Mensch meint, darin Widersprüchliches
zu entdecken, dann liegt das in der Unfähigkeit des Menschen, die Zusammenhänge
glaubend zu erkennen, nicht aber in der mangelnden Souveränität
Gottes oder in seinem Bestreben, seine Schöpfung noch irgendwie nachträglich
"nachzubessern".
Wunder sind Weckmittel Gottes, um den Menschen aus seinem Schlaf aufzurütteln
und ihn zum Glauben an seine Macht und Treue zu führen. Aber es ist natürlich
sinnlos, nach der Bedeutung von Wundern zu fragen, wenn sie gar nicht geschehen
sind. Die Frage, die uns heute beschäftigt, ist ja die: Ist das, was
da berichtet wird, auch wirklich glaubwürdig? Oder hat der recht, der
meint, von Jesus wissen wir historisch eigentlich gar nichts; das, was wir
sicher wissen, passe auf eine Postkarte?
Kriterien der Glaubwürdigkeit der Evangelien
Am Beispiel des Wunders sollte deutlich gemacht werden, von welchem Horizont
wir ausgehen wollen: Rechnen wir mit der grundsätzlichen Möglichkeit,
dass manches Außergewöhnliche und Wunderbare, das in der Bibel
berichtet wird, geschehen sein kann, oder tun wir das nicht? An erster Stelle
steht also die grundsätzliche Bereitschaft, das möglich zu halten,
was wir lesen. Wir haben gesehen, am Beispiel der Wunder, dass wir durchaus
auch mit unserm Verstand und mit den Mitteln unserer Vernunft an diese Frage
herangehen können.
Darüber hinaus aber gibt es weiterreichende Kriterien für die Glaubwürdigkeit
dessen, was uns die Evangelisten überliefern. Diese seien summarisch
genannt:
1. Die Sicherheit der Textüberlieferung. Kein antiker Text ist
so sicher und eindeutig bezeugt wie der Text der Evangelien. Die zahlreichen
Varianten, die wir in einer kritischen NT-Ausgabe aufgelistet finden, zeigen
uns, dass die Abweichungen praktisch nur Nebensächliches betreffen. Als
heiliger Text hat das NT von Anfang an höchste Achtung genossen.
2. Das Alter der Texte. Die ältesten erhaltenen Evangelienfragmente
reichen in die Zeit vor der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 zurück.
Auch rein vom Text her besteht kein Anlass, die Evangelien später zu
datieren, wie es viele Exegeten tun, die von der Ankündigung des Untergangs
der Stadt Jerusalem her argumentieren und sagen: Das kann nur (redaktionell)
vom Evangelisten nach der Katastrophe des Jahres 70 niedergeschrieben worden
sein. - Im Gegenteil: Viele Redewendungen (z.B. Joh 5,2: Es ist aber
in Jerusalem beim Schaftor ein Teich ...) und äußere Umstände,
z.B. die Beschreibung der Auseinandersetzung Jesu mit den Juden und auch der
abrupte Schluss der Apostelgeschichte legen den Schluss nahe, dass
die heiligen Texte schon recht bald fixiert worden sind, jedenfalls in einer
zeitlichen Nähe, die ein genaues Erinnern noch sehr gut erlaubt.
3. Die Variationen und Unterschiede im berichteten Geschehen: In vielen
parallelen Texten, vor allem bei den Synoptikern, gibt es Abweichungen und
z.T. sich widersprechende Aussagen. Dazu genügt es, eine Synopse zur
Hand zu nehmen. Bei Mt kommt der Hauptmann von Kafarnaum selbst zu
Jesus (Mt 8,5), während er bei Lk Älteste zu Jesus hinschickt und
ihm durch sie sein Anliegen vorträgt (Lk 7,3). Für den Historiker
sind aber solche Unterschiede gerade ein Hinweis für Glaubwürdigkeit
und Echtheit. Hätten die Evangelisten erdichtet und erfunden, hätten
sie die Geschichten sicherlich harmonisiert, um keinen Verdacht zu erregen.
Aber hier brauchten sie keine Sorge zu haben, denn sie wussten, dass viele,
die dabei waren, als das Berichtete geschah, das selber gesehen und erlebt
hatten und es bestätigen konnten.
Der Vergleich der Texte zeigt überdies, dass die Unterschiede meist
nicht so groß sind, wie manchmal dargestellt. Oft handelt es sich nur
um sprachliche Variationen. Ob es nun heißt, dass Männer den Gelähmten
auf seinem Bett herbeitrugen (Lk 5,18) oder ob es heißt, dass
er "von vieren getragen" wurde (Mk 2,3), tut wenig zur Sache:
man darf annehmen, dass Markus nicht sagen wollte, dass die Helfer den Kranken
an Händen und Füßen herbeischleppten, sondern dass der Evangelist
es einfach nicht für nötig befand, das Bett eigens zu erwähnen,
weil es ihm selbstverständlich erschien, dass der Kranke in einem solchen
lag.
Leiden und Auferstehung Jesu Christi als Zentrum des
Glaubens und Gegenstand historischer Forschung und Kritik
Als Paulus im Ersten Korintherbrief von der Auferstehung spricht
und Wert darauf legt, dass es sich um ein geschichtlich fassbares Ereignis
handelt, um ein tatsächliches Geschehen (1 Kor 15), da sind seit den
Ereignissen gerade einmal 20 Jahre vergangen. Zum Vergleich: Die erste bemannte
Mondlandung gelang vor 30 Jahren, in Rheine explodierte vor gut 20 Jahren
bei Ausschachtungsarbeiten für das neue Rathaus eine Bombe aus dem 2.
Weltkrieg, und vor knapp 10 Jahren fiel die Berliner Mauer. - Man kann mühelos
noch zahlreiche Zeugen finden, die detaillierte Angaben, wenn nicht über
die Ereignisse selbst, so doch wenigstens über die Auswirkungen des Geschehenen
und Reaktionen der Menschen machen können. Niemand bezweifelt, dass diese
Dinge tatsächlich geschehen sind.
Paulus selbst spricht von 500 Augenzeugen (1 Kor 15,6), von denen viele noch
gelebt haben dürften. Und Paulus betont, dass seine Predigt den gleichen
Inhalt habe wie die der Apostel (1 Kor 15,11).
Bei der Wahl eines neuen Apostels als Ersatz für Judas Iskariot wird
Wert darauf gelegt, dass der Apostel "Zeuge der Auferstehung"
sein müsse (Apg 1,21 ff.). Natürlich war niemand "dabei",
als Jesus von den Toten auferstand. Aber hier bedeutet "Zeuge" dies:
Er hat Jesus, den Auferstandenen, leibhaftig gesehen. Er hat seine Worte gehört,
die er sprach. Und er war Weggefährte Jesu in der Zeit seines öffentlichen
Wirkens.
Ein Einwand lautet: Die Auferweckung Jesu gehöre einer anderen Ebene
der Wirklichkeit an. Sie sei grundsätzlich nur dem Glauben zugänglich.
Sie sei "kein historisches Ereignis in dem Sinne, dass sie in den Gang
der Geschichte eingeordnet und der Vernunft begreiflich gemacht werden könnte".
- Was sich hier sehr fromm und gescheit anhört, ist in Wirklichkeit ein
gefährlicher Irrtum. Der Irrtum besteht darin, dass man meint, die Geschehnisse,
die den Glauben begründen, könnten nicht mit den Mitteln der Vernunft
erschlossen und zugänglich gemacht werden. Im Gegenteil: Der Versuch,
das zu tun, mit Mitteln der Wissenschaft beispielsweise sich den Wundern Jesu
anzunähern und aufzuzeigen, dass sie tatsächlich einzigartig sind,
wäre ein Verstoß gegen den Glauben, wo doch der Glaube Vertrauen
bedeute und nicht kritisches Nachfragen auf dem Boden der Wissenschaften.
Ein Beispiel aus eigenem Erleben: Das Turiner Grabtuch ist ein einzigartiges
Textil, das das Geschehen der Kreuzigung in unvergleichlichem Realismus abbildet.
Bis heute ist nicht restlos geklärt, wie ein solches Stück Stoff
sich überhaupt über einen derart langen Zeitraum so gut erhalten
konnte, geschweige denn, wie überhaupt das Abbild auf den Fasern des
Tuches entstehen konnte (das Bild ist nicht aufgemalt oder irgendwie durch
Abdruck entstanden, sondern ergibt sich durch äußerst feine Versengung
der oberen Faserschichten - somit ist es auch ein "dreidimensionales"
Bild). - Als ich in Pfarreien und Gruppen die Ergebnisse der Forschung und
die Geschichte des Tuches mit Dias und Texten vortragen wollte, bekam ich
nicht selten Widerstand zu spüren. Man machte mir deutlich: Hier wolle
man die Auferstehung Jesu "beweisen" und Ergebnisse der Forschung
so ausschlachten, dass sie den Glauben an Christus mehr oder weniger "unanfechtbar"
machten. - Glaube sei dagegen doch Wagnis, Ungewissheit, Vertrauen und gerade
dadurch definiert, dass er auf jedwede Sicherung verzichte. So sei die Vorstellung
des Turiner Leichentuches kein geeignetes Thema etwa für die Fasten-
und Osterzeit.
Inzwischen ist die Diskussion etwas entkrampft worden, aber Nachwirkungen
dieses Verdiktes aus der alten Bultmann'schen Schule gibt es nach wie vor.
Rudolf Bultmann, ein evangelischer Theologe, trennte radikal den "Christus
des Glaubens" vom "Jesus der Geschichte" und sagte: Man darf
überhaupt nicht nach dem "historischen Jesus" fragen, das ist
theologisch illegitim. - Hier haben wir das Verbot, weiterzufragen und Glaube
und Vernunft in ein fruchtbares Gespräch miteinander zu bringen. Ein
solches Verbot ist aber für jemand, der gewohnt ist, den Dingen auf den
Grund zu gehen und der zugleich bereit ist, zu glauben, das heißt einem
glaubwürdigen Zeugnis fest zu vertrauen, nicht annehmbar.
Die Ereignisse am leeren Grab......widersprüchlich
und daher unhistorisch?
Für den, der sich kritisch mit der Osterbotschaft von der Auferstehung
Jesu befasst, stellt sich irgendwann das Problem, dass es über die Osterereignisse
verschiedene Erzählstränge gibt, die sich schwer miteinander harmonisieren
lassen: Zum Beispiel sprechen die ersten drei Evangelisten von mehreren Frauen,
die zum Grab gehen, Johannes hingegen erwähnt nur Maria aus
Magdala (Joh 20,1). Johannes erwähnt zudem die beiden Jünger,
Petrus und den, den Jesus lieb hatte, während die anderen drei Evangelien
darüber schweigen. Auch die Worte, die der Engel am Grab zu den Frauen
gesagt haben soll, sind in den Texten sehr unterschiedlich. Auch gibt es Passagen,
die nur ein einziger Evangelist erwähnt, zum Beispiel die Emmausgeschichte,
die von Lukas überliefert wird (Lk 24,13-35). - Schließlich
wird noch hinzugefügt: Ob das Grab wirklich leer war, wissen wir gar
nicht. Paulus, dessen Briefe älter sind als die Evangelien, schreibt
überhaupt nichts von einem leeren Grab.
Was kann man dazu sagen? Sicher eine ganze Menge. Zunächst: dass Aussagen
Unterschiede aufweisen, muss nicht heißen, dass sie sich widersprechen.
Bedenken wir: Es sind Ereignisse gewesen, die für die Jünger Jesu
und für die Frauen überaus verwirrend gewesen sein müssen.
Sie brauchten eine ganze Zeit, um mit dem Erlebten fertig zu werden und ihre
Zweifel und Fragen zu verarbeiten.
Zweitens: dass verschiedene Personen verschiedene Schilderungen liefern,
die zunächst schwer miteinander vereinbar erscheinen, ist keineswegs
ein Grund, das Berichtete zu bezweifeln. Im Gegenteil. Wenn z.B. Zeugen einen
Unfall schildern, kommt es häufig zu höchst unterschiedlichen Aussagen.
Bei dem einen ist das Auto rot gewesen, für den anderen blau. Der eine
hat nur einen Verletzten gesehen, der andere mehrere usw. - Für den Polizisten
oder Richter ist das gerade nicht Anlass, den Bleistift wegzulegen und zu
sagen: Das Ganze ist ja doch unhistorisch, sondern ein Hinweis auf größere
Glaubwürdigkeit. Denn hätten mehrere Zeugen etwas erfunden, würden
sie versucht haben, den fiktiven Bericht einheitlich zu gestalten und so zu
harmonisieren, dass kein Verdacht aufkommt.
Bei den österlichen Zeugnissen der Evangelien scheint mir, dass diese
schon sehr früh fixiert gewesen sein müssen und für so sakrosankt
angesehen wurden, dass man es nicht wagte, sie nachträglich noch zu harmonisieren
oder in eine stimmige Chronologie zu bringen. Man ließ das Erzählte
einfach stehen, weil man wusste: Die Zeugen, von denen wir das haben, sind
glaubwürdig. Und auf Vollständigkeit in der Chronologie und im Handlungsablauf
kam es nicht an.
Es kam auf das Eine an, und das stimmt in allen Zeugnissen überein:
Das Grab ist leer, Jesus ist wirklich auferstanden von den Toten, und er ist
über einen gewissen Zeitraum hinweg immer wieder bestimmten Personen
und Gruppen erschienen und hat ihnen gezeigt, dass er lebt.
Interessant ist übrigens, wie zuweilen versucht wird, mit fragwürdigen
Argumenten die Historizität des Berichteten in Zweifel zu ziehen. Ein
Beispiel kann das deutlich machen. So wird etwa behauptet: Die Salbung eines
Leichnams nach drei Tagen sei wegen des heißen Klimas, das in Palästina
herrsche, unsinnig. Dieses Detail zeige bereits, dass es sich bei den Texten
nicht um die Darstellung von Geschichte, sondern um Geschichten handelte,
die frei formuliert seien und bei denen es nicht um historische Ereignisse,
sondern um theologische Aussage ginge.
Darauf kann man den, der solche Einwände formuliert, nur einladen, einmal
wirklich nach Jerusalem zu kommen, das 800 m über dem Meeresspiegel liegt
und wo es gerade in den Nächten zur Osterzeit noch empfindlich kalt sein
kann. - Im übrigen geht es nicht um eine Salbung nach drei Tagen,
sondern "am dritten Tag". Jesus starb am Kreuz am Freitagnachmittag
vor Anbruch des Sabbat. Das war der "erste Tag". Da konnte noch
keine Salbung erfolgen, denn die Beisetzung Jesu erfolgte in Eile. Am "zweiten
Tag", dem Sabbat, war eine Salbung nicht möglich, weil ein gläubiger
Jude an diesem Tag nicht arbeiten durfte. So ist es folgerichtig, dass die
Frauen sich in der Frühe des dritten Tages, am Tag nach dem Sabbat, aufmachten,
um die Salbung des Leichnams nachzuholen. - An dem so berichteten Vorgang
ist also überhaupt nichts Ungewöhnliches oder Unwahrscheinliches
für den, der die Verhältnisse auch nur ein wenig kennengelernt hat.
Auf der anderen Seite zeigt die Kritik und die Infragestellung, dass man
manchmal unbedingt darauf hinaus will, den Evangelientexten jede historische
Aussagekraft zu nehmen und dabei auch vor kuriosen Einwänden nicht zurückschreckt.
Innere Kriterien der Glaubwürdigkeit der Evangelien
Die Evangelien bieten uns kein vollständiges, geschlossenes Bild von
Jesus Christus. Das war und ist auch gar nicht ihre Absicht. Die Evangelien
sind letztlich ein Glaubenszeugnis über Jesus, den Sohn des lebendigen
Gottes, aber eben ein sehr ernst zu nehmendes und glaubwürdiges Zeugnis.
Die Evangelien sind Zeugnisse, nicht Erzeugnisse. Sie schildern Tatsachen,
nicht Erfindungen. Tatsachen freilich, die oft genug über unseren (kleinen)
Verstand und über unser Fassungsvermögen hinausgehen.
Es gibt viele innere Kriterien, die uns zeigen können, dass wir der
Botschaft der Evangelisten und Apostel wohl vertrauen können. Einige
davon seien abschließend genannt:
-
Die Farbigkeit und der Reichtum in der Darstellung der Person Jesu:
Jesus übertreibt: Bildwort vom Kamel und dem Nadelöhr; Gleichnis
vom unbarmherzigen Schuldner (Mt 18,23-35);
Jesus spottet (Herodes ein "Fuchs", Lk 13,32) und schimpft gegen
Pharisäer und Schriftgelehrte (Mt 23,1-19);
er ist nicht nur sanftmütig, sondern vertreibt auch die Händler
(vielleicht sogar auch Händlerinnen?) mit Gewalt aus dem Tempel;
er hat Mitleid mit den Sündern, aber er sagt auch: "Geh hin
und sündige von nun an nicht mehr" (Joh 8,11).
-
Der Realismus und die Selbstkritik der Jünger Die Jünger
werden nicht als unerschrockene, tapfere Schar, als Elite und edelmütige
Stoßtruppe der glorreichen Botschaft Jesu geschildert, sondern sie
werden vorgeführt als unverständig und ehrsüchtig (noch
im Abendmahlssaal gibt es einen Rangstreit unter den Jüngern, Lk
22,24), als kleinmütig im Glauben und feige (Sturm auf dem See).
Bei der Gefangennahme nehmen sie Reißaus; sogar Petrus, der "Fels"
(Mt 16,18), verleugnet seinen Meister. Nach der Auferstehung Jesu haben
sie Mühe, den Herrn überhaupt zu erkennen (Joh 21,4). Diese
Fähigkeit zur Selbstkritik ist nicht nur ein Kriterium für die
Glaubwürdigkeit, sondern auch ein Aufruf an die Kirche aller Zeiten,
nicht überheblich und selbstzufrieden zu werden.
-
Die Schilderung der Lebensumstände und der sozialen Bezüge
Die neutestamentlichen Zeugnisse enthalten eine ganze Fülle von Informationen
über den Glauben des Volkes, ihre Sorgen und Ängste, über
Krankheiten, über Feste und Feiern, über Hierarchien und Konflikte,
über ökonomische Probleme und vieles mehr. Etliches hat sich
durch Ausgrabungen und außerbiblische Zeugnisse bestätigt.
Die Evangelien sind nach wie vor eine Fundgrube nicht nur für den
gläubigen Leser, sondern auch für den, der sich für die
Zeit und die Welt, in der Jesus lebte, interessiert.
Möchtest Du mir schreiben? Für diese Katechese
ist
Manfred verantwortlich.