Die Gottesbeweise des Thomas von Aquin  | In der Oberstufe nimmt sie jeder Religionsschüler durch, in vielen Diskussionen werden sie erwähnt - aber selten wird verstanden, was Thomas von Aquin wirklich bewiesen hat, als er seine "fünf Wege der Gotteserkenntnis" niederschrieb.
Manchmal sind es nur kleine Nuancen, die einen komplizierten Sachverhalten vollkommen verändern - und plötzlich klar und einleuchtend erscheinen lassen. Eine solche kleine Nuance möchten wir Dir hier anbieten - mehr nicht.
Das ist also eine der kürzeren Katechesen auf unserer Site.
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Von Beweisen und Erkenntniswegen
Das erste Problem, das im Zusammenhang mit den Gottesbeweisen zu klären
ist, ist die Frage nach dem Beweis selber. Was ist ein Beweis? Und wann
soll ein Beweis als "schlüssig" gelten?
Wir kennen sicher die Situation, dass jemand mir etwas "beweisen"
will und ich am Schluss seiner Ausführungen alles Gesagte beiseite schiebe
mit den einfachen Worten: "Für mich beweist das gar nichts...".
Da kommt natürlich Frust auf, und manchmal zweifeln wir daran, ob man
überhaupt etwa beweisen kann. Um diesem Frust aus dem Weg zu gehen, haben
sich viele Zeitgenossen schon darauf verständigt, dass zumindest in Bezug
auf Gott "jeder glauben soll, was er will - beweisen kann man da nichts".
Aber das ist ein primitive Flucht. Wenn es um die Wirklichkeit geht (ob nun
die Wirklichkeit eines Gottes oder die Wirklichkeit des Kaffees, der vor mir
steht), geht es nicht um Glauben, sondern um Erkenntnis.
Bei den "Gottesbeweisen" geht es also zunächst um die
Frage, wie ich zur Erkenntnis kommen kann, ob es Gott gibt. Deshalb hat
Thomas von Aquin seine Gedanken auch nicht "Gottesbeweise" genannt,
sondern "Wege der Gotteserkenntnis".
Wir müssen also zunächst fragen, ob eine Erkenntnis und deren
Erkenntnisweg zwingend ist. Falls das der Fall sein sollte, haben
wir einen Beweis, so wie wir diesen Begriff gerne verwenden: Wir
können anderen, die abweichender Ansicht sind, unsere Erkenntnis
beweisen.
Eine Erkenntnis ist dann zwingend, wenn zunächst die Ausgangsdaten
(Voraussetzungen) gesichert sind und daraus logisch korrekt eine neue
Erkenntnis geschlossen wird. Umgekehrt kann ein Beweis also dadurch angezweifelt
werden, indem die Ausgangsdaten in Frage gestellt werden oder ein Fehler
im Schlussverfahren nachgewiesen wird.
Bei den alltäglichen Diskussionen scheint es in der Regel um das
Schlussverfahren zu gehen ("Das ist doch logisch!" - "Also
ist doch bewiesen...!); tatsächlich kommen wir viel häufiger
zu unterschiedlichen Ergebnissen, weil wir bereits die Voraussetzungen
anders gesetzt haben.
Aber diese Frage nach Beweis und Beweiskraft habe ich schon vor einiger Zeit
in einer anderen Katechese beleuchtet. Bevor Du also in dieser Katechese weiterliest,
empfehle ich Dir dringend, zunächst in der grundsätzlichen Betrachtung
zu den Beweisen nachzulesen:
Kann man Gott beweisen?". Dort
wirst Du nämlich feststellen, dass die Erkenntniswege des Thomas von
Aquin keineswegs absolut zwingend sind. Aber dort lernst Du auch, dass es
absolut zwingende Beweise in der realen Welt sowieso kaum gibt.
Der Gottesbegriff - oder: Was will ich beweisen?
Die zweite Frage, die wir uns vorweg stellen müssen, ist, was wir
denn unter Gott" verstehen. Daran kranken die meisten Betrachtungen
der Gottesbeweise, denn die Leser erwarten erstens einen zwingenden Beweis
(den es so nicht gibt) und zweitens einen Beweis, der direkt zum christlichen,
personalen Gott führt. Auch dieses können die thomistischen
Beweise nicht liefern.
In seinem (nicht sonderlich lesenswertem) Buch "Gotteswahn"
legt Richard Dawkins dazu ein sauberes Fundament, indem er definiert,
was göttlich wirklich bedeutet (für Dawkins - aber auch
für Thomas oder grundsätzlich):
Der entscheidende Unterschied zwischen Göttern und gottähnlichen
Außerirdischen liegt nicht in ihren Eigenschaften, sondern in
ihrer Entstehungsgeschichte." (Der Gotteswahn, S. 106).
Demnach sind Götter - per definitionem - Wesen (ob intelligent
oder strohdoof, das mag vorläufig dahingestellt bleiben), die ursprungslos
sind.
Mehr wollen wir - und will auch Thomas nicht wissen: Gibt es in diesem
Sinne einen Gott - also ein ursprungsloses Wesen?
Die ersten drei Beweise des Thomas von Aquin
Bleiben wir bei Dawkins: Auf den Seiten 108 und 109 seines Buches "Gotteswahn"
übersetzt er die thomistischen Gottesbeweise in eine moderne Sprache.
Dabei verlieren die Beweise zwar eine ganze Menge ihrer denkerischen Schärfe,
aber für unsere Zwecke reicht es noch gerade aus:
1. Der unbewegte Beweger. Nichts bewegt sich, ohne dass es zuvor
einen Beweger gibt. Das führt zu einer Regression (einem "Rückgriff"),
und Gott ist der einzige Ausweg. Irgendetwas muss die erste Bewegung
veranlasst haben, und dieses Etwas nennen wir Gott.
2. Die Ursache ohne Ursache. Nichts wird von sich selbst verursacht.
Jede Wirkung hat eine vorausgehende Ursache, und wieder landen wir in
der Regression. Diese muss durch eine erste Ursache beendet werden,
die wir Gott nennen.
3. Das kosmologische Argument. Es muss eine Zeit gegeben haben,
in der keine physikalischen Objekte existierten. Da heute aber physikalische
Gegenstände vorhanden sind, muss irgendetwas Nichtphysikalisches
sie ins Dasein gebracht haben, und dieses Etwas nennen wir Gott.
Nochmal für alle Philosophen unter den Lesern: Diese Wiedergabe der
Wege der Gotteserkenntnis" sind ziemlich platt. So versteht
Dawkins anstelle von Veränderung" nur Bewegung",
anstelle von Sein" spricht Dawkins von physikalischen
Objekten", anstelle von Notwendigem Sein" übersetzt
Dawkins Nichtphysikalisches" - usw. Ich denke aber, dass wir
Dawkins' Übersetzung dennoch so stehen lassen können. Für
unseren Gedankengang reicht es.
Alle Gottesbeweise des Thomas von Aquin (und auch die Widerlegung des Beweises
von Anselm) im Original (lat./dt.) findest Du hier:
http://12koerbe.de/pan/st1qu2.htm
Die Kritik an diesen drei Wegen der Gotteserkenntnis, die Dawkins liefert,
hilft uns nun, ein häufiges Missverständnis zu beseitigen -
nur darum soll es in dieser Katechese gehen:
Alle drei Argumente stützen sich auf den Gedanken der Regression
und greifen auf Gott zurück, um sie zu beenden. Sie gehen von
der völlig unbewiesenen Voraussetzung aus, dass Gott selbst gegen
die Regression immun ist." (Dawkins Gotteswahn, S. 109).
Dawkins wehrt sich gegen die Behauptung, mit den Gottesbeweisen durch
Regression könne man einen wirklichen GOTT beweisen (und hat dabei
natürlich den christlichen, allmächtigen und allwissenden Gott
vor Augen). Die Frage, die Thomas von Aquin mit seinen ersten drei "Wegen
der Gotteserkenntnis" aufwirft, ist aber nicht, durch was
die Regression beendet wird. Sondern schlicht, ob alles einen Anfang
haben muss (also: Ob die Regression beendet wird). Falls die Antwort
Ja" sein sollte, vergeben wir lediglich ein Etikett":
Wir nennen, das, was unverursacht immer schon war, Gott".
Aristoteles - von dem Thomas den Beweis übernommen hat
- geht beispielsweise von 47 unbewegten Bewegern aus; dies leitet er aus
den Planetenbewegungen ab.
Von mir aus kann es auch am Anfang geknallt haben, dass uns die Ohren jetzt
noch (bei 2,725 Kelvin) dröhnen. Wenn der Urknall nun wirklich unverursacht
war, dann müssen wir ihn eben Gott" nennen.
Oder davor hat ein großes grünes Männchen den Böller
gezündet, der das Universum hat knallen lassen. Wenn das große
grüne Männchen selbst keine Ursache hat, dann müssen wir
es Gott" nennen.
Oder... was auch immer die erste Ursache war - wir nennen sie Gott.
Tatsächlich ist mit dem Gedankengang des Thomas überhaupt noch
nichts darüber gesagt, wie dieser Gott aussieht, was
er ist oder denkt (oder ob er überhaupt denkt). Sondern nur,
dass das, was nicht verursacht ist, Gott" ist.
Im Grunde wendet Thomas genau das Prinzip an, das auch Dawkins aufgestellt
hat: Alles, was einen Anfang hat, ist natürlich. Alles, was anfangslos
ist, ist übernatürlich - oder Gott". Eigentlich
sind Dawkins und Thomas sich einig (... aber Dawkins will es nicht wahrhaben).
Das heißt nicht, dass die Gottesbeweise des Thomas von
Aquin nicht noch weiter hinterfragt werden dürfen. Es stellen sich
im Gegenteil viele Fragen: Hat das Sein an sich einen Anfang? Oder ist
es schon immer und ewig gewesen? Oder, exakter: Kann man die Rückführung
der Bewegung, der Ursache oder Existenz auf immer wieder davor Liegendes
anwenden - unendlich? Oder hat die Regression ein Ende? Ja, muss sie nicht
ein Ende haben? Dann gibt es auch Gott. (Wer oder was immer das sein mag.)
Eigentlich ist unsere kleinste Katechese damit schon beendet - und für
viele Kritiker der thomistischen Gottesbeweise hat diese Nuance den Charakter
der Beweise vollständig umgekrempelt. Aber die Frage, wie denn dieser
"Gott" ist, soll uns noch zu einem nächsten Gedanken führen.
Wie ist dieser Gott? - Der vierte Weg
Thomas hat ja nicht nur drei Gottesbeweise gesammelt, sondern fünf.
Und er vierte und fünfte Gedankengang offenbart dann schon ein wenig
mehr über diesen "unbewegten Beweger".
Bei Dawkins lautet der vierte Weg zur Gotteserkenntnis folgendermaßen:
4. Das Argument der Stufungen. Wir beobachten, dass die Dinge
in der Welt unterschiedlich sind. Es gibt beispielsweise Abstufungen
von Tugend oder Vollkommenheit. Aber solche Abstufungen können
wir nur durch den Vergleich mit einem Maximum beurteilen
(kursiv von mir! - P.) Menschen können sowohl gut als auch schlecht
sein, also kann das Maximum des Gutseins nicht in uns liegen. Es muss
ein anderes Maximum geben, das den Maßstab der Vollkommenheit
bildet, und dieses Maximum nennen wir Gott. (S. 110)
Und wieder hilft uns Dawkins' Unverständnis, ein allgemeines Missverständnis
zu benennen: Denn Dawkins scheint in seiner Kritik nicht wirklich zu begreifen,
was Vollkommenheit" bedeutet. (Er schließt aus der Tatsache,
dass Menschen unterschiedlich riechen, dass es nach Thomas einen "obersten
Stinker" geben müsse). Dawkins scheint unter Vollkommenheit
einfach nur Maximum" zu verstehen. Aber ein Denker wie Thomas
unterscheidet schon Maximum" von Vollkommenheit".
Böse sein ist immer unvollkommen. Ebenso das Stinken".
Wir können nicht deshalb auf Gott schließen, weil die Welt
ungeordnet verschieden ist. Sondern, weil wir urteilen und
an sich losgelöste Dinge mit unterschiedlichen Eigenschaften in eine
Werte-Reihenfolge bringen, brauchen wir einen Maßstab.
Diesen Maßstab zur Bewertung (nicht für eine
- bspw. rein chemische - Ordnung, wie z.B. das Periodensystem der Elemente)
leitet sich von einem Vollkommenen ab - das wir Gott nennen.
Und damit haben wir dann doch eine inhaltliche Aussage über den
"unbewegten Beweger": Er ist vollkommen. (Vorsicht: In welcher
Hinsicht Gott vollkommen ist, bleibt zunächst noch offen. Aber man
kann sich ja darüber unterhalten).
Der fünfte Weg
Das fünfte Argument entnehmen wir besser nicht der Übertragung
des R. Dawkins, da er in diesem Weg die Grundlage für das Intelligent
Design sieht, und darauf reagiert Dawkins nunmal allergisch. Lesen wir
diesen Fünften Weg in einer wortgetreuen Übersetzung:
5. Das teleologische Argument: Der fünfte Beweisgang
wird genommen aus der Steuerung der Dinge. Wir sehen nämlich, dass
gewisse Dinge, die der Erkenntnis ermangeln, etwa die Naturkörper,
ins Werk gesetzt sind auf ein Ziel hin, was dadurch einleuchtet, dass
sie immer oder häufiger auf gleiche Art ins Werk gesetzt werden,
so dass das folgt, was das Beste ist.
Daher ist offensichtlich, dass sie nicht zufällig, sondern aus
Absicht zum Ziel gelangen. Das aber, was keine Erkenntnis hat, strebt
nicht nach einem Ziel, es sei denn, es ist gelenkt von irgendeinem Erkennenden
oder Intelligentem, wie der Pfeil vom Schützen. Folglich IST ein
Intelligentes, von dem alle Naturdinge auf ein Ziel zugeordnet werden,
und das nennen wir "Gott".
Thomas geht von der Beobachtung aus, dass die Dinge (und eben nicht,
wie Dawkins meint, die Lebewesen), die selbst keine Erkenntnis haben,
auf ein Ziel ausgerichtet sind; sich zielgerichtet verhalten. Wenn das
auch für Dinge gilt, die selbst keine Erkenntnis und Willen haben,
muss jemand anderes sie ausgerichtet haben.
Mit Intelligent Design" hat dieser Gottesbeweis nur
gemeinsam, dass er einen intelligenten Schöpfer annimmt. Ansonsten
geht Thomas nicht von der Gestalt oder Komplexität der Lebewesen
aus, sondern von dem zielgerichteten Verhalten aller Dinge. Das ist natürlich
keine naturwissenschaftliche Größe, sondern eine menschliche
Einschätzung.
So sagen wir gelegentlich - umgangssprachlich - dass die menschliche
Pupille sich verkleinert, wenn zuviel Licht ins Auge fällt, um
die Netzhaut zu schützen. Das mag menschlich gesehen korrekt
beobachtet sein; naturwissenschaftlich macht eine solche Aussage keinen
Sinn (denn die Pupille macht sich tatsächlich gar keine Sorgen um
die Netzhaut. Sie weiß noch nicht einmal, dass es eine Netzhaut
gibt). Der Biologe stellt nur fest, dass Pupille sich so verhält,
weil es einen Mechanismus gibt, der zu einem solchen Resultat führt.
Ob wir diesen fünften Weg noch als beweiskräftig ansehen, hängt
weniger von der Logik des Beweises ab, sondern vielmehr von der Einschätzung
der Voraussetzung: Verhalten sich die Dinge tatsächlich zielgerichtet?
Reden wir nicht nur so, sondern erkennen wir tatsächlich in den Dingen
eine Absicht...?
Fazit
Thomas stellt mit seinen Gottesbeweisen eine ganze Reihe von Fragen,
die wirklich diskussionswürdig sind - zu denen wir aber in einer Diskussion
oft nicht kommen, weil wir an den o.g. Missverständissen hängen
bleiben. So stellt sich zum Beispiel die Frage: Eine Welt ohne Gott hieße
eine Welt, die keinen Anfang hat - kein Ideal - kein Ziel. Das hieße
(für die ersten drei Beweise) z.B. eine unendliche Regression. Ist
das denkbar?
Die Antwort, auf die Thomas kommt, ist philosophisch gut fundiert. Sie
führt aber allerhöchstens zu einem unbewegten Beweger",
einer unverursachten Ursache", einem "vollkommenen Maßstab"
oder einem "innewohnenden Ziel" etc.
Thomas gibt selber zu, dass das nur die Frage nach der Existenz
einer Wesenheit ist, die wir Gott" nennen - und diese ziemlich
blutleer und hohl bleibt. Die Frage, wie diese Wesenheit beschaffen ist,
ist eine neue Frage. Thomas sieht das selbst und hat eben nur einen ersten
Schritt getan.
Thomas: In Bezug auf die göttliche Wesenheit aber
muss zuerst betrachtet werden, ob Gott IST;
zweitens, wie er ist, oder vielmehr, wie er nicht IST;
drittens werden diese Aspekte zu betrachten sein, die zu seinem
Wirken gehören, nämlich Weisheit und Wille und Macht."
(Summa Theologiae, qu. 2)
Wer will, kann in der Summa Theologica nachlesen, wie Thomas fein
säuberlich auch noch Schritt zwei und drei behandelt... aber auch
für uns gilt: Immer schön eine Frage nach der anderen. Die nächsten
Fragen sollen ein anderes Mal besprochen werden.
Möchtest Du mir schreiben? Für diese Katechese
ist
Peter verantwortlich.