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KARL-LEISNER-JUGEND |
Theologie des Leibes - Teil 1: Die Wiederentdeckung des Leibes
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Der Begriff "Dualität" bezeichnet ein Gedankengebäude,
dass von der Existenz zweier Prinzipien ausgeht. Einen theologischen Dualismus
lehnen die Juden, Christen und Moslems radikal ab (also die Behauptung, es
gebe zwei Götter oder göttliche Prinzipien, die im ewigen Kampf
miteinander liegen). Nicht nur aus diesem Grund hat der Begriff "Dualismus"
einen schlechten Beigeschmack.
Deshalb verwende ich lieber das eher ungebräuchliche Wort "Dualität";
in der Beschreibung des Menschen leistet die Dualität (also die Annahme,
der Mensch bestehe aus Leib und Seele) nämlich gute Dienste; allerdings
nur, wenn Leib und Seele als zwei einander nicht widerstreitende Prinzipien
angesehen werden. Auf keinen Fall darf der Seele als gutem Prinzip der Leib
als "Gefängnis", "Grab" oder "Sarg" entgegengesetzt
werden.
Dualität, das sei hier betont, ist nicht gleichbedeutend mit der Herabsetzung
des Leibes. Diese scheint zum Beispiel Platon gelehrt zu haben - und gelegentlich
fand sie (oder eine ähnliche Lehre) auch Eingang in das Christentum -,
aber trotz manch zeitbedingter harscher Leibkritik hat sich das Christentum
nie zu einer philosophischen oder gar theologischen Leibfeindlichkeit durchringen
können.
Dabei verstehen wir heute unter Leibfeindlichkeit freilich etwas ganz anderes als die Philosophen früherer Zeiten. Wir finden es schon leibfeindlich, wenn man im Petersdom nicht in Badebekleidung eingelassen wird.
Die philosophische Leibfeindlichkeit war dagegen radikaler: Hier war der Leib Prinzip des Bösen, Prinzip der Sünde und Quelle allen Leids. In strenger Konsequenz war eine solche Einstellung durchaus lebensbedrohlich - wenn so mancher die Freiheit darin suchte, sich zu "entleiben".
Ich betone es noch einmal: Eine solche radikale Leibfeindlichkeit war der Kirche als ganzer immer zuwider. Immerhin sind Jesus und Maria mit Seele und Leib in den Himmel aufgefahren (bzw. aufgenommen worden). So ganz schlecht kann der Leib also gar nicht sein!
Aber mit der Behauptung, der Mensch setze sich aus Leib und Seele zusammen, ist natürlich noch nicht viel geklärt; viel entscheidender ist, wie Leib und Seele zueinander stehen. Begrenzen sie sich gegenseitig? Gibt es ein höheres und ein niedrigeres Prinzip? Behindert ein Prinzip das andere? Auf welches kommt es letztlich an?
Die Antwort auf diese Fragen findet sich im Grunde in fast allen Katechesen, die bislang auf dieser Seite veröffentlicht wurden. Immer wieder - sowohl bei der Frage nach der Christologie, den Sakramenten, der Frage nach der Kirche, den Geboten und der Zukunft des Menschen - gibt es sehr verquere Ansichten, wenn der Leib nicht richtig beachtet und gewürdigt wird; und immer klärt sich mit der Einordnung des Leibes in die Theologie auch die Gesamtschau auf den Glauben.
Die Auffassung, der Mensch bestehe aus Leib und Seele, ist manchen anderen
religiösen Philosophien (z.B. der Esoterik oder auch den asiatischen
Religionen) ein Dorn im Auge. Wenn es zwei Prinzipien im Menschen gibt, stellt
sich damit unweigerlich die Frage, welches von beiden - der Leib oder die
Seele - das wichtigere ist; z.B. ob der Leib oder die Seele Träger der
Individualität ist. Die katholische Antwort darauf - der Mensch sei zunächst
Seele und habe einen Leib - wird manchmal als veraltet, überholt und
als Quelle der Leibfeindlichkeit betrachtet.
Manche moderne Philosophen - und durch sie beeinflusste katholische Theologen
- betonen daher, der Mensch sei gleichermaßen Leib und Seele; er habe
keinen Leib, sondern sei Leib. Oft wird dazu auf das hebräische Denken
des Alten Testamentes verwiesen, das eine Unterscheidung von Leib und Seele
angeblich nicht kenne.
Auch die Zeugen Jehovas berufen sich auf dieses Denken und lehnen daher jedwede Blutspenden ab (sogar die Eigen-Blut-Spenden vor schwierigen Operationen), da das Blut Sitz der Seele und Träger der Individualität sei.
Nun will ich an dieser Stelle nicht diese Diskussion selbst aufrollen. Sicherlich
sprechen einige Formulierungen in der Bibel für eine ganzheitliche Sicht
(allein schon das Wort "ganzheitlich" klingt Vertrauen erweckend);
und die gelegentliche Herabsetzung des Leibes als "Behinderung der Seele"
würde scheinbar im Ansatz unterbunden, wenn es gar keine Unterscheidung
mehr zwischen Leib und Seele gäbe.
Es tauchen ganz andere Probleme auf, wenn die Ganzheitlicheit so übertrieben
wird, dass aus dem Dualismus ein "Monismus" gemacht wird (so nennt
man die Ansicht, der Mensch bestehe nur aus einem Prinzip: monos = eins).
Diese Ansichten entsprechen nicht im geringsten unserer Erfahrung oder Selbstwahrnehmung.
Wir sagen eben, dass wir "einen Arm" oder "ein Bein" haben, und nicht dass wir ein Bein sind. Ebenso sehen wir im Haarschneiden oder Peeling nicht eine Reduzierung unseres Seins, sondern nur unseres Körper.
Kein Mensch würde nach einer Blinddarm-Entfernung das Gefühl haben, nun weniger Mensch zu sein als zuvor; und selbst bei Verlust von Extremitäten (z.b. eines Beines) fühlen wir uns nur eingeschränkt, aber nicht "weniger".
Aber auch in der Theologie entstehen ganz neue, vor allem unbiblische Motive (z.B. die Ganztodtheorie) und Widersprüche (z.B. in der Christologie).
Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle des katholischen Luxus' bedienen und auf bereits erfolgte Diskussionen zurückgreifen, die durch hochrangige Theologen geführt wurden, zu einer Entscheidung kamen, die durch Jahrhunderte hindurch immer wieder bestätigt wurden (wir nennen diesen katholischen Gedanken-Support "Dogma"). Beschließen wir also (an dieser Stelle) die Frage, ob denn die Dualität falsch und der Monismus die bessere Wirklichkeitsbeschreibung ist, mit dem Hinweis, dass diese Frage durch die Autorität der Kirche bereits geklärt ist. Es ist Dogma der katholischen Kirche (und zwar "de fide", also in der höchsten Rangstufe und Sicherheit), dass sich im Menschen zwei Prinzipien finden: der Leib und die Seele.
Das heißt nicht, dass Theologen und Buchautoren nicht darüber nachdenken dürfen, was denn wohl wäre, wenn der Mensch doch anders aufgebaut wäre. Spekulierend schreiben und denken darf jeder nach wie vor, wie und was er will.
Es ist jedoch nicht mehr möglich, die Leib-Seele-Dualität abzulehnen und gleichzeitig zu behaupten, damit die Lehre der katholischen Kirche zu vertreten.
Insbesondere ist es nicht möglich, die Katechesen zum Leib, die Papst Johannes Paul II. gehalten hat, aufgrund ihrer ganzheitlichen Sicht des Menschen als eine Hinwendung zum Monismus zu interpretieren. Johannes Paul II. war sicherlich gut katholisch.
Dass der Leib in der öffentlichen Wahrnehmung der christlichen Theologie
gerne übersehen wird, darf nicht verwundern. Wir haben uns ja auch persönlich
so an seine Gegenwart gewöhnt, dass er uns manchmal erst auffällt,
wenn er sich ausdrücklich bemerkbar macht - zum Beispiel Hunger oder
Krankheit unserer Aufmerksamkeit erregen.
So ähnlich ist es auch in der katholischen Theologie und im Leben der
Kirche: Immer und überall ist der Leib beteiligt, Grundlage von Entscheidungen
und Vermittlung von Heil. Das wird aber kaum bewusst wahrgenommen (am allerwenigsten
von den kirchenkritischen Medien); obwohl die Wirklichkeit des Leibes glasklar
vor unser alle Augen liegt. Wir haben uns einfach schon zu sehr daran gewöhnt,
um noch wahrzunehmen, was dort geschieht.
In der Verhältnisbestimmung von Leib und Seele leuchtet als erstes die "Ausdrucksfunktion" des Leibes ein. Was in der Seele eines anderen Menschen ist, bleibt solange verborgen, bis er es mit seinem Leib ausdrückt. Erst wenn ich lache oder weine, mich in Mimik oder Gestik mitteile, kommuniziere ich - und das geschieht immer, ohne Ausnahme, durch das Medium des Leibes. Selbst wenn ich körperlich nicht anwesend bin und ich mich deshalb verschiedener Kommunikationstechniken bediene - auch dann benötige ich den Leib. Briefe schreiben, Telefonieren, eMails oder Fernsehbotschaften, SMS oder Liebesschwüre in Baumrinden - immer bedarf die Seele der Leiblichkeit, um sich mitzuteilen.
Auch umgekehrt vermittelt der Leib. Das, was ich einer anderen Seele mitteilen möchte, nimmt dieser Mensch nur über seine Augen, Ohren, Sinne und Wahrnehmung. Mit meinen Mitteilungen erreiche ich nicht nur den Körper meines Gegenübers, sondern eben auch seine Seele. Ohne die leibliche Wahrnehmungskraft meines Gesprächspartners ist keine Kommunikation möglich (weshalb es auch so mühsam ist, mit Onkel Jupp zu reden, wenn er sein Hörgerät nicht einschalten will).
Selbstverständlich geschieht die wahre Kommunikation zwischen den Seelen;
der Leib und die damit verbundenen Hilfsmittel (wie Briefpapier oder Handy)
sind nur die Medien, die Inhalte transportieren.
Das bedeutet aber auch, dass es keine rein körperliche Kommunikation
gibt. Ich kann nicht einen Menschen ins Gesicht schlagen und mich damit herausreden:
"Das hat doch nur dem Körper weh getan".
Genausowenig, wie ich nicht nicht kommunizieren kann, kann ich mich
als Empfänger dem Leib und seinen Wahrnehmungen verschließen. Auch
wenn indianische Schamanen, indische Fakire und buddhistische Mönche
sich von körperlichen Einflüssen verblüffend weit befreit haben
- eine vollkommene Loslösung ist vermutlich erst im Tod möglich.
Ja, der Einfluss des Leibes auf die Seele geht sogar so weit, dass die Seele
an ihren körperlichen Schmerzen zerbrechen kann (z.B. in der Folter oder
in schwerer Krankheit) oder durch irreführende Kommunikation in ihrem
Lebenswillen gebrochen wird (z.B. durch Mobbing, Stalking, Psychoterror -
oder durch Intrigen, Feindschaft und Missverständnisse wie z.B. bei Romeo
und Julia).
Das ist eine große Bedeutung für den Leib, auf den die Seele unabdingbar angewiesen ist. Wäre das allerdings die einzige Aufgabe des Leibes ist, käme das doch einer klaren "Diktatur der Seele" gleich: Alles Entscheidende ginge von der Seele aus und komme bei ihr an, der Leib wäre nur Medium, auf Hilfsmittel angewiesen und vielleicht sogar austauschbar.
Deswegen: Schauen wir noch tiefer in das, was wir schon längst vor Augen haben.
Blaise Pascal (1623-1662) wurde einmal gefragt, wie man den Glauben erlangen könne. Er antwortete darauf überraschend: ""Knie nieder, bewege deine Lippen zum Gebet, und du wirst glauben!"
Ganz ähnlich geht es im Film "Das Verdikt" Paul Newman (1925 - 2008), der allerdings nicht den Glauben an Gott, sondern als Anwalt den Glauben an seinen Mandanten verloren hat. Nach einer guten Flasche Whiskey und ebenso viel Verzweiflung ringt er sich durch zu der Aussage: "Handle so, als hättest Du Glauben - und er wird dir gegeben werden".
Beide Aussagen - die von Blaise Pascal und die von Paul Newman - sind überraschend.
Zumindest für den, der bislang vom "Primat der Seele" ausgegangen
war. Diesem Primat zufolge ist alles, was wir tun, Ausdruck von geistigen
Entschlüssen, Regungen und Einsichten. Eine Handlung, die nicht im Einklang
mit dem Geiste steht, ist demnach "nicht authentisch", ja, so gut
wie "gelogen". Die Menschen versuchen zu entdecken, was in ihrem
Geiste ist, und danach ihre Handlungen auszurichten.
So gesehen ist die Aufforderung von Blaise Pascal eine glatte Anstiftung zur
Heuchelei: Beten, obwohl man nicht glaubt; knien, obwohl man nicht demütig
ist - das ist Betrug!
"Das ist Betrug!" ist allerdings ein Urteil, das voraussetzt, dass Seele und Leib nur auf eine Art kommunizieren: Die Seele ist der Sender, der Leib der Empfänger. Und hier - so wage ich zu behaupten - liegt die wahre Diskriminierung des Leibes.
Denn offensichtlich ist der Leib nicht nur Ausdruck der Seele, sondern viel mehr. Das lehrt uns nicht nur Blaise Pascal, das durchzieht unseren Alltag von vorne bis hinten. Und vor allem: Das ist nichts Neues! Offensichtlich aber etwas, das so unbemerkt immer mitgedacht und mitgesagt wurde, dass wir die Aufmerksamkeit für das Bedeutungsvolle des leiblichen Tuns verloren haben.
Am ehesten wird uns dieser Zusammenhang noch in der Sünde vorgehalten. "Wer (leiblich) sündigt, der verunreinigt sein Herz" ist eine alte Regel, weshalb zur Reinhaltung des Geistes der Verzicht auf alle möglichen Sünden ganz oben auf der christlichen to-do-Liste stand. Wer sündigt, obwohl er doch an sich gar kein schlechter Mensch ist, wird irgendwann zu einem solchen.
Wer sich Pornos anschaut, wird seine sexuellen Gelüste verstärken; wer sich zur rücksichtslosen Rede hinreißen lässt, wird auch rücksichtslos werden; wer einmal Drogen genommen hat, wird die Versuchung zur Wiederholung immer stärker spüren; wer Tiere quält, wird auch vor Brutalität Menschen gegenüber nicht zurückschrecken - usw.
Nicht immer und bei jedem gibt es die gleichen Zusammenhänge; aber es ist grundsätzlich sonnenklar, dass das körperliche Sündigen einen schlechten Einfluss auf die Seele des Menschen hat.
Wenn das korrekt ist, dann gilt auch der umgekehrte Zusammenhang: Wenn ich Gutes tue - auch dann, wenn ich gar nicht voll und ganz dahinter stehe - veredele ich meine Seele. Wenn ich mich auf die Seite der Ärmsten stelle und deshalb auf Luxus verzichte und Geld einspare, obwohl ich mich ihnen gar nicht zugehörig fühle, werde ich auch zunehmend solidarisch denken. Wenn ich die Wahrheit sage, obwohl ich am liebsten lügen würde, werde ich immer mehr zum ehrlichen Mensch.
Wie gesagt: Das mag zunächst nach einer Allerwelts-Wahrheit klingen. Aber in der Konsequenz bedeutet das, dass das höchste Ziel des menschlichen Handelns nicht die Selbstverwirklichung ist, sondern die Selbstwerdung.
Selbstverwirklichung bedeutet nämlich, dass ich schon ein fertiges und eindeutiges Selbst habe - und dieses nur noch durch mein Handeln in die Wirklichkeit transportiere. Der Mensch aber ist in der Lage, durch sein körperliches Handeln zu etwas zu werden, was er im Moment noch gar nicht ist. Erst in dem Augenblick, in dem er es tut, wird der Mensch zu dem, was er werden kann, soll und hoffentlich immer mehr will.
Beispiele kann ich ohne Ende bringen. Da ist die Angestellte, die ihrem Chef immer schon die Meinung sagen wollte - immerhin leidet die ganze Belegschaft unter ihm. Sie träumt davon, wie heldenhaft sie dem Chef die Missstände aufzeigt und wie selbstlos sie sich für die Kollegen einsetzt. Aber erst, wenn sie tatsächlich den Mund aufmacht, wird das, was nur pure Absicht ist - reines Wunschdenken - leere Fantasie - sie tatsächlich zur selbstlosen Kollegin machen.
Oder der Schüler, der genau weiß, dass der Mitschüler zu Unrecht diffamiert wird. Das Wissen und das Mitgefühl allein bedeuten wenig; aber in dem Augenblick, in dem er Partei ergreift, wird er zum aufrechten Anwalt.
Oder der Nachbar, der mitbekommt, dass im Haus nebenan ein Hund misshandelt wird; oder derjenige, der immer schon im Herzen für Naturschutz ist; oder der Reiche, der sich bislang noch von keinem Cent trennen konnte...
...oder eben derjenige, der sich nach einer lebendigen Gottesbeziehung sehnt, und der sich nun überwindet, die Knie beugt (natürlich ganz heimlich) und beginnt, ein Gebet zu sprechen.
"In dem Augenblick, in dem er es tut..." Das ist der große Auftritt des Leibes!
- "In Gedanken mag ich schon lange ein Held sein, aber was nutzt es, wenn ich im entscheidenden Augenblick doch wieder fliehe."
- "In Gedanken bin ich eigentlich ein guter Mensch, aber ich habe keine Gelegenheit es zu zeigen."
- "Im Grunde meines Herzens bin ich schon religiös, aber zum Beten komme ich einfach nicht..."
Das ist der die Stunde des Leibes! Wer sich nun ändern will, fängt am besten mit einer einfachen, kleinen Tat an. Einfach mal die Wahrheit sagen, einfach mal stehen bleiben und nicht wegschauen und nicht wegrennen, einfach mal die Knie beugen.
"Handle so, als hättest Du Glauben, und er wird Dir gegeben werden!" Das gilt nicht nur für den Glauben - auch für die Liebe, für Freundschaft, für die Hoffnung, für Selbstbewusstsein und Mut.
Viele Ehen zerbrechen, indem ein Partner erklärt, er könne die Ehe nicht mehr fortführen, da er keine Liebe mehr verspüre. Was rät Paul Newman? Handle so, als hättest Du Liebe - und sie wird wieder wachsen! Zugegeben: Meistens fehlt bei einer zerbrechenden Ehe mehr, als nur der gute Wille. Aber ohne diesen geht gar nichts mehr!
Der gute Wille kommt erst im leiblichen Tun zu sich selbst; erst im leiblichen Tun wird der gute Wille des Menschen realisiert.
Versuch es einfach mal: Lass Deinen Körper zur Kirche gehen, auch wenn Deine Seele nach durchzechter Nacht noch im Bett bleibt. Irgendwann wird sie wach - und dann kommt sie schon nach. Wo sollte sie auch sonst hin?
Versuch es einfach mal: Lass Deinen Körper die Knie beugen, Kreuze küssen und Rosenkranz beten, auch wenn Deine Seele damit noch gar nichts anzufangen weiß. Irgendwann wird Deine Seele erkennen, was da mit ihr geschieht - und dann kann sie immer noch erklären, dass sie mit diesem gefundenen Glück nichts zu tun haben will.
Versuch es einfach mal mit dem Abenteuerlichen: Bete vor dem Essen bei McDonalds (wenn nicht dort - wo sollte es sonst notwendiger sein?), bekreuzige Dich in der S-Bahn, mache eine Verneigung, wenn Du an einer Kirche vorbeikommst. Zugegeben: Das ist schon abenteuerlich. Aber manche Seelen brauchen die Herausforderung durch ihren Leib.
Der Leib verändert meine Seele, indem ich reine Absichten im wahrsten Sinne des Wortes "verwirkliche". Was zuvor nur nebulöse Intention war, wird durch meinen Leib zur Tatsache. Dass dazu der Leib wirklich notwendig ist, erkennt derjenige, der zur körperlichen Untätigkeit verurteilt ist: Er kann das, was er sich vorgenommen hat, nicht umsetzen. Sei es aus körperlicher Beeinträchtigung, Behinderung, Krankheit, Freiheitsentzug oder mangelnden Gelegenheiten.
Wir brauchen den Leib zur Realisierung; und wir bestärken uns zudem
durch das, was wir tun. Wer Mutiges tut, wird mutiger werden. Wer sich im
Fleiß übt, wird eifriger. Wer seine zaghafte Liebe in sichtbare
Liebesbeweise umsetzt, wird auch in seiner Liebe sicherer. Wir wissen dann,
was wir wirklich wollen - und werden durch unser Tun zunehmend zu dem, der
wir sein wollen.
Aber der Leib kann noch mehr. Er besiegelt zum Beispiel das, was zuvor noch
unentschieden war. Viele Menschen halten sich möglichst lange alle Wege
und alle Möglichkeiten offen. Erst in dem Augenblick, in dem ich (bildlich
gesprochen) den Fuß auf einen der vielen Wege lenke, wird dieser Weg
zu meinem Weg. Entscheidungen treffen wir viel häufiger, als wir
glauben, nicht mit dem Kopf, sondern mit den Händen.
"Ich habe die Hölle im Menschen gesehen"
Unter dieser Schlagzeile berichtete in der "Welt online" ein Augenzeuge
von der großen Tsunami-Flutwelle in Japan 2011. Die Menschen einer Kleinstadt
sahen die alles vernichtende Wasserwand auf ihre Häuser zukommen - und
sie wussten, was sie tun mussten. Das einzige hohe und standsichere Gebäude
war die achtstöckige Schule. Sie war das Ziel der Bewohner, die in Panik
dorthin eilten. Im Treppenhaus der Schule spielten sich dramatische Szenen
ab: Junge, kräftige Menschen stießen erschöpfte Senioren aus
dem Weg, um auf das rettende Dach zu kommen. Aber - und das ließ die
Schlagzeile nicht vermuten - es gab auch diejenigen, die den kraftlosen Menschen
am Fuße des Treppenhauses zu Hilfe kamen, anstatt sich selbst zu retten
- und dabei ertranken.
Die Frage: "Was würde ich dann tun?" kann ich im Grunde nicht
beantworten. Denn in einer solchen Situation bin ich nicht das, was ich mir
irgendwie als Ideal überlege. In einer solchen Situation bin ich reine
Reaktion - vorherbestimmter Wille. Menschen, die sich immer als wohlwollend
und freundlich erlebten, werden plötzlich zum rücksichtslosen Egomanen
(und leiden manchmal ein Leben lang darunter). Damit überraschen sie
wahrscheinlich sich selbst ebenso wie die, die bislang eine gute Meinung von
ihnen hatten.
Aber das heißt nicht, dass ich nur noch willenloser Reflex bin - reiner
Überlebenstrieb -, denn es gibt genügend Heldentaten einfachster
Menschen, denen umgekehrt niemand, vielleicht noch nicht einmal sie selbst,
eine solch heldenhafte Selbstlosigkeit zugetraut haben.
Wie schaffe ich es, dass ich auch in einer solchen Situation so handle, wie ich auch jetzt bin? - Nun: Durch ein permanentes Tun. Wie beim Klavierspielen oder Fahrradfahren muss ich solange etwas tun und einüben, bis ich es nicht mehr bewusst zu steuern brauche (wer beim Fahrradfahren ständig denkt "jetzt das linke Pedal - jetzt das rechte Pedal" wird nicht weit kommen). Ganz richtig sagen wir, dass uns etwas in Fleisch und Blut übergegangen ist. Erst durch unseren Körper können wir zu verlässlichen und tiefgründigen Menschen werden.
Vielleicht - das ist jetzt aber ein gewagter Gedanke - werden wir irgendwann vor Gott stehen so wie die Menschen beim Tsunami unten an der Treppe der Schule. Alles, was wir uns nur ausgemalt haben, was nur bloßer (schuldhaft unverwirklichter) Gedanke war, fällt dann nicht mehr ins Gewicht. Was bleibt, ist unser Sein, unser Glaube. Das Sein und der Glaube, die uns aufgrund der Werke in Fleisch, Blut und Seele übergegangen sind.
Viele Schüler lernen im Deutschunterricht das "Vier-Seiten-Modell"
von Friedemann Schulz von Thun. Dieses Kommunikationsmodell beruht auf der
Annahme, dass Nachrichten nicht nur einen abgegrenzten Inhalt übermitteln,
sondern sowohl vom Sender als auch vom Empfänger nach den "vier
Seiten" Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehung
und Appell interpretiert werden. Es geht also bei jeder Sprache um
mehr als nur um Information - es geht zum Beispiel auch um Beziehung.
All dies ist ein leibliches Geschehen. Der Leib produziert nicht nur eine
"gesprochene Sprache", sondern ist in seiner Gestik, seiner Mimik
und im Tonfall des Gesagten im umfassenden Sinne Ausdruck dessen, was in der
Seele ist.
Natürlich ist nicht nur das gesprochene oder geschriebene Wort Kommunikation, sondern auch jede Geste - und auch jede Zärtlichkeit. Aber darüberhinaus ist auch jede Handlung eine Kommunikation: So ist bereits meine bloße Anwesenheit z.B. bei einer Feierlichkeit Ausdruck, Mitteilung und Beziehung; ebenso das Fernbleiben bei einem Ereignis, bei dem ich erwartet wurde.
Der Leib ist Sprache. Er kann gar nicht anders, als zu kommunizieren, allerdings nur, so lange er vom Geist des Menschen geführt wird (wer schläft kommuniziert nicht).
Das wird besonders eindrücklich deutlich, wenn der Leib sich der Kontrolle durch den Willen entzieht - entweder durch psychische Störungen, in denen der Mensch nicht mehr Herr seiner selbst ist, oder durch physische Störungen, durch die der Leib nicht mehr fähig ist, der Seele Ausdruck zu verleihen.
Aber selbst bei großen Behinderungen wie z.B. einer fast vollständigen Lähmung ermöglicht schon die geringste Kontrolle der Seele, sich umfassend auszudrücken - dank der Sprache. Ich empfehle dazu die Lektüre des Buches "Schmetterling und Taucherglocke" (das auch verfilmt wurde): Der 43-jährige Redakteur Jean-Dominique Bauby erleidet am 8. Dezember 1995 einen Schlaganfall und fällt in ein Koma. Als er nach 20 Tagen erwacht, ist er am ganzen Körper gelähmt und kann nur noch das linke Augenlid bewegen, ist jedoch geistig ohne Einschränkungen und bekommt alles um sich herum mit.
Die Logopädin Henriette Durand erarbeitet mit ihm jedoch eine Kommunikationsmöglichkeit, indem sie ihm Buchstaben vorliest; sobald der richtige Buchstabe genannt ist, zwinkert er mit dem Auge. Auf diese Weise verfasst Bauby das Buch "Schmetterling und Taucherglocke": Bauby begreift, dass er geistig aktiv und frei ist wie ein Schmetterling - in einem Körper, der wie eine Taucherglocke wirkt. Jean-Dominique Bauby stirbt am 9. März 1997, 10 Tage nach Erscheinen seines Buches.
Das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun beleuchtet aber nur den Prozess
der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger - und übergeht das,
was im Sender dabei vorgeht. Denn in dem Augenblick, in dem der "Sender"
beschließt, die Kommunikation z.B. als "Selbstoffenbarung"
zu nutzen, entscheidet er sich auch für eine bestimmte Version seiner
selbst, die er offenbart! Und zwar auf allen vier Ebenen, die Schulz von Thun
beschreibt; durch Mitteilung von Sachinhalt, Selbstoffenbarung,
Beziehung und Appell wird auch der Sender verändert: Er
verändert sich und das Beziehungsgefüge, in dem er lebt.
So ist - auf der Beziehungsebene - das Aussprechen einer Liebeserklärung
nicht etwa Ausdruck dessen, was zuvor unzweideutig im "Sender" vorhanden
war, sondern die Verwirklichung einer von eventuell mehreren vorhanden Intentionen.
(So könnte der "Sender" noch schwankend gewesen sein, lieber
zu schweigen - oder zu verschwinden - oder das Handtuch zu werfen - oder eine
andere Person zu bevorzugen - oder lieber für immer Single zu bleiben
- oder eben die Liebe zu gestehen.)
Auch das hat eine sehr beeindruckende filmische Umsetzung erfahren. Im Film "Matrix" gelangt die Hauptperson - Thomas A. Anderson, genannt Neo - in das Zimmer des Programmierers, in dem ihm Stück für Stück eine ziemlich unbequeme Wahrheit präsentiert wird. Im Hintergrund zeigen Hunderte von Bildschirmen, wie Neo auf die Aussagen des Programmierers reagieren könnte: resignierend, schimpfend, panisch, verzweifelt. Aber nur ein Bildschirm wird auf Leinwandgröße herangezoomt und wird zur tatsächlichen Reaktion des Thomas A. Anderson.
Wer kommuniziert, erschafft somit Wirklichkeit! Zum einen in sich selbst, weil der "Sender" verwirklicht, was zuvor nur Intention war. Zum anderen, weil eine Beziehung nur dann entsteht, wenn sie auch ausgedrückt - kommuniziert - wird.
Der Leib als Medium der Seele ermöglicht, was die Voraussetzung für Sprache ist: Nämlich Beziehung, so wie wir sie kennen..
Weiter mit dem 2. Teil dieser Katechese: "Der Leib in der Theologie"