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Du sollst nicht stehlen - Das siebte Gebot
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Wie in allen Katechesen zu den Geboten möchte ich auch hier ausdrücklich
voranstellen, dass die Gebote nicht etwa deshalb zu halten sind, weil Gott
sie uns gegeben hat. Es entspricht überhaupt nicht der katholischen Denkweise,
ein Gebot einfach hinzunehmen und lediglich zu fragen, was Gott wohl damit
gemeint hat.
Vielmehr ist es unsere tiefste Überzeugung, dass die Gebote Gottes dazu
dienen, die Menschen zum Glück zu führen. Wenn wir also fragen,
was der Mensch braucht, um sein Glück zu finden, können wir auch
verstehen, wie und warum Gott dieses Glück durch die Gebote schützt
- und verstehen, worin eventuelle Grenzen der Gebote liegen. Teil 2 und 3
dieser Katechese gehen also den beiden wichtigen Funktionen von "Eigentum"
nach.
Die erste Fragestellung, was Diebstahl ist, kann schnell geklärt
werden: Diebstahl ist die unrechtmäßige Aneignung fremden Eigentums.
Um näher zu klären, wann genau ein Diebstahl vorliegt, muss also
nach der "Unrechtmäßigkeit" gefragt werden, und nach
der tieferen Dimension von "Eigentum".
"Unrechtmäßig" - das ist zunächst ein Begriff des
irdischen Rechts. Wann ein Besitz rechtmäßig erworben wurde, ist
hauptsächlich eine Frage von Vertragsrecht, Völkerrecht und Bürgerlichem
Gesetzbuch. Die Bewertung dieser Bestimmungen basiert auf eine spezielle,
unaufgebbare christliche Sicht, die sich aus dem ergibt, was "Eigentum"
bedeutet.
Die Formulierung "Du sollst nicht stehlen" stellt somit zwar den
Diebstahl in den Mittelpunkt, aber wir begreifen nur, ob das (Natur-)Recht
auf Eigentum verletzt wird, wenn wir dessen Wesen erfassen.
In gewisser Hinsicht ist das siebte Gebot das materiellste aller zehn Gebote;
jeder Besitz und jede Regelung von Eigentum ist eine zutiefst irdische und
weltliche Sache. So verwundert es nicht, dass fromme Leute auf jeden Besitz
und Reichtum verzichten, um sich ganz Gott widmen zu können. Als ein
junger Mann Jesus bat, eine Erbschaftsstreitigkeit zu regeln (Lk 12,13), hat
Jesus dieses Ansinnen rundweg abgelehnt: "Mensch, wer hat mich zum Richter
oder Schlichter [in solch weltlichen Dingen] bei Euch gemacht?!" - So
gibt es die christliche Tugend der Armut: einen sogenannten "evangelischer
Rat", was soviel meint wie: "eine Empfehlung des Evangeliums".
Dennoch hat diese materielle Welt auch eine Bedeutung für das Heil, auch
das Materielle spielt also eine Rolle für die Ewigkeit. Im Buch Kohelet
bezeichnet der Prediger zwar alles Irdische zunächst als "Windhauch,
Windhauch"; er schließt aber mit den bemerkenswerten Worten: "...überdies
hat Gott die Ewigkeit in all das hineingelegt" (Koh 3,11).
Eigentum und Besitz sind - angesichts der Ewigkeit - eine vorübergehende Erscheinung, aber zur Erlangung unserer Seligkeit führt der Weg durch diese Welt - und nicht an ihr vorbei.
Außerdem sollten wir zunächst zwischen dem "Recht auf Eigentum"
und dem "Anspruch auf Eigentum" unterscheiden. Denn aus dem Recht
auf Arbeit, freie Meinungsäußerung und Familie lässt sich
kein Anspruch ableiten, etwa, dass der Staat jedem seiner Einwohner eine Arbeit
zur Verfügung stellen müsse - ebensowenig wie eine eigene Litfasssäule
zur freien Meinungsäußerung oder einen heiratswilligen Ehepartner.
Die Grundrechte wurden vielmehr deshalb formuliert, damit diese Güter
keinem Menschen vorenthalten werden; ein Anspruch ergibt sich daraus
nicht.
Das gilt auch für das Recht auf Eigentum. Weder der Staat noch irgendeine Macht innerhalb des Staates darf willkürlich in die Eigentumsverhältnisse anderer eingreifen - das besagt das "Recht auf Eigentum und Privatbesitz". Dieses Recht ist jedoch kein Anspruch: Der Staat ist nicht verpflichtet, jedem seiner Mitglieder ein Grundstück, Haus, Auto und Hund zur Verfügung zu stellen.
Außerdem sollten wir einen Blick auf die juristische Unterscheidung
von Eigentum und Besitz werfen: Eigentum bezeichnet das, was "mir
gehört", was ich gekauft und bezahlt habe und auf das ich einen
Anspruch habe - auch, wenn es sich zur Zeit noch im Besitz z.B. des Verkäufers
befindet.
Besitz dagegen meint das, was sich zur Zeit tatsächlich in meinem
"Zugriff" befindet (oder in meiner "Herrschaft"), auch,
wenn dieser Zugriff nicht rechtmäßig ist oder mir nur für
eine gewisse Zeit gestattet wurde.
So ist z.B. ein Dieb eines Schmuckstückes nach dem erfolgreichen Diebstahl im Besitz des Schmuckstückes - auch, wenn er keinerlei Eigentumsrechte daran hat. Wenn dagegen jemand in Europa lebt und ein Reisfeld in China kauft, ist dieses Feld nicht sein Besitz, sondern lediglich sein Eigentum.
Eigentum ist also etwas Abstraktes, Besitz etwas Tatsächliches. In dieser Katechese verzichten wir aber auf diese Unterscheidung und meinen mit den Begriffen "Eigentum", "Besitz" und "Privatbesitz" immer den tatsächlichen Besitz - auch wenn dieser vielleicht nur geliehen oder befristet gewährt wurde.
Das Gebot "Du sollst nicht stehlen" besagt zunächst nur, dass
denen, die etwas besitzen, davon nichts unrechtmäßig genommen werden
darf. Der Gedanke, dass jeder Mensch ein Recht auf Eigentum habe, ergibt sich
aus diesem Gebot nicht unmittelbar. In der Antike, in der die Sklavenhaltung
gang und gäbe war, oder in den Zeiten des Feudalismus, der Leibeigenschaft
oder des Lehnsherrentum, war es daher auch für Christen nicht ungewöhnlich,
in ihren Reihen Besitzlose zu haben, denen nichts mehr genommen werden konnte.
Besitzlose waren selbst in ihren elementaren Lebensvollzügen abhängig
von anderen, und so geriet das Recht auf Eigentum (der Mächtigen) immer
wieder in Konflikt mit dem Recht auf Leben (der Machtlosen). Dabei haben die
Mächtigen oft vergessen (oder absichtlich nicht beachtet), dass auch
Besitzlose ein Recht auf eigenen Besitz haben, weil der Besitz in einer unmittelbaren,
dienende Funktion dem Lebensrecht zugeordnet ist. Das "Recht auf Eigentum"
ergibt sich also aus dem "Recht auf Leben"; das Gebot "Du sollst
nicht stehlen" sichert dagegen den Besitz gegen unzulässigen Eingriff
anderer.
Eigentum sichert unsere persönliche Existenz. Wer eine eigene Wohnung hat, ist geschützt vor Unwetter und Gelegenheitsdieben; wer Tiere, Äcker oder Läden besitzt, hat Nahrung und das tägliche Brot; wer Geld besitzt, kann sich komfortable Dienste genauso leisten wie notwendige Dienstleistungen (zum Beispiel durch Anwälte) zur Durchsetzung der Bürgerrechte.
Interessant ist daher der Begriff "Vermögen", der sowohl einen ansehnlichen Geld-Besitz bezeichnen kann, als auch den Besitz von Fähigkeiten. So sprechen wir von einem Millionär als einem "vermögenden Mann", aber eben auch von jemand, der z.B. große Geschicklichkeit besitzt: Dieser "vermag Dinge zu tun", die andere nicht können. Eigentum versetzt also einen Menschen in die Lage, selbstbestimmt zu handeln. Eigentum verleiht Unabhängigkeit und Selbständigkeit.
Eigentum muss allerdings nicht unbedingt persönlich und unmittelbar sein. Kinder haben (bis zu einem bestimmten Alter) kein oder nur symbolisches Eigentum; alles was sie benötigen, wird ihnen von den Eltern gewährt aufgrund deren Unabhängigkeit und deren Vermögen. Menschen, die ihr "Recht auf Leben" nicht aus eigener Kraft und eigenem Vermögen verwirklichen können, stellt der Staat einen "Vormund" an die Seite. In diesem Sinne verstand sich ein König, Lehnsherr oder Gutsverwalter seinen Vasallen, Leibeigenen oder Heuerleuten gegenüber als jemand, der diesen (aufgrund ihres angenommenen oder tatsächlichen Unvermögens) in der Erhaltung und Verwirklichung ihres Lebensrechtes zur Seite steht und hilft.
Natürlich gab es zu allen Zeiten schlechte Könige, schlechte Lehnsherren, schlechte Gutsherren und schlechte Sklavenbesitzer; so wie es heute leider immer wieder schlechte Eltern gibt, die ihren Kindern nicht das Notwendige gewähren (oder aber sie mit Dingen überhäufen).
Der wesentliche Unterschied zwischen Eltern, die für ihre Kinder die Verwaltung des Eigentums übernehmen, und einem Sklavenhalter, der das gleiche für seinen Haussklaven tut, ist vor allem die zeitliche Befristung: Eltern führen ihre Kinder zur Selbstverantwortung und zu eigenem Besitz, schlechte Feudalherren und skrupellose Sklavenbesitzer dagegen fürchten nichts so sehr wie die wachsende Selbstbestimmung ihrer Untergebenen.
In kleinen, überschaubaren Personengruppen kann auch aus freien Stücken dauerhaft auf persönlichen Besitz verzichtet werden. Voraussetzung ist ein gegenseitiges Vertrauen, dass der gemeinsame Besitz jeweils so eingesetzt wird, dass für alle Beteiligten das Recht auf Leben optimal verwirklicht wird. Das gilt zum Beispiel für die Ehe ("Gütergemeinschaft"), für Klostergemeinschaften und für Lebensgemeinschaften ("Kibbuzz").
Wenn Eltern, Gutsherren oder Vormünder vorübergehend die Verwaltung von Gütern für andere Menschen übernehmen, die (noch) nicht in der Lage sind, ihr Leben selbst zu sichern und ihren eigenen Besitz zu erhalten, zu nutzen oder gar zu erwerben, dann gilt diese Aufgabe im Grunde für jeden Besitzenden in einer Gesellschaft. Jeder, der ein Vermögen besitzt, ist nicht nur "vermögend", sein eigenes Leben zu erhalten und zu gestalten, sondern er hat das Vermögen auch, um anderen ein ähnliches Leben zu ermöglichen. Ein Handwerker besitzt in diesem Sinne die gesellschaftliche (moralische) Verpflichtung zu Ausbildung, ein Musiker die Verpflichtung zum Unterricht, ein Wissender zum Lehren - und ein Besitzer von Sachgütern, diese so zu nutzen, dass sie anderen zur Lebenserhaltung dienen.
Diese Funktion von Besitz ist keine rein christliche Erkenntnis; auch schon andere Philosophen und Gesellschaftstheoretiker haben diese Funktion erkannt und deren Verwirklichung manchmal auch gegen die Kirche durchsetzen müssen. Denn das Streben nach Macht und Reichtum geht leider oft auf Kosten der Eigentumsrechte der Armen und Schwachen - auch in der Geschichte der Kirche.
Aber in der Theorie - und seit den großen Sozial-Enzykliken der Neuzeit - widersteht die Kirche allen Versuchen, Eigentum und Besitz an Vorbedingungen (wie z.B. Herkunft, Adel, Nationalität oder Religionszugehörigkeit) zu knüpfen. Jeder Mensch hat ein Recht auf Eigentum und Privatbesitz: Weil es zu seiner Würde als Mensch gehört; jeder Besitzende hat die Pflicht, sein Eigentum und seinen Privatbesitz in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen.
Diese Pflicht schiebt zwar grenzenloser Gier und Bereicherung auf Kosten der Ärmsten einen Riegel vor. Aber Ausbeutung, ungerechte Wirtschaftsstrukturen oder soziale Ungerechtigkeit sind oft versteckt oder kleiden sich in den Mantel eines angeblichen "allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritts". So können Zölle auf Einfuhren aus anderen Ländern die Produzenten im eigenen Wirtschaftsraum schützen und vor dem Untergang bewahren, aber auch gleichzeitig Ursache für noch größere Not in weit entfernten Ländern sein. Geringe Preise für Produkte des alltäglichen Gebrauchs nehmen den Ärmsten in unserem Land die Existenznot - und beuten gleichzeitig Arbeiter in den ärmsten Regionen der Welt noch weiter aus.
Nicht umsonst gibt es seit 150 Jahren in der Theologie die inzwischen anerkannte Disziplin "Christliche Sozialwissenschaften": Es bedarf eigener Anstrengungen der Christen, die bestehenden Strukturen nicht nur zu verstehen und gegebenenfalls zu kritisieren, sondern eigene Prinzipien für eine gerechte Gesellschaft und eine menschliche Wirtschaftsordnung zu entwickeln.
Die bisherigen Überlegungen dürfen aber bei der Frage, wie eine gerechte, menschenwürdige Verteilung der Güter dieser Welt vonstatten gehen soll, nicht die einzigen Überlegungen bleiben. Wir sind schnell versucht, allen Besitz, der nicht unmittelbar zum Lebenserhalt dient, als zweckentfremdet zu verteufeln: Anstatt Millionen für das Silvesterfeuerwerk auszugeben, könne dafür doch Brot für die "Dritte Welt" gekauft werden. Mit ähnlichen Argumenten wird auf den Reichtum der Kirchenräume und deren liturgischen Ausstattung verwiesen: Wieviele Menschen könne man am Leben erhalten, würde allein der Petersdom in Rom verkauft!
Menschen, die so argumentieren, vergessen oft, dass das dann ja auch für jede andere Form der Kultur gilt; was würde in unserer Gesellschaft Geld gespart werden, wenn alle Opernhäuser, Theater, Freizeitbäder und Vergnügungsparks geschlossen würden. Noch augenscheinlicher wäre eine Auflösung der Kino-Industrie: Allein die Produktion der zehn teuersten Kinofilme eines jeden Jahres verschlingt mehr Geld, als ganz Europa an Entwicklungshilfe zahlt!
Besitz, der nur die Aufgabe hat, lebensnotwendige Stoffwechselfunktionen zu gewährleisten, reicht lediglich aus, den Menschen "dahinvegetieren zu lassen". Aber das ist kein Leben.
Ein mir persönlich bekannter Bischof in Afrika erzählte, dass er zu Silvester immer ein paar Böller in der Soutane bei sich trägt und den Kindern dort keine größere Freude machen kann, als ihnen hier und dort einen der Böller zu schenken. Auf den Vorwurf, er solle dafür gefälligst Brot für die Ärmsten der Armen kaufen, antwortete er, dass es gerade die Ärmsten der Armen sind, die beides brauchen: Brot und Böller.
Auch wir brauchen beides: Den Acker, der uns das Leben mit seinen Früchten sichert; und den Garten, den wir zu unserer Freude gestalten dürfen.
Der unbändige Gestaltungswille des Menschen (ein Anthropologe würde vielleicht von "Gestaltungsdrang" sprechen) ist dabei mehr als nur ein Überschuss an Fantasie und Kreativität; der Mensch wird erst dann zum Menschen, wenn er sich mitteilt, sich ausdrückt und die Welt gestaltet. Schon die kleinsten Kinder malen gern, ordnen Kieselsteine der Größe nach oder bauen Sandburgen; und bis ins hohe Alter freuen sich Senioren, wenn sie noch zu Garten- oder Handarbeiten fähig sind.
Wieviel Grausamkeit dagegen liegt in der Beschränkung der schöpferischen Ausdrucksfähigkeit durch Behinderung, Willkür oder Not! Nimm einem Maler die Farben, einem Schauspieler die Bühne oder einem Sänger die Stimme - und du zerstörst unter Umständen seinen Lebenswillen.
Besitz und Eigentum sollen nicht nur als Nahrungsmittel dienen, um uns am Leben zu erhalten. Besitz und Eigentum sind in einem viel tieferen Sinne notwendig, weil sie dem Menschen als Ausdrucksmittel zur Verfügung stehen.
Dass der Mensch verkümmert (bis hin zum physischen Tod), wenn er sich
nicht ausdrücken und mitteilen kann, ist nicht strittig; warum das so
ist, erschließt sich einem Christen allerdings einfacher als anderen:
Gott selbst ist in seiner Liebe schöpferisch. Liebe ist immer kreativ
und auf Mitteilung angelegt; ja, das Wesen der Liebe ist in sich Mitteilung
und Ausdruck von Sinn.
So hat Gott die Welt erschaffen, um seiner Liebe Ausdruck zu verleihen; seiner
Schönheit, seiner Kreativität, seiner Güte und Größe.
Und in diese Schöpfung hinein hat er den Menschen in eine unvergleichliche
Mittelposition gesetzt: Der Mensch ist sowohl Ausdruck, Bild und Mitteilung
der Liebe Gottes - als auch gleichzeitig selbst Liebender und damit Mitschöpfer,
der der Welt seine Kreativität, Güte und Liebe mitteilen will. Der
Auftrag an die ersten Menschen "Macht Euch die Erde untertan!" ist
ein Aufruf zur liebevollen, kreativen Gestaltung der Welt. Darin ist mitnichten
die Erlaubnis zum zerstörerischen Raubbau an der Natur gemeint, aber
auch nicht ein bloßes Konservieren und Archivieren der Welt.
So ist Gott. Und so wurde (in Ebenbildlichkeit zu IHM) der Mensch geschaffen. Und so sind wir bis heute (auch wenn wir das Ziel unserer Kreativität vielfach aus den Augen verloren haben). Und darin liegt auch das Ziel unserer Existenz in Ewigkeit.
In der Geschichte vom Turmbau zu Babel wird diese Folge der verlorenen Gottesbeziehung thematisiert: Nicht mehr Liebe, Güte, Gott verherrlichende Kreativität und Freude sind Motivation für die Gestaltung der Welt, sondern Eitelkeit, Machtstreben und Geltungsbedürfnis.
Wer wahrhaft kreativ ist, der erhält nicht nur, sondern richtet auf. Das gilt nicht nur der Natur gegenüber, sondern auch für die Beziehungen zwischen den Menschen, ja, für jede geschöpfliche Liebesbeziehung. Wir lieben erst dann wirklich, wenn wir dem Geliebten die Möglichkeit schenken, zu wachsen, zu reifen, neuer und schöner zu werden. Wer nur liebt, um sein Gegenüber zu konservieren, der liebt nicht wirklich. Wer die Schöpfung nur bewahren will, der verliert sie. Wer Edelsteine nur roh sammelt, anstatt sie zu schleifen, verweigert ihnen ihre mögliche Schönheit und ihren Glanz.
Ein Bildhauer, der aus einem Stein eine Skulptur herausbildet, ist ein Künstler.
Er beherrscht die Kunst, den Stein zu würdigen und einzuschätzen,
seine Eigenheiten richtig zur Geltung zu bringen und aus ihm etwas herauszuholen,
was zwar noch verborgen, aber dennoch bereits angelegt ist.
Auf eine andere Weise arbeitet ein Landschaftsgärtner - und dennoch gilt
für ihn das gleiche: Er beherrscht (wenn er gut ist), die Kunst, Boden
und Pflanzen, Licht und Wetter so einzuschätzen, dass er ihr Potential
nutzt und das, was bereits in den Pflanzen (und den dort lebenden Tieren)
vorhanden ist, durch seine Kunst zu einer ganz neuen Qualität erhebt.
Er zerstört nicht die Pflanzen, sondern respektiert ihre Eigenarten,
Bedürfnisse und Möglichkeiten und führt sie zu einem Gesamtkunstwerk.
Ebenso der Liebende, der den Geliebten nicht etwa nach seinen Wünschen
gestaltet, sondern vervollkommnet, indem er ihn oder sie zu einer Größe
führt, die bereits in ih oder ihr angelegt ist - und dennoch der Erweckung
bedarf. Noch mehr als der Bildhauer und der Landschaftsgärtner ist der
Liebende bemüht, dem Geliebten keine Gewalt anzutun, sondern das Große
und Schöne dem Geliebten in Freiheit zu ermöglichen.
Ein jeder von ihnen - Bildhauer, Landschaftsgärtner und Liebender - ist
ein Spiegelbild des liebenden und erschaffenden Gottes. Auch, wenn Gottes
Ideenreichtum unendlich größer ist als die Kreativität der
Menschen.
Nun ist es aber nicht so, dass der Besitz und das Eigentum zunächst
wertfrei und neutral unsere Existenz sichern und wir, wenn wir erst einmal
Leben, danach weiteren Besitz zum Ausdruck unserer Geistigkeit benötigen.
Frei nach Berthold Brecht kommt nicht "erst das Fressen und dann
die Moral". Vielmehr gestalten wir unsere Mahlzeiten bereits stilvoll
(selbst bei McDonalds - zumindest ansatzweise); kleiden uns nicht nur pragmatisch,
sondern auch chic; wohnen nicht nur in beheizbaren Wohncontainern, sondern
haben die Architektur selbst zur Kunst erhoben. Besitz und Eigentum sind Mittel
und Ausdruck, Voraussetzung und Produkt unseres Wirkens.
Deshalb dürfen wir grundsätzlich Kunst und Kultur nicht gegen Essen
und Kleidung ausspielen: Wir helfen den Menschen in den Krisengebieten nicht,
indem wir ihnen Hilfsgüter schicken und dafür ihre Kulturgüter
in Zahlung nehmen; wir tun den Menschen in den Kriegsgebieten keinen Gefallen,
wenn wir ihnen Medikamente schicken und dafür ihre Kirchen pfänden;
wir berauben uns selbst unserer Menschlichkeit, wenn wir in entfernten Regionen
Menschen Hoffnung auf eine bessere Welt schenken und dafür in unserer
eigenen Religion der Hoffnung auf Erlösung die Motivation nehmen und
den Gottesdiensten fernbleiben.
Das eine nicht gegen das andere auszuspielen, setzt allerdings voraus, dass die Verhältnismäßigkeit zwischen "bottom up" und "heaven down" gewahrt werden muss. Religiöse Gewalt und Glaubenskriege wären ebenso ein Beispiel für ein Missverhältnis zwischen "lebenserhaltendem Besitz" und "gestaltetem Besitz" wie das Einschmelzen von Glocken zur Herstellung von Waffen.
Damit sind wir wieder bei dem Satz, dass Eigentum verpflichtet. Der von uns nicht nur genutzte Besitz, sondern das von uns gestaltete Eigentum hat dienende Funktion. Der Bildhauer, der seine Produkte versteckt oder gar zerstört, versündigt sich gegen diese Pflicht ebenso wie der Mäzen, der bedeutende Kunst aufkauft und sie als Wertanlage in Tresoren lagert.
Die Frage, ob ein rechtmäßiger Käufer und Besitzer beispielsweise der "Mona Lisa" mit dem Erwerb des Bildes auch das Recht erworben hat, es zu zerstören, ist moralisch damit beantwortet (E.W. Heine erzählt eine solche Geschichte in seinem Sammelbändchen "Hackepeter"; das dort angeblich zerschnittene Kunstwerk wird in den einzelnen Teilen allerdings verkauft und nicht vernichtet). Ob ein solcher Akt der Zerstörung durch staatliche Gesetze verhindert werden kann, ist allerdings eine ganz andere Frage.
Die Frage, ob in solchen Fällen eine übergeordnete (staatliche) Autorität die verwirkten Eigentumsrechte aufheben darf, ist nicht einfach zu beantworten. Sicherlich ist es denkbar, dass ein Großgrundbesitzer, der seine Plantagen verkommen lässt, um den Marktpreis zu steigern, und dabei die regionale Bevölkerung verhungern lässt, ebenso enteignet wird wie ein Hausbesitzer, der seine Wohnungen verfallen lässt, obwohl ganze Familien auf der Straße leben müssen. Dennoch gilt: Eigentum verpflichtet zwar, dennoch kann das Recht auf Eigentum auch vom Staat nicht ohne Weiteres aufgehoben oder willkürlich an bestimmte Bedingungen geknüpft werden.
In diesem Licht relativiert sich auch der angebliche Prunk der Kirchen. Im Gegensatz zur Ausstattung von Versailles nimmt sich die Gestaltung des Petersdoms nicht nur spartanisch aus; viel entscheidender ist die Tatsache, dass es sich bei aller sakralen Kunst immer um die Gestaltung von öffentlichen Räumen handelt; um Kunst für alle und jeden. Im Gegensatz dazu waren Prunkschlösser, Lustgärten und Adelshäuser in der Regel zur privaten Nutzung gedacht; ihr Reiz lag gerade darin, frei von "gemeinem Volk" zu sein. Mit wenigen Ausnahmen ist die Kirchenkunst ihrer dienenden Funktion immer gerecht geworden.
...was nicht bedeutet, dass sich frühere Kirchenfürsten, die in der Ausstattung der Kirchen vorbildlich handelten, in der Gestaltung ihrer Privatgemächer doch wieder versündigten.
Eine klassische Ausnahme vom Diebstahlverbot ist der sogenannte "Mundraub".
Während der Not in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat diese Ausnahme
eine Bestätigung durch den damaligen Kölner Kardinal Frings erhalten
und damit den volkstümlichen Ausdruck "fringsen" geprägt:
Steht ganz konkret das Lebensrecht des einen gegen das Besitzrecht eines anderen,
so kann ein Diebstahl zur Lebenserhaltung gerechtfertigt sein. Der Ausdruck
"Mundraub" meint dabei den Diebstahl von Lebensmitteln "zum
unmittelbaren Verzehr"; unter "fringsen" verstand man
dagegen auch die "Aneignung" von Steinkohle, um sich und die Familie
in der kommenden Nacht vor dem Erfrierungstod zu retten. Diese Ausnahme gilt
nicht nur bei extremen ungerechten Besitzverhältnissen, sondern auch
dann, wenn der Besitzende sich seiner Verpflichtung als Eigentümer bewusst
war und sie trotzdem nicht erfüllt hat.
Aber Vorsicht: "Fringsen" und Mundraub sind nicht pauschal moralisch
zu rechtfertigen; letztlich kommt es auf die näheren Umstände an;
vor allem stellt sich die Frage, ob durch den Mundraub (oder das "Fringsen")
nicht wiederum andere leiden müssen und es sich somit nur um einen anderen
Namen für das "Recht des Stärkeren" handelt.
Besitz und Eigentum sind nicht nur auf das Materielle beschränkt - das
hat schon der zweite Teil der Analyse gezeigt. In vielerlei Hinsicht kann
man geistige Produkte fast ebenso behandeln wie handwerkliche Erzeugnisse;
ein Liedermacher lebt vom Verkauf seiner Lieder ebenso wie ein Tischler vom
Verkauf seiner Möbel. In diesem Sinne ist die Verletzung von Urheberrechten
ebenso ein Diebstahl wie das Entwenden von Möbeln.
Allerdings wird die Sachlage deutlich schwieriger, wenn es um die Nutzung
von Computerprogramm-Lizenzen geht, um das Patentrecht, die Gentechnik, die
Entwicklung von Medikamenten oder um Verfahrenstechniken, um die Pharmakologie
oder um das Markenrecht. In vielen dieser Einzelfragen vertritt die Kirche
keine eigene Lehre; zudem würde eine ausführliche Besprechung den
Rahmen dieser Katechese deutlich sprengen.
Interessanterweise sind sich ausnahmsweise die Kirchen mit den Grünen einig, dass z.B. Patente auf Lebewesen (ob durch natürliche Zucht oder durch Gentechnik verändert) in der Regel unmoralisch sind.
Viele Kunden zählen an der Kasse im Supermarkt ihr Wechselgeld genau
nach und reklamieren sofort, wenn sie zuwenig Rückgeld bekommen haben,
sind aber sehr großzügig, wenn etwas versehentlich nicht berechnet
wurde oder das Wechselgeld zu hoch ausfällt. "Das sind die ja selber
schuld" heißt es oft; manchmal wird auch behauptet, dass "das
sowieso keiner merkt" oder "bereits im Preis einkalkuliert"
ist.
Das ändert nichts: Wer einen Fehler zu seinen Gunsten bemerkt und sich
nicht meldet, begeht Diebstahl. Wer den Fehler verursacht oder welche Ausmaße
der Fehler hat, ist dabei normalerweise irrelevant. Wie lange man nach
diesem Fehler noch verpflichtet ist, den Fehler zu korrigieren, ist eine Frage
der Verhältnismäßigkeit. Das gilt für alle Verträge,
Handelsabkommen und Abmachungen - nicht nur für das Wechselgeld im Supermarkt.
Das gleiche gilt für Leistungen, die man in Anspruch nimmt, ohne ein Anrecht darauf zu haben - zum Beispiel gegenüber Versicherungen. Auch hier wird gerne darauf verwiesen, dass die Versicherungsgesellschaft reich ist; dass es unfair ist, ausgerechnet diesen Schaden nicht mitzuversichern; dass das sowieso alle machen und solche kleinen Lügen bereits in die Versicherungsprämien miteingerechnet sind. Sorry: all das ändert nichts daran, dass Diebstahl (und Lügen) Unrecht ist und bleibt.
Wer es beispielsweise "unfair" findet, dass gemietete oder verliehene Gegenstände von der Privathaftpflicht ausgenommen sind, sollte sich bereits bei Vertragsabschluss beschweren oder nach Alternativen suchen. Im Schadensfall folgt aus einem subjektiven Gefühl ("Das ist aber unfair!") kein Recht auf Entschädigung.
Leistungen zu beanspruchen, für die man nicht bezahlt, ist ebenfalls
Diebstahl. Wer einen geheimen Zugang zum Freizeitpark kennt oder einen Trick
fürs Schwarzfahren, begeht immer noch Diebstahl. Auch hier gibt es eine
scheinbare Ausrede: "Die U-Bahn fährt doch sowieso, ob ich nun bezahlt
habe oder nicht"; "der Naturpark existiert doch auch, wenn ich nicht
bezahle"...
Aber nur, weil ein Service zunächst vorfinanziert wurde und nun anschließend
durch Gebühren refinanziert wird, befreit das nicht von der Verpflichtung
eines jeden, die gewährte Leistung auch zu bezahlen.
Wer für eine Leistung bezahlt wird, diese aber nicht erbringt, begeht ebenfalls Diebstahl - das gilt für Handwerkerrechnungen genauso wie für die vertrödelte Arbeitszeit in der Fabrik oder im Einzelhandel. Allerdings sollte man nicht zu skrupulös sein: Es ist oft im Sinne des Arbeitgebers (und des Kunden), wenn die Arbeitnehmer sich auch um eine gute Atmosphäre bemühen und soziale Kontakte untereinander pflegen oder der Verkäufer mit dem Kunden auch dann redet, wenn dieser gerade gar nichts kaufen will.
Umgekehrt begeht auch der Arbeitgeber Diebstahl, wenn er seinen Arbeitern einen gerechten Lohn vorenthält. Allerdings gehen die Vorstellungen, was gerechte Löhne sind, immer noch weit auseinander. Die christlichen Sozialwissenschaften setzen sich mit dieser Frage intensiv auseinander; aus ihr stammt die Erkenntnis, dass Löhne sich nicht nur an der geleisteten Arbeit und der Marktlage orientieren dürfen, sondern auch an der sozialen Situation des Arbeitnehmers.
Robin Hood - war er ein Held oder ein gemeiner Räuber? Diebstahl wird nicht allein deshalb eine gute Sache, weil man mit dem gestohlenen Geld gute Dinge sponsert.
Der Heilige Franziskus hat seinem Vater einmal Geld gestohlen und damit einen Priester mit dem Wiederaufbau einer kleinen Kirche beauftragt. Der Priester gab das Geld wohlweislich dem Vater zurück: So nicht!
Vielleicht war Robin Hood aber dennoch ein Held, weil er der armen Bevölkerung gegenüber dem hinterhältigen Sheriff Locksley von Nottingham nur zu ihrem angestammten Recht verhalf - diese Frage will ich hier nicht entscheiden. Grundsätzlich gilt, dass in einer Rechtsgesellschaft (wie Deutschland) eine rechtliche Angelegenheit (wie zum Beispiel die Frage nach dem rechtmäßigen Besitz) auf dem Rechtsweg entschieden werden sollte. Selbstjustiz à la Robin Hood ist in unserer Gesellschaft keine romantische Heldentat, sondern ein Verbrechen.
Wie schon in der Katechese zum Ablass geschildert, ist ein Diebstahl nicht nur mit der Rückgabe des fremden Eigentums abgegolten; wer absichtlich Eigentumsrechte verletzt, stört auch das Vertrauensverhältnis zwischen den Menschen empfindlich.
Das spürt jeder eindringlich, der z.B. in einem Ferienlager bestohlen wird. Wenn plötzlich jeder jeden verdächtigt, ist mehr gestört als nur der "soziale Friede".
Einen Diebstahl wiedergutzumachen ist daher immer auch eine Frage einer zusätzlichen Buße - entweder in Form von Sozialstunden oder einer Erhöhung der Geldsumme, die dem Bestohlenen erstattet wird.
"Du sollst nicht stehlen" ist - wie alle anderen Gebote auch -
nicht eine Anordnung Gottes, die ihren Sinn nur durch die Aufnahme in die
10-Gebote-Liste erhält. Vielmehr hat "Eigentum" einen doppelten
Sinn: (1) Materieller Besitz gewährleistet uns das Leben in dieser Welt,
das wir zur Erlangung des ewigen Lebens nutzen sollen; (2) Materieller Besitz
ermöglicht uns, Liebe und Kreativität nicht nur zu empfinden, sondern
zu verwirklichen und dadurch unser irdisches Leben zu gestalten. Einen anderen
Menschen in seinen Eigentumsrechten zu beschneiden und ihm Besitz zu nehmen,
beeinträchtigt die Verwirklichung seines Menschseins.
Wenn die Eigentumsrechte eines Menschen nicht hingeordnet sind auf die Lebenserhaltung
und -gestaltung, verlieren sie ihren Sinn.