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KARL-LEISNER-JUGEND |
Die historischen Vergehen der Kirche
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Was ist überhaupt eine »Hexe«? Als »Hexen« bezeichnet(e)
man Personen, von denen man glaubte, sie könnten mit ihren Zauberkräften
anderen Menschen schaden (seit dem Mittelalter »wusste« man auch,
warum: Sie stünden mit dem Teufel im Bund).
Der Glaube an Zauberei war in der Antike praktisch allgemein verbreitet. Bei
vielen Völkern war Zauberei darum gesetzlich verboten, so auch im AT
(Ex 22,17; Lev 19,26; Deut 10,10). Das römische Recht sah als Strafe
für Zauberei die Verbrennung vor. Laut Apostelgeschichte lies Paulus
in Ephesus zahlreiche Zauberbücher vernichten (Apg 19,18).
Tatsächlich ist es grundsätzlich denkbar, dass jemand versucht,
seinen Mitmenschen unter Anrufung von bösen Geistern zu schaden. Freilich,
ein erlöster Christ braucht vor solchen Bemühungen keine Angst zu
haben. Jesus hat die Macht des Teufels gebrochen (vgl. Hebr 2,14 und Kol 2,15).
Im Vertrauen auf diesen Sieg Christi hat die Kirche immer wieder vor hysterischer
Hexenfurcht gewarnt jahrhundertelang mit Erfolg. Bis ins hohe Mittelalter
war im christlichen Europa die Hexenverfolgung praktisch verschwunden. Erst
als im 14./15. Jh. der Glaube in der Gesellschaft immer mehr an Kraft verlor,
konnte die heidnische Hexenangst wieder neu aufflammen – nicht wegen
der Kirche, sondern wegen des Rückgangs des christlich-katholischen Glaubens.
Hier eine kurze Zusammenfassung der geschichtlichen Fakten (Die folgenden Ausführungen sind freilich in keiner Weise umfassend. Aber für einen allgemeinen Überblick sollten sie ausreichen):
Im Jahr 415 wird in Alexandria die gelehrte neuplatonische Philosophin Hypatia
vom Volk als angebliche Zauberin gelyncht. Die Bischöfe sind empört und sprechen
von einer »großen Schande«, die unvereinbar mit dem christlichen Glauben sei.
Im heidnischen Germanien, wo man früher fest an Hexerei glaubte, erlässt das
Konzil von Paderborn 785 folgendes scharfe Dekret: »Wer, vom Teufel verblendet,
nach Weise der Heiden glaubt, es sei jemand eine Hexe und fresse Menschen,
und diese Person deshalb verbrennt oder ihr Fleisch durch andere essen lässt,
der soll mit dem Tod bestraft werden.« Im Canon episcopi, dem Beschluss einer
Bischofssynode im 9. Jh., werden die Priester ausdrücklich ermahnt, gegen
den »von den betreffenden Weibern selbst verbreiteten Wahn aufzutreten, dass
Weiber nächtlicherweise, auf gewissen Tieren reitend, zum Dienste der heidnischen
Göttin aufgeboten werden.« 1080 schreibt Papst Gregor VII. an König Harald
von Dänemark: »Glaubt nicht, Ihr dürftet Euch gegen Frauen versündigen«, denen
man Schuld an »Unwettern, Stürmen und manchen Krankheiten« gibt und die »mit
Unmenschlichkeit nach einem barbarischen Brauch abgeurteilt werden.« Der Papst
warnt den König davor, er »rufe den Zorn Gottes herbei«, wenn er »über jene
unschuldigen Frauen Verderben bringt.« Und für die kirchliche Inquisition
erlässt Papst Alexander IV. 1258 folgende Anweisung: »Die Inquisitoren, die
beauftragt sind, Häresien [=Irrlehren] zu untersuchen, dürfen sich nicht in
die Untersuchungen von Zukunftsdeutungen oder Hexerei einmischen, sofern ihnen
nicht bekannt ist, dass sie mit offensichtlicher Häresie verbunden sind.«
Fazit: Der Hexenglaube wurde von der Kirche weder erfunden noch hat sie ihn
im ersten Jahrtausend gefördert. Im Gegenteil: Weil die Kirche vom Sieg Christi
über den Teufel überzeugt war, hat sie sich jahrhundertelang um die Eindämmung
der heidnischen Angst vor Hexenwahn und der Verfolgung angeblicher Hexen bemüht.
Erst im Übergang zur Neuzeit mit der abnehmenden Prägung der Gesellschaft
durch den christlichen Glauben, der aufkommenden Reformation und den Konfessionsstreitigkeiten
kehrte die Angst zurück, man sei bösen Mächten schutzlos ausgeliefert.
Tatsächlich konnte sich der Hexenwahn vor allem dort ausbreiten, wo der
Glauben seine Substanz verloren hatte.
Zur ersten größeren Hexenverfolgung im 14. Jh. kam es im Gebiet
der heutigen Schweiz. Mehrere Männer und Frauen wurden wegen »Schadenszauber«
bei weltlichen Gerichten angeklagt und nach römisch-weltlichem Recht
(nicht nach kirchlichem Recht) zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.
Es ging also ursprünglich um eine rein weltliche Angelegenheit: Bürger
fühlten sich von Mitbürgern durch »Schadenszauber« bedroht.
Erst als man den Angeklagten zusätzlich auch »Häresie«
(Irrglauben) vorwarf, kam die Kirche ins Spiel. 1384 war erstmals ein Inquisitor
mit angeblichen »Hexen« konfrontiert; er verurteilte die Frauen
zu Bußübungen und Geldstrafen. Als sie dann 1390 selber Zusammenkünfte
mit einem »kleinen Luzifer« behaupteten, hielt sie der Inquisitor
für wirkliche Häretiker und überantwortete sie dem Scheiterhaufen.
Zunächst blieb dies jedoch ein Einzelfall.
Für die weitere Entwicklung spielte der deutsche Dominikaner Heinrich Kramer (latinisiert Henricus Institoris, 1430-1505) eine wichtige Rolle. Auf eigenes Betreiben hin wurde er 1474 als Inquisitor in Süddeutschland eingesetzt und ging in dieser Funktion auf Hexenjagd. Bald stieß er auf den Widerstand des örtlichen Klerus. Der Bischof von Brixen griff persönlich in die Prozesse Kramers ein, lies alle verdächtigen Frauen frei und jagte den Inquisitor, den er als »ganz kindisch« beschrieb, aus seiner Diözese. Kramer wandte sich daraufhin an den Papst und bat um Gutheißung seiner »Mission«. Tatsächlich erließ 1484 Innozenz VIII. die sog. »Hexenbulle« Summis desiderantes affectibus. Dem Papst seien Berichte über Umtriebe von Hexen in Deutschland zu Ohren gekommen, so beginnt der kurze Brief. Deshalb wünsche er, dass die Inquisitoren ungehindert der »Korrektur, Gefangennahme und Bestrafung« der betroffenen Personen nachgehen könnten. Nirgends ist von Verbrennungen die Rede. Zur Verhütung von Zauberei sollten die Inquisitoren vielmehr in allen Pfarrkirchen das Wort Gottes erklären. (Der Text ist in engl. Übersetzung auf wikisource abrufbar.) Hat also der Papst persönlich zur Hexenjagd aufgerufen? Der Kirchengeschichtler Kardinal Brandmüller betont, dass die Bulle in Form eines »Reskripts« abgefasst ist, d.h. als päpstliche Antwort auf eine schriftliche Anfrage. Da es unmöglich war (und ist), alle Anfragen, die an Rom gestellt werden, im Einzelnen zu überprüfen, gelten Reskripte grundsätzlich nur, sofern die Berichte wahr sind (im Sinn von »…wenn es wirklich so ist, dann gilt…«). Folglich kann man auch die Bulle nicht einfach als Indiz eines päpstlichen Hexenwahns werten.
Doch Kramer wusste die Bulle geschickt für seine Zwecke zu nutzen: 1487 verfasste er ein dickes Handbuch zur Hexenverfolgung, den sog. »Hexenhammer« (Malleus Maleficarum), eine Sammlung von absurden Thesen zum Thema Teufel, Zauberei und Frauen: Es sei gut, Geständnisse durch falsche Versprechungen zu erpressen, mit »Wasserproben« müsse man Hexen entlarven, wer nicht an Hexen glaube (bei Kramer immer nur Frauen), sei ein Häretiker usw. Da er seinem Pamphlet die päpstliche »Hexenbulle« voranstellte, entstand der Eindruck, der Papst empfehle sein Werk. In Wirklichkeit war es eine private Veröffentlichung von Kramer, die jedoch dank der Erfindung des Buchdrucks weite Verbreitung fand und sich langfristig verhängnisvoll auswirkte. Zwar blieben Kramers persönliche »Erfolge« zeitlebens bescheiden (z.B. lehnte man 1491 in Nürnberg seine Hilfe bei der Hexenjagd von vornherein dankend ab), doch sein Buch verstärkte die heidnische Hexenangst – nicht so sehr in der kirchlichen Hierarchie, sondern vor allem bei den Menschen in der damaligen Gesellschaft. So begannen in der Folgezeit Kaiser, Fürsten und Städte die Verfolgung der angeblichen Hexen selber in die Hand zu nehmen. Aus ihrer Perspektive war Hexerei und »Schadenszauber« vor allem ein weltliches Verbrechen, ein Angriff auf die Gesellschaft. In der 1532 von Kaiser Karl V. erlassenen Peinlichen Halsgerichtsordnung heißt es in Art. 109: »Item so jemand den Leuten durch Zauberei Schaden oder Nachteil zufügt, soll man strafen vom Leben zum Tod. Und man soll solche Straf mit dem Feuer tun.« In den folgenden Jahrzehnten breitete sich der Hexenwahn epidemieartig aus. Jetzt wurden auch kirchliche Vertreter in den mitteleuropäischen Ländern angesteckt und beteiligten sich an Hexenjagden. (Auch Martin Luther forderte vehement die Hexenverbrennung. 1526 predigte er: »Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an.«) Der eigentliche Höhepunkt der Hexenverfolgung in den mitteleuropäischen Ländern lag in der Zeit zwischen 1560-1630.
Während in Nordeuropa die Scheiterhaufen loderten, bemühte man
sich im Süden um Eindämmung der Hexenangst. (NB: die südeuropäischen
Länder waren in der Reformationszeit weitgehend geschlossen katholisch
geblieben.) In Spanien schärfte 1538 die »Suprema«,
der oberste Rat der Spanischen Inquisition, ihren Inquisitoren ein, dass man
Kramers Hexenhammer keinen Glauben schenken dürfe. Als 1609 in der Bevölkerung
des Baskenlandes trotzdem kurzzeitig eine Hexenpanik ausbrach, schickte die
Suprema den Inquisitor Alosno Salazar Frías zur Untersuchung.
Dieser studierte etwa 2000 Aussagen von Inhaftierten und kam zum Schluss,
dass kein einziger der Verdächtigen schuldig sein könne, selbst
wenn es jemand von sich selbst behauptete. Er empfahl darum der Suprema,
in Zukunft für Hexen keine Todesurteile mehr zuzulassen – und tatsächlich
wurden daraufhin alle Hexenprozesse lokaler Magistrate für illegal erklärt.
Auch in Rom bemühte man sich um Gegenmaßnahmen. P. Desiderio Scaglia,
Kommissar des Heiligen Offiziums und seit 1621 Kardinal, leitet in seinem
Inquisitions-Handbuch die Regeln für Hexenprozesse mit folgenden klaren
Worten ein:
Die Erfahrung, Lehrmeisterin der Dinge, zeigt deutlich, dass täglich bei der Führung von Prozessen gegen Hexen, Unholdinnen und Zauberinnen von verschiedenen Diözesanbischöfen, Vikaren und Inquisitoren sehr schlimme Fehler begangen werden, zum höchsten Schaden sowohl der Gerechtigkeit als auch der angeklagten Frauen, so dass . . . kaum jemals ein Prozess richtig und rechtmäßig ablief, sondern das es meistens notwendig war, zahlreiche Richter zu tadeln wegen ungebührlicher Quälereien, Nachforschungen und Verhaftungen sowie verschiedener schlechter und unerträglicher Methoden bei der Anlage der Prozesse, der Befragung der Angeklagten, exzessiven Folterungen, so dass bisweilen ungerechte und unangemessene Urteile gefällt werden, sogar bis zur Todesstrafe und der Überlassung an den weltlichen Arm, und die Sache ergab, dass viele Richter so leichtfertig und leichtgläubig waren, schon wegen eines äußerst schwachen Indizes anzunehmen, eine Frau sei eine Hexe (zit. nach R. Decke, Die Päpste und die Hexen, Darmstadt 2003, S. 97).
Die römische Instruktion beinhaltet ausführliche Bestimmungen für
den Ablauf eines Hexenprozesses, wie z.B. die Heranziehung von Ärzten zur
Klärung natürlicher Ursachen, Ablehnung von Vorwürfen gegen Dritte,
Bestellung eines Verteidigers, Verbot demütigender Untersuchungen des Körpers,
Ausschluss von Suggestivfragen usw.
1631 veröffentlichte dann auch in Deutschland der Jesuit Friedrich Spee
seine berühmte Schrift »Cautio Criminalis oder Rechtliche Bedenken
wegen der Hexenprozesse«, ein engagiertes Plädoyer gegen den
Hexenwahn, gegen die Folter und für die Menschenwürde.
(Die folgenden Zahlen sind übernommen aus R. Decker, Die Päpste und die Hexen, Darmstadt 2003, S. 155-9. Eine Tabelle mit den Opferzahlen in den einzelnen europäischen Ländern bietet W. Behringer: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung. München 2008, S. 65-66.)
Heutige Schätzungen gehen davon aus, dass in Europa insgesamt zwischen 30.000 bis maximal 50.000 Personen als »Hexen« hingerichtet wurden. 80% der Opfer waren Frauen. Insgesamt wurde bis zu drei Millionen Menschen der Prozess gemacht, ca. 1,5% davon endeten mit einer Verurteilung. Die meisten dieser Prozesse wurden vor rein weltlichen Gerichten geführt. Nur an deutlich unter 1000 dieser Fälle waren kirchliche Inquisitoren beteiligt. (Dan Brown dagegen spricht in Sakrileg von »fünf Millionen Frauen auf den Scheiterhaufen« und übersieht, von der maßlosen Übertreibung ins Hundertfache abgesehen, dass immerhin 20% der Opfer Männer waren.) Auch die häufige Behauptung, Heilerinnen und Hebammen seien vermehrt denunziert worden, ist falsch. Nur rund 2% der Angeklagten waren als Heilerinnen tätig. Hebammen waren aufgrund des allgemeinen Vertrauens in der Bevölkerung sogar besonders immun gegen Hexenverfolgung.
Rechnet man die Opfer im Verhältnis zur Bevölkerung, dann fanden
die meisten Hinrichtungen in der Schweiz statt (4.000 Verbrennungen bei einer
Million Menschen); in Polen-Litauen (an die 10.000 bei 4,4 Millionen Einwohnern),
in Deutschland (25.000 bei 16 Millionen Einwohnern), und in Dänemark-Norwegen
(1.350 bei 970.000 Menschen). Zahlreiche Hinrichtungen gab es also vor allem
in Ländern, die sich im Zuge der Reformation von der katholischen Kirche
entfremdet hatten.
In rein katholischen Ländern dagegen (d.h. Regionen, die nicht von der
Reformation betroffen waren) liegen im Vergleich sehr niedrige Zahlen vor:
Von den 125.000 Hexenprozessen der Spanischen Inquisition gab es nur 58 Todesurteile.
In Italien waren es 36 und in Portugal 4. Zählt man in diesen Ländern
alles zusammen, kommt man auf weniger als 100 Hinrichtungen.
Kurz: Die Hexenverfolgung am Beginn der Neuzeit war ein dunkles Kapitel in der Geschichte Europas. Und ganz sicher haben dabei auch Vertreter der Kirche Schuld auf sich geladen. Aber ebenso klar ist, dass die Hexenverfolgung nicht in erster Linie ein Problem der katholischen Kirche war, sondern ein Problem der gesamten Gesellschaft in Europa in der Umbruchszeit zur Neuzeit.
Das Thema "Hexen" ist im Sinne von Personen, die angeblich Schadenszauber ausführen, in vielen Ländern und Kulturen, z. B. in Lateinamerika, Südostasien und vor allem in Afrika, heute noch und wieder hochaktuell. Seit 1960 sind vermutlich mehr Menschen wegen Hexerei hingerichtet oder umgebracht worden als während der gesamten europäischen Verfolgungsperiode. Allein im ostafrikanischen Tansania werden seit den 1990ern jährlich 100-200 Fälle von Morden an angeblichen Hexen bzw. Zauberern berichtet. […] In Nigeria und Südafrika werden jährlich bis zu hundert Ritualmorde aufgedeckt oder entsprechend zugerichtete Leichen mit fehlenden Genitalien gefunden, was den Hexenglauben nur anfacht. […] In Indonesien wurden nach der Absetzung Suhartos zwischen Dezember 1998 und Februar 1999 ca. 120 Personen als Hexen ermordet. […] In Indien wurden zwischen 2001 und 2006 400 Adivasis im Bundesstaat Assam unter Hexereivorwürfen umgebracht.
("Hexenverfolgung heute" wurde übernommen aus: http://de.wikipedia.org/wiki/ Hexenverfolgung#Hexenverfolgung_heute - Zugriff 6.5.2013)
- BEHRINGER, WOLFGANG: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung. München: Verlag C.H. Beck, 2008.
- DECKER, RAINER: Die Päpste und die Hexen. Aus den geheimen Akten der Inquisition. Darmstadt: Primus-Verlag, 2003.
- ders.: Hexenjagd in Deutschland. Darmstadt: Primus-Verlag, 2006.
- HESEMANN, MICHAEL: Die Dunkelmänner. Mythen, Lügen und Legenden um die Kirchengeschichte. Augsburg: Sankt Ulrich Verlag, 2007, 173-189 (Kapitel XV. Die Hexenverfolgung).