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Zwölf populäre Irrtümer über den katholischen Glauben und die Kirche

Es macht mir sehr viel Freude, von meinem Glauben zu erzählen, ihn zu erklären und ihn dabei auch selbst immer besser zu verstehen. »Etwas erklären« bedeutet natürlich auch, Fragen zu beantworten und Missverständnisse zu beseitigen und zu klären.
Weniger Freude macht es allerdings, wenn diese Missverständnisse immer und immer wieder verbreitet werden - oft wider besseres Wissen. Dann drängt sich mir der Verdacht auf, bei den falschen Glaubensdarstellungen handle es sich gar nicht um ein versehentliches Falschverstehen. Es scheint, als wenn so manche Verdrehungen des katholischen Glaubens dem klaren Zweck dienen, diesen Glauben umso vehementer und radikaler abzulehnen.
»Die katholische Kirche behauptet: Tiere haben keine Seele. Wie herzlos! - Da treten wir aus!« — »Katholisch zu sein heißt, den eigenen Verstand abzugeben und blind zu glauben - da machen wir nicht mit!« — »Der Papst hat doch selbst gesagt, dass er niemals Homosexuelle verurteilen würde! Warum hat das unser Bischof und Pfarrer noch nicht verstanden und segnet keine schwulen und lesbischen Paare?« — »Es ist erwiesen: Die Moral ist älter als jede Religion. Damit hat die Religion nun ihre letzte Existenzberechtigung verloren!«
Den dahinter verborgenen Themen müsste eigentlich eine eigene Katechese gewidmet werden - und tatsächlich haben wir zu den meisten Fragen auch schon viele Seiten geschrieben. Hier soll es lediglich darum gehen, wohlmeinende Kritiker der Kirche davor zu bewahren, offene Türen einzurennen. Denn oft entpuppt sich eine anscheinend gut begründete Widerlegung des katholischen Glaubens als einfach nur schlecht informiertes Gerede; oft genug ist er (der katholische Glaube) schlecht informierten Katholiken im Grunde genauso peinlich wie unseren Kritikern. Das, was uns von vielen Kritikern trennt, ist meistens nur der anti-katholische Affekt: Man will nicht katholisch oder christlich sein, selbst wenn man deren Positionen anerkennt und selber vertritt; also wird der katholischen Kirche und ihrer Theologie entweder moralisches Fehlverhalten, historische Schuld oder - noch besser - ein absurder Glaube unterstellt.
Für alle, die nicht unter dem Virus der Anti-Kirchlichkeit leiden, sondern wirklich wissen wollen, ob der christliche Glaube so weltfremd ist, wie in einigen Medien behauptet, ist diese Auflistung von »12 populären Irrtümern« gedacht.


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Diese Katechese ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 117) erhältlich: Kostenlose Bestellung

Wer definiert, was ein Irrtum ist?

Es gibt im Grunde zwei Arten, sich einer Kritik an einer religiösen Aussage zu erwehren: Entweder man kann erklären, warum diese Aussage (dennoch) wahr ist und eventuell sogar gut, heilsam und hilfreich. Oder man stellt fest, dass diese religiöse Position gar nicht zur eigenen Religion gehört. — Die erste Art der Antwort versuchen wir in unseren Katechesen, der zweiten Art zu antworten dient, diese Zusammenstellung.

Nun ist es immer einfach zu behaupten, man sei gar nicht so schlecht und so verrückt, wie andere berichten, schwieriger ist es jedoch nachzuweisen, dass eine Aussage über die Kirche unzutreffend und eine Unterstellung sei. Denn gerade in unserer Kirche gibt es viel Freiheit (schon wieder eine Behauptung wider alle Klischees), so dass jeder Theologe glaubt, etwas anderes behaupten zu können als sein Nachbar oder Vorgänger. Es dürfte keine Schwierigkeit sein, für nahezu jede Aussage in der langen Geschichte der Kirche irgendeinen Theologen zu finden, der diese untermauert - und einen anderen Theologen, Bischof oder Priester, der sich dagegen verwahrt. Was aber nun ist die eigentliche Position der Kirche? Und woran erkennen wir, dass eine irgendwann und irgendwo tatsächlich vorgetragene Meinung nicht die Lehre der Kirche wiedergibt?

Der Leser einer wissenschaftlichen Arbeit müsste sich nun auf eine mühsame Quellenarbeit gefasst machen, die den Stellenwert einer Aussage anhand ganz konkreter Kriterien überprüft - zum Beispiel, ob eine Position nur von einem Theologen oder von einem Konzil behauptet wurde; ob diese Aussage eine vorübergehende Erscheinung in der Theologiegeschichte darstellt oder zum dauerhaften Bestand der kirchlichen Lehre gehört - und so weiter. Mühsam für den Autor, mühsam für den Leser.

Deshalb wollen wir hier einen anderen Weg gehen. In aller Kürze wollen wir verstehen, warum eine der Kirche unterstellte Position inhaltlich gar nicht in Frage kommt: weil sie z.B. anderen wesentlichen Lehren der Kirche widerspricht. Oder wir stellen fest, dass eine Lehre der Kirche (entgegen der Behauptung der Kritiker) zum Grundbestand des Glaubens gehört (dem depositum fidei), und das schon seit geraumer Zeit. Auf ausführliche Belege wollen wir also verzichten; über die Richtigkeit unserer Angaben kann sich jeder anschließend (leider mühsam) selbst informieren.

Somit gliedert sich jede Antwort in drei Schritte: Wir wollen zunächst (a) einen populären Irrtum als These formulieren, danach (b) das Problem des Denkfehlers isolieren und (c) erklären, warum die unterstellte Position eigentlich für die Kirche nicht in Frage kommt.
Viele der vorgebrachten Verzerrungen sind allgegenwärtig und oft »allseits bekannt«. Sie zu vertreten ist leicht, vom Gegenteil überzeugt zu werden dagegen mühsam. Deshalb bitten wir abschließend um eine leider vergessene Tugend, die notwendig für jede faire Auseinandersetzung ist: die Benevolentia, das Wohlwollen. Wenn wir jemanden kritisieren, dann sollten wir zunächst bis zum Erweis des Gegenteils davon ausgehen, dass der Kritisierte (in diesem Fall die Kirche) das Gute vertritt und dafür triftige Gründe hat.

1. »Tiere haben keine Seele«

a. »Nach katholischer Ansicht haben Tiere keine Seele.« — Woher dieses hartnäckige Gerücht wirklich stammt, bleibt rätselhaft. Vielleicht lässt es sich dadurch erklären, dass in der christlichen Moral Menschen gegenüber den Tieren einen wesentlich höheren moralischen Wert haben; manche haben vielleicht daraus geschlossen, dass Tiere in den Augen der Christen zu einem rein materiellen Gegenstand degradiert würden. Vielleicht ist aus der Erkenntnis, dass bei Tieren rationales Denken fehlt, der Gedanke entstanden, ihnen würde auch die Seele fehlen. Schließlich könnte aus der philosophischen Erkenntnis, dass Tiere keine »unsterbliche Seele« haben, das Missverständnis entstanden sein, sie hätten »gar keine Seele«.

b. Der Denkfehler: Das Konzept der Seele ist ein philosophisches Modell - kein religiöses. — In der Fernsehsendung »kreuz und quer« über den modernen Atheismus beschwerte sich eine Frau, dass in einem Kindergarten über die Seele gesprochen wurde; das sei eine religiöse Vereinnahmung und Indoktrination. Nun: Ob es eine Seele grundsätzlich gibt oder nicht, gehört zwar zu den Fundamenten, auf denen die meisten Religionen aufbauen. Aber dieses Fundament wurde von den Philosophen gelegt. Aristoteles hat den bis heute auch im Christentum anerkannten Gedanken grundgelegt, dass alles Lebendige sich nur durch die Existenz einer immateriellen Seele erklären lasse. Weder die Behauptung von der Existenz Gottes, noch die von der Freiheit des Menschen oder von der Existenz der Seele ist Gegenstand der Offenbarung, sondern Frucht philosophischer Überlegung.

c. Alles Lebendige hat eine Seele. — So haben mittelalterliche Gelehrte die philosophischen Erkenntnisse der vorangegangenen Philosophen (allen voran Aristoteles) geprüft, übernommen und weiterentwickelt. Aber eben als Philosophen - nicht als Theologen oder Bibelinterpreten. Und zu diesem Konzept gehört seit Aristoteles die »analogia entis«. Diese grundlegende Ähnlichkeit allen Seins (deshalb analogia) hat immer auch beinhaltet, dass alles Lebendige nur insofern lebt, insofern es eine seelische Komponente hat: So haben Pflanzen eine Seele (die anima vegetativa), die Tiere ebenfalls (eine anima sensitiva) und schließlich auch der Mensch (der eine anima rationalis sein eigen nennt). Nur für die letztgenannte anima rationalis gilt, dass sie unsterblich ist und Träger der Individualität; aber ebenso sicher ist, dass Tiere selbstverständlich ebenfalls eine Seele besitzen.

Nachzulesen ist dies z.B. bei Aristoteles in seiner Metaphysik oder im 3. Buch über die Seele (De anima), das sich seinerseits wieder auf Anaxagoras stützt; desweiteren bei allen mittelalterlichen Aristoteles-Rezipienten, allen voran Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Duns Scotus.

Hierüber gibt es übrigens sogar eine Dogmatisierung; obwohl zu einem Dogma normalerweise nur Glaubensaussagen erhoben werden, keine philosophischen Prinzipien. Aber auch wenn die Lehre von der immateriellen Seele ihren Ursprung in der Philosophie hat, ist sie notwendige Voraussetzung für jede religiöse Wahrheit und deshalb sogar in der höchsten Verbindlichkeitsstufe (»de fide«) dogmatisiert.

Trivia. — Interessant ist, dass manche Atheisten behaupten, sie würden mit der grundsätzlichen Leugnung der Existenz einer Seele die Tiere (im Gegensatz zur katholischen Kirche) aufwerten, weil es ohne eine Seele zwischen Tieren und Menschen keinen gravierenden Unterschied mehr gäbe. Der Mensch sei lediglich ein höher entwickeltes Tier, während die Kirche das Tier deutlich gegenüber dem Menschen abwerte. — Das Gegenteil ist der Fall: Wird das Konzept der Seele sowohl für den Menschen als auch fürs Tier gestrichen, wird nicht das Tier aufgewertet, sondern der Mensch abgewertet. Wahre Atheisten sind also nur scheinbar größere Tierfreunde; in Wirklichkeit leugnen sie damit die »unantastbare Würde des Menschen« und rauben ihm somit auch die Pflicht zum Tierschutz.

Interessant ist vielleicht auch - nebenbei bemerkt -, dass die in der katholischen Kirche anerkannte Philosophie den Tieren zwar keine unsterbliche Seele zuerkennt, die katholische Theologie aber auch eine Erlösung und Vollendung der gesamten Schöpfung (inkl. Pflanzen und Tiere) für möglich hält (vgl. z. B. Röm 8,21). Gott mag seine Geschöpfe!
2. »Ohne Religion gibt es keine Moral«

a. »Religionen denken, sie seien die einzige Quelle für Moral und moralisches Verhalten.« — Nun, manche Vertreter von Religionen oder Konfessionen denken dies tatsächlich. Dass alle Religionen auch Gesetze und Vorschriften haben, ist klar. Manche Anhänger der Weltreligionen wie Judentum, Christentum und Islam denken jedoch, alle moralischen Vorschriften erhielten ihre Verbindlichkeit erst durch die Anordnung ihrer höchsten Autorität; deshalb wurden sie dann in heiligen Büchern aufgeschrieben (in der Tora, der Bibel und dem Koran).

So gesehen wäre nur das gut oder böse, was von einer Autorität als solches bezeichnet wird; diese Autorität kann ein Gott sein oder ein Staat, eine Behörde oder ein Guru. Letztlich müsse sich jeder selbst eine Autorität seines Geschmacks wählen und dann deren Festlegungen folgen: Eine unparteiische Abwägung der Autoritäten oder der Grundsätze könne es nicht geben — weil es ja keine übergeordnete Moral gebe. Eine solche Auffassung wird Positivismus genannt (von lat. ponere: setzen, stellen, legen).

b. Der Denkfehler (1): Verwechslung von Ursache und Wirkung: Die Religion predigt eine Moral, erschafft sie aber nicht. — Selbstverständlich predigt die Kirche auch moralische Verhaltensweisen (wie z.B. das Fastengebot), die nur für die Anhänger der jeweiligen Religion gelten. Aber das heißt nicht, dass alles, was eine Religion predigt, ihre eigene Erfindung ist.

Die christliche Religion verurteilt auch Mord, Vergewaltigung und Terrorismus. Muss man daraus folgern, dass sich Nicht-Katholiken daran nicht halten müssen?

c. Die katholische Kirche ist seit jeher Verfechterin des Naturrechtes. — Einen grundsätzlichen Positivismus (d.h. die Vermutung, Gut und Böse werden nur durch Festlegung definiert) hat die katholische Kirche seit jeher abgelehnt. Sie steht in der langen Tradition der Naturrechtsphilosophen, die bereits auf die Ionier zurückgehen, später namentlich auf Aristoteles und Platon. Demnach kann kein Herrscher, kein Staat (und auch kein Gott) das ihm vorgegebene Recht willkürlich setzen. Moral entsteht nicht, weil Gesetze erlassen werden; vielmehr haben sich die Gesetze an dem zu orientieren, was die Erkenntnis der Moral dem Staat vorgibt.

Das Buch von Frans de Waal »Moral ist älter als Religion« ist zwar kirchenkritisch gemeint (obwohl es sehr viel sachlicher und positiver ist als die Bücher von Richard Dawkins), seine These können wir aber sofort unterschreiben: die Moral ist der Religion voraus und muss es immer bleiben!

Wie schon eingangs erwähnt, gibt es Anhänger unter den Religionen und Konfessionen, die der Behauptung »Ja, Gott macht die Moral. Wer sind wir, daran zu zweifeln?« sofort zustimmen würden. Wir kennen eine solche Haltung aus dem Islam und einigen evangelikalen Bewegungen: Gottes Anordnung ersetzt das oft mühsame und naturrechtliche Argumentieren, da Gottes Wort unfehlbar, des Menschen Erkennen aber immer vorläufig ist. Die katholische Moraltheologie prüft dagegen Bibelstellen, Privatoffenbarungen und überlieferte Rechtstraditionen mit der praktischen Vernunft.

3. »Schöpfung meint ein mirakulöses Geschehen«

a. »Wenn etwas naturwissenschaftlich erklärbar ist, können wir Gott als Ursache ausschließen.« — In den Diskussionen zwischen Naturwissenschaften und Theologie herrscht in weiten Bereichen immer noch die Vermutung, Theologie fülle nur die Lücken der natürlichen Welterklärung. Sobald wir etwas erklärt hätten - sei es die Entstehung der Welt, des Lebens oder des Menschen - brauchten wir auch keine Theologie mehr. Dieser Auffassung sind viele Naturwissenschaftler (darunter auch so anerkannte Größen wie Stephen Hawking), aber auch selbsternannte Verteidiger des Schöpfungsglaubens. Wer Gott als Schöpfer retten will, müsse nach Lücken in den physikalischen oder biologischen Theorien suchen.

b. Denkfehler: Gott wird als eine natürliche Größe definiert. Wenn er handelt, muss das auch messbar sein. (Kategorienfehler) — Duncan MacDougall hat vor hundert Jahren einen Menschen kurz vor und kurz nach seinem Tod gewogen und aus dem Gewichtsunterschied geschlossen, dass die Seele 20 Gramm wiegt. Juri Gagarin hat als erster Mensch im Weltall aus der Feststellung, dass er dort keinen Mann mit weißem Bart getroffen hat, auf die Nicht-Existenz Gottes geschlossen. Diese beiden (und noch viele andere, so auch die Vertreter des sogenannten »Intelligent Designs«) begehen einen Kategorienfehler: Gott, Seele und Liebe sind nicht materiell; sie mit materiellen Methoden nachweisen zu wollen, ist daher per definitionem nicht möglich.

Allerdings wirken Gott und die Seele schon in die materielle Welt hinein. Denkbar ist es durchaus, dort Hinweise auf deren Existenz zu finden. Aber diese Hinweise müssen keine physikalischen oder biologischen Lücken in der Wirklichkeit sein: Wer glaubt, in einem anderen Menschen so etwas wie Liebe zu entdecken, erkennt das durch biologische Wahrnehmungen hindurch — und nicht etwa durch das Fehlen von biologischen Realitäten. Wer dann Liebe auf biologische Ursachen reduziert, schließt wieder die Augen vor dem, was er zuvor entdeckt hat.

c. Schöpfung ist sehr wohl denkbar ohne jedes mirakulöse Ereignis. — Roger Hanses schreibt in seinem lesenswerten Blog: »Weißt Du, alle möglichen Leute reden vom „Zeitpunkt der Schöpfung“, wenn sie den Urknall meinen, an dem vermutlich die Welt entstand, wie wir sie kennen. (...) Entweder es gibt keinen Zeitpunkt der Schöpfung, oder er dauert so lange, wie es die Zeit gibt. Das ist doch gerade der Trick! Schöpfung heißt, allen Dingen zugleich ihr Dasein schenken, und das, solange es die Dinge gibt. Mit Schöpfung meinen wir nicht das Anstoßen einer ersten Bewegung, und alles läuft seitdem quasi von selbst weiter. Der Schöpfer kann kein Meister sein, der sich die ersten Dinge ausgedacht und in Schwung gebracht hat. Dann macht er es sich gemütlich, wie ein Angler, der am Fluss sitzt und seine Angel beobachtet. Schöpfung meint nicht, dass mal etwas geschehen ist, sondern dass etwas geschieht. Das ist jedenfalls in den Büchern des heiligen Thomas so, und ich wäre echt gespannt, wo es jemand besser und anders erklären könnte!« (Johannes Roger Hanses)

4. »Die Kirche verlangt blinden Gehorsam«

a. »Die katholische Kirche ist wie eine Sekte: Sie verlangt von allen Mitgliedern absoluten Gehorsam.« — Diese Behauptung ist zwar offensichtlich falsch, sie wird aber selbst von gestandenen Katholiken immer wieder erhoben. Das hat folgenden Vorteil: Das eigene Abweichen von der katholischen Lehre kann dann als mutiger Akt verstanden werden. Als Katholik etwas ganz und gar Unkatholisches zu behaupten, würde normalerweise als inkonsequent wahrgenommen, es sei denn, man inszeniert sich selbst als »Held der Befreiung und Emanzipation«, als jemand, der dem übermächtigen Regime entronnen ist und nun alles das sagt, was er zuvor nicht durfte. Dabei dürfte allen Beteiligten klar sein, dass es heutzutage keine echte »Gefahr durch die Glaubensüberwachungsbehörden« gibt.

Gestützt wird die Mär vom unmündigen Katholiken mit Verweisen auf einzelne Ereignisse der Kirchengeschichte; von der Verfolgung von Glaubens-Abweichlern durch die Inquisition, verschiedenen Ketzer-Prozessen bis zur Absetzung von Professoren (z.B. von Uta Ranke-Heinemann, Eugen Drewermann oder Hans Küng) oder dem »Maulkorb« für Theologen (wie z.B. Leonardo Boff) oder Priester.
b. Gehorsam ist nicht immer eine fremdbestimmte Zwangsverpflichtung; es gibt auch die freie Anerkennung einer Autorität nach reiflicher Prüfung. — Wir unterstellen in der heutigen Gesellschaft leicht, dass jeder Gehorsam eine von außen auferlegte Einschränkung des eigenen Willens und der Persönlichkeit sei. Allerdings gibt es heute sehr viel mehr (falsche oder zumindest unhinterfragte) Autoritäten, denen Massen von Menschen blind folgen; vermutlich mehr als in den meisten anderen Epochen.

Manchmal stellt sich der von außen auferlegte Gehorsam dann bei realistischer Betrachtung als selbstgewählt heraus - gerade in der heutigen Zeit muss keiner mehr katholisch sein, sondern kann, wenn auch in katholischen Gegenden nicht seinen Eintritt in die Kirche, so doch immer seinen Austritt frei bestimmen. Die aktuellen Fälle von Maßregelungen in der Kirche ergeben sich aus der Inkonsequenz der Haltung: So wollten die o.g. Professoren und Theologen im Namen der Kirche lehren, und verbreiten gleichzeitig der Überzeugung der Kirche entgegengesetzte Lehren. Der geforderte Gehorsam entpuppt sich bei näherem Hinsehen eigentlich als Aufforderung zur Konsequenz, entweder die Lehre der Kirche zu vertreten oder dieses Amt zu quittieren. Bischof Dyba hat es einmal so formuliert: Ein Fußballspieler, der ständig nur aufs eigene Tor schießt, darf sich nicht wundern, wenn er irgendwann ausgewechselt wird und nicht mehr spielen darf. Das ist keine Frage des Gehorsams, sondern der Einsicht: Ich bin kein Lehrer der Kirche, wenn ich nicht ihre Lehre vertrete.

c. Eigenverantwortlichkeit, Freiheit und Vertrauen ist für die Hierarchie der Kirche konstitutiv. — Die aufs Ganze gesehen seltenen Fälle von Aufforderungen an katholische Lehrer (ob Bischöfe, Professoren oder Amtsträger), sich an die Lehre zu halten, täuschen darüber hinweg, dass die Hierarchie der Kirche im Vergleich mit allen anderen hierarchischen Ordnungen von Firmen, Institutionen, Parteien oder Vereinen kaum auf Disziplin und Gehorsam baut.

Gegen hartnäckige Gerüchte, der Papst habe dank seiner Unfehlbarkeit nahezu unbegrenzte Macht, spricht ein einfacher Blick auf die Struktur der Kirche: Diese zeichnet sich nämlich durch eine äußerst flache Hierarchie aus - und damit durch eine systembedingte Freiheit und Selbstverantwortlichkeit der unteren Ebenen. Einen global player wie die katholische Kirche mit nur drei Hierarchie-Ebenen - das erfordert eine hohe Eigenständigkeit aller drei Ebenen. Nicht nur die Bischöfe und Pfarrer, sondern auch die Gläubigen können von einer Hierarchie, in der jeweils ein Leiter für mehr als 1000 Untergebenen zuständig ist, keine detaillierten Anweisungen erwarten. Tatsächlich setzen sowohl der Papst den Bischöfen, die Bischöfe den Pfarrern als auch die Pfarrer ihren Gemeindemitgliedern nur sehr wenig Grenzen (Ausnahmen bestätigen diese Regel!). Die Grenzen, die noch gesetzt werden, sind dann allerdings in den Augen der Oberen wesentlich und notwendig, während in den anderen Fragen die Freiheit der Empfänger nicht nur systembedingt, sondern theologisch wesensnotwendig ist.

Der Papst nimmt weder den Eltern die Entscheidung über die richtige Erziehung ab, noch könnte er die Theologie durch Beschluss dazu bringen, etwas Falsches als richtig zu erkennen. Und ich als Pfarrer muss auch erkennen, dass ich den Mitgliedern meiner Pfarrei zwar Mut machen kann, ihren Glauben auch in der Alltagswelt zu bezeugen — aber wie und ob das geschieht, liegt nicht in meiner Verantwortung und auch nicht in meiner Macht. Im Gegenteil: Die Aufgabe der Hierarchie ist es, Freiheit zu ermöglichen und Vertrauen zu schützen - gerade auch durch Durchsetzung von Disziplin. Ein schlechter Lehrer, der bei den Kindern keine Autorität und keine Durchsetzungskraft hat, verhindert nicht nur einen erfolgreichen Unterricht, er nimmt den Kindern durch seine Unfähigkeit sogar die Freiheit, die Unterrichtsstunde eigenverantwortlich zu gestalten, weil das Machtvakuum des Lehrers durch den Gruppendruck ersetzt wird.
So ist die Autorität der Eltern, des Pfarrers, des Bischofs und des Papstes immer eine Verwirklichung von Hierarchie, die Freiheit garantieren soll. Dabei ist jeder auf jeden angewiesen - und alle auf das Wirken des Geistes.

5. »Mission führt zu Gewalt, Atheismus zur Toleranz«

a. »Jeder Gaube, der von seiner eigenen Wahrheit überzeugt ist, führt zur Intoleranz, Mission und schließlich zur Gewalt.« — Nicht nur Richard Dawkins fordert, dass religiösen Menschen die Kinder entzogen werden, damit sie zu freien Menschen erzogen werden könnten: Es scheint eine ausgemachte Sache, dass Religion aus friedliebenden Menschen intolerante, zum Terror neigende Gewalttäter macht. Das mag der momentanen Nachrichtenlage geschuldet sein, derzufolge die Krisenherde und Kriege weltweit zumeist einen religiösen Hintergrund haben.

Vielleicht ist auch die frühere Behauptung, alle Religionen würden doch den gleichen Gott verehren, Grund für diese Ansicht: Wenn alle Religionen im Grunde gleich sind, sich aber ein nicht geringer Teil der Religionen (zumindest in den Nachrichtensendungen) als gewalttätig präsentiert, dann sollten aus Sicherheitsgründen auch alle Religionen abgeschafft werden.

b. Der Denkfehler (1): Keinen religiösen Glauben zu haben, ist auch eine Weltanschauung mit Wahrheitsanspruch. — Es ist ein klassischer Logikfehler: Wer behauptet, es gebe keine Wahrheit, beansprucht zumindest für diese Aussage eine letztgültige Wahrheit. Wer alle Religionen abschaffen oder zumindest relativieren will, wähnt sich ebenfalls im Besitz einer absoluten Wahrheit: Dass es keinen Gott gibt oder dass er zumindest nicht erkannt werden kann. Letztlich krankt dieser Logikfehler an der Selbstbezüglichkeit einer Aussage, die etwas über die Relativität aller Aussagen behauptet; genauso wie der selbstbezügliche Bewohner von Kreta, der behauptet, dass alle Kreter lügen. Lügt er nun auch - oder nicht?

Der Denkfehler (2): Die Verwechslung von Korrelation und Kausalität. — Es ist zwar Tatsache, dass statistisch gesehen die Anzahl der Haare auf dem Kopf eines Mannes in einem direkten, umgekehrt proportionalen Verhältnis zu seinem Vermögen steht. Dennoch kann das Vermögen nicht durch einen Gang zum Friseur vermehrt werden. Ebenso wäre es falsch, von der religiösen Färbung eines gewalttätigen Konfliktes darauf zu schließen, dass sich die Konflikte nennenswert verringern, wenn es keine Religion mehr gäbe.

c. Nicht der Wahrheitsanspruch ist das Ende einer Diskussion, sondern die Leugnung jeder Wahrheit. Nicht die Mission führt zur Gewalt, sondern das Verbot jeder Mission. — Zunächst gilt, dass der überwiegende Anteil der Weltbevölkerung friedliebend ist und sich redlich bemüht, Konflikte, Gewalt und Kriege zu verhindern. Ob das auch eine Frucht der Religion ist, mag strittig sein; zumindest gibt es weder eine signifikante Häufung von Gewalt in den besonders religiös geprägten Regionen, noch eine deutliche Abnahme von Gewalt und Verbrechen in den a-religiösen Gegenden.

Zudem sind die meisten Konflikte dieser Welt politisch und wirtschaftlich motiviert, Religion selbst oft nur ein Vorwand (so gehört der überwiegende Teil der Opfer von IS und al Kaida der eigenen Religion — dem Islam — an). In anderen Regionen der Welt, in denen es keine gesellschaftlichen Verwerfungen gibt, leben die unterschiedlichen Religionen friedlich nebeneinander.

Allerdings ist die Behauptung, alle Religionen verehrten letztlich den gleichen Gott, irreführend. Natürlich gibt nur einen Gott (so der Glaube von Christen, Juden und Muslimen), der auf verschiedene Weise angebetet und verherrlicht wird; aber das jeweilige Gottesbild unterscheidet sich doch so sehr, dass keineswegs von einem »gemeinsamen Gott« die Rede sein kann. Von diesem Gottesbild hängt auch ab, ob sich die Religion für kriegerische Zwecke instrumentalisieren lässt; offensichtlich sind einige Religionen dafür anfälliger als andere. Zur Zeit sind weltweit von allen Menschen, die aus religiösen Gründen verfolgt, diskriminiert, gefoltert oder getötet werden, 80 % Christen.

Ebensowenig sind atheistische oder humanistische Organisationen Garanten für mehr Toleranz oder Gewaltfreiheit. Das belegen sowohl die beiden großen atheistischen Regime des letzten Jahrhunderts (der Nationalsozialismus und der Kommunismus), das gilt zur Zeit für den letzten atheistischen Staat (Nordkorea), das spielt sich aber vor unseren Augen auch in der rechten (Neonazis) und linken (Antifa) Radikalistenszene ab.

Nicht zuletzt zeigt die Erfahrung, dass Menschen, die eine klare Überzeugung haben und diese gut vertreten können (ob nun mit religiösem, politischem oder humanistischem Inhalt), diese auch tatsächlich friedlich vertreten. Ihre Mission ist nicht gewalttätig; Gewalt kommt nicht durch einen wie auch immer gearteten Absolutheitsanspruch ins Spiel. Erst, wenn aus mangelnder Gelegenheit zur Diskussion und zum Disput oder durch Verordnung einer »Wahrheit« durch staatliche Gewalt Argumente unterdrückt werden, entstehen Gewaltszenarien. Ein freies Spiel der religiösen und säkularen Kräfte, die jeweils von der Richtigkeit ihrer Sache überzeugt sind und fähig, diese zu begründen, ist die beste Voraussetzung für den Frieden zwischen verschiedenen Überzeugungen.

6. »Alle Nicht-Katholiken kommen in die Hölle!«

a. »Alle, die einen abweichenden Glauben haben, landen in der Hölle.« — Ich habe im Kommentarbereich einer großen Zeitung folgenden Eintrag entdeckt, der zwar überspitzt ist, aber im Wesen das Problem auf den Punkt bringt:

»Die Sache mit der Hölle ist nämlich so. Als Nichtmitglied einer Religion landet man üblicherweise in deren Hölle. Als Mitglied einer anderen Religion auch. Also landet der Christ in der muslimischen Hölle und umgekehrt, weil sie ja beide das Falsche glauben aus der Sicht der anderen.
Nehmen wir also an, es gibt x Religionen, so gibt es auch x Höllen. Ein Christ landet zwar nicht in der christlichen Hölle, insofern er ohne Sünden ist, aber dafür in allen anderen Höllen, deren Anzahl wir mit x-1 berechnen. Das gilt analog für alle anderen Gläubigen. Für Atheisten sieht es noch übler aus, die landen nämlich in allen Höllen aller Religionen, also x. Das heißt also nichts anderes als dass z.B. Muslime einen enormen Aufwand betreiben, nur um am Ende in gleichviel Höllen zu landen wie ein Christ. Krass oder? Und der Atheist, ja der landet eben in allen Höllen aller Religionen. Aber nur um in einer Hölle weniger zu landen, lohnt sich der Aufwand, den so ein Glaube mit sich bringt (Jungfräulich bleiben, 10% berappen, nach Mekka beten 5 mal am Tag, Fasten, Vollburka tragen usw.), doch schlicht nicht, das muss doch jedem einleuchten, oder?«

b. Der Denkfehler: Verwechslung von Vorstellung und Realität: Es mag beliebig viele Vorstellungen von Himmel und Hölle geben - die Realität nach dem Tod existiert unabhängig von unseren Vorstellungen und Ideologien. — Im Unterricht vermuteten meine Schüler, dass jeder nach dem Tod in »seinen Himmel« komme: Der Buddhist wird wiedergeboren, der Atheist verschwindet einfach und der Christ kommt ins Paradies. Eine Realität, die unabhängig von unseren religiösen Vorstellungen existiert, war für die Schüler unvorstellbar - dann gäbe es ja richtige und falsche Religionen!

Genau das aber offenbart den Denkfehler: Wenn es keine richtigen Religionen gibt, sondern jede Religion ihre Wirklichkeit mitbringt bzw. erschafft, dann kann es auch keine Hölle geben; denn dann hätten ja alle mit ihren noch so gegensätzlichen Vorstellungen recht und jeder wäre in »seinem Himmel«. Gibt es aber für einen Christen beispielsweise eine buddhistische Realität, dann auch für alle anderen. Erst dann ergibt der Gedanke einer »Hölle« einen Sinn.
Die Vermutung der Aufklärung, die Wahrheit der Religionen sei nicht erkennbar (»Nathan der Weise« und die Ringparabel), lässt das Jenseits vielleicht zu einem Roulette-Spiel werden, für eine Leugnung der Realität des Jenseits reicht die Kraft der Aufklärung dagegen nicht aus.

c. Wer in den Himmel kommt, wird von den Religionen sehr unterschiedlich beschrieben. — Der Islam hält sich tatsächlich für die einzige Religion; die Zeugen Jehovas und zahlreiche Evangelikale vermuten ebenfalls eine Verdammung aller Andersgläubigen. Aber das Judentum kennt eine Erlösung auch der anderen Völker (»Die Wallfahrt der Völker am Ende der Tage«, Jes 60), und auch der Buddhismus geht davon aus, dass der Weg der Erleuchtung durch alle Religionen geht (obwohl deren Stand der Erleuchtung sehr unterschiedlich sein kann). Eine besondere Haltung nimmt die katholische Kirche ein, die die Fähigkeit des Menschen, eine Beziehung zum Erlöser Jesus Christus anzunehmen, als Schlüssel zum Himmel ansieht; diese Beziehung kann sogar erst im kommenden Leben angenommen werden, wenn sie in diesem Leben nicht vollumfänglich und ausdrücklich abgelehnt wurde. Mit anderen Worten: Nach Auffassung der katholischen Kirche gelangt jeder in den Himmel, der dort auch hinein will. Die Aufgabe der Kirche und der Katholiken ist es, den Heilswunsch des Menschen auf die himmlische Realität abzustimmen - die letztlich in der Anschauung Gottes und der Gemeinschaft der Erlösten besteht. Nur, wer dieses ausdrücklich nicht will, braucht auch nicht in den Himmel einzutreten.

7. »Wir haben doch alle den gleichen Gott!«

a. »Es gibt ja nur einen Gott. Also verehren alle Religionen doch den gleichen Gott - nur auf verschiedene Weise.« — Die Vermutung, die Religionen unterschieden sich nur in der Art der Verehrung, ist eine Folge der Aufklärung. Demnach kann keiner überhaupt etwas Verlässliches über Gott wissen; wer sich also einer bestimmten Religion anschließt, tut dies entweder nur aus Gründen des persönlichen Geschmacks, privater Vorlieben oder Bequemlichkeit. Nicht die Wahrheit einer Religion und ihres Gottesbildes sei ausschlaggebend (wie auch, wenn es doch überhaupt keine Wahrheit gibt?!), sondern ihre Lebensphilosophie und ihr religiöser Stil.

b. Der Denkfehler: Aus einer willkürlichen Annahme (»Es gibt keine Wahrheit!«) wird auf die Wirklichkeit (»Religion ist nur Ansichtssache!«) geschlossen. — Entgegen dieser Annahme erheben eigentlich alle Religionen sehr wohl einen Wahrheitsanspruch für ihre Aussagen über Gott und das Jenseits. Noch wichtiger: Aus dem Gottesbild einer Religion und der verheißenen Zukunft des Menschen ergeben sich sehr konkrete Aussagen über diese Welt, die Moral und den Menschen. Diese unterscheiden sich in den verschiedenen Religionen außerordentlich und sind durchaus in ihrer Realitätsnähe überprüfbar.

c. Es gibt keine Informationen über konkrete Personen, die in der Hölle schmoren. — Wie in allen Religionsgemeinschaften, Vereinen und Parteien stimmen die Ansichten der Mitglieder nicht immer voll und ganz mit der offiziellen Ansicht der übergeordneten Gemeinschaft überein. So haben sich auch in der katholischen Kirche viele Mitglieder (vom einfachen Gläubigen über Pfarrer, Lehrer, Theologen und Bischöfe) die Frage nach der ewigen Verdammnis vereinfachend zurechtgebogen. Manchmal wurde die Wirklichkeit vielleicht auch aus pädagogischen Gründen reduziert dargestellt - auch Politiker reden in der Öffentlichkeit anders als in Expertenrunden. Dennoch gibt es eine offizielle Lehre, die klare Aussagen auch zur Frage macht, wer im Gericht bestehen wird. Das erste Kriterium dabei ist nicht der richtige Glaube.
Vielmehr spielt in früheren Zeiten vor allem der praktizierte Glaube (also Sakramentenempfang und Gottesdienstbesuch), die praktizierte Nächstenliebe (was mehr ist als nur die Befolgung von Geboten) und — in neuerer Zeit zunehmend betont — die gelebte Gottesbeziehung eine Rolle. Für alle Kriterien gibt es Eckpunkte zur Orientierung, und doch bleibt die letzte Entscheidung über konkrete Menschen allein Gott überlassen.

Natürlich gibt es Heiligsprechungen, die scheinbar die Entscheidungsfreiheit Gottes vorwegnehmen. Dabei wird aber die Heiligkeit eines konkreten Menschen nicht nur nach Aktenlage entschieden, sondern durch die Anerkennung eines Wunders nach dem Tod der betreffenden Person — eine Art »himmlisches Lebenszeichen« als letztes Kriterium.

In anderen Religionen und Konfessionen mag das anders aussehen. Hier unterscheidet sich die katholische Kirche auch deutlich von den Protestanten, die die Heilsbedeutung der Werke abgeschafft haben und allein auf den vertrauensvollen Glauben setzen. Dagegen hält die katholische Kirche an der Bedeutung der Entscheidungen und Handlungen der Menschen fest - und zugleich am universalen Heilswillen Gottes, der darauf abzielt, allen Menschen (aller Religionen) den Eintritt in den Himmel zu ermöglichen.

8. »Wer bin ich, Homosexuelle zu verurteilen?!«

a. Der Papst hat es gesagt: »Wer bin ich, einen Homosexuellen zu verurteilen?« - Also erlaubt zumindest der Papst die gleichgeschlechtliche Beziehung. — Dieser falschen Schlussfolgerung ist nicht viel mehr hinzuzufügen. Eigentlich differenzierte und theologisch exakte Aussagen werden in der Öffentlichkeit undifferenziert aufgenommen. Dazu gehört auch:

9. »Das Zölibat ist kein Dogma«...

a. ...was in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit soviel bedeutet wie: »...also können wir es auch bald abschaffen oder den Priestern freistellen.« — Auch hier wird eine theologische Unterscheidung der Kirche in der Nachrichtenmeldung nicht transportiert und deshalb falsch verstanden. Noch dramatischer ist die Einschätzung, was denn Sünde und was schwere Sünde sei. So hört man gelegentlich:

10. »Die Kirche stellt Mord auf eine Stufe mit künstlicher Empfängnisverhütung und Selbstbefriedigung«

a. Als Papst Franziskus auf der Rückreise von Mexiko auf die Frage eines Journalisten betonte, »im Gegensatz zur Abtreibung ist die Verhütung nichts absolut Böses«, da titelten sogar kirchliche Medien, der Papst erlaube die künstliche Verhütung in Ausnahmefällen. — Auf der einen Seite wird der Kirche vorgeworfen, sie würde zu wenig unterscheiden (z.B. zwischen Mord, Abtreibung und dem Kondomgebrauch); umgekehrt werden dann die geforderten Differenzierungen zwischen den verschiedenen Stufen des Bösen wie ein Freispruch gefeiert.

Die Aufgabe der Medien, die genaue Bedeutung des Gesagten zu analysieren und für ein angemessenes Verständnis zu sorgen, scheitert an der mangelnden theologischen Bildung der meisten Journalisten (und vielleicht auch am mangelnden Willen zur Benevolentia). Dabei erwarte ich kein Spezialwissen — selbst einfachste Standard-Unterscheidungen der Theologie werden von Journalisten, Kritikern und der Öffentlichkeit nicht beachtet.

b. Der Denkfehler: Differenzierte Aussagen werden undifferenziert verstanden. (Kategorienfehler II) — (1) Zu Nr. 8: Die katholische Moralphilosophie unterscheidet zwischen der Veranlagung zu bestimmten Handlungen und der tatsächlich ausgeführten Tat. Eine Veranlagung kann niemals eine Sünde sein; erst eine konkrete Tat kommt überhaupt für eine moralische Beurteilung in Frage. Die Veranlagung zu bestimmten Handlungen, die als unmoralisch gelten (wie z.B. die Pädophilie, Kleptomanie oder das Tourette-Syndrom) werden dementsprechend als ungeordnet, gestört oder krankhaft bezeichnet. Erst eine Handlung kann moralisch bewertet oder verurteilt werden. Die Verurteilung einer Person im Sinne der Bewertung des Heilszustandes steht überhaupt nur Gott zu.

(2) Zum »Irrtum Nr. 9«: Die katholische Theologie unterscheidet zwischen definierten Glaubenssätzen (Dogmen) und anderen, weniger zentralen Anordnungen, Vorschriften oder Regeln. Die öffentliche Wahrnehmung versteht hingegen unter der theologischen Klassifizierung, dass eine bestimmte Regel »kein Dogma« sei, eher die Ankündigung, diese Regel werde bald aufgegeben oder in das persönliche Belieben des Einzelnen gestellt.

(3) Zu Nr. 10: In jeder Teildisziplin der Theologie gibt es zahlreiche weitere Unterscheidungen, die in den Medien oft nicht berücksichtigt, geschweige denn vermittelt werden - so z.B. die unterschiedliche Gewichtung von moralischen Vergehen und darüberhinaus die Frage, was alles Sünde sei.

c. Theologische und moralische Unterscheidungen sind keine Spitzfindigkeiten, sondern eine Frage der Gerechtigkeit und Menschlichkeit. — Die Unterscheidungen der katholischen Theologie in Fragen der Moral erscheinen vielleicht unbedarften Beobachtern als spitzfindig und ausgemachten Kritikern als Augenwischerei, dennoch entsprechen sie den allgemeinen Prinzipien der philosophischen Moral und zudem der deutschen Rechtsprechung: (1) Selbstverständlich wird niemand wegen seiner Neigung verurteilt, sondern nur aufgrund erwiesener Vergehen; darüberhinaus urteilt die Moraltheologie nur über Handlungen und nicht über Personen; (2) genauso wie es im staatlichen Recht eine Unterscheidung zwischen Menschenrechtsverletzungen, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gibt, unterscheidet auch die katholische Moraltheologie zwischen göttlichem Recht und einer rein kirchlichen Disziplin. (3) Ob eine Tat gegen die Menschenrechte oder gegen eine rein kirchliche Vorschrift gerichtet ist, lässt allerdings keinen eindeutigen Rückschluss darauf zu, ob es sich um eine schwere oder lässliche Sünde gehandelt hat. Die Kriterien für eine schwere Sünde umfassen nämlich auch die Wissentlichkeit, Freiwilligkeit und Wichtigkeit - im Gegensatz zu lässlichen Sünden, die z.B. unabsichtlich begangen wurden.

(1) Die Äußerung des Papstes, er würde keinen Homosexuelle verurteilen, die sich um ein Leben aus dem Glauben bemühen, ist daher aus gleich zwei Gründen nichts Besonderes und daher keiner eigenen Meldung wert, sondern vielmehr die Standardauffassung der katholischen Moral: Zum einen verurteilt die Moraltheologie niemals Personen, sondern immer nur Handlungen; zum anderen verurteilt sie ebensowenig Neigungen oder Veranlagungen, wenn diese nicht zu unerlaubten Handlungen führen. — Die Frage, ob und welche homosexuellen Handlungen moralisch zu verwerfen sind, ist damit also noch gar nicht berührt.

(2) Zu den Dogmen der Kirche (es gibt übrigens viel weniger, als man glaubt) gehören die Kernaussagen der Theologie und der Moral. Viele Fragen der Disziplin und Kirchenordnung (z.B. der Fastenzeit, der Liturgie oder der Wahl des Papstes) sind prinzipiell änderbar und keine Dogmen. Vom römisch-katholischen Zölibatsgesetz gibt es tatsächlich Ausnahmen (z.B. bei evangelischen Pfarrerkonvertiten oder Priestern der orthodox-unierten Kirche).

(3) Wenn der Papst oder irgendein anderer darauf hinweist, dass es einen unterschiedlichen Schweregrad in den Verstößen gegen Moral und Menschlichkeit gibt, so ist damit noch nichts über deren Relativität gesagt. Selbstverständlich ist es ein Unterschied, einen Menschen zu töten (und Abtreibung tötet ungeborene Menschen) oder die Ehe zu brechen; dennoch heißt das nicht, dass Ehebruch somit in Ausnahmefällen erlaubt sei.

Bei der Frage der künstlichen Empfängnisverhütung ist zudem die Motivation ausschlaggebend: Wird z.B. ein Hormonpräparat, dass verhütende Wirkung hat, aus therapeutischen Gründen genommen, so ist die Verhinderung einer Schwangerschaft nur eine Nebenwirkung. Aber das wäre ein Thema für sich.
11. »Die katholische Kirche besitzt unermessliche Reichtümer!«

a. Die katholische Kirche ist insgesamt milliardenschwer - wahrscheinlich sogar im Besitz mehrerer Billionen. Der Vatikan könnte den Hunger der Welt mit einem Bruchteil dieses Reichtums stillen. — Tatsächlich sind die Besitztümer der Bistümer, Pfarreien und Klöster weltweit zusammengenommen unermesslich. Abgesehen von den Immobilien, die sich weltweit im Besitz der Kirche befinden, gehören ihr auch Vermögenswerte, die bislang noch keiner auch nur annähernd geschätzt hat. Es liegt nahe, die katholische Kirche mit einer Weltmarke (wie z.B. Apple oder Coca-Cola) zu vergleichen und angesichts ihres sozialen Anspruchs und der gepredigten Nächstenliebe zu erwarten, dass sie diese Vermögenswerte für das Wohl der Menschen einsetzt.

b. Der Denkfehler: Die katholische Kirche ist kein Firmenkonsortium; die Teilkirchen, Ordensgemeinschaften und Institutionen sind rechtlich und finanziell eigenständig. — Tatsächlich gibt es zwar eine ausgeklügelte Hierarchie in theologischen und geistlichen Bereichen (z.B. was Bischofsernennungen durch den Papst oder Wahlen von Vorstehern der Ordensgemeinschaften angeht), die Organisationseinheiten der Kirche (Bistümer, Pfarreien, Klöster und auch viele Vereine und Einrichtungen wie z.B. Krankenhäuser oder Schulen) sind aber rechtlich und finanziell unabhängig. Das kennen wir vielleicht auch aus Firmen-Konsortien, die über Tochterfirmen und gegenseitige Beteiligungen miteinander verbunden, aber dennoch rechtlich eigenständig sind. In der katholischen Kirche gibt es aber auch keine rechtlichen oder finanziellen Querverbindungen: Der Vatikan hat keinen Zugriff auf die Finanzen der 5000 Bistümer, die Bistümer haben keine Möglichkeit, sich in die Finanzen der Ordensgemeinschaften oder Klöster einzumischen, und in weiten Teilen der Welt sind auch die Pfarreien rechtlich und finanziell eigenständig.

Zweiter Denkfehler: Ein großer Besitz bedeutet nicht gleichzeitig auch ein hohes Einkommen. — Für historische Kirchen und Klostergebäude gilt sogar das Gegenteil: Sie verursachen enorme Kosten, die (im Gegensatz zu Schlössern, Opernhäusern oder Palästen) nicht durch Eintritte finanziert werden können. Kirchliche Kunst war immer eine Kunst vom und für das Volk; der Prunk der Schlösser z.B. in Versailles blieb dagegen dem Volk vorenthalten.

Dritter Denkfehler: Entscheidend ist nicht, wieviel jemand besitzt, sondern was mit dem Besitz geschieht. — So ist das Rote Kreuz nicht deswegen schon verwerflich, weil es über Immobilien und Vermögenswerte in Milliardenhöhe verfügt. Immerhin braucht eine effektive Hilfe weltweit eine Ausrüstung, gelagerte Hilfsgüter, eine Infrastruktur in Form von Fahrzeugen, Flugzeugen und Schiffen und eine Anzahl von fest angestellten Mitarbeitern. Ob die katholische Kirche als »reich« eingeschätzt werden sollte, orientiert sich also nicht an der Größe des Besitzes, sondern an dessen Verwendung.

Vierter Denkfehler: Die Vermögenswerte der Kirche sind sehr ungleich verteilt. — So gilt die deutsche Kirche als eine der reichsten Kirchen weltweit. Obwohl: Genau genommen gibt es die deutsche Kirche nicht, sie besteht vielmehr aus 27 selbstständigen Diözesen (die finanziell tatsächlich fast alle sehr gut aufgestellt sind). In den meisten Ländern dieser Welt jedoch (nicht nur in der »Dritten Welt«, sondern z.B. auch in Frankreich) ist die Kirche arm und hat gerade das Nötigste, um ihre Mitarbeiter zu bezahlen und zahlreiche Hilfsprojekte aufrechtzuerhalten. Für den Erhalt historischer Gebäude ist sie oftmals auf Unterstützung von nichtkirchlichen Einrichtungen angewiesen.

c. Das, was allgemein als wohltätig angesehen wird, schließt das Kerngeschäft der Kirche nicht mit ein. — In einem Film aus den 60-er Jahren (dem ein Roman aus den 50-er Jahren zugrunde liegt) mit dem Titel »In den Schuhen des Fischers« verkauft ein modern eingestellter Papst den Petersdom, den Vatikan und alle weiteren Besitztümer, um mit der Abwendung einer Hungersnot in China einen Dritten Weltkrieg zu verhindern. Das klingt gut — ist aber zunächst aus einem einfachen Grund unrealistisch: Es wird sich schwerlich ein Käufer für Immobilien finden, die kein Geld einbringen, sondern nur verschlingen. Aus einem anderen Grund jedoch ist dieses Szenario unglaubwürdig: Die Gottesdienstgebäude der katholischen Kirche dienen ja einem Zweck - den Gottesdiensten! Entweder ein potentieller Käufer müsse der Kirche das Feiern von Gottesdiensten auch weiterhin zusichern (womit sich eine anderweitige Nutzung z.B. als Filmstudio oder Freizeitpark verbietet), oder die Kirche müsste das erworbene Geld für neue Gottesdienstgebäude ausgeben - was das Problem nur verlagert.

Denn in Wirklichkeit sehen Kirchenkritiker nur in dem sozialen Engagement der Kirche einen Nutzen; nicht in der Feier von Gottesdiensten, Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. Der geistliche Trost, die Feier der Verherrlichung Gottes und die Hebung des menschlichen Geistes sind in ihren Augen vermutlich sinnlose Ziele, die keinen Euro wert sind.
Das sieht die Kirche naturgemäß anders, und so hat auch ein Heiliger Franziskus, der als Vorbild der Armut gilt, seinen Brüdern aufgetragen, in jedem Ort, an den sie kommen, zunächst für eine angemessene Ausstattung der Gottesdienste zu sorgen — und sich erst dann um die Armen zu kümmern. Denn das Wichtigste, was den Armen geschenkt werden kann, sei die Vermittlung der Gnade. Dass sich letztlich beide Aufgaben der Kirche einander nicht ausschließen, sondern gegenseitig ergänzen, zeigt die lebendige Geschichte der Kirche in den Missionsländern dieser Welt. Wer aber an keinen Gott glaubt, wird auch keinen Sinn in würdigen Gottesdiensten und ihrer Ausstattung sehen.

12. Ein Mord kann vergeben werden, eine Wiederheirat nicht?

a. »Die Kirche sollte verzeihen und einen Neuanfang ermöglichen!« Wenn das für jedes Verbrechen gilt, dann doch auch für eine Wieder-Heirat nach einer gescheiterten Ehe! — Wendet sich der Anspruch der Kirche nicht gegen sie selbst: Soll die Kirche nicht vergeben, wenn ein Sünder darum bittet? Darf die Kirche einen Neubeginn nach einer gescheiterten Ehe verweigern, wenn man doch das Vergangene bereut? Natürlich! Das gilt sogar für Schwerverbrecher wie Mörder oder Räuber. Und das soll nicht für gescheiterte Ehen gelten? Wenn doch die erste Ehe ein Fehler war, sollte man nicht vergeben, vergessen und verzeihen?

b. Der Denkfehler: Der zu bereuende Fehler ist nicht die erste Ehe, sondern die Wiederheirat. — An der Vergebung der Sünden wird kein Abstrich gemacht, sie gilt unbedingt. Aber die Kirche hat eine leicht abweichende Meinung von dem, was denn vergeben werden soll: »Die erste Ehe? Wieso soll sie eine Sünde oder ein Fehler gewesen sein?« Selbst, wenn der geschiedene (und vielleicht schuldlos verlassene) Ehepartner die erste Eheschließung bereut: Eine Sünde war sie allein aus diesem Grund noch nicht. Die Kirche kann deshalb auch nicht vergeben, was nicht prinzipiell von Übel ist.

c. Selbst wenn die Schuld am Zerbrechen bereut und vergeben werden sollte, ist dadurch die erste Ehe nicht beendet. — Wenn es im Zusammenhang mit einer Ehescheidung eine Sünde gibt, deren Vergebung schwierig ist, dann ist es die zweite Ehe - nicht die erste; auch nicht das Scheitern der ersten Ehe. Denn vergeben werden kann nur dem, der um Vergebung bittet. Jemandem, der vor Gott die zweite Ehe nicht als Schuld, sondern als gutes Recht ansieht - dem zu vergeben, wäre Anmaßung, und es wäre ganz sicher nicht Gottes Art.
Natürlich ist mit diesen Hinweisen die schwierige Situation von Katholiken, die nach einer Scheidung in einer zweiten Ehe leben, nicht gelöst. Vielmehr gibt es ja auch oft genug Pflichten aus der zweiter Ehe; eine simple Rückkehr zum ersten Ehepartner kann deshalb auch zu Pflichtverletzungen führen. Aber daraus folgt natürlich nicht, dass es ein Recht darauf gibt, zwei Ehepartner (den ersten und den aktuellen) gleichzeitig zu haben. So ermahnt Papst Franziskus die Seelsorger (Bischöfe und Priester) aus gutem Grund zur genauen Prüfung der Einzelfälle.

Wünschenswert ist aber immer ein Neuanfang. Allerdings bezieht sich das »neue Anfangen« immer auch auf die erste Ehe. Ein solcher Neuanfang ist tatsächlich immer und jederzeit möglich - nichts würde die Kirche mehr unterstützen. Leider ist das gelegentlich nicht möglich - zum Beispiel, wenn der erste Ehepartner sich endgültig abgewendet hat. Darin liegt ja die Größe der Tragödie begründet.