Es gibt im Grunde zwei Arten, sich einer Kritik an einer religiösen Aussage
zu erwehren: Entweder man kann erklären, warum diese Aussage (dennoch) wahr
ist und eventuell sogar gut, heilsam und hilfreich. Oder man stellt fest,
dass diese religiöse Position gar nicht zur eigenen Religion gehört. Die
erste Art der Antwort versuchen wir in unseren Katechesen, der zweiten Art
zu antworten dient, diese Zusammenstellung.
Nun ist es immer einfach zu behaupten, man sei gar nicht so schlecht
und so verrückt, wie andere berichten, schwieriger ist es jedoch nachzuweisen,
dass eine Aussage über die Kirche unzutreffend und eine Unterstellung sei.
Denn gerade in unserer Kirche gibt es viel Freiheit (schon wieder eine Behauptung
wider alle Klischees), so dass jeder Theologe glaubt, etwas anderes behaupten
zu können als sein Nachbar oder Vorgänger. Es dürfte keine Schwierigkeit sein,
für nahezu jede Aussage in der langen Geschichte der Kirche irgendeinen Theologen
zu finden, der diese untermauert - und einen anderen Theologen, Bischof oder
Priester, der sich dagegen verwahrt. Was aber nun ist die eigentliche Position
der Kirche? Und woran erkennen wir, dass eine irgendwann und irgendwo tatsächlich
vorgetragene Meinung nicht die Lehre der Kirche wiedergibt?
Der Leser einer wissenschaftlichen Arbeit müsste sich nun auf eine mühsame
Quellenarbeit gefasst machen, die den Stellenwert einer Aussage anhand ganz
konkreter Kriterien überprüft - zum Beispiel, ob eine Position nur von einem
Theologen oder von einem Konzil behauptet wurde; ob diese Aussage
eine vorübergehende Erscheinung in der Theologiegeschichte darstellt oder
zum dauerhaften Bestand der kirchlichen Lehre gehört - und so weiter. Mühsam
für den Autor, mühsam für den Leser.
Deshalb wollen wir hier einen anderen Weg gehen. In aller Kürze wollen wir
verstehen, warum eine der Kirche unterstellte Position inhaltlich gar
nicht in Frage kommt: weil sie z.B. anderen wesentlichen Lehren der Kirche
widerspricht. Oder wir stellen fest, dass eine Lehre der Kirche (entgegen
der Behauptung der Kritiker) zum Grundbestand des Glaubens gehört (dem depositum
fidei), und das schon seit geraumer Zeit. Auf ausführliche Belege wollen
wir also verzichten; über die Richtigkeit unserer Angaben kann sich jeder
anschließend (leider mühsam) selbst informieren.
Somit gliedert sich jede Antwort in drei Schritte: Wir wollen zunächst (a)
einen populären Irrtum als These formulieren, danach (b) das Problem des Denkfehlers
isolieren und (c) erklären, warum die unterstellte Position eigentlich für
die Kirche nicht in Frage kommt.
Viele der vorgebrachten Verzerrungen sind allgegenwärtig und oft »allseits
bekannt«. Sie zu vertreten ist leicht, vom Gegenteil überzeugt zu werden dagegen
mühsam. Deshalb bitten wir abschließend um eine leider vergessene Tugend,
die notwendig für jede faire Auseinandersetzung ist: die Benevolentia,
das Wohlwollen. Wenn wir jemanden kritisieren, dann sollten wir zunächst bis
zum Erweis des Gegenteils davon ausgehen, dass der Kritisierte (in diesem
Fall die Kirche) das Gute vertritt und dafür triftige Gründe hat.
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KARL-LEISNER-JUGEND |
Zwölf populäre Irrtümer über den katholischen Glauben und die Kirche
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a. »Nach katholischer Ansicht haben Tiere keine Seele.« Woher dieses
hartnäckige Gerücht wirklich stammt, bleibt rätselhaft. Vielleicht lässt es
sich dadurch erklären, dass in der christlichen Moral Menschen gegenüber den
Tieren einen wesentlich höheren moralischen Wert haben; manche haben vielleicht
daraus geschlossen, dass Tiere in den Augen der Christen zu einem rein materiellen
Gegenstand degradiert würden. Vielleicht ist aus der Erkenntnis, dass bei
Tieren rationales Denken fehlt, der Gedanke entstanden, ihnen würde auch die
Seele fehlen. Schließlich könnte aus der philosophischen Erkenntnis, dass
Tiere keine »unsterbliche Seele« haben, das Missverständnis entstanden sein,
sie hätten »gar keine Seele«.
b. Der Denkfehler: Das Konzept der Seele ist ein philosophisches Modell
- kein religiöses. In der Fernsehsendung »kreuz und quer« über den modernen
Atheismus beschwerte sich eine Frau, dass in einem Kindergarten über die Seele
gesprochen wurde; das sei eine religiöse Vereinnahmung und Indoktrination.
Nun: Ob es eine Seele grundsätzlich gibt oder nicht, gehört zwar zu den Fundamenten,
auf denen die meisten Religionen aufbauen. Aber dieses Fundament wurde von
den Philosophen gelegt. Aristoteles hat den bis heute auch im Christentum
anerkannten Gedanken grundgelegt, dass alles Lebendige sich nur durch die
Existenz einer immateriellen Seele erklären lasse. Weder die Behauptung von
der Existenz Gottes, noch die von der Freiheit des Menschen oder von der Existenz
der Seele ist Gegenstand der Offenbarung, sondern Frucht philosophischer Überlegung.
c. Alles Lebendige hat eine Seele. So haben mittelalterliche Gelehrte
die philosophischen Erkenntnisse der vorangegangenen Philosophen (allen voran
Aristoteles) geprüft, übernommen und weiterentwickelt. Aber eben als Philosophen
- nicht als Theologen oder Bibelinterpreten. Und zu diesem Konzept gehört
seit Aristoteles die »analogia entis«. Diese grundlegende Ähnlichkeit allen
Seins (deshalb analogia) hat immer auch beinhaltet, dass alles Lebendige
nur insofern lebt, insofern es eine seelische Komponente hat: So haben Pflanzen
eine Seele (die anima vegetativa), die Tiere ebenfalls (eine anima
sensitiva) und schließlich auch der Mensch (der eine anima rationalis
sein eigen nennt). Nur für die letztgenannte anima rationalis gilt,
dass sie unsterblich ist und Träger der Individualität; aber ebenso sicher
ist, dass Tiere selbstverständlich ebenfalls eine Seele besitzen.
Nachzulesen ist dies z.B. bei Aristoteles in seiner Metaphysik oder im 3. Buch über die Seele (De anima), das sich seinerseits wieder auf Anaxagoras stützt; desweiteren bei allen mittelalterlichen Aristoteles-Rezipienten, allen voran Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Duns Scotus.
Hierüber gibt es übrigens sogar eine Dogmatisierung; obwohl zu einem Dogma normalerweise nur Glaubensaussagen erhoben werden, keine philosophischen Prinzipien. Aber auch wenn die Lehre von der immateriellen Seele ihren Ursprung in der Philosophie hat, ist sie notwendige Voraussetzung für jede religiöse Wahrheit und deshalb sogar in der höchsten Verbindlichkeitsstufe (»de fide«) dogmatisiert.
Trivia. Interessant ist, dass manche Atheisten behaupten, sie würden mit der grundsätzlichen Leugnung der Existenz einer Seele die Tiere (im Gegensatz zur katholischen Kirche) aufwerten, weil es ohne eine Seele zwischen Tieren und Menschen keinen gravierenden Unterschied mehr gäbe. Der Mensch sei lediglich ein höher entwickeltes Tier, während die Kirche das Tier deutlich gegenüber dem Menschen abwerte. Das Gegenteil ist der Fall: Wird das Konzept der Seele sowohl für den Menschen als auch fürs Tier gestrichen, wird nicht das Tier aufgewertet, sondern der Mensch abgewertet. Wahre Atheisten sind also nur scheinbar größere Tierfreunde; in Wirklichkeit leugnen sie damit die »unantastbare Würde des Menschen« und rauben ihm somit auch die Pflicht zum Tierschutz.
Interessant ist vielleicht auch - nebenbei bemerkt -, dass die in der katholischen Kirche anerkannte Philosophie den Tieren zwar keine unsterbliche Seele zuerkennt, die katholische Theologie aber auch eine Erlösung und Vollendung der gesamten Schöpfung (inkl. Pflanzen und Tiere) für möglich hält (vgl. z. B. Röm 8,21). Gott mag seine Geschöpfe!
a. »Religionen denken, sie seien die einzige Quelle für Moral und moralisches
Verhalten.« Nun, manche Vertreter von Religionen oder Konfessionen denken
dies tatsächlich. Dass alle Religionen auch Gesetze und Vorschriften
haben, ist klar. Manche Anhänger der Weltreligionen wie Judentum, Christentum
und Islam denken jedoch, alle moralischen Vorschriften erhielten ihre
Verbindlichkeit erst durch die Anordnung ihrer höchsten Autorität; deshalb
wurden sie dann in heiligen Büchern aufgeschrieben (in der Tora, der Bibel
und dem Koran).
So gesehen wäre nur das gut oder böse, was von einer Autorität als solches
bezeichnet wird; diese Autorität kann ein Gott sein oder ein Staat, eine Behörde
oder ein Guru. Letztlich müsse sich jeder selbst eine Autorität seines Geschmacks
wählen und dann deren Festlegungen folgen: Eine unparteiische Abwägung der
Autoritäten oder der Grundsätze könne es nicht geben weil es ja keine übergeordnete
Moral gebe. Eine solche Auffassung wird Positivismus genannt (von lat.
ponere: setzen, stellen, legen).
b. Der Denkfehler (1): Verwechslung von Ursache und Wirkung: Die Religion
predigt eine Moral, erschafft sie aber nicht. Selbstverständlich predigt
die Kirche auch moralische Verhaltensweisen (wie z.B. das Fastengebot), die
nur für die Anhänger der jeweiligen Religion gelten. Aber das heißt nicht,
dass alles, was eine Religion predigt, ihre eigene Erfindung ist.
Die christliche Religion verurteilt auch Mord, Vergewaltigung und Terrorismus. Muss man daraus folgern, dass sich Nicht-Katholiken daran nicht halten müssen?
c. Die katholische Kirche ist seit jeher Verfechterin des Naturrechtes. Einen grundsätzlichen Positivismus (d.h. die Vermutung, Gut und Böse werden nur durch Festlegung definiert) hat die katholische Kirche seit jeher abgelehnt. Sie steht in der langen Tradition der Naturrechtsphilosophen, die bereits auf die Ionier zurückgehen, später namentlich auf Aristoteles und Platon. Demnach kann kein Herrscher, kein Staat (und auch kein Gott) das ihm vorgegebene Recht willkürlich setzen. Moral entsteht nicht, weil Gesetze erlassen werden; vielmehr haben sich die Gesetze an dem zu orientieren, was die Erkenntnis der Moral dem Staat vorgibt.
Das Buch von Frans de Waal »Moral ist älter als Religion« ist zwar kirchenkritisch gemeint (obwohl es sehr viel sachlicher und positiver ist als die Bücher von Richard Dawkins), seine These können wir aber sofort unterschreiben: die Moral ist der Religion voraus und muss es immer bleiben!
Wie schon eingangs erwähnt, gibt es Anhänger unter den Religionen und Konfessionen, die der Behauptung »Ja, Gott macht die Moral. Wer sind wir, daran zu zweifeln?« sofort zustimmen würden. Wir kennen eine solche Haltung aus dem Islam und einigen evangelikalen Bewegungen: Gottes Anordnung ersetzt das oft mühsame und naturrechtliche Argumentieren, da Gottes Wort unfehlbar, des Menschen Erkennen aber immer vorläufig ist. Die katholische Moraltheologie prüft dagegen Bibelstellen, Privatoffenbarungen und überlieferte Rechtstraditionen mit der praktischen Vernunft.
a. »Wenn etwas naturwissenschaftlich erklärbar ist, können wir Gott als
Ursache ausschließen.« In den Diskussionen zwischen Naturwissenschaften
und Theologie herrscht in weiten Bereichen immer noch die Vermutung, Theologie
fülle nur die Lücken der natürlichen Welterklärung. Sobald wir etwas erklärt
hätten - sei es die Entstehung der Welt, des Lebens oder des Menschen - brauchten
wir auch keine Theologie mehr. Dieser Auffassung sind viele Naturwissenschaftler
(darunter auch so anerkannte Größen wie Stephen Hawking), aber auch selbsternannte
Verteidiger des Schöpfungsglaubens. Wer Gott als Schöpfer retten will, müsse
nach Lücken in den physikalischen oder biologischen Theorien suchen.
b. Denkfehler: Gott wird als eine natürliche Größe definiert. Wenn er handelt,
muss das auch messbar sein. (Kategorienfehler) Duncan MacDougall hat
vor hundert Jahren einen Menschen kurz vor und kurz nach seinem Tod gewogen
und aus dem Gewichtsunterschied geschlossen, dass die Seele 20 Gramm wiegt.
Juri Gagarin hat als erster Mensch im Weltall aus der Feststellung, dass er
dort keinen Mann mit weißem Bart getroffen hat, auf die Nicht-Existenz Gottes
geschlossen. Diese beiden (und noch viele andere, so auch die Vertreter des
sogenannten »Intelligent Designs«) begehen einen Kategorienfehler: Gott, Seele
und Liebe sind nicht materiell; sie mit materiellen Methoden nachweisen zu
wollen, ist daher per definitionem nicht möglich.
Allerdings wirken Gott und die Seele schon in die materielle Welt hinein.
Denkbar ist es durchaus, dort Hinweise auf deren Existenz zu finden. Aber
diese Hinweise müssen keine physikalischen oder biologischen Lücken in der
Wirklichkeit sein: Wer glaubt, in einem anderen Menschen so etwas wie Liebe
zu entdecken, erkennt das durch biologische Wahrnehmungen hindurch und nicht
etwa durch das Fehlen von biologischen Realitäten. Wer dann Liebe auf biologische
Ursachen reduziert, schließt wieder die Augen vor dem, was er zuvor entdeckt
hat.
c. Schöpfung ist sehr wohl denkbar ohne jedes mirakulöse Ereignis.
Roger Hanses schreibt in seinem lesenswerten Blog: »Weißt Du, alle möglichen
Leute reden vom Zeitpunkt der Schöpfung, wenn sie den Urknall meinen, an
dem vermutlich die Welt entstand, wie wir sie kennen. (...) Entweder es gibt
keinen Zeitpunkt der Schöpfung, oder er dauert so lange, wie es die Zeit gibt.
Das ist doch gerade der Trick! Schöpfung heißt, allen Dingen zugleich ihr
Dasein schenken, und das, solange es die Dinge gibt. Mit Schöpfung meinen
wir nicht das Anstoßen einer ersten Bewegung, und alles läuft seitdem quasi
von selbst weiter. Der Schöpfer kann kein Meister sein, der sich die ersten
Dinge ausgedacht und in Schwung gebracht hat. Dann macht er es sich gemütlich,
wie ein Angler, der am Fluss sitzt und seine Angel beobachtet. Schöpfung meint
nicht, dass mal etwas geschehen ist, sondern dass etwas geschieht. Das ist
jedenfalls in den Büchern des heiligen Thomas so, und ich wäre echt gespannt,
wo es jemand besser und anders erklären könnte!« (Johannes Roger Hanses)
a. »Die katholische Kirche ist wie eine Sekte: Sie verlangt von allen
Mitgliedern absoluten Gehorsam.« Diese Behauptung ist zwar offensichtlich
falsch, sie wird aber selbst von gestandenen Katholiken immer wieder erhoben.
Das hat folgenden Vorteil: Das eigene Abweichen von der katholischen Lehre
kann dann als mutiger Akt verstanden werden. Als Katholik etwas ganz und gar
Unkatholisches zu behaupten, würde normalerweise als inkonsequent wahrgenommen,
es sei denn, man inszeniert sich selbst als »Held der Befreiung und Emanzipation«,
als jemand, der dem übermächtigen Regime entronnen ist und nun alles das sagt,
was er zuvor nicht durfte. Dabei dürfte allen Beteiligten klar sein, dass
es heutzutage keine echte »Gefahr durch die Glaubensüberwachungsbehörden«
gibt.
Gestützt wird die Mär vom unmündigen Katholiken mit Verweisen auf einzelne
Ereignisse der Kirchengeschichte; von der Verfolgung von Glaubens-Abweichlern
durch die Inquisition, verschiedenen Ketzer-Prozessen bis zur Absetzung von
Professoren (z.B. von Uta Ranke-Heinemann, Eugen Drewermann oder Hans Küng)
oder dem »Maulkorb« für Theologen (wie z.B. Leonardo Boff) oder Priester.
b. Gehorsam ist nicht immer eine fremdbestimmte Zwangsverpflichtung; es
gibt auch die freie Anerkennung einer Autorität nach reiflicher Prüfung.
Wir unterstellen in der heutigen Gesellschaft leicht, dass jeder Gehorsam
eine von außen auferlegte Einschränkung des eigenen Willens und der Persönlichkeit
sei. Allerdings gibt es heute sehr viel mehr (falsche oder zumindest unhinterfragte)
Autoritäten, denen Massen von Menschen blind folgen; vermutlich mehr als in
den meisten anderen Epochen.
Manchmal stellt sich der von außen auferlegte Gehorsam dann bei realistischer
Betrachtung als selbstgewählt heraus - gerade in der heutigen Zeit muss keiner
mehr katholisch sein, sondern kann, wenn auch in katholischen Gegenden nicht
seinen Eintritt in die Kirche, so doch immer seinen Austritt frei bestimmen.
Die aktuellen Fälle von Maßregelungen in der Kirche ergeben sich aus der Inkonsequenz
der Haltung: So wollten die o.g. Professoren und Theologen im Namen der Kirche
lehren, und verbreiten gleichzeitig der Überzeugung der Kirche entgegengesetzte
Lehren. Der geforderte Gehorsam entpuppt sich bei näherem Hinsehen eigentlich
als Aufforderung zur Konsequenz, entweder die Lehre der Kirche zu vertreten
oder dieses Amt zu quittieren. Bischof Dyba hat es einmal so formuliert: Ein
Fußballspieler, der ständig nur aufs eigene Tor schießt, darf sich nicht wundern,
wenn er irgendwann ausgewechselt wird und nicht mehr spielen darf. Das ist
keine Frage des Gehorsams, sondern der Einsicht: Ich bin kein Lehrer der Kirche,
wenn ich nicht ihre Lehre vertrete.
c. Eigenverantwortlichkeit, Freiheit und Vertrauen ist für die Hierarchie
der Kirche konstitutiv. Die aufs Ganze gesehen seltenen Fälle von Aufforderungen
an katholische Lehrer (ob Bischöfe, Professoren oder Amtsträger), sich an
die Lehre zu halten, täuschen darüber hinweg, dass die Hierarchie der Kirche
im Vergleich mit allen anderen hierarchischen Ordnungen von Firmen, Institutionen,
Parteien oder Vereinen kaum auf Disziplin und Gehorsam baut.
Gegen hartnäckige Gerüchte, der Papst habe dank seiner Unfehlbarkeit nahezu
unbegrenzte Macht, spricht ein einfacher Blick auf die Struktur der Kirche:
Diese zeichnet sich nämlich durch eine äußerst flache Hierarchie aus
- und damit durch eine systembedingte Freiheit und Selbstverantwortlichkeit
der unteren Ebenen. Einen global player wie die katholische Kirche
mit nur drei Hierarchie-Ebenen - das erfordert eine hohe Eigenständigkeit
aller drei Ebenen. Nicht nur die Bischöfe und Pfarrer, sondern auch die Gläubigen
können von einer Hierarchie, in der jeweils ein Leiter für mehr als 1000 Untergebenen
zuständig ist, keine detaillierten Anweisungen erwarten. Tatsächlich setzen
sowohl der Papst den Bischöfen, die Bischöfe den Pfarrern als auch die Pfarrer
ihren Gemeindemitgliedern nur sehr wenig Grenzen (Ausnahmen bestätigen diese
Regel!). Die Grenzen, die noch gesetzt werden, sind dann allerdings in den
Augen der Oberen wesentlich und notwendig, während in den anderen Fragen die
Freiheit der Empfänger nicht nur systembedingt, sondern theologisch wesensnotwendig
ist.
Der Papst nimmt weder den Eltern die Entscheidung über die richtige Erziehung
ab, noch könnte er die Theologie durch Beschluss dazu bringen, etwas Falsches
als richtig zu erkennen. Und ich als Pfarrer muss auch erkennen, dass ich
den Mitgliedern meiner Pfarrei zwar Mut machen kann, ihren Glauben auch in
der Alltagswelt zu bezeugen aber wie und ob das geschieht, liegt nicht in
meiner Verantwortung und auch nicht in meiner Macht. Im Gegenteil: Die Aufgabe
der Hierarchie ist es, Freiheit zu ermöglichen und Vertrauen zu schützen -
gerade auch durch Durchsetzung von Disziplin. Ein schlechter Lehrer, der bei
den Kindern keine Autorität und keine Durchsetzungskraft hat, verhindert nicht
nur einen erfolgreichen Unterricht, er nimmt den Kindern durch seine Unfähigkeit
sogar die Freiheit, die Unterrichtsstunde eigenverantwortlich zu gestalten,
weil das Machtvakuum des Lehrers durch den Gruppendruck ersetzt wird.
So ist die Autorität der Eltern, des Pfarrers, des Bischofs und des Papstes
immer eine Verwirklichung von Hierarchie, die Freiheit garantieren soll. Dabei
ist jeder auf jeden angewiesen - und alle auf das Wirken des Geistes.
a. »Jeder Gaube, der von seiner eigenen Wahrheit überzeugt ist, führt
zur Intoleranz, Mission und schließlich zur Gewalt.« Nicht nur Richard
Dawkins fordert, dass religiösen Menschen die Kinder entzogen werden, damit
sie zu freien Menschen erzogen werden könnten: Es scheint eine ausgemachte
Sache, dass Religion aus friedliebenden Menschen intolerante, zum Terror neigende
Gewalttäter macht. Das mag der momentanen Nachrichtenlage geschuldet sein,
derzufolge die Krisenherde und Kriege weltweit zumeist einen religiösen Hintergrund
haben.
Vielleicht ist auch die frühere Behauptung, alle Religionen würden doch den
gleichen Gott verehren, Grund für diese Ansicht: Wenn alle Religionen im Grunde
gleich sind, sich aber ein nicht geringer Teil der Religionen (zumindest in
den Nachrichtensendungen) als gewalttätig präsentiert, dann sollten aus Sicherheitsgründen
auch alle Religionen abgeschafft werden.
b. Der Denkfehler (1): Keinen religiösen Glauben zu haben, ist auch eine
Weltanschauung mit Wahrheitsanspruch. Es ist ein klassischer Logikfehler:
Wer behauptet, es gebe keine Wahrheit, beansprucht zumindest für diese Aussage
eine letztgültige Wahrheit. Wer alle Religionen abschaffen oder zumindest
relativieren will, wähnt sich ebenfalls im Besitz einer absoluten Wahrheit:
Dass es keinen Gott gibt oder dass er zumindest nicht erkannt werden kann.
Letztlich krankt dieser Logikfehler an der Selbstbezüglichkeit einer Aussage,
die etwas über die Relativität aller Aussagen behauptet; genauso wie
der selbstbezügliche Bewohner von Kreta, der behauptet, dass alle Kreter lügen.
Lügt er nun auch - oder nicht?
Der Denkfehler (2): Die Verwechslung von Korrelation und Kausalität.
Es ist zwar Tatsache, dass statistisch gesehen die Anzahl der Haare auf
dem Kopf eines Mannes in einem direkten, umgekehrt proportionalen Verhältnis
zu seinem Vermögen steht. Dennoch kann das Vermögen nicht durch einen Gang
zum Friseur vermehrt werden. Ebenso wäre es falsch, von der religiösen Färbung
eines gewalttätigen Konfliktes darauf zu schließen, dass sich die Konflikte
nennenswert verringern, wenn es keine Religion mehr gäbe.
c. Nicht der Wahrheitsanspruch ist das Ende einer Diskussion, sondern die
Leugnung jeder Wahrheit. Nicht die Mission führt zur Gewalt, sondern das Verbot
jeder Mission. Zunächst gilt, dass der überwiegende Anteil der Weltbevölkerung
friedliebend ist und sich redlich bemüht, Konflikte, Gewalt und Kriege zu
verhindern. Ob das auch eine Frucht der Religion ist, mag strittig sein; zumindest
gibt es weder eine signifikante Häufung von Gewalt in den besonders religiös
geprägten Regionen, noch eine deutliche Abnahme von Gewalt und Verbrechen
in den a-religiösen Gegenden.
Zudem sind die meisten Konflikte dieser Welt politisch und wirtschaftlich
motiviert, Religion selbst oft nur ein Vorwand (so gehört der überwiegende
Teil der Opfer von IS und al Kaida der eigenen Religion dem Islam an).
In anderen Regionen der Welt, in denen es keine gesellschaftlichen Verwerfungen
gibt, leben die unterschiedlichen Religionen friedlich nebeneinander.
Allerdings ist die Behauptung, alle Religionen verehrten letztlich den gleichen
Gott, irreführend. Natürlich gibt nur einen Gott (so der Glaube von
Christen, Juden und Muslimen), der auf verschiedene Weise angebetet und verherrlicht
wird; aber das jeweilige Gottesbild unterscheidet sich doch so sehr,
dass keineswegs von einem »gemeinsamen Gott« die Rede sein kann. Von diesem
Gottesbild hängt auch ab, ob sich die Religion für kriegerische Zwecke instrumentalisieren
lässt; offensichtlich sind einige Religionen dafür anfälliger als andere.
Zur Zeit sind weltweit von allen Menschen, die aus religiösen Gründen verfolgt,
diskriminiert, gefoltert oder getötet werden, 80 % Christen.
Ebensowenig sind atheistische oder humanistische Organisationen Garanten für
mehr Toleranz oder Gewaltfreiheit. Das belegen sowohl die beiden großen atheistischen
Regime des letzten Jahrhunderts (der Nationalsozialismus und der Kommunismus),
das gilt zur Zeit für den letzten atheistischen Staat (Nordkorea), das spielt
sich aber vor unseren Augen auch in der rechten (Neonazis) und linken (Antifa)
Radikalistenszene ab.
Nicht zuletzt zeigt die Erfahrung, dass Menschen, die eine klare Überzeugung
haben und diese gut vertreten können (ob nun mit religiösem, politischem
oder humanistischem Inhalt), diese auch tatsächlich friedlich vertreten.
Ihre Mission ist nicht gewalttätig; Gewalt kommt nicht durch einen wie auch
immer gearteten Absolutheitsanspruch ins Spiel. Erst, wenn aus mangelnder
Gelegenheit zur Diskussion und zum Disput oder durch Verordnung einer »Wahrheit«
durch staatliche Gewalt Argumente unterdrückt werden, entstehen Gewaltszenarien.
Ein freies Spiel der religiösen und säkularen Kräfte, die jeweils von der
Richtigkeit ihrer Sache überzeugt sind und fähig, diese zu begründen, ist
die beste Voraussetzung für den Frieden zwischen verschiedenen Überzeugungen.
a. »Alle, die einen abweichenden Glauben haben, landen in der Hölle.« Ich habe im Kommentarbereich einer großen Zeitung folgenden Eintrag entdeckt, der zwar überspitzt ist, aber im Wesen das Problem auf den Punkt bringt:
»Die Sache mit der Hölle ist nämlich so. Als Nichtmitglied einer Religion landet man üblicherweise in deren Hölle. Als Mitglied einer anderen Religion auch. Also landet der Christ in der muslimischen Hölle und umgekehrt, weil sie ja beide das Falsche glauben aus der Sicht der anderen.
Nehmen wir also an, es gibt x Religionen, so gibt es auch x Höllen. Ein Christ landet zwar nicht in der christlichen Hölle, insofern er ohne Sünden ist, aber dafür in allen anderen Höllen, deren Anzahl wir mit x-1 berechnen. Das gilt analog für alle anderen Gläubigen. Für Atheisten sieht es noch übler aus, die landen nämlich in allen Höllen aller Religionen, also x. Das heißt also nichts anderes als dass z.B. Muslime einen enormen Aufwand betreiben, nur um am Ende in gleichviel Höllen zu landen wie ein Christ. Krass oder? Und der Atheist, ja der landet eben in allen Höllen aller Religionen. Aber nur um in einer Hölle weniger zu landen, lohnt sich der Aufwand, den so ein Glaube mit sich bringt (Jungfräulich bleiben, 10% berappen, nach Mekka beten 5 mal am Tag, Fasten, Vollburka tragen usw.), doch schlicht nicht, das muss doch jedem einleuchten, oder?«
b. Der Denkfehler: Verwechslung von Vorstellung und Realität: Es mag beliebig
viele Vorstellungen von Himmel und Hölle geben - die Realität nach dem
Tod existiert unabhängig von unseren Vorstellungen und Ideologien. Im
Unterricht vermuteten meine Schüler, dass jeder nach dem Tod in »seinen Himmel«
komme: Der Buddhist wird wiedergeboren, der Atheist verschwindet einfach und
der Christ kommt ins Paradies. Eine Realität, die unabhängig von unseren religiösen
Vorstellungen existiert, war für die Schüler unvorstellbar - dann gäbe es
ja richtige und falsche Religionen!
Genau das aber offenbart den Denkfehler: Wenn es keine richtigen Religionen
gibt, sondern jede Religion ihre Wirklichkeit mitbringt bzw. erschafft, dann
kann es auch keine Hölle geben; denn dann hätten ja alle mit ihren noch so
gegensätzlichen Vorstellungen recht und jeder wäre in »seinem Himmel«. Gibt
es aber für einen Christen beispielsweise eine buddhistische Realität, dann
auch für alle anderen. Erst dann ergibt der Gedanke einer »Hölle« einen Sinn.
Die Vermutung der Aufklärung, die Wahrheit der Religionen sei nicht erkennbar
(»Nathan der Weise« und die Ringparabel), lässt das Jenseits vielleicht zu
einem Roulette-Spiel werden, für eine Leugnung der Realität des Jenseits reicht
die Kraft der Aufklärung dagegen nicht aus.
c. Wer in den Himmel kommt, wird von den Religionen sehr unterschiedlich
beschrieben. Der Islam hält sich tatsächlich für die einzige
Religion; die Zeugen Jehovas und zahlreiche Evangelikale vermuten
ebenfalls eine Verdammung aller Andersgläubigen. Aber das Judentum
kennt eine Erlösung auch der anderen Völker (»Die Wallfahrt der Völker am
Ende der Tage«, Jes 60), und auch der Buddhismus geht davon aus, dass
der Weg der Erleuchtung durch alle Religionen geht (obwohl deren Stand der
Erleuchtung sehr unterschiedlich sein kann). Eine besondere Haltung nimmt
die katholische Kirche ein, die die Fähigkeit des Menschen, eine Beziehung
zum Erlöser Jesus Christus anzunehmen, als Schlüssel zum Himmel ansieht; diese
Beziehung kann sogar erst im kommenden Leben angenommen werden, wenn sie in
diesem Leben nicht vollumfänglich und ausdrücklich abgelehnt wurde. Mit anderen
Worten: Nach Auffassung der katholischen Kirche gelangt jeder in den Himmel,
der dort auch hinein will. Die Aufgabe der Kirche und der Katholiken ist es,
den Heilswunsch des Menschen auf die himmlische Realität abzustimmen - die
letztlich in der Anschauung Gottes und der Gemeinschaft der Erlösten besteht.
Nur, wer dieses ausdrücklich nicht will, braucht auch nicht in den Himmel
einzutreten.
a. »Es gibt ja nur einen Gott. Also verehren alle Religionen doch den
gleichen Gott - nur auf verschiedene Weise.« Die Vermutung, die Religionen
unterschieden sich nur in der Art der Verehrung, ist eine Folge der Aufklärung.
Demnach kann keiner überhaupt etwas Verlässliches über Gott wissen; wer sich
also einer bestimmten Religion anschließt, tut dies entweder nur aus Gründen
des persönlichen Geschmacks, privater Vorlieben oder Bequemlichkeit. Nicht
die Wahrheit einer Religion und ihres Gottesbildes sei ausschlaggebend (wie
auch, wenn es doch überhaupt keine Wahrheit gibt?!), sondern ihre Lebensphilosophie
und ihr religiöser Stil.
b. Der Denkfehler: Aus einer willkürlichen Annahme (»Es gibt keine Wahrheit!«)
wird auf die Wirklichkeit (»Religion ist nur Ansichtssache!«) geschlossen.
Entgegen dieser Annahme erheben eigentlich alle Religionen sehr wohl einen
Wahrheitsanspruch für ihre Aussagen über Gott und das Jenseits. Noch wichtiger:
Aus dem Gottesbild einer Religion und der verheißenen Zukunft des Menschen
ergeben sich sehr konkrete Aussagen über diese Welt, die Moral und den Menschen.
Diese unterscheiden sich in den verschiedenen Religionen außerordentlich und
sind durchaus in ihrer Realitätsnähe überprüfbar.
c. Es gibt keine Informationen über konkrete Personen, die in der Hölle
schmoren. Wie in allen Religionsgemeinschaften, Vereinen und Parteien
stimmen die Ansichten der Mitglieder nicht immer voll und ganz mit der offiziellen
Ansicht der übergeordneten Gemeinschaft überein. So haben sich auch in der
katholischen Kirche viele Mitglieder (vom einfachen Gläubigen über Pfarrer,
Lehrer, Theologen und Bischöfe) die Frage nach der ewigen Verdammnis vereinfachend
zurechtgebogen. Manchmal wurde die Wirklichkeit vielleicht auch aus pädagogischen
Gründen reduziert dargestellt - auch Politiker reden in der Öffentlichkeit
anders als in Expertenrunden. Dennoch gibt es eine offizielle Lehre, die klare
Aussagen auch zur Frage macht, wer im Gericht bestehen wird. Das erste Kriterium
dabei ist nicht der richtige Glaube.
Vielmehr spielt in früheren Zeiten vor allem der praktizierte Glaube
(also Sakramentenempfang und Gottesdienstbesuch), die praktizierte Nächstenliebe
(was mehr ist als nur die Befolgung von Geboten) und in neuerer Zeit zunehmend
betont die gelebte Gottesbeziehung eine Rolle. Für alle Kriterien
gibt es Eckpunkte zur Orientierung, und doch bleibt die letzte Entscheidung
über konkrete Menschen allein Gott überlassen.
Natürlich gibt es Heiligsprechungen, die scheinbar die Entscheidungsfreiheit Gottes vorwegnehmen. Dabei wird aber die Heiligkeit eines konkreten Menschen nicht nur nach Aktenlage entschieden, sondern durch die Anerkennung eines Wunders nach dem Tod der betreffenden Person eine Art »himmlisches Lebenszeichen« als letztes Kriterium.
In anderen Religionen und Konfessionen mag das anders aussehen. Hier unterscheidet sich die katholische Kirche auch deutlich von den Protestanten, die die Heilsbedeutung der Werke abgeschafft haben und allein auf den vertrauensvollen Glauben setzen. Dagegen hält die katholische Kirche an der Bedeutung der Entscheidungen und Handlungen der Menschen fest - und zugleich am universalen Heilswillen Gottes, der darauf abzielt, allen Menschen (aller Religionen) den Eintritt in den Himmel zu ermöglichen.
a. Der Papst hat es gesagt: »Wer bin ich, einen Homosexuellen zu verurteilen?« - Also erlaubt zumindest der Papst die gleichgeschlechtliche Beziehung. Dieser falschen Schlussfolgerung ist nicht viel mehr hinzuzufügen. Eigentlich differenzierte und theologisch exakte Aussagen werden in der Öffentlichkeit undifferenziert aufgenommen. Dazu gehört auch:
a. ...was in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit soviel bedeutet wie: »...also können wir es auch bald abschaffen oder den Priestern freistellen.« Auch hier wird eine theologische Unterscheidung der Kirche in der Nachrichtenmeldung nicht transportiert und deshalb falsch verstanden. Noch dramatischer ist die Einschätzung, was denn Sünde und was schwere Sünde sei. So hört man gelegentlich:
a. Als Papst Franziskus auf der Rückreise von Mexiko auf die Frage eines
Journalisten betonte, »im Gegensatz zur Abtreibung ist die Verhütung nichts
absolut Böses«, da titelten sogar kirchliche Medien, der Papst erlaube die
künstliche Verhütung in Ausnahmefällen. Auf der einen Seite wird der
Kirche vorgeworfen, sie würde zu wenig unterscheiden (z.B. zwischen Mord,
Abtreibung und dem Kondomgebrauch); umgekehrt werden dann die geforderten
Differenzierungen zwischen den verschiedenen Stufen des Bösen wie ein Freispruch
gefeiert.
Die Aufgabe der Medien, die genaue Bedeutung des Gesagten zu analysieren und
für ein angemessenes Verständnis zu sorgen, scheitert an der mangelnden theologischen
Bildung der meisten Journalisten (und vielleicht auch am mangelnden Willen
zur Benevolentia). Dabei erwarte ich kein Spezialwissen selbst einfachste
Standard-Unterscheidungen der Theologie werden von Journalisten, Kritikern
und der Öffentlichkeit nicht beachtet.
b. Der Denkfehler: Differenzierte Aussagen werden undifferenziert verstanden.
(Kategorienfehler II) (1) Zu Nr. 8: Die katholische Moralphilosophie
unterscheidet zwischen der Veranlagung zu bestimmten Handlungen und der tatsächlich
ausgeführten Tat. Eine Veranlagung kann niemals eine Sünde sein; erst eine
konkrete Tat kommt überhaupt für eine moralische Beurteilung in Frage. Die
Veranlagung zu bestimmten Handlungen, die als unmoralisch gelten (wie z.B.
die Pädophilie, Kleptomanie oder das Tourette-Syndrom) werden dementsprechend
als ungeordnet, gestört oder krankhaft bezeichnet. Erst
eine Handlung kann moralisch bewertet oder verurteilt werden. Die Verurteilung
einer Person im Sinne der Bewertung des Heilszustandes steht
überhaupt nur Gott zu.
(2) Zum »Irrtum Nr. 9«: Die katholische Theologie unterscheidet zwischen
definierten Glaubenssätzen (Dogmen) und anderen, weniger zentralen Anordnungen,
Vorschriften oder Regeln. Die öffentliche Wahrnehmung versteht hingegen unter
der theologischen Klassifizierung, dass eine bestimmte Regel »kein Dogma«
sei, eher die Ankündigung, diese Regel werde bald aufgegeben oder in das persönliche
Belieben des Einzelnen gestellt.
(3) Zu Nr. 10: In jeder Teildisziplin der Theologie gibt es zahlreiche
weitere Unterscheidungen, die in den Medien oft nicht berücksichtigt, geschweige
denn vermittelt werden - so z.B. die unterschiedliche Gewichtung von moralischen
Vergehen und darüberhinaus die Frage, was alles Sünde sei.
c. Theologische und moralische Unterscheidungen sind keine Spitzfindigkeiten,
sondern eine Frage der Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Die Unterscheidungen
der katholischen Theologie in Fragen der Moral erscheinen vielleicht unbedarften
Beobachtern als spitzfindig und ausgemachten Kritikern als Augenwischerei,
dennoch entsprechen sie den allgemeinen Prinzipien der philosophischen Moral
und zudem der deutschen Rechtsprechung: (1) Selbstverständlich wird niemand
wegen seiner Neigung verurteilt, sondern nur aufgrund erwiesener Vergehen;
darüberhinaus urteilt die Moraltheologie nur über Handlungen und nicht über
Personen; (2) genauso wie es im staatlichen Recht eine Unterscheidung zwischen
Menschenrechtsverletzungen, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gibt, unterscheidet
auch die katholische Moraltheologie zwischen göttlichem Recht und einer rein
kirchlichen Disziplin. (3) Ob eine Tat gegen die Menschenrechte oder gegen
eine rein kirchliche Vorschrift gerichtet ist, lässt allerdings keinen eindeutigen
Rückschluss darauf zu, ob es sich um eine schwere oder lässliche Sünde gehandelt
hat. Die Kriterien für eine schwere Sünde umfassen nämlich auch die Wissentlichkeit,
Freiwilligkeit und Wichtigkeit - im Gegensatz zu lässlichen Sünden,
die z.B. unabsichtlich begangen wurden.
(1) Die Äußerung des Papstes, er würde keinen Homosexuelle verurteilen, die
sich um ein Leben aus dem Glauben bemühen, ist daher aus gleich zwei Gründen
nichts Besonderes und daher keiner eigenen Meldung wert, sondern vielmehr
die Standardauffassung der katholischen Moral: Zum einen verurteilt die Moraltheologie
niemals Personen, sondern immer nur Handlungen; zum anderen
verurteilt sie ebensowenig Neigungen oder Veranlagungen, wenn diese nicht
zu unerlaubten Handlungen führen. Die Frage, ob und welche homosexuellen
Handlungen moralisch zu verwerfen sind, ist damit also noch gar nicht berührt.
(2) Zu den Dogmen der Kirche (es gibt übrigens viel weniger, als man glaubt)
gehören die Kernaussagen der Theologie und der Moral. Viele Fragen der Disziplin
und Kirchenordnung (z.B. der Fastenzeit, der Liturgie oder der Wahl des Papstes)
sind prinzipiell änderbar und keine Dogmen. Vom römisch-katholischen Zölibatsgesetz
gibt es tatsächlich Ausnahmen (z.B. bei evangelischen Pfarrerkonvertiten oder
Priestern der orthodox-unierten Kirche).
(3) Wenn der Papst oder irgendein anderer darauf hinweist, dass es einen unterschiedlichen
Schweregrad in den Verstößen gegen Moral und Menschlichkeit gibt, so ist damit
noch nichts über deren Relativität gesagt. Selbstverständlich ist es ein Unterschied,
einen Menschen zu töten (und Abtreibung tötet ungeborene Menschen) oder die
Ehe zu brechen; dennoch heißt das nicht, dass Ehebruch somit in Ausnahmefällen
erlaubt sei.
Bei der Frage der künstlichen Empfängnisverhütung ist zudem die Motivation ausschlaggebend: Wird z.B. ein Hormonpräparat, dass verhütende Wirkung hat, aus therapeutischen Gründen genommen, so ist die Verhinderung einer Schwangerschaft nur eine Nebenwirkung. Aber das wäre ein Thema für sich.
a. Die katholische Kirche ist insgesamt milliardenschwer - wahrscheinlich
sogar im Besitz mehrerer Billionen. Der Vatikan könnte den Hunger der Welt
mit einem Bruchteil dieses Reichtums stillen. Tatsächlich sind die Besitztümer
der Bistümer, Pfarreien und Klöster weltweit zusammengenommen unermesslich.
Abgesehen von den Immobilien, die sich weltweit im Besitz der Kirche befinden,
gehören ihr auch Vermögenswerte, die bislang noch keiner auch nur annähernd
geschätzt hat. Es liegt nahe, die katholische Kirche mit einer Weltmarke (wie
z.B. Apple oder Coca-Cola) zu vergleichen und angesichts ihres sozialen Anspruchs
und der gepredigten Nächstenliebe zu erwarten, dass sie diese Vermögenswerte
für das Wohl der Menschen einsetzt.
b. Der Denkfehler: Die katholische Kirche ist kein Firmenkonsortium; die
Teilkirchen, Ordensgemeinschaften und Institutionen sind rechtlich und finanziell
eigenständig. Tatsächlich gibt es zwar eine ausgeklügelte Hierarchie
in theologischen und geistlichen Bereichen (z.B. was Bischofsernennungen durch
den Papst oder Wahlen von Vorstehern der Ordensgemeinschaften angeht), die
Organisationseinheiten der Kirche (Bistümer, Pfarreien, Klöster und auch viele
Vereine und Einrichtungen wie z.B. Krankenhäuser oder Schulen) sind aber rechtlich
und finanziell unabhängig. Das kennen wir vielleicht auch aus Firmen-Konsortien,
die über Tochterfirmen und gegenseitige Beteiligungen miteinander verbunden,
aber dennoch rechtlich eigenständig sind. In der katholischen Kirche gibt
es aber auch keine rechtlichen oder finanziellen Querverbindungen: Der Vatikan
hat keinen Zugriff auf die Finanzen der 5000 Bistümer, die Bistümer haben
keine Möglichkeit, sich in die Finanzen der Ordensgemeinschaften oder Klöster
einzumischen, und in weiten Teilen der Welt sind auch die Pfarreien rechtlich
und finanziell eigenständig.
Zweiter Denkfehler: Ein großer Besitz bedeutet nicht gleichzeitig auch
ein hohes Einkommen. Für historische Kirchen und Klostergebäude gilt
sogar das Gegenteil: Sie verursachen enorme Kosten, die (im Gegensatz zu Schlössern,
Opernhäusern oder Palästen) nicht durch Eintritte finanziert werden können.
Kirchliche Kunst war immer eine Kunst vom und für das Volk; der Prunk der
Schlösser z.B. in Versailles blieb dagegen dem Volk vorenthalten.
Dritter Denkfehler: Entscheidend ist nicht, wieviel jemand besitzt, sondern
was mit dem Besitz geschieht. So ist das Rote Kreuz nicht deswegen schon
verwerflich, weil es über Immobilien und Vermögenswerte in Milliardenhöhe
verfügt. Immerhin braucht eine effektive Hilfe weltweit eine Ausrüstung, gelagerte
Hilfsgüter, eine Infrastruktur in Form von Fahrzeugen, Flugzeugen und Schiffen
und eine Anzahl von fest angestellten Mitarbeitern. Ob die katholische Kirche
als »reich« eingeschätzt werden sollte, orientiert sich also nicht an der
Größe des Besitzes, sondern an dessen Verwendung.
Vierter Denkfehler: Die Vermögenswerte der Kirche sind sehr ungleich verteilt.
So gilt die deutsche Kirche als eine der reichsten Kirchen weltweit. Obwohl:
Genau genommen gibt es die deutsche Kirche nicht, sie besteht vielmehr aus
27 selbstständigen Diözesen (die finanziell tatsächlich fast alle sehr gut
aufgestellt sind). In den meisten Ländern dieser Welt jedoch (nicht nur in
der »Dritten Welt«, sondern z.B. auch in Frankreich) ist die Kirche arm und
hat gerade das Nötigste, um ihre Mitarbeiter zu bezahlen und zahlreiche Hilfsprojekte
aufrechtzuerhalten. Für den Erhalt historischer Gebäude ist sie oftmals auf
Unterstützung von nichtkirchlichen Einrichtungen angewiesen.
c. Das, was allgemein als wohltätig angesehen wird, schließt das Kerngeschäft
der Kirche nicht mit ein. In einem Film aus den 60-er Jahren (dem ein
Roman aus den 50-er Jahren zugrunde liegt) mit dem Titel »In den Schuhen des
Fischers« verkauft ein modern eingestellter Papst den Petersdom, den Vatikan
und alle weiteren Besitztümer, um mit der Abwendung einer Hungersnot in China
einen Dritten Weltkrieg zu verhindern. Das klingt gut ist aber zunächst
aus einem einfachen Grund unrealistisch: Es wird sich schwerlich ein Käufer
für Immobilien finden, die kein Geld einbringen, sondern nur verschlingen.
Aus einem anderen Grund jedoch ist dieses Szenario unglaubwürdig: Die Gottesdienstgebäude
der katholischen Kirche dienen ja einem Zweck - den Gottesdiensten! Entweder
ein potentieller Käufer müsse der Kirche das Feiern von Gottesdiensten auch
weiterhin zusichern (womit sich eine anderweitige Nutzung z.B. als Filmstudio
oder Freizeitpark verbietet), oder die Kirche müsste das erworbene Geld für
neue Gottesdienstgebäude ausgeben - was das Problem nur verlagert.
Denn in Wirklichkeit sehen Kirchenkritiker nur in dem sozialen Engagement
der Kirche einen Nutzen; nicht in der Feier von Gottesdiensten, Taufen, Hochzeiten
und Beerdigungen. Der geistliche Trost, die Feier der Verherrlichung Gottes
und die Hebung des menschlichen Geistes sind in ihren Augen vermutlich sinnlose
Ziele, die keinen Euro wert sind.
Das sieht die Kirche naturgemäß anders, und so hat auch ein Heiliger Franziskus,
der als Vorbild der Armut gilt, seinen Brüdern aufgetragen, in jedem Ort,
an den sie kommen, zunächst für eine angemessene Ausstattung der Gottesdienste
zu sorgen und sich erst dann um die Armen zu kümmern. Denn das Wichtigste,
was den Armen geschenkt werden kann, sei die Vermittlung der Gnade. Dass sich
letztlich beide Aufgaben der Kirche einander nicht ausschließen, sondern gegenseitig
ergänzen, zeigt die lebendige Geschichte der Kirche in den Missionsländern
dieser Welt. Wer aber an keinen Gott glaubt, wird auch keinen Sinn in würdigen
Gottesdiensten und ihrer Ausstattung sehen.
a. »Die Kirche sollte verzeihen und einen Neuanfang ermöglichen!« Wenn
das für jedes Verbrechen gilt, dann doch auch für eine Wieder-Heirat nach
einer gescheiterten Ehe! Wendet sich der Anspruch der Kirche nicht gegen
sie selbst: Soll die Kirche nicht vergeben, wenn ein Sünder darum bittet?
Darf die Kirche einen Neubeginn nach einer gescheiterten Ehe verweigern, wenn
man doch das Vergangene bereut? Natürlich! Das gilt sogar für Schwerverbrecher
wie Mörder oder Räuber. Und das soll nicht für gescheiterte Ehen gelten? Wenn
doch die erste Ehe ein Fehler war, sollte man nicht vergeben, vergessen und
verzeihen?
b. Der Denkfehler: Der zu bereuende Fehler ist nicht die erste Ehe, sondern
die Wiederheirat. An der Vergebung der Sünden wird kein Abstrich gemacht,
sie gilt unbedingt. Aber die Kirche hat eine leicht abweichende Meinung von
dem, was denn vergeben werden soll: »Die erste Ehe? Wieso soll sie
eine Sünde oder ein Fehler gewesen sein?« Selbst, wenn der geschiedene (und
vielleicht schuldlos verlassene) Ehepartner die erste Eheschließung bereut:
Eine Sünde war sie allein aus diesem Grund noch nicht. Die Kirche kann deshalb
auch nicht vergeben, was nicht prinzipiell von Übel ist.
c. Selbst wenn die Schuld am Zerbrechen bereut und vergeben werden sollte,
ist dadurch die erste Ehe nicht beendet. Wenn es im Zusammenhang
mit einer Ehescheidung eine Sünde gibt, deren Vergebung schwierig ist, dann
ist es die zweite Ehe - nicht die erste; auch nicht das Scheitern der
ersten Ehe. Denn vergeben werden kann nur dem, der um Vergebung bittet. Jemandem,
der vor Gott die zweite Ehe nicht als Schuld, sondern als gutes Recht ansieht
- dem zu vergeben, wäre Anmaßung, und es wäre ganz sicher nicht Gottes Art.
Natürlich ist mit diesen Hinweisen die schwierige Situation von Katholiken,
die nach einer Scheidung in einer zweiten Ehe leben, nicht gelöst. Vielmehr
gibt es ja auch oft genug Pflichten aus der zweiter Ehe; eine simple Rückkehr
zum ersten Ehepartner kann deshalb auch zu Pflichtverletzungen führen. Aber
daraus folgt natürlich nicht, dass es ein Recht darauf gibt, zwei Ehepartner
(den ersten und den aktuellen) gleichzeitig zu haben. So ermahnt Papst Franziskus
die Seelsorger (Bischöfe und Priester) aus gutem Grund zur genauen Prüfung
der Einzelfälle.
Wünschenswert ist aber immer ein Neuanfang. Allerdings bezieht sich das »neue
Anfangen« immer auch auf die erste Ehe. Ein solcher Neuanfang ist tatsächlich
immer und jederzeit möglich - nichts würde die Kirche mehr unterstützen. Leider
ist das gelegentlich nicht möglich - zum Beispiel, wenn der erste Ehepartner
sich endgültig abgewendet hat. Darin liegt ja die Größe der Tragödie begründet.