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Warum ich micht nicht «konservativ» nenne

Man kann den Vorwurf: «Du bist aber konservativ» als Kompliment nehmen: conservare heißt ja bewahren, und nichts anderes ist die Aufgabe der Kirche. Gemeint ist mit dem Ettikett allerdings meistens eine Abwertung, eher ein psychologisches Defizit: «Das sagst du ja nur, weil du Angst vor allem Neuen hast!» Umso überraschender ist es, wenn gerade der Glaube, der endlich im Einklang mit dem Weltbild der modernsten Physik steht, diesem Vorwurf ausgesetzt ist. - Ein Plädoyer gegen alle Etiketten!


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Warum ich mich nicht «konservativ» nenne

Bis heute kann ich mit dem Etikett konservativ nicht viel anfangen. Eine solche Zuschreibung unterstellt, dass ich aus einer bestimmten Grundhaltung (die vermutlich psychologisch aus diversen Ängsten der Kindheit entstanden sein muss) zu einer verqueren Wahrnehmung der Wirklichkeit komme. Dabei erlebe ich mich genau entgegengesetzt als jemand, der die Wirklichkeit so wahrnimmt, wie sie sich mir zeigt, und deshalb die moderne Theologie als eine Wahrnehmungsstörung erlebt. ..wie auch immer, wichtig ist: Weder das eine noch das andere ist ein Argument.
Das ist übrigens eine der Hauptschwierigkeiten in der Diskussion innerhalb der social-media-Geisteswelt: Nicht die Welt, wie sie ist, ist der Maßstab für richtig und falsch, sondern die psychologische Diagnose, wie offen jemand ist, entscheidet über die Richtigkeit seiner Wahrnehmung. Das ist echt lästig.

Mein Glaube ist durchaus mittelalterlich

Dabei ist es schon richtig, dass ich persönlich einen Glauben vertrete, der vor Jahrhunderten aktuell und allgemein verbreitet war: Der Glaube an einen in dieser Welt wirkenden Gott. Leider ist dieser Glaube mit dem Aufkommen der naturwissenschaftlichen Aufklärung in Verruf geraten. Konservativ wäre ich, wenn ich diesem alten Glauben anhange, weil er so alt ist. Konservative finden grundsätzlich das gut oder besser, was alt oder älter ist.
Ich dagegen halte den «alten Glauben» an einen wirksamen Gott gerade deshalb für höchst aktuell, weil die moderne Physik und Mathematik des letzten Jahrhunderts die Tür zu dieser Realität aufgestoßen haben. Zu einer Zeit, als die moderne Theologie selbst schon nicht mehr daran glaubte. Dass diese Realität Teil eines alten Glaubens ist, ist mir eher unangenehm. Aber so ist es nunmal.

Die moderne Theologie will aufgeklärt sein

Die Theologie, die noch einen wunderwirkenden Gott, einen leib-seelischen Menschen und eine real-existierende Moral in ihrem Portfolio hatte, fühlte sich über Jahrhunderte (seit der Aufklärung) von der damals herrschenden Physik vor die Tür gesetzt. Die Theologen vieler Jahrhunderte versuchten ihren Zustand schönzureden und behaupteten irgendwann, dass sie gar nicht vor die Tür gesetzt wurde - sondern dort genau ihr Platz sei. Da der alte Glaube, dass Gott, Geist und Seele einen legitimen Platz in der Welt hätten, offensichtlich überholt war (so behauptete die Aufklärung aufgrund einer inzwischen überholten deterministische Physik), hat sich die Theologie sehr eifrig bemüht, dieses Überbleibsel des alten Glaubens umzudeuten und schließlich zu entfernen.

Die moderne Physik hat die Physik der Aufklärung abgelöst

Mittlerweile hat die Physik sich jedoch weiterentwickelt und den alten Determinismus überwunden. Die Welt ist wieder offen - auch für ein Wirken Gottes, für eine Leib-Seele-Einheit, die Freiheit des Menschen, Sinn, Wunder und Gebetserhörungen. Viele Theologen (und nebenbei bemerkt, auch ein großer Teil der Biologen) haben das noch nicht bemerkt. Während der alte Glaube an ein friedliches und fruchtbares Miteinander von Natur und Übernatur wieder möglich und hoffähig geworden ist, verharrt die moderne Theologie immer noch in ihrer selbstgewählten Winterstarre und geflissentlichen Leugnung der Übernatur.

Die moderne Theologie ist im doppelten Sinne «zurückgeblieben»

Deshalb ist eine Theologie, wie sie zum Beispiel der Bewegung «Wir sind Kirche» oder «Kirche von unten» zugrunde liegt, zu einer Theologie von gestern geworden (die sie nie sein wollte); sie ist schlicht nicht mehr auf der Höhe der Zeit; «zurückgeblieben» im doppelten Sinne des Wortes.
Das ehemalige und heute belächelte mittelalterliche Denken hat sich als realitätsnäher erwiesen - und kompatibel zur modernen Naturwissenschaften. Die aufgeklärte Theologie, die sich auf Teufel komm raus von jedem mittelalterlichem Anschein befreien will, verpasst dabei den Anschluss an die Postmoderne.
Wie so oft sind moderne Theologen bemüht, auf fahrende Züge aufzuspringen, die gerade dabei sind, anzuhalten. Um dann für immer verschrottet zu werden.

Nennt mich wie ihr wollt, aber redet mit mir über den Glauben, nicht über mich

Nein, ich bin nicht konservativ. Ich bin auch nicht progressiv. Ich behaupte überhaupt nicht, einer der beiden Gruppen anzugehören - und auch keiner anderen Gruppe, die die Realität aus einem bestimmten Blickwinkel zu deuten versucht. Ich stelle den Glauben der katholischen Kirche so verlässlich wie möglich dar - und versuche seine innere Plausibilität herauszuarbeiten. Ob mir das gelingt, ist fraglich, aber das ist mein Anspruch. Dass ich dabei ein Weltbild verwende, das dem der modernen Physik entspricht, sollte mich eher als einen progressiven Theologen erscheinen lassen. Dass in diesem Weltbild die Fülle des Glaubens wieder Platz hat, so wie sie vor der Aufklärung noch vorhanden war - mit Wundern, Geistern, Engel, Seelen und Dämonen - lässt mich leider in den Augen der Theologie des vergangenen Jahrhunderts konservativ erscheinen.
«Was soll's, ist nunmal so...!» könnte man sagen. Aber: Solange meine Gesprächspartner darüber reden, ob ich nun rechts oder links, konservativ oder progressiv veranlagt bin, reden sie über mich - aber nicht über den von mir verkündeten Glauben. Der Glaube aber ist es, auf den es mir ankommt.

Weitere Etiketten
«Das ist aber mutig!»

Ähnlich wie mit den Etiketten konservativ und progressiv oder modern geht es mir mit Reaktionen auf theologische, kirchenpolitische oder auch persönliche Statements, die einer Aussage besonderen Mut zugestehen. Nun, daran ist nichts grundsätzlich auszusetzen: Wenn jemand mutig oder zurückhaltend, vorsichtig oder eifrig ist, dann darf man das auch benennen.
Allerdings ist Mut keine Garantie für Richtigkeit oder Wahrheit. Mutig kann auch der sein, der eine Falschaussage macht oder einen Anschlag plant; nur weil er dabei mutig ist, wird die gemachte Lüge oder geplante Aktion nicht moralisch besser. Genau das klingt aber viele Kommentare an, die eine inhaltliche Auseinandersetzung durch persönliche Einschätzungen ersetzen.

  • So geschieht es immer wieder, dass jemand, der Papst, Bischöfe oder Kirche kritisiert und dabei «kein Blatt vor dem Mund nimmt», als besonders mutig bezeichnet wird. Er traut sich, gegen die herrschende Obrigkeit anzuschreiben!

  • Dagegen erhält derjenige, der eine oft kritisierte theologische Position (wie zum Beispiel Zölibat oder Frauenpriestertum) im Sinne der katholischen Kirche verteidigt und begründet, nur selten Anerkennung für seinen Mut.

Ob es tatsächlich mutig ist, sich zwar gegen eine kirchliche Position zu wenden, aber dafür auf die Rückendeckung der Medien zu vertrauen, mag man bezweifeln - aber letztlich ist diese Frage für die Richtigkeit eines Statements irrelevant. Auch mag der Hinweis, es erfordere heute sehr viel mehr Mut, sich mit einer unpopulären kirchlichen Position in die Öffentlichkeit zu trauen, durchaus berechtigt sein: Sich gegen den medialen Mainstream zu stellen ist kein Ausweis für eine gute Theologie. Mut ist kein Argument, egal für welche Richtung.

Selbstverständlich geht es in medialen Auseinandersetzungen nicht nur um Argumente, sondern auch um die Personen, die diese vorbringen. Diesen Personen darf man sehr wohl Mut attestieren oder Feigheit vorwerfen; vor allem in der persönlichen Begegnung oder der privaten Kommunikation hat das seinen Platz. Wenn diese persönlichen Rückmeldungen aber die argumentative Auseinandersetzung ersetzen, sprechen wir vom klassischen Argumentationsfehler, dem argumentum ad hominem. Das ist schnell geschehen, wenn man in öffentlichen Kommentaren, Leserbriefen oder Postings auf die persönliche Ebene gewechselt wird. Mag es sich auch um ein Lob handeln: Man sollte stets vermeiden, über die persönliche Qualität der Diskutierenden zu urteilen. Im Lob für die persönliche Charakterstärke der einen Seite schwingt leicht auch ein Urteil über die andere Seite mit. Besser ist es, bei den Argumenten zu bleiben.

«Du machst es dir aber leicht!»

Auch der Vorwurf, eine bestimmte Haltung würde nur deshalb vertreten, weil es sich die betreffende Person leicht macht, ist übergriffig. Erstens ist es rein subjektiv, die Leichtigkeit oder Schwere einer Haltung einzuschätzen. Und zweitens ist es wiederum kein Argument: Nicht jeder, der es sich schwer macht, ist deswegen schon auf dem richtigen Weg. Und nicht jeder, der den leichten und einfachen Weg wählt, ist deshalb schon auf dem Holzweg.

  • So habe ich persönlich schon oft gehört, ich würde es mir in vielen Diskussion zu einfach machen, wenn ich auf die Lehre der Kirche verweise. Ja, vielleicht ist es wirklich einfacher, der Kirche zu glauben, als sich einen Glauben mühsam selbst zurecht zu legen. Aber ist es deshalb schon falsch, Vertrauen zu schenken? Auch der Kirche?

  • Umgekehrt hat der, der bei einer Aussage bleibt, obwohl sie für ihn viel Ärger, Konflikte und Widerspruch bedeutet, nicht schon deshalb recht. Man kann aus tiefster innerer Überzeugung einer bestimmten Ansicht folgen. Oder die gleiche Beharrlichkeit an den Tag legen, weil man bloß dickköpfig und unbelehrbar ist.

  • Mir scheint es, als wenn Aussagen wie «Das ist aber mutig!» oder «Das ist dir bestimmt nicht leicht gefallen!» zwar eine persönliche Anerkennung beinhalten, aber nur unter der Voraussetzung gemacht werden, dass man sich auch inhaltlich einig ist. Fehlt die innere Übereinstimmung, fällt auch die persönliche Anerkennung unter dem Tisch. Mutig und kraftvoll scheint letztlich immer nur der zu sein, der meine Ansichten teilt.

Auch hier gilt, dass es schön ist, jemandem zu seinem Mut oder der Überwindung eigener Widerstände zu gratulieren - und sich daran zu erfreuen. Wir würden in einer kalten Welt leben, in der diese Form der Empathie fehlen würde. Wir sollten aber immer aufmerksam dafür sein, ob wir nur Empathie mit Gesinnungsgenossen haben - oder auch mit denen, deren Ansicht wir zur Zeit nicht teilen.

«Das ist wenigstens ehrlich!»

Genauso oft höre (oder lese) ich, wenn zum Beispiel ein Priester sein Amt aufgibt, weil er beispielsweise das Zölibat nicht mehr halten kann oder will, dass wir vor der großen Ehrlichkeit dieser Entscheidung vor allem Respekt haben sollten. «Wenigstens ist er ehrlich, das sollte man anerkennen!» - «Hut ab vor soviel Konsequenz und Ehrlichkeit!» - Das stimmt, Ehrlichkeit sollte man immer anerkennen; aber Ehrlichkeit allein ändert an der moralischen Qualität einer Entscheidung nichts. Wer seine Frau verlässt, um mit einer anderen zusammenzuleben, tut zumindest gut daran, das nicht heimlich und betrügerisch zu machen. Aber ein ehrlicher und konsequenter Umgang allein macht den Bruch eines Eheversprechens noch nicht zu einer guten Sache. Vor der Ehrlichkeit mag ich Respekt haben, aber vielleicht nicht vor der Entscheidung, die jemand ehrlich bekennt und konsequent durchzieht.

Da lassen sich natürlich viele Beispiele finden, die man hochdramatisch konstruieren kann. Bis hin zu einem Terroristen, der sich ehrlich zu seinen Morden bekennt. Da fällt uns der Respekt vor der Ehrlichkeit schon deutlich schwerer, weil die objektiv verübte Tat verabscheuungswürdig ist und bleibt.
Wir müssen aber gar nicht so dramatisch werden. In jeder Beziehung, Familie oder Freundschaft unterscheiden wir, wenn jemand ein Fehlverhalten zugibt: Die Ehrlichkeit, mit der ein Betrug eingestanden wird, verlangt Respekt - macht aber den Betrug deshalb nicht weniger schlimm. Die Aufrichtigkeit, mit der jemand seinen Egoismus eingesteht, kann bewundert werden - ändert aber am Egoismus nichts. Die Unbekümmertheit, mit der ein Schüler seine Faulheit eingesteht, hilft letztlich gegen seine Antriebslosigkeit.

Auch hier gilt es - wie schon in den vorangegangenen Abschnitten - zwischen der inneren Haltung (Liebe zu Althergebrachten, Mut, Uneigennützigkeit und Ehrlichkeit) und der objektiven Wirklichkeit zu unterscheiden. Manchmal - nicht immer - klafft beides doch sehr weit auseinander.
Aber noch viel grundlegender ist die Frage, ob es in religiösen Dingen überhaupt eine objektive, feststellbare Wirklichkeit gibt.

Ja, man kann sachlich bleiben

Nun, so mancher hört zwar meine Bitte, nicht über die argumentierenden Personen zu urteilen (und erkennt darin auch einen biblischen Anspruch der Bergpredigt - Mt 7,1-5), fragt sich aber, wie man denn anders über den Glauben sprechen kann. Handelt es sich denn nicht immer um eine persönliche Überzeugung? Muss man nicht immer, wenn es um den Glauben geht, über die persönlichen Gründe reden?
Nein. Das muss man nicht. Der Glaube ist selbstverständlich eine ganz persönliche Entscheidung - letztlich sogar eine Liebesentscheidung. Genau darüber aber kann man nicht spekulieren («Der glaubt nur, weil er metaphysische Ängste hat!» - «Der glaubt nur, weil er so aufgewachsen ist!» - «Das glaubt der nur, weil er nunmal konservativ ist.» - usw.); ebenso sollten wir uns bei Beziehungsentscheidungen anderer Menschen eines Urteils enthalten («Die heiraten ja nur, weil sie Angst habe, sonst allein dazustehen!» - «Die sind nur zusammen, weil ihre Eltern das so wollen.» - «Die lieben sich nicht, die bilden nur eine Zweckgemeinschaft.»).
Wer sich solche Urteile verbietet, darf aber sehr wohl über den konkreten Glauben reden - oder über die sichtbare Beziehung. Die Selbstbeschränkung, nicht über die Motive zu spekulieren (sei es bei einer Glaubens- oder Liebesbeziehung), erlaubt ja immer noch ein Nachdenken über die Wirklichkeit.
Es sei denn, dem religiösen Glauben und der geglaubten Wirklichkeit wird jede objektive Realität abgesprochen. Wenn Glaube, Religion und Gott nichts anderes sind als individuelle Optionen - ohne ein wirkliches übernatürliches Gegenüber -, dann kann man nicht darüber diskutieren, das stimmt. Zumindest nicht, ohne persönlich zu werden. Ob es einen dreifaltigen Gott, Buddha, ein fliegendes Spaghettimonster oder «die Macht, die mit dir ist» gibt, entzieht sich einer jeder Argumentation, wenn nichts davon real oder überprüfbar ist.
Fast jede Religion geht aber davon aus, dass der Glaube an Gott eine Antwort auf die Wirklichkeit Gottes ist. Vom Buddhismus einmal abgesehen, der sowieso die ganze Wirklichkeit für eine Illusion hält, sind zumindest die drei großen monotheistischen Religionen davon überzeugt, auf eine objektive Wirklichkeit Gottes zu antworten. Wie diese persönliche Antwort aussieht, mag subjektiv sein. Aber ob Gott wirklich ist, können wir erkennen. Über diese Erkenntnis können wir urteilen. Und für diese Urteile gibt es gute und weniger gute Argumente.
Das mag jemand, der die ganze Wirklichkeit sowieso für ein reines Konstrukt des menschlichen Geistes hält, anders sehen. Zumindest wir Christen sind jedoch davon überzeugt, dass Gott, die Menschen und die Welt real sind. Dass Gott sich den Menschen so offenbart hat. Dass diese Wirklichkeit allen Menschen insgesamt objektiv zugänglich ist. Und dass wir einander brauchen, um uns diese Wirklichkeit gegenseitig immer tiefer zu erschließen. Darüber können wir reden - und darüber sollten wir reden.

Persönliches Fazit

Ich bin nicht konservativ - sondern einfach nur kirchlich. Und ja: Mein Glaube ist mittelalterlich. Unter anderem. Er ist zudem topmodern, frühchristlich und auch spätantik, vor- und zugleich nach-konziliar. Ob es nun mutig ist, diesen Glauben zu bekennen, und ob ich es mir damit einfach mache, weiß ich nicht. Alles, was ich glaube und vertrete, bekenne ich nur aus einem Grund: weil ich es für wahr halte.