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Das Heil der Juden

Das hier ist eine Katechese, bei der mir viele geraten haben, sie nicht zu schreiben. Das liegt einmal an der Brisanz, die grundsätzlich gegeben ist, wenn wir Christen über andere Religionen schreiben. Oder gar urteilen. Noch unerträglicher wäre es, über das Heil konkreter Personen zu spekulieren. Das sollten wir uns immer verbieten!
Noch schwieriger wird es, nicht nur über andere Religionen, sondern speziell zum jüdischen Glauben und Volk Stellung zu beziehen. Denn nicht nur geschichtlich ist das Verhältnis zwischen Christen und Juden stark belastet. Da kann ich noch so sehr betonen, dass ich nur über den jeweiligen Glauben schreibe: Es schwingt doch immer auch die Unzahl an Verbrechen, Pogromen und gewalttätigen Übergriffen mit, die es im Laufe der Geschichte gegeben hat - vor allem zu Lasten des jüdischen Volkes.
Von der Beziehung zwischen Judentum und Christentum zu schweigen, ist eine ebenso schwierige Sache. Da gibt es nicht nur die schwierige, schuldbeladene Geschichte zwischen Christen und Juden; sondern auch verstörende Aussagen in der Bibel und der Liturgie: Halten die Christen alle Juden für Gottesmörder?! - Angesichts solcher Thesen ist Schweigen die schlechteste Lösung.
Aber neben den Risiken dieser Katechese gibt es auch große Chancen: Wenn wir das jüdisch-christlicher Verhältnis beleuchten, können wir nicht nur eine positivere Sicht auf unsere Väter-Religion gewinnen, sondern auch unsere eigene Religion besser und tiefer durchdringen: Wir verstehen unseren christlichen Glauben nur wirklich, wenn wir die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus aus ihren jüdischen Wurzeln heraus betrachten. Wir verstehen den Neuen Bund, den Gott uns in Christus und der Kirche anbietet, nicht einmal im Ansatz, wenn wir nicht den Alten Bund, den Gott mit den Juden geschlossen hat, begreifen. Ja, ohne die jüdische Geschichte würden wir nicht einmal begreifen, was mit Bund überhaupt gemeint ist. Und vielleicht begreifen wir sogar erst, was der Kern unserer christlichen Identität ist, wenn wir unsere jüdischen Wurzeln freilegen.


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Dieser Diskussionsbeitrag ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 145) erhältlich: Kostenlose Bestellung

Vorbemerkung: Worum es hier nicht geht

Eine ganz wichtige Vorbemerkung, die ich gerade schon im Einleitungstext angesprochen habe, solltest du immer im Hinterkopf haben, wenn du das Folgende liest:

  • Es geht hier in jedem einzelnen Punkt niemals um die Beurteilung einer bestimmten Person, ganz gleich, welcher Religion sie angehört. Auch dann nicht, wenn sie gar keiner Religion folgt.

  • Es geht auch nicht um ein Urteil über die persönliche Glaubensentscheidung dieser oder jener Person. Oder darüber, was sie damit verbindet, warum sie glaubt und was sie daraus für ihr Leben ableitet. - Eine solche Übergriffigkeit (denn das wäre ein solches Urteil) wird leider schnell mitgehört, wenn wir über Glauben, Konfessionen und Religionen sprechen.

Dass wir bei einem Urteil über ein Glaubenssystem oder einer Religion immer sofort auch ein Urteil über die glaubenden Personen mithören, liegt vielleicht auch daran, dass so mancher meint, wir können und dürfen bei Fragen nach der Religion nicht nach richtig und falsch fragen. Jede Religion sei letztlich Privatsache, eben eine ganz persönliche Glaubensentscheidung. Da gebe es kein richtig oder falsch.
Das stimmt: Jeder, der eine Religion annimmt, tut dies aus ganz persönlichen Gründen, über die ich mir niemals ein Urteil anmaßen würde. Aber jede Religion ist nicht nur eine persönliche, private Entscheidung, in der man sich entschließt, die Welt auf eine bestimmte Art zu sehen. Vielmehr entscheide ich mich für die Religion, die eine möglichst zutreffende Wirklichkeitsbeschreibung beinhaltet. Eine Religion erhebt den Anspruch, die Wirklichkeit zu beschreiben und macht Aussagen über das, was ist, was existiert und warum es existiert. Diesen Anspruch kann (ja: muss!) man an der Wirklichkeit messen; das gilt vor allem für sogenannte «falsche Religionen» wie Sekten, Ideologien und gewaltbereite Abspaltungen. Das gilt aber genauso auch für die anerkannten, großen und etablierten Religionen.
Das allein klingt in manchen Ohren schon übergriffig - wie eingangs beschrieben. Aber, wenn wir ehrlich sind und genau hinschauen, macht jeder, der seinen eigenen Glauben für wahr hält, damit implizit auch eine Aussage über das, was andere glauben. Jeder, der in seinem Glauben über irgendetwas eine positive Aussage macht (zum Beispiel, dass ein guter Gott die Welt gut erschaffen hat), grenzt sich dadurch auch von der Religion ab, die das Gegenteil behauptet («Die ganze Welt ist verdorben und böse, weil sie im Widerstreit zwischen eifersüchtigen Göttern erschaffen wurde»). Unterschiedliche Wahrnehmungen gehören nunmal zu Wirklichkeitsbeschreibungen dazu. Und, daran müssen wir festhalten: Jede Religion enthält eine gehörige Portion von Wirklichkeitsbeschreibung.
Außerdem gilt:

  • Wir sprechen hier nicht über das jenseitige Heil der Menschen - sondern es geht allein um die Frage, ob und welche Möglichkeiten ein Mensch hat, hier auf Erden etwas für sein ewiges Heil zu tun. - Die Frage nach dem, was im Jenseits geschieht, ist Gegenstand anderer Katechesen.

  • Und zuletzt: Wir reden hier über den katholischen Glauben. Ich gebe also eine katholische und biblische Antwort auf die Frage: «Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen? Kann ich überhaupt etwas tun?» - gefolgt von der Frage: «Was glauben die Christen eigentlich von den anderen Religionen? Sind das auch ordentliche Heilswege?»

I. Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?

Zunächst ist wichtig, dass nach katholischem Verständnis das Ziel unseres Lebens darin besteht, Gott zu lieben. Mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. (Mk 22,37 - Grundgelegt in Dtn 6,4).
Das ist schon eine bahnbrechende Vorentscheidung. Denn im Gegensatz zu vielen anderen (Natur-) Religionen ist im christlichen Glauben die Freundlichkeit Gottes nicht an bestimmte Opfergaben, Riten und Einhaltung von Festkalendern geknüpft.

Durch dieses Liebesgebot wird ebenso den Pfingstlern und Adventisten eine Absage erteilt, die glauben, nur wer den Sabbat hält (und zwar am Samstag, nicht am Sonntag) komme ins himmlische Reich. Und auch die Zeugen Jehovas, die das Heil an die Anerkennung des Gottesnamens Jehova knüpfen, sind insofern nicht kompatibel mit dem christlichen Glauben.

Aber die göttliche Festlegung geht noch weiter: Indem dem ersten Gebot («Du sollst Gott lieben!») ein zweites hinzugefügt wird («...und den Nächsten wie dich selbst!» - Lev 19,18) wird deutlich, dass es nicht allein um die Einhaltung eines Gebotes geht, sondern um eine Haltung aufseiten der Menschen: Entscheidend ist die Liebesfähigkeit, nicht allein eine isolierte Handlung. Gott will unsere Beziehungsfähigkeit.

Wir haben darüber schon in vielen anderen Katechesen geschrieben und dabei festgestellt, dass die Beziehungsfähigkeit und die gelebte, erfüllte Beziehung zu Gott und dem Nächsten nicht nur ein Gebot für den Himmel im Jenseits, sondern auch schon die Umschreibung vom Himmel auf Erden ist.
Dieses Doppelgebot der Liebe ist keine christliche Erfindung, sondern im Judentum grundgelegt und von Jesus in Mk 22,37 zusammengeführt aus Dtn 6,5 und Lev 19,18.

Um dorthin zu gelangen, gibt es drei göttlich gewollte Heilswege.

1. Der Weg schlechthin: Jesus Christus

Der Königsweg in den Himmel ist Jesus Christus selbst. Die christliche Botschaft, die wir an allen Ecken und Enden des Neuen Testamentes finden, ist die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zu unserem Heil. Wir kommen nicht allein zu Gott - wir brauchen den göttlichen Erlöser.
Ja, noch mehr: Dieser Erlöser ist nicht nur einer, der den Weg kennt und uns führt, er ist selbst die Erlösung. Jesus ist nicht nur ein Wegweiser, der uns den Weg zum Vater zeigt (oder wie ein Navi, das man braucht um den Weg zu finden) - er ist selbst der Weg und das Antlitz des Vaters. Die Rettung besteht darin, sich mit Christus liebend zu verbinden und so Teil der göttlichen Liebesgemeinschaft zu sein.

«Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.» (Joh 14,6)
«Philippus sagte zu ihm: Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns. Jesus sagte zu ihm: Schon so lange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater? Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist?» (Joh 14,8ff)
«Ich und der Vater sind eins.» (Joh 10,30)
«Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat.» (Lk 10,16)
«Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen.» (Joh 5,24)

Jesus hat uns nicht nur den Weg in den Himmel gezeigt (wie ein Weisheitslehrer) oder ermahnt, diesen Weg zu gehen (wie ein Prophet), er hat uns auch nicht nur diesen Weg erschlossen (wie ein Retter und Erlöser), sondern Er ist selbst der Weg. Wer sich mit Christus innerlich verbindet, findet den Himmel. Hier auf Erden und später mal im Himmel.
Dazu ist der Mensch allerdings aus eigener Kraft nicht in der Lage, deswegen schenkt uns Jesus seine Liebe und nimmt uns in seine Arme. Wir brauchen uns nur umarmen lassen, um durch Jesus Teil der göttlichen Dreifaltigkeit zu werden. Dieses Zulassen der Erlösung und die Annahme dieses Geschenkes ist eigentlich die ganze christliche Religion. - Was aber ist mit denen, die Christus nicht kennen?

2. Der abgeleitete Weg

Jesus spricht ausdrücklich davon, dass die Seinen nicht ins Gericht kommen (Joh 5,24), sondern ins Reich des Vaters geführt werden, weil sie zu IHM gehören. Was aber ist mit denen, die keine Chance gehabt haben, Jesus kennenzulernen? - Zum Schicksal «der Völker» (so die Bezeichnung für alle Nicht-Juden) erzählt Mt 25, 31-46:

«Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm versammelt werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ...» (Mt 25, 31ff)

Jedesmal heißt es am Ende des ersten und zweiten Abschnittes dieser Gerichtsrede: «Was ihr für einen dieser Geringsten (nicht) getan habt, das habt ihr auch mir (nicht) getan.» (Mt 25, 40.45)

Dabei ist es wichtig zu wissen, das die die Geringsten (bzw. die geringsten Brüder oder auch die Kleinen) die Selbstbezeichnung der Christen ist. Es geht also nicht um eine Aussage über das Verhalten Kindern (oder allgemein Bedürftigen oder körperlich Kleinen) gegenüber, sondern um das Verhalten der Juden (und später den Heiden) zu den Anhängern und Jüngern Jesu.

Demnach werden diejenigen, die Christus nicht gekannt haben, sich aber den «Geringsten» zugewendet haben - also den Jüngern Jesu -, so behandelt, als hätten sie sich Jesus zugewandt.

«Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist - Amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen.» (Mt 10,42)

...im Vergleich mit:


«Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört - Amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen.» (Mk 9,41)
«Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde.» (Mt 18,6)
«Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde.» (Mk 9,42)
«Es wäre besser für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als dass er für einen von diesen Kleinen zum Ärgernis wird.» (Lk 17,2)
«Und er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.» - (Mk 9,36f)

In Jesus werden wir also nicht nur mit dem Vater verbunden, sondern Gott verbindet sich auch mit uns Getauften, so dass derjenige, der uns sieht, den Vater sieht - und derjenige, der uns ablehnt, den Vater ablehnt.
«Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat.» - (Lk 10,16)
Vorsicht: Keine Selbstherrlichkeit!

Aber Vorsicht! Das heißt nicht, dass wir zum Maßstab aller Dinge geworden sind - geschweige denn zum Maßstab einer jeden Gottesbeziehung! Denn:

  • Erstens: Nur derjenige, der uns wegen unseres christlichen Glaubens ablehnt, wendet sich damit auch gegen Gott. Nicht jede persönliche Antipathie richtet sich gegen Gott!

  • Zweitens: Jesus ist der absolute Weg: «Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.» (Mt 12,30 - Lk 11,23), die Getauften stellen nur eine abgeleitete Facette Gottes dar: «Jesus antwortete ihm: Hindert ihn nicht! Denn wer nicht gegen euch ist, der ist für euch.» (Lk 9,50)

Das ist ein großer Unterschied: Ohne Christus kommt keiner zum Vater; ohne mich (oder dich oder sonstwen) jedoch sehr wohl! (Deshalb wird der Satz extra ecclesia nulla salus auch gerne durch extra Christum nulla salus ersetzt: Nicht außerhalb der Kirche, sondern außerhalb von Christus gibt es kein Heil).

Drittens: Zudem sind wir alle Sünder und bieten oft genug eher Grund, uns und unseren Glauben abzulehnen. Nicht, weil der Glaube selbst so unvollkommen ist, sondern weil wir ihn so unvollkommen leben.

Aber nicht desto trotz: Die Entscheidung für oder gegen Gott leitet sich über Jesus weiter zu uns, den Christen. So, wie ein Leib nicht nur die sichtbare Außenseite der Seele ist, sondern auch die Möglichkeit bietet, sich der Seele zuzuwenden oder ihr Schaden zuzufügen, so ist auch die Kirche Leib Christi in dieser doppelten Funktion: Sie ist nicht nur (bei aller Gebrochenheit) der leiblich-sichtbare Erweis der Gegenwart Gottes, sie ist auch die Gelegenheit, sich handfest für (oder gegen) Gott zu entscheiden und sich Ihm zuzuwenden - oder Ihm aus dem Weg zu gehen.

Das sollte uns auf jeden Fall in die Pflicht nehmen, die uns geschenkte Gnade, «ein Herz und eine Seele» mit Christus sein zu dürfen, auch wirklich zu leben. Ja, es ist ein Geschenk, unverdient und übergroß: Aber als Gabe eben auch eine Aufgabe!
3. Weitere Wege zu Gott

Die Kirche wendet sich immer wieder gegen die Behauptung, neben der katholischen Kirche seien auch die anderen Konfessionen von Gott gestiftete Wege zu Gott - und andere Religionen seien ebenso wie das Christentum Selbstoffenbarungen Gottes. Für die Konfessionen gilt, dass die Einheit der Christen ein bleibendes Ziel sein muss - und die Zersplitterung in verschiedene Konfessionen eine Last und kein Gewinn für die Christen ist. Auch die Behauptung, alle Religionen seien gottgewollte Wege zur ewigen Seligkeit, wird als Synkretismus bezeichnet und abgelehnt.
Aber dennoch gibt es einen Weg auch in den nichtchristlichen Gruppen, Gott zu finden und sich Ihm zuzuwenden. Erinnern wir uns: Das eigentliche Glück des Menschen findet sich in den erfüllten Beziehungen, die der Mensch eingeht - und die einzige Voraussetzung ist seine Fähigkeit dazu. Nichts anderes als dieser Weg zum irdischen Glück ist auch der Weg zum ewigen Glück. Und das bleibt jedem Menschen, in allen Religionen unbenommen und immer möglich. Gott spricht zu ihnen durch das Gewissen und das ins Herz gelegte Gesetz.

  • Natürlich ist es ein Unterschied, sich selbst von allen Ängsten, die mich an einer erfüllten und hingebungsvollen Beziehung hindern, frei zu machen - oder auf einen Gott zu vertrauen, der mir alle Ängste nimmt, indem er sich als den wahrhaftig liebenden und verzeihenden Gott zu erkennen gibt. Der Königsweg des Christentum ist einfacher und dem Menschen naheliegender. Aber ob wir den Weg mit oder ohne besondere göttliche Hilfe gehen, das Ziel bleibt das gleiche.

  • Manche Religionen, Sondergruppen oder Weltanschauungen sind unter Umständen eher hinderlich, um in erfüllten Beziehungen zu wachsen - zumindest in einzelnen Aspekten und Erscheinungsformen. Es gibt den bekannten Satz «Auch Menschen anderer Religionen können gerettet werden, aber nicht aufgrund ihrer Religion, sondern trotz ihrer Religion». Ich stimme diesem Satz zwar bedingt zu, möchte hier aber keine Diskussion darüber entfachen, für welche Sekte das gilt und für welche Religion nicht; auch wenn wir uns vermutlich einig sind, dass das auf unheilvolle Sekten, mehr oder weniger rechtsradikale Sondergruppen und verschwörungstheoretische Weltanschauungen zutrifft.

Uns unbekannte Wege

Dass ich nur drei biblisch und kirchlich belegbare Wege aufgezeigt habe, heißt aber nicht, dass Gott für viele Menschen keine eigenen, uns verborgene Zugänge zur Erkenntnis der Wahrheit findet. Wege, die uns einen ganz unkonventionellen und überraschenden Gott erkennen lassen, der unsere Erwartungen oft genug überbietet. Nur sind diese Wege keine Weisen, die man verallgemeinern kann, um sie dann allen Menschen zu empfehlen - sie bleiben individuell und gnadenhaft. Und uns zur Zeit noch verborgen.

Dazu äußert sich das II. Vatikanische Konzil in Gaudium et Spes 22: «Da nämlich Christus für alle gestorben ist und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, dass der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein.»
II. Die Frage nach dem Heil der Juden

Neben dem Königsweg - der persönlichen Beziehung zu Jesus Christus und der Annahme seiner für uns erworbenen Rettung - gibt es also noch den zweiten Weg des Hl. Martin, der mit dem Bettler den Mantel teilte und erkannte, dass er so Christus diente - und den dritten Weg der Stimme im eigenen Herzen. Welcher dieser Wege ist nun der jüdische Weg? Keiner der bislang erwähnten Wege! Auf der einen Seite sind Juden ganz klar keine Christen und wollen auch keine sein. In den frühen Jahren des Christentum verfolgten einige von ihnen den Neuen Weg (wie sich das Christentum nannte); später wurden die Juden selbst durch die Jahrhunderte zum wiederholten Opfer von Verfolgung und Pogrome (nach der sogenannten Konstantinischen Wende). - Auf der anderen Seite ist die jüdische Religion aber vom Christentum nicht so verschieden, dass wir sie in einen Topf mit allen anderen nichtchristlichen Religionen werfen können. Außerdem gilt:

  • Niemals würden wir Christen es wagen, dem Judentum abzusprechen, eine gottgestiftete Religion zu sein! Andere Religionen mögen ein verzerrtes Bild von der göttlichen Realität zeichnen: Bei den Juden ist es anerkanntermaßen Gott selbst, der sich offenbart.

  • Gott hat mit den Juden einen Bund geschlossen - und wir wissen: Gott bleibt seinen Bundesversprechen treu. (Röm 9-11)

  • Nicht nur die Gebote, die Gott durch Mose seinem Volk am Berg Sinai gegeben hat, gelten für uns weiter; auch viele Feste, die Propheten und die Psalmen sind im Christentum wesentlicher und lebendiger Bestandteil.

  • In vielen Personen des Alten Testaments sehen wir Vorbilder des Glaubens oder gar Vorausdeutungen, die auf Jesus hinweisen.

  • Jesus selbst war Jude, er wurde am achten Tag beschnitten undist somit in den Abrahamsbund eingetreten; er hat sich niemals von seiner Religion distanziert oder abgewandt; im Gegenteil hat er sich immer wieder auf die Traditionen der Juden bezogen, diese zwar gelegentlich neu gedeutet, aber nicht grundsätzlich abgelehnt. (Mt 5,17)

Die jüdische Religion ist also nicht einfach irgendeine nicht-christliche Religion - sie ist aber ganz klar auch nicht einfach eine christliche Untergruppe. Mit anderen Worten: Sie bilden aus christlicher Sicht eine ganz eigene Kategorie.

Aber sind die Juden denn nicht von Gott verworfen?

Nun gibt es eine unheilvolle These, die für viel Leid in der Geschichte zwischen Christen und Juden gesorgt hat: Die «Substitutionstheologie». Demnach habe Gott das eigentlich von ihm erwählte jüdische Volk verworfen und an dessen Stelle ein neues Volk erwählt: Die Christen. Diese Behauptung, die Christen seien an die Stelle der Juden getreten, führte zum Namen «Substitution» (substitution = Ersetzung; hier ist die Ersetzung des alten durch das neue Gottesvolk gemeint). Und scheinbar gibt es für diese Ansicht auch genügend Stellen im Neuen Testament, die ich in drei Kategorien einteilen möchte:


a. Direkte Aussagen zur «Ersetzungstheologie»

  • Im Gleichnis von den bösen Winzern, die zwar einen Weinberg überlassen bekommen, dann aber die versprochenen Früchte nicht abliefern und sogar die Knechte und den Sohn des Besitzers verprügeln und töten, wird oft ein Bild für die Verwerfung der Juden gesehen. «Er wird diese bösen Menschen vernichten und den Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist.» heißt es am Ende des Gleichnisses (Mt 21,33-41)

    Aber: Das ist kein Urteil, das Jesus spricht - sondern seine Zuhörer schlagen dieses Urteil vor. Jesus spricht ausdrücklich nicht vom Wegnehmen des Weinbergs oder dem bösen Ende, sondern davon, dass das Reich Gottes einem anderen Volk gegeben wird. Das Reich Gottes war aber dem jüdischen Volk noch nicht gegeben, was es aber hat - Weinberg, Besitz und Leben - wird ihm nicht weggenommen. Zudem: Sind mit den Winzer nur die Führer des Volkes gemeint? Ist der Weinberg das Land oder der Bund?

  • Paulus schreibt: «Was sollen wir nun sagen? Heiden, die nicht der Gerechtigkeit nachjagten, haben Gerechtigkeit empfangen, die Gerechtigkeit aber aus Glauben. Israel aber, das dem Gesetz der Gerechtigkeit nachjagte, hat das Gesetz nicht erreicht. Warum? Weil es ihm nicht um die Gerechtigkeit aus Glauben, sondern um die Gerechtigkeit aus Werken ging.» (Röm 9,30f) - Sagt Paulus hier denn nicht ganz klar, dass die Juden ihr Ziel nicht erreicht haben?

    Ja, das sagt Paulus. Aber: Ein «Ziel nicht erreicht haben» bedeutet nicht, «das Ziel nicht erreichen können». Es wäre absurd, jemand der in einem Wettbewerb auf halber Strecke «noch nicht im Ziel ist», auch abzusprechen, jemals ans Ziel zu gelangen. So schreibt Paulus ein Kapitel später im Römerbrief: «Ich frage also: Hat Gott sein Volk verstoßen? Keineswegs! Denn auch ich bin ein Israelit, ein Nachkomme Abrahams, aus dem Stamm Benjamin. Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er im Voraus erwählt hat.» (Röm 11,1f) - «... von ihrer Erwählung her gesehen aber sind sie Geliebte, und das um der Väter willen.» (Röm 11,28b).

 

b. Aussagen über die Tötung Jesu durch «die Juden»
Neben den vier Stellen, die ich hier erwähne, gibt es weitere im Neuen Testament und den frühchristlichen Schriften; auch in der theologischen Literatur bis hin zur Neuzeit taucht der Gedanke immer wieder auf: «Die Juden» hätten Jesus getötet und seien dadurch zu Gottesmörder geworden.

  • Deshalb gelte für die Juden die Selbstverfluchung aus Mt 27,24.25: «Als Pilatus sah, dass er nichts erreichte, sondern dass der Tumult immer größer wurde, ließ er Wasser bringen, wusch sich vor allen Leuten die Hände und sagte: Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen. Das ist eure Sache! Da rief das ganze Volk: Sein Blut - über uns und unsere Kinder!»

    Hier hat Papst Benedikt in seinem Jesus-Buch bereits angemerkt, dass das Blut Jesu niemals ein «Racheblut» sei, sondern das «Blut des Erlösers». Eine Anmerkung, die ihm von jüdischer Seite hohe Anerkennung einbrachte.

  • Jesus selber spricht in Joh 8,40-44: «Jetzt aber sucht ihr mich zu töten, einen Menschen, der euch die Wahrheit verkündet hat, die ich von Gott gehört habe. So hat Abraham nicht gehandelt. Ihr vollbringt die Werke eures Vaters. Sie entgegneten ihm: Wir stammen nicht aus Unzucht, sondern wir haben nur den einen Vater: Gott. Jesus sagte zu ihnen: Wenn Gott euer Vater wäre, würdet ihr mich lieben; denn von Gott bin ich ausgegangen und gekommen. Ich bin nicht von mir aus gekommen, sondern er hat mich gesandt. Warum versteht ihr nicht, was ich sage? Weil ihr nicht imstande seid, mein Wort zu hören. Ihr habt den Teufel zum Vater und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge.»

  • Paulus schreibt in 1 Thess 2,14-16: «Denn, Brüder und Schwestern, ihr seid dem Beispiel der Gemeinden Gottes in Judäa gefolgt, die in Christus Jesus sind. Ihr habt von euren Mitbürgern das Gleiche erlitten wie jene von den Juden. Diese haben Jesus, den Herrn, und die Propheten getötet; auch uns haben sie verfolgt. Sie missfallen Gott und sind Feinde aller Menschen; sie hindern uns daran, den Heiden das Evangelium zu verkünden und ihnen so das Heil zu bringen. Dadurch machen sie unablässig das Maß ihrer Sünden voll. Aber der ganze Zorn ist schon über sie gekommen.»

  • Und schließlich predigt Petrus direkt nach dem Pfingstereignis: (Apg 2,22f): «Israeliten, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer, ... ihn, der nach Gottes beschlossenem Willen und Vorauswissen hingegeben wurde, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht.»

(1) Es ergibt sich nicht zwingend aus den einzelnen Stellen, sondern wird nur in der Gesamtschau der Schrift klar, dass hier über konkret anwesende Juden gesprochen bzw. geschrieben wird und nicht über sämtliche Mitglieder des jüdischen Volkes oder Religion aller Zeiten. Selbstverständlich haben nicht alle Juden den Tod Jesu geplant, sind nicht alle an der Hinrichtung Jesu beteiligt gewesen und hindern nicht alle Juden die Christen an der Verkündigung. (2) Es waren sogar deutlich eingrenzbar die Sadduzäer und die Tempelpriester, die den Tod Jesu betrieben. (3) Nicht zuletzt waren die ausführenden Organe des Jesus-Prozesses nicht die Juden, sondern die Römer. Die Kapitalgerichtsbarkeit lag bei der römischen Besatzungsmacht. (4) Es gehört zu den Grundprinzipien jeder Rechtsprechung, dass ein Verbrechen nur konkreten Personen zugeordnet werden darf - und niemals einer Sippe, einem Volk oder einer Religionsgemeinschaft. Dennoch wurde im Laufe der Geschichte immer wieder Antisemitismus und Antijudaimsus mit dem Hinweis begründet, die Juden hätten schließlich unseren Herrn Jesus Christus ermordet. Das zeigt erneut die bleibende Schwierigkeit dieser Bibelstellen, die nicht einfach aufzuheben ist. Dagegen von der Individualschuld einzelner und der Ablehnung einer jeden Kollektivschuld zu sprechen und die vorgenannten Fakten zu berücksichtigen, ist bleibende Herausforderung der Bibelauslegung, der Theologie und der Liturgie.


c. Aussagen, die das Gesetz der Juden aufheben
Schließlich scheint der jüdische Glaube ja faktisch nicht mehr zu gelten: Immerhin sind doch zentrale Bestandteile - wie zum Beispiel die Beschneidung und das ganze mosaische Gesetz bis hin zum Bilderverbot aufgehoben, oder?

  • Tatsächlich ist die Beschneidung der männlichen Juden nicht eine Nebensächlichkeit, sondern ein zentrales Ritual, das über mehr als 3000 Jahren gepflegt wurde. Es blieb das wichtigste Aufnahmeritual in die jüdische Religion und Bundeszeichen für den Abrahamsbund. Wenn nicht nur eher nebensächliche, sondern auch dieses wichtigste aller Rituale bei den Christen abgeschafft wurde - haben dann die Christen nicht das Judentum selbst abgelegt?
    Nein. Augustinus schreibt dazu: «Wäre ich zu Zeiten des Alten Bundes ein Jude gewesen, so wäre ich, weil mir nichts besseres zur Verfügung stand, natürlich beschnitten worden. Dieses "Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens" (Röm 4,11) galt in jener Zeit, bevor es durch die Ankunft des Herrn aufgehoben wurde, so viel... (...) Dieses Sakrament hat auch der Herr selbst, obwohl er es durch seinen Kreuzestod aufhob, dennoch nach seiner Geburt empfangen (Lk 2,21). Denn jene früheren Bundeszeichen sind nicht als böse verurteilt worden, sondern mussten lediglich den späteren und besseren weichen. Wie die erste Ankunft des Herrn die Beschneidung aufgehoben hat, so wird seine zweite Ankunft die Taufe aufheben.» (Aus dem Brief an Maximinus, zitiert nach Thomas Baumann, «Moderne Irrtümer und ihre Herkunft», Sankt-Ulrichs-Verlag, S. 59.)

Das Judentum selbst kennt die Ablösung von Zeichen, sogar von Zeichen, die von Gott höchstpersönlich angeordnet wurden - und deren Abschaffung ebenfalls von Gott gutgeheißen wird. So hat Mose auf Gottes Anordnung ein kupferne Schlange gefertigt, damit jeder geheilt wird, der zu ihr aufblickt (Lev 21,9). Später wurde die Stange mit der Kupferschlange neben dem Tempel in Jerusalem aufgestellt und Jahrhunderte später im Auftrag Gottes durch Hiskija zerstört. Das alte Zeichen der Schlange war obsolet geworden, unter anderem weil es das neue Zeichen des Tempels gab (2 Kön 18,4).

  • Ein ebenso zentrales Gebot ist das Bilderverbot, das sogar in den Zehn Geboten seinen Platz hat und ebenfalls die religiöse Identität das Judentums über Jahrtausende geprägt hat. Die Christen haben sich einfach nicht mehr daran gehalten. Ist das nicht ein klares Zeichen dafür, dass die jüdische Identität damit an ihr Ende kam?
    Ebenfalls: Nein. Das jüdische Bilderverbot wurde von den Christen eben nicht als aufgelöst und hinfällig verstanden, sondern war eine Anordnung in Hinblick auf die Menschwerdung Jesu: Die Menschen sollten sich kein Bild von Gott machen, weil Gott selbst ein Bild von sich schenken wird - in Jesus Christus. Indem Gott Mensch geworden ist, hat er den Sinn des Bilderverbotes erfüllt, nicht aufgehoben. Paulus bezeichnet Jesus als «die Ikone des unsichtbaren Gottes» (Kol 1,15).

  • Schließlich steht in der Bergpredigt das Wort Jesu: «Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.» (Mt 5,17)

    Mit anderen Worten: Mag sein, dass einzelne christliche Sekten (wie zum Beispiel die Adventisten) den Abfall vom Bilderverbot, der Beschneidung und des ganzen jüdischen Gesetztes als ein Aufhebung des Alten Bundes betrachten: Die Christen haben das nie so gesehen. Und Christus selbst offensichtlich auch nicht.

Der Bund Gottes mit den Menschen

Wir Christen gehen also davon aus, dass der Bund, den Gott mit den Vätern des jüdischen Volkes geschlossen hat, nicht aufgehoben ist, sondern weiterhin gilt. Sowohl für die Juden als auch für die Christen - allerdings in verschiedener Weise. Um diese «verschiedene Weise» genauer zu verstehen, müssen wir allerdings erst einmal begreifen, welchen Bund denn Gott genau geschlossen hat. Und was ein Bund denn eigentlich ist. Was die Zeichen des Bundes sind - und welche Verheißungen daran geknüpft sind.

Gott erschafft sich ein Volk, indem er einen Bund schließt

Ein Bund - das ist im Grunde ein Vertrag. Zwei Seiten (hier: Gott und der Mensch) einigen sich in Bezug auf einen Vertragsgegenstand und verpflichten sich zu einen bleibenden Verhältnis.

So einigen sich zum Beispiel der Verkäufer und der Käufer eines Grundstückes auf einen Kaufvertrag. Im Grunde ist jeder Vertag ein Tauschvertrag: der Verkäufer verpflichtet sich zur Übergabe des Grundstückes und der Käufer zur Entrichtung des Kaufbetrages. Der Vertrag ist gültig - zum Beispiel durch die Unterzeichnung des Vertrages oder durch Handschlag. Beide Seiten verpflichten sich auf Dauer: Der Verkäufer verzichtet dauerhaft auf sein Recht an diesem Grundstück, und der Käufer fordert nicht seinen Kaufpreis zurück.

Im Gegensatz zu einem Tauschvertrag bezieht sich der Bund nicht auf einen Gegenstand oder eine Dienstleistung, sondern begründet ein Verhältnis zwischen den Personen. Man übergibt nicht nur einen Tauschgegenstand, sondern sich selbst. Am schönsten wird das im Ehebund deutlich (der übrigens ein Vorbild für alle Bünde Gottes mit dem Menschen ist. Oder eigentlich umgekehrt: Der Ehebund ist ein Abbild des Bundes Gottes mit den Menschen).

Es gibt auch weniger personale Bünde: Zum Beispiel ein Staatenbund oder ein Mieterbund. Da ist die Grenze zwischen Vertrag und Bund doch wieder fließend. Der Akzent aber, dass im Vertrag ein Gegenstand im Mittelpunkt steht und im Bund eine Verbindung der Personen, gilt auch hier.

Wenn Gott einen Bund schließt, übergibt er sich an die Menschen («Ich bin Euer Gott!») - und die Menschen sich an Gott («Ihr seid mein Volk!»).

«Ich gebe ihnen ein Herz, damit sie erkennen, dass ich der HERR bin. Sie werden mein Volk sein und ich werde ihr Gott sein; denn sie werden mit ganzem Herzen zu mir umkehren.» (Jer 24,7) - «In jener Zeit - Spruch des HERRN - werde ich der Gott aller Sippen Israels sein und sie werden mein Volk sein.» (Jer 31,1) - «Sie werden erkennen, dass ich, der HERR, ihr Gott, mit ihnen bin und dass sie mein Volk sind, das Haus Israel - Spruch GOTTES, des Herrn.» (Ez 34,30) - «Dann schließe ich mit ihnen einen ewigen Bund: Ich will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein; und nie wieder werde ich mein Volk Israel aus dem Land verstoßen, das ich ihnen gegeben habe.» (Bar 2,35) - «An jenem Tag werden sich viele Völker dem HERRN anschließen und sie werden mein Volk sein und ich werde in deiner Mitte wohnen.» Sach 2,15)
Diese Bünde werden im Neuen Testament aufgenommen und bekräftigt: «Ich will unter ihnen wohnen und mit ihnen gehen. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. Dann will ich euch aufnehmen und euer Vater sein und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein, spricht der Herr, der Herrscher über das All.» (2 Kor 6,16) und «Denn das wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe - spricht der Herr: Ich lege meine Gesetze in ihr Denken hinein und schreibe sie ihnen in ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein.» (Hebr 8,10)

Das Wort Bund beschreibt sowohl das Ritual, durch das ein Bund geschlossen wird, als auch die neue Lebensgemeinschaft, die durch den Bund entsteht.
Zu jedem Bund gehört ein Mittler (einer, der stellvertretend für andere den Bund schließt und daran erinnert) und die Erwähnung der Personen, für die dieser Bund gilt, ein Ritual zum Abschluss (beim Vertrag die Unterzeichnung oder der Handschlag, beim Ehebund das Ja-Wort und die Ringübergabe), ein Versprechen («Ich will Dich lieben, achten, ehren, dir die Treue halten, alle Tage meines Lebens»). Zu den Bunden, die Gott schließt, gehört auch die Vereinbarung eines Zeichens, durch den der Bund in Erinnerung gehalten bzw. gefeiert wird.

Gott schließt sogar sieben Bünde

In seinem lesenswertem Buch «Genesis» erwähnt Anton Vogelsang fünf Bünde, die im Alten Testament geschlossen wurden:

  • Der Bund mit Adam und Eva (Gen 1,26-23)

  • Der Bund mit Noah und seiner Familie (Gen 9,8-17)

  • Der Bund mit Abraham und seinen Nachkommen (dazu später mehr)

  • Der Bund mit Mose und seinem Volk (Ex 19,5f; 3,4-10; 6,7)

  • Der Bund mit David und seinem Königreich (2 Sam 7,8-19)

Berücksichtigt man, dass Gott mit Abraham sogar drei Bund geschlossen hat, zählen wir also sieben Bundesschlüsse im AT; wobei die Bünde teilweise erneuert werden. So wird gegenüber Isaak (Gen 26,3) und Jakob (Gen 28,13-15) der Abraham-Bund erneuert, gegenüber Josua (Jos 24) der Mose-Bund und mit Salomo (1 Kön 9,1-9) der David-Bund.
Wichtig ist auch die Verheißung Gottes an Jeremia, die die bisherigen Bünde bekräftigt und einen neuen, endgültigen Bund verheißt:

«Siehe, Tage kommen - Spruch des HERRN - , da schließe ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund. Er ist nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe an dem Tag, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen. Diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich ihr Gebieter war - Spruch des HERRN. Sondern so wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe - Spruch des HERRN: Ich habe meine Weisung in ihre Mitte gegeben und werde sie auf ihr Herz schreiben. Ich werde ihnen Gott sein und sie werden mir Volk sein. Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den HERRN!, denn sie alle, vom Kleinsten bis zum Größten, werden mich erkennen - Spruch des HERRN. Denn ich vergebe ihre Schuld, an ihre Sünde denke ich nicht mehr. » (Jer 31,31-34)
Der Bund mit Adam

Die ersten drei Kapitel des Buches Genesis erwähnen zwar nicht ausdrücklich das Wort Bund, aber es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass am Anfang der Schöpfung Gott einen ersten Bund mit Adam schließt. Anton Vogelsang führt mehrere Hinweise auf, die darauf hindeuten; ganz klar wird das jedoch, wenn in späteren Schriften davon gesprochen wurde, dass Adam den Bund mit Gott gebrochen hat (Hos 6,7) oder dass der Bund mit Noah die Erneuerung des ersten Bundes (mit Adam) ist.
Gottes Bund mit Adam ist ein völlig freiwilliges Geschenk, das an keine Vorleistung durch den Menschen gebunden ist.

«Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!» (Gen 1,28)
Der Bund mit Noah

Auch bei der Erneuerung des Bundes mit Noah gibt es keine Vorleistung durch Noah, es bleibt ein einseitiges, freiwilliges Angebot Gottes, der immer nur von meinem Bund spricht, niemals von unserem Bund. Interessanterweise schließt Gott in diesen Bund auch die Tiere mit ein.
Noah ist der Mittler des Bundes, das Zeichen zur Erinnerung an den Bund ist der Regenbogen. Das Ritual, das den Bund begründet, ist nicht erwähnt.

«Dann segnete Gott Noah und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, mehrt euch und füllt die Erde! (...) Ihr aber, seid fruchtbar und mehrt euch; regt euch auf der Erde und mehrt euch auf ihr! Dann sprach Gott zu Noah und seinen Söhnen, die bei ihm waren: Ich bin es. Siehe, ich richte meinen Bund auf mit euch und mit euren Nachkommen nach euch und mit allen Lebewesen bei euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Wildtieren der Erde bei euch, mit allen, die aus der Arche gekommen sind, mit allen Wildtieren der Erde überhaupt. Ich richte meinen Bund mit euch auf: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben. Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde. (...) Und Gott sprach zu Noah: Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich zwischen mir und allen Wesen aus Fleisch auf der Erde aufgerichtet habe.» (Gen 9,1-17)
Der dreifache Bund mit Abraham

Nach Anton Vogelsang können die drei Bünde, die Gott mit Abraham schließt, auch als drei Teile eines Bundes gesehen werden.

Der erste Bundesschluss geschieht in Gen 15,18: «An diesem Tag schloss der HERR mit Abram folgenden Bund: Deinen Nachkommen gebe ich dieses Land vom Strom Ägyptens bis zum großen Strom, dem Eufrat-Strom.» - Gott verspricht Abram (der später Abraham heißen wird) Land.
Im zweiten Bundesschluss erweitert Gott dieses Versprechen auf die Nachkommen, unter denen auch Könige sein werden: «Siehe, das ist mein Bund mit dir: Du wirst Stammvater einer Menge von Völkern. Man wird dich nicht mehr Abram nennen. Abraham, Vater der Menge, wird dein Name sein; denn zum Stammvater einer Menge von Völkern habe ich dich bestimmt. Ich mache dich über alle Maßen fruchtbar und lasse dich zu Völkern werden; Könige werden von dir abstammen. Ich richte meinen Bund auf zwischen mir und dir und mit deinen Nachkommen nach dir, Generation um Generation, einen ewigen Bund: Für dich und deine Nachkommen nach dir werde ich Gott sein.» (Gen 17,4-7) - Zeichen für diesen Bund ist die Beschneidung.
Im dritten Bund verheißt Gott, dass durch die Nachkommen Abrahams allen Völkern Segen zuteil wird: «Der Engel des HERRN rief Abraham zum zweiten Mal vom Himmel her zu und sprach: Ich habe bei mir geschworen - Spruch des HERRN: Weil du das getan hast und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast, will ich dir Segen schenken in Fülle und deine Nachkommen überaus zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und den Sand am Meeresstrand. Deine Nachkommen werden das Tor ihrer Feinde einnehmen. Segnen werden sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde, weil du auf meine Stimme gehört hast.» (Gen 22,15-18)
Mit jedem Bund wächst die Familie Gottes

Anton Vogelsang schreibt nun abschließend, wie der Kreis der Menschen, mit denen Gott den Bund schließt und die er zu seiner Familie macht, stetig wächst: «Durch den Bund Gottes mit Adam bestand die Familie Gottes aus zwei Menschen: Adam und Eva. Mit dem Bund, der mit Noach geschlossen wurde, wuchs Gottes Familie auf acht Personen: Noach, seine Frau, seine drei Söhne und deren Frauen. Mit Abraham umfasst Gottes Familie nun einen ganzen Stamm. Mit jedem nachfolgenden Bund wurde die Familie Gottes immer größer. Später, im Buch Exodus, schließt Gott seinen Bund mit Mose. In diesem Moment wächst die Familie weiter und wird ein heiliges Volk. Durch den Bund mit David ist seine Familie zu einem Königreich herangewachsen.»

Wichtig: Ein neuer Bund erweitert, hebt aber nicht auf

Die wichtige Erkenntnis bei dieser Exkursion über die alttestamentlichen Bünde ist, dass der Bund mit dem jüdischen Volk gar nicht nur ein einziger Bund ist - sondern aus einer Mehrzahl an Bunden besteht, die aufeinander folgen und sich dabei stetig ergänzen und erweitern. Ein neuer Bund hebt dabei den älteren Bund nicht auf, sondern erweitert und erneuert ihn. Das ist wichtig!

Der Achte Bund

Wir haben also allen Grund davon auszugehen, dass der Neuen Bund in Jesus Christus nichts anderes ist als die endgültige Erweiterung der früheren Bünde. Und wie zuvor gilt auch hier: Der Neue Bund hebt die vorherigen nicht auf, sondern bestätigt sie - und erweitert sie. Zur Familie Gottes gehört jetzt die ganze Menschheit: Mittler ist Gott selbst (in seinem Sohn Jesus Christus), das Zeichen des Bundes ist Jesu Tod und Auferstehung - bleibend in der Feier der Eucharistie -, das Ritual zur Annahme des Bundes ist die Taufe. Die neue Verheißung ist Anteil an der Auferstehung und das ewige Leben. Damit werden - wie Augustinus vorhin schon gesagt hat - die alten Zeichen (wie zum Beispiel die Beschneidung) durch bessere Zeichen ersetzt. Aus der Landverheißung wird die Verheißung des himmlischen Jerusalems. Aber nur die Zeichen werden ersetzt, nicht der Bund! Alle vorherigen Bünde werden erneuert, bekräftigt und erweitert auf das neue Leben in Christus.

Gott schließt den Bund einseitig

Wie schon erwähnt, schließt Gott den Bund mit Adam und Noah völlig freiwillig, ohne Vorleistung durch den Menschen. Das gilt auch für den Bund mit Abraham: Als Zeichen des Bundesschlusses müssten eigentlich Gott und Abraham gemeinsam den Pfad des Bundes gehen. Im Traum sieht Abraham aber, wie nur Gott den Bund schließt (symbolisiert durch eine Fackel und einen Rauchofen - Gen 15,7-19). Gottes Bund ist und bleibt einseitig; darin bleibt Gott sich auch im letzten Bund in Jesus Christus treu.

Es gibt zwar eine Bundesleistung der Menschen, die dadurch ihren Beitritt zum Bund verdeutlichen: nicht vom Baum der Erkenntnis essen (Adam-Bund), keinen Menschen töten und kein Blut essen (Noah-Bund), die Beschneidung (Abrahams-Bund) und das mosaische Gesetz (Sinai-Bund). So auch die Taufe und der Empfang der Eucharistie für uns Christen. Aber diese «Bundesleistung» begründet nicht den Bund - den hat Gott einseitig geschlossen. Wir erklären mit dem Zeichen lediglich die Annahme des unverdienten Geschenkes.

Auch das ist wichtig: Da es keine menschliche Voraussetzung für den Bund selbst gibt, löst sich der Bund auch nicht durch menschliches Fehlverhalten auf. Ein Mensch kann durch sein Verhalten erklären, dass er nicht mehr im Bund bleiben will (so Adam durch das Essen der verbotenen Frucht), aber der Bund selbst bleibt dadurch unberührt: Er wird durch Gott garantiert, nicht durch den Menschen.
Das ist deshalb wichtig, weil dadurch die Ablehnung Jesu durch einzelne jüdischen Personen der damaligen Zeit nicht zur Aufhebung des Bundes und der Verheißungen an Abraham, Mose und David führen konnte! Selbst, wenn wir von der gewagten Behauptung ausgehen, dass es nicht nur einzelne Juden waren, sondern ganze jüdische Gesellschaftsschichten, die Jesus als den verheißenen Messias verwarfen: Gottes Bund, sein Versprechen und seine Verheißung werden durch kein menschliches Verhalten zunichte gemacht.

«Das Wort ist glaubwürdig: Wenn wir nämlich mit Christus gestorben sind, werden wir auch mit ihm leben; wenn wir standhaft bleiben, werden wir auch mit ihm herrschen; wenn wir ihn verleugnen, wird auch er uns verleugnen. Wenn wir untreu sind, bleibt er doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen.» 2 Tim 2,11-13
Was den Juden bleibt und nicht genommen wird

Gott hat mit den Menschen einen großen Plan: Er will sie heilen und in die verlorene Glückseligkeit zurückführen. Dazu bindet er sich an die Menschen und heiligt sie nach und nach - wie ein Bräutigam, der seine Braut zur vollen, inneren und äußeren Schönheit führen will. Das Ziel der ganzen Heilsgeschichte ist die Hochzeit des Bräutigams, der eins wird mit seiner Braut und sie heimführt - zum ewigen Hochzeitsmahl.
Das geschieht durch eine Abfolge von Eheversprechen, die jeweils wie ein Bund Gott und Mensch in immer größerem Umfang aneinander binden. Sowohl der Umfang der am Bund beteiligten Menschen wird immer größer, aber auch die Nähe Gottes und Seine Bindung an den Menschen.
Alles das finden wir im Judentum, in seiner Geschichte, die von Befreiung und Rettung erzählt, und den Propheten, die immer wieder den Blick auf die Verheißung werfen: Am Ende wird der Herr selbst kommen und seine Braut in die Arme nehmen.
In diesem Sinne sind die Juden und die Christen ein Volk. Es wäre, so denke ich, nicht vermessen, die Christen in diesem Sinne auch als geistliche Juden zu bezeichnen (Papst Pius XI sprach von den Christen als «geistliche Semiten»). Es gehört zum grundsätzlichen Selbstverständnis der Christen, dass sie mit Taufe und Eucharistie «in den Leib Christi» hineingenommen werden. Dieser Leib aber war ein jüdischer! Unser ganzer Glaube ist von diesem Geschehen geprägt - unsere Liturgie, unser Einsatz für den Nächsten und das Bekenntnis unseres Glaubens.

Welchen Schritt die Juden nicht getan haben

Nach all den Verheißungen, Vorbereitungen und Bewahrung der Erwartung des Erlösers haben viele Juden in Jesus den verheißenen Bräutigam erkannt und den letzten Schritt in den «Achten Bund» getan. Dieser ist die Vorwegnahme des himmlischen Hochzeitsmahles schon hier auf Erden, nachdem der Bräutigam die letzte Trennung zwischen Gott und Mensch - die Sünde - überwunden hat.
Alles im Judentum hat auf diesen Erlöser hingedeutet (von der Ankündigung der Stadt Bethlehem als Geburtsort bis hin zum Lied des Propheten Jesaja vom leidenden Gottesknecht am Kreuz). Der erwartete Bräutigam war also nichts Fremdes und Un-Jüdisches. Und dennoch gab es einen großen Teil der Juden, die diesen letzten Schritt nicht gegangen sind. Die den verheißenen Messias, den Bräutigam, den angekündigte Retter nicht in Jesus erkennen wollten.

Die Juden sind also keine falsche Religion...

...sondern eine gottgewollte, die aber noch in der Erwartung ihrer Vollendung steht. Die Offenbarung und deren Annahme durch die Juden deutet auf den Messias Jesus Christus hin - und all das gehört auch zur DNA der Christen. Wer sich gegen die Erwählung des jüdischen Volkes und den jüdischen Glauben wendet, wendet sich auch gegen uns. Wir Christen, die die Erfüllung all der alttestamentlichen Verheißung in Christus verwirklicht sehen, wünschen uns für unsere jüdischen Mitbrüder Nichts sehnlicher, als dass sie - unter Wahrung ihrer bisherigen Identität - auch diesen Schritt noch tun. Ob in dieser Welt oder individuell erst in der nächsten Welt.

Paulus erwartet diesen Schritt spätestens für die Wiederkunft Christi (die «Parusie»), im Brief an die Römer, Kapitel 11.

Ist das Judentum also (um im Bild der oben genannten «drei Wege» zu bleiben) ein vierter Weg? Nein: Es ist Teil des christlichen Weges, Teil der christlichen Identität; oder anders ausgedrückt: Judentum und Christentum sind ein Weg. Auch wenn die Christen auf diesem Weg einen Schritt weiter gegangen sind, indem sie Jesus Christus als den Weg, die Wahrheit und das Leben anerkennen.

Die Erklärung «Nostra Aetate»

Diese besondere Rolle des Judentum spiegelt sich auch in der Gliederung und den Aussagen der «Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen - NOSTRA AETATE» des II. Vatikanischen Konzils wieder. In dieser Erklärung beschreibt die katholische Kirche erstmals in ihrer Geschichte all das, was sie an anderen Religionen beachtenswert und gut entdeckt - und gruppiert die Religionen wie konzentrische Kreise ausgehend von den Naturreligionen, dem Hinduismus und Buddhismus hin zu den monotheistischen Religionen (dem «Stamm Abrahams»). Nachdem auch der Islam mit Hochachtung genannt wurde, widmet sich die Erklärung als letztes - sozusagen als Höhepunkt und den Christen am Nächsten - ausführlich dem Judentum. Das besondere Verhältnis von Juden und Christen wird in sieben Abschnitten beschrieben, vom «gemeinsamen Erbe», bezeichnet auch die Christen gemeinsam mit den Juden als «Söhne Abrahams», spricht wie Paulus (Röm 11,17-24) von dem jüdischen Volk als «guten Ölbaum, in denen die Heiden als wilde Schößlinge eingepropft sind» und durch Christus versöhnt und vereinigt wurden. Das Konzil ermahnt eindringlich, von den Juden nicht als verworfenes oder gar verfluchtes Volk zu sprechen und verbannt diese Rede ein für alle Mal aus der Katechese und Predigt.

Wir sind alle Juden

Der für uns Christen geltende Satz «Wir sind alle Juden» darf nun nicht so verstanden werden, dass damit die Juden ja schon im Christentum vollständig aufgehoben sind und sie deshalb keine eigene Daseinsberechtigung mehr haben. Jeder Mensch hat jedes Recht, seine Religion selbst zu wählen, und auch die Juden haben ihr Recht, die ersten Bünde Gottes anzunehmen, aber den letzten als noch ausstehend anzusehen.
Es geht nicht um eine Daseinsberechtigung, wenn Christen und Juden miteinander ins Gespräch kommen. Es geht für uns Christen um die Anerkennung einer Wirklichkeit, in der Gott von Bund zu Bund seine Familie auf die ganze Menschheit erweitern möchte, um sie zu sammeln und zu heiligen: Das haben wir mit den Juden gemeinsam. In dieser Hinsicht sind wir ein Herz und eine Seele. Wenn wir Christen aber das verheißene Kommen des Bräutigams als bereits geschehen ansehen, behalten wir dennoch unsere jüdische Identität - und werden darüber hinaus zu Christen.

Messianische Juden - Jüdische Christen

Deshalb freue ich mich darüber, dass es die messianischen Juden gibt, die ihre jüdische Identität viel deutlicher betonen, als wir Christen es tun, die aber im Unterschied zu den Juden in Jesus den verheißenen Messias erkennen. (Siehe zum Beispiel die ICEJ: Die «Internationale Christliche Botschaft Jerusalem» - «The International Christian Embassy Jerusalem» - oder die «Hebrew Catholics»). Aus der sehr heterogenen messianischen Bewegung gibt es viele Sprösslinge - viele davon gehören eher ins freikirchliche Spektrum, aber auch katholische und orthodoxe Kirche kennen ähnliche Gruppen. Fast alle sind entweder evangelikal oder katholisch-charismatisch. Vor allem in Israel haben messianische Juden einen schweren Stand, da sie von den orthodoxen Juden als «falsche Juden» und Verräter am jüdischen Glauben gesehen werden, von den Christen aber oft nicht als ebenbürtig gesehen oder erst gar nicht wahrgenommen werden.
Es ist gut, dass diese Gruppen uns immer wieder daran erinnern, unsere jüdischen Wurzeln - ja: unsere jüdische Identität! - neu zu entdecken. Viele christliche Feste und Festbräuche, vor allem aber die biblischen Berichte können uns von diesen Kennern des jüdischen Lebens erschlossen und gedeutet werden. Noch schöner wäre es allerdings, wenn alle Christen den jüdischen Anteil an unserer Religion wieder neu entdecken würde und so das Anliegen der messianischen Juden zum Normalfall werden zu lassen: Das jüdische Erbe nicht zu verlieren, während wir uns von Christus erneuern lassen.

Fazit

Ich könnte hier - als ein Fazit - wesentliche Aussagen des vorangegangenen Textes wiederholen. Aber das würde diese Katechese nur noch länger machen - und sie ist schon arg lang geworden. - Stattdessen möchte ich aus dem, was bisher gesagt wurde, Antworten auf Fragen ableiten, die uns Christen oft gestellt werden. Nicht nur von unseren jüdischen Mitbrüdern (und -schwestern):


Nein, ich bin nicht dafür, für die Bekehrung der Juden zu beten. Die Juden brauchen sich nicht zu bekehren - in ihrem Glauben und Beten ist ja alles gut und richtig. Aber ich bete schon darum, dass ihnen der Schleier genommen wird und sie erkennen, dass die Verheißung an ihrem Volk bereits erfüllt ist.


Ja, ich bin für eine christlichen Glaubenszeugnis auch vor und für die Juden. Wenn Mission bedeutet, werbend von Jesus Christus zu reden, dann ist auch gegen eine Judenmission nichts zu sagen. Die Forderung, allen Völkern von Jesus Christus zu erzählen, aber ausgerechnet beim Volk der Juden davon zu schweigen, ist vielleicht der noch größere Antijudaismus.


Nein, ich lehne jede Variante der Substitutionstheologie ab: Das Volk der Juden wurde nicht durch die christliche Kirche abgelöst. Wohl aber ist die Kirche die Fortsetzung der jüdischen Entwicklungen von Adam über Noah, Abraham, Mose und David bis zum Herrn Jesus Christus. Letztlich sind wir alle hineingenommen in Gottes Bundesschluss mit seinem Volk.


Ja, wir Christen sollten unser alttestamentliches Erbe und unsere jüdische DNA deutlich besser kennenlernen. Die jüdischen Feste, Traditionen, Gebete und Bräuche. Die Thora - die Texte des Alten Bundes. Die Propheten und die Verheißungen. Vor allem aber sollten wir uns wieder ganz neu mit dem allumfassenden biblisch-göttlichen Bild beschäftigen: Den Bund Gottes als Ehe-Bund. Wir müssen dringend mehr mit und über den Bräutigam reden.