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KARL-LEISNER-JUGEND |
Die Bedeutung der Geschlechter
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Das «Eigentliche unseres christlichen Glaubens» in einer dermaßen aufgeheizten Diskussion zum Leuchten zu bringen, lässt sich nur bewerkstelligen, wenn wir uns bis zum Kern vorarbeiten. Starten müssen wir natürlich an der Oberfläche.
Alle, die sich mit mir auf diesen Weg machen, möchte ich in ihrer Erwartung ein wenig dämpfen: Unter der Oberfläche der zahlreichen Diskussionen befindet sich nicht eine «harte Wahrheit», logisch hergeleitet und hieb- und stichfest belegt. Der Kern unseres Glaubens ist letztlich Gott selbst. In unserer Ebenbildlichkeit spiegeln wir Gottes Wesen - und entdecken in Ihm das Ziel unseres Lebens: Nicht mehr, aber auch nicht weniger soll auch am Ende dieser Katechese stehen.
Starten wir zur Beantwortung der Frage nach der Haltung der Kirche zu homosexuellen Beziehungen an der öffentlich diskutierten Oberfläche - mit einer Randfrage: «Darf die Kirche homosexuelle Beziehungen segnen?». Diese Frage hat zumindest 2021 soviel Aufmerksamkeit erhalten, dass es schon fast vermessen ist, von einer Randfrage zu reden.
Im März 2021 hat die Glaubenskongregation auf eine Anfrage geantwortet - einem sogenannten dubium. Die Frage, ob die Kirche homosexuelle Beziehungen segnen könne, wurde kurz und knapp mit «Nein» beantwortet.
Zu so einem dubium und dessen Antwort (die fast immer so kurz ausfällt) gehört natürlich eine Erklärung, die beigefügt wird und dann doch aus deutlich mehr Worten besteht. Und mit der die Antwort begründet wird.
Auch wenn die Entscheidung aus Rom zahlreiche Protestaktionen und noch mehr Diskussionen auslöste, möchte ich dabei bleiben, dass die Frage nach der Segnung, so brennend sie auch für Priester, Gemeinden, Pfarrräte und heiratswillige Homosexuelle sein mag, eine Randfrage ist - beziehungsweise eine Frage an der Oberfläche unseres Glaubens. Denn diese Frage lässt sich nur beantworten, indem mindestens drei andere Fragen geklärt werden, die deutlich zentraler sind.
Der Frage nach den Segnungen vorgelagert ist die Frage nach der moralischen Qualität einer homosexuellen Beziehung. Erst wenn wir darauf eine Antwort haben, ist eine Diskussion darüber sinnvoll, wie die Gemeinden (und die einzelnen Personen in den Gemeinden) dann damit umgehen - und sie eventuell segnen.
Nun gibt das Schreiben aus Rom eine klare Antwort (übrigens ebenso wie der Katechismus der katholischen Kirche), die lautet: Jede sexuelle Beziehung außerhalb der Ehe ist sündig - und kann deshalb als Beziehung nicht gesegnet werden. Sehr wohl können die Menschen gesegnet werden, die eine solche Beziehung führen (das werden sie ja am Ende eines jeden Gottesdienstes sowieso!). Aber in dem Augenblick, indem zwei Menschen gemeinsam einen Segen erbitten und empfangen, steht auch die Frage im Raum, ob die Beziehung, die diese beiden Menschen haben, nicht einer Segnung widerspricht.
Aber darf die Kirche (oder der segnende Priester) überhaupt eine Liebesbeziehung beurteilen und dann eventuell einen Segen verweigern? Ist das nicht schon vermessen und übergriffig?
Nun: Die Kirche darf das zu Segnende nicht nur beurteilen, sie muss es sogar! Denn es gibt Dinge und Verhältnisse, die im Widerspruch zum Gedanken einer Segnung stehen. Beispiele?
Zum Beispiel kann die Kirche nicht Beziehungen segnen, in denen ein Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt wird. Sie kann keine Beziehungen segnen, in denen es an Freiwilligkeit mangelt; oder am nötigen Alter. Sie kann keine Gegenstände segnen, die nur zu in-sich-schlechten Zwecken hergestellt wurden (Pornohefte, Drogen oder Folterinstrumente).
Natürlich kann diese Beurteilung (die, ich betone es, immer notwendig ist) auch übergriffig sein. Vor allem dann, wenn nicht nur die allgemeine Beziehung angeschaut wird, sondern persönliche Verurteilungen gemacht werden. Oder dann, wenn der Segnende einfach nach eigenem Geschmack urteilt und Menschen abweist. Genauso übergriffig ist es übrigens, wenn er persönlichen Ansichten folgt, ungute Beziehungen zum Segen zulässt und klare Vorgaben ignoriert.
Der römischen Entscheidung von 2021 ist eine Begründung beigefügt, die (wie schon erwähnt) darlegt, dass keine sexuelle Beziehung, die nicht zugleich eine Ehe ist, gesegnet werden dürfe.
Die Behauptung, Sexualität könne nicht außerhalb der Ehe praktiziert werden, die als Begründung für die Ablehnung homosexueller Beziehungen genannt wird, ist allerdings selbst wiederum Gegenstand kontroverser Diskussionen.
Diese Auseinandersetzung möchte ich hier aber nicht auch noch führen - ich habe dazu ausführlich in den Katechesen zur Ehe und zum Sechsten Gebot Stellung bezogen. Dort komme ich zu der Erkenntnis, dass es sich bei der christlichen Sexualmoral eigentlich gar nicht um die Begrenzung von sexuellen Handlungen auf die Ehe handelt - sondern um die Erkenntnis, dass sexuelle Handlungen in ihrem Kern immer Ehe-begründend sind. Wer das tut, was eine Ehe begründet, gleichzeitig diese Wirkung aber ablehnt und ausschließt, entleert sowohl die Sexualität (als eine Sprache der Beziehung) als auch das, was mit Ehe gemeint ist.
Nun ist aber auch die Erkenntnis, eine sexuelle Beziehung außerhalb der Ehe sei sündig, nicht schon ausreichend, um homosexuelle Beziehungen abzulehnen. Denn manche Homosexuelle wollen ja eine Ehe schließen und damit ihrer sexuellen Beziehung den Rahmen geben, in den gelebte Sexualität gehört.
Die an sich richtige Erkenntnis, dass Sexualität ihren Ort allein in der Ehe hat, begründet noch nicht, warum wir diese Wirkung (die Begründung einer Ehe) nicht auch der homosexuellen Sexualität zuerkennen.
Es muss also noch ein weiterer Begründungsschritt erfolgen: Nämlich die Antwort auf die Frage, warum denn gleichgeschlechtliche Partner keine Ehe schließen können. Warum, bitteschön, kann das Sakrament der Ehe ausschließlich von gemischt-geschlechtlichen Paaren gespendet werden?!
Dafür eine Begründung zu liefern, ist schon deutlich schwieriger. Oft wird mit der Schöpfungsordnung argumentiert, die sich sowohl im ersten Kapitel der Bibel wieder findet («als Mann und Frau schuf Gott den Menschen, als Abbild Gottes schuf er sie») als auch in den Worten Jesu («Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an die Frau binden, und die beiden werden ein Fleisch sein»). Flankiert wird diese positive (weil bestärkende) Begründung der Ehe durch die negative (weil verbietende) Anweisung durch den Apostel Paulus, der schreibt, dass es dem Herrn ein Gräuel sei, wenn Männer mit Männer auf eine Weise verkehren, wie es die Eheleute tun.
Ich gebe aber zu, dass es sich bei Paulus um eine reine Anweisung ohne beigefügte Begründung handelt. Ich habe schon als Jugendlicher eher skeptisch bis hin zu allergisch auf Anweisungen reagiert, denen keine Begründung beigefügt ist. «Klar - es ist verboten. Aber warum? Wenn mir keiner eine einsehbare Begründung nennt, sehe ich nicht ein, warum ich mich an das Verbot halten soll!» - So ähnlich verhält es sich auch mit den klaren Verurteilungen der Homosexualität im Alten Testament.
Nur so nebenbei: Diese Verurteilungen gibt es, sie sind nicht Auslegungssache, sondern klar formuliert. Dennoch gibt es einige Theologen, die trotzdem zu dem Schluss kommen, dass die Bibel Homosexualität gar nicht verbietet. Ihre spitzfindige Argumentation:
Da in alten Zeiten jede Ausübung von Homosexualität mit Gewalt und Ausbeutung verbunden gewesen sei (so eine einleuchtende, aber dennoch willkürliche Behauptung dieser Theologen), würde in der Bibel nicht die Homosexualität verurteilt, sondern die damit verbundene sexuelle Gewalt. Da es früher keine gleichberechtigte moderne homosexuellen Beziehung gab (das muss ja so sein, denn sonst wären es ja keine modernen Beziehungen), können diese auch nicht verurteilt worden sein.
Nun, ich brauche die Absurdität dieser Argumentation nicht ausführlich belegen. Wie reich an willkürlichen Annahmen diese Umdeutung der Bibel ist, dürfte offensichtlich sein. Der Nachweis, warum Homosexuelle in früheren Jahrhunderten keine gleichberechtigten Beziehungen geführt haben können, fehlt daher auch.
Den klaren Verurteilungen von homosexuellen Beziehung in der Bibel wird keine naturrechtliche Begründung beigefügt (das war damals nicht nötig). Womit die Frage, warum denn die Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden kann, unbeantwortet bleibt.
Exkurs: Warum wir so schwer eine Begründung finden
In der Katechese zur Homosexualität habe ich dargelegt, dass das moralische Empfinden nicht nur in diesem Fall, sondern eigentlich immer einer rationalen Begründung vorausgeht. Wir kommen nicht durch kluges Nachdenken erst zu der Erkenntnis, was gut und was verwerflich ist. Das wissen wir augenblicklich. Erst, wenn wir von jemanden darauf angesprochen werden, der anderer Ansicht ist, suchen wir nach Begründungen. Diese haben die Aufgabe, unser moralisches Empfinden zu erklären.
Über Zeitgenossen, die im Gegensatz dazu eine stichhaltige Begründung für allgemein empfundenes moralisches Fehlverhalten verlangen, hatte schon Aristoteles eine klare Meinung: Wer frage, warum man denn seine Mutter nicht misshandeln dürfe, verdiene keine Argumente, sondern Schläge.
Nun ist die Frage, ob Homosexualität vielleicht doch gar keine so schlechte Sache ist, über Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende hinweg niemals wirklich gestellt worden. Weshalb es uns nicht verwundern darf, dass dafür auch keine ausgefeilte Argumentation entwickelt worden ist.
Das ist dann wirklich erst eine moderne Aufgabe der heutigen Zeit. Aber eine, so meine ich, durchaus lösbare Aufgabe.
Aber auch die positive Begründung durch Jesus und im Buch Genesis, die nicht mit Verboten jonglieren, sondern von der offensichtlichen Schöpfungsordnung sprechen, scheinen heutzutage nicht ausreichend, um weiterhin an der Verurteilung von homosexuellen Handlungen und der Ablehnung von homosexuellen Beziehung festzuhalten. Hier hat der Hinweis moderner Theologen durchaus eine Berechtigung: Aus der offensichtlichen Befürwortung Gottes für eine klar umrissene Form der Beziehung (nämlich der Ehe zwischen Mann und Frau) kann nicht logisch zwingend geschlossen werden, dass alle anderen sexuellen Beziehungen (zwischen Männern und Männern, Frauen und Frauen oder auch zwischen mehr als nur zwei Personen) verwerflich sind. Vor allem, wenn diese Beziehung auch die anderen Eigenschaften der Ehe bejahen, wie zum Beispiel Treue, Verantwortung, Liebe, Fürsorge, Selbstlosigkeit und Offenheit.
Warum also glaubt die Kirche, dass die christliche Ehe nur auf die Zweierbeziehung von Mann und Frau beschränkt ist?
Wenn sie glaubhaft darlegen kann, dass nur solche Beziehungen Ehen sind, dann gehört dazu auch die Beschränkung der praktizierten Sexualität auf diese Beziehungen. Denn Sexualität ist nicht etwas, dass man per Definition oder Tradition nur in einer Ehe darf - sondern Sexualität ist das, was eine Ehe begründet, erhält und verwirklicht. Die Kirche hat schon immer den Geschlechtsakt als «ehelichen Akt» verstanden. Nicht, weil man «so was nur in der Ehe tut», sondern weil diejenigen, die den Geschlechtsverkehr vollziehen, eine ehebegründende Handlung ausüben.
Aber das habe ich schon an anderen Orten ausgeführt.
Ausgehend von der Oberfläche, an der diskutiert wird, ob man die Beziehungen gleichgeschlechtlicher Paare segnen kann, sind wir nun fast im Kern der Frage angekommen: Warum besteht die christliche Ehe ausschließlich in der Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau? Warum können zwei Männer oder zwei Frauen keine Ehe schließen?
Kurz vor dem Kern? Gibt es eine noch mal dahinter liegende Frage? - Ja. Denn wir können nur schwer nachvollziehen, warum eine christliche Ehe zwingend nur zwischen den Geschlechtern geschlossen werden kann, wenn wir das Wesen von Mann und Frau nicht verstehen. Klar: Wenn das Mann- oder Frausein nichts anderes ist als eine zufällig biologische Eigenschaft (wie auch die Haarfarbe oder die Körpergröße), dann darf man daran keine moralisch relevanten Konsequenzen knüpfen.
Das erklärt auch, warum die Verweigerung, Frauen die Priesterweihe zu spenden, als eine Diskriminierung bezeichnet wird, die mit Rassismus und Sexismus in Verbindung gebracht wird. Klar: Wenn Männer und Frauen sich genauso wenig unterscheiden wie Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, wäre die Ablehnung der katholischen Kirche von homosexuellen Hochzeiten und Weihen von Frauen tatsächlich verwerflich.
Von dieser Frage hängt letztlich alles ab. Je nachdem, wie wir auf diese Frage antworten, sieht auch unser Verhältnis zu den darüber liegenden Schichten aus: Die Frage nach den Bedingungen für die Ehe, für die Sexualität und letztlich für Segnungen von Beziehungen.
Dass die Eingangsfrage schon so heiß diskutiert wird (also: ob wir homosexuelle Beziehungen segnen dürfen), liegt auch daran, dass wir versuchen, sie isoliert von den darunter liegenden Themen zu beantworten. Die im Hintergrund stehenden großen Themen werden leider nur selten oder gar nicht diskutiert. Und noch weniger in die Verkündigung und Katechese einbezogen.
Weil sich viele Theologen, Priester und Lehrer über Jahrzehnte nicht an diese verborgenen Themen herangetraut haben (und an die Lehre der Kirche, die dazu gehört), können wir die Position der Kirche nicht mehr nachvollziehen. Und da ich ganz entschieden dafür bin, dass wir unseren Glauben auch verstehen sollten, wundert mich nicht der Widerstand, wenn eine Entscheidung aus Rom wie vom Himmel gefallen erscheint.
Bei Tageslicht betrachtet, liegt der Frage nach den Wesen und der Realität der Geschlechter noch eine weitere Frage zugrunde. Es scheint in heutiger Sichtweise nämlich so zu sein, als wenn lediglich der Leib männliche und weibliche Merkmale aufweist - der Geist (oder die Seele) des Menschen aber jenseits aller Geschlechter einfach nur «Mensch» ist.
Diese Sichtweise ist zum Beispiel ein grundlegendes Element im Glauben an die Wiedergeburt. Die Seele, die nach dem Tod wiedergeboren wird, bekommt dann mal einen männlichen, ein anderes Mal einen weiblichen Körper. Die Seele selbst aber bleibt davon unberührt - sie ist weder das eine noch das andere.
Diese Sichtweise ist allgegenwärtig, in der Werbung, der Pädagogik, der Philosophie - und sogar der Theologie. «Jesus wurde nicht Mann, sondern Mensch!» sprach ein deutscher Theologe und meinte damit, dass es theologisch bedeutsam ist, dass Jesus eine menschliche Seele annahm - dass er dazu noch einen männlichen Leib hatte, sei dagegen nebensächlich.
Wir sind nun wirklich im Zentrum der modernen Geschlechterphilosophie angelangt, die auf die Frage: «Welche Bedeutung haben die Geschlechter?» die Mainstream-Antwort gibt: «Keine.» Geschlechter gibt es nur auf der körperlichen, biologischen Ebene. Im Bereich des Geistes, der Seele, der Person und der Bedeutung gibt es so etwas nicht.
Ich gebe zu, der Stil dieser Katechese wird sich jetzt ein wenig ändern. Denn während wir bis hierhin sehr kritisch die gängige Diskussion auf die Kernfrage reduziert haben, müssen wir bei der Beleuchtung des christlichen Kerns weniger forsch und auf Logik bedacht sein. Jetzt geht es um etwas anderes: Um Schönheit, Sinn und Wahrheit. (Aber langweilig wird's trotzdem nicht!)
Ich muss damit rechnen, dass auch vehemente Kritiker der christlichen Sexualmoral diese Katechese lesen (ja, ich hoffe es sogar!). Deshalb betone ich an dieser Stelle noch einmal, dass alles, was nun an Gedanken folgt, nicht geeignet ist, die kirchliche Sexualmoral zur Homosexualität hieb- und stichfest herzuleiten. Nicht, weil die kirchliche Sexualmoral nicht vernünftig ist oder die folgenden Argumente so schwach. Im Gegenteil. Aber keine einzige moralische Norm ist logisch zwingend! Wir können eine moralische Norm immer nur auf ihren inneren Gehalt befragen - ihr also einen Sinn entlocken. Vielleicht sogar mehrere: Nämlich das Gute und Schöne, was die Norm schützen soll. Und deren Sinn. Und trotzdem bedarf es immer noch des Wohlwollens, denn kein noch so schöner Gedanke wird jemand, der grundsätzlich anderer Meinung ist, umstimmen können, wenn er nicht selbst die Sinnhaftigkeit der Norm sehen will.
Wie im Eingangstext erwähnt, wollen wir also katechetisch
vorgehen. Suchen wir nach der inneren Schönheit der Haltung der Kirche. Versuchen
wir zunächst nicht, die theologische Gegenposition zu diskriminieren - und
bitten die Vertreter der anderen Seite um die gleiche Selbstbeschränkung bei
gleichzeitigem Wohlwollen.
Was für Gründe gibt es also für die Beschränkung von Ehe und Sexualität auf
die Heterosexualität?
Um mit der letzten Frage des erstens Teils anzufangen: Die Auffassung, nur der Leib sei Träger von Geschlechtsmerkmalen, die Seele sei entweder geschlechtslos oder definiere sich unabhängig vom Leib, ist für die Kirche ein alter Hut namens «Gnosis» oder auch «Platonismus». Beides sind (miteinander verwandte) philosophische Ansichten, die dem Wesen des christlichen Denkens zentral entgegenstehen - und zudem zutiefst leibfeindlich sind. Der Leib, der Gefängnis und Grab der Seele sein soll, ist die Quelle allen Übels, allen Leids und aller Sünde.
Dazu haben die Christen schon vor fast zwei Jahrtausenden gesagt: «Nicht mit uns!» Auch wenn es nicht leicht war, die Würde des Leibes gegen alle Widerstände hochzuhalten, haben die Christen das von Anfang an getan. Wir sind nicht Seele in einem Leib. Wir Menschen sind Leib und Seele. Der Leib gehört zu meiner Identität dazu - und wird deshalb von Jesus erlöst; wird Bestandteil im Himmel sein; nimmt an der Auferstehung teil; ist untrennbar in der Menschwerdung mit der Gottheit Jesus vereint.
Um es klar auf den Punkt zu bringen: Frauen haben nicht nur einen weiblichen Körper - sie sind weiblich bis in die Seele hinein. Männer nennen nicht nur einen Körper mit männlichen Symptomen ihr Eigen - sie haben eine durch und durch männliche Seele. Der Leib ist nicht nur zufällig männlich oder weiblich. Der Leib ist auch in seiner Geschlechtlichkeit Ausdruck der Seele.
In Erklärungen, warum Homosexualität nicht dem Schöpfungsplan Gottes entspreche, wird oft auf die biologische Ausstattung der Geschlechter verwiesen. Männliche und weibliche Geschlechtsorgane würden wie «Schlüssel und Schloss» zusammenpassen. Jede Form von gleichgeschlechtlicher Sexualität müsse dagegen auf «minderwertige Alternativen» ausweichen.
Das mag sein. Aber letztlich ist es ein schwieriges Argument, das Skeptiker wenig überzeugt. Denn für denjenigen, der den Leib als letztlich bedeutungslos für die geistige Seele erachtet, ist der Leib eben kein Argument. Die Aufgabe der Seele sei, den Leib so zu formen, wie sie möchte - das sei ein Akt der wahren Freiheit! - Wenn wir aber erkennen, dass der Leib kein Gefängnis für die Seele, sondern Ausdruck der seelischen Identität ist, brauchen wir uns auf die schwierige Argumentation einer vermuteten Minderwertigkeit der homosexuellen Sexualität nicht mehr einzulassen. Weil dann der männliche bzw. weibliche Leib nicht nur eine Funktion ausübt - sondern Ausdruck einer männlichen bzw. weiblich Seele ist. - Nein, mit einer Diskussion über die Erlaubtheit bestimmte sexueller Praktiken als Grund für die Ablehnung homosexueller Beziehungen tun wir uns keinen Gefallen.
Lassen wir also (bitte!) die Bewertung von sexuellen Praktiken beiseite. Aber das Problem ist damit nicht ausgeräumt: Denn nicht nur aufgrund der Beschaffenheit der Geschlechtsorgane, sondern bis in die Zellebene der Fortpflanzung hinein bedarf es eines männlichen und weiblichen Sexualpartners. Die plastische Chirurgie ist heute zwar weit entwickelt, und so können durch Geschlechtsumwandlungen männliche in weibliche Geschlechtsorgane modelliert werden - und umgekehrt. Aber der eigentliche Zeugungsvorgang wird dadurch nicht verändert: Immer noch produziert der Mann Spermien und die Frau Eizellen.
Das Argument, Mannsein und Frausein wären im Grunde belanglos - abgesehen von den äußeren Geschlechtsorganen - suggeriert eine biologische Gleichartigkeit bis hin zur Zellebene. Die Geschlechtsorgane seien zwar irgendwie männlich und weiblich, aber auf der Zellebene gebe es keine Spermien und Eizellen, sondern es käme es nur darauf an, dass Zellen von zwei verschiedenen Individuen zusammenträfen.
Das trifft nicht zu. Mann und Frau unterscheiden sich bis in die Zellen hin von einander. Ihr Stoffwechsel ist unterschiedlich, ihre Gehirnstruktur, ihre genetische Ausstattung und noch vieles mehr (bis hin zur Seele!). Biologisch bedarf es also immer noch eines Mannes und einer Frau, um Nachkommen zu zeugen. Und für die Kirche ist die Offenheit einer Beziehung für Kinder ein theologisches Ausschlusskriterium. Eine sexuelle Beziehung, die von ihrem Wesen her nicht geeignet ist, Kinder zu zeugen, ist keine christliche Ehe.
Das ist ein besseres Argument, als es auf den ersten Blick klingt. Natürlich kann man einwenden, dass dort, wo die Natur uns Grenzen setzt, diese mit technischen Mitteln überwunden werden dürfen. Aber ob Mann- und Frausein hinderliche Defizite sind, die abgeschafft werden sollen, dürfte auch für hartgesottene Anhänger der Genderideologie nicht leicht zu vertreten sein.
Ich gebe zu, auf die «Frucht der Sexualität» zu verweisen, klingt zunächst etwas biologistisch, so, als wäre die biologischen Funktion der Sexualität allein entscheidend. Natürlich gibt es noch weitere Früchte der Sexualität: die Freude aneinander, die Lust, Hingabe und Bindungsstärkung. Die Offenheit der Sexualität für die Zeugung von Nachkommen ist mit Sicherheit nicht allein-entscheidend, aber auch nicht nebensächlich. Sie ist nicht der einzige, aber doch ein wesentlicher Sinn von Sexualität.
Mit dem Blick auf die Fruchtbarkeit haben wir aber zudem ein Argument, das auf Schönheit und Sinnhaftigkeit verweist. Zusammen mit der Erläuterung, dass Sexualität natürlich noch mehr Dimension hat als nur die Fruchtbarkeit, rührt der Gedanke an eigene Nachkommen doch tiefe Schichten auch des modernen Menschen an. Es ist für viele Paare ein großer Unterschied, eigenen Kindern das Leben zu schenken oder fremde Kinder zu adoptieren. Offensichtlich führt die Hinordnung von Mann und Frau bei der Zeugung von Nachkommen nicht nur in die tiefsten Ebenen der Zellstruktur, sondern auch hinauf in die ureigensten Hoffnungen und Schönheiten der Seele.
Ich möchte aber nicht bei der Frage nach der Fruchtbarkeit stehen bleiben. Denn eine Ehe ist nicht nur dann ein Geschenk, wenn sie durch Kinder zur Familie wird. Der Verweis auf die Fruchtbarkeit einer sexuellen Beziehung, die an die Heterosexualität geknüpft ist, ist nur ein erster Blick auf Schönheit und Sinn einer Liebesbeziehung.
Nein, die berauschende Schönheit einer Liebesbeziehung ergibt darüber hinaus aus der seelischen Polarität von Mann und Frau. Diese Polarität liegt auf einer Ebene, die zwar auch biologische Anteile hat, aber sich darin nicht erschöpft. Die Polarität umfasst die Leib-Seele-Einheit des ganzen Menschen. Mann und Frau sind nicht nur körperlich und biologisch, sondern auch seelisch und geistig auf einander bezogen.
Auch diesen Gedanken hört und liest man öfter. Allerdings ist nicht immer ganz klar, was denn mit «Seele» gemeint ist. Handelt es sich also um eine Unterschiedlichkeit in der Psychologie von Mann und Frau? Eine unterschiedliche emotionale Ausstattung? Eventuell durch Hormone verursacht und gesteuert?
Schwierig wird es vor allem, wenn die seelische Geschlechterdifferenz in verschiedene Eigenschaften aufgeschlüsselt wird. Es gibt wirklich unterhaltsame Bücher zum Thema «Typisch Mann - typisch Frau». In der Beschreibung der Unterschiedlichkeit der Geschlechter versuchen sich zahlreiche Autoren mit ganz unterschiedlichem Hintergrund und Anspruch. Und so ganz falsch liegen sie oft nicht mit ihrer Beschreibung. Allerdings ist der Versuch, empirisch nachzuweisen, dass Männer und Frau einfach unterschiedlich sind, leicht angreifbar. Manchmal ist der «seelische» Unterschied zwischen verschiedenen Männern größer als der zu bestimmten Frauen - und umgekehrt. - Nein, ich glaube, dass der eigentliche Unterschied noch etwas tiefer liegt - und noch etwas ergreifender ist.
Der entscheidende Unterschied zwischen Mann und Frau liegt tatsächlich in ihrer Seele begründet. Aber eben nicht im übertragenen Sinn von Seele, wie er in der Psychologie oder Psychiatrie verwendet wird. Sondern im metaphysischen Sinne von «Seele». Der christlichen Grundüberzeugung nach hat jeder Mensch eine unsterbliche, geistige, individuelle Seele. Real-existierend. Und eben in zwei grundverschiedenen Ausführungen: als Mann und als Frau.
Der Philosoph würde dazu sagen: Mann und Frau sind «ontologisch verschieden», was nichts anderes meint als «das Wesen betreffend». Wenn wir unseren Leib im Tod hinter uns lassen und uns als pure Seelen im Jenseits wiederfinden, werden wir uns immer noch als Mann und Frau erkennen.
Natürlich bekommen wir auch irgendwann unseren Leib wieder, am Tag der Auferstehung. Aber das ist ein anderes Thema.
Das Entscheidende ist: Diesen «ontologischen», wesenhaften und metaphysischen Unterschied können wir nicht in Eigenschaften auflösen! Er ist der Grund für verschiedene Eigenschaften, aber er erschöpft sich nicht darin. Vielmehr gibt er sogar gleichartigen Eigenschaften jeweils ein eigenes Gepräge - je nach Geschlecht.
Das ist für viele ein absolut neuer Gedanke. Ein Game-Changer. Und gleichzeitig kaum verstehbar: Ein Unterschied, der nicht in einzelne Eigenschaften (oder Parameter) zerlegt und definiert werden kann? Das ist doch unlogisch! Deswegen erlaube man mir hier zwei überraschende Parallelen. Nicht, dass wir uns missverstehen: Mit den folgenden Beispielen will ich diesen metaphysischen Unterschied nicht belegen. Sondern nur veranschaulichen.
Ich gebe zu - ein Beispiel für den wunderbaren Unterschied zwischen Mann und Frau aus der Quantenphysik zu nehmen, ist schon ein bisschen despektierlich. Aber darum geht es mir nicht: Es handelt sich beim Folgenden nur um einen Vergleich, der darauf verweist, dass das angeblich Unlogische der Theologie akzeptierter Bestandteil der Physik ist. Gerade mathematisch-logische Denker meinen manchmal, die moderne Naturwissenschaft sei das Gegenmodell zur Metaphysik. Dabei haben beide viel mehr gemeinsam, als mancher so denkt. Also:
Die kleinsten Bestandteile der Materie werden zur Zeit als Quarks bezeichnet. Viel weiß man nicht über sie - zumeist nur, dass sie in unterschiedlicher Zusammensetzung in Elektronen, Protonen und Neutronen (und noch einigen anderen Elementarteilchen) vorkommen. Aber nie allein. Deshalb weiß man nichts über ihre Eigenschaften, obwohl man weiß, dass sie unterschiedlich sind. Für die verschiedenen Quarks hat man nette Bezeichnungen erfunden: strange, charming, up, down, top und bottom (die sechs «Flavours»), die zudem noch rot, grün und blau sein können und einen spin haben. Aber jeder Quantenphysiker weiß, dass es sich dabei um Fantasieeigenschaften handelt. Letztlich sind das nur Namen ohne konkreten Inhalt - und doch real. Das einzige, was man weiß, ist: Up ist nicht down. Charming ist nicht strange. Sogar die Farbe und der Spin, den diese Teilchen angeblich haben sollen, existieren nicht wirklich, sind aber real, wenn es darum geht, welche Summe sich aus den Komponenten ergibt.
Wie man sieht, ist die Annahme, es gebe einen Wesensunterschied, der nicht in Eigenschaften beschreibbar ist, aber dennoch real nachweisbar, kein Konstrukt von verrückten Theologen. Dieses Phänomen gehört zum Bestandteil unseres Weltwissens.
Schöner und theologisch aussagekräftiger als ein Vergleich mit den Quarks in der Quantenphysik ist der Blick auf Gott - in seiner Dreifaltigkeit. Auch hier offenbart sich eine Parallele, die zugleich viel über die Ehe aussagt: Jesus ist in allem dem Vater gleich. Aber er ist nicht der Vater. Und der Vater ist nicht der Sohn, obwohl sie sich weder in ihren Eigenschaften noch in Ihrer Göttlichkeit unterscheiden. Sie sind von gleicher Herrlichkeit, Macht, Ehre. Ihnen gebührt gleiche Anbetung, gleiches Lob und gleiche Verehrung. (Das gilt übrigens auch für den Dritten im Bunde, den Heiligen Geist.)
Und wir Menschen sind Ebenbild dieser Dreifaltigkeit! «Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.» Gen 1,27.) Es war immer schon christliche Überzeugung, dass die Menschen, die Gott füreinander und zu Eltern bestimmt, Abbild Gottes sind! Diese tiefgehende und nicht auflösbare Unterschiedlichkeit von Mann und Frau gehört zu den großen Herausforderungen, aber auch zum Wesenskern und zur Großartigkeit einer jeden Ehe.
Im Gegensatz zum Vergleich mit der untersten Ebene der Materie ist die Parallele zur Dreifaltigkeit nicht nur eine Verstehenshilfe. Sie ist zugleich auch Grund dafür, dass wir als Mensch so geschaffen sind: Indem wir im Ehepartner des anderen Geschlechts das lieben, was anders ist als wir selbst, werden wir Gott zunehmend ähnlich - der nicht zuletzt den Menschen als Geschöpf liebt und der so ganz anders ist als Gott.
Die Aussicht, dass Mann und Frau einander immer fremd bleiben, klingt erst einmal nicht sehr verheißungsvoll.
Konsequent ist es schon: Wenn die Geschlechter nicht nur bloße biologische Gegebenheiten sind, die nur einen mittelbaren (oder vielleicht sogar gar keinen) Einfluss auf Charakter und Geist der Personen haben, können sich Mann und Frau beliebig angleichen. Eine gute Freundschaft würde sich nach genügend Zeit und Mühen in keiner Weise von einer zwischengeschlechtlichen Beziehung oder Ehe unterscheiden. Und wenn dann noch die praktizierte Sexualität in allen Beziehungen gleichermaßen üblich ist, gibt es nur noch einen graduellen Unterschied zwischen allen Beziehungen.
Wenn aber das Mann- und Frausein bis in das geistige Wesen der Person reicht - also bis in die immaterielle Seele - und dort eben als realer Unterschied vorliegt - so wie die Beschaffenheit eines Schmuckstückes aus Gold oder aus Silber besteht - dann mögen sich die verschieden-geschlechtlichen Partner einander ein Leben lang annähern - sie würden doch niemals gleich werden. So wie auch kein Gold durch die Hand des Juweliers zu Silber wird, mag er noch so geschickt sein.
In Wahrheit ist die Polarität der Geschlechter aber ein Geschenk, eine Verheißung, ein Schöpfungs-Clou Gottes: Mann und Frau bleiben ein Leben lang füreinander interessant, überraschend, immer neu und spannend. Da Mann- und Frausein nicht in den Eigenschaften der Personen besteht, sondern darin, wie diese Eigenschaften in die Beziehung eingefügt werden, bleiben beide immer aufeinander verwiesen und füreinander Geschenk.
Wer in der Mathematik bewandert ist, erkennt Parallelen: Eine immerwährende Annäherung, die aber nie zur restlosen Identität führt («Asymptoten» mag da der eine oder andere vielleicht denken), kommt nicht ohne den Aspekt der Unendlichkeit aus. Und das ist es letztlich, was durch die geistig real-existierende Geschlechterdifferenz verheißen ist: Die Unendlichkeit der Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau!
In der Katechese zur Ehe habe ich den wichtigen und erhellenden Aspekt betont, dass Mann und Frau füreinander Gotteserfahrungen sein sollen. Aber eben nicht in der Liebe, die nur das liebt, was im anderen genauso ist wie ich selbst. Sondern erst, indem wir lieben, was wir selbst nicht sind, werden wir selbst Gott zunehmend ähnlich - und zugleich für den anderen zu einem Bild, das uns Gott nahe bringt, der mich liebt. Obwohl - oder weil? - ich nicht bin wie Gott.
Diese Erkenntnis: «Gott liebt mich, auch wenn ich nicht perfekt und vollkommen in meiner Gottesebenbildlichkeit bin!» ist nicht nur das Geheimnis einer jeden ehelichen Liebe. Sie ist Kern unserer Verkündigung und Geheimnis des Christlichen. Und sie kann Leben retten!
Man sagt, dass so mancher Ehepartner bei der Eheschließung die Hoffnung hegt, die manchmal störende Andersartigkeit des Partner schon «irgendwie zu beheben». Eine Hoffnung, die sich manchmal erst nach Jahren oder Jahrzehnten als unerfüllbar erweist. Aber das liegt nicht (allein) an der Unwilligkeit des Partners!
Wenn wir erkennen, dass das Wunderbare an der immerwährenden Unterschiedlichkeit von Mann und Frau deren Unüberwindlichkeit ist, lernen wir, im Ehepartner Gottes Geschenk zu sehen. Der Vorwurf: «Dass meine Frau mich immer noch nicht versteht, ist letztlich Dickköpfigkeit oder gar Böswilligkeit!» kann (ich gebe zu, manchmal mit einiger Überwindung) immer in diese Bewunderung überführt werden. Gebe es diese Nicht-Auflösbarkeit des Unterschiedes nicht, wäre jede Andersartigkeit des Partners nur vorübergehend und die Schuldzuweisung, es liege nur an mangelndem Willen, nicht weit.
Wenn Ehepartner sich immer an die grundlegende gleiche Würde, gleiche Ebenbildlichkeit und gleiche Schönheit im eigenen Sein wie auch im Sein des Ehepartners erinnern, wird die Hoffnung auf eine Angleichung der Personen der Freude am Andersbleiben Platz machen.
In einer gleichgeschlechtlichen Beziehung ist es nicht selten, dass die beiden Partner ihre Unterschiedlichkeit wie durch ein Ausfüllen bestimmter Rollen aufrechterhalten. Das kann anstrengend sein - und führt vor allem dann zu Enttäuschungen, wenn diese Rollen irgendwann nicht mehr aufrecht erhalten werden. In einer heterosexuellen Beziehung braucht keiner der Partner Angst zu haben, dass die Differenz zwischen beiden Partnern irgendwann verschwindet. Es gibt keinen Grund, die Unterschiedlichkeit zu schauspielern, zu betonen oder an ihr festzuhalten. Ganz im Gegenteil: Beide dürfen sich einander beliebig angleichen und sich auch darüber freuen, weil sie wissen, dass ihre eigene Unverzichtbarkeit nicht durch ihre (Charakter-) Eigenschaften garantiert werden, sondern durch die Andersartigkeit ihrer Seele.
Natürlich gibt es auch Anfragen an dieses Konzept; Anfragen sehr unterschiedlicher Herkunft. So mancher will diese Gedanken vielleicht erst gar nicht wahrhaben, da ihm diese Haltung der Kirche grundsätzlich zuwider und unangemessen erscheint. Ganz gleich, welche Argumente sich finden ließen. Nun: Daran kann ich wohl nichts ändern.
Andere Anfragen kommen aus einer wohlwollenderen Richtung und versuchen zu verstehen, innere Widersprüche aufzulösen und diese Sichtweise mit den Erfahrung in der eigenen Lebensgeschichte abzugleichen. Vielleicht kann ich da noch etwas helfen; mit den beiden Einwänden, die hier folgen, aber vor allem mit der Einladung zu weiterführenden Diskussion per Gespräch, Mail oder in verschiedenen Foren.
Ein möglicher Einwand besteht darin, das wunderbare Bild der beiden Ehepartner, die sich immer mehr einander annähern können, aber niemals ihre Unterschiedlichkeit in der Beziehung verlieren, nicht von der Existenz einer Geschlechterdifferenz abhängig zu machen. Reicht es denn nicht, wenn wir die Einmaligkeit der Personen bedenken - die ja auch niemals verschwindet, ganz gleich, wie sehr Menschen in einer Beziehung eins werden?
Der Einwand ist gut und wichtig. Denn er öffnet den Blick für das Wesen der Freundschaft, die zwischen allen Personen bestehen kann - ganz gleich, wieviel Personen es sind und wie gleich oder unterschieden sie sind. Freundschaft (lat. amicitas) ist sogar der Oberbegriff für jede gute Beziehung, selbst die zwischen Ehepartnern oder zwischen Menschen und Gott. Die Freundschaft gründet im gemeinsamen Willensentschluss, die Unterschiedlichkeit der persönlichen Perspektiven über die Personengrenzen hinweg zu verbinden. Ich nehme mich als «mich selbst» wahr und die anderen eben als «die anderen», und zugleich nehme ich in der Freundschaft die Perspektive des anderen als eine ebenbürtige an. Diese Freundschaft schließt jedoch keine sexuellen Handlungen ein - im Gegenteil, sie kann ganz unabhängig von jeder sexuellen Position aus bestehen.
Die Ehe ist ein Sonderfall der Freundschaft - nicht etwas ganz anderes. Wenn zur Freundschaft, die vor allem in der Übereinstimmung in der Sicht und Denkweise ihre Grundlage hat, die sexuelle Polarität hinzukommt, sprechen wir von Ehe - umgekehrt wird eine Beziehung erst durch die sexuelle Verschiedenheit zur Ehe.
Eine Ehe ist deshalb immer exklusiv auf zwei Personen beschränkt. Sie kann nicht zwischen drei Personen bestehen - denn es gibt nur zwei Geschlechter. In einem Verhältnis von drei Personen bestünde nur zwischen den Personen unterschiedlichen Geschlechts ein eheähnliches Verhältnis; jede weitere sexuelle Beziehung beeinträchtigt diese erste Beziehung, die immer auch Exklusivität einschließt. Ehepartner können zu weiteren Personen Freundschaften pflegen, sobald diese aber sexuell werden, sprechen wir von Ehebruch - und empfinden das auch so.
Das bedeutet aber auch: Freundschaften sind keine «mindere Formen» von ehelichen Vorbildern, sondern die Grundlage aller Beziehungen. Sie sind gut, zu schützen und zu pflegen. Sie sind auf Vertrauen, Verantwortung, Treue und Dauer hingeordnet. Freundschaften können und müssen gesegnet werden, auf ihnen ruht der Segen Gottes, ganz gleich, ob sie zwischen Mann und Frau, Frau und Frau, Mann und Mann oder Mensch und Gott besteht!
Wir machen hier aus unserer christlichen Überzeugung Aussagen über Menschen, Geschlechter und Beziehungen, die (vor allem ohne unseren christlichen Background) nicht logisch zwingend aus der Naturerkenntnis herleitbar sind. Ob das, was hier geschrieben wurde gut und richtig ist, erweist sich oftmals erst, wenn wir die Übereinstimmung mit den Erfahrungen in unserem Leben erkennen.
Nun ist die Behauptung, es gebe Personen, die weder Mann noch Frau sind, für uns selbst kaum nachvollziehbar. Es sei denn, wir gehören ausgerechnet zu diesem doch recht kleinen Personenkreis. Genau dieser Personenkreis wird mir sicherlich zustimmen, dass es manchmal schwer ist, herauszufinden, welches biologische Geschlecht denn nun meines ist (es mag überraschen, aber auch biologisch ist das nicht immer ganz klar). Das heißt, die Zuordnung zu einem Geschlecht ist gegebenenfalls zu diskutieren und muss vielleicht (eine zeitlang) offen bleiben.
Ich kann aber nicht erkennen, dass aus der Schwierigkeit, eine Person einem Geschlecht einwandfrei zuzuordnen, logischerweise auf die Existenz eines dritten Geschlechts - oder der Verneinung oder gar Abschaffung aller Geschlechter und deren metaphysischen Realität - geschlossen werden muss.
Oben in meinen Ausführungen habe ich erwähnt, dass sich weder die Theologie noch die Philosophie früherer Zeit ausführlich mit dem Wesen der Sexualität und der unterschiedlichen Geschlechter beschäftigt hat. Homosexualität hat es zwar zu allen Zeiten und in allen Kulturen als Phänomen gegeben, aber entweder wurde sie als schwere Verfehlung verboten, unterdrückt und stigmatisiert, oder als «nette Bereicherung» zwar zugelassen und toleriert, aber nicht wirklich ernsthaft bedacht. Das hat sich erst seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhundert geändert.
Das erklärt, warum es keine langen Begründungstraditionen für theologische Haltungen für oder gegen homosexuelle Beziehungen gibt. Und das entschuldigt auch hoffentlich mich, wenn ich dies nun versuche. Es ist für mich keineswegs befreiend, ein bisher wenig durchdachtes Thema zu beschreiben - lieber fasse ich in schönen Zusammenhängen das zusammen, was andere, größere Geister vor mir gedacht haben. Mein Stärke liegt in der Wiedergabe von Denkrouten. Nicht in der Erstbesteigung von unentdeckten Bergen.
Aber irgendwann müssen auch zu diesem Thema Argumente ausgetauscht werden (sonst wird man nie erkennen, ob sie gut oder trügerisch sind), auch wenn man Gefahr läuft zu erkennen, dass man selbst die schlechteren Argumente hat.
Ganz entschieden wehre ich mich allerdings, gerade in Fragen der Anthropologie und der Moral, ganz auf Argumente zu verzichten und sich nur gesellschaftlichen Trends anzuschließen. Dem möchte ich nicht folgen - und so bitte ich auch die kritischen Leser dieses Textes, meine Gedanken nicht an der political correctness, sondern an der Klarheit und Wahrheit der Gedanken zu messen.
Gerade, wenn ich diesen letzten Appell (an das Wohlwollen und die Unvoreingenommenheit des Lesers) bedenke, stellt sich natürlich die Frage, ob ich für diesen Text noch den Anspruch all unserer Katechesen erheben darf, nämlich «garantiert katholisch» zu sein. Wenn ich mir selbst meiner Argumente nicht absolut sicher bin, wie kann ich diese dann als Lehre der Kirche verkaufen?
Nun, die Argumente sind auch in anderen Katechesen nicht Bestandteil der Lehre der Kirche, sondern das, was durch die Argumente miteinander verbunden wird. So auch in dieser Katechese: Die Schönheit der Ehe, das Geschenk der Polarität, die unaufgebbare Differenz in den Geschlechtern und die gleiche Ebenbildlichkeit von Frau und Mann sind Lehre der Kirche und «garantiert katholisch». Selbst wenn die hier vorgebrachten Argumente ihre Schwächen haben sollten: Die Schönheit unseres Glaubens und die Genialität, wie wir alle auf Gott hin und füreinander geschaffen wurden - alles das ist real.