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Freiheit vs. Glaubensgehorsam

Angeblich - so hört man immer wieder - ist der Gehorsam in der katholischen Kirche ein innerstes Prinzip, während die protestantische Kirche als Hort der Freiheit und Selbstbestimmung gilt. Diese Ansicht führte sogar dazu, dass im amerikanischen Wahlkampf die Bewerbung eines katholischen Kandidaten (damals war es J. F. Kennedy) verhindert werden sollte, weil dieser ja dem Papst gehorsam gegenüber sein müsse. Letztlich würde so der Papst die USA regieren.
Es ist schon richtig: In der katholischen Kirche spielt der Gehorsam eine wichtige Rolle, es gibt sogar verschiedene Gehorsamsstufen: vom Glaubensgehorsam über den religiösen und disziplinären Gehorsam bis zum Gehorsamsversprechen der Priester und dem Gelübde von Ordensleuten. Vor allem der Glaubensgehorsam bereitet heutigen Menschen und Theologen Bauchschmerzen, denn er gelte grundsätzlich, absolut und unbedingt. Er ist Thema dieser Katechese.
Denn ein absoluter Gehorsam scheint nicht nur im Widerspruch zur modernen Gesellschaft zu stehen, sondern wäre über alle Zeiten hinweg unvereinbar mit der Freiheit des Menschen und der Unabhängigkeit des Gewissens. Darf ein Mensch überhaupt unbedingt gehorsam sein?

Eine spannende Frage.

 

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Diese Katechese ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 159) erhältlich: Kostenlose Bestellung

 

Erste Vorbemerkung: Stufen des Gehorsams
Der Glaubensgehorsam

Die katholische Kirche unterscheidet zwischen dem Glaubensgehorsam, dem religiösen und disziplinären Gehorsam. Der Glaubensgehorsam bezieht sich dabei auf die Offenbarung und das darin enthaltene Glaubensgut, also letztlich auf Gott selbst. Von diesem Gehorsam heißt es, dass er unbedingt gilt und absolut verpflichtet. Das wird zwar im Katechismus der katholischen Kirche mit dem Freiheitsbegriff verbunden («Im Glauben gehorchen [ob-audire] heißt, sich dem gehörten Wort in Freiheit unterwerfen, weil dessen Wahrheit von Gott, der Wahrheit selbst, verbürgt ist.» - KKK 144), die Annahme der geoffenbarten Glaubenswahrheit und moralischen Grundsätzen bleiben dem Glaubenden aber unbedingt verpflichtend auferlegt.

In der katholischen Kirche werden letztverbindliche Glaubensaussagen vom ordentlichem Lehramt verkündet, das ist entweder ein Konzil (in Einheit mit dem Papst) oder der Papst selbst - unter der Voraussetzung, dass beide in der Absicht sprechen, eine Glaubenswahrheit endgültig zu formulieren. Erst dann reden wir von einem Dogma.
Religiöser Gehorsam

Dagegen ist der religiöse Gehorsam nicht Gott, sondern der Kirche und ihren Autoritäten geschuldet - vor allem den Bischöfen und dem Papst. Dieser religiöse Gehorsam bezieht sich zum Beispiel auf Glaubenssätze, die (noch) keine endgültige Verbindlichkeit haben; auf Glaubensaussagen, die eher fromme Meinungen wiedergeben oder auf Ansichten, die sich nur indirekt in Gebeten und liturgischen Texten wiederfinden. Der religiöse Gehorsam wird selbstverständlich auch dem Papst, den Konzilien geschuldet, aber auch dem eigenen Bischof. (Entgegen unserer Intuition kann der Pfarrer vor Ort einen solchen Gehorsam nicht erwarten - es sei denn, er bezieht sich ausdrücklich auf Anordnungen des Bischofs.) Auch dieser Gehorsam bezieht sich nur auf Glaubens- und Moralaussagen - und nicht auf politische oder naturwissenschaftliche Ansichten.

Das nicht endgültige Lehramt wird im Allgemeinen authentisches Lehramt genannt. Anders als der Glaubensgehorsam bindet der religiöse Gehorsam nicht absolut, jeder kann also zumindest innerlich aus guten Gründen zu einer anderen Ansicht kommen. Ob er dieses auch immer und zu jeder Zeit nach außen kundtut, ist dann eher eine Frage des Respekts und der Klugheit.
Disziplinärer Gehorsam

Der disziplinäre Gehorsam ist ähnlich dem religiösen Gehorsam nicht absolut bindend, zudem bezieht er sich nicht auf Lehren des Glaubens oder der Moral, sondern enthält beispielsweise religiöse Anordnungen, wie Festlegungen von Fasttagen oder Aufrufe zum Gebet, zu Wallfahrt oder zur finanziellen Unterstützung bestimmter Anliegen.

Der disziplinäre Gehorsam gilt zwar auch zuerst dem Bischof gegenüber (und natürlich dem Papst, auch wenn dieser selten davon Gebrauch macht), wird aber zumeist durch den Pfarrer vor Ort vermittelt. Für den einfachen Gläubigen ist es daher nicht immer einfach zu erkennen, welche Autorität hinter einer disziplinarischen Aufforderung steht - zum Beispiel einer Fastenregel. (Um es besonders kompliziert zu machen, kommt in manchen speziellen Fällen sogar der Bischofskonferenz eines Landes noch eine disziplinarische Autorität zu.) Der disziplinäre Gehorsam ist, so wie auch der religiöse Gehorsam, nicht absolut verpflichtend.

...und noch weitere Gehorsams-Stufen

In dieser Katechese geht es vor allem um den Glaubensgehorsam, weshalb ich die weiteren Formen und Eigenschaften der verschiedenen Gehorsamsformen nicht weiter ausführen will. Neben den Priestern (die ein Gehorsamsversprechen dem Bischof gegenüber ablegen) und den Ordensleuten (die sogar ein Gehorsamsgelübde ablegen) gibt es auch die natürlichen Autoritäten - wie zum Beispiel den Eltern, Lehrern, Professoren, Polizisten, Staatsanwälten, älteren Menschen, Experten und Prominenten.

Auch die positiven Eigenschaften von Gehorsam (ich gebe Verantwortung ab und bin deshalb freier für andere Dinge) und deren Gefahren (ich gebe Verantwortung ab und lasse mich deshalb instrumentalisieren) möchte ich hier nicht thematisieren. In dieser Katechese soll es allein um den Glaubensgehorsam gehen - die anderen Formen habe ich nur erwähnt, um deutlich zu machen, welche besondere Bedeutung dieser Gehorsam in unserem Glauben hat.

Zweite Vorbemerkung: Auf- und absteigende Erkenntnis

Auch wenn es uns vielleicht überrascht, ist die die Anwendung von Glaubens- und religiösem Gehorsam auch in der Erkenntnis der Naturwissenschaften üblich. Natürlich wird dabei nicht von Gehorsam gesprochen (und schon gar nicht von religiösem Gehorsam), dennoch geschieht in der wissenschaftlichen Methode nichts anderes.

In jeder Wissenschaft und vor allem in der Naturwissenschaft wird als erstes die Wirklichkeit wahrgenommen und Überlegungen angestellt, wie sie wohl funktionieren könne. Daraus entstehen naturwissenschaftlichen Theorien, die dann überprüft werden, indem Experimente durchgeführt werden (oder, je nach Wissenschaftsgebiet, Beobachtungen, Erhebungen oder Analysen). Die so gewonnenen Daten bestätigen oder widerlegen die zuvor gemachten Theorien, so dass diese verfeinert oder verallgemeinert werden können.

Gehorsam den Daten gegenüber

Die Daten, die dabei erhoben werden, müssen sorgfältig geprüft werden, ebenso die Bedingungen, unter denen sie gewonnen wurden. Fehlerhafte Voraussetzungen, Verunreinigungen und Verfälschungen etc. müssen eliminiert werden. Werden dann die Daten durch verschiedene Versuchsanordnungen wiederholt bestätigt, sind diese verbindlich. Für jeden ernstzunehmenden Wissenschaftler absolut verbindlich. Das klingt wie Gehorsam, nicht wahr? Es ist aber schlicht Realismus.

Die großen Fehler und Verirrungen in den Naturwissenschaften (und auch anderen Wissenschaften) sind selten auf fehlerhafte Daten zurückzuführen, sondern meist auf falsche Interpretationen. Diese Interpretation, die wir "wissenschaftliche Hypothesen oder Theorien" nennen, sind deshalb auch nicht absolut verbindlich. (Das entspricht dem religiösen Gehorsam in der Kirche).
Fehlerhafte Daten, die immer wieder reproduziert werden, gibt es oft am Anfang einer neuen Erkenntnis, zum Beispiel bei der Bestimmung des Erdalters, der Fluchtgeschwindigkeit, der Materieverteilung im Universum oder des Eisengehaltes von Spinat. In den meisten Fällen waren sich die Forscher aber darüber im Klaren, dass die Daten noch ungenau sind und weiter konkretisiert werden müssen. Dass sich eine ganze Wissenschaft längere Zeit durch falsche Daten auf dem Holzweg befand, ist die Ausnahme.
Doch selbst, wenn das der Fall sein sollte, reicht es als Mitglied des Wissenschaftler-Kreises nicht, die Daten einfach abzulehnen. Es sollte schon auch der Grund angegeben werden, warum die Datenerhebung verfälschte Werte liefert.

Eigentlich ist es keiner Erwähnung wert: Ein Blick in die Realität zeigt, dass die Wirklichkeit auf eine bestimmte Art und Weise existiert - und eben nicht auf eine andere Art und Weise. Das zu entdecken beschneidet weder den Forscher, den Theoretiker noch uns alle in unserer Freiheit. Dass ein Proton nunmal positiv geladen ist oder Elefanten die einzigen Säugetiere sind, die nicht springen können, ist definitiv keine Einschränkung unsrer Freiheit (noch nicht einmal eine Einschränkung der Elefanten).

Warum ich dieses Offensichtliche erwähne? Nun, es gibt Theologen (dazu gehört zum Beispiel Magnus Striet, den wir später noch näher kennenlernen), die meinen, wenn Gott sich offenbart und diese Offenbarung dann auch noch eindeutig erkennbar ist, hätte Gott dem Menschen die Freiheit genommen oder sie doch zumindest eingeschränkt. Das ist natürlich Unsinn: Es mag sein, dass ein bestimmtes Klientel enttäuscht ist, dass Gott die Liebe ist. Vielleicht hätten sie lieber einen Rache-Gott. Aber ihre Freiheit, diesen Gott zu mögen oder nicht, wird dadurch nicht eingeschränkt. Im Gegenteil: Ich kann meine Freiheit nur dann voll entfalten und auf die Realität reagieren, wenn ich diese Realität kenne. Einen Gott, von dem ich nicht sicher weiß, wie er ist und noch nicht einmal, ob es ihn gibt, kann ich weder ablehnen noch anbeten.
Wer bereits die Realität als Einschränkung seiner Freiheit betrachtet, der hat tatsächlich ein Problem. Vielleicht hilft da ein Psychotherapeut.
Bedingte Freiheit der Theorien

Die erste und aufwändigste Pflicht eines Wissenschaftlers ist die Sicherung der Daten. Aber selbst, wenn die Daten unter allen möglich Gesichtspunkten und Voraussetzungen reproduziert wurden, können diese selbstverständlich noch unterschiedlich interpretiert werden. Selbst mit eindeutigen Daten bleibt eine große Freiheit der Wissenschaft. Es gilt daher, dass absolute Gewissenhaftigkeit, Treue und unvoreingenommener Realismus bei der Gewinnung von Daten eine maximale Freiheit in der Theoriebildung erlauben.

Aufsteigende Erkenntnis

Dieses nenne ich «aufsteigende Erkenntnis», da ausgehend von der Wahrnehmung der Wirklichkeit, die der Prüfstein jeder Theorie ist, ein Wissenschaftsgebäude errichtet wird. Ohne Rücksicht auf die Daten mag ein Gebäude zwar attraktiv, schön und wohnlich sein, es hat aber kein Fundament.

Geistige Erkenntnis

Nun gibt es Zeitgenossen, die der Ansicht sind, das auch jede geistige Erkenntnis durch nichts anderes zustande kommt, als durch eine fortgeführte naturwissenschaftliche Methode.

Sabine Hossenfelder zum Beispiel vertritt in ihrem Buch «Mehr als nur Atome» diese Position klar und engagiert: Alles, was unser Leben ausmacht, ist letztlich nichts anderes als ein Resultat des Verhaltens von kleinsten Elementarteilchen. In ihrem Sein liegt schon die Voraussetzung dafür, dass bei höchst komplexen Verbindungen dieser Teilchen der Eindruck von «Geist», «Freiheit» und «Bewusstsein» entstehe. In Wirklichkeit seien diese Phänomene jedoch emergent, streng deterministisch und auf die naturgesetzlichen Wechselwirkungen im Allerkleinsten zurückführbar.

Es gibt neben Hossenfelder noch zahlreiche andere Physiker, Naturwissenschaftler, Philosophen und Zeitgenossen, die neben der aufsteigenden Erkenntnis keine andere Erkenntnisquelle zulassen. Letztlich muss alles, das einen Wahrheitsanspruch erhebt, diesen aus den gesicherten Erkenntnissen der fundamentalen Naturwissenschaften ableiten. Einen anderen Erkenntnisweg gebe es nicht, der einen ähnlichen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben kann. Auch die Theologie und Religion - wenn sie mehr als simple Märchenerzählkunst sein will - müsse sich durch aufsteigende Erkenntnis herleiten. Alles andere, das sich nicht herleiten lässt, sei «außerwissenschaftlich» (so Hossenfelder), also letztlich Geschmacksache.

Auch wenn mir klar ist, dass vermutlich ein überwältigender Anteil unserer Zeitgenossen diese Ansicht teilt, wenn sie danach gefragt werden, bin ich jedoch davon überzeugt, dass der gleiche Bevölkerungsteil ungefragt von einer ganz anderen Erkenntnis geleitet wird. Nämlich einer geistigen Erkenntnis, die ich als «absteigend» bezeichnen möchte.

Absteigende Erkenntnis

Um mit einem Menschen zu interagieren, muss ich nicht Physik studieren und dann über die Chemie, die Biologie, die Medizin und die Neurologie auf die Psychologie zu kommen. Ich kann den Menschen, der mir begegnet, so nehmen, wie er mir erscheint: Als ein Wesen mit einem Leib und einer Seele. Dazu brauche ich ihm nur in die Augen zu schauen, und dann weiß ich es: Da wirkt eine geistige Seele.

Die Annahme, dass mein Gegenüber eine Seele hat, die sich nicht über fünfzehn Größenordnungen aus der Elementarphysik ergibt, ist weiter verbreitet als der Physikalismus einer Hossenfelder. Es liegt unserer Alltagserfahrung auch viel näher, von der Existenz einer Seele auszugehen; also einer geistigen Wirklichkeit, die sich nicht aus der Materie ergibt. Philosophen nennen diese Haltung den«Dualismus»: Es gibt zwei Wirklichkeitsebenen, die sich nicht jeweils aus der anderen ableiten und doch aufeinander bezogen sind.

Ob der Mensch, der mir begegnet und mich nach der Uhrzeit fragt, ein Verbrecher ist, der mich in eine Falle locken möchte - oder ein heimlicher Verehrer, der mir gleich seine Liebe gestehen wird - oder doch nur ein Reisender, der seinen Zug nicht verpassen will: Alles das ergibt sich nicht aus einer Analyse seiner materiellen Bestandteile, sondern aus seiner geistigen Verfassung uns Ausrichtung. Um herauszufinden, welcher Art der Uhrzeit-Fragende ist, bin ich auf eine geistige Erkenntnis angewiesen. Auf eine absteigende Erkenntnis, keine aufsteigende.

Eine absteigende Erkenntnis geht davon aus, dass es eine geistige Wirklichkeit gibt, die ich anhand von Beobachtungen durch materieller Art erkennen kann. Die Beobachtungen führe ich aber nicht auf eine aufsteigende Kausalkette mit Ursprung in den Elementarteilchen zurück, sondern gehen davon aus, dass geistige Wirklichkeiten absteigend in der beobachtbaren Realität (zum Beispiel von Mitmenschen) wirken - und als solche von uns klar erkannt werden kann. Letztlich finden sich diese Spuren der Geistigkeit auch in den Dingen wieder, vor allem, wenn sie Erzeugnis von geistigen Wesen sind. Das gilt für Bücher, Partituren oder CD-Aufnahmen, Briefe, Schmuckstücke und Kleidungen bis hin zur Architektur.

Natürlich bedient sich die Erkenntnis von materiellen Gegebenheiten anderer Methoden als die Wahrnehmung geistiger Realitäten. Während die naturwissenschaftliche Methode an die analytische Messung durch reproduzierbaren Anordnungen gebunden ist, erkennt die geistige Methode synthetisch, die Sicherung synthetischer Erkenntnis (oft der Zeugenaussagen) geschieht anhand eindeutiger Glaubwürdigkeitskriterien.
Wie so viele andere Nebenthemen, die in dieser Katechese angesprochen werden, muss eine nähere Beleuchtung dieses Sachverhaltes hier leider unterbleiben. Wichtig ist für uns, dass es in beiden Methoden klare Ergebnisse gibt.
Offenbarung: Absteigende Erkenntnis par excellence

Für einen versierten Physikalisten (also jemand, der keine anderen Wirklichkeit und auch keine andere Erkenntnis wahrhaben will als die, die sich aus der physikalisch erfassbaren Realität ergibt) ist die Annahme, es gebe so etwas wie eine geistige Wirklichkeit, die genauso erforscht werden könne wie die materielle, bereits religiöser Unsinn. Für manche scheinbar tolerante Physikalisten ist das schlicht «außerwissenschaftlich», für andere (wie z. B. Richard Dawkins) gefährliche Schizophrenie.
Für jemanden, der aber (wie geschätzte 99 % der Menschheit) wie selbstverständlich die Aussagen eines Verkäufers auf seine Glaubwürdigkeit anhand von geistigen Kriterien abwägt, wäre es Unsinn, für die Beurteilung einer geistigen Realität physikalische Umstände bis zu den Quantenzuständen der Quarks zu analysieren.
Und doch würden diese 99 %, die gewohnt sind, mit der absteigenden Wirklichkeit des Geistigen zu interagieren, eine angebliche religiöse Offenbarung genauso beargwöhnen wie ein Physikalist die Selbstaussage eines Verliebten.

Es ist noch einmal ein weiterer Schritt, neben der geistigen Wirklichkeit im Mitmenschen (der Seele) Gott als Ursprung dieser Realität zu erkennen. Und diesem Gott dann auch noch zuzutrauen, dass er sich selbst zu erkennen gibt - in einer Offenbarung. Obwohl ich davon ausgehe, dass 99% der Menschen wie selbstverständlich die Existenz einer Seele zumindest implizit in ihrem Handeln voraussetzen, sind nur 75% der Menschen von der Existenz eines eigenständigen höheren Wesens überzeugt, das wir «Gott» nennen.

Und doch ist der Sprung vom Physikalisten zum normalen Alltagsmenschen deutlich größer als der vom (nicht-religiösen) Durchschnittsmenschen zum Anhänger einer Religion. Ein Physikalist kann mit einer geistigen Erkenntnis, die nicht auf Messung und Zahlen beruht, nichts anfangen. Ein religiöser Mensch dagegen ist nichts anderes als jemand, der neben den Selbstoffenbarungen, die mir meine Mitmenschen ständig schenken («Mir geht es heute gar nicht gut!» - «Ich bin eigentlich ganz anders.» - «Ich bin unsterblich in Dich verliebt!»), auch damit lebt, dass ein anderes geistiges Wesen - in diesem Fall Gott - existiert und sich uns auf geistigem Wege offenbart. Natürlich unter Zuhilfenahme anderer geistiger Realitäten (sprich: Menschen), die wiederum materielle Realitäten einschließen (diese Menschen haben alle einen Leib). Und mit diesem Leib können sie Dinge verändern, zum Beispiel Buchstaben auf Pergament malen. Und daraus eine Bibel zusammenstellen.

Dass sich geistige Realitäten in materiellen niederschlagen, ist nichts besonderes. Das geschieht wie selbstverständlich, wenn mir die Mitglieder meiner Familie zu Weihnachten ihre Wunschzettel schreiben.

Die Selbstoffenbarung Gottes, die Grundlage all derjenigen Religionen ist, die man als «Offenbarungsreligionen» bezeichnen kann, ist natürlich nicht mit der naturwissenschaftlichen Methode zu erfassen. Dazu bedarf es der Kriterien und Vorgehensweise der geistigen Erkenntnis, in der wir uns im allgemeinen deutlich besser auskennen, als in der naturwissenschaftlichen Methode.
Auch eine göttliche Offenbarung lässt sich erkennen; dazu könnte ich hier jetzt Offenbarungskriterien auflisten. Es reicht aber schon ein schlichter Verweis auf die Apostel und Heiligen, die eine Offenbarung erkannt haben, als sie ihnen begegnet ist - was sich daraus erkennen lässt, dass sie bereit waren, ihr Leben dafür zu geben. Das können wir Menschen, weil wir sehr wohl erfahren sind im Umgang mit geistigen Dingen. Wir alle sind Menschen und leben mit Menschen. Nur die wenigsten von uns beschäftigen sich mit den Atomen, aus denen wir bestehen.

Wer bislang aufmerksam mitgedacht hat und sich fragt, warum ich diese Dinge erwähne, weiß inzwischen, worauf ich hinaus will: Physikalisten, Leib-seelische Menschen und religiöse Menschen haben alle etwas Entscheidendes gemeinsam.

Glaubensgehorsam ist Realismus
Glaubensgehorsam in der materiellen Welt

Ein Physikalist ist Realist, worauf er stolz ist. Vermutlich ist er auch stolz darauf, eine der wenigen Realisten in einer von Fake-News über angebliche geistige Realitäten durchsetzten Welt zu sein. Er ist davon überzeugt, dass er in allem, was er als sicher und gewiss ansieht, auf Beobachtungen und Messungen verweisen kann. Das ist der Grund, auf dem er steht.
Natürlich spinnt er um diese Daten auch Theorien, von denen er (wenn er ein guter Wissenschaftler ist) zugibt, dass sie nicht ganz so sicher sind und vielleicht bald durch eine bessere Theorie ersetzt werden kann.

Trotz dieser Einschränkung ist die Sicherheit der naturwissenschaftlichen Theorien schon sehr groß: Im Grunde hat sich die naturwissenschaftliche Erkenntnis der letzten 500 Jahren (wie zum Beispiel die Newton'sche Physik) bis heute nicht als völlig falsch herausgestellt, sondern allenfalls als unvollständig, weil sie in Wirklichkeit ein Sonderfall einer neuen, umfassenderen Theorie darstellt (zum Beispiel der Einstein'schen Relativitätstheorie).

Auch wenn ein Physikalist, der zugleich Anhänger einer bestimmten Physik ist (zum Beispiel der Stringtheorie), das Wort Gehorsam nicht in den Mund nehmen würde (geschweige denn Glaubensgehorsam), ist er ganz und gar abhängig von den Daten, die Auskunft über die Realität geben. Selbst, wenn er als Stringtheoretiker bestimmte Daten erwartet, wird er sich den tatsächlichen Messungen ergeben müssen. Sonst wäre er kein Realist und kein Wissenschaftler.

Weshalb Sabine Hossenfelder und zum Beispiel auch Alexander Unzicker bestimmte Theorien der gegenwärtigen Physik - wie zum Beispiel die Stringtheorie oder auch die Annahme einer Inflation im Frühstadium des Universums - als ebenso außerwissenschaftlich bezeichnet: Sie bauen entweder nicht auf Daten auf oder ignorieren sie schlicht.
Zumindest in dieser Hinsicht bin ich ganz ihrer Ansicht.

Wenn jemand gesicherte Messungen leugnen würde, obwohl er keinen hinreichenden Grund für die Falschheit der Messungen angeben kann, außer dass die Daten nicht zu seiner Theorie passen -, dann würde unser lieber Physikalist diesem Ignoranten den Realismus absprechen und ihn als quasi-religiösen Spinner aus der Wissenschaftsgemeinde ausschließen.

Auch damit bin ich ganz und gar einverstanden.
Glaubensgehorsam in der geistigen Welt

Auch, wenn der Physikalist das nicht wahrhaben will, verhält sich ein Dualist ganz genauso (ein Dualist ist jemand, der neben den materiellen Dingen dieser Welt auch den Geist als einen Bestandteil der Wirklichkeit akzeptiert). Das, was wir wahrnehmen, ist der Grund, auf dem wir stehen. Und unsere Wahrnehmungen von Geistigkeit sind sicherer, als Physikalisten das allgemein glauben. Wir wissen gut, was Menschen gesagt haben, wir verstehen Gebrauchsanweisungen, Preisschilder und Verträge, Auskünfte über zu fahrende Routen; wir deuten Straßenschilder, lesen Romane, begreifen musikalische Werke und schauen wie selbstverständlich Kinofilme, in denen künstliche (geistige) Welten erschaffen werden. Wir verstehen Selbstaussagen von Menschen, die sich als «müde», «40 Jahre alt» oder «Niederländer» bezeichnen.

Mit «Wahrnehmung der geistigen Wirklichkeit» meine ich nicht nur, dass wir uns sicher sind, dass ein Mensch eine Augenbraue bewegt hat, sondern dass wir ohne großes Nachdenken ein Gesicht als "wütend", "lachend" oder "desinteressiert" erkennen. Das können auch schon Säuglinge.

An die Wahrnehmung der geistigen Wirklichkeit schließt sich allerdings oft ein Rätseln an, warum oder wozu jemand so ist, wie er ist. Darin sind wir nicht nur mehr oder weniger unsicher, sondern auch oft fehlbar. Im Gegensatz zur Naturwissenschaft können wir allerdings den Mitmenschen (in den meisten Fällen) um eine Auskunft bitten - und auf eine Selbstoffenbarung desjenigen hoffen, den wir zu ergründen suchen. Das kann ein Physiker nicht. Elementarteilchen reden nicht über das, was sie bewegt.

Allerdings gibt es bei uns Menschen das Problem, dass eine Selbstauskunft nicht immer zuverlässig oder ehrlich ist.

Einstein dagegen hat schon erkannt, dass die Natur zwar manchmal schwer durchschaubar, aber nie bösartig ist.

Bei der geistigen Erkenntnis, die auf der Selbstauskunft eines Menschen beruht, gibt es dagegen die Schwierigkeit, dass Menschen oft selbst nicht wissen, wie es ihnen wirklich geht, warum, weshalb und wozu sie etwas tatsächlich tun oder sagen - und was sie für tief verborgene Sehnsüchte haben.

Glaubensgehorsam in einer Offenbarungsreligion

Jetzt können wir besser verstehen, was mit Glaubensgehorsam im Kontext der christlichen Religion gemeint ist: nichts anderes als Realismus. Unter der Voraussetzung, dass Gott existiert, sich selbst offenbart und dabei weder täuscht noch getäuscht werden kann, ist Seine Offenbarung die Grundlage, auf der wir stehen. Sie ist kein Appell, der von uns Gehorsam verlangt, sondern Mitteilung der Wirklichkeit. Wie die Daten in der Physik, die wir nicht ignorieren oder verändern können, ohne uns aus der Wissenschaftsgemeinde herauszukatapultieren.

Somit würde ich den absoluten Glaubensgehorsam aus der Reihe der eingangs genannten Gehorsamsstufen herauslösen und nicht von Gehorsam, sondern Realismus sprechen. Ein Realismus darf absolut sein; ein Gehorsam sollte es nach Möglichkeit nicht.

Aber selbst ein absoluter Realismus behindert nicht die Freiheit des Menschen (genauso wenig wie die anderen, schwächeren Stufen des Gehorsams in- und außerhalb der christlichen Religion). Denn die Realität erwartet vom Menschen eine Zustimmung in Freiheit genauso wie eine nachgeordnete Autorität. Und jede Freiheit erfährt ihre Bedeutung erst dann, wenn sie sich frei bindet.

Keiner muss Christ sein. Da sind und bleiben wir vollkommen frei in unserer Entscheidung. Aber wer Christ ist, ist es deshalb, weil er die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus als wahr erkennt und annimmt. Eine Aussage über Gott, über sein Wesen oder seine Absicht (»Das Heil aller Menschen zu wirken») ist also keine Anweisung, der wir gehorchen müssen, sondern eine Aussage, die Realität vermittelt.
Natürlich können wir versuchen, die Selbstaussagen Gottes besser und tiefer zu verstehen. Wir können Theorien entwerfen, um in Gottes Handeln Prinzipien zu entdecken; Begriffe entwickeln, abgleichen und wieder verwerfen. Aber damit sind wir - wie der Physiker - nicht im Bereich der «Wahrnehmung der Wirklichkeit», sondern in der bunten Welt der Thesen, Hypothesen und Theorien. In der Religion nennen wir dieses Nachdenken über die Offenbarung «Theologie», und diese Welt ist tatsächlich bunt. Man schaue sich nur an den theologischen Fakultäten um - oder werfe einen Blick auf ein Bücherregal mit theologischer Fachliteratur.

Die Selbstaussagen Gottes - Seine Offenbarung - ist der Theologie aber vorgelagert. Die Theologie macht nicht die Offenbarung, genauso wenig wie eine physikalische Theorie Daten hervorbringt. Die Offenbarung ist der Grund, auf dem die Theologie aufbaut. Aufgrund der Selbstoffenbarung Gottes können wir alle überhaupt erst Christ sein.
Lasst mich diese Aussage noch etwas konkretisieren: «Der Grund, auf dem wir stehen, ist diese Selbstaussage Gottes, die Offenbarung. die bewahrt wird im Leben der Kirche (der Getauften und Gefirmten) und in den wichtigsten Punkten markiert wird durch das ordentliche Lehramt, also dem Papst (wenn er feierlich ein Dogma verkündet) oder einem Konzil (wenn es das gleiche vorhat und in Einheit mit dem Papst steht).» - Damit haben wir den Grund beschrieben, auf dem wir Katholiken stehen.

Schauen wir genauer hin: Was ist Offenbarung?
Daten erheben

Wenn also der Papst verkündet, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde, dann markiert er einen Teil der Offenbarung (man sagt auch: Er verkündet ein Dogma). Das ist keine Theologie, die der Papst betreibt, sondern eine Vorgabe für die Theologie. So, wie der Ausgang eines Experimentes für eine Physiker einen Teil der physikalischen Realität markiert. Diese Realität war schon vorher da (selbstverständlich erzeugen Experimente keine Naturgesetze, sondern machen sie sichtbar!). Genauso ist das mit den Aussagen des ordentlichen Lehramtes: Es erfindet nichts, der Papst denkt sich nicht etwas aus. Das Konzil von Nicäa verkündet die Gottheit Christi, weil das wesentlicher Bestandteil der Offenbarung ist - und nicht aus politischen, theologischen oder finanziellen Gründen.

Der manchmal geäußerte Vorschlag, das Amt der Bischöfe solle durch qualifizierte Theologen begleitet werden (manchmal wird sogar von ersetzen gesprochen), ist durchaus zu vergleichen mit dem Wunsch mancher Physiker, die Erhebung von Daten soll zukünftig von Theoretikern kontrolliert werden - oder gar ganz deren Vorhersagen überlassen werden. Das würde viele Widersprüche aufheben, denn die Theoretiker wissen besser, welche Daten zu ihren Theorien passen würde. Und sie haben sehr konkrete Erwartungen. – Das wäre aber die Auflösung der Physik, ebenso wie die Ersetzung oder Kontrolle der Bischöfe durch die Theologen die Auflösung der Offenbarung wäre.

Der alte Spruch «Roma locuta, causa finita!» («Rom hat gesprochen, damit ist der Streit beendet!») wurde zwar für Fragen der Disziplin oder Absprachen zu Einheit der Kirche geprägt (zum Beispiel, wann das Osterfest gefeiert werden soll). Aber der Dienst des römischen Lehramtes an der Einheit der Kirche hat tatsächlich eine konzentriertere Aufgabe: Seine eigentliche theologische Bedeutung hat dieser Spruch in Bezug auf das Glaubensgut. Rom entscheidet nicht wie ein Politiker oder Theologe, sondern spricht lediglich aus, was zuvor schon Bestandteil der Offenbarung war.

Das wird besonders deutlich bei der ersten großen Streitfrage in der Kirche und dem abschließenden Apostelkonzil (48 n. Chr.). Die Frage, ob die Griechen (also die Nichtjuden) sich zusätzlich zur Taufe auch noch beschneiden lassen mussten (wie es bei den getauften Juden ja auch der Fall war), entzweite nicht nur die Gemeinden, sondern auch die Theologen der damaligen Zeit, darunter auch Paulus. Der Streit wurde aber weder per Abstimmung noch per politischer Praktikabilität entschieden. Es wurde auch nicht gefragt, was für die Vermehrung der Christen wohl sinnvoller wäre.
Vielmehr wurde diese Frage den Aposteln in Jerusalem vorgelegt, weil diese zwei entscheidende Voraussetzungen hatten: Sie kannten Jesus und wussten daher, was in dessen Intention gelegen hatte (was also seinem Willen entsprach). Es ging also um die Frage, was dem Wesen Gottes - Seiner Realität - gemäß ist. Der zweite Grund, weshalb die Apostel für die Klärung in Frage kam, war der Beistand des Heiligen Geistes, der ihnen in dieser Hinsicht zugesagt worden ist.

Wobei diese beiden entscheidenden Voraussetzungen eigentlich das gleiche meinen: Der Heilige Geist lehrt ja nichts anderes, als was Jesus lehrt. Und Jesus offenbarte nichts anderes, als was Gott ist. Eine erste, beispielgebende Markierung der Realität der Offenbarung durch das Lehramt!

Damit ist auch die Aufgabe der Bischöfe (inklusive des Papstes) deutlich: Sie sind «Seher der Offenbarung» und damit «Sprecher des Evangeliums». Man könnte auch Verkünder sagen. Das ist ihre Aufgabe, die sie nicht delegieren oder abgeben können. Letztlich ist diese Aufgabe das, wozu ein Bischof Bischof ist.

Der Magnus-Striet-Komplex

Wer den katholischen Realismus, die Offenbarung so anzunehmen wie sie ist (und durch das Lehramt markiert wurde), als unzumutbaren Glaubensgehorsam darstellt (anstatt von notwendigem Realismus zu sprechen), rennt in der heutigen Gesellschaft so manche offene Tür ein. So tut es zum Beispiel der Freiburger Theologe Magnus Striet. (Von ihm haben wir weiter oben schon gehört.)

Vielleicht rennt Magnus Striet die offenen Türen aber auch mit voller Absicht ein, um sich dann mit den dahinter lebenden modernen Menschen zu solidarisieren, denen ein solcher Glaubensgehorsam nicht zumutbar erscheint.

Magnus Striet geht es um die Freiheit des Menschen (das zeigt beispielsweise ein Buchtitel "Gott - Freund der Freiheit", in dem es genau um diese Fragen geht), und deshalb lehnt er den Glaubensgehorsam ab - konsequenterweise auch die Offenbarung, auf die sich dieser «Gehorsam» bezöge. Genau genommen akzeptiert er zwar die geistige Realität des Menschen (er ist also kein Physikalist, zumindest vermute ich das), lehnt aber jede darüber hinausgehende absteigende Erkenntnis ab, weil sie von oben dem Menschen etwas aufpfropft, was nicht durch die heutigen Wissenschaften gedeckt ist (Vielleicht ist er doch Physikalist?). Zumindest behauptet er, dass Gott - falls es ihn gibt - nicht sicher erkennbar ist (Magnus Striet schreibt zwar nicht «erkennbar», sondern «beweisbar», aber er meint damit das Gleiche). Und da die Existenz dieses Gottes nicht sicher nachweisbar ist, ist auch seine Offenbarung nur «möglicherweise» wahr. Sicher könne man sich da nicht sein.

Erst - so scheint Magnus Striet zu fordern - wenn wir die Religion aufsteigend herleiten können, können wir Glauben einfordern und Gehorsam erwarten, der dann ja nichts anderes als Logik wäre. Da aber eine Herleitung der Religion weder aus der Physik, der Biologie oder den modernen Humanwissenschaften möglich ist - noch ein logischer Schluss von der Geistigkeit des Menschen hin zu der christlichen Glaubenswelt -, bleibt nichts andere übrig, als jedem Menschen in Bezug auf einen übernatürlichen Glauben die maximale Freiheit zuzugestehen. Das meint zumindest Magnus Striet. (Vermutlich ist Magnus Striet doch ein Physikalist. Zumindest kommt er zu den gleichen Ergebnissen wie Sabine Hossenfelder).

Im Grund verweist er damit jede Glaubensaussage in den Bereich des «anlasslosen Glaubens» und ist im Grundsatz und Ergebnis mit der Agnostikerin und Physikalistin Sabine Hossenfelder ein Herz und eine Seele: Der christliche Glaube ist außerwissenschaftlich und damit Geschmacksache. Über Geschmack kann man aber nicht streiten, ihn kann man nicht verordnen oder fordern. Man kann ihn nur tolerieren.

Das ist aber sicher nicht christlich und schon gar nicht katholisch.

Ohne Kirche geht es nicht

Die Welt des Geistes, der Seele und der seelischen Regungen ist für unsere leiblichen Sinne nicht direkt zu erfassen. Deshalb bedarf die Seele eines Leibes, um das Geistige sichtbar zu machen. Damit ist aber das Geistige nicht einfach materiell überprüfbar. Es bedarf immer auch eines Geistes, um Geistiges wahrzunehmen.

Das habe ich wiederum ausführlich hergeleitet und veranschaulicht in der Katechese «Objektive geistige Welt - Nr. 139».

So bedarf auch die Selbstoffenbarung Gottes einer materiellen Wirklichkeit, die diese vermittelt. Das war, ist und bleibt zunächst Jesus Christus, der mit seiner Seele und seinem Leib die Offenbarung Gottes in dieser Welt eingefügt hat. Diese Selbstoffenbarung ist seitdem lebendig gegenwärtig in der Gemeinschaft der Getauften und Gefirmten. Da es aber wiederum einer göttlichen Wirklichkeit bedarf, um Göttliches wahrzunehmen, brauchen wir die Kirche, insofern sie Wirkungsort des göttlichen Heiligen Geistes ist. Deshalb schrieb Petrus schon eindringlich:

«Bedenkt dabei vor allem dies: Keine Prophetie der Schrift wird durch eigenmächtige Auslegung wirksam; denn niemals wurde eine Prophetie durch den Willen eines Menschen hervorgebracht, sondern vom Heiligen Geist getrieben haben Menschen im Auftrag Gottes geredet.» (2 Petrusbrief, 1,20f).

Nun kann man leugnen, dass es eine solche Offenbarung gibt. Genauso, wie man munter leugnen kann, dass es überhaupt eine geistige Realität gibt. Wenn man aber annimmt, dass Gott sich in dieser Welt selbst geoffenbart hat, kommt man nicht daran vorbei, die Aufgabe der Kirche als Hüterin der Offenbarung und als Wirkungsstätte des Heiligen Geistes zu akzeptieren. Es wäre schon seltsam, an eine Offenbarung Gottes zu glauben, die man dann in Ermangelung eines göttlichen Beistandes irgendwann nicht mehr von Grimms Märchen unterscheiden kann.

In der Tatsache, dass Gott sich offenbart und in der Anerkennung, dass die Kirche einen göttlichen Beistand hat, die Offenbarung zu bewahren und gelegentlich zu markieren, eine Aufhebung der menschlichen Freiheit zu sehen anstatt einer theologischen Notwendigkeit - auf eine solche Idee kann auch nur ein Magnus Striet kommen.
Fazit

Halten wir also fest, dass wir im Gegensatz zu Sabine Hossenfelder (und allen anderen Physikalisten) glauben, dass Freiheit, Geist und Bewusstsein eine geistige Realität ist, die sich nicht aus der Materie ableitet, sondern fundamental ist.
Halten wir auch fest, dass wir im Gegensatz zu Magnus Striet (und allen anderen Offenbarungsleugnern) glauben, dass Gott existiert, sich selbst offenbart hat und diese Offenbarung wahr ist, da Gott weder täuscht noch getäuscht werden kann.
Halten wir auch fest, dass wir im Gegensatz zu Luther (und anderen allen anderen Protestanten) glauben, dass diese Offenbarung nicht nur in der Bibel allein, sondern seit der biblischen Zeit fortwährend in der Kirche gelebt und damit am Leben erhalten wird. Das Wirken des Heiligen Geistes, der garantiert, dass diese Offenbarung verdunstet, besteht unter anderem im Beistand der Bischöfe und des Papstes, deren Aufgabe es ist, diese Offenbarung immer wieder gegen Widerstände zu markieren.
Und schließlich: Wer diese Markierungen akzeptiert, ist Realist. Wer sie nicht wahrhaben will, ist zumindest kein gläubiger Katholik mehr.

Alles das ist keine Einschränkung unserer Freiheit, kein blinder Glaubensgehorsam und kein Verzicht auf eigenes Denken. Es handelt sich schlicht um die Wahrnehmung der Realität. Rationales Denken, Theoretisieren und Theologisieren, selbstverantwortliches Denken und eigenständiges Weiterdenken schließt sich daran erst an. Das Lehramt der Kirche verhindert ein solches nicht, sondern ist dafür die Grundlage.

Nun kann man noch fragen, wieso die Katholiken neben der Bibel noch dieses «Fortleben der Offenbarung in der Kirche» inklusive der «Markierfunktion des Lehramtes» glauben. («Weil die Bibel allein nicht eindeutig ist und der lebendigen Auslegung durch den in der Kirche wirkenden Heiligen Geist braucht!»).
Man kann fragen, wo der Heilige Geist denn außerdem noch wirkt, über den Beistand der Bischöfe hinaus. («In allen Getauften und Gefirmten, in ihnen als Ganzes und in den Heiligen im Besonderen!»).
Man kann zudem noch fragen, woher ich denn sicher sein kann, dass ein Mensch, der behauptet, er habe soeben die wahre Offenbarung an entscheidender Stelle markiert, von mir Realismus erwarten kann. («Aufgrund seiner Weihe und der Akzeptanz durch die Hierarchie der Kirche!», die wiederum auf dem «glaubwürdigem Zeugnis der Apostel» aufbaut).

Aber diese Fragen sind schon in anderen Katechesen erläutert worden und sollen hier nicht wiederholt werden.

Wer jetzt zu faul ist, sich die entsprechenden Katechesen herauszusuchen: Bei der ersten Frage hilft die Katechese «Bibel und Tradition - Nr. 67» weiter, für die zweite Frage sind «Das Allgemeine Priestertum - Nr. 40» und «Heilige sind wie Dogmen - Nr. 157» aufschlussreiche Antwortversuche, und für den dritten Einwand dürfte die Katechese «Der Bischof und sein Bistum - Nr. 158» passend sein.
Ein Beispiel: «Kein Recht, Frauen zu Priestern zu weihen»

Wenn Papst Johannes Paul II. definierte, dass «die Kirche kein Recht hat, Frauen zu Priestern zu weihen», dann ist das keine Anordnung, der man Gehorsam schulden könnte, sondern eine Aussage über die Realität der Offenbarung. Diese Markierung der Offenbarung kann man ignorieren, genauso wie ein Physiker ein Experiment und dessen klaren Ausgang ignorieren kann. Aber dann ist man eben nicht mehr Teil der Realisten, sondern erliegt dem eigenen Wunschdenken.

Die Aussage der Vertreter der Forderung der Frauenweihe erklären zwar, dass nicht die Spendung der Priesterweihe an Frauen begründungspflichtig ist, sondern deren Verbot. Sie verkennen allerdings, dass die unfehlbare Aussage des Papstes in dieser Frage keine begründungspflichtige Anordnung ist, sondern eine Aussage des ordentlichen Lehramtes. Das ordentliche Lehramt liefert aber nur Informationen über die geistige Wirklichkeit der Offenbarung, genauso wie ein naturwissenschaftliches Experiment oder eine Beobachtung Informationen über die materielle Wirklichkeit liefert. Kein Biologe verlangt von einem Forscher, der beobachtet, dass Koalabären außer Eukalyptussprossen keine andere Nahrung zu sich nehmen, dass er dieses unglaubliche Verhalten gefälligst erklären müsse. Selbst, wenn der Forscher nicht weiß, warum ein Koala das tut, weiß er, was er beobachtet hat.

Besonders skurril ist der Hinweis einiger Kritiker dieser Markierung, sie seien durch diese Festlegung der Kirche nicht überzeugt. Dabei hat das Lehramt gar keinen theologischen oder biblischen Argumentationsgang vorgelegt. Die Festlegung durch Johannes Paul II. ist kein logischer Schluss aus einer vorangegangenen Gedankenkette, sondern eine Markierung der Offenbarung, aus der man dann anschließend theologische Schlüsse ziehen kann. Der Papst wollte damit niemanden überzeugen, sondern lediglich die Wirklichkeit unterstreichen.

Wie kommt der Papst zu dieser Erkenntnis? Vor allem im Schauen auf die Offenbarung, die sich aber nicht allein in der Bibel findet, sondern im Leben der ganzen Kirche. Das heißt, sowohl der Schrift, der Kirchenväter, der Heiligen und Theologen durch alle Zeit hindurch, als auch im Blick auf die gesamte Weltkirche in ihren unterschiedlichsten Zuwendungen in den verschiedenen Kulturen, gesellschaftlichen Schichten und Spiritualitäten. Es ist ein Schauen, geleitet durch den Heiligen Geist. Kein Schlussfolgern - zumindest nicht nur.

Denn natürlich gibt es auch theologische Gründe, biblische Hinweise und spirituelle Ausdeutungen des Priestertums und der Theologie der Geschlechter, die eine solche Dogmatisierung erhellen. Es ist aber nicht entscheidend, wie schlüssig sie erscheinen. Mit der dogmatisch-festlegenden Formulierung, die Kirche habe das Recht zur Weihe von Frauen zu Priestern nicht, ist eine Tatsache markiert worden.

So mögen auch naturwissenschaftliche Versuchsergebnisse durch die Geschichte der Wissenschaft nahe liegen, gute Gründe für ein bestimmtes Ergebnis sprechen und frühere Versuche in eine bestimmte Richtung deuten - in dem Augenblick, in dem die neuesten Daten gesichert vorliegen, ist es egal, wie schlüssig die Theorien waren. Die Daten sprechen jetzt für sich.

Niemand ist dazu verpflichtet, der Wirklichkeit Folge zu leisten. Jeder kann gerne ein Träumer, Phantast, Märchenerzähler oder Prophet in eigener Sache sein. Wer aber nach der Realität fragt - der Wirklichkeit und Wahrheit -, der wird dankbar auf jede Markierung durch das Lehramt der Kirche schauen.