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KARL-LEISNER-JUGEND |
"Wo ist Gott?!"
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Eli Wiesel schreibt nach seiner Befreiung aus dem KZ auf Wunsch der Alliierten seine grauenhaften Erfahrungen nieder. Dort heißt es an einer Stelle:
Ich habe in der Folge mehreren Erhängungen beigewohnt. Nie habe ich einen der Verurteilten weinen sehen, denn ihre ausgemergelten Körper hatten seit langem den bitteren Trost der Tränen vergessen.
Mit Ausnahme einer Vollstreckung. Der Oberkapo des 52. Kabelkommandos war
ein Holländer, ein über zwei Meter hoher Riese. Siebenhundert Häftlinge
arbeiteten unter seinem Befehl und alle liebten Ihn wie einen Bruder. Nie
hatte einer eine Ohrfeige von seiner Hand bekommen, nie einen Fluch aus seinem
Munde gehört.
Er hatte im Dienst einen jungen Burschen bei sich, einen Pipel, wie man ihn nannte, ein Kind mit feingezeichneten schönen
Gesichtszügen, das nicht in unser Lager passte.
(In Buna hasste man die Pipel: Dort erwiesen sie sich oft grausamer als die
Erwachsenen. Ich habe einmal einen Dreizehnjährigen seinen Vater schlagen
sehen, weil dieser sein Bett nicht gut gemacht hatte. Da der Alte sanft weinte,
schrie der Junge: "Wenn du nicht sofort aufhörst zu heulen, bring
ich dir kein Brot mehr. Verstanden?" Der kleine Diener des Holländers
wurde jedoch von allen geliebt. Er hatte das Gesicht eines unglücklichen
Engels.)
Eines Tages flog die Elektrozentrale von Buna in die Luft. An Ort und Stelle
gerufen, schloss die Gestapo auf Sabotage. Man fand eine Fährte, die
in den Block des holländischen Oberkapos führte. Dort entdeckte
man nach einer Durchsuchung eine bedeutende Menge Waffen.
Der Oberkapo wurde auf der Stelle festgenommen. Wochenlang wurde er gefoltert. Umsonst. Er gab keinen Namen preis, wurde nach Auschwitz
überführt und war fortan verschollen.
Aber sein Pipel blieb im Lager, im Kerker. Gleichfalls gefoltert, blieb auch er stumm. Die SS verurteilte ihn daher zusammen mit zwei
anderen Häftlingen, bei denen Waffen gefunden worden waren, zum Tode.
Als wir eines Tages von der Arbeit zurückkamen, sahen wir auf dem Appellplatz drei Galgen. Antreten. Ringsum die SS mit drohenden
Maschinenpistolen, die übliche Zeremonie. Drei gefesselte Todeskandidaten, darunter der kleine Pipel, der Engel mit den traurigen
Augen.
Die SS schien besorgter, beunruhigter als gewöhnlich. Ein Kind vor Tausenden von Zuschauern zu hängen, war keine
Kleinigkeit. Der Lagerchef verlas das Urteil. Alle Augen waren auf das Kind gerichtet. Es war aschfahl, aber fast ruhig und biss sich
auf die Lippen. Der Schatten des Galgens bedeckte es ganz.
Diesmal weigerte sich der Lagerkapo, als Henker zu dienen. Drei SS-Männer traten an seine Stelle.
Die drei Verurteilten stiegen zusammen auf ihre Stühle. Drei Hälse wurden zu gleicher Zeit in die Schling eingeführt.
"Es lebe die Freiheit" riefen die beiden Erwachsenen. Das Kind schwieg.
"Wo ist Gott, wo Ist er?" fragte jemand hinter mir.
Auf ein Zeichen des Lagerchefs kippten die Stühle um.
Absolutes Schweigen herrschte im ganzen Lager. Am Horizont ging die Sonne unter.
"Mützen ab!" brüllte der Lagerchef. Seine Stimme klang heiser. Wir weinten.
"Mützen auf!"
Dann begann der Vorbeimarsch. Die beiden Erwachsenen lebten nicht mehr... Aber der dritte Strick hing nicht leblos, der leichte Knabe lebte noch ...
Mehr als eine halbe Stunde hing er so und kämpfte vor unseren Augen zwischen Leben und Sterben seinen Todeskampf. Und wir mussten
ihm ins Gesicht sehen. Er lebte noch, als ich an ihm vorbeischritt. Seine Zunge war noch rot, seine Augen noch nicht erloschen.
Hinter mir hörte ich denselben Mann fragen:
"Wo ist Gott?'
Und ich hörte eine Stimme in mir antworten:
"Wo er ist? Dort - dort hängt er, am Galgen..."
Eli Wiesel