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KARL-LEISNER-JUGEND |
„Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Kleriker und der Politiker, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ – so könnte Jesus vielleicht heute sprechen, wenn er zu uns käme und wir die Zuhörer bei seiner Bergpredigt wären.
Denn die Schriftgelehrten und die Pharisäer – das waren diejenigen, die eigentlich als vorbildlich gelten sollten, als wegweisend, als beispielhaft, in geistlichen Dingen wie in den alltäglichen Dingen, im praktischen Leben eben.
Aber was heißt hier „gerecht“: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist ...“ (Mt 5,20)? Hier haben wir ein Wort, das für die Bibel, besonders auch für das Matthäus-Evangelium, von entscheidender Bedeutung ist! Hier haben wir gewissermaßen einen Schlüssel für das Verstehen dessen, was Jesus hier meint: Gerechtigkeit, auf die kommt es an; Gerechtigkeit, die kann nicht groß genug sein.
Was bedeutet das? Nun, die „Gerechtigkeit“ bestand für den frommen Juden darin, das Rechte zu tun vor Gott und den Menschen. Woher konnte er wissen, was recht und was nicht recht war? Er konnte es wissen aus den Geboten und den Weisungen der Tora: 613 einzelne Vorschriften gab es da, 248 Gebote und 365 Verbote.
Daran sich zu halten, in allen Einzelheiten, das war natürlich unmöglich, das wußten auch die strengsten Ausleger. Aber es mußte doch wenigstens versucht werden!
Hier kommt der tiefere Sinn der „Gerechtigkeit“ ins Spiel, ein Sinn, der aufscheint, wenn zum Beispiel der heilige Josef als „gerecht“ bezeichnet wird (vgl. Mt 1,19) oder vom greisen Simeon gesagt wird, er sei „gerecht und fromm“ (Lk 2,25). Hier wird schon durch die Kombination der beiden Worte „gerecht“ und „fromm“ deutlich, daß einer nur gerecht werden und gerecht sein in der rechten Beziehung zu Gott, seinem Schöpfer. Und diese rechte Beziehung nennt man auch: Glauben.
So wird dann auch der heilige Paulus immer wieder sagen, daß die wahre Gerechtigkeit, also das richtige Leben vor Gott und den Menschen, nur durch den Glauben an Gott gelingt (vgl. Apg 13,39; Röm 3,26.28; 5,1; 10,4 u.a.): Wer glaubt, den macht die Gnade Gottes gerecht.
Aber zurück zur Frage von vorhin: Warum muß denn unsere Gerechtigkeit „größer“ sein als die der anderen, die sich für gerecht und gut halten, aber es vielleicht gar nicht so besonders sind? Ist das nicht überheblich, das zu behaupten oder danach zu streben? Sollten wir da nicht lieber bescheiden bleiben und sagen: Naja, wir sind doch alle kleine Sünderlein ... der liebe Gott nimmt es wohl nicht so genau ... oder, wie es demnächst an Karneval so schon gesungen werden wird: „Wir kommen alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind ...“? Was soll man dazu sagen?
Nun, eigentlich müssen wir dazu gar nichts mehr sagen! Denn wenn wir genau zugehört haben und Jesus wirklich ernstnehmen wollen, haben wir die Antwort auf diese Frage schon gehört! Wir haben gehört, daß dann, wenn unsere Gerechtigkeit nicht größer wird und größer ist, wir nicht „in das Himmelreich kommen“: Das „Himmelreich“, das ist die vollendete Gemeinschaft mit Gott, das ist der vollkommene Friede, die Freude, die nur Gott selbst schenken kann, das wirkliche Glück, das Ziel erreicht zu haben, das die Fülle des Lebens einschließt.
Und an dieser Stelle kann uns der genaue Wortlaut noch besser helfen, zu verstehen, was gemeint ist. Was nämlich in unserer Bibel mit „größer“ übersetzt ist oder in anderen Ausgaben mit „vollkommener“, ist im Urtext noch etwas anders ausgedrückt. Da heißt es wörtlich: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit mehr Überfluß haben wird ...“
Hier begegnet uns ein Thema, das größer und wunderbarer eigentlich nicht sein kann: Das Gesetz des Überflusses,[1] in dem der Mensch nicht mehr länger rechnet und berechnet, ob sein Tun vor Gott wohl genügen wird, sondern wo der Mensch einfach großzügig, im Überfluß und ohne Hintergedanken liebt, weil er sich unendlich geliebt und von Gott angenommen weiß.
Das soll ein Christ sein: ein Mensch, der die Großzügigkeit liebt. Denn Gott selbst ist überaus großzügig mit uns Menschen: Jesus hat bei der wunderbaren Brotvermehrung die Vielen gespeist, nicht nur ein paar Wenige. Er hat auf der Hochzeit zu Kana gleich 600 Liter besten Wein gespendet. Und er gibt alles, sein Leben, hin für uns Menschen, ja für die Sünder.
Und darin besteht im Tiefsten die Großzügigkeit Gottes: daß er sich der Sünder annimmt und sie überreich beschenkt - obwohl er doch wissen muß, daß nicht alle dankbar sein werden. Von den 10 Aussätzigen, die Jesus geheilt hat, kommt nur ein einziger zurück, um ihm zu danken!
Dazu können wir alle beitragen! Mutter Teresa von Kalkutta wurde einmal von einem Journalisten gefragt, was sich ihrer Meinung nach in der Kirche ändern müßte. Darauf hat sie ihn angeschaut und mit nur drei Worten geantwortet: „Sie und ich.“
[1] Diesen Gedanken verdanke ich einer Predigt des damaligen Professors Joseph Ratzinger, die er 1964 in Münster gehalten hat: Vom Sinn des Christseins. Drei Adventspredigten, München 1965, S. 63 ff.
Liebe Schwestern und Brüder!
Manchmal erliegen wir Priester und wir Christen der Versuchung, mit Methoden, Konzepten, Vorschriften und Regeln den lebendigen Glauben herbeizuzaubern. Man rechnet damit, dass die Erfüllung von Vorschriften entweder das innerliche Glaubensleben ankurbelt, oder aber dass man mit geeigneten Methoden ein Gemeinschaftsgefühl erzwingen kann.
Gerade angesichts dieser Tendenz ist es wichtig für die Fülle im Glauben, festzuhalten, dass Glauben und die Beziehung zu Christus eine Herzensangelegenheit ist. Es darf nicht angehen, dass ich, als Priester zum Beispiel, Menschen nach Ihrer Oberfläche beurteile. Was zählt, ist das Herz, und das bleibt meistens im Verborgenen. Uns bleibt daher, nicht zu urteilen, sondern zu stärken, zu trösten und zu helfen. Seid gut, wenn ihr könnt! Es zwingt euch keiner - außer euer Herz.
Wenn wir uns bemühen unser eigenes Herz unter der Oberfläche
zum Glühen zu bringen - bedarf es vor allem drei Dinge:
Der Gnade - des Willens - und einer gehörigen Portion
Gelassenheit.
Um die Gnade müssen wir beten. Wir können sie nicht
erzwingen oder verdienen. Den Willen müssen wir üben,
immer neu ausrichten an der Liebe Gottes. Und beides braucht
viel Raum und Zeit. Die Ungeduld kann alles wieder zerstören.
Wie schnell sind wir an dem Punkt zu sagen: «Das hat
alles keinen Zweck, ich kann das nicht, ich schaff das nicht,
ich lass das sein. Ich bin nicht fähig dazu, zu glauben,
zu beten, Gott zu lieben.» Und flugs sind wir wieder
bei den Äußerlichkeiten und hoffen, dass es reicht.
Dabei hat Gott uns guten Grund gegeben zur Gelassenheit.
Im heutigen Evangelium heißt es nämlich: «Nicht
erst, wer seinen Bruder tötet, sondern wer seinem Bruder
auch nur im Herzen zürnt...» Das mag zunächst
nach einer Verschärfung der Gesetze aussehen. Aber Meister
Eckhart hat es auf den Punkt gebracht: «Du bist verantwortlich
für alle deine Intentionen». Auch der, der seinen
schlechten Vorsatz aus irgendwelchen Zufällen nicht in
die Tat umsetzen konnte - ist verantwortlich für seinen
Vorsatz, für seine Intention.
Aber dann gilt auch umgekehrt: Auch dem, der sich die gute
Tat fest vorgenommen hat, aber nicht dazu kam, wird das Gute
angerechnet werden. Wir kennen das: Böse Worte sind gefallen,
man möchte sich vielleicht auch entschuldigen, aber kommt
nicht dazu, man bringt es nicht übers Herz oder vergisst
es dann doch wieder. Gott vergisst es nicht! Gott ist größer
als unser Herz - wir werden erstaunt sein, welche guten Taten
uns beim Jüngsten Gericht angerechnet werden - «die
hab ich doch nie getan!» All das Gute folgt uns nach,
das wir getan haben, aber auch all das, was wir gewollt haben.
Wenn wir nicht anders können - kann ein Lächeln, ein liebender Blick, ein aufmunterndes Nicken - eine ganze Palette von guten Werken ersetzen. Wir sind verantwortlich für unsere Intentionen, und wenn unser Herz uns auch verurteilt, weil wir doch nichts zustande gebracht haben - Gott ist größer als unser Herz. Wir sind auf Gott hin und Gott ist die Liebe. Wenn das kein Grund zur Gelassenheit ist!
Deswegen heißt die Devise der Gelassenen nicht «Mach was aus Dir!» sondern «lass was aus dir machen.» Worauf es wirklich ankommt ist die Liebe. Was wir mitnehmen - irgendwann - ist keine Äußerlichkeit - sondern die Liebe Gottes in uns. Wir brauchen dieser Liebe Gottes in uns nur Platz zu gewähren - möglichst viel - unser Herz weiten.
Und das erreichen wir nicht durch einhämmern von Regeln, Termin, Formularen und Vorschriften, sondern allein durch die Gnade, um die wir bitten, den Willen, den wir üben, und einer gehörigen Portion Gelassenheit.
Amen.