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KARL-LEISNER-JUGEND |
von Pfarrer Klaus Klein-Schmeink (erstellt: 2009)
Liebe Schwestern und Brüder,
Die Evangelien sind frohe, heilmachende Botschaft. Wir brauchen sie nur zu
hören und uns dabei gegenwärtig zu halten, dass auch die äußeren
Ereignisse, die das Evangelium erzählt, immer Inneres versinnbilden –
das, was in der Seele zwischen Gott und uns vorgeht. Und dann werden wir ihrer
heilenden Kraft inne.
Es wird Nacht, so hören wir. Jesus und die Jünger fahren in einem
Boot über den See Gennesaret ans andere Ufer hinüber. Markus erzählt
davon auf eine Weise, die uns Winke gibt, worum es ihm eigentlich geht:
nicht vom See Gennesaret spricht er, sondern vom „Meer“, und nicht
von dem Ziel, zu dem Jesus und die Jünger unterwegs sind, sondern bloß
vom jenseitigen Ufer, wörtlich von der „Jenseite“. Die kleine
Szene – das will Markus damit andeuten – ist ein Sinnbild für
unser menschliches Dasein.
Unterwegs sind wir zum jenseitigen Ufer, unterwegs auf dem Meer, über Abgründen und Unwägbarem, wo kein Mensch Fuß fassen und was keiner mit eigener Kraft beherrschen kann; wo wir uns ausgeliefert erfahren.
Ein kleines Boot nur, eine Nussschale trägt uns auf diesem Meer: Nussschale – das ist die Gemeinschaft, in der wir uns geborgen fühlen; die Menschen, die zu uns stehen; auch die eigenen Kräfte, die kleinen, die wir aufbringen manchmal.
So erscheint uns das Leben manchmal: eine riesige, unüberschaubare Aufgabe, für die wir irgendwie kaum gerüstet zu sein scheinen.
Es wird Nacht, die Ruhe kehrt ein. Aber: gerade dann, wenn rings um uns der
Lärm schwindet, wenn es still wird und einsam, dann bricht gar nicht
selten in uns drinnen der Sturm los:
Was wir falsch gemacht haben, quält uns; uns reut, einen Menschen getäuscht,
verletzt, hintergangen zu haben;
den Chancen, die wir selbst mitverschuldet verschenkt haben, trauern wir nach;
Sorgen macht uns, wie es weitergehen soll mit der Last einer Krankheit, dem
Einsamsein, des Versagens, einer Schuld, die auf uns liegt.
Da wird die kleine Nussschale des Lebens nicht nur hin und hergerissen – da schwappt das Meer, dieses unwägbar Gefährliche und Bedrohende, ins Boot hinein. So erfahren wir leibhaft – auf dem Meer der Angst –, wie wenig es braucht, dass wir untergehen. Buchstäblich! Wahrscheinlich kennen das etliche von uns, mehr als man wohl denken möchte. Die Stunden früh zwischen zwei und vier können quälend sein, wenn man nicht schlafen kann vor sorgenvollen, ja angstvollen Gedanken.
Jesus schläft, erzählt Markus.
Trotz des tobenden Sturmes ringsum liegt er auf einem Kissen in tiefem Frieden.
Anders die Jünger: sie geraten in Panik und wecken Jesus auf, dass er
sie rette vor dem Untergang. Er tut das – wie beiläufig beruhigt
er Meer und Wind. Und dabei tadelt er die Jünger: Warum habt ihr solche
Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?
Eben damit spricht Jesus sein eigenes Geheimnis aus – das Geheimnis, wer er ist und warum er sogar Macht über Meer und Wind hat, dass sie ihm gehorchen.
Mit der Frage an die Jünger sagt Jesus nämlich: das tobende Meer und den Sturm, also das Auf und Ab und die Gegenkräfte im Leben erlebt nur der als gefährlich und als Bedrohung, der Angst hat.
Angst ist das Gegenteil von Glaube. Glauben heißt: Ich traue Gott.
Auch dem Glaubenden begegnet Gefahr und manche Widerwärtigkeit. Und immer
wieder wird er darauf gestoßen werden, wie schwach und klein er in Wahrheit
ist.
Nur: wer Gott traut – und so traut wie Jesus –, dem rauben auch der Sturm und das aufgewühlte Meer nicht den Schlaf. Versagen nicht; Schwäche nicht; Not nicht; nicht einmal Schuld. Weil er sich in allem und über alle Abgründe hinweg immer schon und für immer gehalten weiß. Wer glaubt, ist so stark, dass sich Sturm und Wogen der Angst vor ihm legen. Wie vor Jesus, weil er Gott ganz traute. Sein Wort, die Frohe Botschaft vom Gott, der uns trägt, wirkt das Wunder, dass der Sturm in uns still wird.
Sprichwörtlich ist die Ruhe vor dem Sturm. So reden Menschen, die auf dem Sprung sind, weil sie sich ängstigen, was denn nun noch oder schon wieder kommen wird. Wie viel Zeit und Kraft können wir Menschen verschwenden, indem wir uns in den düstersten Farben ausmalen, was alles passieren könnte, wenn dieses einträte und dabei jenes herauskommen könnte... Angst war schon immer ein schlechter Ratgeber.
Jesus zeigt uns, dass es auch Ruhe nach dem Sturm gibt, ja sogar während
des Sturmes gibt. Wenn ich mich wirklich in Gott festmache, vertue ich meine
Zeit nicht mit Schwarzmalerei.
Sondern ich sehe Jesus bei mir, an meiner Seite. Wenn ich auf ihn blicke,
wie er da steht, ganz ruhig und die Stürme beherrschend, dann werde ich
selber ruhiger. So fasse ich Vertrauen und bekomme eine klaren Kopf, um zu
denken und das zu planen, was vor mir liegt.
Liebe Schwestern und Brüder,
immer wieder in der Auslegungsgeschichte dieses Evangeliums wurde die Nussschale
mit dem Schiff Petri, der Kirche gleichgesetzt. Gerade in Europa spüren
wir, dass die Kirche in schwere Wasser geraten ist. Die Wogen der Welt scheinen
die Kirche zu überfluten.
Ein sorgemachendes Indiz dafür ist der Mangel an Berufungen zum Priesteramt,
aber auch die Not vieler Priester, ihren Dienst am Bord des Schiffes Kirche
zu tun. Das Burn-out-Syndrom breitet sich unter ihnen aus. Manche halten dem
Druck und den Sorgen nicht mehr stand, suchen Zuflucht im Alkohol oder verlassen
gar das Schiff.
Auch aus diesem Grund hat unser Hl. Vater ein Jahr des Priesters ausgerufen, das am vergangenen Freitag begonnen hat und im Juni nächsten Jahres enden soll. Es orientiert sich am 150. Todestag des Hl. Pfarrer von Ars, dem Patron der Priester.
Es wird ein Jahr sein, in dem den Priestern Gelegenheit gegeben werden soll, über ihren Dienst und ihre Identität, ihren Lebensstil nachzusinnen. Ein tieferes Verständnis des eigenen Tuns führt zur Freude.
Gleichzeitig verbindet der Papst dieses Jahr mit der Bitte an die Gläubigen, besonders für die Priester und um Berufungen zum Priesterstand zu bitten. Dazu möchte ich sie von Herzen ermutigen. Als Priester lebe ich vom Gebet der Gläubigen.
Die Situation der Kirche - und des Priesterstandes - macht vielen Sorge, Priestern wie Laien – aber Jesus ist mit an Bord. Blicken wir auf ihn. Und lassen wir ihn wirken. Er kann dem Wind und den Wellen befehlen. Er führt das Schiff und lenkt es zu seinem Ziel. Und er vergisst niemanden an Bord.
Liebe Schwestern und Brüder!
Auf die Frage: «Was ist eigentlich das Leben?» hat ein französischer Dichter einmal geantwortet: «Das Leben ist dein Schiff; doch deine Heimat ist es nicht.» Mit anderen Worten: Wir sind unterwegs, unser Leben gleicht einem Boot, das nicht im Hafen liegt, sondern auf hoher See einem Ziel entgegenstrebt.
So kann das heutige Evangelium wie ein Fingerzeig sein, der auf bestimmte
Situationen unseres Lebens hinweist: In ruhigen und guten Zeiten unseres Lebens
glauben wir mehr oder weniger problemlos, dass Jesus im Boot unseres Lebens
gegenwärtig ist. Stellen sich aber plötzlich unvorhergesehene Ereignisse
ein - oder geraten wir in arge Bedrängnis, dann werden wir urplötzlich
kopflos und rufen nach Hilfe. Dann macht sich plötzlich Angst breit:
«Ich schaffe das nicht. Der Sturm ist zu groß für mich. Ich
werde untergehen. Und Gott? Warum tut er nichts?» Und wie die Jünger
stellen wir dann die Frage (oder auch manchmal die Anklage): «Meister,
kümmert es dich nicht, das ich zugrunde gehe?»
Wie ist es denn möglich, dass Gott sich so zurückhält, wenn
Menschen so sehr in Not - und vor allem in Angst - geraten?
Vielleicht gilt die Antwort Jesu aber auch uns: «Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?» Zwischen Angst und Unglauben besteht eine unmittelbare Verbindung. Angst vermehrt den Unglauben. Und umgekehrt: Unglaube vergrößert die Angst. Das gilt mich für mich, für jeden einzelnen. Das gilt aber auch für die ganze Kirche. Glauben heißt: Die eigene Angst von Gott überwinden lassen und vertrauen. Glauben heißt, unbedingt darauf vertrauen, dass Jesus bei seiner Kirche ist und dass sie nicht untergehen wird. Die größte Gefahr, die der Kirche droht, sind Angst und Unglauben. Oder besser: Angst aufgrund von Unglauben.
Daher versteht sich auch, dass es keinen echten Mut ohne Glauben gibt. Mutig im Sinne Gottes sind letztlich nur die, die voll des Glaubens sind. Das sehen wir an allen, die in gefahrvollen Situationen die feste Überzeugung hatten, dass denen nichts passieren kann, die «mit Jesus sind». So schrieb Edith Stein am Vorabend ihrer Deportation nach Auschwitz ihren letzten Brief, der mit den Worten schließt: «Konnte bisher herrlich beten.»
Die Erzählung von der «Stillung des Sturmes auf dem Meer» hat also zwei Seiten: Den gewaltigen Sturm, die Angst und den Unglauben. Das ist die eine Seite. Aber es gibt noch die eine andere: Die Macht Jesu und seine unbedingte Ruhe. Sie machen stark. Was tue ich also, wenn mein Lebensboot hin und her geworfen wird? Schau ich auf den Sturm, der mich ängstigt, oder schaue ich auf Jesus, der mich zur Ruhe bringt? Überlassen wir uns für keinen Augenblick dem Sturm. Halten wir uns an Jesus, der in meinem Lebensboot anwesend ist. Die kleine Therese von Lisieux hat einmal gesagt: «Wenn der Sturm kommt, schaue ich auf den Herrn. Ich brauche ihn nicht zu wecken. Mir genügt zu wissen: Er ist da.»
Amen.