Religionskritik - Nägel zum Sarg Gottes?  | Ludwig Feuerbach dachte, er hätte Gott endgültig widerlegt. Karl Marx und Sigmund Freud bauten ebenfalls darauf. Und Friedrich Nietzsche war sogar davon überzeugt, dass er Gott getötet habe.
Es gibt eine gute Nachricht: Alle vier haben sich getäuscht. »Halleluja!«
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Die drei Musketiere - und d'Artagnan
Zumindest im Religionsunterricht der Oberstufe gehören Feuerbach, Marx
und Freud zu den Klassikern der Religionskritik. Aber auch darüber hinaus
sind zumindest ihre Theorien bekannt und verbreitet. Die Frage muss also erlaubt
sein: Haben diese drei (zusammen mit dem vierten Musketier - dem Draufgänger
Nietzsche) Gott den endgültigen Todesstoß versetzt?
Zunächst einmal in Kurzform, was die drei denn so gesagt haben:
Ludwig Feuerbach
- Die Religion, wenigstens die christliche, ist das Verhalten des Menschen
zu sich selbst, oder richtiger: zu seinem Wesen, aber das Verhalten zu
seinem Wesen als zu einem anderen Wesen. Das göttliche Wesen ist
nichts anderes als das menschliche Wesen, oder besser: das Wesen des Menschen,
abgesondert von den Schranken des individuellen, d.h. wirklichen leiblichen
Menschen, vergegenständlicht, d. h. angeschaut und verehrt als ein
anderes, von ihm unterschiedenes, eigenes Wesen - alle Bestimmungen des
göttlichen Wesens sind darum Bestimmungen des menschlichen Wesens.
- Die Religion ist die Entzweiung des Menschen mit sich selbst: Er setzt
sich Gott als ein ihm entgegengesetztes Wesen gegenüber. Gott ist
nicht, was der Mensch ist - der Mensch nicht, was Gott ist. Gott ist das
unendliche, der Mensch das endliche Wesen; Gott vollkommen, der Mensch
unvollkommen; Gott ewig, der Mensch zeitlich; Gott allmächtig, der
Mensch ohnmächtig; Gott heilig, der Mensch sündhaft. Gott und
Mensch sind Extreme: Gott das schlechthin Positive, der Inbegriff aller
Realitäten, der Mensch das schlechtweg Negative.
- Das Abhängigkeitsgefühl des Menschen ist der Grund der Religion;
der Gegenstand dieses Abhängigkeitsgefühles, das, wovon der
Mensch abhängig ist und abhängig sich fühlt, ist aber ursprünglich
nichts anderes, als die Natur. Die Natur ist der erste, ursprüngliche
Gegenstand der Religion, wie die Geschichte aller Religionen und Völker
sattsam beweist.
- Der Mensch glaubt Götter nicht nur, weil er Phantasie und Gefühl
hat. sondern auch weil er den Trieb hat, glücklich zu sein. Er glaubt
ein seliges Wesen, nicht nur, weil er eine Vorstellung der Seligkeit hat,
sondern weil er selbst selig sein will; er glaubt ein vollkommenes Wesen,
weil er selbst vollkommen zu sein wünscht; er glaubt ein unsterbliches
Wesen, weil er selbst nicht zu sterben wünscht. Was er selbst nicht
ist, aber zu sein wünscht, das stellt er sich in seinen Göttern
als seiend vor, die Götter sind die als wirklich gedachten, die in
wirkliche Wesen verwandelten Wünsche des Menschen; ein Gott ist der
in der Phantasie befriedigte Glückseligkeitstrieb des Menschen. Hätte
der Mensch keine Wünsche, so hätte er trotz Phantasie und Gefühl
keine Religion, keine Götter. Und so verschieden die Wünsche,
so verschieden sind die Götter, und die Wünsche sind so verschieden,
als es die Menschen selbst sind. Der Trieb, aus dem die Religion hervorgeht,
ihr letzter Grund ist der Glückseligkeitstrieb, also der Egoismus.
- Unser Verhältnis zur Religion ist kein nur verneinendes. sondern
ein kritisches; wir scheiden nur das Wahre vom Falschen - obgleich allerdings
die von der Falschheit ausgeschiedene Wahrheit immer eine neue, von der
alten wesentlich unterschiedene Wahrheit ist. Die Religion ist das erste
Selbstbewusstsein des Menschen. Heilig sind die Religionen, eben weil
sie die Überlieferungen des ersten Bewusstsein sind. Aber was der
Religion das Erste ist, Gott, das ist, wie bewiesen, an sich, der Wahrheit
nach das Zweite, denn er ist nur das sich gegenständliche Wesen des
Menschen, und was ihr das Zweite ist, der Mensch, das muss daher als das
Erste gesetzt und ausgesprochen werden. Die Liebe zum Menschen darf keine
abgeleitete sein; sie muss zur ursprünglichen werden. Dann allein
wird die Liebe eine wahre, heilige, zuverlässige Macht. Ist das Wesen
des Menschen das höchste Wesen des Menschen, so muss auch praktisch
das höchste und das erste Gesetz die Liebe des Menschen zum Menschen
sein. Homo homini Deus est - dies ist der oberste praktische Grundsatz,
dies der Wendepunkt der Weltgeschichte.
Mit anderen Worten: Der Mensch leidet daran, das er nicht das ist, was er
gerne wäre - deshalb erfindet er Gott. Gott ist eine Projektion seiner
Sehnsüchte und Wünsche. Alles, was der Mensch in sich an Positivem
entdeckt, schreibt er Gott zu - dem Menschen bleibt nur der negative Teil
des Kuchens.
Feuerbach verlangt, um des Menschen willen, dass Gott abgeschafft wird. Erst
dann, wenn wir nicht mehr einem fiktiven Gott dienen, können wir den
Menschen in den Blick nehmen. Solange es Gott gibt, wird der Mensch vernachlässigt;
denn wirkliche Nächstenliebe ist nur dann möglich, wenn sie um des
Menschen willen geschieht - und nicht, weil Gott es verlangt.
Weiter mit dem Herrn Marx:
Karl Marx
Für Deutschland ist die Kritik der Religion im Wesentlichen
beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.
Die profane Existenz des Irrtums ist kompromittiert, nachdem seine himmlische
Oratio pro artis et focis (Gebet für die Künste und den heimischen
Herd) widerlegt ist. Der Mensch, der in der phantastischen Wirklichkeit des
Himmels, wo er einen Übermenschen suchte, nur den Widerschein seiner
selbst gefunden hat, wird nicht mehr geneigt sein, nur den Schein seiner selbst,
nur den Unmenschen zu finden, wo er seine wahre Wirklichkeit sucht und suchen
muss.
Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion,
die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewusstsein
und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht
erworben und schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes,
außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen,
Staat, Sozietät. Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion,
ein verkehrtes Weltbewusstsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion
ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Kompendium,
ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d'honneur,
ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung,
ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische
Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre
Wirklichkeit besitzt: Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der
Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.
Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes
und die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer
der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Weit, wie sie
der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.
Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist
die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen
über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben,
der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik
des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.
Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht
damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er
die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche. Die Kritik der Religion
enttäuscht den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte
wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch, damit er sich um
sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne bewege. Die Religion ist nur
die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht
um sich selbst bewegt.
Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit
verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Es ist zunächst
die Aufgabe der Philosophie, die im Dienste der Geschichte steht, nachdem
die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die ,Selbstentfremdung
in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven'. Die Kritik des Himmels verwandelt
sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des
Rechts; die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.
Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste
Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle
Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes,
ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.
Mit anderen Worten: Marx hält die Religion für ein Rauschmittel,
zu dem der Mensch greift, weil er die Wirklichkeit nicht mehr ertragen kann.
Das hat natürlich fatale Folgen: Anstatt die Wirklichkeit zu verändern,
verfällt der Mensch in Lethargie und wartet einfach auf die Erlösung
und das Jenseits. Gerade dadurch wird die Wirklichkeit aber immer grausamer.
Auch Marx fordert daher die Abschaffung der Religion - um des Menschen willen.
Der Mensch wird erst dann die Umwälzung der Gesellschaft in seine Hände
nehmen, wenn er vom Rausch der Religion befreit ist.
Diesen Gedanken nimmt der Begründer der Psychoanalyse auf:
Sigmund Freud
In vergangenen Zeiten haben die religiösen Vorstellungen trotz
ihres unbestreitbaren Mangels an Beglaubigung den allerstärksten Einfluss
auf die Menschheit geübt. Das ist ein neues psychologisches Problem.
Man muss fragen, worin besteht die innere Kraft dieser Lehren, welchem Umstand
verdanken sie ihre von der vernünftigen Anerkennung unabhängige
Wirksamkeit?
Ich meine, wir haben die Antwort auf beide Fragen genügend vorbereitet.
Sie ergibt sich, wenn wir die psychische Genese der religiösen Vorstellungen
ins Auge fassen. Diese, die sich als Lehrsätze ausgeben, sind nicht Niederschläge
der Erfahrung oder Endresultate des Denkens, es sind Illusionen, Erfüllungen
der ältesten, stärksten, dringendsten Wünsche der Menschheit
- das Geheimnis ihrer Stärke ist die Stärke dieser Wünsche.
Wir wissen schon, der schreckende Eindruck der kindlichen Hilflosigkeit hat
das Bedürfnis nach Schutz - Schutz durch Liebe - erweckt, dem der Vater
abgeholfen hat. Die Erkenntnis von der Fortdauer dieser Hilflosigkeit durchs
ganze Leben hat das Festhalten an der Existenz eines - aber nun mächtigeren
- Vaters verursacht. Durch das gütige Walten der göttlichen Vorsehung
wird die Angst vor den Gefahren des Lebens beschwichtigt, die Einsetzung einer
sittlichen Weltordnung versichert die Erfüllung der Gerechtigkeitsforderung,
die innerhalb der menschlichen Kultur so oft unerfüllt geblieben ist,
die Verlängerung der irdischen Existenz durch ein zukünftiges Leben
stellt den örtlichen und zeitlichen Rahmen bei, in dem sich diese Wunscherfüllungen
vollziehen sollen. Antworten auf Rätselfragen der menschlichen Wissbegierde,
wie nach der Entstehung der Welt und der Beziehung zwischen Körperlichem
und Seelischem, werden unter den Voraussetzungen dieses Systems entwickelt;
es bedeutet eine großartige Erleichterung für die Einzelpsyche,
wenn die nie ganz überwundenen Konflikte der Kinderzeit aus dem Vaterkomplex
ihr abgenommen und einer von allen angenommenen Lösung zugeführt
werden.
Wenn ich sage, das alles sind Illusionen, muss ich die Bedeutung des Wortes
abgrenzen. Eine Illusion ist nicht dasselbe wie ein Irrtum, sie ist auch nichtnotwendig
ein Irrtum. Die Meinung des Aristoteles, dass sich Ungeziefer aus Unrat entwickle,
an der das unwissende Volk noch heute festhält, war ein Irrtum, ebenso
die einer früheren ärztlichen Generation, dass die Rückenmarkschwindsucht
eine Folge von sexueller Ausschweifung sei. Es wäre missbräuchlich,
diese Irrtümer Illusionen zu heißen. Dagegen war es eine Illusion
des Kolumbus, dass er einen neuen Seeweg nach Indien entdeckt habe. Der Anteil
eines Wunsches an diesem Irrtum ist sehr deutlich. Wir heißen also einen
Glauben eine Illusion, wenn sich in seiner Motivierung die Wunscherfüllung
vordrängt, und sehen dabei von seinem Verhältnis zur Wirklichkeit
ab, ebenso wie die Illusion selbst auf ihre Beglaubigungen verzichtet.
Wenden wir uns nach dieser Orientierung wieder zu den religiösen Lehren,
so dürfen wir wiederholend sagen: Sie sind sämtlich Illusionen,
unbeweisbar, niemand darf gezwungen werden, sie für wahr zu hallen, sie
zu glauben. Einige von ihnen sind so unwahrscheinlich, so sehr im Widerspruch
zu allem, was wir mühselig über die Realität der Welt erfahren
haben, dass man sie - mit entsprechender Berücksichtigung der psychologischen
Unterschiede - den Wahnideen vergleichen kann. Über den Realitätswert
der meisten von ihnen kann man nicht urteilen. Sowie sie unbeweisbar sind,
sind sie auch unwiderlegbar.
Mit anderen Worten: Der Mensch sehnt sich nach einem unfehlbaren Vater -
und erkennt am Ende seiner Kindheit, dass der eigene, menschliche Vater diese
Sehnsucht nicht erfüllen kann. Also denkt er sich einen himmlischen,
allmächtigen Vater - und glaubt an ihn.
Freud hält sich gar nicht mehr mit der Forderung auf, die Religion müsse
abgeschafft werden, er geht davon aus, dass das in unmittelbarer Zukunft geschieht.
Mit Feuerbach, Marx und Freud haben wir sozusagen die drei Musketiere der
Religionskritik kennen gelernt, die alle einen ähnlichen Grundsatz verfolgen.
Der vierte Musketier, Friedrich "d'Artagnan" Nietzsche, weicht davon
ab: Für ihn ist Gott schlicht ermordet worden:
Friedrich Nietzsche
Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen
Vormittag eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich
schrie: »Ich suche Gott! Ich suche Gott!« - Da dort gerade viele
von denen zusammen standen, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein
großes Gelächter. Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine.
Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere. Oder hält er sich
versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen, ausgewandert?
- so schrieen und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten
unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. »Wohin ist Gott?«
rief er, »ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet - ihr und
ich. Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie
vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen
Horizont wegzuwischen? Was täten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne
losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen
Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts,
seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und
ein Unten? Irren wir nicht durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht
der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort
die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet
werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber,
welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung?
- Auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben
ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?
Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist
unter unsern Messern verblutet - wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem
Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen
Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser
Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern
werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere
Tat - und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen
in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!«
Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie
schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf
den Boden, dass sie in Stücke sprang und erlosch. »Ich komme zu
früh«, sagte er dann, »ich hin noch nicht an der Zeit. Dies
ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert - es ist noch nicht his
zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht
der Gestirne braucht Zeit, Taten brauchen Zeit, auch nachdem sie getan, um
gesehen und gehört zu werden. Diese Tat ist ihnen immer noch ferner als
die fernsten Gestirne - und doch haben sie dieselbe getan!«
Man erzählt noch, dass der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedene
Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt
habe. Hinausgeführt und zur Ruhe gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet:
»Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und
Grabmäler Gottes sind?«
Kritik an der Kritik
-
Wenn Feuerbach behauptet: "Das göttliche Wesen ist nichts anderes
als das menschliche Wesen", dann stellt sich die Frage, ob damit
die jeweiligen Gottheiten der Religionen hinreichend erklärt werden
können. Zumindest in den biblischen Religionen zeigt sich Gott als
ein unerwartetes Wesen; dem Menschen entgegengesetzt und manchmal gar
nicht wünschenswert.
-
Wenn Feuerbach schreibt: "Gott und Mensch sind Extreme: Gott das
schlechthin Positive, der Inbegriff aller Realitäten, der Mensch
das schlechtweg Negative." dann entspricht das nicht dem biblischen
Befund: In der christlichen Tradition wird der Mensch gerade in seiner
Gutheit Gott-ähnlich gesehen. Der Mensch ist im Gegensatz zu Gott
endlich, aber nicht negativ. Feuerbachs Befund scheint nicht korrekt zu
sein.
-
Wenn Feuerbach schreibt: "Das Abhängigkeitsgefühl des
Menschen ist der Grund der Religion", dann kann der gläubige
Mensch dem durchaus zustimmen, ebenso der Erkenntnis, dass "das,
wovon der Mensch abhängig ist und abhängig sich fühlt,
aber ursprünglich nichts anderes, als die Natur" ist.
Wenn Feuerbachs allerdings schließt, dass es nur
diese geschilderten Abhängigkeiten gibt, verlässt er seinen
Beweisgang. Denn genau das will er ja beweisen - er setzt es aber einfach
voraus. Ob es wirklich keine andere Abhängigkeit als die von der
Natur gibt, und die Folgerung, das Abhängigkeitsgefühl von den
Naturmächten sei verantwortlich für die religiöse Anschauung,
folgt daraus nicht logisch und ist durchaus zweifelhaft.
-
Feuerbach schließt aus der Tatsache, dass der Mensch in Gott die
Erfüllung all seiner Wünsche sieht, dass Gott zwecks Wunscherfüllung
erfunden wurde (Projektionstheorie). Dieser Schluss ist nicht zwingend:
Aus einer Motivation einer Erkenntnis kann nicht auf den Wahrheitsgehalt
des Erkannten geschlossen werden. (Wenn ich mir z.B. wünsche, ich
hätte einen reichen Onkel in Amerika, weil ich dringend Geld brauche,
und mir daraufhin ein Anwalt erklärt, ich hätte tatsächlich
einen reichen Onkel in Amerika, der mir Geld schenken wolle, kann ich
daraus nicht schließen, dass dieser Onkel nur eine Projektion sei).
-
Tatsächlich erklären die meisten Religionen diese Entsprechung
zwischen Sehnsucht des Menschen und der Erfüllung durch einen Gott
durch das "Geschaffensein des Menschen auf Gott hin". Ob diese
Erklärung glaubwürdig ist oder nicht - sie ist zumindest erlaubt
und widerlegt somit Feuerbach.
-
Feuerbach glaubt, dass der religiös motivierte Mensch weniger direkt
lieben würde; der religiös befreite, d.h. atheistische Mensch
aber unmittelbar lieben und deshalb moralischer sein wird. Ein Blick in
die Geschichte der Menschen zeigt zwar, dass die Religionen mit Licht
und Schatten behaftet sind. Kein atheistisches Gesellschaftssystem aber
hat sich in den letzten Jahrhunderten moralisch den religiösen Systemen
überlegen gezeigt (eher im Gegenteil: Die größten Verbrechen
der letzten hundert Jahre wurden durch atheistische Systeme verübt.
Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt atheistisch motivierte
Bewegungen gibt, die auch nur annähernd dem religiösen Engagement
nahe kommen).
Grundsätzlich gilt - wie auch im Nachfolgenden für Marx und Freud
- dass Feuerbach keine echte Widerlegung der Existenz Gottes versucht, sondern
sich vor allem fragt, warum die Menschen (unter der Annahme, es gäbe
keinen Gott) noch an Gott glauben. Alle Religionen behaupten, sie würden
deshalb an Gott glauben, weil es Ihn gäbe und sie sich somit nur der
Realität entsprechend verhalten. Ludwig Feuerbach antwortet nicht - wie
es zu erwarten wäre -, indem er sich der Frage annimmt, wie denn die
Realität tatsächlich beschaffen ist, ob dort denn ein Gott zu finden
ist oder ob es dort zumindest Hinweise auf die Existenz eines Gottes anzutreffen
sind. Er nimmt sich der Behauptung der Religion "Wir glauben an Gott,
weil es ihn gibt!" an und widerspricht: "Nein, Ihr glaubt an Gott,
weil Ihr Eure Wünsche auf ein jenseitiges Wesen projiziert!"
Natürlich ist dieser Widerspruch kein wirkliches Argument gegen die
Existenz Gottes; er erfolgt ja auch nicht auf der Ebene der Wirklichkeitsbeschreibung
("Schauen wir mal, ob wir in der Realität einen Gott finden..."),
sondern auf der Ebene der Psychologie ("Wie kommt es, dass Ihr glaubt,
dass es einen Gott gibt?"). Eine solche Verlagerung in die Psychologie
ist nur dann berechtigt, wenn von vorne herein klar ist, dass es sich bei
dem Geglaubten um ein Hirngespinst handelt. So wird auch kein Arzt, dem von
einem Patienten berichtet wird, in seinem Haus wimmele es von lachenden und
beleidigenden weißen Mäusen, zunächst nachprüfen, ob
diese Mäuse real vorhanden sind, sondern sofort fragen, woher es komme,
dass der Patient so etwas (erwiesenermaßen Verrücktes) behauptet.
So ähnlich dachten auch die Zeitgenossen Feuerbachs, Marx' und Freuds:
Da der Glaube an einen lebendigen, wunderwirkenden Gott erwiesenermaßen
verrückt ist, stellt sich die Frage nicht, ob er vielleicht doch existiert.
Es gilt lediglich zu erklären, warum diese Krankheit - der christliche
Glaube - noch immer existiert und so schwer auszurotten ist.
Auch heute noch finden wir landauf, landab ähnliche Erklärungen
für die Religion. Die Frage "Warum gibt es Religionen" findet
in einem Internet-Forum
(zusammengefasst) folgende Antworten:
Das Christentum beispielsweise ist in einer politisch ziemlich ungewissen
Zeit entstanden. Die Menschen waren unsicher und vom irdischen Leben hat man
sich nicht viel erhofft. Aus diesem Grunde haben viele Menschen ihre Hoffnungen
ins Jenseits verlegt. Der Glaube, dass es nach einem leidvollen und ungewissen
Leben ein paradiesisches Jenseits gäbe, spendete Trost.
Der Glaube an einen Messias, der im Judentum wurzelt, weist auch auf irdisches
Leid und irdische Machtlosigkeit des Volkes hin. Wahrscheinlich standen sogar
die meisten Religionen unter anderem aus diesen Ungewissheiten und Unsicherheiten.
Generell entstanden Religionen auch dadurch, dass viele Naturkräfte noch
nicht rational erklärt werden konnten. Natürlich sucht der Mensch
immer nach Erklärungen. Wenn er der Wahrheit nicht näher kommt,
bietet das Raum für mystische/religiöse Interpretationen.
Wir alle kennen den Spruch: "Jetzt hilft nur noch beten". Das sagen
wir gewöhnlich, wenn wir in einer lebensbedrohlichen Situation sind und
man mit normalen Mitteln nicht mehr weiterkommt. Und genau hier liegt auch
der Ursprung der Religion. Man schafft sich ein allmächtiges Gegenüber,
dass man in brenzligen Situationen um Schutz und Hilfe anflehen kann.
Man kann es auch psychologisch erklären: Das Kind hat seine Eltern, an
die es sich um Schutz und Hilfe wenden kann. Der Erwachsene schafft sich Gott
oder Götter, damit auch er in den Genuss dieser Hilfe kommen kann. Speziell
das Christentum hat sich da eine recht kindliche Einstellung bewahrt. "Vater
unser, der du bist im Himmel .."
Einmal abgesehen davon, dass einige der Vermutungen an der Realität
vorbeigehen (so ist das Christentum eben nicht in einer politisch besonders
unruhigen Zeit entstanden), folgen diese Erklärungen so ziemlich genau
dem gleichen Muster wie schon Feuerbach, Freud und Marx.
Allerdings dürfen wir auch mit den Kritikern des Glaubens an Gott nicht
zu hart sein:
- Die Argumentation auf der Ebene der Wirklichkeitsbeschreibung ("Finden
wir in der Realität einen Gott oder zumindest Hinweise auf Ihn?")
ist deutlich schwerer zu führen als auf der psychologischen Ebene ("Wie
können wir erklären, dass Menschen an Gott glauben?").
- Ein logisch unangreifbarer Beweis, dass Gott nicht existiert, ist kaum
zu führen; vielleicht sogar gar nicht: Der sogenannte "Nicht-Existenz-Beweis"
ist zumindest naturwissenschaftlich nicht möglich.
- Was möglich wäre, ist eine kritische Beleuchtung der von den
Gottgläubigen angeführten Gründe für die Existenz Gottes.
- Allerdings begründen viele gottesfürchtige Menschen ihren Glauben
selbst eher psychologisch ("Der Glaube gibt mir Kraft, Zuversicht und
Mut"; "Ich könnte ohne einen Glauben an ein ewiges Leben
nicht durchhalten"; "Hätte ich meinen Glauben nicht gehabt,
so wäre ich sicherlich innerlich zerbrochen"). All diese von überzeugt
glaubenden Menschen angeführte Gründe sind nicht wirklich Argumente
für die Existenz Gottes - sondern ebenfalls nur psychologische Gründe
Letztlich müssen wir, die wir von der Existenz Gottes überzeugt
sind, argumentativ in Vorleistung gehen und darlegen, warum wir davon überzeugt
sind, dass Gott in Wirklichkeit existiert. Feuerbach, Marx & Co. dürfen
dann, wenn sie mögen, unsere Argumente beleuchten, zerpflücken und
widerlegen. Falls ihnen das gelänge, hätten sie zwar immer noch
keinen Beweis geliefert, dass Gott wirklich nicht existiert - aber doch zumindest
alles auf der argumentativen Ebene getan, um bei ihrer Wirklichkeitsauffassung
(nämlich einer Wirklichkeit ohne Gott) zu bleiben und - immerhin - eine
echte Pattsituation erreicht.
Natürlich glauben Feuerbach, Marx, Freud und ihre heutigen Nachfolger,
dass es solche Argumente ("Hinweise auf die Existenz Gottes") nicht
gibt und machen sich weder die Mühe, sie in Ruhe anzuhören, geschweige
denn zu bewerten. Das ist ihr eigentliches Manko.
Was eine gottlose Welt allerdings mit sich bringt, hat vermutlich nur Nietzsche
wirklich verstanden. Aber bevor wir zu ihm kommen, noch ein paar Bemerkungen
zu den "Feuerbach-Klonen" Marx und Freud.
Kommen wir zu Marx
-
Im Wesentlichen gleicht die Kritik an Marx' Überlegungen zur Religion
der Kritik an Feuerbach. Darüber hinaus gilt, dass die Behauptung,
Religion habe primär betäubende Wirkung - und eben keine oder
kaum aktivierende - durch die neutrale Wirklichkeitsbetrachtung widerlegt
ist. Es ist offensichtlich so, dass zumindest die Christen (sehr wohl
aus ihrer religiösen Überzeugung heraus) viel - wenn nicht sogar
den Hauptteil - zur Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen weltweit
beigetragen haben.
-
Gerade der unbedingte, über den Tod hinausgehende Widerstand bspw.
der Märtyrer macht deutlich, dass die Vertröstung auf ein glückliches
Jenseits nicht automatisch lähmt, sondern auch zu unbeirrbaren, opferbereiten
Einsatz für Umwälzungen bereit macht.
-
Marx übersieht, dass die Voraussetzung für eine Revolution
die Erkenntnis von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit ist. Gibt es aber
kein himmlisches Ideal, sondern nur das faktische Diesseits, so wird der
Maßstab für Gerechtigkeit auch rein diesseitig - und damit
beliebig (siehe z.B. den historischen Kommunismus und dessen satirischer
Kritik z.B. in Animal farm). Die Beurteilung der Gegenwart (Kapitalismus)
und die Setzung eines Zieles (Kommunismus) setzt einen Ideal voraus, nach
dem der Idealist strebt. Genau das tut der Christ, wenn er an Gott glaubt.
Der strenge Materialismus kann dagegen keine Ideale erzeugen oder erklären.
-
Marx ist davon überzeugt, dass das Grundübel der Welt in den
ungerechten Verhältnissen liegt - nicht im Menschen selbst. Denn
der Mensch ist - laut Marx - das, was die Gesellschaft aus dem Menschen
macht. Deshalb verurteilt Marx alle Versuche, unmittelbar den Menschen
zu verändern (z.B. durch Moral) und fordert die Revolution der Verhältnisse.
- Letztlich sind es aber die Menschen, die die Gesellschaft verändern,
zumindest die Sozial-Revoutionäre müssen Menschen mit veränderten
Herzen und Idealen sein. Genau das aber ist der Grundansatz des Christentums:
Wer die Herzen der Menschen verändert, verändert auch die Strukturen.
Denn nicht die Strukturen machen den Menschen, sondern Menschen schaffen
Strukturen.
-
Die Anfrage an Feuerbach (Nr. 6) gilt auch und vor allem für Marx.
Und zuletzt zu Freud
-
Freud meint, seine plausible Erklärung der religiösen Phänomene
sei eine Widerlegung des übernatürlichen Grundes der Religion.
Das gilt allerdings nur, wenn seine Erklärung die einzig mögliche
Herleitung des Glaubens sei. Dem ist aber offensichtlich nicht so.
-
Freud ist der Meinung, dass die Religion die herbeigewünschte Antwort
auf tiefgreifende Fragen und Ängste des Menschen sei. Wenn nach ihm
diese Antworten nur scheinbare sind, dann stellt sich die Frage, wie denn
die Wirklichkeit tatsächlich aussieht: Ist und bleibt der Mensch
schutz- und vaterlos? Wie will Freud diese "Heidenangst" überwinden?
-
Freud schließt aus der Tatsache, dass Religion Wunscherfüllung
sei, darauf, dass sie Illusion ist. Die Frage, ob die Religion nicht dennoch
einen Wirklichkeitswert hat, stellt er ausdrücklich nicht: "Wir
heißen also einen Glauben eine Illusion, wenn sich in seiner Motivierung
die Wunscherfüllung vordrängt, und sehen dabei von seinem
Verhältnis zur Wirklichkeit ab."
-
Nach Freud ist die Religion Illusion, weil sie nicht beweisbar ist -
ohne diese Behauptung zu überprüfen oder zu belegen: "Sie
sind sämtlich Illusionen, unbeweisbar ... Einige von ihnen sind so
unwahrscheinlich, so sehr im Widerspruch zu allem, was wir mühselig
über die Realität der Welt erfahren haben, dass man sie - mit
entsprechender Berücksichtigung der psychologischen Unterschiede
- den Wahnideen vergleichen kann. Über den Realitätswert der
meisten von ihnen kann man nicht urteilen. Sowie sie unbeweisbar sind,
sind sie auch unwiderlegbar."
-
Wenn Freud behauptet, die Religion stehe im Gegensatz zur Wirklichkeit,
dann identifiziert er offensichtlich die Wirklichkeit mit der naturwissenschaftlichen
Sicht der Wirklichkeit, denn gerade in der alltäglichen Realität
hat sich die Religion sehr wohl bewährt.
-
Wenn Freud über die religiösen Lehren behauptet: "Einige
von ihnen sind so unwahrscheinlich ... dass man sie ... den Wahnideen
vergleichen kann.", dann meint er offensichtlich einige Lehren, nicht
alle. Ist deshalb die Religion an sich schon eine Illusion? Oder macht
es Sinn, die Religion von diesen "unwahrscheinlichen" Lehren
zu befreien, um die wahre Religion zu erhalten?
Noch einmal als abschließende Bemerkung: Freuds, Feuerbachs und Marx'
Kritik ist eine Kritik post iudicatum: Zuerst wird der Schluss gefasst,
dass es Gott nicht gibt, und danach wird versucht, eine Erklärung
für die (penetrante) Existenz der Religion zu finden. Diese Religionskritiken
sind also nicht Widerlegung der Existenz Gottes, sondern Begründungen
für einen Glauben an Gott unter der (unbewiesenen Voraussetzung), dass
Gott nicht existiere.
Heinz Zahrnt hat dazu einen guten Text geschrieben. Darin macht er deutlich,
dass die drei Musketiere der Religionskritik eigentlich gar nicht so schlecht
gewesen sind: Sie haben der Religion sogar einen Dienst erwiesen. Denn sie
haben nicht Gott und auch nicht die Religion abgeschafft, sondern von falschen
Gottesvorstellungen befreit. Es geht nämlich in der Religion niemals
darum, an Gott zu glauben, weil uns das irgendetwas bringt. Wir glauben an
Gott nur aus einem einzigen Grund: Weil es ihn gibt.
Im Horizont der Welt ist Gott nicht notwendig. Der Mensch, kann
auch ohne Gott Mensch sein - sowohl gut leben als auch gut handeln. Den Glauben
an Gott unter dem Gesichtspunkt des Zwecks als notwendig erweisen zu wollen,
ist ein verächtliches Unterfangen, weder für Gott noch für
den Menschen schmeichelhaft. Einen Gott, den man gebraucht, braucht es nicht
- ein brauchbarer Gott ist immer ein Götze.
Was die Motivation des christlichen Gottesglaubens betrifft, so haben hier
der neuzeitliche Säkularisierungsprozess und die atheistische Religionskritik
vereint zu einer Art »Götzendämmerung« geführt.
Wie in der Religionsgeschichte allgemein, drohte auch im Christentum das Gottesbild
immer wieder von den privaten Interessen der Gläubigen und den Kräfteverhältnissen
in der Gesellschaft zweckbestimmt zu werden: Weil die Bauern am guten Wetter
interessiert waren, wurde Gott für sie zum Wettergott; weil die Soldaten
sich den Sieg wünschten, riefen sie Gott als den Schlachtenlenker an;
weil die Herren ihre Macht zu erhalten trachteten, beriefen sie sich auf Gott
als den Hüter der Ordnung; weil die Besitzenden ihren Besitz zu rechtfertigen
suchten, nannten sie Gott den Geber aller guten Gaben; weil die Armen und
Unterdrückten sich nach Gerechtigkeit und Freiheit sehnten, riefen sie
das Reich Gottes als klassenlose Gesellschaft aus. So suchte jeder bewusst
oder - unbewusst sein eigenes Suppentöpfchen auf dem Feuer des göttlichen
Altars mitzukochen.
In dem Maße jedoch, in dem Gott infolge der fortschreitenden Säkularisierung
der Welt praktisch aus einem Lebensbereich nach dem anderen verdrängt
wurde und die atheistische Religionskritik diesen Verdrängungsprozess,
zugleich theoretisch als die Aufhebung eines falschen, Bewusstseins deutete,
erwies ein nützlicher Gott sich mehr und mehr als überflüssig
und enthüllte sich so nachträglich als ein selbstgemachter Götze.
Gott ist kein Lückenbüßer an den Grenzen der Wissenschaft,
kein Problemlöser in den Zwängen der Politik und auch kein Narkotikum
für die Seele, um den ständigen Schmerz des Daseins aushalten zu
können. Wenn es um das geht, was das Leben zuletzt hält und trägt,
dann verliert das bloß Nützliche und Zweckmäßige ohnehin
sehr bald an Wert.
Entgegen allen Versuchen und Verführungen, den christlichen Glauben an
Gott für den Menschen als nutzvoll und damit Gott selbst als notwendig
zu erweisen, will die Formel »Gott um Gottes willen« festhalten:
Christen glauben nicht an Gott (wenigstens sollten sie es nicht tun), um etwas
zu erreichen, was ihnen nützt, und sie reden auch nicht von ihrem Glauben,
um ihn anderen als nützlich aufzureden, sondern sie glauben an Gott und
reden davon, weil sie etwas erfahren haben, was für sie wahr ist, was
ihnen Freude macht und was sie deshalb auch anderen mitteilen möchten,
so wie man eine gute Nachricht eben weitersagt.
So kann der russische Schriftsteller Abram Terz-Sinjawski in seinen »Gedanken
hinter Gittern« mit seiner Erinnerung daran, dass es Zeit sei, an Gott
zu denken, die Warnung verbinden: »Glauben muss man nicht aus Tradition,
nicht aus Todesfurcht, nicht auf jeden Fall, nicht deswegen, weil jemand es
befiehlt oder irgend etwas schreckt, nicht aus humanistischen Prinzipien,
nicht, um erlöst zu werden, und nicht aus Originalität. Glauben
muss man aus dem einfachen Grund, weil Gott da ist.«
(Text aus: "Gotteswende: Christsein zwischen Atheismus
und Neuer Religiosität" - Heinz Zahrnt, 3. Aufl. München u.
Zürich 1992, S. 102ff)
Der vierte Musketier: Friedrich Nietzsche
Von allen vier Religionskritikern ist Nietzsche am wenigsten argumentativ
(Freud, Marx und Feuerbach versuchen sich wenigstens an einer - wenn auch
nur psychologischen - Argumentation); dennoch der konsquenteste Denker - wahrscheinlich
der konsequenteste Atheist aller Zeiten.
Denn Feuerbach & Co. glaubten, wenn der Glaube an Gott erst einmal aus
dieser Welt verschwände, würde alles besser. Nach Feuerbach würd
dann der Mensch um seines Menschseins willen geehrt und geliebt (und nicht
mehr bloß auf Anweisung Gottes); nach Marx nähme der durch die
Religion gelähmte Mensch im nach-religiösen Zeitalter endlich sein
Schicksal selbst in die Hand und sorge für das Arbeiterparadies auf Erden;
und Freud meint schließlich, dass der Mensch von der Illusion der Religion
befreit zumindest eine Quelle für neurotisches Verhalten weniger bekämpfen
müsse.
Nur Nietzsche erkennt, dass all diese Hoffnungen nicht wirklich konsequent
durchdacht sind: Denn wenn es keinen Gott gibt und auch nie gegeben hat, dann
hat allein der Mensch die Verantwortung für alles Leid und Grauen, dass
diese Welt bisher erlebt hat - und dann bedarf es für die Hoffnung auf
eine bessere Welt eines grundlegend anderen Menschen: Dem Übermenschen,
der jenseits aller Moral (jenseits von Gut und Böse) alles abstreift,
was wir bislang noch als "human" oder "menschlich" bezeichnen.
Der damit lebt, Gott ermordet zu haben - und darin nichts anderes erkennt
als einen notwendigen evolutionären Schritt.
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