"Sex" aus Sicht der katholischen Kirche |
In dem Buch "Frosch trifft Prinzessin" von Joshua Harris stehen
ein paar ganz ungewöhnliche Sätze, die ich - zu Beginn - einfach
mal zitieren möchte: «Gott feiert reinen Sex in der Ehe und lädt
uns ein, das auch zu tun. "Welche heiligere Form des Feierns haben
wir schon als die körperliche Liebe?" fragt Douglas Jonas. Er schreibt,
dass das Ehebett nicht nur ein Ort der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse
sein sollte, sondern auch ein Ort, wo man sich an der geheimnisvollen Schönheit
dieser Bedürfnisse erfreut. Warum hat es Gott wohl gefallen, uns mit
weicher Haut, runden Brüsten, festen Muskeln, zum Ineinanderschlingen
geeigneten Beinen und küssbaren Mündern zu erschaffen?
Ja, warum? Die Antwort ist: Uns zur Freude und Ihm zur Ehre. Denn er ist
sehr, sehr gut. Er hätte den Fortpflanzungsakt so kurz und langweilig
wie ein Niesen machen können. Stattdessen hat er ihn zum größten
Thrill aller Zeiten erkoren. Und wenn ein Mann und eine Frau sich an diesem
Geschenk erfreuen und Gott dafür danken, dann geben sie Ihm die Ehre.
Sex wird zu einem wunderschönen Zwei-Personen-Lobpreis-Gottesdienst!
Um ein tolles Sexleben zu haben, müssen wir begreifen, dass die Bibel
Sex in keiner Weise als abstoßend, sündig oder heikel ansieht,
sondern dass wir Gottes ursprüngliche Idee von erfüllter Sexualität
so sehr lieben müssen, dass wir den Umgang unserer Welt damit als Perversion
erkennen. "Genießt reinen Sex!" ruft Gott praktisch in Sprichwörter
5, 18-19: "Freue dich an der Frau, die du jung geheiratet hast... Ihre
Brüste sollen dich immer berauschen, in ihren Armen kannst du dich selber
vergessen."
Berauschen, sich selbst vergessen... das klingt nicht gerade nach
Langeweile, oder? Gott legt uns nahe, uns am Körper unseres Partners
zu erfreuen, uns ganz hinzugeben, ohne Vorbehalte und Rückversicherung.»
Wow... und so etwas steht auf einer katholischen Website?
Ja, auf einer katholischen Website! Weil das, und nichts Anderes die katholische
(und hoffentlich auch allgemein christliche) Sicht der Sexualität ist.
Klar, in der Presse, im Fernsehen und in den Laberkreisen (von der Runde auf
dem Schulhof über den Kaffeeklatsch bis hin zum Stammtisch) wird ein
anderes Bild der Kirche verbreitet: Da sind die katholischen Spaßbremsen
gegen alles, was Freude macht, am besten noch gegen die Sexualität selbst.
Angeblich sagen die erzkonservativen Katholiken: «Gut, dass der Sex wenigstens
noch eine Funktion hatte, sonst wäre er wohl schon ganz verboten worden...»
- Nun, es wird Zeit, damit ein wenig aufzuräumen. Fangen wir damit an.
Die andere Seite der Medaille
Es scheint ausgemachte Sache, dass die katholische Kirche «allergisch»
auf alles Sexuelle, Körperliche und Lustvolle reagiert. Die katholische
Kirche ist leibfeindlich; weil sie nur aus alten Männern besteht, verdirbt
sie den jungen Leuten den Spaß; sie will nichts von dem wissen, was
Spaß macht - und hat erwiesenermaßen auch keine Ahnung davon.»
Wenn sie das leugnen will, dann braucht man erst gar nicht zuhören: Dass
Kirche und Sexualität wie Feuer und Wasser ist, gehört zu den gesicherten
Erkenntnissen der heutigen Zeit. Dagegen kann sich die Kirche nicht wehren,
weder sachlich - noch lautstark, nicht liebevoll - und auch nicht, indem sie
dieses Thema einfach totschweigt. Sie hat von vorne herein verloren. Es sei
denn - ihr wollt der Kirche glauben. Für solche,
aufgeschlossenen Leute ist dieser Artikel gedacht. Für alle anderen macht
es keinen Sinn.
Was aber kann die Kirche machen? Gegen die, die sie als "leibfeindlich"
und als "Anti-Sex-Kirche" verleumden? Strafanzeige erstatten?
Nein, vor Gericht werden wir Katholiken wohl kaum ziehen, und es würde
auch keinen Sinn machen. Es gibt einen viel besseren Weg: Den Stier bei den
Hörnern packen und frisch, fromm, fröhlich und frei von unserer
Sicht der Sexualität sprechen. (Leider glauben viele Katholiken und Seelsorger,
sie könnten dieses Thema totschweigen, bis sich die Gerüchte von
selbst legen. Manche behaupten, wenn sie darüber predigen würden,
würde keiner mehr zuhören. Dumm, denn das heizt die Gerüchteküche
nur noch mehr an. Nein, wir sollten nicht schweigen; wir haben doch soviel
zu sagen zu dem Suchwort Nr. 1 bei Google: "Sex").
Okay, es hat Zeiten gegeben, in denen das Sprechen von allem, was die Sexualität
betraf, strengstens verpönt war. Und natürlich wollte man davon
dann erst recht nichts in der Kirche hören. Leider hat in solchen Zeiten
die Kirche nicht die Stimme besonders lautstark erhoben, sondern sich sehr
oft den Strömungen der Zeit angepasst (aber seien wir ehrlich: Das tut
sie heute auch manchmal noch, und wir machen da mit...). Im Nachhinein ist
es vollkommen unmöglich, eine eindeutige Schuldzuweisung für solche
Schwachzeiten der öffentlichen Moral vorzunehmen: War die Kirche Opfer
oder Täter von leibfeindlichen Tendenzen?
Allerdings hat sich die eigentliche Sicht der Sexualität als "Gottes
genialer Gabe" nie ganz unterkriegen lassen; das Lehramt der
Kirche hat sich (gott-sei-dank) von diesen Zeitgeistern nicht vernebeln lassen:
Sowohl früher als auch heute ist der Kirche die Leibfeindlichkeit suspekt:
-
Thomas von Aquin verurteilt scharf die Verteufelung alles
Sinnlichen. Alles Sinnliche als Werk des Teufels zu verdammen sei
ein «Laster der Unsinnlichkeit». (Hätten das die Toten Hosen
bei der Abfassung ihres Liedes «Kein Alkohol (ist auch keine Lösung)»
gewusst, hätten sie nicht "Vatikan und Taliban" in einem
Atemzug genannt - auch wenn ihnen dadurch ein schöner Reim abhanden
gekommen wäre).
-
Im 4. Jhdt. wurden alle Kleriker des Amtes enthoben, die sich
der Leibfeindlichkeit schuldig gemacht haben. «Wenn sich jemand
der Speisen oder der Ehe enthält und zwar nicht aus Askese, sondern
aus Abscheu, oder weil er vergessen hat, dass Gott die Schöpfung
gut gemacht hat, und blasphemisch die Schöpfung schlecht nennt, so
lasse er sich eines Besseren belehren oder ist abzusetzen.»
-
Und auch Paulus sagt genau das Gleiche in 1 Tim 4: «In späteren
Zeiten werden manche vom Glauben abfallen; sie werden sich betrügerischen
Geistern und den Lehrern von Dämonen zuwenden, getäuscht von
heuchlerischen Lügnern, deren Gewissen gebrandmarkt ist. Sie verbieten
die Heirat und fordern den Verzicht auf bestimmte Speisen, die Gott doch
dazu geschaffen hat, dass die, die zum Glauben und zur Erkenntnis der
Wahrheit gelangt sind, sie mit Danksagung zu sich nehmen. Denn
alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, wenn
es mit Dank genossen wird.»
-
Keine katholische Ehe ist unauflöslich, wenn Sie nicht von den
Eheleuten durch den Geschlechtsverkehr ("ehelicher Akt") vollzogen
wird. Damit steht die katholische Kirche weit und breit (und das schon
seit 2000 Jahren) als einzige Religion da, in der Sex zum Vollzug eines
Sakramentes gehört.
-
Vielgeschmäht ist auch die Tatsache, dass junge Mütter nach
Ihrer Geburt hinten in die Kirche zum Pfarrer kommen mussten, der sie
"aussegnete", damit sie wieder am Gottesdienst teilnehmen konnten.
Faszinierend, dass dieser Brauch erst als deutliches Anzeichen der Diskrimierung
der Frau und der Sexualität gewertet wurde, als keiner mehr verstand,
worum es eigentlich ging!
Das Wort "ausgesegnet" bedeutet nichts anderes, als dass der
Muttersegen der letzte Segen in einer Reihe von mehreren Segenswünschen
rund um die Geburt war. Von einem Priester sagt man nach seiner Weihe
gelegentlich, dass er nun (nach den Vorstufen und der Diakonenweihe) "ausgeweiht"
wurde. "Aussegnung" ist und bleibt ein Segensspruch, ein Gutheißen
dessen, der gesegnet wird. Der Geschlechtsverkehr (als Vollzug des Ehesakramentes),
die Schwangerschaft, die Geburt, die Taufe und schließlich die Mutterschaft
wird durch eine Reihe von Segenssprüchen durch den Priester begleitet
und "gutgeheißen". (Dass manche Mutter glaubte, vor diesem
letzten Segen nicht am Gottesdienst teilnehmen zu dürfen, ist allerdings
ein Missverständnis und hat sicher zu dem Gefühl der Diskriminierung
beigetragen - obwohl dieser angebliche Ausschluss nie zur Verkündigung
der Kirche gehört hat). Für Leibfeindlichkeit gibt es da einfach
keinen Platz. - Im Grunde schade, dass dieser Brauch abhanden gekommen
ist; denn gerade dadurch hat die Kirche über Jahrhundert deutlich
gemacht, wie sehr sie die Sexualität hochschätzte.
Apologetik nennt man die Kunst der Verteidigung - und ich weiß nicht,
ob ich sie gut beherrsche. Deshalb möchte ich die "historische Beweisaufnahme"
hiermit vorläufig abschließen, da es mir weniger auf das ankommt,
was irgendwer irgendwann einmal gesagt hat. Viel wichtiger ist mir, wie die
Kirche bis auf den heutigen Tag zur Geschlechtlichkeit und Sexualität
des Menschen steht. Falls Du, lieber Leser dieser Zeilen, der Meinung bist,
dass ich die angebliche Negativ-Liste der "Leibfeindlichen Ausrichtung
der Kirche" allzu leichtfertig übergehen und die Sachlage doch eher
zu Ungunsten der Kirche ausfällt, so können wir uns gerne per eMail
weiter unterhalten. Schreibe
mir ruhig. In dieser Katechese möchte ich jetzt allerdings von der
Apologetik zum eigentlichen Thema wechseln.
Es wird Zeit, dass wir zur Sache kommen.
Kann denn Liebe Sünde sein?
In Hafenstädten und Bahnhofsvierteln, so weiß man, stehen viele
rote Lampen. Das "Rot-Licht-Milieu". Auch Korinth zur Zeit Jesu
war ein solches Hafenstädtchen. Und wenn auch damals wahrscheinlich keine
roten Lampen in den Fenstern der Hafenkneipen standen, so sah es hinter diesen
Fenstern wohl genauso aus wie in den zweitausend Jahren danach.
Dort, in Korinth, fand sich eine der ersten christlichen Gemeinden zusammen.
Da ging es, ähnlich wie im Hafen, drunter und drüber. So sehr, dass
Paulus sich gezwungen sah, einen Brief zu schreiben...
Was meint ihr wohl, was er schreibt? «Das dürft ihr nicht, ich verbiete
es Euch?» Nein, weit gefehlt. Er schreibt: «Alles ist Euch erlaubt»! Als Christen
seid ihr freie Menschen, von Jesus freigekauft und bestimmt, in Freiheit zu
leben. Allerdings... «nicht alles nützt Euch.» Und weiter: «Alles ist
Euch erlaubt, aber nichts soll Macht haben über Euch.»
Das ist (der Völkerapostel erlaube mir diese Bemerkung) von Paulus sehr
schön formuliert. Es geht im Christentum niemals um Gebote, die ihren
Grund allein in der Tatsache haben, dass Gott sie aufgestellt hat. Gebote
sind nicht deshalb Gebote, weil es sie gibt (das wäre ja auch ziemlicher
Schwachsinn). Gebote sind da, um etwas Wertvolles zu schützen, damit
es nicht missbraucht, zerstört oder übergangen wird. Nochmals: Ein
herzliches Dankeschön, Paulus.
Ein Mann und eine Frau, die mal eben das schnelle Vergnügen von Sex
außerhalb der Ehe mitnehmen, haben vielleicht den Eindruck, frei zu
sein; aber das Gegenteil ist der Fall. Die Bibel und die Kirche leugnet nicht
den Reiz von "unerlaubtem" Sex. Ja, es fühlt sich gut an (in
der Phantasie dann doch mehr als in der Realität). Ja, es kann aufregend
sein. Doch dieses schnelle Vergnügen ist leer - und dumm im Licht der
Konsequenzen, die es für Seele, Körper und Gefühle hat.
Christliche Moral ist kein Gefängnis, sondern eher wie ein Mittelstreifen
auf der Fahrbahn. Eine durchgezogene Linie kann niemanden davon abhalten,
darüber zu fahren; sie schützt auch nicht vor verrückt gewordenen
Kamikazefahrern. Ein Mittelstreifen ersetzt auch keinen Führerschein
und kein aufmerksames Fahren. Er ist einfach nur ein Richtschnur, an der wir
erkennen können, wo der richtige Gebrauch aufhört und es beginnt,
gefährlich zu werden. Kein vernünftiger Autofahrer würde die
durchgezogene Linie oder sogar den ausgebauten Mittelstreifen auf einer Autobahn
als "Beschneidung seiner Freiheit" bezeichnen. Genauso wenig wollen
die Gebote der katholischen Kirche einengen und Freiheit beschneiden, sondern
helfen, die Spur zu halten und dadurch zu lieben und Freude zu haben, ohne
sich und andere zu schaden. «Alles ist erlaubt, aber nichts soll Macht haben
über mich» oder mich von Gott trennen. Das ist der Grund, weswegen sich
die Kirche verpflichtet sieht, Dir ins Schlafzimmer hineinzureden: Sie möchte
Dein Glück.
Aber - und das ist wohl die entscheidende Frage - wieso soll mich das, was
die katholische Kirche als "Sünde" bezeichnet, unglücklich
machen? Diese Einteilung in "sündige Liebe" und "gute
Liebe" oder in "sündigen Sex" und "guten Sex"
ist doch total überholt und entspricht nicht mehr dem, was wir heute
über Sex wissen!
Ja? Was wissen wir denn über Sex? Wir haben ihn biologisch und soziologisch
erforscht und werden ruckzuck aufgeklärt, wie was geht. Aber wissen wir
denn noch, was das ist: "SEX"?
Latein, Englisch, Französisch,
Sex
"Sex", so sagt man, ist die Kurzform des Wortes "Sexualität".
Sagt man. Allerdings ist das Wort "Sex" nicht nur kürzer, sondern
verkürzt ist auch das, was damit gemeint ist: Während "Sex"
meistens nur den Geschlechtsverkehr meint, ist "Sexualität"
ein viel umfassenderer Begriff, beginnt mit dem ersten Augenkontakt, dem "Knistern"
zwischen zwei Menschen, geht über Zärtlichkeiten wie Umarmungen,
Küsse und körperliche Nähe, beschreibt aber auch das geistige
und psychische Spannungsfeld zwischen den Geschlechtern - und endet noch lange
nicht bei dem, was allgemein als "Höhepunkt" bezeichnet wird.
Alles das ist "Sex" - bzw. Sexualität: Das sieht auch unser
Rechtssystem so. Immerhin kann auch schon eine unanständige Berührung
oder ein aufgezwungener Kuss den Straftatbestand der "sexuellen Belästigung"
und auch des "sexuellen Missbrauchs" erfüllen. Weil Sex eben
nicht nur eine bestimmte Handlung ist. Sex ist eine Sprache.
Unser Körper, so wissen Kommunikationsforscher schon seit langem, spricht
seine eigene Sprache. Ja, man kann vielleicht sogar sagen, dass unser
Körper selbst seine höchste Bedeutung bekommt als Ausdrucksmittel
der Seele, sozusagen als dessen "äußere Seite". Das kennen
wir aus fast jeder Alltagssituation: Schon lange, bevor uns der Freund gesagt
hat, dass er ein Problem hat, haben wir es ihm schon angesehen; sein Körper
hat ihn verraten. Oder: Da mag uns Opa noch so oft beteuern, dass es ihm blendend
gehe - wir sehen ihm an, dass eher das Gegenteil zutrifft.
Unser Körper spricht eine Sprache; das heißt, sie besteht aus
Zeichen und Symbolen, die wir zum Teil ganz intuitiv können - und zum
Teil erst lernen müssen. Es gibt in fremden Ländern "fremde
Sprachen" auch für unseren Körper; das wird jeder einmal erfahren,
der versucht in China einen Vertrag per "Handschlag" zu schließen
(probier das lieber nicht aus). Unser Körper spricht eine Sprache, das
heißt auch, dass wir damit lügen können: Wir können so
tun "als ob". Ein gut geschulter Verkäufer wird genauso wie
ein echter Schauspieler nicht nur seinen Text beherrschen, sondern auch seinen
Körper. Beides, das gesprochene Wort und der Körperausdruck muss
zu dem passen, was als Gefühl gerade ausgedrückt werden soll. Ansonsten
ist man entweder ein schlechter Schauspieler oder ein ehrlicher Verkäufer.
Sexualität ist die Sprache, die äußere Form der Liebe; genauso
wie das gesprochene Wort. Wir wollen nicht nur sagen: «Ich mag Dich», sondern
es auch zeigen. Nicht nur im sexuellen Bereich empfinden wir das gesprochene
Wort ohne den dazugehörigen körperlichen Ausdruck als "arm"
und "ungenügend". Aber gerade im Bereich der Beziehungen, wo
Sympathie und Zuneigung, Liebe und Leidenschaft eine Intensität erreichen,
dass sie sich kaum noch in Worte fassen lassen, brauchen wir etwas, das über
bloße "Wortklaubereien" hinausgeht: Unseren Körper. Er
spricht immer noch die ehrlichste, unmittelbarste und intensivste Sprache.
Probiert es doch einmal aus: Wie leicht fällt es (auch vor anderen),
jemandem zu sagen: «Ich finde Dich überragend!» - und wie schwer fällt
es, uns vor einem anderen zu verneigen oder sogar zu knien - vor allem, wenn
andere zuschauen. Das liegt daran, weil Worte leicht gemacht sind ("words
are cheap"); der Körper aber meint fast immer, was er zeigt.
«Sex ist eine Sprache... Sex ist eine Sprache? Also, bloß ein Medium?»
- Tatsächlich ist Sex kein Selbstzweck. Es dürfte für jeden
Menschen eine derbe Ernüchterung sein, wenn nach einer "wunderbaren
Nacht" der Partner sagt: «Es war sehr schön mit Dir. Das, was wir
getan haben, war total klasse; Du selbst bist mir allerdings ziemlich egal.»
Nein, Sex (im umfassenden Sinne, nicht nur der Geschlechtsverkehr) verkümmert
vollkommen, wenn «er praktiziert wird, um ihn zu praktizieren». Sex wird erst
dann zu einem Erlebnis, einem Ereignis, das Leben verändern und Leben
stiften kann, wenn er eine Sprache ist, die nur einem einzigen Zweck dient:
Liebe auszudrücken. Die Liebe aber, die durch Deinen Körper ausgedrückt
wird, dient keinem Zweck - die Liebe ist sich selbst genug.
«Sex ist die Sprache, mit der ich meine Liebe ausdrücke? Ist in Ordnung:
Ich mag dich doch, also...!» Stopp, langsam: Liebe und Zuneigung spielt sich
in ganz vielen Abstufungen ab. Oder willst Du etwa behaupten, Du magst Deine
neue "Flamme" genauso wie Du Deinen Großonkel August magst?
Also, es gibt verschiedene Formen der Zuneigung, und genauso gibt es verschiedene
Formen, die Zuneigung auszudrücken. Und das gilt nicht nur für die
ganze Palette von Personen und Dingen, die Du magst (angefangen bei Deinem
wirklich netten Geschichtslehrer, Deiner Zuneigung zu Deinem Dackel und Deiner
Vorliebe für Erdbeereis bis hin zu Deiner großen Liebe), sondern
auch für die Entwicklung einer Beziehung zu ein- und derselben Person.
Deshalb hängt der zärtliche sexuelle Ausdruck ganz immens von der
Beziehungsstufe ab, auf der Du Dich befindest. Jede Stufe hat einen eigenen
körperlichen Ausdruck und einen Ausdruck im gesprochenen Wort (ich würde
zum Beispiel eine neue Bekanntschaft, die sich mit den Worten «Hi, ich heiße
Claudia und übrigens, ich liebe Dich» nicht sonderlich über den
Weg trauen). Man kann sogar soweit gehen, eine Stufenleiter der Beziehungen
aufzustellen - wie zum Beispiel in der folgenden Tabelle (die allerdings nur
ein Beispiel sein soll).
Eine, irgendeine Stufenleiter der Liebe
Beziehung |
Worte |
Körpersprache |
Interesse |
keine |
Blicke / Blickkontakt |
Sympathie |
Allgemeinplätze |
Gespräch |
Bekanntschaft |
gemeinsame Erfahrungen |
Nähe |
Freundschaft |
«Du gefällst mir» |
Gelegentliche Berührungen |
Verlieben |
«Ich mag dich» |
Zärtlichkeiten |
feste Beziehung |
«Ich hab dich lieb» |
Küsse, Schmusen |
Verlobung |
«Ich liebe dich» |
Küsse, Schmusen, Knuddeln |
Ehe |
«Ich liebe dich für immer» oder etwas poetischer: «Nur Du, und
Du für immer» |
Geschlechtsverkehr |
Diese Tabelle ist natürlich nur ein knappes Beispiel; vielleicht hast
Du Lust, eine eigene Stufenleiter aufzustellen. Also, ich komme locker auf
mindestens 25 Stufen - wobei ich (als Priester!) sicher mehr als die Hälfte
aus eigenem Erleben kenne.
Übrigens: Die Intensität einer Beziehung hängt nicht
von der Stufe ab: Eine Freundschaft kann immer auf der gleichen Stufe bleiben
- und kann trotzdem intensiver sein als Beziehungen zu anderen Personen auf
einer höheren Stufe. (Manche Frauen vertrauen angeblich Ihrer besten
Freundin mehr als ihrem Mann. Ich frage mich, ob das auch für Männer
gilt...?)
Wichtig ist zu verstehen, dass eine Sprache ihren Sinn nur dadurch behält,
indem wir den angemessenen Ausdruck finden. Wer einen zu kleinen Wortschatz
hat oder ständig nur Superlative verwendet, redet meistens Müll.
Ein echter Mangel und sogar eine Art von "kultureller Beschränktheit"
ist es, wenn jemand einen zu kleinen Wortschatz hat. Das gilt auch für
unsere körperliche Ausdrucksfähigkeit.
Im sogenannten «viktorianischen Zeitalter» (19. Jahrhundert in England) verbannte
die Gesellschaft sämtliche Zärtlichkeiten in die Ehe, vorher waren
weder Küsse, noch Berührungen oder eindeutige Blicke erlaubt (in
diese Richtung scheint mir auch der ganz am Anfang schon erwähnt Joshua
Harris zu gehen, der seine Frau zum ersten Mal am Hochzeitstag geküsst
hat. Allerdings ist er doch nicht ganz so radikal wie die öffentliche
Meinung im prüden England zur Zeit der Königin Viktoria, als es
für Unverheiratete noch nicht einmal erlaubt war, gemeinsam spazieren
zu gehen). Schauen wir uns die Stufenleiter an: Da fallen komplett alle unteren
Stufen weg! Wie soll sich da eine Beziehung entwickeln - wie will man noch
zeigen, dass man inzwischen mehr empfindet als nur Sympathie? Hier herrscht
ein regelrechter "Sprachmangel", der Wortschatz ist einfach zu gering.
Eine Beziehung, in der ich weder durch Worte sagen kann "Ich mag Dich",
noch durch meine Körpersprache diese Sympathie mitteilen kann - eine
solche Beziehung steht auf wackeligen Füssen. Natürlich kann man
sich andere Ausdrucksmittel einfallen lassen: Man kann sich Briefe schreiben
(Du musst mal lesen, was für Liebesbriefe gerade im viktorianischen Zeitalter
geschrieben wurde! Na klar, dafür blieb dann auch viel Zeit, wenn man
sonst nichts tun konnte...), man kann Lieder komponieren und sich gegenseitig
vorsingen, man kann neu entdeckte Sterne umbenennen oder sich einen Quadratkilometer
auf dem Mond kaufen und ihn auf den Namen der heimlichen Liebe taufen... Aber,
da sind wir uns einig, das ersetzt nicht wirklich die verloren gegangene Sprache.
Das ist alles wunderbar - aber zu wenig, wenn man sich nicht in die Augen
sehen darf.
Wie sagt der Esel im Kinofilm Shrek: "Ist doch Schwachsinn, ein Geheimnis
zu bewahren, wenn man reden kann!" - Es ist doch schade, wenn unser Körper
zu ganz fein abgestuften Zärtlichkeiten in der Lage ist, alle als "schlecht"
zu bezeichnen, oder?
Gut, vermeiden wir also den rechten Straßengraben, in dem uns fast
alle Ausdrucksmittel genommen werden. Wenn wir aber das Steuer herumreißen,
sollten wir es nicht so heftig tun: Es gibt auch den linken Straßengraben,
und in dem ist es auch nicht viel gemütlicher. Denn auch eine sexuelle
Enthemmung (wie zum Beispiel in der Hippie-Bewegung der 60er und 70er Jahre)
führt zu einem Sprachmangel - allerdings auf der anderen Seite
der "Stufenleiter". Ist doch klar: Wenn ich bereits sämtliche
Variationen der Sexualität mit meinem "Geschlechtspartner"
ausgeübt habe und erst anschließend eine gewisse Sympathie für
ihn entdecke - wie will ich die dann noch ausdrücken? Welche Ausdrucksformen
habe ich denn noch für so etwas wie Zuneigung, Freundschaft und Liebe?
Nun, wir leben nicht mehr in der Zeit der Flower-Power-People. Aber das Problem
der verwirrten Sprache existiert auch heute noch: Wir verwenden zu oft und
zu früh zu viele Superlative.
Ein 9jähriges Mädchen hat dem berühmten Schriftsteller und
Literaturprofessor in Cambridge, Clive Staples Lewis, einmal ihren ersten
selbstverfassten "Roman" geschickt. Nun wartet sie ganz gespannt
auf die Meinung des Professors. Und tatsächlich: Es kommt eine richtig
ernsthafte Literaturkritik. C.S. Lewis weist sie unter anderem darauf hin,
dass sie nicht so viele Superlative benutzen sollte: «Wenn Du schon bei der
ersten Landschaftsbeschreibung vom "schönsten Baum" und "wunderbarsten
See" und "einem Himmel so blau wie sonst nichts auf der Welt"
sprichst, fehlen Dir später im Roman die Worte, um etwas noch Schöneres
auszudrücken. Du nimmst Dir die Möglichkeit, Dich noch zu steigern.
Schreib nicht, dass Deine Hauptperson im Roman den "schönsten Tag
in ihrem ganzen Leben" erlebt hat, denn weißt Du, was noch kommt?
Sie ist ja noch jung und wird hoffentlich noch viel erleben, das noch schöner
ist.»
Nun, das gilt auch für unsere Liebesbeziehung. Wenn wir schon nach wenigen
Monaten unserer Liebe mit Wort und Tat die wertvollsten Ausdrucksmöglichkeiten
gestatten - wie sollen wir uns dann noch steigern? Wir nehmen dem Roman unseres
Lebens jede Spannung; es gibt keine Entwicklung mehr. Nicht selten ist das
der Tod einer Beziehung.
Werden wir konkret: Vielleicht ist Deine Liebe im Moment sehr groß
- und Du bist Dir sicher, dass das die größte Liebesgeschichte
ist, die Du bisher erlebt hast - und deshalb willst Du nicht länger mit
dem warten, was Ausdruck der größten Liebe ist. Aber: Bist Du denn
sicher, dass die jetzige Liebe nicht nur die größte Deines bisherigen
Lebens ist, sondern auch die größte Liebe, die Dir jemals
passieren wird? Was wird wohl sein, wenn Du eine noch größere Liebe
entwickelst (zu der jetzigen oder auch einer anderen Person)? Dann fehlen
Dir die Worte (und Handlungen)! Du wirst sprachlos.
Ja, meiner Meinung nach ist es sogar noch schlimmer: Wenn Du alle Deine Superlative
schon "benutzt" hast, dann wirst Du nicht nur eine weitere Steigerung
nicht mehr ausdrücken. Ich glaube, dass Du dann sogar zu einer
weiteren Steigerung nicht mehr in der Lage sein wirst. Wenn Du nichts
mehr zu "sagen" hast, wenn Du ein einmaliges Gefühl nicht mehr
ausdrücken kannst, wirst Du stumm. Liebe gibt es allerdings nur, wenn
sie mitgeteilt wird. Ausdrucksunfähige Menschen sind beziehungsunfähige
Menschen. Beziehung ist ihrem Wesen nach Mitteilung und Ausdruck.
Eine nicht mehr ausdrückbare Beziehung ist nicht existent.
Hüte also Deine Sprache, sie ist zu wertvoll! Oder, um mit der Kirche
im Klartext zu reden: Pass auf Deine Sexualität auf, sie ist Gottes geniale
Gabe. Mach sie nicht kaputt.
«Ja toll - ich soll mit meinen Superlativen warten, bis ich weiß,
dass diese Liebe nicht mehr zu steigern ist...! Und wann soll das sein? Wahrscheinlich
nie!» Ich gebe zu, dieser Satz im vorherigen Abschnitt ist etwas erklärungsbedürftig
- du hast es wahrscheinlich schon gemerkt. Denn tatsächlich sollte doch
eine Liebesbeziehung ein ganzes Leben lang größer und tiefer werden!
Wenn ich mir immer die Möglichkeit bewahren will, mich auch in meinen
Ausdrucksmitteln noch zu steigern, müsste ich mir meine höchsten
Ausdrucksformen ein Leben lang aufbewahren - und käme dann nie dazu!
Stimmt, so kann es nicht gemeint sein. Deshalb möchte ich hier zwischen
einer größer werdenden Liebe und einer tiefer
werdenden Liebe unterscheiden. Man kann sie auch anders nennen, wichtig ist,
was ich damit meine:
Meiner ersten großen Liebe brachte ich eine Unmenge von Gefühlen
entgegen - es war schon eine wirklich große Liebe. Aber ich wäre
nie auf den Gedanken gekommen, ihr zuliebe mein Leben zu ändern - bis
auf die kleinen Umstellungen im Tagesablauf.
Nun, die nächste große Liebe war schon "größer"
- nicht, weil die Gefühle großartiger waren, ein solcher Vergleich
wäre mir gar nicht möglich gewesen. Nein - weil ich jetzt schon
bereit war, auf einen gehörigen Teil meiner Freiheit zu verzichten, um
sie nicht zu verlieren. Und im Laufe der Zeit kamen immer mehr Bereiche meines
Lebens hinzu, die ich in den Dienst meiner Liebe stellte. Meine Liebe wurde
also umfassender, umgriff immer mehr Bereiche meiner Person und meines Lebens.
In diesem Sinne wurde meine Liebe "größer".
Irgendwann umfasst eine solche Liebesbeziehung dann alle Bereiche meines
Lebens (oder zumindest alle Bereiche, die ich einem anderen Menschen zu geben
bereit bin); sie kann nicht mehr größer werden. Selbstverständlich
kann sie immer noch tiefer, reifer, ernsthafter oder schöner werden.
Aber es gibt diesen entscheidenden Punkt, an dem ich feststelle: «Von allem,
was ich geben kann, bin ich jetzt bereit, alles zu geben.» Eine solche Liebe
verdient den höchsten Ausdruck in der Sprache - mit Leib und Seele.
Eine solche Liebe spricht von Superlativen: «Nur Du - sonst keiner. Du für
immer - so lange ich lebe. Alles zu Deinem Wohl - mit all meinen Kräften.
Und nicht nur für uns - über uns hinaus!» Nichts anderes geschieht
in der kirchlichen (katholischen) Eheschließung. Im Grund ist es egal,
ob Ihr für diese Liebe den Ausdruck einer kirchlichen Hochzeit wählt
oder das Vermählungsritual der Eingeborenen von Borneo (das ich persönlich
für sehr gelungen halte). Letztlich geht es darum, diesen vier Superlativen
«Nur Du - Du für immer - Alles zu Deinem Wohl - Über uns hinaus!»
Gestalt zu geben. (Übrigens gesteht Euch die katholische Kirche auch
die Freiheit zu, Eure Ehe durch das Borneo-Vermählungsritual zu schließen
- wenn Ihr die vier Super-Wesenseigenschaften bejaht). Allerdings kenne ich
kein angemesseneres Ritual als das katholische; denn zum Vollzug des Sakramentes
gehören wesentlich Leib und Seele. Erst, wenn die Eheleute sich ihre
Liebe durch das Ja-Wort in der Kirche und durch den ehelichen Akt im heimischen
Schlafzimmer gegeben haben, ist die Ehe wirklich vollzogen und auf immer untrennbar.
Ich kenne keine andere Religionsgemeinschaft, die den Geschlechtsverkehr zum
Vollzug eines Sakramentes erhoben hat!
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole (zu spät): Die katholische
Kirche ist nicht leibfeindlich - sie schätzt den Leib und seine sexuellen
Möglichkeiten so sehr, dass sie ihn quasi unter Naturschutz stellt. Das
ist nicht immer angenehm, zugegeben. Die Kirche ist wie ein Arzt: Er ist
zunächst nicht den Wünschen des Patienten verpflichtet, sondern
zu allererst dessen Gesundheit. Ist denn ein Arzt ein Menschenfeind, weil
er einigen Menschen eine Diät verschreibt?
Wer ständig lügt, dem glaubt
man nicht...
Aber kehren wir noch einmal zurück zu der Erkenntnis, dass Sexualität
eine Sprache ist. Im allgemeinen wird die Körpersprache als die unmittelbarere,
intensivere und ehrlichere Ausdrucksform empfunden. Wir sagen ja auch «Jaja,
gesagt hat er dies und das, aber sein Gesicht hat ihn verraten» - oder «...seine
Körperhaltung hat genau das Gegenteil klargemacht» - oder: «Er hat zwar
nichts gesagt, aber ich sehe ihm an, dass da etwas nicht stimmt» - und so
ähnlich. Während die gesprochene Sprache oft die Quelle von Missverständnissen
ist, ist die Körpersprache eindeutiger.
«Was muss ich tun?» fragte der kleine Prinz. «Du musst sehr geduldig
sein», antwortete der Fuchs. «Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir
ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus dem Augenwinkel anschauen,
und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse.
Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen näher setzen können.»
Dass ausgerechnet die gesprochene Sprache die Quelle der Missverständnisse
sein soll, mag uns vielleicht komisch vorkommen; und tatsächlich gilt
das natürlich nicht, wenn die Sprache lediglich dem Informationsaustausch
dient. Wer im Geschäft einen DVD-Player mit bestimmten Leistungsmerkmalen
kaufen möchte, wird eher das Gesuchte bekommen, wenn er den DVD-Player
nicht pantomimisch darzustellen versucht, sondern sagt, was
er möchte. Solche Informationen kann man auch faxen - im Gegensatz zu
Gefühlen.
Die Körpersprache ist nämlich viel eindeutiger und aussagekräftiger,
wenn es um Beziehungen geht. Wie schwer ist es, jemandem deutlich zu machen,
wie ich zu ihm stehe! Sprachlich ist es fast nicht möglich, so feine
Unterscheidungen zu treffen wie z.B.: "mehr als nur ein Freund, aber
noch keine Beziehung - aber dennoch offen dafür..." ohne missverstanden
zu werden. Zwei Blicke und ein Lächeln können da viel treffender
sein - kombiniert mit einem Schulterzucken. (Okay: Auch die Körpersprache
ist nicht vor Missverständnissen gefeit, vor allem, wenn man sich noch
nicht so richtig kennt. Das liegt daran, dass die genaue Bedeutung der einzelnen
Gesten, Zärtlichkeiten und Berührungen auch noch von der jeweiligen
Kultur und Erziehung abhängen. Wenn sich zwei Menschen aber wirklich
gut kennen, dann verstehen sie sich immer besser durch einen
Blick als durch tausend Worte.)
Gerade das macht die Körpersprache im Allgemeinen und die Zärtlichkeiten
im Speziellen noch kostbarer als die gesprochene Sprache. Um so schwerer wiegt
eine Unehrlichkeit im Zusammenhang von Zärtlichkeit und Sexualität.
Der Missbrauch von Körpersprache ist Lüge im eigentlichen
Sinne und deutlich schwerwiegender als eine verbale Lüge. Wenn ich etwas
tue, was ich gar nicht so meine, ist das verletzender und
schädlicher als wenn ich etwas sage, obwohl ich anderes
denke. "Verzweckte" Körpersprache führt bei Aufdeckung
immer zum umfassenden Vertrauensverlust und meistens zum Ende der Beziehung.
Das gilt übrigens auch, wenn beide Beteiligten sich darüber verständigt
haben, dass das, was sie jetzt gleich als nächstes tun werden, gar nicht
so gemeint ist (siehe zum Beispiel in dem Film: EIN UNMORALISCHES ANGEBOT
von Adrian Lyne, mit Robert Redford und Demi Moore). Sie lügen sich gemeinsam
etwas vor - und können sich gegenseitig nicht mehr verstehen, obwohl
sie doch abgesprochen hatten, dass sie dem Sex eine andere Bedeutung geben
wollten. Beide verderben sich nämlich die Sprache, gegenseitig und
für sich selbst. Denn wenn Sprache und Sexualität ausdrücken
sollen: "Du bist mir wichtig, mit Dir meine ich es ernst" - wie
sollen ich dann ausdrücken, dass ich die "Ernsthaftigkeitserklärung",
die ich schon 18 mal abgegeben und nicht gehalten habe, ausgerechnet jetzt
"ernst" meine? - Wer ständig lügt, dem glaubt man nicht.
Es gibt auch professionelle "Lügner". Prostitution nennen
wir das: Jemand drückt nicht vorhandene Gefühle für Geld aus.
«Soll doch jeder selbst wissen, was er macht...!» sagen die einen. Und wir
Christen geben ihnen vollkommen recht: «Jeder muss und darf selbst entscheiden,
was er tun oder lassen will. Nur, dazu muss er eben selbst wissen,
was er tut.» Und was tun die professionellen Lügner? Sie verderben sich
(jede) Ausdrucksfähigkeit. «Das, was ich jetzt mit Dir mache, habe ich
schon für Geld mit tausenden anderen gemacht. Du musst mir einfach glauben,
dass es mit Dir etwas völlig anderes ist - ausdrücken kann diese
Einmaligkeit nicht mehr.»
An einigen Königshäusern gab es im ausgehenden Mittelalter bezahlte
Schmeichler, die dem König (und gelegentlich auch der Königin) immer
wieder versicherten, wie schön und gütig Herr (und Frau) König
sind. Der König wusste, dass das alles nicht ehrlich gemeint war, immerhin
bezahlte er ja dafür. Aber es tat so gut, es immer wieder zu hören.
Solche Könige gibt es heute auch, die sich gegen Bezahlung lieben lassen.
Die wissen auch, dass daran nichts Ehrliches ist, es "tut einfach nur
gut" (was ich sowohl bei den damaligen als auch bei den heutigen "Königen"
bezweifle). Die Folge ist allerdings: Irgendwann verliert der König den
Blick für diejenigen, die es wirklich gut mit ihm meinen. Er kann wahre
Liebe nicht mehr erkennen; und der bezahlte Schmeichler kann nicht mehr klarmachen,
dass er die Königin wirklich schön findet (was
ihm im Mittelalter auch schon mal das Leben retten konnte).
Von dieser Einschränkung der Ausdrucksfähigkeit durch "bezahlten
Sprache" wissen auch die Prostituierten. Im Film «Pretty Woman» mit Richard
Gere und Julia Roberts gibt es daher eine Notbremse: Die Prostituierte will
niemals auf den Mund geküsst werden - das will sie dem vorbehalten, den
sie wirklich liebt. Der Kuss wird zur sprachlichen Ausdrucksform der höchsten
Stufe, weil der Geschlechtsverkehr durch die Käuflichkeit seinen Gehalt
verloren hat. - Aber wir sind uns einig, dass es sich dabei um eine Notlösung
handelt - und keineswegs um einen erstrebenswerten Zustand. Immerhin wird
deutlich, dass die Auffassung "Sex ist eine Sprache" auch im Rotlichtmilieu
ihre Bestätigung findet.
Nun, ich denke, inzwischen ist deutlich geworden, das SEX nicht nur fast
wie eine Sprache ist, sondern dass SEX tatsächlich
eine Sprache darstellt - die höchste Form der menschlichen Ausdrucksfähigkeit.
Wenn wir das erst einmal erkennen, ergeben sich die Vorstellungen von dem,
was gut und was schädlich ist, von alleine - und meiner Meinung nach
in verblüffender Übereinstimmung mit der Moralvorstellung der katholischen
Kirche. Das möchte ich abschließend mit zwei Stichproben deutlich
machen: Was ergibt sich aus dieser Sicht für die Haltung zur Selbstbefriedigung
und zur Scham?
(Übrigens, diese Sicht der Sexualität ist auch der Grund
dafür, weshalb der katholische Priester unverheiratet bleiben sollte;
lest dazu doch diesen Abschnitt im Artikel "Zölibat"
auf dieser Website!)
Selbstbefriedigung ist wie Schokolade...
...die Du Deiner Schwester ins Krankenhaus bringen sollst und dann selber
isst. Das heißt im Klartext: Sexualität und Freude an der Zärtlichkeit,
Orgasmus und Erregung sind nichts Schlechtes; genauso wenig wie Schokolade.
Aber alle diese Früchte der Sexualität sind Dir nicht zur eigenen
Befriedigung geschenkt worden (ja, Du hast richtig gehört: Orgasmus ist
ein Geschenk!), sondern als Geschenk für andere. Sexualität soll
anderen Deine Liebe ausdrücken; das ist seine Bestimmung.
Nun gibt es Erwachsene, die sagen: «Ein junger Mensch muss seinen eigenen
Körper kennen lernen und auch einmal ausprobieren können..."
- und damit haben sie im gewissen Sinne recht: Es ist wichtig zu wissen, was
für meinem Körper gut - und was unangenehm ist, wie mein Körper
auf bestimmte Ereignisse reagiert. Allerdings ist das gezielte Onanieren kein
"Jugend-forscht"-Programm, sondern eine Zweckentfremdung mit der
Gefahr, eine hohe Sprache zu banalisieren.
Ich sollte vielleicht hier anfügen, dass diese Sicht der Selbstbefriedigung
(als Schokoladen-Klau) auch bedeutet, dass es sich dabei nicht schon deshalb
um eine besonders schlimme Sünde handelt, weil sie sexueller Natur ist.
"Sexuelle Selbstbefriedigung" sollte genauso eingeschätzt werden,
wie "soziale Selbstbefriedigung" (ich suche mir nur Freunde, die
mir etwas bringen), "verbale Selbstbefriedigung" (Eigenlob oder
"fishing for compliments"), "automobile Selbstbefriedigung"
(ich brauche den Porsche zwar nicht... aber das Gefühl ist so geil) -
usw. Dass Sünden gegen das Sechste Gebot besonders schlimme Sünden
seien, hat vielleicht auch psychologische Gründe - sollte aber nicht
so sein. Schließlich ist die Zweckentfremdung von guten Dingen aus egoistischen
Gründen immer gleich schlecht. Sogar Thomas von Aquin (der mit witzigen
Äußerungen ansonsten sehr sparsam war) schrieb: «Die Sünden
gegen das 6. Gebot sind keineswegs die schlimmsten - aber die klebrigsten.»
Ob es sich bei einer Triebbefriedigung um eine schwere oder leichte Sünde
handelt, sollte also vielmehr danach beurteilt werden, was zur Befriedigung
der eigenen Triebe benutzt und evtl. missbraucht wird. Ich gebe allerdings
zu bedenken, dass die bewusste Führung des eigenen Körpers zum Orgasmus
- zur eigenen Lustbefriedigung - immer der Missbrauch des höchsten Gutes
ist, das wir Menschen haben. Der Körper als Ausdruck der Liebe wird zum
Mittel der Selbstliebe.
Durch Selbstbefriedigung laufen wir Gefahr, abzustumpfen und - weil wir es
irgendwann nicht mehr anders kennen - auch den Partner nur noch als Mittel
zur eigenen Lustbefriedigung benutzen. Klar - sooo schnell stumpft man nicht
ab und verlernt man nicht den Respekt vor anderen Menschen. Aber wenn wir
die Gefahr leugnen und die Selbstbefriedung zu einer angeblich guten täglichen
Gewohnheit erklären, dann ist der Weg nicht mehr weit zur Herabsetzung
des Partners als die "bessere Selbstbefriedigung".
Schamlosigkeit, die sprachlos macht
Es hat sich inzwischen herumgesprochen: Adam und Eva waren vor dem Sündenfall
nackt. Und ich verrate Euch ein Geheimnis: Im Himmel wird es wieder sein wie
im Paradies - die Modeschöpfer werden dort arbeitslos sein. Nacktheit
ist nämlich grundsätzlich etwas Gutes und Natürliches - und
nichts Sündiges. Wenn Gott unseren Körper geschaffen und uns geschenkt
hat, dann sollten wir nicht glauben, wir müssten daran noch das "vervollständigen",
was Gott vergessen hat.
Trotzdem schämen wir uns, nackt durch die Fußgängerzone zu
laufen. Warum? Ganz einfach: Weil wir nicht mehr so sind, wie Gott uns geschaffen
hat - und weil die Leute, die uns nackt in der Fußgängerzone sehen,
uns kaum noch ins Gesicht schauen werden.
Mal im Ernst: Wir sind leider nicht mehr im Paradies. Wir laufen ständig
Gefahr, die Menschen, mit denen wir zu tun haben, für unsere eigenen
Ziele einzuspannen. Wir sehen in ihnen sehr oft nur die Gelegenheit, unsere
eigenen Wünsche zu erfüllen: Wir "verzwecken" sie. Das
ist so ziemlich das Unangenehmste, was einem Menschen passieren kann: Er wird
nicht mehr um seiner selbst willen geschätzt, sondern nur noch deshalb,
weil er einen bestimmten Zweck erfüllt. Dagegen wehren wir uns automatisch:
Wir schämen uns.
Ein Junge, der ein wenig tollpatschig ist, ist eine gute Gelegenheit
sich zu amüsieren. Was haben wir nicht gelacht, als er schon wieder die
Teekanne umgekippt hat! Natürlich schämt sich der
Junge: Er möchte nicht nur das Mittel sein, um uns zum Lachen zu bringen.
Ein Mädchen, das in Mathe nun wirklich keine Ahnung hat und ständig
falsche Antworten gibt, ist eine Beruhigung für den Rest der Klasse:
«Gottseidank gibt es jemand, der noch schlechter ist als wir.» Dieses Mädchen
schämt sich: Es möchte nicht das Mittel sein, um
dem Rest der Klasse ein Gefühl der Überlegenheit zu geben.
Ein Mann, der bei einer Autobahnkontrolle mit Alkohol am Steuer erwischt worden
ist, ist in der weiteren Verwandtschaft ein gutes Demonstrationsbeispiel,
wie man es nicht machen sollte. Es bietet sich ja auch an: «Wage es nicht,
auch nur nach einem Glas Rotwein noch zu fahren! Du weißt doch, was
dem Onkel Hans passiert ist...!» Dieser Mann schämt sich - er will nicht
auf ein "Schlechtes Beispiel" reduziert werden.
Ein Mann hat einen Sprachfehler, er lispelt. Das klingt schon lustig, wenn
er versucht, eine kleine Rede zu halten. Bei seinem letzten Versuch hat fast
der ganze Saal auf dem Boden gelegen vor Lachen. Dieser Mann schämt
sich, weil er möchte, dass man ihm zuhört und versteht - und nicht
seine Sprache als Gelegenheit zur Komik begreift.
Ein Frau hat nur so zum Spaß Nacktfotos machen lassen. Aus einem blöden
Zufall heraus geraten sie in die Hände eines Kollegen, der nun für
rege Verbreitung der Bilder sorgt. Die ganze (männliche) Belegschaft
in der Firma hat nun Freude an diesen Fotos. Die Frau schämt
sich: Sie will kein reines Objekt der männlichen Lust sein.
Gerade das letzte Beispiel macht deutlich, warum wir Kleider tragen: Wir
wollen als Person wahrgenommen werden, und nicht als Lustobjekt. Wir schützen
uns (wir schämen uns), damit unser Körper das bleibt, für was
er gedacht ist: Ausdruck von Beziehung und nicht ein bloßes Mittel zur
sexuellen Erregung. Scham ist die Bewahrung der Sprache und unserer Ausdrucksfähigkeit.
Deshalb schämen wir uns unserer Nacktheit nicht in der Gegenwart dessen,
dem wir unsere Hingabe ausdrücken wollen. Und (ich garantiere es Euch)
deshalb werden wir uns auch im Himmel nicht schämen.
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Peter
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