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Die Heilige Flamme

auch als pdf-Datei vorhanden sowie in der Geschichtensammlung (ebenfalls als pdf)

Die Heilige Flamme
von Selma Lagerlöf, nacherzählt von V. Krmpotic, mit einer Betrachtung von Slavko Barbaric

Zur Zeit der Kreuzzüge zog aus der damals neu entstandenen Republik Florenz ein Mann namens Raniero de Ranieri mit den Kreuzrittern zur Eroberung des Grabes Christi nach Jerusalem. Raniero war bekannt für seinen frechen Wagemut. Er war der erste, der neben Gottfried von Bouillon die Mauern Jerusalems erklomm.
Deshalb wurde ihm die Ehre zuteil, an jenem Abend eine Kerze am Grab Christi anzuzünden. Die Befreiung Jerusalems war für die meisten Kreuzfahrer ein Vorwand zum Plündern. Nach dem Zeugnis des Spielmannes, der an diesem Abend von Zelt zu Zelt zog, waren viele von ihnen schon Mörder und Verbrecher, bevor sie ihre Heimat verlassen hatten. Im Zelt Ranieros überredete der Spielmann Raniero mit Geschick und Eifer zu dem Gelöbnis, ganz allein seine Flamme selbst bis nach Florenz zu bringen. Mitten schallenden Gelächter und der Unterhaltung der betrunkenen Ritter setzte es sich Raniero in den Kopf, das Unmögliche zu vollbringen. Sein rauher und starrköpfiger Charakter trieb ihn zu diesem Schritt, der ihn mehr als Pilger aussehen ließ.

So nahm Raniero bei Tagesanbruch im Geheimen die Kerze, die er am Grab Christi entzündet hatte. Er legte sich den Mantel eines Pilgers um, damit er die Flamme vor dem Wind schützen konnte, und begab sich im Morgennebel auf den weiten Weg nach Florenz. Bald begriff er, dass seine Flamme verlöschen würde, wenn er schnell ritt. Sein Kriegshengst war aber an langsames Reiten nicht gewöhnt, deshalb setzte sich Raniero verkehrt auf sein Pferd, um die Flamme mit der Brust vor dem Luftstrom zu schützen. Als er durch die Steppe ritt, wurde er von Wegelagerern überfallen.

Raniero wäre sonst allein imstande gewesen, zehn solche Verbrecher zu verjagen, aber er befürchtete, dass inzwischen die Flamme verlöschen könnte. Deshalb bot er ihnen alles an, was er hatte: Die Kleidung, das Pferd und die Waffe, sodass sie ihm nur das Bündel mit den Wachskerzen ließen. Den Angreifern kam dies entgegen, denn sie waren nicht auf eine Schlägerei aus, und so nahmen sie ihm alles weg, außer die Wachskerzen, den Pilgermantel und die brennende Kerze. Sie tauschten seinen Schimmel gegen einen erschöpften Gaul aus. Raniero begann sich über sich selbst zu wundern: «Ich benehme mich nicht wie ein Ritter, wie ein Truppenführer ruhmreicher Kreuzritter, sondern wie ein verrückter Bettler. Vielleicht wäre es besser, mein Vorhaben aufzugeben. Denn, wer weiß, was ich wegen dieser Flamme noch alles erleben werde.»

Aber er gab trotzdem nicht auf. Unterwegs erlebte er noch verschiedene Erniedrigungen und Qualen. Seine eigenen Landleute, die nach Jerusalem pilgerten, riefen ihm in seiner Muttersprache nach: «Verrückter!» Auch als ihn räuberische Hirten überfielen, war Raniero nur bemüht, die Flamme zu schützen. Einmal übernachtete er in einem Gasthof, wo gewöhnlich Karawanen von Pilgern und Händlern zu übernachten pflegten. Obwohl das Nachtquartier überbelegt war, gab der Hausherr Raniero und seinem Pferd eine Bleibe für die Nacht. Raniero dachte bei sich: «Dieser Mensch hat sich meiner erbarmt. Wenn mir die wertvolle Kleidung und der Schimmel geblieben wären, wäre es für mich viel schwieriger, durch ein solches Land zu ziehen. Am Ende werde ich noch glauben, dass mir die Räuber einen Gefallen getan haben.»

Er war so müde in jener Nacht, dass er die Kerze mit Hilfe von Steinen kaum aufstellen konnte. Obwohl er beabsichtigt hatte, die ganze Nacht auf die Flamme aufzupassen, fiel er ins Stroh und schlief ein. In der Frühe war sein erster Gedanke, was wohl mit der Flamme geschehen war. Die Kerze war nicht mehr dort, wo er sie zurückgelassen hatte. Er versuchte, sich zu freuen, dass die lästige Aufgabe beendet war, aber er konnte sich nicht wirklich freuen. Es schien ihm sinnlos, in das Lager zurückzukehren. In diesem Augenblick kam der Hausherr des Nachtquartiers mit der brennenden Kerze in der Hand. Er sagte ihm, dass er die Flamme für ihn behütet hätte, denn er hatte begriffen, wieviel es ihm bedeute, dass sie weiter brannte. Raniero strahlte vor Freude. Dann nahm er die Kerze und ritt weiter.

Er wunderte sich darüber, wieviel ihm diese Flamme bedeutete und wie sehr er sie behütete. Als er bei Regen durch die libanesischen Berge zog, versteckte er sich in Höhlen. Einmal wäre er beinahe erfroren. Die Kerze versteckte er in einem sarazenischem Grab, denn er wollte das Reisigholz nicht an ihrer Flamme entzünden, um sich zu wärmen. Und als er schon zu erfrieren drohte, traf der Blitz einen Baum in der Nähe und steckte ihn in Brand. So kam er zu Feuer, ohne die heilige Flamme dafür verwenden zu müssen.
Schließlich wunderte er sich nicht mehr. In der Nähe von Nikäa stieß er auf mehrere orientalische Ritter, unter denen sich auch ein bekannter Ritter und ein Troubadour befanden. Als sie Raniero verkehrt im Sattel sitzen erblickten, im schäbigen Mantel, mit einem Stoppelbart und der Kerze in der Hand, begannen sie, wie er es schon gewohnt war, zu rufen: «Verrückter! Verrückter!» Aber der Troubadour gab ihnen ein Zeichen zu schweigen. Dann ritt er zu Raniero und fragte ihn, wie lange er schon auf dem Weg sei. «Von Jerusalem an, Herr» antwortete Raniero demütig.

«Ist dir die Flamme unterwegs nicht ausgegangen?» - «Auf meiner Kerze brennt dieselbe Flamme, die ich damals am Grabe Christi entzündete», antwortete Raniero. Daraufhin sagte der Troubadour: «Auch ich will ein Ideal hochhalten. Auch ich bin einer von denen, die eine Flamme tragen... Deshalb wünsche ich mir, dass sie ewig brennt. Sag du mir, der du dein Licht sogar von Jerusalem her trägst, was muss ich tun, dass meine Flamme nicht erlischt?»

«Herr», erwiderte darauf Raniero, «das ist ein schwieriges Unterfangen, obgleich es unbedeutend erscheint. Denn diese kleine Flamme verlangt von Ihnen, dass Sie ihr Ihre ganze Aufmerksamkeit schenken und an nichts anderes mehr denken. Sie erlaubt Ihnen nicht, eine Geliebte zu haben, wenn Sie solchen Dingen zugetan sind.
Um dieser Flamme willen dürfen Sie nicht einmal wagen, sich zu einem vergnügten Tisch zu setzen. Sie dürfen nichts anderes im Sinn haben als eben diese Flamme, und keine andere Aufgabe darf ihnen wichtiger sein. Der Grund, dass ich Sie von einem ähnlichen Entschluss abhalten möchte, ist der, dass sie niemals sicher sein können, ob es ihnen überhaupt gelingen wird, diese Flamme ans Ziel zu bringen. Keinen Augenblick lang dürfen sie glauben, sicher zu sein. Vielmehr müssen sie darauf gefasst sein, dass Ihnen im nächsten Augenblick die Flamme entrissen werden kann.» Dies war die Antwort Ranieros.

Zu Ostern kam Raniero in Florenz an. Jetzt am Ziel angelangt, musste er die größten Leiden überhaupt erdulden. Sobald er durch das Stadttor geritten war, sprangen Lausbuben und Landstreicher auf, liefen dem Pilger mit lautem Geschrei nach und versuchten, ihm die Kerze auszulöschen. Raniero hob seine Flamme in die Höhe, um sie vor dem bösen Pöbel zu schützen, der ihn mit Mützen bewarf und mit voller Kraft in die Richtung der Kerze blies. Ranieros Aussehen war wie das eines Barbaren. Er erhob sich im Sattel, um die Flamme zu beschützen. Eine Frau entriss ihm von einem niederen Balkon aus die Kerze und eilte mit ihr ins Haus. Alle lachten und brachen in Jubel aus, denn Raniero verlor im Sattel das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Im Nu löste sich die Menge wieder auf.

In diesem Moment kam Francesca, Ranieros Frau, mit der brennenden Kerze in der Hand aus dem Haus. Sie war diejenige gewesen, die ihm vom Balkon aus die Kerze entrissen hatte, in der Absicht, sie zu retten. Als der Schein der Kerze auf Ranieros Gesicht fiel, fuhr er hoch und öffnete die Augen. Francesca gab ihm die Flamme zurück, aber er erkannte sie nicht, denn er blickte sie nicht an, er starrte nur auf die Flamme. Raniero wollte die Kerze in die Domkirche bringen. Francesca half ihm in den Sattel.
Raniero trat nun mit der Flamme in den Dom ein. Bald erfuhr das Volk, dass der Ritter Raniero de Ranieri aus Jerusalem mit der Flamme, die er am Grab Christi in Jerusalem entzündet hatte, eingetroffen war. Doch dann erhoben sich Stimmen des Zweifels, besonders von jenen Menschen, denen Raniero früher durch seine Brutalität Schmerz zugefügt hatte. Sie verlangten Beweise dafür, dass Raniero diese Aufgabe wirklich erfüllt hätte.
Raniero erschrak, denn damit hatte er nicht gerechnet. «Wen soll ich als Zeugen vorladen?» fragte er sich. «Kein Schildträger wollte mit mir gehen. Wüsten und Berge sind meine Zeugen.»

In der Kirche entstand Aufruhr, und Raniero geriet in Angst, dass man ihm in der Nähe des Altars die Flamme auslöschen könnte. In diesem Augenblick fiel ein Vogel auf die Kerze, der durch das offene Kirchentor hereingeflogen war. Die Flamme erlosch. Raniero verlor den Mut, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Die Menschen in der Kirche schrien auf, da die Flügel des Vogels in Brand geraten waren. Er flattertete verzweifelt umher, bis er verbrennend auf den Altar fiel. Aber bevor das Feuer auf seinen Flügeln erlosch, gelang es Raniero noch, seine Kerze an der erlöschenden Flamme wieder zu entzünden. Das war der Beweis, der verlangt worden war.
Gedanken zu dieser Geschichte: Der Ritter hat sich für die Flamme, die er am Grabe Christi entzündet hat, begeistert, und nichts war ihm zu schwierig, diese Flamme ständig zu behüten, um sie in seine Heimat zu bringen. Deshalb gab es kein Hindernis mehr, welches er nicht hätte bewältigen können. Wenn es ihm selbst nicht gelang, haben sich die Dinge ohne sein Zutun für ihn gelöst, denn er hatte eine gute, edle Absicht. Es war nicht schwer für ihn, sich von der Ritterkleidung und von der Kriegsausrüstung zu trennen. Er nahm alles auf sich, damit er die Flamme ruhiger und sicherer zum Ziel bringen konnte. Als die Anfechtungen in Bezug auf materielle Dinge aufhörten, begannen die Anfechtungen von innen: Der alte Stolz, seine früheren Freunde, die nicht an die Echtheit seiner Aussage glaubten oder die in für verrückt erklärten. Doch zuletzt wendete sich für ihn alles zum Guten.

Kommentar von Slavko Barbaric

Dieses Beispiel auf einen Christen zu beziehen heißt, begeistert zu sein für das Wachsen in der Liebe, begeistert zu sein für den Frieden, für die Gerechtigkeit, für die Barmherzigkeit und bereit zu sein, alles zu opfern, um in der Liebe, im Frieden und in der Versöhnung zu wachsen. Wie oft sind es nur kleine Dinge, die uns voneinander entfremden! Wie oft ersticken Stolz und Hochmut die Flammen der Liebe! Es ist wirklich schade, dass uns dies oft gar nicht mehr richtig auffällt.