Zum heiligen Vinzenz Ferrer kam einst eine Frau. Sie beklagte sich bitter über ihren Mann: Er sei so brummig und jähzornig, man könnte es schier nicht mehr bei ihm aushalten. Meister Vinzenz möchte ihr doch ein Mittel geben, damit der Friede wieder in ihr Haus einziehe.
"Geh zu unserm Kloster", sprach der Heilige, "und sag dem Pförtnerbruder, er soll dir etwas Wasser vom Klosterbrunnen geben. Kommt dann dein Mann nach Hause, so nimmst du einen Schluck von diesem Wasser. Behalte es aber vorsichtig im Munde. Dann wirst du ein Wunder erleben!"
Getreulich tat die Frau, was der Heilige befohlen hatte. Als
der Mann abends heimkam, begannen gleich wieder Missmut und
Ungeduld in ihm sich zu regen. Schnell nahm die Frau von dem
geheimnisvollen Wasser und presste die Lippen aufeinander, um
ja das Wunderwasser gut im Munde zu behalten.
Wirklich! Bald schon schwieg der Mann. So war für heute
das Ungewitter schnell vorüber.
Noch mehrmals versuchte die Frau ihr Geheimmittel: Immer wieder der gleiche
wunderbare Erfolg! Ihr Mann war seitdem wie umgewandelt. Er gab ihr wieder
liebe Worte und lobte sogar ihre Sanftmut und Geduld.
Die Frau, ganz selig über ihres Mannes Sinnesänderung,
eilte zum Heiligen und berichtete ihm freudestrahlend über
den Erfolg des Geheimmittels.
"Das Wasser vom Klosterbrunnen, das ich dir geben liess, liebe Tochter",
sprach lächelnd Vinzenz, "hat dieses Wunder nicht bewirkt, sondern
nur dein Schweigen. Früher hast du deinen Mann durch Widerreden gereizt:
Dein Schweigen hat ihn besänftigt.!
Noch heute gibt es in Spanien das Sprichwort: "Trink St. Vinzenzwasser!" - Wie wär's, wir nähmen hin und wieder auch einen Schluck von diesem Wasser?