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Erlösung - oder: Ist Hitler im Himmel?

Jesus Christus hat uns erlöst... jaja. Das kennen wir.

Kennen wir das wirklich?

Fragt man einmal nach, was denn mit Erlösung gemeint ist, kommen die alltagsglaubenden Christen schon ein wenig ins Nachdenken. Fragen wir dann aber - dreisterweise - noch nach, warum denn Jesus für unsere Erlösung am Kreuz sterben musste, dann bleibt vielen die Antwort im Halse stecken.

Dabei ist das das Zentrum unseres Glaubens. Und unsere einzige Rettung.

 

 

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Diese Katechese ist auch als gedrucktes Heft (Nr. 035) erhältlich: Kostenlose Bestellung

Warum eigentlich an Jesus Christus glauben?

Jesus Christus ist die zentrale Figur in unserem Glauben.

Was unser Verhältnis zu Jesus angeht - und damit auch zur Kirche - habe ich in einer Predigt einmal folgenden Vergleich gezogen:

Liebe Schwestern und Brüder, stellen sie sich vor, ein Pilot ist mit einem Flugzeug unterwegs. Plötzlich merkt er, dass er die Maschine nicht mehr richtig kontrollieren kann. Mit Entsetzen stellt er fest, dass sie auf eine Schule voller Kinder zu stürzen droht. Obwohl er damit sein Schicksal besiegelt, bleibt er bis zum Schluss in der Maschine, um sie über die Schule hinwegzusteuern - und kommt so beim Absturz ums Leben. Er hätte noch aussteigen können, aber er hat sein Leben geopfert, um die Menschen in der Schule zu retten.
Alljährlich begeht nun die Schule - zusammen mit dem ganzen Dorf - eine Gedächtnisfeier. Aus dem einfachen Bedürfnis heraus, dem Piloten Ehre und Dank zu erweisen. Wesentlich für die Gedächtnisfeier ist dabei nicht die ansprechende Gestaltung, sondern das innere Bedürfnis, «Danke» zu sagen. Und selbst wenn die Dorfkapelle immer nur das gleiche Lied spielt und wenn der Bürgermeister nur ungeschickte Reden hält: Die Feier wird ergreifend sein, wenn nur die Anwesenden wirklich danken wollen.
Für Außenstehende oder für ehemalige Schüler, die nicht glauben wollen, dass sie ihr Leben der Tat des Piloten zu verdanken haben, kann dagegen nichts diese Feier interessant machen. Jeder Unterhaltungswert wird letztlich durch das ständige Gedenken an den Piloten beeinträchtigt
.

Ich habe meine Geschichte in der Predigt abgeschlossen mit der Frage: Ist Jesus Christus der Pilot, der sein Leben für mich geopfert hat? Bin ich deshalb hier? Glaube ich wirklich, dass ich seinem Leiden und Auferstehung mein Leben verdanke?

Weil die Predigt sich vor allem mit der Eucharistiefeier beschäftigt, habe ich mich mit der Frage "Glaube ich das wirklich?" begnügt. Genau das aber ist die Frage, die uns in dieser Katechese beschäftigen soll: Wieso hat Jesus uns durch seinen Tod erlöst? Wovon hat er uns erlöst? Wie hat er es getan? Warum eigentlich? Und was geht mich das an?

Der Erlösungstod Jesu - Ein alter Hut (den sich keiner mehr aufsetzen will)

Wir sind wieder bei dem alten Problem, dass eine Grundwahrheit des Glaubens zur hohlen Floskel geworden ist - und kaum einer kann uns wirklich sagen, was damit gemeint ist. Der Erlösungstod Jesu Christi zieht sich wie ein roter Faden durch alle Texte der Bibel; durch Lieder und Gebete der Kirche. Obwohl diese Worte uns heute in Fleisch und Blut übergegangen sind - vielleicht auch gerade deshalb - haben wir verlernt, zu fragen, was das denn bedeuten soll.

Zur Veranschaulichung zitiere ich eine ganze Reihe von Bibelstellen dazu (obwohl ich noch mindestens dreimal soviel anfügen könnte) - um deutlich zu machen, wie zentral dieser uns so fremde Gedanke für die frühen Christen war:

Jes 53, 2-5: Vor seinen Augen wuchs er auf wie ein junger Spross, wie ein Wurzeltrieb aus trockenem Boden. Er hatte keine schöne und edle Gestalt, so dass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm. Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht. Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.

Röm 3,25: Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben. So erweist Gott seine Gerechtigkeit durch die Vergebung der Sünden, die früher, in der Zeit seiner Geduld, begangen wurden;

Röm 5,6-8: Christus ist schon zu der Zeit, da wir noch schwach und gottlos waren, für uns gestorben. Dabei wird nur schwerlich jemand für einen Gerechten sterben; vielleicht wird er jedoch für einen guten Menschen sein Leben wagen. Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.

1 Kor 15, 3: Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift

Kol 2,14: Er hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat.

1 Joh 4, 10: Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat.

1 Petrus 1,18-19: Ihr wisst, dass ihr aus eurer sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet, nicht um Silber oder Gold, sondern mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel.

1 Petrus 2, 21-24: Dazu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt. Er hat keine Sünde begangen, und in seinem Mund war kein trügerisches Wort. Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter. Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt.

Hebr 9, 15: Und darum ist er der Mittler eines neuen Bundes; sein Tod hat die Erlösung von den im ersten Bund begangenen Übertretungen bewirkt, damit die Berufenen das verheißene ewige Erbe erhalten.

Hebr 9,26-28: Und darum ist er der Mittler eines neuen Bundes; sein Tod hat die Erlösung von den im ersten Bund begangenen Übertretungen bewirkt, damit die Berufenen das verheißene ewige Erbe erhalten... Jetzt aber ist er am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen. Und wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben, worauf dann das Gericht folgt, so wurde auch Christus ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler hinwegzunehmen; beim zweitenmal wird er nicht wegen der Sünde erscheinen, sondern um die zu retten, die ihn erwarten.

Markus 10,45: Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.

Offb 5,9: Und sie sangen ein neues Lied: Würdig bist du, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du wurdest geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erworben aus allen Stämmen und Sprachen, aus allen Nationen und Völkern

Nun, dann wollen wir einmal anfangen, diese Grundwahrheit neu zu bedenken. Beginnen wir einmal bei einem anerkannt schlechten Menschen: Adolf Hitler.

Kommt Hitler in den Himmel?

Vielleicht diskutiert ihr die Frage einmal mit Euren Freunden oder Freundinnen: Glaubst Du, dass Hitler im Himmel ist?

(Dass ich gerade Hitler gewählt habe, hat nicht viel zu bedeuten. Ich könnte auch einen anderen Menschen wählen, von dem bekannt ist, dass er großes Leid angerichtet hat. Aber bleiben wir der Einfachheit halber beim Adolf...)

Vielleicht sind einige der Menschen, mit denen ihr redet, der Auffassung, dass Gott nun einmal barmherzig ist - warum sollte er nicht Hitler gegenüber auch barmherzig sein? Vielleicht wird Er Hitler mit einem tiefen Seufzer sagen: "Okay, Adolf - drücken wir noch einmal ein Auge zu. Komm rein..."

Aber da wird sich sicher Einspruch erheben: Gott ist doch auch gerecht! Und es kann doch nicht sein, dass jemand, der andere Menschen um ihren Glauben und ihr Leben gebracht hat, die gleiche Seligkeit erhält wie seine gemarterten Opfer...?

Aber, so könnte es auf der anderen Seite wieder heißen - vielleicht hat Hitler seine Taten ja bereut?

Ja - so könnte wieder eine Entgegnung lauten - reicht denn ein "Uuups!" schon aus? Wie muss denn eine Reue aussehen, die ausreicht?

Brechen wir hier den möglichen Dialog einmal ab - und bleiben bei der Frage, wie denn die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes angesichts eines Sünders zusammenpasst...

Gott ist gerecht... Was heißt das eigentlich? Was ist das: "Göttliche Gerechtigkeit?"

Wir kommen dem Begriff der Gerechtigkeit am besten näher, wenn wir schauen, wie Gerechtigkeit praktiziert wird. Zunächst muss Gerechtigkeit immer wieder hergestellt werden, weil der Mensch (oder die Gesellschaft oder die Natur) gelegentlich nicht von sich aus gerecht ist. Eine Mutter, die sieht, wie der große Bruder der kleinen Schwester das Eis wegnimmt und es selber isst, wird eingreifen und die gestörte Gerechtigkeit wieder herstellen, indem beim nächsten Mal das Schwesterchen ein Eis bekommt und der große Bruder eben nicht. So spürt der Bruder am eigenen Leib das, was er zuvor der Schwester angetan hat.
Gerechtigkeit ist also mit einer Art Spiegel zu vergleichen, der die Folgen meines Tuns auf mich zurückwirft. Ohne den Spiegel der Gerechtigkeit müssen die anderen die Folgen meines Tuns mittragen und oft genug darunter leiden. Das ist ungerecht - denn ich richte mein Handeln ja normalerweise so ein, dass ich von den positiven Folgen profitiere und die negativen Folgen die anderen zu tragen haben. Greift nun Mama ein - oder der Lehrer - oder der Staat - und hält mir den Spiegel der Gerechtigkeit vor, so treffen die Folgen mich selbst. Ich muss das tragen, was ich verursacht habe. Ich spüre das Leid nun selbst, das ich anderen zugefügt habe.

Das ist gerecht, bzw. stellt die verletzte Gerechtigkeit wieder her. Und, davon müssen wir ausgehen - Gott ist gerecht.

Psalm 11,7: Denn der Herr ist gerecht, er liebt gerechte Taten; wer rechtschaffen ist, darf sein Angesicht schauen.
Psalm 92,16: Gerecht ist der Herr; mein Fels ist er, an ihm ist kein Unrecht.
Psalm 145,18: Der Herr ist allen, die ihn anrufen, nahe, allen, die zu ihm aufrichtig rufen. Die Wünsche derer, die ihn fürchten, erfüllt er, er hört ihr Schreien und rettet sie. Alle, die ihn lieben, behütet der Herr, doch alle Frevler vernichtet er.

Daher können wir ziemlich gut abschätzen, was Hitler erwartet: Dass alles Leid, das er verursacht hat, auf ihn zurückfallen wird. Das ist eine ganze Menge: Wieviel Menschen haben ihr Leben verloren, haben jahrelang gelitten, sind gequält und bestialisch ermordet worden! Wieviel Menschen sind durch das System unter Hitler selbst zu Monstern geworden, konnten ihren brutalsten Phantasien freien Lauf lassen, verloren ihr Gewissen und ihr Gespür für Gut und Böse! Wieviele Menschen sind durch jahrelange Angst, Verfolgung und Quälerei seelisch gestorben, haben Glauben und Hoffnung verloren, jedes Vertrauen in die Güte eines Menschen! - und allein diese Aufzählung könnte ich beliebig fortführen.

Wäre Gott gerecht, würde das alles Hitler treffen.

Das würde Hitler niemals überstehen.

Aber wir brauchen vielleicht gar nicht so hoch zu greifen - es muss ja nicht ein Monster der Geschichte sein. Nehmen wir nur einen Mörder, Vergewaltiger oder Entführer. Wieviel Leid verursacht ein einzelnes Verbrechen? Beim Opfer, bei den Angehörigen und bei all denen, die davon in der Zeitung lesen und nun selbst in Angst und Schrecken leben? Kann ein solcher Mensch vor der Gerechtigkeit Gottes noch am Leben bleiben?

Aber vielleicht sieht es mit unserem durchschnittlichen Leben auch nicht viel besser aus... Wissen wir, wieviel Leid wir verursacht haben? Wieviel durch ein kleines, unbedachtes Wort in einem anderen Menschen zerstört wurde? Wissen wir, ob wir die jungen Dame an der Kasse bei McDonalds, die unsere Bestellung falsch ausgeführt hat und die wir lautstark kritisieren, ihren Job verliert? Oder vielleicht selbst kündigt und sich nichts mehr zutraut? Durch diesen Rückschlag endgültig ihren Glauben an ihre Fähigkeiten verliert? Wie oft erlebe ich, dass in Restaurants am Nachbartisch der Kellner zum wiederholten Mal darauf hingewiesen wird, dass nicht alles in Ordnung ist - mit dem Worten "Das kann passieren - aber das darf nicht passieren!"

Unser Leben ist lang, und wir haben viel Gelegenheit, Dinge falsch zu machen, Schaden anzurichten und Ketten von Leid auszulösen. Nur die wenigsten dieser Gelegenheiten lassen wir aus - leider. Können wir wirklich den Anblick des Spiegels der Gerechtigkeit ertragen? Werden wir nicht lieber Reiß-Aus nehmen, um dieser tödlichen Buße zu entgehen?

Missverständlich: Der Zorn Gottes

In Psalm 76, Vers 8 heißt: »Furchtbar bist du. Wer kann bestehen vor dir, vor der Gewalt deines Zornes?«. Ähnliche Aussagen vom Zorn Gottes finden wir an vielen anderen Stellen der Schrift - vor allem im AT. Das klingt so, als wenn Gott sauer ist und uns zu vernichten droht. Auch Luther sprach wiederholt vom Zorn Gottes, vor dem uns der Sohn bewahrt.
Mir scheint das nicht ganz korrekt zu sein: Es ist nicht der zornige Gott, sondern die mit der Anschauung Gottes verbundenen Selbsterkenntnis, die uns trifft. Der Spiegel der Gerechtigkeit ist kein Blitz, den Gott schleudert, sondern nur ein Zurückgeben dessen, was wir zuvor an Blitzen auf andere geschleudert haben.

Soweit zur Gerechtigkeit Gottes. Vermutlich sieht es so aus, dass wir alle vor diesem Spiegel sterben werden - oder lieber auf Gott verzichten, als uns diesem Horror auszusetzen.

Gibt es dann noch Hoffnung, überhaupt zu Gott zu kommen?

Unsere einzige Chance

Von uns aus gesehen - nein. Wir können nicht daran vorbei, uns selbst zu erkennen und das zu tragen, was wir verschuldet haben. Aber Gott weiß einen Weg - den Weg der göttlichen Barmherzigkeit.

Nicht das, was oben schon einmal vorgeschlagen wurde: Gott vergibt einfach. Nein - Gott kann nicht gegen sein eigenes Wesen handeln. Jede Liebe setzt Wahrheit und Selbsterkenntnis voraus. Gott kann keine Liebesgemeinschaft auf Betrug und Selbstbetrug aufbauen..

Der Weg, den Menschen doch noch in seine göttliche Gemeinschaft aufzunehmen, ist ein sehr ehrlicher, aber auch dramatischer Weg.

Winnetou und Old Shatterhand haben es vorgemacht: Winnetou wirft sich in die Kugel, die eigentlich seinem Blutsbruder Charlie (Old Shatterhand) gegolten hat und opfert so sein eigenes Leben, um das seines Bruders zu retten. (Genau genommen haben die beiden das nicht vorgemacht, sondern Gott nachgemacht. Aber streiten wir uns nicht über die Urheberrechte...)

Ebenso opfert sich Jesus für uns: Den Strahl der Gerechtigkeit fängt Jesus auf, indem er sich vor uns wirft, uns vor diesem seelischen Tod bewahrt und selbst unter dem leidet, was wir ein Leben lang angerichtet haben. Nicht wir werden getroffen, sondern Gott selbst sorgt dafür, dass das Leid der Selbsterkenntnis und Gerechtigkeit, die Grundlage einer jeden Liebesbeziehung, IHN trifft.

Damit ist beidem genüge getan: Sowohl der Gerechtigkeit gegenüber den Opfern und Leidtragenden, als auch der Barmherzigkeit, die Vergebung um jeden Preis will. Das Geniale ist, dass Jesus für einen jeden Menschen gestorben ist - auch für mich, auch für Adolf Hitler. Das nennt der Theologe "Universalität des Heils", man spricht auch vom "universalen Heilswillen" Gottes.

Das heißt nicht, dass Hitler wirklich im Himmel ist. Denn das Problem ist, dass nur derjenige sich überhaupt in die Nähe des Spiegels (also Gottes) wagt, der darauf vertraut, das Jesus ihn retten wird. Wer daran Zweifel hat, das Vertrauen und die Beziehung mit Jesus nicht wirklich geübt und intensiviert hat, der wird sich Gott erst gar nicht nähern - aus Angst, in ein Häuflein Asche verwandelt zu werden. Wer an der Liebe Gottes so sehr zweifelt, dass er Gott aus dem Weg geht, wird diese Liebe niemals erfahren.

Leidfrei in den Himmel?

Nun klingt das allerdings so, als wenn Jesus alles getan hat - und wir deshalb einfach so in den Himmel hineinmarschieren können, wenn wir nur darauf vertrauen, dass Jesus sich schützend vor uns wirft, wenn wir in das Licht Gottes eintreten. Das allerdings hat nicht viel mit Liebe zu tun - zumindest nicht mit der Liebe zu Christus. Wer wirklich auf Christus vertraut, weil er ihn liebt, wird zumindest Schmerz verspüren, wenn er sieht, was Jesus tragen musste. Das Leid unserer eigenen Sünden ist uns genommen, damit wir Gott lieben können - aber diese Liebe leidet mit, wenn sie Christus leiden sieht.

Das ist der Grund unserer katholischen Kreuzweg-Andachten und der kargen Karfreitagsliturgie: Wir schauen auf das, was Jesus gelitten hat - weil wir wissen, dass er unsere Schuld trägt. Zumindest dieses Leid kann uns nicht erspart bleiben, wenn wir wirklich mit Christus eins werden.

Ich habe einmal in den Vorlagen zu den Jugendkreuzwegen oder den Vorschlägen zu den Kreuzwegandacht von Misereor geblättert und festgestellt, dass wir genau das nicht mehr tun: Das Leiden Christi betrachten. Vielmehr wird unsere Aufmerksamkeit immer sofort vom Leiden des Herrn weitergelenkt - auf die Leiden in dieser Welt, die Ungerechtigkeiten, die Ausbeutungen, unsere eigenen Verfehlungen und Kreuzwege. Wir haben, angeleitet durch verfehlte Vorlagen, verlernt, den Sinn im Leiden Jesu zu sehen. Und deshalb sehen wir auch keinen Sinn darin, wenn z.B. Mel Gibson die Leiden Jesu verfilmt hat.
Viel lieber sehen wir die Kindheit Jesu - und würden niemals behaupten, ein Film über diese schöne Zeit des verborgenen Lebens würde das Evangelium verkürzen. Kaum aber dreht einer einen Film nur über das Leiden Jesu (das für uns viel zentraler ist als die Kinderspiele des Herrn), glaubt z.B. Markus Nolte (ein Redakteuer der Kirchenzeitung Kirche und Leben), die Botschaft des Evangeliums sei in Gefahr. Genau das Gegenteil ist der Fall: Ohne das Anschauen dessen, was wir verursacht haben, droht das Evangelium von einer "Seid Froh!-Botschaft" in eine "Seid Fröhlich!-Botschaft" abzudriften.

Wäre ich der einzige Mensch auf der Welt - Jesus hätte alles das dennoch erlitten, um meine Schuld abzubüßen. Und deshalb, weil es nicht irgendein Leiden ist, sondern mein Leiden, Leiden für mich, darf ich die Augen nicht verschließen. Um meine Dankbarkeit zu diesem Jesus nicht erlahmen zu lassen, um die Größe seiner Tat zu begreifen, um seine Liebe zu erkennen, muss ich sehen, was er erlitten hat.

Das ist es, was wir verlernt haben, was wir nicht mehr begreifen, was unsere Kreuzwegandachten nicht mehr hergeben und was in unserer Kirche nicht mehr gepredigt wird: Ich habe verschuldet, was Jesus gelitten. Und obwohl ich es verdient hatte, so zu leiden, hat Jesus es an meiner Stelle getragen - aus Liebe zu mir, freiwillig.

Wir glauben immer noch mehrheitlich, Gott würde uns verzeihen, indem er einmal kurz seufzt und dann sagt: "Na, Kinder, ist schon gut. Ich werde Euch halt noch einmal vergeben." Und er fügt nicht hinzu: "Aber das ist das letzte Mal!" weil er eben nicht anders kann - glauben wir.

Aber dass Gott diese Vergebung etwas kostet, nämlich das entsetzliche Leiden seines Sohnes, das wollen wir nicht wahrhaben.

Kennst Du den Schmerz, der Dich trifft, wenn jemand, den Du liebst, Dich schamlos ausnutzt, Deine aufrichtige Liebe lächerlich macht und verachtet? Nun, Gott empfindet viel tiefer, denn seine Liebe ist tiefer - und wir nutzen sie trotzdem aus, verachten sie, verhöhnen sie und nehmen seine Angebote zur Versöhnung und Umkehr nicht wirklich wahr.

Könnten wir nur annähernd begreifen, was es für Gott bedeutet, unsere Lieblosigkeiten zu ertragen und seinen Schmerz immer neu in Liebe zu wandeln, wir würden eher sterben wollen, als noch einmal zu sündigen.

Gott hat lieber sterben wollen, als uns in der Sünde zu belassen.

...ist das denn biblisch?

Natürlich ist das, was ich hier im Einzelnen ausgeführt habe, in eine bildreiche Sprache gekleidet. Der "Spiegel der Gerechtigkeit" ist nicht wirklich ein Spiegel, sondern Gott selbst, in dessen "Angesicht" wir selbst "getroffen werden" von dem, was wir getan haben - usw. Aber der Kern dessen, was ich geschrieben habe, ist biblisch:

Die Erlösung aller Menschen - wirksam durch Glauben: Römer 3,23 Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben. So erweist Gott seine Gerechtigkeit durch die Vergebung der Sünden, die früher, in der Zeit seiner Geduld, begangen wurden...

Das Gericht ist wie ein Licht auf unsere Taten: Johannes 3,18-21: Wer an ihn (Jesus) glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er an den Namen des einzigen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat. Denn mit dem Gericht verhält es sich so: Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse. Jeder, der Böses tut, haßt das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, daß seine Taten in Gott vollbracht sind.

Vom bleibenden Rest, der zu tragen ist: Mt 11:28-30: Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht.

Johannes 19, 37: Und ein anderes Schriftwort sagt: Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben.


Redet vom Gekreuzigten: 1 Korinther 1,22-24: Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.

C.S. Lewis hat in seinem ersten Band der "Chroniken von Narnia" ebenfalls eine Erklärung für Erlösung versucht. Lewis verwendet aber nicht das Bild der Gerechtigkeit als Spiegel, sondern den Teufel als Ankläger: Bei ihm ist es die "weiße Hexe", die den Verräter Edmund fordert - zu recht, den Edmund hat sich auf einen Pakt mit der Hexe eingelassen. Aslan (der an der Stelle Jesu steht) gewinnt Edmund frei, indem er sich selbst als Opfer anbietet.
Auch wenn dieses Bild auf den ersten Blick wie ein ganz anderes Konzept zur Erlösung aussieht, sind sich beide sehr ähnlich: Immer ist es die Gerechtigkeit, die vom Sünder die Strafe fordert - in meinem o.g. Bild ist es die das Prinzip der Gerechtigkeit, das wie ein Spiegel auf mich zurückwirft, was ich getan habe; bei Lewis ist es kein Prinzip, sondern die Person des Teufels, die verlangt, dass ich das tragen muss, was ich verbockt habe.

Andere Akzente

Es gibt in der Theologie (auch in Schulbüchern und Predigten) zahlreiche Versuche, diese tiefe Bedeutung von Erlösung auszublenden. Die Frage, warum Jesus denn am Kreuz gestorben ist, wird dann mit anderen Akzenten beantwortet: »Durch sein Leiden hat Jesus uns die unendliche Liebe Gottes geoffenbart, die alles erträgt.« - »Jesus hat uns ein Beispiel gegeben, wie wir auch für einander sterben sollen!« - »Jesus musste sterben, weil jeder Gerechte leiden muss. Damit ist seine Gerechtigkeit besiegelt worden!« - »Jesus hat durch sein Leiden den verhärteten Herzen der Juden ein Chance gegeben, sich ihm zuzuwenden.«

Der Tod Jesus...

...als Offenbarung der Liebe Gottes: Diese Antworten sind - ich betone es ausdrücklich - nicht falsch. Jesus hat uns tatsächlich seine Liebe geoffenbart, indem er für uns gelitten hat. Aber nicht so, wie es vielleicht pubertierende Jugendliche tun, die ihrer Geliebten die Liebe beweisen, indem sie über glühende Kohlen gehen. Leid für sich genommen mag Liebe bekräftigen - ist aber letztlich immer ein sinnloses Leid. Nein, nur weil Jesus durch sein Opfer uns gerettet hat, ist sein Tod am Kreuz Liebesbeweis und zugleich Erlösung.

... als Beispiel für uns: Jesus hat uns auch ein Beispiel gegeben: »Ertragt auch das ungerechte Leid, nur so besiegt ihr den Kreislauf der Gewalt.« Das ist auch korrekt. Aber eigentlich bleibt diese Hoffnung auf ein Ende der Gewalt eine irdische Hoffnung - keine jenseitige. Was hat derjenige davon, der sein Leben hingibt, um hier eine bessere Welt zu erreichen - wenn er sie nicht mehr erlebt?
Außerdem macht es wenig Sinn, wenn wir jetzt alle zu Pazifisten werden und - wie Jesus - Unrecht erleiden und kein Wort des Widerspruchs mehr erheben. Passivität ist keine Tugend. Vielmehr ist Jesus nicht passiv gestorben - Johannes betont es ganz ausdrücklich:
Johannes, 10,17: Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.
...als Anregung zur Bekehrung der Täter: Ja, Jesus will durch sein Beispiel bekehren und uns ein Beispiel geben. Auch wir sollen - wie er - das Leid anderer tragen, um deren Angst vor der Selbsterkenntnis angesichts Gottes zu lindern. Aber letztlich geht nicht nur darum, die Täter zu bekehren und davon abzubringen, in Zukunft weitere Verbrechen zu begehen - das wäre schlicht zu wenig:
Judas hat sich auch durch die Wehrlosigkeit Jesu bewegen lassen. Er erkannte das Verwerfliche seiner Tat und bereute es. Gerettet war er dadurch aber nocht nicht. Vielmehr geht es darum, für die, die bereits Sünden begangenen haben, Leben zu gewinnen: Judas erkannte und bereute - aber er sah keine Möglichkeit, sich vom Makel der Sünde zu befreien und wählte die Konsequenz, vor der Jesus ihn eigentlich bewahren wollte. Es geht also nicht nur um Erkenntnis (die Judas ja durchaus hatte - wenn auch zu spät), sondern um stellvertretende Sühne (die Judas nicht glauben wollte).

Damit sind wir bei einem letzten Punkt unseres Gedankenganges - allerdings bei einem sehr wichtigen Punkt. Denn gerade Judas zeigt uns, dass bei allem, was Jesus für uns getan hat, der Sünder immer noch die Freiheit hat, dieses Liebesopfer Jesu abzulehnen.

Die Freiheit, »Nein« zu sagen - auch zu Gott

Kommen wir noch einmal auf den Spiegel der Gerechtigkeit zurück - also auf die Tatsache, dass wir im Angesicht Gottes erkennen und erleiden, was wir sind und was wir getan haben. Jesus bewahrt uns durch sein stellvertretendes Leiden davor, an dieser Reflexion zugrunde zu gehen. Das nimmt uns aber nicht die Möglichkeit, von vornherein der Anschauung Gottes aus dem Weg zu gehen - so wie Judas es tat. Vielleicht traut auch Adolf Hitler dem Versprechen Jesu nicht, auch für dessen Sünden gestorben zu sein - und wagt sich erst gar nicht in das Licht Gottes.
Letztlich ist also entscheidend für meine Fähigkeit, Gott gegenüber zu treten, mein Vertrauen in die Zusage Jesu, uns vor dem Gericht zu retten.

Und dieses Vertrauen - das ist der entscheidende Punkt - kann nur wachsen, wenn ich es schon jetzt praktiziere. Mein gelebtes Vertrauen, mein Einüben in eine lebendige, demütige Jesus-Beziehung, ist die Grundlage für mein Heil. Denn wir werden nicht erst im Jenseits Gott schauen - wir leben ja auch schon hier in der Anschauung Gottes - wenn auch noch nicht unverhüllt.

Paulus sagt in 1 Kor 13, 12: Jetzt schauen wir in einen (Blech-)Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.

Aus meiner eigenen Erfahrung als Seelsorger weiß ich, dass es zwei Gründe gibt, die Vergebung Gottes nicht in Anspruch zu nehmen: Entweder weil ich glaube, keine Vergebung nötig zu haben (»Bin ich wirklich so schlecht?«) - oder die Vermutung, keiner, nicht einmal Gott könne eine solche Schuld vergeben. Menschen, die letzteres von sich annehmen, leben - nicht nur bildlich - in der Hölle.
Aber auch die, die sich einreden, keine nennenswerte Sünde begangen zu haben, wissen, dass sie sich etwas vormachen und gehen allem aus dem Weg, was Licht in die dunkle Seite ihres Lebens bringt. Schließlich läuft beides darauf hinaus, dass entweder die Gerechtigkeit oder die Barmherzigkeit Gottes unterschätzt wird.

Das Opfer Jesu annehmen - »Sonst bringt es nichts«

Es reicht nicht, Jesus sein Opfer vollbringen zu lassen. Ich muss es auch annehmen und darauf vertrauen. Erst wenn ich gewiss bin, dass Jesus die Macht und die Liebe hat, mich zu erretten, werde ich mich für die lichtvolle Gemeinschaft mit Gott entscheiden. In der evangelikalen Szene besteht dieses "Annehmen" in einem bewussten Akt des Anvertrauens - beispielsweise in einem Gebet. Die Taufe ist dann nur noch ein äußeres Zeichen dafür.

In der katholischen Kirche geschieht das "Annehmen" und "Einverleiben" dessen, was Jesus getan hat, in den Sakramenten; vor allem in der Taufe, der Eucharistie und der Beichte. Und durch die Kirche selbst.

Diese Sicht der Dinge wirft ein neues Licht auf all das, was wir in der Kirche kennen, aber nicht wirklich verstehen. Mit diesem Erlösungsgedanken im Hinterkopf (oder besser: Im Herzen) lohnt sich ein jetzt klarerer Blick auf die Kirche:

Was ist das eigentlich - Kirche?

Möchtest Du mir schreiben? Für diese Katechese ist Peter verantwortlich.