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KARL-LEISNER-JUGEND |
Beziehung ist alles - Alles ist Beziehung
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Gelegentlich werde ich zu Katechesen eingeladen und dann angekündigt als jemand, der «den Glauben besonders gut erklären kann». Das ehrt mich zwar, trifft aber nicht den Kern dessen, was meine Katechesen ausmacht, die unter anderem auf der Homepage der Karl-Leisner-Jugend versammelt sind. Ein guter «Erklär-Bär» wäre nämlich jemand, der komplizierte Theologie gut verstehbar mit einfachen Begriffen verdeutlichen kann - in «einfacher Sprache». Das bin ich aber nicht.
Ich gebe zu, dass meine Katechesen und Unterweisungen in meinen frühen Jahren diesem Anspruch folgten und den Glauben der Kirche in verständlichen Worten, lebensnahen Bezügen und praktischen Konsequenzen den Menschen nahezubringen versuchten. Ich habe aber schon recht schnell gemerkt, dass das nicht ausreichend ist. Um gut erklären zu können, muss man von der zu erklärenden Sache nicht die Fäden in Richtung des Publikums spinnen. Sondern die Fäden entwirren, die dazu führen, warum die Sache so ist, wie sie ist.
Das gilt zum Beispiel auch für die Mathematik - einer meiner Lieblingsfächer in der Schule. Ich habe lange Jahre Nachhilfe in Mathe gegeben, sogar noch, als ich schon Priester war. In der Mathe-Nachhilfe kommt es nicht darauf an, für die zu lernenden Formeln Eselsbrücken zu bauen, sie in schicken Farben zu malen oder spannende Textaufgaben zu erfinden. Wer gut in Mathe sein möchte, muss verstehen, warum eine Formel so ist wie sie ist. Man muss begreifen, wie der (logische) Mechanismus unter der Oberfläche aussieht.
Besonders deutlich war das für mich zum Beispiel in der Kurvendiskussion. Wer einmal den Zusammenhang zwischen Graph, erster und zweiter Ableitung und den jeweiligen Nullstellen verstanden hat, kann sich im Zweifelsfall eine Kurvendiskussion selbst herleiten, wenn er die dazugehörige Formel vergessen haben sollte. Er braucht nur die Augen zu schließen, sich den Graphen und dessen Ableitungen vorzustellen und weiß dann aus der Anschauung, in welchem Zusammenhang die Nullstellen der zweiten Ableitung zu den Wendestellen im Graphen stehen. - Naja, zumindest im Prinzip.
Genau das habe ich in all meinen Katechesen versucht: Zu verstehen, warum unser Glaube so ist, wie er ist. Wie die inneren, verborgenen Zusammenhänge aussehen.
Ein weiteres Beispiel, diesmal nicht aus der Mathematik: Wenn eine Katechese zum Gebot «Du sollst nicht lügen» darin besteht, die Regel neu zu formulieren, Beispiele zu bringen, Ausnahmen zu nennen und die historische Entwicklung nachzeichnet, erklärt sie nichts. Sie vermittelt nur Wissen, löst aber keinen «Aha!»-Effekt aus, der den Zuhörern den tieferen Sinn des Gebotes aufgehen lässt.
Manchmal muss ich lange suchen, um diesen Kern zu finden. Nicht das richtige Beispiel oder den coolsten Merksatz, sondern die tiefere Bedeutung, die diesem Gebot zugrunde liegt. Wenn ich diese finde und formulieren kann, dann spüre ich, dass eine Katechese gut wird.
In dieser Katechese will ich allerdings nicht einzelne Aussagen unseres Glaubens zum Gegenstand machen. Deshalb möchte ich sie «Meta-Katechese» nennen. Anstatt zu entdecken, wie dieses mit jenem zusammenhängt, möchte ich den Zusammenhang selbst in den Blick nehmen. Denn die vielen verschiedenen Begründungen für unseren Glauben lassen sich auf einen grundlegenden Begriff bringen: Beziehung. Beziehung ist alles.
Das erfordert, einen Schritt zurückzutreten und auf das Ganze unseres Glaubens zu schauen.
1. Erste Entdeckung: Unser Gottesbild
2. Zweite Entdeckung: Unser Menschenbild
3. Dritte Entdeckung: Was Sünde ist
4. Vierte Entdeckung: Wie Erlösung geschieht
5. Fünfte Entdeckung: Wie wir unsere Bedürftigkeit begreifen
6. Sechste Entdeckung: Wie wir Erlösung annehmen
Die Heilsgeschichte - Ein Beziehungsdrama
(1) Gott ist in sich Beziehung - ein Gott in drei Personen.
(2) Wir Menschen sind geschaffen und berufen, an dem göttlichen Beziehungsgeschehen (in Christus) Anteil zu erhalten. Dazu hat Gott uns als sein Ebenbild erschaffen: fähig, liebende Beziehungen zu knüpfen.
(3) Leider haben wir die Fähigkeit, zu Gott und den Mitmenschen ein grenzenloses Ja zu sprechen, in ihr Gegenteil verkehrt. Wir haben unsere Beziehungsfähigkeit verloren, indem wir zuerst zu Gott Nein gesagt haben, und dann auch zu unseren Mitgeschöpfen.
(4) Aber Gott setzt alles daran, uns in die ursprüngliche Heiligkeit (sprich: Beziehung) heimzuholen. Er sendet uns seinen Sohn, der uns mit seiner Liebe umfängt wie ein Bräutigam seine Braut - und schrecklich darunter leidet, weil die Menschen seine Beziehung ablehnen und von sich weisen. Aber nur durch die Beziehung, der uns schenkt, verwandelt er uns Stück für Stück.
(5) Das erkennen wir in den Geboten und dem, was die Kirche «Moral» nennt: Es geht immer um den richtigen Weg zu erfüllten und dauerhaften Beziehungen.
(6) Dazu stärken uns die Sakramente. Mehr noch: In den Sakramenten geschieht jedesmal ein wenig Himmel. Denn Himmel ist nichts anderes als die Wiedervereinigung zwischen Gott und Mensch. Dazu «Ja» zu sagen, ist die einzige Einlassbedingung in den Himmel. Hier und in Ewigkeit.
(7) Letztlich wachsen wir im Glauben - in der Heiligkeit - in unseren Beziehungen, indem wir die Beziehungen leben und sie mit Hingabe füllen. Jede Beziehung: Die zu Gott, aber auch die zu den Menschen. Glauben heißt Lieben und Hoffen und sich austauschen. Glauben heißt, den Himmel auf Erden leben.
Schlussgedanke: Wenn wir ehrlich sind, erkennen wir darin alles, worauf es uns im Leben ankommt. Nichts anderes spielt letztlich eine Rolle. Und weil wir das immer schon gespürt haben, brauchen wir keinen anderen Erweis dafür, dass es Gott gibt. Denn nur wenn Gott real ist, ergibt alles einen Sinn. Alles.
Im Gegensatz zu anderen monotheistischen Religionen oder Sondergruppen ist der christliche Gott ein Gott voller Leben. Jeder andere ein-personale Gott ist in seiner Ewigkeit irgendwie auch kalt und starr; ein monolithischer Gott, der schlicht vor sich hin existiert. Mag er auch Freude an der Schöpfung und am Menschen haben: Letztlich genügt er sich in seiner Beziehungslosigkeit selbst, sonst wäre er kein Gott.
Der christliche Gott aber ist in sich Geschehen, Leben, Beziehung: Der Vater zeugt den Sohn, der Sohn verdankt sich dem Vater; beide hauchen den Geist, der Vater und Sohn in Liebe verbindet ... das ist Leben und Liebesgeschehen, nicht nur bloße Existenz. Dieser Gott genügt sich selbst und ist dennoch in jeder Hinsicht liebend und beziehungsfroh. Er braucht die Welt nicht, um zu lieben. Aber weil er liebt, hat er Freude an der Erschaffung der Welt und schafft sie sich nach seinem Bilde.
Ja, klar, letztlich ist vor allem der Mensch ein Abbild Gottes. So sagt es das Buch Genesis (das erste Buch der Bibel). Aber es ist katholische Tradition, dass die ganze Schöpfung ebenfalls an dieser Bildhaftigkeit teilnimmt - wenn auch in ganz verschiedenen Abstufungen. Die klassische Theologie spricht von der analogia entis - der Ähnlichkeit allen Seienden.Während in anderen Weltanschauungen der eine (einzige und einsame) Gott den Menschen erschaffen muss, um nicht vor lauter Einsamkeit und Unveränderlichkeit verrückt zu werden, ist der dreifaltige Gott mit sich selbst bestens zufrieden. Die Erschaffung des Menschen ist eine freiwillige Erweiterung dieses göttlichen, vor Liebe überfließenden Lebens. Nicht die Rettung der Existenz eines selbstmordgefährdeten Gottes.
Natürlich gibt es auch polytheistische Religionen - Religionen, die gleich einen ganzen Götterhimmel verehren. Das könnte ein wunderbares Pendant (Gegenüber) zum christlichen Gott sein, der in sich Beziehung ist. Wenn diese Götter in ihrer Vielgestalt uns das Ideal der erfüllten Beziehungen verheißen; quasi paradiesische Zustände. Das wäre genial!
Ein Blick in die Mehr-Gott-Religionen enttäuscht allerdings. Ihre Götter sind keine Verheißung, sondern eher Abbild unserer zerrissenen Welt: Die Götter bekämpfen sich, beneiden sich, tricksen sich aus, bilden Allianzen und fallen einander in den Rücken. Mag dieser Götterhimmel als Grund für die Existenz der menschlichen Welt angesehen werden - oder als unsere Zukunft: Mir graut's davor.
Ein dreifaltiger Gott spielt doch in einer ganz anderen Liga. Gottseidank.
Drei Personen in einem Gott: Ist das nicht etwas eng - wenn sich drei ein Wesen (einen Gott) teilen müssen? Das Gefühl der Enge verstärkt sich noch, wenn wir bedenken, dass diese drei Personen nach außen immer mit einer Stimme sprechen, nur einem gemeinsamen Plan folgen und nur gemeinsam agieren. Engt das nicht die Willensfreiheit der jeweiligen Personen ein?
So sagt Jesus in der Nacht vor seinem Tod auf dem Ölberg: «Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst!« (Joh 26, 39)
Ob diese «Enge» wie ein Käfig ist, hängt davon ab, was diese Drei verbindet. Ist es nur das gemeinsame Schicksal («mitgefangen, mitgehangen»), dann wird sich wohl keiner der Drei vergnügt damit abfinden. Wenn aber - und das ist ja unser Glaube - das Band, das die Drei verbindet, das Band der Liebe ist, dann ist Enge und Nähe und Einheit die Erfüllung der Liebe. Dann ist die gegenseitige Unterordnung nicht Folge der Liebe, sondern die Liebe selbst.
Man sollte sich niemals erdreisten, Liebe abschließend zu definieren. Aber eine Annäherung an das, was Liebe ist, wäre zum Beispiel: «Meine Freude ist es, wenn du dich freust.« Das ist nicht notgedrungene Unterordnung als Beschneidung des eigenen Willens, sondern hier wird die Freiheit benutzt, um sich dem anderen in Liebe hinzugeben. DAS ist Liebe. Unter anderem.
Gott ist die Liebe (1 Joh 4, 8). Das bedeutet nicht nur, dass Gott sich zu anderen «lieb verhält«, sondern dass das innere Wesen Gottes - die Art, wie die Dreifaltigkeit gestrickt ist - beziehungsfrohe Liebe ist.
Die Enge, die dazu führt, dass Gott zwar drei Personen ist, aber doch nur ein Wesen, ist keine drangvolle Enge. Sondern liebende Zärtlichkeit. Eng ist gemütlich.
Gott ist Geist. So einfach, wie das klingt, so fremd scheint uns der Sachverhalt. Was, bitte, ist Geist?! (Ein Geist, im Sinne von Gespenst, kennen wir aus zahlreichen Gespensterfilmen. Aber Gott ist nicht ein Geist, sondern nur Geist.)
Gut, dass der Mensch ein Abbild Gottes ist. Denn bevor wir philosophisch eine Unendlichkeit damit verbringen, «Geist» zu definieren, schauen wir einfach auf den Menschen. Das, was den Menschen zum Menschen macht (im Gegensatz zu allem anderen, auch den Tieren), ist sein Geist. Was, fragen wir also, ist das Wesen des Menschen?
Klare Antwort: Der Geist des Menschen ist die Fähigkeit, sich frei zu verhalten, im Sinne von «Stellung beziehen». Die Erziehung eines Menschen ist keine Dressur. Der Mensch kann den Werten, die ihm zum Beispiel durch die Eltern vermittelt werden, zustimmen oder sie ablehnen. Er kann seine eigene genetische Ausstattung annehmen oder verachten. Er kann seine eigenen Geschichte hassen - oder akzeptieren. Er kann Ja sagen, oder auch Nein. Gerade das ist nicht möglich, wenn der Mensch nicht Geist hätte, der ihn von der Materie unterscheidet.
Deshalb kann die Geistbegabung des Menschen auch keine genetische Eigenschaft sein - damit wäre sie ja wieder nur eine materielle Voraussetzung. Geistbegabung ist dagegen immateriell. Seelisch. Der Mensch hat eine Seele, die geistig ist.
Ein Computer (mag er auch noch so schnell und komplex sein) bleibt Materie. Ich habe noch nie gehört, dass ein Computer ins Gefängnis gekommen ist oder auch nur zu einem Bußgeld verurteilt wurde (von Sozialstunden ganz zu schweigen) - denn ein Computer kann nicht böse sein. Das gleiche gilt auch für Waffen oder Sprengstoff: Verhaftet wird immer nur der terroristische Besitzer, der Böses damit vorhat - der Sprengstoff selber wird nicht angeklagt.
Aus dem einfachen Grund, weil weder der Revolver, noch die Bombe oder das Unfallauto geistbegabt sind. Wer aber keinen Geist hat, kann auch nichts anderes tun, als ihm die Naturgesetzlichkeiten vorgeben.
Ein Mensch kann aber auch anders - und gerade das macht seine Geistigkeit aus. Mit anderen Worten: Geist ist die Fähigkeit, zuzustimmen oder abzulehnen. Etwas romantischer ausgedrückt: Weil der Mensch Geist hat, kann er lieben oder hassen - anerkennen oder leugnen. Und Beziehungen eingehen oder ablehnen.
In Wirklichkeit ist der Mensch ja nach dem Abbild Gottes geschaffen - diesen Gedanken wollen wir später entfalten - aber am Geist des Menschen können wir erkennen, was es bedeutet, wenn wir Gott als «höchstes geistiges Wesen» bekennen.
Mit der Geistigkeit (also der Freiheit) ist dem Menschen eine göttliche Gabe gegeben: In der Tradition der Kirche wird gerade in dieser Fähigkeit die Gottähnlichkeit gesehen, von der schon in der Schöpfungsgeschichte die Rede ist.
Wenn der Mensch in seiner Fähigkeit, sich positiv und negativ zu verhalten, gottähnlich ist - dann ist Gott natürlich auch geistig. Er ist derjenige, der absolut frei ist, Ja oder Nein zu sagen. Während der Mensch in seiner Freiheit Gott nur ähnlich ist (denn seine Freiheit wird durch zahlreiche Einschränkungen beeinträchtigt), ist Gott die Freiheit in Person - eben purer Geist.
Wer allerdings die Freiheit des Geistes dazu zu benutzen, Nein zum Guten zu sagen, missbraucht seine Freiheit. Nein zu Gott, Nein zu den Mitgeschöpfen (ob geistbegabt oder nicht) und schließlich Nein zu sich selbst zu sagen, ist das Wesen des Bösen. Gut ist, die gottgeschenkte Begabung zum Zustimmen zu verwenden, Ja zu sagen - zu lieben. Beziehungen zu knüpfen und zu leben.
Eine Wahlfreiheit allein ist noch keine wirkliche Freiheit: Einmal angenommen, ich wäre ungerechterweise zum Tode verurteilt worden und ich könnte zwischen verschiedenen Formen der Hinrichtung wählen - ich wäre nicht wirklich frei. Ich hätte zwar eine Wahlfreiheit - aber unter den wählbaren Dingen wäre keine, die ich als gut ansehen würde.
Umgekehrt wird meine Freiheit, die Frau zu heiraten, die ich liebe, nicht größer, wenn der Pastor mir im Trau-Gottesdienst noch drei Frauen zusätzlich zur Wahl anbieten würde. Bin ich frei, die eine Person zu lieben, dann brauche ich keine möglichen Alternativen.
Wahre Geistigkeit besteht also nicht nur in der Freiheit, zwischen Gut und Böse zu wählen; wahre Freiheit besteht in der Gnade, das Gute zu ergreifen. Beziehungsfähig zu werden, um in Beziehungen Ja zum anderen zu sagen.
Unser Gott ist die absolute Freiheit, in der perfekten Einheit von drei Personen - im höchsten Medium: Die Liebe.
Zunächst ist die Geistigkeit des Menschen ein Phänomen. Der Grund für dieses Phänomen, die Geist-Seele, ist weder messbar, noch sichtbar oder auf andere Weise direkt erfahrbar. Die Erkenntnis, dass der Mensch aber ein ganzes Bündel von Eigenschaften hat, die ihn deutlich und unleugbar von der Pflanzen- und Tierwelt abheben, ist dagegen umso offensichtlicher. Allerdings sind diese Phänomene nicht naturwissenschaftlich fassbar, da es sich eben um geistige Wirklichkeiten handelt: Freiheit, Sprache, Selbstbewusstsein, Moralität, Gewissen und Religiösität.
Wir können zudem nicht umhin, die Wirklichkeit zu deuten und zu interpretieren. Selbst ein Materialist deutet die Welt, und zwar als geistlos, anstatt sie, wie Tiere es tun, einfach nur hinzunehmen und sich jeder Deutung zu enthalten. Dieses »Nicht-in-der-Lage-Sein, der Welt keinen Sinn beizumessen«, ist schon ein Aspekt der Geistigkeit des Menschen. Der Mensch ist wesensmäßig auf der Suche nach dem, was hinter den Dingen liegt; sobald der sinnsuchende Mensch nicht nur die Welt, sondern eben in dieser Welt vor allem den Mitmenschen betrachtet, wird er sich selbst als geistig, das heißt als tiefgründig und mehrschichtig erkennen. Der Mensch und Mitmensch ist nicht bloß Organismus und materiell, sondern mehr. Er hat...:
Die Freiheit, zu interpretieren: Das, was Geistigkeit ausmacht, ist also die Fähigkeit, von der bloßen Oberfläche, die wir sehen, zu abstrahieren und eine unsichtbare und größere Wirklichkeit anzunehmen.
Wenn wir einen anderen Menschen anschauen, dann sehen wir zwar Haut, Haare und Kleidung, vor allem aber sehen wir einen anderen Menschen mit seinen seelischen Eigenschaften. Das setzt voraus, dass wir von den bloßen Sinneseindrücken absehen können - fast so, als wenn diese durchsichtig, transparent seien. Wir können uns also von der sinnlichen Wahrnehmung lösen: Wir haben die Freiheit, Sinn zu erkennen (im Gegensatz zu einer Katze beispielsweise, die einem Lichtpunkt hinterherjagt, ohne zu erkennen, dass das keinen Sinn hat).
Die Freiheit, sich zu verhalten: Eine solche Freiheit gibt dem Menschen die Möglichkeit, »sich wertend zu verhalten«.
Zwar kann der Mensch die Wirklichkeit (auch seine eigene Wirklichkeit, also zum Beispiel sein Aussehen, sein Alter, seine Volkszugehörigkeit und sein Geschlecht) nur bedingt ändern; aber selbst, wenn er sie nicht ändern kann, ist er in der Lage, Zustimmung oder Ablehnung zu empfinden und auszudrücken.
Die Freiheit, gut zu sein (Moralität): In seinem Verhalten einer Sache und noch mehr einer Person gegenüber kann sich der Mensch nun angemessen oder unangemessen verhalten. Er kann die Wirklichkeit leugnen oder akzeptieren, wie sie ist. Er kann sich wahrhaftig oder verlogen verhalten.
Mit anderen Worten: Freiheit führt zur Sittlichkeit - also zur unausweichlichen Wahl zwischen gutem und schlechtem Verhalten und Handeln. Dabei liegt die eigentliche Freiheit nicht darin, diese Wahl zu haben, sondern vor allem darin, sich angemessen wertschätzend zur Wirklichkeit zu verhalten. Anderen Personen gegenüber können wir sogar von lieben sprechen - der eigentlichen Erfüllung der Freiheit
Die soeben genannten geistigen Phänomen werden zwar allgemein als tatsächlich vorhanden anerkannt, aber «irgendwie» als Eigenschaften einer hochkomplex organisierten Materie gedeutet. Dabei liegt auf der Hand, dass eine Maschine niemals moralisch handeln kann - weder gut noch böse. Selbst bei Tieren sprechen wir nur im übertragenen Sinn von «gut und böse»; selbstverständlich ist ein Raubtier nicht böse, wenn es seinen Trieben folgt. Jedes Phänomen der Geistigkeit setzt etwas voraus, dass nicht-materiell ist: die Seele. Wir Christen nehmen also (neben der Materie) mit der Seele ein zweites, grundlegendes Prinzip in der Schöpfung an.
Allerdings ist die Seele umfassender zu denken, nicht nur auf den Menschen beschränkt. Denn jedem Lebewesen kommt schon ein Anteil an dieser immateriellen Wirklichkeit zu.
So sprechen die Philosophen seit Aristoteles bis zur christlichen Scholastik von der immateriellen Pflanzenseele (der anima vegetativa), der ebenfalls immateriellen Tierseele (der anima sensitiva) und der Menschenseele (der anima rationale), die wir auch Geistseele oder geistbegabte Seele nennen. Daher sollten wir tunlichst die Immaterialität und die Geistigkeit unterscheiden: Auch Tiere und Pflanzen haben eine immaterielle Seele, die aber noch nicht geistbegabt (lateinisch: rational) ist.
Die Seele ist zwar kein räumliches Objekt, das man wiegen, vermessen oder beobachten kann. Aber dennoch ist sie ein Teil der geschaffenen Welt. Die Vorstellung, dass die Naturwissenschaften nur den direkt erfahrbaren Teil dieser Welt beschreiben, wurde stillschweigend in den letzten Jahrhunderten aufgegeben und ersetzt durch den Gedanken, dass die Grenzen der Naturwissenschaften zugleich die Grenzen der natürlichen Wirklichkeit seien.
Tatsache ist dagegen, dass die irdische Wirklichkeit voller Phänomene steckt, die zwar naturwissenschaftlich nicht fassbar sind, aber dennoch legitimer Bestandteil der Natur: Freundschaft, Liebe, Freiheit, Schuld und Glaube. Wenn die Seele sich gerade durch die Nicht-Leiblichkeit auszeichnet, ist es logischerweise vergebliche Mühe, sich der Existenz der Seele mit naturwissenschaftlichen Methoden oder Fragestellungen zu nähern.
Im ersten Schöpfungsbericht heißt es: «Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.» (Gen 1, 26f)
Dass Gott hier im Plural spricht, mag ein sogenannter pluralis deliberationis sein. (damit ist ein «Plural der Überlegung» gemeint, wie zum Beispiel: «Hm... lass uns mal in Ruhe überlegen...»); aber die frühen christlichen Theologen haben darin einen tieferen und schöneren Sinn gesehen: Gott spricht im Plural, weil er in diesem Augenblick den Menschen als Abbild der Dreifaltigkeit schafft («nach unserem Abbild»): Als Mann und Frau. So, wie in Gott die Liebe die Personen verbindet, hat er auch den Menschen geschaffen: Als ein Wesen, dass sich in Liebe verbindet und zu einer neuen Einheit berufen ist: Zur Familie.
Das eigentliche Bild Gottes ist also weder der Mann, noch die Frau, sondern beide - in Liebe verbunden.
Mann und Frau sind verschieden, weil sie aufeinander hin geschaffen sind; sie finden ihr Glück und ihre Erfüllung erst in gegenseitiger Ergänzung.
Erst durch gegenseitiges Lehren und Hinhören, Geben und Annehmen, Schenken und Empfangen verwirklicht sich der Mensch. Das, was der Mann nicht gut kann, empfängt er von seiner Frau durch seine persönliche Unterordnung unter ihr Können. Das, was die Frau nicht gut kann, empfängt sie von ihrem Mann auf die gleiche Weise.
Es fällt uns nicht schwer, den ersten Satz auszusprechen: «Der Mann erfährt sein eigentliches Wesen dadurch, dass er die Frau in ihren weiblichen Eigenschaften als Ergänzung seiner eigenen Unvollständigkeit würdigt und sich ihrem Können unterordnet.» - Die umgekehrte Formulierung geht uns dagegen kaum über die Lippen: «Die Frau erfährt ihr eigentliches Wesen dadurch, dass sie den Mann in seinen (typisch) männlichen Eigenschaften als Ergänzung ihrer eigenen Unvollständigkeit würdigt und sich seinem Können unterordnet.» - Wenn aber der erste Satz nicht diskriminierend ist, dann auch nicht dessen Umkehrung in der zweiten Formulierung.
Verblüffend ist allemal, dass der Geschlechterunterschied eine Hierarchie beinhaltet - die aber keine Wertung darstellt. Das ist sicherlich erklärungsbedürftig: In der modernen, als kapitalistisch gedachten Gesellschaft ist der Chef der Ausbeuter und der Untergebene das Opfer. Und da keiner gerne Opfer ist, wollen alle möglichst Chef sein; sich unterzuordnen heißt ein Verlierer zu sein. - Der Fehler in diesem Schluss liegt bereits in der Ausgangsthese: Chef sein (zum Beispiel einer Firma) ist sehr wohl ein Dienst; der Leiter eines Schulkollegiums ist ganz sicher nicht der Ausbeuter, sondern der notwendige Orientierungspunkt. Das Papstamt ist sicher kein viel gefragter Ausbildungsberuf, sondern (für die Person des Papstes) eher das Ende der meisten persönlichen Träume und Freiheiten.
Noch habe ich diese Rollen keinem bestimmten Geschlecht zugeordnet - und tatsächlich ist die Zuordnung auch manchmal überraschend anders verteilt. In jedem Verein, in der Kirche, Gesellschaft und in der Familie soll man die Aufgabe übernehmen, für die man geschaffen wurde; aber auch wenn das eine Leitungsfunktion ist, bleibt es ein Dienst!
Der entscheidende Unterschied zwischen Mann und Frau liegt in ihrer Seele begründet. Aber eben nicht im übertragenen Sinn von Seele, wie er in der Psychologie oder Psychiatrie verwendet wird. Sondern im metaphysischen Sinne von «Seele». Der christlichen Grundüberzeugung nach hat jeder Mensch eine unsterbliche, geistige, individuelle Seele. Real-existierend. Und eben in zwei grundverschiedenen Ausführungen: als Mann und als Frau.
Der Philosoph würde dazu sagen: Mann und Frau sind «ontologisch verschieden», was nichts anderes meint als «das Wesen betreffend». Wenn wir unseren Leib im Tod hinter uns lassen und uns als pure Seelen im Jenseits wiederfinden, werden wir uns immer noch als Mann und Frau erkennen.
Das Entscheidende ist: Diesen «ontologischen», wesenhaften und metaphysischen Unterschied können wir nicht in Eigenschaften auflösen! Er ist der Grund für verschiedene Eigenschaften, aber er erschöpft sich nicht darin. Vielmehr gibt er sogar gleichartigen Eigenschaften jeweils ein eigenes Gepräge - je nach Geschlecht.
Das ist für viele ein absolut neuer Gedanke. Ein Game-Changer. Und gleichzeitig kaum verstehbar: Ein Unterschied, der nicht in einzelne Eigenschaften (oder Parameter) zerlegt und definiert werden kann? Das ist doch unlogisch! Deswegen erlaube man mir hier zwei überraschende Parallelen. Nicht, dass wir uns missverstehen: Mit den folgenden Beispielen will ich diesen metaphysischen Unterschied nicht belegen. Sondern nur veranschaulichen.
Ich gebe zu - ein Beispiel für den wunderbaren Unterschied zwischen Mann und Frau aus der Quantenphysik zu nehmen, ist schon ein bisschen despektierlich. Aber darum geht es mir nicht: Es handelt sich beim Folgenden nur um einen Vergleich, der darauf verweist, dass das angeblich Unlogische der Theologie akzeptierter Bestandteil der Physik ist. Gerade mathematisch-logische Denker meinen manchmal, die moderne Naturwissenschaft sei das Gegenmodell zur Metaphysik. Dabei haben beide viel mehr gemeinsam, als mancher so denkt. Also:
Die kleinsten Bestandteile der Materie werden zur Zeit als Quarks bezeichnet. Viel weiß man nicht über sie - zumeist nur, dass sie in unterschiedlicher Zusammensetzung in Elektronen, Protonen und Neutronen (und noch einigen anderen Elementarteilchen) vorkommen. Aber nie allein. Deshalb weiß man nichts über ihre Eigenschaften, obwohl man weiß, dass sie unterschiedlich sind. Für die verschiedenen Quarks hat man nette Bezeichnungen erfunden: strange, charming, up, down, top und bottom (die sechs «Flavours»), die zudem noch rot, grün und blau sein können und einen Spin (Drehimpuls) haben. Aber jeder Quantenphysiker weiß, dass es sich dabei um Fantasieeigenschaften handelt. Letztlich sind das nur Namen ohne konkreten Inhalt - und doch real. Das einzige, was man weiß, ist: Up ist nicht down. Charming ist nicht strange. Sogar die Farbe und der Spin, den diese Teilchen angeblich haben sollen, existieren nicht wirklich, sind aber real, wenn es darum geht, welche Summe sich aus den Komponenten ergibt.
Wie man sieht, ist die Annahme, es gebe einen Wesensunterschied, der nicht in Eigenschaften beschreibbar ist, aber dennoch real nachweisbar, kein Konstrukt von verrückten Theologen. Dieses Phänomen gehört zum Bestandteil unseres Weltwissens.
Schöner und theologisch aussagekräftiger als ein Vergleich mit den Quarks in der Quantenphysik ist der Blick auf Gott - in seiner Dreifaltigkeit. Auch hier offenbart sich eine Parallele, die zugleich viel über Mann und Frau aussagt: Jesus ist in allem dem Vater gleich. Aber er ist nicht der Vater. Und der Vater ist nicht der Sohn, obwohl sie sich weder in ihren Eigenschaften noch in Ihrer Göttlichkeit unterscheiden. Sie sind von gleicher Herrlichkeit, Macht, Ehre. Ihnen gebührt gleiche Anbetung, gleiches Lob und gleiche Verehrung. (Das gilt übrigens auch für den Dritten im Bunde, den Heiligen Geist.)
Und wir Menschen sind Ebenbild dieser Dreifaltigkeit! «Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.» Gen 1,27.) Es war immer schon christliche Überzeugung, dass die Menschen, die Gott füreinander und zu Eltern bestimmt, Abbild Gottes sind! Diese tiefgehende und nicht auflösbare Unterschiedlichkeit von Mann und Frau gehört zu den großen Herausforderungen, aber auch zum Wesenskern und zur Großartigkeit einer jeden Ehe.
Im Gegensatz zum Vergleich mit der untersten Ebene der Materie ist die Parallele zur Dreifaltigkeit nicht nur eine Verstehenshilfe. Sie ist Grund dafür, dass wir als Mensch so geschaffen sind: Indem wir im Ehepartner des anderen Geschlechts das lieben, was anders ist als wir selbst, werden wir Gott zunehmend ähnlich - der nicht zuletzt den Menschen als Geschöpf liebt. Geschöpfe aber sind ganz anders als Gott.
In der Schöpfungsgeschichte heißt es: «Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich⦠Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.» (Gen 1, 26f) Nicht der Mann ist das Abbild Gottes (und auch nicht die Frau) - sondern erst als Mann und Frau sind beide IHM ähnlich. In ihrer unbedingten Liebe und Sorge füreinander werden die Menschen wie Gott sie haben wollte.
Leider ist dem Menschen mit seiner Geistigkeit, die sich in seiner Freiheit verwirklicht, auch eine Fähigkeit gegeben, die er gegen Gott, gegen andere und sogar gegen sich selbst richten kann: Wenn er die Freiheit hat, zu lieben und zu hassen, anzuerkennen oder zu leugnen - was hindert ihn daran, Gott zu leugnen? Den Nächsten zu hassen?
Aber diese göttliche Gabe kann noch stärker pervertiert werden (pervers heißt immer soviel wie «ins Gegenteil verkehren»): Der Mensch hat sogar die Fähigkeit, zu seiner eigenen Geistigkeit Nein zu sagen. Er kann leugnen, was er ist: Ein moralisches Wesen.
Es gibt nicht nur Philosophen, die den Menschen nur als eine geistlose, hirngesteuerte Bioform ansehen (wobei sich die Frage stellt, ob diese Denker noch die Bezeichnung «Philosophen» verdienen). Es gibt auch die Menschen, die durch ihr Tun faktisch leugnen, fähig zur Gottähnlichkeit zu sein: Ihre einzigen Interessen sind Essen, Trinken, Sex und Ablenkung. Geistlos eben.
Eigentlich ist es ein offener Widerspruch: Wir können z. B. nur behaupten, keine geistige Seele zu haben, wenn wir eine Geistseele voraussetzen. Ohne Geist können wir nämlich gar nichts behaupten.
Aber dennoch tun Menschen genau das: Menschen behaupten, es gäbe keinen Geist, keine Seele, keine geistige Wirklichkeit und keinen Gott. Mal angenommen, es gebe keinen Gott gibt - das zu behaupten, setzt eine geistige, von der Materie unabhängige Wirklichkeit voraus. Vielleicht müssen diese Leute einfach nur etwas mehr Zeit zum Denken haben, um diesen Widerspruch selbst zu entdecken.
Das Problem ist darüber hinaus, dass die Menschen, die sogar ihren eigenen Geist leugnen, nicht mehr in Einklang mit ihrer eigenen Wirklichkeit leben - immer und immer wieder ihrer eigenen Geistigkeit zu widersprechen, macht krank.
Es mag Dich überraschen: Aber Sünde hat zunächst nicht soviel mit Moral zu tun. Es geht zum Beispiel bei der Beichte nicht in erster Linie um Dein moralisches Verhalten - und logischerweise auch bei der Beichtvorbereitung nicht um eine moralische Innen-Revision.
Es geht um Deine Gottesbeziehung. Du gehst in der Beichte zu Gott, um Deine Beziehung zu ihm zu erneuern, auszuräumen, was im Wege steht und Deine Liebe zu ihm zu festigen. Die erste und wichtigste Frage ist also: Wie steht es um Dein Verhältnis zu Gott?
Stell Dir vor, Du merkst, wie Deine Freundschaft zu einem bestimmten Menschen immer langweiliger, routinierter und uninteressanter wird. Da nimmst Du auch nicht als erstes das Büchlein «Zehn Regeln für eine gelungene Freundschaft» zu Hand und kontrollierst, ob Du Dich in jeder Hinsicht gut verhalten hast. Selbst, wenn Du zum Schluss kommst: «Ich habe alle zehn Regeln eifrig und gewissenhaft befolgt!» bleibt Deine Beziehung zu diesem bestimmten Menschen wie sie ist: Erneuerungsbedürftig.
So fragen Menschen, die mit der Beichte konfrontiert werden, oft als erstes nach ihrem Sündenregister - und sind der Meinung, dass doch alles in Ordnung ist, weil sie keinen umgebracht haben - niemand betrogen und niemanden verprügelt. Sie gehen die Liste der «Zehn Regeln für eine gelungene Gottesbeziehung» durch - die Zehn Gebote - anstatt sich an den zu wenden, um den es eigentlich geht: Gott.
Wenn Du eine Beziehung erneuern willst, dann frage Dich als erstes: «Was kann ich tun?» Du willst wieder etwas beginnen, was Du in dieser Beziehung vernachlässigt hast. Du suchst nicht nach Fehlern, sondern nach positiven Anknüpfungspunkten.
Sünde ist also in erster Linie nicht eine Verletzung von Regeln, sondern eine Beziehungsstörung. Regeln beobachten und überprüfen ist nur ein Weg, diese Störung zu entdecken. Der schönere Weg ist, sich neu zu verlieben.
Das größte Problem heutzutage ist oft die Gedankenlosigkeit. Nicht nur, weil wir damit großen Schaden anrichten: Weil wir unaufmerksam sind; das nötige Feingefühl vermissen lassen; weil wir nicht merken, wenn andere leiden oder unsere Hilfe gebrauchen; weil wir durch Gedankenlosigkeit die Natur zerstören oder Menschen vernichten. Auch nicht deshalb, weil wir uns damit der Höhen und Tiefen unseres Lebens berauben, weil wir gar nicht merken, wie kostbar bestimmte Augenblicke sind; weil wir die Tragik oder Schönheit der Welt, der Menschen und der Natur nicht mitbekommen. Nein, das sind nicht die schlimmsten Auswirkungen der Gedankenlosigkeit. Das Schlimmste an der Gedankenlosigkeit ist, dass wir uns damit selbst um das Glück schlechthin bringen.
Das größte Problem der Menschen zu allen Zeiten ist die eigene Schlechtigkeit (oder Sündhaftigkeit). Darunter haben die Menschen zu allen Zeit mehr gelitten als unter Hungersnöten oder Armut. In allen Religionen haben die Menschen versucht, dagegen ein Mittel zu finden: Da wird geopfert, was das Zeug hält: Erstlingsgaben, Essen, Tiere und manchmal sogar Menschen. Da wird gereinigt, gewaschen und gesäubert, vorwärts und rückwärts. Da werden Rituale erfunden, um sich von den bösen Geistern zu befreien.
Das ist der eigentlich Grund einer jeden Religion: Wir sehnen uns nach Erlösung. Nicht nach Erlösung von den Naturkatastrophen, Erlösung von den bösen Nachbarn oder von Pickeln. Die tiefste Sehnsucht ist die Erlösung von der eigenen Schlechtigkeit und Gottferne. Und das höchste Glück eines jeden Menschen ist das Bewusstsein, etwas richtig gemacht zu haben. Trotz aller widrigen Umstände gut gewesen zu sein. Oder einen Menschen gefunden zu haben, der uns gut behandelt hat.
Und die Gedankenlosigkeit bringt uns um die Erkenntnis, ob unser eigenes Handeln gut ist oder nicht. Wer sich darin abgestumpft hat, beginnt, vor sich hin zu vegetieren. Mag er auch noch so beschäftigt sein und erfolgreich - Wir verlieren das Glück, wenn wir Gut und Böse nicht mehr bemerken.
Menschen, die Fehler haben, sind unangenehm. Aber noch schlimmer sind Menschen, die das noch nicht einmal merken.
Ich kann Dir Beispiele ohne Ende nennen, in denen das Verhalten eines Menschen an sich gar nicht so schlimm ist; aber gerade durch die Tatsache, dass derjenige überhaupt nicht merkt, was er tut, und deshalb seine Grenzen nicht kennt, wird diese Person zur Nervensäge.
Du wirst also nicht erst dadurch sympathisch, wenn Du perfekt bist (das ist keiner außer Gott, und das erwartet auch keiner von Dir - noch nicht einmal Gott). Sondern attraktiv und sympathisch wirst Du schon dadurch, dass man Dir Dein Wissen um Deine Fehler und Schwächen anmerkt. Im allgemeinen schämt sich keiner gerne (manche werden allein schon deshalb rot, weil sie sich so davor schämen, rot zu werden) - aber gerade das weckt Zuneigung und Nähe.
Das gilt auch für Gott: Er erwartet keine Perfektion. Aber er will Dich auch davor bewahren, dass Du Dich einfach mit Deinen Fehlern arrangierst und abfindest: «Ich bin nunmal so, wie ich bin... Wenn Du es nicht haben kannst, dass ich gerne lüge, dann such Dir doch eine andere Freundin.» - So wird das nichts, mein Freund.
Wenn Du wirklich Gott neu lieben möchtest, dann solltest Du ihm so sehr vertrauen, dass Du keine Ausflüchte und Beschönigungen mehr brauchst. Sag' Gott einfach, wie es ist: «Ich habe Mist gebaut.» - Dafür liebt Gott Dich!
Während Stufe eins und zwei der Gewissenserforschung noch jedem Menschen, auch den absolut unreligiösen Zeitgenossen einleuchtet und möglich ist, unterscheidet der dritte Schritt den Christen von allen anderen.
Nachdem ich erstens angefangen habe, mich mit den Augen Gottes zu betrachten und ich mir zweitens meiner Fehler bewusst bin, stellt sich nun drittens die Frage: Wie kann ich mich ändern? Woher kommt mir Hilfe?
Es bietet sich natürlich zunächst an, sich in der eigenen Disziplin zu üben. Oder eine Selbsthilfegruppe zu besuchen. Vielleicht gibt es auch eine neuartige Therapie - so nach dem Motto "Abnehmen und schlank werden - ganz ohne hungern!" (ziemlich unglaubwürdig). Oder ich lese ein Buch "positiv denken" oder rede mir ein "Du bist o.k. - ich bin o.k.". Vielleicht kann mir auch jemand die Karten legen und mir sagen, wie alles wieder gut wird - oder ich gebe einfach auf, lege mich ins Bett und steh nicht mehr auf. "Wer schläft sündigt nicht."
Der Christ hält von alledem zunächst nichts. Zunächst sucht der Christ Hilfe bei Gott. Wenn es darum geht, gesund zu werden, brauchen wir Medizin. Wenn ich ein psychisches Problem habe, eine Therapie. Wenn ich groß und stark werden will, muss ich eifrig Fruchtzwerge essen; für weiße Zähne nehme ich die entsprechende Zahnpasta. Aber um ein moralischer Mensch zu werden - ein Mensch, der gut ist? Da hilft nur einer, der selbst "der Gute" ist: Gott.
Der Christ ist kein besserer Mensch als die Nichtchristen. Der Christ wird dadurch zum Christen, dass er die Hilfe, die andere Menschen innerhalb dieser Welt suchen, von Gott erbittet.
Gut werde ich nur durch Gott. Durch sonst nichts. Das glauben wir Christen - wir sind von der homöopathischen Wirkung Gottes felsenfest überzeugt. Und deshalb gehen wir mit unseren Sünden zunächst zu Gott. (Danach kann man dann immer noch mit der Disziplin oder der Schlankheitstherapie beginnen - aber die ist dann, dank der Gnade Gottes, gar nicht mehr sooo schwer - oder vielleicht sogar nicht mehr nötig).
Homöopathie heißt: Gleiches wird durch Gleiches behandelt. Ob das mit der Homöopathie im medizinischen Sinne funktioniert, weiß ich nicht. Aber der Grundsatz ist korrekt: Körperliche Leiden können mit einer körperlichen Behandlung kuriert werden - seelische Leiden durch seelische Zuwendung. Man kann zwar auch körperlich z. B. an Einsamkeit leiden, es bleibt aber ein Leiden mit einer seelischen Ursache. Heilen kann man Einsamkeit, Trauer oder Schuldgefühle nicht durch Medikamente, sondern nur durch andere Seelen, die sich dem Kranken zuwenden. Homöopathie eben.
Dieser wichtige, homöopathische Grundsatz allein ist schon ein Hinweis auf die Existenz der Seele: Viele Jahrzehnte lang wurden alle Leiden mit Medikamenten, Elektroschocks und Operationen behandelt - aus dem einfachen Irrglauben heraus, dass der Mensch mit seinem Leib identisch sei. Wenn es keine Seele gibt, kann ein Leiden auch nur körperlich sein.
Inzwischen ist man weiter: In sogenannten psycho-somatischen Kliniken gibt es sowohl den medizinischen, als auch den seelischen Aspekt. Viele seelische Krankheiten lassen sich einfach dadurch heilen, dass es die Zuwendung einer anderen Seele gibt - homöopathisch eben.
Einsamkeit wird am besten durch menschliche Nähe geheilt; Trauer durch Trost, der von Zuneigung getragen wird; Liebeskummer durch Bestätigung, dass man immer noch liebenswert ist; Zweifel durch Anerkennung; Langeweile durch geistige Anregung - und so weiter.
Wie kann aber ein seelisches Leiden geheilt werden, dass darin besteht, die Seele zu leugnen?
Dazu muss man schon Gott sein. Gottseidank gibt es Gott - und der Heilige Geist ist sozusagen seine medizinische Abteilung. Der Geist ist derjenige, der uns heilt; während in uns alles Nein sagt, bejaht er uns; er versucht alles - von Wärmetherapie bis hin zur Infusion - um unsere Geistigkeit wiederzubeleben; unser Nein-Sagen, Leugnen und Hassen in Ja-Sagen, Anerkennen und Lieben zu wandeln.
Nicht umsonst heißt der Heilige Geist Heiliger Geist - er ist der Heiler schlechthin. Der göttliche Homöopath.
Wir waren ursprünglich dazu geschaffen - und sind immer noch dazu berufen - am innerstes Liebesgeschehen Gottes (in gewisser Hinsicht) teilzuhaben. Das ist unsere große Berufung.
Natürlich können wir als endliche Menschen nicht einfach die Dreifaltigkeit erweitern, den Menschen addieren und somit zur Vierfaltigkeit gelangen. Oder sie gar unter Einbeziehung aller willigen Menschen zur «Mannigfaltigkeit» werden lassen.
Aber dadurch, dass Jesus unsere Menschennatur angenommen hat und sie (nach seiner Rückkehr in die Herrlichkeit Gottes) nicht wieder abgelegt hat, haben wir einen Platz in diesem Liebesgeschehen Gottes. Insofern wir mit Jesus eins geworden sind (was die Erlösung durch Jesus und die Annahme durch den Menschen voraussetzt), dürfen wir als seine Braut daran teilnehmen.
«Als seine Braut» - das ist ein kurzer Gedanke von enormer Tragweite. Das bedeutet, die Erlösung des Menschen geschieht durch ein Beziehungsgeschehen: Der Bräutigam Jesus gewinnt seine Braut - den Menschen -, für die er den Brautpreis zahlt, sie umwirbt und heiligt, um sie dann heimzuführen. Am Ende wartet dann das große Hochzeitsmahl, das kein Ende nimmt.
Jesus ist der Bräutigam, der seine Braut - die Kirche - heimführen will.
Nun könntest Du mich fragen, ob ich diese Behauptung belegen kann: Geht Gott wirklich mit den Menschen einen eheähnlichen Bund ein, der der höchsten aller Beziehungen gleich kommt? Versteht Jesus sich wirklich als der Bräutigam und sieht in uns seine Braut?
Allen, die die Bibel kennen, brauche ich keine einzelnen Bibelstellen anführen. Die Anklänge an «Gott - Bund - Ehebund» und an «Jesus - Bräutigam - Braut» sind unzählig, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament.
Ein oft übersehener Hinweis (ausgerechnet in den 10 Geboten) möchte ich dir nicht vorenthalten:
Das Begehren-Gebot: - Die Zehn Gebote sind uns so vertraut, dass wir manchmal nicht mehr bemerken, wie seltsam die ersten drei und die letzten beiden Gebote sind. Wirklich staatstragend, allgemeingültig und einleuchtend sind eher die Gebote Nr. 4-8 (je nach Zählung, die in den Konfessionen unterschiedlich ist, können es auch die Gebote 5-9 sein). Während die ersten Gebote das Verhältnis des Volkes zu Gott regeln, fällt das Begehren-Gebot («Du sollst nicht begehren...!») am Ende des Dekalogs ziemlich aus der Reihe. Tatsächlich dürfte es für eine Gesellschaft (und noch mehr für eine staatliche Behörde) uninteressant sein, ob ein Staatsbürger tief in seinem Herzen eine Neigung verspürt, sich nicht an die Gesetze zu halten. Ein Autofahrer, der vor einer roten Ampel hält und am liebsten Gas geben würde, ist der Verkehrspolizei solange gleichgültig, wie er es nicht tut.
In einer Ehe geht es aber nicht nur um das Tun - sondern um das Herz des Geliebten. Ich möchte nicht nur mit einem Menschen verheiratet sein, der sich korrekt verhält und alle ehelichen Pflichten beachtet - sondern dessen Herz sich mir zuwendet. Jemand, der im Innersten weit weg ist und sich danach sehnt, mit einem anderen Partner zusammen zu sein, hat den Bund schon gebrochen. (Das betont Jesus wenig überraschend in der Bergpredigt - Mt 6.) Das gilt auch für den Bund mit Gott - vorausgesetzt, es handelt sich um einen Ehebund und nicht um einen Staatsvertrag.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche einzelne Bibelstellen bei den Propheten (z. B. Jesaja, Kapitel 5), in den Psalmen, der Weisheitsliteratur - usw., die das Verhältnis zu Gott als einen Ehebund darstellen. Auch im Neuen Testament wird das Braut-Bräutigam-Bild immer wieder aufgegriffen; Gleichnisse, Predigten und Zeichen Jesus bringen immer wieder zum Ausdruck, dass Gottesbund mit den Menschen = Ehebund und Jesus = Bräutigam ist.
Aber eigentlich bedarf es dieser Belege nicht. Denn was sollte Gottes Beziehung zu uns angemessener sein, als die höchste Form einer Liebesbeziehung? Dieser Grundgedanke hat sich ja nicht deshalb in des tiefste religiöse Gedächtnis des jüdischen Volkes eingegraben, weil es in der Bibel steht. Sondern es steht in der Bibel, weil Gott weder von den Autoren der biblischen Bücher noch durch sich selbst besser beschrieben werden kann: Gott liebt sein Volk! Er bindet sich an die Auserwählten! Er traut sich uns an auf ewig!
Aber warum musste Jesus am Kreuz sterben? Was hat sein Tod mir der Erlösung durch Liebe zu tun?
Stell Dir einfach mal vor, Du wärest gestorben; Deine Seele trennt sich vom Leib und schwebt nun in den Himmel bis zu jener Pforte, die wir alle gut aus den Karikaturen kennen: Dort steht Petrus mit einem Buch in der Hand und lässt Dich dann hoffentlich in den Himmel. Oder (was mir besser gefällt) dort steht Jesus als unser Bräutigam und lädt Dich (die Braut!) ein in den Himmel.
Nun solltest Du aber vorsichtshalber fragen, was Dich denn hinter dieser Tür erwartet. Was ist denn - bitteschön - der Himmel? Und wer ist denn da noch alles drin? Nun, die Antwort lautet ziemlich sicher: Der Himmel ist die perfekte Liebesgemeinschaft mit Gott und eine nie endende Beziehung mit allen Menschen, die dieses Angebot angenommen haben. Und alle die erwarten Dich - im Himmel.
Da mag es sein, dass vielleicht der eine oder andere stutzt und denkt: «Wenn das so ist, dann will ich da nicht rein.» Was zunächst unglaublich klingt, ist gar nicht so seltsam. Vor allem nicht, wenn wir uns das Jenseits nicht absolut verschieden von unserer hiesigen Wirklichkeit vorstellen. Da gibt es nämlich tausend Gründe, warum wir die Gemeinschaft mit Gott oder anderen meiden. Vielleicht haben wir Angst, fühlen uns fehl am Platz, haben schlechte Erfahrungen mit anderen gemacht oder sind selbst der Grund für schlechte Erfahrungen mit Vertrauen, das wir ausgenutzt haben. «Vielleicht sind dort die drin, die ich belogen, ausgenutzt oder enttäuscht habe? Dann wird eine enge Gemeinschaft mit ihnen vielleicht zur Hölle!»
C. S. Lewis hat diese Gedanken in seinem lesenswertem Buch «Die große Scheidung» (The Great Divorce) Kapitel für Kapitel durchgespielt. Da will jemand nicht in den Himmel, weil er «nichts Rechtes anzuziehen hat», «weil da der Mörder meines Bruder drin ist», «weil ich schon immer das mittelalterliche Bild von Himmel und Hölle abgelehnt habe - wo bleibt jetzt meine Glaubwürdigkeit?!». Ich glaube wirklich, dass eine Entscheidung solch epochalen Ausmaßes oft die banalsten Gründe haben kann.
Und hier kommt der Tod Jesu ins Spiel: Er erleidet, was wir nach Maßgabe der Gerechtigkeit selbst verschuldet haben - und vor dem wir Angst haben, dass es uns trifft, wenn wir durch die Tür in den Himmel treten.
Gerechtigkeit ist mit einer Art Spiegel zu vergleichen, der die Folgen meines Tuns auf mich zurückwirft. Ohne den Spiegel der Gerechtigkeit müssen die anderen die Folgen meines Tuns mittragen und oft genug darunter leiden. Das ist ungerecht - denn ich richte mein Handeln ja normalerweise so ein, dass ich von den positiven Folgen profitiere und die negativen Folgen die anderen zu tragen haben. Greift nun Mama ein - oder der Lehrer - oder der Staat - oder Gott - und hält mir den Spiegel der Gerechtigkeit vor, so treffen die Folgen mich selbst. Ich muss das tragen, was ich verursacht habe. Ich spüre das Leid nun selbst, das ich anderen zugefügt habe. Ja, um Gott und all den Menschen in wahrem Frieden begegnen zu können, will ich das erleiden, was ich verursacht habe. Und habe zugleich Angst davor.
Denn das dürfte für jeden Straftäter, Mörder oder Diktator nicht gut ausgehen.
Aber vielleicht sieht es mit unserem durchschnittlichen Leben auch nicht viel besser aus... Wissen wir, wieviel Leid wir verursacht haben? Wieviel durch ein kleines, unbedachtes Wort in einem anderen Menschen zerstört wurde? Wissen wir, ob wir die jungen Dame an der Kasse bei McDonalds, die unsere Bestellung falsch ausgeführt hat und die wir lautstark kritisieren, ihren Job verliert? Oder vielleicht selbst kündigt und sich nichts mehr zutraut? Durch diesen Rückschlag endgültig ihren Glauben an ihre Fähigkeiten verliert? Wie oft erlebe ich, dass in Restaurants am Nachbartisch der Kellner zum wiederholten Mal darauf hingewiesen wird, dass nicht alles in Ordnung ist - mit dem Worten "Das kann passieren - aber das darf nicht passieren!"
Dein Leben ist lang, und Du hast viel Gelegenheit, Dinge falsch zu machen, Schaden anzurichten und Ketten von Leid auszulösen. Nur die wenigsten dieser Gelegenheiten lassen wir aus - leider. Kannst Du wirklich den Anblick des Spiegels der Gerechtigkeit ertragen? Wirst Du nicht eher Reiß-Aus nehmen, um dieser tödlichen Buße zu entgehen?
Wie immer der gerechte Gott zu verstehen ist: Er dürfte uns Angst machen. Entweder, weil wir die Strafe fürchten. Oder weil wir einen gerechten Gott ablehnen. Oder wir fürchten gar nicht Gott - sondern die Blicke derjenigen, in deren Schuld wir stehen... (Ich komme darauf noch einmal zurück). So oder so schätze ich, würden wir alle wohl lieber darauf verzichten, Gott gegenüberzutreten. Nicht, wenn er nur gerecht ist.
Gibt es dann noch Hoffnung, überhaupt zu Gott zu kommen?
Von uns aus gesehen - nein. Wir können nicht daran vorbei, uns selbst zu erkennen und das zu tragen, was wir verschuldet haben. Aber Gott weiß einen Weg - den Weg der göttlichen Barmherzigkeit.
Nicht das, was wir uns erträumen, obwohl wir wissen, dass es ungerecht wäre: Gott vergibt einfach. Nein - Gott kann nicht gegen sein eigenes Wesen handeln. Jede Liebe setzt Wahrheit und Selbsterkenntnis voraus. Gott kann keine Liebesgemeinschaft auf Betrug und Selbstbetrug aufbauen.
Der Weg, den Menschen doch noch in seine göttliche Gemeinschaft aufzunehmen, ist ein sehr ehrlicher, aber auch dramatischer Weg.
Winnetou und Old Shatterhand haben es vorgemacht: Winnetou wirft sich in die Kugel, die eigentlich seinem Blutsbruder Charlie (Old Shatterhand) gegolten hat und opfert so sein eigenes Leben, um das seines Bruders zu retten. (Genau genommen haben die beiden das nicht vorgemacht, sondern Gott nachgemacht. Aber streiten wir uns nicht über die Urheberrechte...)
Ebenso opfert sich Jesus für uns: Den Strahl der Gerechtigkeit fängt Jesus auf, indem er sich vor uns wirft, uns vor diesem seelischen Tod bewahrt und selbst unter dem leidet, was wir ein Leben lang angerichtet haben. Nicht wir werden getroffen, sondern Gott selbst sorgt dafür, dass das Leid der Selbsterkenntnis und Gerechtigkeit, die Grundlage einer jeden Liebesbeziehung, IHN trifft.
Das ist Barmherzigkeit: Jesus opfert sich um meinetwillen und stellt so die Gerechtigkeit wieder her. Ich kann ohne Scham den Himmel betreten, denn ER hat alles wieder gut gemacht! Zugleich bleibe ich am Leben, brauche keine Angst vor Strafe, Leid und Tod zu haben, die mich zerstören könnten. Beidem ist genüge getan: Sowohl der Gerechtigkeit gegenüber den Opfern und Leidtragenden, als auch der Barmherzigkeit, die Vergebung um jeden Preis will. Das Geniale ist, dass Jesus für einen jeden Menschen gestorben ist - auch für mich, auch für Adolf Hitler. Das nennt der Theologe "Universalität des Heils", man spricht auch vom "universalen Heilswillen" Gottes.
Nun klingt das allerdings so, als wenn Jesus alles getan hat - und wir deshalb einfach so in den Himmel hineinmarschieren können, wenn wir nur darauf vertrauen, dass Jesus sich schützend vor uns wirft, wenn wir in das Licht Gottes eintreten. Das allerdings hat nicht viel mit Liebe zu tun - zumindest nicht mit der Liebe zu Christus. Wer wirklich auf Christus vertraut, weil er ihn liebt, wird zumindest Schmerz verspüren, wenn er sieht, was Jesus tragen musste. Das Leid unserer eigenen Sünden ist uns genommen, damit wir Gott lieben können - aber diese Liebe leidet mit, wenn sie Christus leiden sieht.
Das ist der Grund unserer katholischen Kreuzweg-Andachten und der kargen Karfreitagsliturgie: Wir schauen auf das, was Jesus gelitten hat - weil wir wissen, dass er unsere Schuld trägt. Zumindest dieses Leid kann uns nicht erspart bleiben, wenn wir wirklich mit Christus eins werden.
Wäre ich der einzige Mensch auf der Welt - Jesus hätte alles das dennoch erlitten, um meine Schuld abzubüßen. Und deshalb, weil es nicht irgendein Leiden ist, sondern mein Leiden, Leiden für mich, darf ich die Augen nicht verschließen. Um meine Dankbarkeit zu diesem Jesus nicht erlahmen zu lassen, um die Größe seiner Tat zu begreifen, um seine Liebe zu erkennen, muss ich sehen, was er erlitten hat.
Das ist es, was wir verlernt haben, was wir nicht mehr begreifen, was unsere Kreuzwegandachten nicht mehr hergeben und was in unserer Kirche nicht mehr gepredigt wird: Ich habe verschuldet, was Jesus gelitten. Und obwohl ich es verdient hatte, so zu leiden, hat Jesus es an meiner Stelle getragen - aus Liebe zu mir, freiwillig.
Wir glauben immer noch mehrheitlich, Gott würde uns verzeihen, indem er einmal kurz seufzt und dann sagt: "Na, Kinder, ist schon gut. Ich werde Euch halt noch einmal vergeben." Und er fügt nicht hinzu: "Aber das ist das letzte Mal!" weil er eben nicht anders kann - glauben wir.
Aber dass Gott diese Vergebung etwas kostet, nämlich das entsetzliche Leiden seines Sohnes, das wollen wir nicht wahrhaben.
Kennst Du den Schmerz, der Dich trifft, wenn jemand, den Du liebst, Dich schamlos ausnutzt, Deine aufrichtige Liebe lächerlich macht und verachtet? Nun, Gott empfindet viel tiefer, denn seine Liebe ist tiefer - und wir nutzen sie trotzdem aus, verachten sie, verhöhnen sie und nehmen seine Angebote zur Versöhnung und Umkehr nicht wirklich wahr.
Könnten wir nur annähernd begreifen, was es für Gott bedeutet, unsere Lieblosigkeiten zu ertragen und seinen Schmerz immer neu in Liebe zu wandeln, wir würden eher sterben wollen, als noch einmal zu sündigen!
Nun: Gott hat lieber sterben wollen, als uns in der Sünde zu belassen.
Damit sind wir bei einem letzten Punkt unseres Gedankenganges - allerdings bei einem sehr wichtigen Punkt.
Kommen wir noch einmal auf den Spiegel der Gerechtigkeit zurück - also auf die Tatsache, dass wir im Angesicht Gottes erkennen und erleiden, was wir sind und was wir getan haben. Jesus bewahrt uns durch sein stellvertretendes Leiden davor, an dieser Reflexion zugrunde zu gehen. Das nimmt uns aber nicht die Möglichkeit, von vornherein der Anschauung Gottes aus dem Weg zu gehen. Letztlich ist also entscheidend für meine Fähigkeit, Gott gegenüber zu treten, mein Vertrauen in die Zusage Jesu, uns vor dem Gericht zu retten. Meine Beziehungsfähigkeit.
Und dieses Vertrauen - das ist der entscheidende Punkt - kann nur wachsen, wenn ich es schon jetzt praktiziere. Mein gelebtes Vertrauen, mein Einüben in eine lebendige, demütige Jesus-Beziehung, ist die Grundlage für mein Heil. Denn wir werden nicht erst im Jenseits Gott schauen - wir leben ja auch schon hier in der Anschauung Gottes - wenn auch noch nicht unverhüllt.
Aus meiner eigenen Erfahrung als Seelsorger weiß ich, dass es zwei Gründe gibt, die Vergebung Gottes nicht in Anspruch zu nehmen: Entweder weil ich glaube, keine Vergebung nötig zu haben (»Bin ich wirklich so schlecht?«) - oder die Vermutung, keiner, nicht einmal Gott könne eine solche Schuld vergeben. Menschen, die letzteres von sich annehmen, leben - nicht nur bildlich - in der Hölle. Hier schon auf Erden.
Aber auch die, die sich einreden, keine nennenswerte Sünde begangen zu haben, wissen, dass sie sich etwas vormachen und gehen allem aus dem Weg, was Licht in die dunkle Seite ihres Lebens bringt. Schließlich läuft beides darauf hinaus, dass entweder die Gerechtigkeit oder die Barmherzigkeit Gottes unterschätzt wird.
Es reicht nicht, Jesus sein Opfer vollbringen zu lassen. Ich muss es auch annehmen und darauf vertrauen. Indem ich eine Beziehung zu Jesus aufbaue - oder besser: Indem ich sein Beziehungsangebot mir gegenüber annehme. Immer wieder. Erst wenn ich gewiss bin, dass Jesus die Macht und die Liebe hat, mich zu erretten, werde ich mich für die lichtvolle Gemeinschaft mit Gott entscheiden.
In der katholischen Kirche geschieht das "Annehmen" und "Einverleiben" dessen, was Jesus getan hat, in den Sakramenten; vor allem in der Taufe, der Eucharistie und der Beichte. Und durch die Kirche selbst.
Schauen wir uns das Gesamtbild noch einmal an: Der Einlass in den Himmel hängt allein davon ab, ob ich Freude an erfüllten Beziehungen habe - und eine Sehnsucht danach. Wachsen in der Beziehungsfähigkeit kann ich nur, indem ich Beziehungen annehme und anbiete - und sie lebe. Vor allem die Beziehung, die Gott in Jesus mir anbietet.
Heiligkeit, so behaupte ich einfach mal, ist nichts anderes als Beziehungsfähigkeit.
Im Glaubensbekenntnis bekennen wir uns zur «Gemeinschaft der Heiligen». Das ist eigentlich eine Tautologie: Himmlische Gemeinschaft setzt immer Heiligkeit voraus, Heiligkeit ist gelebte und geliebte Gemeinschaft.
Heiligkeit ist Beziehungsfähigkeit.
Der Gedanke «Beziehung ist der Schlüssel zu allem» passt nicht nur zu unserem Gottesbild, Kirchenverständnis, zur Liturgie und den Geboten - er lässt uns alles besser verstehen. Er ist wie ein Magnet, der die Eisen-Sägespäne eines fragmentierten Glaubens zu einem Großem und Ganzen ordnen kann.
Diese Sicht der Dinge wirft ein neues Licht auf all das, was wir in der Kirche kennen, aber nicht wirklich verstehen. Mit diesem Erlösungsgedanken im Hinterkopf (oder besser: Im Herzen) lohnt sich ein jetzt klarerer Blick auf die Kirche.
Alles, was die Kirche ist, tut und lehrt, soll ausschließlich den Menschen dienen. Eine Kirche, die nicht dem Glück der Menschen dient, dient zu nichts. (...so ähnlich hat es einmal Bischof Jaques Gaillot formuliert).
Allerdings ist das Glück der Menschen nicht dessen momentanes Wohlbefinden. Wir streben manchmal nach Dingen, die uns nur scheinbar glücklich machen (Geld, Ruhm, Ansehen, Schönheit, Erfolg, Attraktivität...). Dabei sind diese Dinge nicht schlecht - aber sie führen nur dann zum Glück, wenn sie zu glücklichen Beziehungen führen. Sie sind Mittel, nicht Zweck. Sie sind der Weg, nicht das Ziel. (Manche dieser Wünsche sind noch nicht einmal gute Wege, einige sogar regelrechte Sackgassen.)
Glücklich wird nicht derjenige, der sich aufgrund seiner äußeren Erscheinung nicht vor Beziehungsanfragen retten kann. Denn vieles von dem, was wir anstreben, ist zwar gut geeignet, Beziehungen zu knüpfen.
Wer berühmt ist, braucht sich über mangelnde Fans nicht beklagen. Wer reich ist, hat schnell viele Freunde. Wer attraktiv ist, ist heiß begehrt. Alles das scheint recht verheißungsvoll, um zum persönlichen Glück zu gelangen.
Aber was nutzen alle Beziehungsangebote, wenn wir nicht fähig sind, Beziehungen zu führen? Wenn sich alle Bekanntschaften in Luft auflösen, weil wir zu echten Freundschaften nicht fähig sind? Um Beziehungen aber zu leben, bedarf es nicht der äußerlichen Attraktivität. Sie kann sogar hinderlich sein. Um Beziehungen zu leben und am Leben zu erhalten, bedarf es einer tieferen Beziehungsfähigkeit: Dem tiefen Wunsch, am Glück des anderen mitwirken zu dürfen.
Manchmal begegne ich Menschen, die auf der Suche nach der wahren Beziehung sind. Sie suchen jahrelang und zunehmend verzweifelt nach dem Richtigen oder der Richtigen. Aber nirgendwo findet sich Mr. Right.
Ich sage dann (manchmal, nicht immer): Suche nicht nach dem oder der Richtigen. Werde der oder die Richtige!
Diese Beziehungsfähigkeit ist der Schlüssel zum Glück. Glücklich wird, wer glücklich macht. Das ist es, was Gott uns schenken will. Uns dazu zu befähigen und die Beziehungsfähigkeit wachsen zu lassen, ist der alleinige und ausschließliche Auftrag der Kirche.
Das kann gar nicht genug betont und gepredigt werden. Viele Zeitgenossen (innerhalb und außerhalb der Kirche) glauben, die Kirche predige vor allem sich selbst. Sie suche nach zahlenden Mitgliedern, damit das System Kirche erhalten bleibt.
Ich gebe zu, zahlreiche Diskussionen angesichts des Rückgangs der Mitgliederzahlen der Kirche verstärken diesen Eindruck. Aber diese Diskussionen werden vor allem von denen geführt, die selbst nicht mehr wissen, wofür die Kirche da ist.
Nein, ich bleibe dabei: Die Kirche dient nicht sich selbst. Sie dient auch nicht der Rettung der Welt. Die dient ausschließlich dem Glück der Menschen. Deinem Glück.
Diesen Auftrag erfüllt die Kirche vor allem durch die Spendung der Sakramente, der Verkündigung (auch der Moral), der gelebten Nächstenliebe und ihren Gottesdiensten.
In einer Radio-Sprechstunde des Deutschlandfunks zu Fragen von Ehe und Partnerschaft fiel der denkwürdige Satz einer Paartherapeutin: Eine «offene Partnerschaft ist nicht etwa aus moralischen Gründen abzulehnen, sondern vielmehr, weil sie durchaus Schaden anrichten kann.» Aha.
Moral - das ist demnach ein überkommenes Wertesystem, das dem Menschen auferlegt wird. Was aber zum Glück führt oder eher Leid bereitet (für mich oder für andere oder sowohl als auch), das hat in der Aussage der Paartherapeutin des DLF nicht in erster Linie etwas mit Moral zu tun, sondern mit Erkenntnis, gesundem Menschenverstand und Rücksichtnahme.
In diesem (verkehrten) Sinne wäre Moral eine religiöse Sache: «Ich habe keine Ahnung, warum die Gebote so aussehen und beschaffen sind, ich übernehme sie letztlich, weil sie zu einer Religion dazugehören, der ich (aus welchen Gründen auch immer) angehöre.»
Diese Karikatur einer Moral ist weit verbreitet. Man denkt sich einen Gott, der auf die unterschiedslosen Handlungen der Menschen schaut und recht willkürlich festlegt, welche Gebote er erlassen will. Sobald ein Gebot verkündet wurde, steht auch fest, was Sünde ist. Nämlich alles, was diesem Gebot widerspricht. Wer allerdings keine Religion hat oder nicht an Gott glaubt, ist fein raus: Für ihn gibt es keinen göttlichen Gesetzgeber; keine Sünde und keine ewigen Konsequenzen.
Eine Moral, die so verstanden wird, ist allerdings etwas zutiefst Unchristliches.
In Wirklichkeit ist Moral (also die Frage, was Gut und Böse ist - was man tun und was man lassen soll) nicht durch einen Gesetzgeber festgelegt. Im Gegenteil: Jeder Gesetzgeber (auch ein religiöser!) ist an das gebunden, was ihm die Wirklichkeit vorgibt. Das gilt sogar für Gott: Er legt nicht willkürlich fest, was er gerne bevorzugt, Gut ist vielmehr das, was Ihm und Seiner Schöpfung entspricht.
Moral ist in einem recht verstandenen Sinn kein übernommenes Wertesystem, sondern die Frucht von Erkenntnis, gesundem Menschenverstand und Rücksichtnahme. Eine gute christliche Moral besteht nicht aus einer freischwebenden Gebotesammlung, sondern aus der Erkenntnis, was es ist, das letztlich zum wahren Glück führt. Ein moralisch denkender Mensch versucht zunächst zu erkennen, wie die Wirklichkeit beschaffen ist und welche Handlungen dieser Wirklichkeit am ehesten gerecht werden. Dabei geht es darum herauszufinden, was gut ist, welcher Zustand gut ist, welcher Weg dorthin führt und welche Schritte dazu unternommen werden müssen.
Jeder Gesetzgeber - jeder Staat, jede Religion und sogar Gott - markieren mit den Geboten und Gesetzen also nur das, was schon zuvor Gut (also zu schützen) und Böse (also zu unterlassen) ist.
Nun führt unsere christliche Religion zu der Erkenntnis, dass jedes Glück des Menschen in seiner Beziehungsfähigkeit liegt. Glücklich wird letztlich nur der, der eine erfüllte Beziehung leben kann - und ihr treu bleibt. Alle anderen weltlichen Güter und Ziele (wie Geld, Einfluss, Macht, Gesundheit, Ehre, Ruhm, gutes Aussehen und Erfolg) sind dabei nicht automatisch böse (also schädlich für unsere Beziehungsfähigkeit), sondern können der Beziehung und unserer Beziehungsfähigkeit dienen. Sie sind also eventuell Mittel zur Erreichung unseres wahren Glücks - mal mehr, mal weniger. Das Glück selber aber liegt darin nicht.
Wenn Jesus zum Beispiel sagt: «Macht Euch Freunde mithilfe des ungerechten Mammons!» meint er, dass wir das Geld (das hier mit Mammon gemeint ist) nicht selbst zum Ziel machen dürfen. Geld ist nur ein Mittel, um andere Ziele zu erreichen. Wer es in diesem Sinne versteht und für die richtigen Ziele einsetzt, der tut nichts Unrechtes. - Das Gleiche gilt auch für die mir gegebene Macht, Klugheit, politischen oder sportlichen Erfolg, gutes Aussehen - und so weiter.
Jeder Sünde ist also eine Beziehungsverletzung oder -störung; schwere Sünden führen zum Beziehungsabbruch. Das ist der schlichte und einfacher und zugleich tiefste Grund einer jeden Moral. Nicht immer lassen sich Moralvorstellungen davon ableiten; manchmal muss man tief in die Psychologie oder die Geschichte einsteigen, um ein Gebot zu verstehen. Wenn sich aber herausstellt, dass eine Moral nicht mehr dem Glück des Menschen (also seiner Beziehungsfähigkeit) dient, dann hat sie ihre Berechtigung verloren.
Zu den grundlegenden philosophischen Überlegungen «gut ist das, was man tun soll» gehört also die christliche Konkretisierung: «Gut ist das, was dem Glück des Menschen dient. Das Glück des Menschen entspringt wiederum seiner Beziehungsfähigkeit.»
Da es in der Moral also nicht darum geht, Menschen durch Belohnung, Strafe, Gebot oder Verbot ein Verhalten anzuerziehen oder aufzuzwingen, sondern zu fragen, was gut ist, kann (und muss!) man über diese Erkenntnisse eifrig und gewissenhaft diskutieren. Moraltheologie ist also von ihrem Wesen her nicht das Ende einer Diskussion, sondern die geführte Diskussion. Eine moraltheologische Argumentation hat als Ziel nicht das Verbot einer Handlung, sondern die Erkenntnis, was angesichts der Wirklichkeit Glück fördert oder Leid verhindert.
Immer wieder schrecken Nachrichten über Datenschutzverletzungen die Gesellschaft: «Das iPhone sammelt Bewegungsdaten» - «Google Chrome weiß alles über Dein Surfverhalten» - «WhatsApp hört und liest ALLES mit» - «Millionen Datensätze bei Hackerangriff gestohlen» usw.
Auf die Frage, was denn daran so schlimm ist, wenn andere etwas - oder alles - über mich wissen, gibt es eine unehrliche und eine ehrliche Antwort. Habe ich denn etwas zu verbergen? Was ist denn so schlimm daran, wenn Apple anhand des iPhones weiß, wo ich mich aufhalte? Tue ich denn etwas Verbotenes, wenn ich im Internet browse?
«Nein, natürlich nicht», wäre die erste Antwort (die unehrliche). «Ich tue nichts Böses - aber es gibt eben die anderen Bösen, die mit meinen Daten Böses tun». Deshalb achte ich peinlich darauf, dass ich nicht zuviel von mir preisgebe. Aber - das ist, wenn überhaupt, nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit habe auch ich meine dunklen Seiten und möchte nicht, dass bekannt wird, welche peinlichen Dinge ich gedacht, gesagt oder getan habe. Jeder hat halt sein Recht auf Privatsphäre und «informelle Selbstbestimmung». Vor allem, was meine Peinlichkeiten angeht.
Ganz gegen diesen Trend steht nun die christliche Verheißung: Wir werden nach unserer Auferstehung alle einen «verklärten» Leib erhalten.
Das Wort «verklärt» kommt einem wie ein Fremdwort vor und meint scheinbar etwas völlig Unbestimmtes, das erst für das Jenseits gilt. Aber das stimmt nicht: «Verklärt» bedeutet - im theologischen Sinne - nichts anderes als «geklärt», bzw. klar, transparent und durchsichtig. (Nicht umsonst werden «Geister und Gespenster» gerne als durchsichtige oder nebelartige Gebilde dargestellt.)
«Verklärt» kann auch die Bedeutung von «geschönt» haben - wenn zum Beispiel Menschen die Vergangenheit «verklären». Eine schöne Nebenbedeutung: Unser «verklärter Leib» wird transparent - und genau darin liegt seine Schönheit begründet!
Der verklärte Leib ist aber nicht «durchsichtig» im Sinne von «optisch transparent». Dazu sollten wir uns einmal kurz vor Augen halten, wofür der Leib eigentlich gedacht ist.
Genau genommen interessiert uns der Leib (bzw. der Körper) eines anderen Menschen nämlich nicht an sich (obwohl wir uns manchmal gerade so verhalten, als gäbe es nur den Leib). Viel wichtiger ist uns die Seele des anderen Menschen - und das, was dort vor sich geht. Wir möchten gerne wissen, was der andere denkt, was er für mich empfindet und was ihn bewegt. Leider sind wir kaum in der Lage, die Seele eines Menschen direkt wahrzunehmen.
Dafür haben wir gottseidank den Leib. Er ist das Ausdrucksmedium der Seele. Wenn wir in das Gesicht eines Menschen schauen, erfahren wir so einiges über seine Seele und das, was gerade in ihr vorgeht. Aber nicht nur das Gesicht, der ganze Körper in seiner Haltung - sogar in seiner Kleidung oder seiner Ausgestaltung z. B. in Form der Frisur oder des Make-Up spricht zu uns. «Apropos Sprechen»: Ein ganz vornehmliches Ausdrucksmedium der Seele ist natürlich die Sprache (zwar auch ein leiblicher Vorgang, aber sehr transparent für die Seele).
Leider ist ein Medium in der Lage, immer zu gleich zu vermitteln (daher «medium» - «das Mittlere», das Vermittelnde) und auch zu verschleiern. Wir können anderen Menschen einen Blick in unsere Seele gestatten - oder sie irreführen. Wir können unseren Leib zum Ausdruck unserer Seele werden lassen - oder aber zur Schutzwand. Es kann heißen: «Schau mir in die Augen, den Spiegel meiner Seele!» - oder aber auch: «Was wirklich in mir vorgeht, geht dich nichts an!».
Einem anderen Menschen einen Blick in seine Seele zu gestatten, ist - Liebe. (In der Sprache der Bibel ist das Wort für die gegenseitige Hingabe in der Liebe das gleiche Wort wie für Erkennen). Liebe heißt, das, was ich gerade empfinde, mit jemanden teilen zu wollen; vor allem die wunderbaren Momente, die mich staunen machen. Wer liebt, möchte aber auch die Wut und die Trauer - ja sogar die Schuld - teilen, mitteilen.
Vermutlich ist das größte Unglück des Menschen die Art von Einsamkeit, in der man etwas teilen möchte - und niemanden hat, der sich dafür interessiert.
Um dieser größten Not zu entgehen, öffnen sich einsame Menschen sogar denen gegenüber, von denen sie wissen, dass das Interesse an ihrer Seele eher egoistischen Zwecken dient. «Besser, ausgenutzt werden, als vergessen.»
Und nun glauben wir Christen, dass wir einmal einen verklärten Leib geschenkt bekommen werden: Das vollkommene Ausdrucksmedium unserer Seele. Jeder, der uns dann sehen wird, wirft mittels dieses verklärten Leibes einen Blick in meine Seele. Wir sind im Himmel gläserne Menschen.
Das mag für einige meiner Leser gar nicht so verheißungsvoll klingen. Absolute Offenheit setzt absolutes Vertrauen voraus - und eben absolute Liebe. Die haben wir hier auf Erden allerdings noch nicht erfahren - häufig wird Vertrauen enttäuscht und Offenheit bestraft. Ich kann mir sogar vorstellen, dass die Zustimmung zu einem solchen Leib gleichbedeutend ist mit dem Eintreten-Wollen in den Himmel.
Zu Beginn dieser Katechesen habe ich ja die These aufgestellt, dass am Eingangstor des Himmels kein Buchhalter-Petrus steht, sondern Jesus. Verändern wir diesen Gedanken ein wenig: Diesmal sind es liebende Menschen, die uns in den Himmel einladen. Es darf jeder eintreten, der möchte - und die Einladenden bemühen sich nach Kräften, uns diese Entscheidung leicht zu machen. Der Eintritt ist frei, jeder darf hinein.
Wenn wir vorsichtig fragen, was denn «dadrinnen» ist, erhalten wir die freudige Antwort: «Gott. Und die absolute Klarheit. Nichts ist mehr verborgen, nichts ist mehr geheim. Du wirst absolut erkannt, absolut geliebt und bekommst einen seelen-klaren Leib!». Vielleicht vergewissern wir uns (wir haben ja alle Zeit der Welt) und fragen: «Wirklich alles? Auch meine dunkelsten Geheimnisse?». Worauf uns strahlend versichert wird: «Ja, alles! Du brauchst keine Angst zu haben!».
Ich kann mir schon bei mir selber vorstellen, dass mir da mulmig wird. Nun habe ich mich in meinem christlichen Leben zunehmend daran gewöhnt, Vergebung zu erhalten und Sünden einzugestehen. Vielleicht trete ich wirklich mutig ein.
Auf der anderen Seite ist es für mich durchaus vorstellbar, dass ein solcher Himmel auf Ablehnung stößt. «Dann bin ich da fehl am Platz, da will ich nicht hinein!»
Denn, wer es ablehnt, wirklich vollkommen erkannt und geliebt zu werden, der wird sich auch nicht in die Nähe eines liebenden, alles erkennenden und erleuchtenden Gottes trauen. Vielleicht, weil er der Liebe nicht traut. Vielleicht, weil er sich schämt. Oder weil er die dunklen Seiten der anderen nicht ertragen will (auch das gibt es: Der Abscheu vor den anderen Erlösten - «Wenn der im Himmel ist, will ich da nicht rein!»). Oder weil er Angst vor Bestrafung hat. Oder ...
Es gibt genug Gründe, das Konzept des «himmlisch-gläsernen Menschen» abzulehnen. Jeder einzelne Grund sollte uns unruhig machen und aufrufen, uns schon in diesem Leben in die «Transparenz» einzuüben.
In der Tradition der Kirche heißt es, dass es bei der Auferstehung der Toten einen neuen Leib für jeden Menschen gibt - für wirklich jeden, also auch für die, die dann diesen Leib dazu verwenden, Gott und den anderen Menschen aus dem Weg zu gehen. Der Leib der himmlischen Menschen wird - wie wir gerade gehört haben - «verklärt» sein; der Leib der anderen Menschen dagegen wird - so die Tradition - «nicht verklärt sein».
Das klingt vielleicht wie eine Bestrafung: «Ätsch, ihr bekommt nur einen Trash-Leib». Aber Gott ist nicht so, er handelt nicht aus rachsüchtigen oder nachtragenden Motiven. Jeder bekommt den Leib, den er sich wünscht. Und weil es - vielleicht; hoffentlich aber nicht! - Menschen gibt, die anderen und Gott keinen Einblick in ihre Seele geben wollen, ist der nicht-verklärte Leib genau das, was sie sich wünschen.
In manchen alten Darstellungen dieser «Leib-Zuteilung» (besser ist: «Auferstehung», «Jüngster Tag» oder «Das allgemeine Gericht») werden die nicht-verklärten Leiber hässlich geschildert (oder, z.B. von Hieronymus Bosch, hässlich gemalt).
Ich für meinen Teil stelle mir die nicht-verklärten Leiber nicht hässlich, sondern verschlossen vor; die verklärten Menschen dagegen als einladend-offen. Wer schon einmal in diesem Leben einem Menschen begegnet ist, der unverstellt, fröhlich und offenherzig war, hat vermutlich einen Vorgeschmack eines himmlischen Menschen erfahren. (Interessanterweise spielt bei solchen Menschen das körperliche Aussehen für deren überwältigende Sympathie fast gar keine Rolle).
Unser Leben hier ist also eine Einübung in die Wahrhaftigkeit - um des Himmels willen. Inzwischen ist hoffentlich deutlich geworden, dass Gott nicht als Machtdespot denen mit einem Verweis aus dem Paradies droht, die sich dummerweise nicht an das Gebot halten. Gott ist vielmehr derjenige, der das reinste Bemühen ist, uns zu einem Eintritt in den Himmel zu bewegen; das Gebot «Du sollst nicht lügen» ist also ein Gebot, das uns den Weg in den Himmel ebnen soll, weil Gott uns nirgendwo anders haben möchte.
Aber dieses «Ja» zum verklärten Leib ist nicht einfach. Es bedeutet eben nicht nur, «irgendwie ehrlich» zu sein, aufrichtig, ohne Hintergedanken und hinterhältige Absichten. Es bedeutet vor allem auch, die eigenen Fehler, Schwächen und Bosheiten nicht zu verleugnen.
Der beste Ort für das Einüben einer solchen Transparenz und Klarheit ist eine geschütze, gute Beziehung. Vielleicht die zu Gott (das wäre meine erste Wahl!), vielleicht die zu einem guten Freund (oder Freundin). Oder in der Ehe. Deshalb gibt es - wen wundert's - die Sexualmoral.
Die Moral, so haben wir gesagt, soll den Weg zu erfüllten Beziehungen markieren. Die Kirche ist aufgerufen, auf dem Weg zur Beziehungsfähigkeit zu helfen. Auch durch die Moral.
Aber: Darf die Kirche Liebesbeziehungen moralisch bewerten? Darf die Kirche (oder ein Papst, Bischof oder Priester) überhaupt eine Liebesbeziehung beurteilen und dann - zum Beispiel - einen Segen verweigern? Ist das nicht schon vermessen und übergriffig?
Nun: Die Kirche darf das zu Segnende nicht nur beurteilen, sie muss es sogar! Denn es gibt Dinge und Verhältnisse, die im Widerspruch zum Gedanken einer Segnung stehen. Beispiele?
Zum Beispiel kann die Kirche nicht Beziehungen segnen, in denen ein Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt wird. Sie kann keine Beziehungen segnen, in denen es an Freiwilligkeit mangelt; oder am nötigen Alter. Sie kann keine Gegenstände segnen, die nur zu in-sich-schlechten Zwecken hergestellt wurden (Pornohefte, Drogen oder Folterinstrumente).
Natürlich kann diese Beurteilung (die, ich betone es, immer notwendig ist) auch übergriffig sein. Vor allem dann, wenn nicht nur die allgemeine Beziehung angeschaut wird, sondern persönliche Verurteilungen gemacht werden. Oder dann, wenn der Segnende einfach nach eigenem Geschmack urteilt und Menschen abweist. Genauso übergriffig ist es übrigens, wenn er persönlichen Ansichten folgt, ungute Beziehungen zum Segen zulässt und klare Vorgaben ignoriert.
Die Vorstellung, Sexualität dürfe nicht außerhalb der Ehe praktiziert werden (die auch als Begründung für die Ablehnung homosexueller Beziehungen genannt wird), ist Gegenstand kontroverser Diskussionen.
Wer sich aber mit dem Kern der Sexualmoral beschäftigt, kommt (hoffentlich) zu der Erkenntnis, dass es sich bei der christlichen Sexualmoral eigentlich gar nicht um die Begrenzung von sexuellen Handlungen auf die Ehe handelt - sondern um die Erkenntnis, dass sexuelle Handlungen in ihrem Kern immer Ehe-begründend sind. Wer das tut, was eine Ehe begründet, gleichzeitig diese Wirkung aber ablehnt und ausschließt, entleert sowohl die Sexualität (als eine Sprache der Beziehung) als auch das, was mit Ehe gemeint ist.
Durch diese moralische Weisung wird nicht eine sexuelle Beziehung gebrandmarkt, sondern die Sprache der Sexualität bewahrt und in ihrer tiefsten Bedeutung und Wirkung bewahrt.
Nun ist aber auch die Erkenntnis, eine sexuelle Beziehung außerhalb der Ehe sei sündig, nicht schon ausreichend, um homosexuelle Beziehungen abzulehnen. Denn manche Homosexuelle wollen ja eine Ehe schließen und damit ihrer sexuellen Beziehung den Rahmen geben, in den gelebte Sexualität gehört. - Es muss also noch ein weiterer Begründungsschritt erfolgen: Nämlich die Antwort auf die Frage, warum denn gleichgeschlechtliche Partner keine Ehe schließen können. Warum, bitteschön, kann das Sakrament der Ehe ausschließlich von gemischt-geschlechtlichen Paaren gespendet werden?! Weil:
Mann und Frau bleiben einander immer fremd
Wie bitte? Die Aussicht, dass Mann und Frau einander immer fremd bleiben, klingt erst einmal nicht sehr verheißungsvoll.
Konsequent ist es schon: Wenn die Geschlechter nicht nur bloße biologische Gegebenheiten sind, die nur einen mittelbaren (oder vielleicht sogar gar keinen) Einfluss auf Charakter und Geist der Personen haben, können sich Mann und Frau beliebig angleichen. Eine gute Freundschaft würde sich nach genügend Zeit und Mühen in keiner Weise von einer zwischengeschlechtlichen Beziehung oder Ehe unterscheiden. Und wenn dann noch die praktizierte Sexualität in allen Beziehungen gleichermaßen üblich ist, gibt es nur noch einen graduellen Unterschied zwischen allen Beziehungen.
Wenn aber das Mann- und Frausein bis in das geistige Wesen der Person reicht - also bis in die immaterielle Seele - und dort eben als realer Unterschied vorliegt - so wie die Beschaffenheit eines Schmuckstückes aus Gold oder aus Silber besteht - dann mögen sich die verschieden-geschlechtlichen Partner einander ein Leben lang annähern - sie würden doch niemals gleich werden. So wie auch kein Gold durch die Hand des Juweliers zu Silber wird, mag er noch so geschickt sein.
In Wahrheit ist die Polarität der Geschlechter aber ein Geschenk, eine Verheißung, ein Schöpfungs-Clou Gottes: Mann und Frau bleiben ein Leben lang füreinander interessant, überraschend, immer neu und spannend. Da Mann- und Frausein nicht in den Eigenschaften der Personen besteht, sondern darin, wie diese Eigenschaften in die Beziehung eingefügt werden, bleiben beide immer aufeinander verwiesen und füreinander Geschenk.
Mann und Frau sollen in der Ehe füreinander Gotteserfahrungen sein. Aber eben nicht in der Liebe, die nur das liebt, was im anderen genauso ist wie ich selbst. Sondern erst, indem wir lieben, was wir selbst nicht sind, werden wir selbst Gott zunehmend ähnlich - und zugleich für den anderen zu einem Bild, das uns Gott nahe bringt, der mich liebt. Obwohl - oder weil? - ich nicht bin wie Gott.
Diese Erkenntnis: «Gott liebt mich, auch wenn ich nicht perfekt und vollkommen in meiner Gottesebenbildlichkeit bin!» ist nicht nur das Geheimnis einer jeden ehelichen Liebe. Sie ist Kern unserer Verkündigung und Geheimnis des Christlichen. Und sie kann Leben retten!
Man sagt, dass so mancher Ehepartner bei der Eheschließung die Hoffnung hegt, die manchmal störende Andersartigkeit des Partner schon «irgendwie zu beheben». Eine Hoffnung, die sich manchmal erst nach Jahren oder Jahrzehnten als unerfüllbar erweist. Aber das liegt nicht (allein) an der Unwilligkeit des Partners!
Wenn wir erkennen, dass das Wunderbare an der immerwährenden Unterschiedlichkeit von Mann und Frau deren Unüberwindlichkeit ist, lernen wir, im Ehepartner Gottes Geschenk zu sehen. Der Vorwurf: «Dass meine Frau mich immer noch nicht versteht, ist letztlich Dickköpfigkeit oder gar Böswilligkeit!» kann (ich gebe zu, manchmal mit einiger Überwindung) immer in diese Bewunderung überführt werden. Gebe es diese Nicht-Auflösbarkeit des Unterschiedes nicht, wäre jede Andersartigkeit des Partners nur vorübergehend und die Schuldzuweisung, es liege nur an mangelndem Willen, nicht weit.
Wenn Ehepartner sich immer an die grundlegende gleiche Würde, gleiche Ebenbildlichkeit und gleiche Schönheit im eigenen Sein wie auch im Sein des Ehepartners erinnern, wird die Hoffnung auf eine Angleichung der Personen der Freude am Andersbleiben Platz machen.
Man sagt, dass so mancher Ehepartner bei der Eheschließung die Hoffnung hegt, die manchmal störende Andersartigkeit des Partner schon «irgendwie zu beheben». Eine Hoffnung, die sich manchmal erst nach Jahren oder Jahrzehnten als unerfüllbar erweist. Aber das liegt nicht (allein) an der Unwilligkeit des Partners!
Wenn wir erkennen, dass das Wunderbare an der immerwährenden Unterschiedlichkeit von Mann und Frau deren Unüberwindlichkeit ist, lernen wir, im Ehepartner Gottes Geschenk zu sehen. Der Vorwurf: «Dass meine Frau mich immer noch nicht versteht, ist letztlich Dickköpfigkeit oder gar Böswilligkeit!» kann (ich gebe zu, manchmal mit einiger Überwindung) immer in diese Bewunderung überführt werden. Gebe es diese Nicht-Auflösbarkeit des Unterschiedes nicht, wäre jede Andersartigkeit des Partners nur vorübergehend und die Schuldzuweisung, es liege nur an mangelndem Willen, nicht weit.
Wenn Ehepartner sich immer an die grundlegende gleiche Würde, gleiche Ebenbildlichkeit und gleiche Schönheit im eigenen Sein wie auch im Sein des Ehepartners erinnern, wird die Hoffnung auf eine Angleichung der Personen der Freude am Andersbleiben Platz machen.
In einer gleichgeschlechtlichen Beziehung ist es nicht selten, dass die beiden Partner ihre Unterschiedlichkeit wie durch ein Ausfüllen bestimmter Rollen aufrechterhalten. Das kann anstrengend sein - und führt vor allem dann zu Enttäuschungen, wenn diese Rollen irgendwann nicht mehr aufrecht erhalten werden. In einer heterosexuellen Beziehung braucht keiner der Partner Angst zu haben, dass die Differenz zwischen beiden Partnern irgendwann verschwindet. Es gibt keinen Grund, die Unterschiedlichkeit zu schauspielern, zu betonen oder an ihr festzuhalten. Ganz im Gegenteil: Beide dürfen sich einander beliebig angleichen und sich auch darüber freuen, weil sie wissen, dass ihre eigene Unverzichtbarkeit nicht durch ihre (Charakter-) Eigenschaften garantiert werden, sondern durch die Andersartigkeit ihrer Seele.
"Sex", so sagt man, ist die Kurzform des Wortes "Sexualität". Sagt man. Allerdings ist das Wort "Sex" nicht nur kürzer, sondern verkürzt ist auch das, was damit gemeint ist: Während "Sex" meistens nur den Geschlechtsverkehr meint, ist "Sexualität" ein viel umfassenderer Begriff, beginnt mit dem ersten Augenkontakt, dem "Knistern" zwischen zwei Menschen, geht über Zärtlichkeiten wie Umarmungen, Küsse und körperliche Nähe, beschreibt aber auch das geistige und psychische Spannungsfeld zwischen den Geschlechtern - und endet noch lange nicht bei dem, was allgemein als "Höhepunkt" bezeichnet wird.
Alles das ist "Sex" - bzw. Sexualität: Das sieht auch unser Rechtssystem so. Immerhin kann auch schon eine unanständige Berührung oder ein aufgezwungener Kuss den Straftatbestand der "sexuellen Belästigung" und auch des "sexuellen Missbrauchs" erfüllen. Weil Sex eben nicht nur eine bestimmte Handlung ist. Sex ist eine Sprache.
Unser Körper, so wissen Kommunikationsforscher schon seit langem, spricht seine eigene Sprache. Ja, man kann vielleicht sogar sagen, dass unser Körper selbst seine höchste Bedeutung bekommt als Ausdrucksmittel der Seele, sozusagen als dessen "äußere Seite". Das kennen wir aus fast jeder Alltagssituation: Schon lange, bevor uns der Freund gesagt hat, dass er ein Problem hat, haben wir es ihm schon angesehen; sein Körper hat ihn verraten. Oder: Da mag uns Opa noch so oft beteuern, dass es ihm blendend gehe - wir sehen ihm an, dass eher das Gegenteil zutrifft.
Unser Körper spricht eine Sprache; das heißt, sie besteht aus Zeichen und Symbolen, die wir zum Teil ganz intuitiv können - und zum Teil erst lernen müssen. Es gibt in fremden Ländern "fremde Sprachen" auch für unseren Körper; das wird jeder einmal erfahren, der versucht in China einen Vertrag per "Handschlag" zu schließen (probier das lieber nicht aus). Unser Körper spricht eine Sprache, das heißt auch, dass wir damit lügen können: Wir können so tun "als ob". Ein gut geschulter Verkäufer wird genauso wie ein echter Schauspieler nicht nur seinen Text beherrschen, sondern auch seinen Körper. Beides, das gesprochene Wort und der Körperausdruck muss zu dem passen, was als Gefühl gerade ausgedrückt werden soll. Ansonsten ist man entweder ein schlechter Schauspieler oder ein ehrlicher Verkäufer.
Sexualität ist die Sprache, die äußere Form der Liebe; genauso wie das gesprochene Wort. Wir wollen nicht nur sagen: «Ich mag Dich», sondern es auch zeigen. Nicht nur im sexuellen Bereich empfinden wir das gesprochene Wort ohne den dazugehörigen körperlichen Ausdruck als "arm" und "ungenügend". Aber gerade im Bereich der Beziehungen, wo Sympathie und Zuneigung, Liebe und Leidenschaft eine Intensität erreichen, dass sie sich kaum noch in Worte fassen lassen, brauchen wir etwas, das über bloße "Wortklaubereien" hinausgeht: Unseren Körper. Er spricht immer noch die ehrlichste, unmittelbarste und intensivste Sprache. Probiert es doch einmal aus: Wie leicht fällt es (auch vor anderen), jemandem zu sagen: «Ich finde Dich überragend!» - und wie schwer fällt es, uns vor einem anderen zu verneigen oder sogar zu knien - vor allem, wenn andere zuschauen. Das liegt daran, weil Worte leicht gemacht sind ("words are cheap"); der Körper aber meint fast immer, was er zeigt.
«Sex ist eine Sprache... Sex ist eine Sprache? Also, bloß ein Medium?» - Tatsächlich ist Sex kein Selbstzweck. Es dürfte für jeden Menschen eine derbe Ernüchterung sein, wenn nach einer "wunderbaren Nacht" der Partner sagt: «Es war sehr schön mit Dir. Das, was wir getan haben, war total klasse; Du selbst bist mir allerdings ziemlich egal.» Nein, Sex (im umfassenden Sinne, nicht nur der Geschlechtsverkehr) verkümmert vollkommen, wenn «er praktiziert wird, um ihn zu praktizieren». Sex wird erst dann zu einem Erlebnis, einem Ereignis, das Leben verändern und Leben stiften kann, wenn er eine Sprache ist, die nur einem einzigen Zweck dient: Liebe auszudrücken. Die Liebe aber, die durch Deinen Körper ausgedrückt wird, dient keinem Zweck - die Liebe ist sich selbst genug.
Die Sexualmoral der Kirche hat das Ziel, die Sexualität, die ja eine Sprache ist, zu schützen. Nicht, weil sie sich zu einer selbst ernannten «Sprach-Reinerhaltung-Behörde» aufschwingt, sondern weil sie (im Namen Gottes) Dich liebt. Und dein Glück möchte. Das allein in deinen erfüllten und dauerhaften Beziehungen liegt. Die allein durch deine Beziehungsfähigkeit bewahrt und erhalten bleiben können.
Eine sinnentleerte Sprache nimmt der Sexualität nicht nur ihre ureigenste Funktionen, Sprache der Liebe zu sein. Meiner Meinung nach ist es sogar noch schlimmer: Wenn Du nichts mehr zu "sagen" hast, wenn Du ein einmaliges Gefühl nicht mehr ausdrücken kannst, wirst Du stumm. Liebe gibt es allerdings nur, wenn sie mitgeteilt wird. Ausdrucksunfähige Menschen sind beziehungsunfähige Menschen. Beziehung ist ihrem Wesen nach Mitteilung und Ausdruck. Eine nicht mehr ausdrückbare Beziehung ist keine Beziehung.
Hüte also Deine Sprache, sie ist zu wertvoll! Oder, um mit der Kirche im Klartext zu reden: Pass auf Deine Sexualität auf, sie ist Gottes geniale Gabe. Mach sie nicht kaputt.
Die Kirche ist wie ein Arzt: Er ist zunächst nicht den Wünschen des Patienten verpflichtet, sondern zu allererst dessen Gesundheit. Ist denn ein Arzt ein Menschenfeind, weil er einigen Menschen eine Diät verschreibt?
Die Sakramente der katholischen Kirche sind nicht nur Heilszeichen, sondern sie vermitteln und bewirken das Heil. Natürlich liefern die Sakramente das Heil nicht wie ein Automat, bei dem man einfach nur die richtigen Knöpfe drücken muss. Das Bemühen des Menschen ergänzt die Wirkung der Sakramente, im Zusammenwirken von Mensch und Gott gewinnen wir das ewige Heil.
Hm ... Heil? Ewiges Heil? Wahrscheinlich ist dieser seltsame Begriff und die Tatsache, dass viele sich darunter nichts mehr vorstellen können, der Grund dafür, dass sowohl die Sakramente, aber auch die Religion insgesamt überflüssig erscheinen. «Heil? Ewiges Heil? Brauch' ich nicht ...» - Dabei ist dieser Begriff leicht zu übersetzen, wie wir inzwischen gelernt habe: «Heil» meint nämlich nichts anderes als die wunderbare, von Liebe erfüllte Beziehung zu Gott und all seinen Geschöpfen. Weil wir nicht mehr wirklich «heil» sind, fallen uns die Beziehungen nicht nur zu Gott, sondern auch zu den Menschen in dieser Welt so schwer und misslingen immer häufiger. Dabei sehnen wir uns alle danach: Ganz und gar zu lieben und geliebt zu werden.
Das Tauf- und Firmsakrament lässt sich wunderbar mit dem Beziehungsgeschehen zwischen den Menschen verbinden. Das ist vor allem hilfreich in der Firmkatechese, da die Firmung meistens in einem Alter gespendet wird, in dem die Frage nach Freundschaft, Liebe und Beziehungsfähigkeit für den Jugendlichen zu einem alles andere überragende Thema wird. Denn wenn die Firmung für den Glauben eine wichtige Rolle spielt, dann auch für die Liebe. Für die Liebe zu Gott - und für jede Liebesbeziehung zwischen den Menschen.
Um es kurz zu machen: Taufe ist der Beginn deiner Liebesbeziehung mit Gott. Da die meisten Menschen in unserer Gegend allerdings schon als kleine Kinder, ja sogar als Säuglinge getauft werden, ist das natürlich erst einmal eine sehr einseitige Beziehung: Gott nimmt den Menschen als sein Kind an und verspricht ihm Seine Liebe. Für immer und ewig.
Und Gott hält sich daran. Vor allem garantiert Gott, dass es eine wahre und gute Liebe ist - also keine Einengung, keine Bevormundung. Gott ist geduldig; aber gleichzeitig hoch aktiv, weil er um die Liebe des Menschen wirbt. Nicht, wie die Werbung, die uns manipulieren will. Sondern wie Romeo um Julia wirbt.
Die Zeit zwischen Taufe und Firmung ist zunächst die «Kuschelzeit», die dann irgendwann (hoffentlich!) in eine erste Verliebtheit übergeht. Verliebte Menschen sind fasziniert, lassen sich schnell begeistern. «Er hat mich gesehen und angeschaut und gelächelt! Er mag mich!» - Verliebte sind aber auch ruckzuck voller Zweifel: «Vielleicht mag sie mich doch nicht? Vielleicht hat sie nur aus Mitleid gelächelt? O mein Gott...!» - Verliebtheit ist deshalb nicht für die Öffentlichkeit bestimmt; zumindest nicht, wenn sie noch neu und voller Fragen ist.
Die Zeit der Verliebtheit ist eine Zeit der Krisen, der rosa Brillen und der Schmetterlinge im Bauch. So ist es auch im Glauben. Für Kinder, die aus der «Kuschelzeit» mit Gott in die Zeit der Verliebtheit übergehen, ist Gott plötzlich sehr spannend; er ist manchmal der beste Freund (und oft auch die beste Freundin), dann ist er an allem Schuld, und kurz drauf ist er die letzte Hoffnung bei der Mathearbeit.
Aber eines ist klar: Verliebtheit und Liebe - das sind noch zwei verschiedene Dinge.
Das Kind wird in dieser Zeit Gott näher kennen lernen. Durch Gottes Handeln selber, aber auch durch den Glauben der Eltern - oder der Großeltern; durch die Kirche, Freunde und Vereine. Auch, wenn der Getaufte sich später selbst für oder gegen Gott entscheiden soll, ist ein Kind am Anfang natürlich noch nicht in der Lage, zu allem «Nein» zu sagen. Es vertraut ja den Eltern und den Menschen, dass es sich lohnt, Gott besser kennen zu lernen.
Manche denken allerdings: Wer ein Kind tauft, das doch noch gar nicht selbst entscheiden kann, nimmt dem Kind die Freiheit. Es wird in einen Glauben hineingeboren und kann sich dann gar nicht mehr für etwas anderes entscheiden.
Das stimmt nicht. Ich kenne viele Jugendliche, die sich schon mit 12, 13 oder 14 Jahren ganz klar von dem distanzieren, was ihnen einfach so vorgesetzt (und auch vorgelebt) wurde. Für einige Eltern ein echtes Problem.
Manche Jugendliche geben ihren Glauben auf - das beste Zeichen dafür, dass die Taufe keine Aufhebung der Freiheit ist!
Es ist tatsächlich eine Illusion zu glauben, wer nicht in einer Religion aufwächst, wäre freier in seiner Entscheidung. Das wäre so, als wenn Eltern ihrem eigenen Kind keine Liebe schenken wollen, weil es später selber einmal entscheiden soll, ob (und wen) es lieben will.
Vielmehr ist es so,: Gott schenkt dem Kind, das heranwächst, immer mehr die Freiheit, «Ja» oder «Nein» zu einer Beziehung mit Ihm zu sagen. Je älter das Kind wird, umso freier wird es. Weil es nun Gott besser einschätzen kann. Aber auch, weil es vernünftiger geworden ist. Selbstbewusster. Und reifer.
Das geschieht nicht mit allen Menschen; Selbstbewusstsein und Reife ist ein Geschenk. Ich bin sicher, dass unser Glaube hilft, selbstbewusster, vernünftiger und freier zu werden. Auch, wenn du die Freiheit dann nutzt und dich vom Glauben abwendest.
Verliebtheit - das ist noch nicht das Gleiche wie Liebe. Es ist ein spannender Weg, bis aus den ersten verliebten Blicken Liebe wird.
Der wichtigste Schritt ist natürlich der, dass die beiden, die sich immer verstohlen verliebt angeschaut haben, irgendwann einander so vertrauen, dass sie sich gegenseitig gestehen, sich verliebt zu haben.
Das ist aufregend! Was wird der (oder die) andere wohl sagen? Mich auslachen? Oder Bedenkzeit erbitten? - Selbst wenn ich weiß, dass der eine auf den anderen wartet, fällt es dennoch sehr schwer, diesen Schritt zu tun.
Wo Worte schwer fallen, helfen Gesten. Zeichen der Liebe. Zärtlichkeiten. Alles das sind kleine Anfragen an den anderen. Und auch Antworten auf dessen Zuwendungen.
So ist es auch im Glauben, so ist es auch bei Gott. Es gibt diese Zeit des Kennenlernens, des gegenseitigen Beobachtens; es gibt die ersten Zärtlichkeiten und Zeichen - Beten, Hände falten, Kniebeugen - aber auch Gedanken, Bitten, Dank und Fragen an Gott. Und wir warten oft ganz gespannt, ob Gott antwortet. Ebenfalls in den Gedanken, in kleinen Liebesbeweisen, erhörten Bitten oder wunderschönen Erlebnissen.
Aber irgendwann reicht es nicht mehr, sich einander anzunähern. Irgendwann - wie in jeder menschlichen Liebesbeziehung - kommt der Wunsch auf, dem anderen zu sagen: Ich habe dich lieb. Ich mag dich.
Dieser Moment kommt auch für den Glauben - aber dieser Augenblick ist noch nicht die Firmung.
Im Film «Ghost - Nachrichten für Sam» antwortet Sam auf die Frage seiner Frau, ob er sie liebt, immer nur mit «Dito!». Seine Frau leidet darunter - nicht, weil sie an seiner Liebe zweifelt. Aber es tut gut, die erste Liebeserklärung immer wieder neu zu hören - und es tut gut, sie immer wieder neu zu geben. «Ich liebe dich ...!» - «Ich liebe dich auch.»
Dieser Moment ist im Glauben die Tauferneuerung. Irgendwann in meiner wachsenden Beziehung zu Gott war ich nicht mehr das Kind, das die Eltern nachahmt. Irgendwann bin ich überwiegend aus eigenem Antrieb zu Gott gegangen. Es ist nicht wichtig, wann das war und ob ich mich daran erinnern kann. Wichtig ist: Jetzt schließe ich selbst offiziell Freundschaft mit Gott - nachdem das damals die Eltern und Paten in meinem Namen getan haben. Ich setze mich selbst mit Gott in Verbindung; ich spreche nun selbst die Worte, die damals andere für mich gesprochen haben.
Manchmal feiern wir eigene Gottesdienste zur Tauferneuerung. Aber im Grund ist jeder Gottesdienst eine Erneuerung der Liebesbeziehung. «Ich liebe dich» sagt Gott; und mit Deinem Leben - und manchmal auch mit Deinen Worten - antwortest Du: «Ich liebe dich auch».
Jedesmal, wenn wir beten; wenn wir zur Kommunion gehen; wenn wir beichten; wenn wir ein Kreuzzeichen machen - und vielleicht auch ganz oft, ohne dass wir es merken -, wiederholen wir den Moment, in dem Gott und Mensch sich zueinander bekannten.
Deshalb wird vor der Firmung das Taufversprechen erneuert. Die Firmung ist also auch eine Tauferneuerung. So wie jedes Sakrament.
Aber sie ist noch mehr: Sie ist der nächste Schritt in Richtung Liebe.
Auf der Tafel in der Schule steht in großen Buchstaben «Timo & Sarah» - und darum ist ein riesiges Herz gemalt. Natürlich ist die Tafel am Ende der Pause noch zugeklappt, damit Timo und Sarah davon nichts wissen. Sie würden sonst alles sofort wegwischen. Aber nun öffnet der Lehrer die Tafel im Unterricht, und Timo und Sarah sind machtlos. Alle lachen, und die beiden laufen knallrot an. Aber dann passiert, womit keiner gerechnet hat: Timo steht auf und sagt - immer noch mit knallrotem Kopf: «Warum lacht ihr? Ja, es stimmt. Ich bin in Sarah verliebt!» Wortlos erhebt sich auch Sarah - und strahlt. Das hat keiner erwartet - und damit haben Timo und Sarah auch sich selbst überrascht. So viel Mut!
Jede Liebesbeziehung hat ihre intime, ganz persönliche Phase. Da darf es noch keiner wissen, was sich entwickelt - und wenn doch, dann ist es peinlich. Eine Liebe, die sich noch vergewissern muss, darf nicht auf die Bühne ins Scheinwerferlicht gezerrt werden.
Aber irgendwann wächst die Liebe - und dann soll es jeder wissen. Dann willst du zeigen, dass du verliebt bist. Und zwar nicht in irgendwen - sondern genau in diese Person. Verliebte in dieser «Phase» stehen zu einander, stehen füreinander ein, stehen auch offen und öffentlich zusammen für andere ein. Das ist der eine Teil der Firmung: «Firmung (Part 1)».
Nach der «Kuschelzeit» mit Gott - der Zeit, in der du Gott kennenlernst und ihr Euch an einander gewöhnt, nach der Zeit der «Verliebtheit», in der Zweifel und Liebe einander ständig ablösen, kommt mit der Firmung der Schritt in die Öffentlichkeit. Aber das ist keine Sache nur für einen Augenblick. Du kannst nicht kurz - beim Firmgottesdienst zum Beispiel - öffentlich sagen: «Ja, das ist mein Glaube! Dazu stehe ich!» und dann sofort wieder in Deckung gehen.
Sondern jetzt beginnt die wunderbare Zeit, allen zu zeigen, an wen du glaubst. Sich beim Beten nicht zu verstecken; die Teilnahme am Gottesdienst nicht zu verheimlichen oder sich durch Scham davon abhalten zu lassen; beim allgemeinen «Kirchen-Bashing» Flagge zu zeigen, vielleicht sogar bei McDonalds vorm Essen zu beten (was gerade dort besonders sinnvoll sein kann) - das ist das abenteuerliche Leben als Gefirmter.
Bist du dazu bereit? Ist deine Liebe groß genug, es zu wagen? Willst du es versuchen?
Wenn ja - dann gibt es eine gute Nachricht. Es gibt Geschenke.
«Ach, du lässt Dich nicht firmen? Dann kriegst du ja gar keine Geschenke! Also, ich möchte darauf nicht verzichten!» - Genau. So soll es sein!
Sich nur wegen der Geschenke firmen zu lassen, ist verpönt. Hör nicht drauf - es gibt eigentlich gar keinen anderen Grund für die Teilnahme an der Firmung. Alle sollten sich wegen der Geschenke firmen lassen.Natürlich sollten deine Ansprüche nicht zu gering sein. Wer lediglich auf kleinere Geschenke - wie zum Beispiel ein bisschen Geld, einen Gutschein für einen langgehegten Wunsch oder ein paar elektronische Geräte - hofft, der verkauft sich unter Preis.
Nein, wenn schon, dann solltest du für eine Liebe, dein Leben und deinen Glauben mehr erwarten. Und tatsächlich gibt es in der Firmung unbezahlbare Gratis-Gaben.
Wenn «Firmung (Part 1)» bedeutet, dass du jetzt zu deinem Glauben stehst, dann ist das nur ein Aspekt deiner Beziehung zu Gott. Dafür brauchst du nicht zur Firmung kommen. Das kannst Du auch auf facebook posten: «Hi! Ab heute stehe ich dazu: Ich bin katholisch und lasse ab nun auf meinen Glauben nichts mehr kommen.» Dazu braucht man keine Kirche, keinen Bischof und keine Firmung.
Aber dafür gibt es auch keine Geschenke. Im Firmgottesdienst jedoch wirst du «gesalbt mit dem Heiligen Geist» - und er schenkt dir direkt sieben Seiner besten Support-Leistungen - damit du Deine Beziehung zu Gott auch in der Öffentlichkeit lebst. Damit du also in deiner Beziehungsfähigkeit wächst.
Das, was Timo und Sarah geschafft haben, ist ein Geschenk als Belohnung für ihren Mut. Gott gibt seine Gnade nicht als Belohnung für ein mutiges Bekenntnis zu Ihm, sondern er schenkt dir die nötigen Gaben, damit dir anschließend eine Beziehung zum Ihm gelingt. Er macht dich «beziehungsfähig» - in jeder Hinsicht. Er hilft dir in deiner Liebe, damit du diese nicht mehr verstecken willst. Diese Geschenke nennen wir «die sieben Gaben des heiligen Geistes» - und sie sind vollkommen gratis. Und sie werden dir geschenkt, noch bevor die Zeit kommt, in der deine Beziehung zu Gott auf die Probe gestellt wird. Ein nicht mehr zu überbietendes Geschenk - ohne Vorleistung. Im Voraus. Das ist «Firmung (Part 2)»: Dass du Gottes Beistand zugesagt bekommst für die Zeit deiner «veröffentlichten Liebe».
Also, wenn Firmung, dann vor allem wegen dieser Geschenke!
In manchen Firmkursen wird die Wirkung des Heiligen Geistes mit «Begeisterung» umschrieben. Aber Begeisterung muss nicht laut sein - gerade zwischen zwei Liebenden kann die gegenseitige Begeisterung für einander auch tief und still sein.
Mir gefällt zum Beispiel die Schlussszene im Film «Notting Hill» ungemein gut: Während die Reporter sich vor Begeisterung die Seele aus dem Leib fotografieren, stehen die beiden Verliebten absolut still - und schauen sich nur an. Was für eine Begeisterung kann in ruhigen Blicken liegen!
Die Wirkung des Heiligen Geistes mit (lautstarker) Begeisterung gleichzusetzen, würde der Genialität des Geistes Gottes nicht gerecht werden. Die Gabe des Geistes ist vielmehr die «Heiligkeit» - und «Heiligkeit» ist letztlich nichts anders als unsere Fähigkeit zu einer erfüllten Beziehung. «Beziehungsfähigkeit» (also: «Heiligkeit») ist aber eine Gabe, die nicht nur auf die Gottesbeziehung beschränkt bleiben kann - sondern dich in jeder möglichen Beziehung fähiger macht. Darin liegt das Glück des Menschen begründet. Selbst die Menschen, die scheinbar nur nach Geld, Macht und Besitz streben, glauben, dadurch attraktiver zu werden - und in ihren Beziehungen glücklicher. Diesen Umweg haben wir Christen nicht nötig: Gott schenkt uns unmittelbar, was wir zu unserem Glück brauchen. Seinen Geist der Heiligkeit.
Nun gibt es unterschiedliche Mängel und Defizite, die unsere Beziehungen (auch unsere Beziehung zu Gott) gefährden. Deshalb hat die Kirche immer schon mehrere Gaben unterschieden, die dem entgegenwirken - genauer: sieben Gaben. Mindestens sieben, sollte man hinzufügen.
Der Geist als göttlicher Homöopath will uns heilen, damit wir in das göttliche Liebesgeschehen hineingenommen werden können. Die Gabe des Heiligen Geistes ist zunächst nur eine: Er befähigt den Menschen, seine eigene Geistigkeit als Gottes höchste Gabe anzuerkennen und als geistiger Mensch zu leben; wieder frei zu werden und «Ja» zu sagen. Das kann aber verschiedene Konsequenzen haben:
Klug handeln, klar erkennen, verantwortungsvoll entscheiden - das sind keine Einschränkungen der Liebe und unserer Beziehungen, sondern deren Voraussetzungen. Nur wer bei klarem Verstand ist, kann auch wirklich und wahrhaftig lieben. Das heißt nicht, dass wir nun nur aus kühler Berechnung Beziehungen knüpfen; sondern dass wir auch den Verstand in den Dienst der Liebe stellen.
Viele Menschen leiden in ihrer Beziehungsunfähigkeit daran, dass sie aufgrund ihrer ständig wechselnden Emotionen keinen Grund zur Treue sehen. Was ihnen fehlt, will Gott uns in der Firmung schenken: Die Freude, auch unsere Gedanken und unseren Verstand in unsere Liebesentscheidungen einzubeziehen.
Großväter spielen in Kinderfilmen die gleiche Rolle wie die erfahrenen Richter in Gerichtsfilmen: Sie sind lebenserfahren, ehrlich, unbestechlich - und weise. Sie wissen Bescheid: Nicht etwa, weil sie klüger als andere sind, sondern weil sie sich in die Lage des anderen hineinversetzen können und in ihrem langen Leben schon einige Erfahrungen in solchen Lebenslagen gewonnen haben. Weisheit ist eine Eigenschaft, die viele Beziehungen retten könnte. Mancher gewinnt sie auf hartem Wege durch - mitunter leider auch schmerzliche - Erfahrungen. Besser wäre es, als junger Mensch an der Weisheit der Alten teilhaben zu können. Oder, noch besser: An der Weisheit Gottes. Wenn einer weiß, was im anderen vorgeht, dann Er.
Es ist interessant, dass selbst die größten Nobelpreisträger in ihrem Leben nicht unbedingt die erfolgreichsten, geschweige denn glücklichsten Menschen sind. Und selbst in offensichtlich böswilligen politischen Systemen sind es manchmal sogar zuletzt die Wissenschaftler, die verstehen, dass sie Handlanger des Bösen waren. Dann ist guter Rat teuer.
«Rat» ist nicht nur Weisheit, Verstand und Wissenschaft zusammen. «Rat» ist das Wissen um das, was zu tun ist. Der Entschluss, das Gute zu lieben und das Böse zu meiden, gut und richtig - theoretisch. In der Praxis ist es jedoch nicht immer leicht, den rechten Weg vom Weg des Unheils zu unterscheiden. Darf ich in bestimmten Situationen lügen? In großer Not einer Abtreibung zustimmen? Muss ich ein Geheimnis bewahren, selbst wenn es andere ins Unglück stürzt? Soll ich meinen Freunden gegenüber solidarisch sein - oder ihren Drogenkonsum anzeigen?
Viele Fragen stellen sich, deren Antwort gelegentlich schwer fällt - aber an denen nicht selten das Gelingen oder Misslingen meiner Beziehungen hängt. In solchen Situationen sehnt sich auch der Intelligenteste nach einem guten Berater, um den rechten Weg vom falschen zu unterscheiden. Der beste Berater ist Gott selbst - und seine diplomatische Vertretung in meinem eigenen Gewissen ist der Heilige Geist.
Es gibt nicht nur die Gabe, die richtige Vorgehensweise zu erkennen, sondern auch den Mut zu haben, das Richtige zu tun (oder auch das Falsche zu lassen - was oft noch viel schwerer ist). Stark zu sein heißt, konsequent in Freundschaft mit Gott, dem Nächsten und seiner eigenen Natur zu leben. Der Geist des Menschen hat zunächst die Möglichkeit, das Gute als erstrebenswert zu erkennen. Der vom Heiligen Geist geheilte menschliche Geist hat außerdem auch die Fähigkeit, das Gute gegen alle Widerstände auch zu ergreifen. Jede Liebesbeziehung braucht gelegentlich Heldenmut; ganz besonders in den ganz kleinen und einfachen Gesten. Gut, dass es Gott gibt, der ein Meister der kleinen und großen Taten ist.
Erkenntnis ist die schlichte Gabe, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Natürlich hat jeder seine eigene Brille auf, die ihm vor allem das zeigt, was er gerne hätte. Der Materialist z. B. sieht überall Hinweise auf rein natürliche Erklärungsmechanismen, der Wirtschaftswissenschaftler findet immer wieder volkswirtschaftliche Kräfte am Werk, der Wundergläubige erkennt in allem Unerklärliches. Was aber ist wirklich? - Die Fähigkeit, auch dann die Wirklichkeit zu akzeptieren, zu ihr Ja zu sagen, wenn sie nicht meinen Wünschen entspricht - in Freundschaft mit der Realität zu leben - ist eine Gabe des Geistes. Der Verliebte sieht in einer scheinbar gewöhnlichen Person das Unwiderstehliche, Einmalige und Großartige - wie Gott.
«Frömmigkeit» klingt heutzutage nicht gut - es riecht nach Weihrauch und alten Gebetbüchern, wenn von Frömmigkeit die Rede ist. In jeder Liebesbeziehung bedarf es aber genau dieser Fähigkeit, der Liebe Ausdruck zu verleihen - mit großen Gesten, poetischen Worten und der Treue im Kleinen. Frömmigkeit ist mehr als nur eine romantische Ader zu haben: um wie Romeo unter dem Balkon von Julia Liebeslieder zu singen, bedarf es auch des Mutes, einer Begabung zum Sologesang und einer gewissen Textsicherheit. Frömmigkeit ist die Zusammenfassung all unserer individuellen Fähigkeiten, um sie - indem wir unsere Liebe ausdrücken - in den größten Dienst zu stellen.
Frömmigkeit bedeutet also nicht, besonders viele Kniebeugen zu machen oder lateinische Gebete aufsagen zu können, sondern Gott zu lieben, wie er ist - und es Ihm auf die schönste und beste Art und Weise zu zeigen, die Dir möglich ist.
Mit Furcht (Gottesfurcht) ist nicht etwa Angst gemeint - Furcht ist das alte deutsche Wort für Respekt und Anerkennung. Dazu gehört selbstverständlich der Respekt vor dem Geliebten - aber eben auch die Anerkennung, dass ich, wenn ich geliebt werde, diese Liebe nicht verdient habe und nicht einklagen kann. «Ehrfurcht» vor der Liebe des Anderen ist aber nicht ein ständiges Zittern um dessen Gunst, sondern eine permanente Freude über das ungeschuldete Geschenk seiner Liebe. Eine echte Liebesbeziehung «hat» man also nicht irgendwann; eine wahre Liebe respektiert die Freiheit aller in dieser Beziehung - auch die Freiheit für Überraschungen.
Überraschungen? Ja: Zur Gottesfurcht gehört nämlich auch die Einsicht, nicht selbst Gott zu sein und Gott niemals ganz zu verstehen. Anzuerkennen, dass wir Geschöpfe sind und eben keine Götter, ist der Anfang der Freundschaft mit sich selbst. Die eigenen Grenzen anzunehmen und Gott als Gott anzuerkennen - das ist wahre Liebe und Bejahung der eigenen Existenz. Nur so kannst Du als Mensch auch dem anderen in Liebe begegnen: Weil du weißt, dass du Fehler hast, kannst du verzeihen und um Verzeihung bitten. Letztlich kommt alles seelische Leid - alle Sünde - aus der Unzufriedenheit des Menschen, nicht Gott zu sein - und sich an seine Stelle zu setzen.
Das Sakrament der Firmung gibt dir einen entscheidenden Kick, nun fähig zu einer «veröffentlichten Liebe» zu sein. Zu deiner Liebe zu stehen und sie nicht mehr zu verstecken, ist aber noch längst nicht alles, was zu einer geglückten Liebesbeziehung gehört.
Deshalb gehört die Firmung - wie die Taufe - zu den sogenannten «Initiationssakramenten»; also zu den Sakramenten, die Dich in ein neues Leben einführen. Aber selbstverständlich ist das Leben selbst noch viel mehr.
Das Zweite Vatikanische Konzil (eine wichtige Versammlung aller Bischöfe der ganzen Welt) hat etwas ganz wichtiges über die Eucharistie gesagt. Nämlich, dass die Feier der Hl. Messe für uns Christen «Quelle und Höhepunkt» unseres Glaubens ist. Tatsächlich ist die Taufe und die Firmung wie ein Eintrittsbereich in den Glauben, in dem wir mit Gott (wie zwei Verliebte oder gar Liebende) zueinander finden und eins werden.
In der Eucharistie wird uns dieses Eins-Sein aber nicht nur «ein für allemal» geschenkt, sondern immer wieder neu aktualisiert. Wenn die Sakramente die Annahme der Erlösung sind, dann wird uns die Erlösung in ihrem vollem Umfang in jeder Eucharistiefeier geschenkt.
Bedenke dabei immer: «Die Erlösung» ist eigentlich keine Sache, sondern die Zuwendung Gottes. Oder, noch schöner: Gott selbst. Die Kommunion in der Messfeier ist also deshalb der persönliche Höhepunkt, weil dabei Erlösung geschieht: Gott und Mensch werden eins. Es wird also keine Sache, die wir Erlösung nennen, geschenkt oder vermittelt. Der Mensch kommt in jeder Messfeier an das Ziel seiner Träume: der perfekten Beziehung.
Letztlich hat Jesus als Zeichen seiner bleibenden Gegenwart und als Sakrament der Verbindung zwischen Gott und Mensch das Brot nicht zufällig gewählt. Sondern weil wir Brot essen (und Wein trinken). Ja: Gott will gegessen werden. Deshalb ist nach der Opferung und der Wandlung die Kommunion der wichtigste Augenblick in der Messfeier. Wir essen Gott. Gott möchte in unser Inneres kommen und dort Wohnung nehmen. Um uns dann von Innen heraus zu verwandeln.
Deshalb ist es nicht falsch, von zwei Wandlungen und zwei Austeilungen zu sprechen: Einmal wandelt Gott das Brot (und den Wein), damit er an die Gläubigen ausgeteilt wird. Dadurch möchte er uns verwandeln - um uns dann am Ende der Messe an die Welt «auszuteilen». Damit wir dann wiederum die Welt verwandeln.
In der Wandlung nimmt also eine Bewegung ihren Anfang, die über die Gottesdienstbesucher an die ganze Welt weitergegeben wird.
Aber diese Verwandlung der Welt ist keine, die ein Diktator an seinem Volk und Land mit Gewalt vollzieht. Sie ist auch keine Revolution, die Umstände und Gesellschaft umstürzt und verändert. Und noch weniger ist sie eine Lehre, die von den Klugen verstanden und den Schlichten verordnet wird. Diese Verwandlung ist die gleiche Verwandlung, die jemand erfährt, der sich auf eine Liebesbeziehung einlässt.
Ja, wir werden verwandelt. Aber nicht durch etwas, sondern durch jemand. Das wunderbare an dieser Art der Speiseaufnahme ist, dass wir nicht das, was wir essen, in unserem Leib einbauen. Sondern derjenige, dessen Leib wir empfangen, fügt uns in Seinen Leib ein. In Seine große Wirklichkeit. In Sein Reich. Letztlich in Seine Liebesbeziehung.
Jeden, dem wir unsere Liebe schenken, verwandeln wir ein wenig. Gott, der sich uns selbst schenkt, löst ebenso eine Wandlung in uns aus. Allerdings die größte denkbare Wandlung überhaupt: Wir werden vom Sünder zur geliebten Braut Gottes.
Es ließe sich noch viel mehr über das reden und schreiben, was wir durch die Feier der Eucharistie für unsere Beziehungsfähigkeit lernen. Wahrscheinlich viele dicke Bücher. An dieser Stelle möchte ich noch ein paar nicht so zentrale, aber doch sehr prägende Punkte nennen.
Auch, wenn du nicht bei jeder Messfeier so richtig und ganz mit dem Herzen dabei sein kannst (wer kann das schon?!), ist der regelmäßige Besuch der Messfeier an sich schon ein hoher Wert. Ich kenne den Einwand: Die Messe ist langweilig und es gibt so vieles, was am Samstag und Sonntag dringender ist. Aber: Ein Besuch bei deiner kranken Großmutter ist oft auch nicht gerade spannend, dennoch ist er aber gut.
In der Eucharistiefeier lernen wir langsam, nicht alles für unseren Vorteil zu organisieren. Dinge für andere zu tun - und sie deshalb gerne tun. Dieses sich langsam von sich selbst lösen und ganz beim Anderen sein beginnt damit, dass in der Messe Jesus sich selbst hingibt, um bei uns zu sein. In jeder Messfeier können wir neue Wege für unser Leben entdecken, auf dieses Opfer mit unserer eigenen Hingabe zu antworten.
Ich bin in Kleve geboren und aufgewachsen - ganz in der Nähe von Kevelaer, einem der großen Wallfahrtsorte in Deutschland. Obwohl ein anderer Wallfahrtsort - nämlich Altötting - bekannter ist und mehr Pilger verzeichnet, ist mir Kevelaer immer noch besonders lieb. Nicht nur wegen des Heimatbezugs, sondern auch wegen einer Besonderheit, die ihn zu einem schon fast eucharistischen Ort macht. Obwohl Kevelaer ein Marienwallfahrtsort ist, gibt es einen wunderbaren Bezug zur Eucharistie: Wir verehren dort eine unsichtbare, größere Wirklichkeit in einem Pfennigsartikel.
In Kevelaer wird ein unscheinbares Heiligenbildchen verehrt, das ein Soldat von einer Wallfahrt nach Luxemburg mitbrachte und in Kevelaer (das damals, 1643, noch nicht einmal ein Dorf war) gegen ein Stück Brot eintauschte. Der Händler Henrik Bußmann, der diesen Tausch vollzog, zögerte zunächst, denn ein Stück Brot war deutlich mehr wert als dieses Bildchen, gedruckt auf minderwertigem Papier, ohne besonderen künstlerischem Wert oder Seltenheitsanspruch. Aber auf Geheiß der Mutter Gottes gab er dann doch das Brot heraus und erhielt ein Bildchen, das zum Zentrum der Wallfahrt in Kevelaer wurde: Zum Gnadenbild.
Damit verbindet Kevelaer etwas mit der Eucharistie, das sehr heilsam für jede Beziehung ist. Für die Beziehung zu Gott, aber auch jede Liebesbeziehung zwischen den Menschen. Denn wer einen anderen Menschen liebt, liebt letztlich dessen Seele. Natürlich mag der Körper auch eine gewisse Anziehungskraft ausüben; aber Liebe schaut schließlich hinter die sichtbare Oberfläche und entwickelt ein Gespür für die unsichtbare Wirklichkeit. Wahre Liebe wird auch manchmal als «Seelenverwandtschaft» bezeichnet. Genau darum geht es: Dass sich die Seele der Liebenden finden und verbinden.
Das kann nur der, der sich nicht vom Augenschein täuschen lässt. Das lernt jeder, der sich auf den Weg nach Kevelaer macht und nach allen Anstrengungen schließlich vor einem Gnadenbild betet, das weltlich gesehen nichts wert ist. Und doch eine Wirklichkeit vermittelt, die unbezahlbar ist.
Das gilt auch für die Eucharistie. Die Hostie, die in jeder Eucharistie verwandelt wird, hat materiell fast keinen Wert. Von allen Materialien, die im Gottesdienst verwendet werden, ist sie der wertloseste. Jede Kerze, jeder Löffel voll Weihrauch, sogar ein Schluck Wein haben materiell einen deutlich höheren Wert. Und doch erwählt sich Jesus das Zeichen des Brotes, dem sogar noch die Hefe fehlt.
Vor diesem Zeichen beugen wir die Knie; davor verbeugt sich die sichtbare und die unsichtbare Welt. Gott möchte partout verhindern, das wir denken, wir würden etwas weltlich Wertvolles verehren; er legt allergrößten Wert darauf, dass wir den Augen des Körpers nicht trauen, sondern eine geistige Wahrnehmung entwickeln, die das Unsichtbare spürt.
Glaubt mir: Wer regelmäßig in der Messfeier seine Knie beugt, sich vor der gewandelten Hostie verneigt und in dem unscheinbaren Brot Gott erkennt, der läuft niemals Gefahr, in irgendeiner Liebesbeziehung die Seele des Geliebten aus dem Blick zu verlieren. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Das Wesentliche sieht nur der, der liebt.
Es gibt immer wieder Diskussionen um die Predigt in der Eucharistie. Leider weniger um deren Inhalt, sondern um die Frage, wer denn predigen darf. Laut liturgischen Vorschriften ist die Predigt dem Priester (oder Diakon, oder Bischof) vorbehalten. Ist das nicht ungerecht?!
Das Predigtverbot für Laien (und damit für alle Frauen, die ja nicht geweiht werden können) wird so als diskriminierend verstanden und mündet manchmal in der Klage, dass somit 50% der Bevölkerung von der Verkündigung ausgeschlossen werden.
Diese Zahl ist natürlich deutlich zu niedrig: Es sind ja nicht nur Frauen, sondern alle Nicht-Geweihten von der Predigt in der Messe ausgeschlossen. Das sind (je nach Anzahl der Priester, Bischöfe und Diakone) gut und gerne 99.9997 % aller Katholiken. Ich habe es ausgerechnet. - Welches Potential geht der Kirche dort verloren! Was könnten Ärzte, Politiker, Mütter und Ordensleute (und so weiter) in der Verkündigung Gutes wirken!
Allerdings ist diese Zahl auch deutlich zu hoch angesetzt: Denn Frauen und nicht-geweihte Männer sind ja keineswegs von der Verkündigung ausgeschlossen; sie sollen und können predigen - wenn auch nicht in der Eucharistiefeier. Aber als Eltern in der Familie, Lehrer und Lehrerinnen, Katecheten und Katechetinnen, Leiterinnen von Exerzitien, Professorinnen und Theologen, Kolleg:innen am Arbeitsplatz (und so weiter) ist der Dienst an der Verkündigung der ganzen Kirche unverzichtbar! Alle Getauften und Gefirmten sind dazu aufgerufen!
Seien wir mal ehrlich: Woher habe ich meinen Glauben? Von meinen Eltern, die mir ihren Glauben vorgelebt und gelegentlich erklärt haben? Oder aus der Predigt eines Priesters, der jede Woche zehn Minuten etwas zum Evangelium sagt? - Verkündigung geschieht zu 99.9997 % in der Familie, nicht in der Predigt der Eucharistiefeier. (Das habe ich, zugegeben, nicht wirklich ausgerechnet. Vermutlich ist der Prozentsatz größer).
Aber warum dürfen nur Priester (ich erwähne jetzt nicht jedesmal die anderen beiden Weihestufen - die Diakone und Bischöfe) in der Eucharistiefeier predigen? Nun, weil es wiederum mehr um ein Beziehungsgeschehen und das damit verbundene Lernen geht, und weniger um eine Wissensvermittlung. In der Eucharistie verwirklicht der geweihte Priester in besonderer Weise die Anwesenheit Jesu, des Bräutigams, der uns als seine Braut heiligen will. Dazu müssen wir in unserer Beziehungsfähigkeit wachsen; in vielerlei Hinsicht. Zum Beispiel in der Demut und der Fähigkeit zuzuhören.
Denn darum geht es in der Verkündigung des Schrifttexte in Lesung, Evangelium und Predigt: Jesus als den Lehrer anzunehmen. Sich zu seinen Füßen zu versammeln. Auf Seine Botschaft hören zu lernen. Anzunehmen, dass dort ein Größerer spricht. - Das fällt uns nicht immer leicht. Oft wissen wir es besser, sind schneller mit unserem Urteil oder hören gar nicht mehr richtig hin. Manchmal glauben wir nicht wirklich, dass Gott in dieser Welt spricht und gehört werden kann. Selbst, wenn wir lernen, technisch wirklich hinzuhören, nehmen wir nicht wirklich wahr, dass uns im Gesagten eine ganz neue geistige Wirklichkeit entgegentritt. Also üben wir das ein: Das Hören. Der Priester vergegenwärtigt den lehrenden Jesus. Und wir hören zu.
Es gehört zu den grundlegenden Erkenntnis der Psychologie, dass wir eine Realität besser und tiefer begreifen, wenn wir uns ihr nicht nur geistig, sondern auch leiblich nähern. Erst, wenn wir uns wirklich hinsetzen und hören, wie die Einwohner in Nazareth in der Synagoge auf Jesus gehört haben, entscheiden wir wirklich, ob wir ihn Ihm den Heiland und Messias annehmen.
Nachdem wir wirklich gehört und angenommen haben (wie jeder, der in einer Liebesbeziehung wachsen will, lernen muss), können wir weitergeben, was wir empfangen haben. Können - ? Wir sollen es! Egal, ob Mann, Frau, Geweihter oder Getaufte: Das ist unser aller Auftrag.
Jetzt wird auch deutlich, warum das Sakrament der Ehe eines der «rundesten» Sakramente ist: Denn bei der Ehe wird nicht nur durch ein Zeichen (wie z.B. die Salbung oder eine Waschung) etwas an meiner Gottes-Beziehung verändert. Sondern das Zeichen ist selbst eine Beziehung; das äußere Zeichen, in dem Gott sich verbirgt, ist diesmal nicht Brot, Wein, Salbe oder Wasser, sondern die Liebe.
Wir unterscheiden bei den Sakramenten Materie und Form; bei einer Taufe ist die Materie z.B. das Wasser und die Form die gesprochene Taufformel. Deshalb meinen manche, die Materie sei immer etwas Materielles, etwas Sichtbares. Aber das stimmt nicht: Die Materie des Ehe-Sakramentes ist der Ehekonsens ... also die Liebe.
Gott verbirgt sich also in der Liebe der Eheleute ... was fast schon kein Verbergen mehr ist. Deshalb ist die Ehe auch ein Sakrament von besonderer Strahlkraft!
Indem sich zwei Menschen trauen, eine Beziehung zueinander einzugehen, verbessert Gott ihre Beziehungsfähigkeit - so dass sie auch in ihrer Gottes-Beziehung wachsen. Wenn wir noch bedenken, dass dieses Trauen, Vertrauen und Wachsen auch eine Ausstrahlung auf die Welt hat (dazu später mehr), können wir eine dreifache Wirkung erkennen: (Erstens:) Zwei Menschen wagen eine Liebesbeziehung zueinander, die Gott trägt, schützt und erfüllt. (Zweitens:) Darüberhinaus gibt das Sakrament der Ehe eine Ausrichtung: Die Liebe des einen Ehepartners soll den anderen befähigen und bestärken, in seiner Liebesfähigkeit auch Gott gegenüber zu wachsen. Gott befähigt die Eheleute, einander in den Himmel zu helfen. (Drittens:) Schließlich offenbart Gott in der Liebe dieser Menschen, was er sich von allen Menschen erhofft - und allen Menschen anbietet: Nämlich eine ehe-ähnliche Liebesbeziehung.
Die erste Wirkung ist die augenfälligste. Manche Brautpaare betonen, dass sie in der Kirche für ihre Ehe den Segen erwarten, denn «an Gottes Segen ist alles gelegen!»
Das ist sehr verständlich und auch gut. Denn auch dann, wenn beide Brautleute sich ihrer Entscheidung absolut sicher sind, bleibt die Ehe ein Wagnis. Keiner weiß, was im gemeinsamen Eheleben passieren wird, welche Probleme sich ergeben und wie weit die Liebe reicht, um sie zu meistern.
Diese Unkenntnis der Zukunft ist vielleicht auch ganz gut so; manchmal schrecken wir ja vor großen Herausforderungen zurück, obwohl wir sie meistern könnten. Da Gott die nötige Kraft nicht im Voraus gibt, sondern erst dann, wenn sie gebraucht wird, würden wir dann vielleicht niemals die Herausforderungen des Lebens annehmen - und somit auch nicht daran wachsen können.
Wenn wir nicht wissen, was da kommen wird, schauen wir auf die Ehe unserer Freunde, Verwandten und Bekannten. Dort zeigt sich leider, dass viele Ehen vorzeitig aufgelöst werden. Deshalb kommen vielleicht Zweifel auf: Überfordert die Ehe uns vielleicht? Kann ein Mensch überhaupt ein so gewagtes Versprechen abgeben: «Ich will Dich lieben alle Tage Deines Lebens»?
Eigentlich kann das nur Gott versprechen. Und im Sakrament verspricht er es auch - durch den Mann und durch die Frau und sagt: «Ich will Dich lieben - in guten und in bösen Tagen!» und spricht auch gleichzeitig beiden Brautleuten die Liebe zu, dieses Versprechen zu erfüllen.
Gott gibt aber auch das Versprechen ab, dass er den Eheleuten immer die Gnade geben wird, ihre Ehe zu leben - natürlich unter der Voraussetzung, dass sie es versuchen und wollen. Auch, wenn der Kampf um die Liebe des anderen vielleicht sogar eine vorübergehende Trennung bedeutet (das gegenseitige Wachsen und Wachsen-lassen in der Heiligkeit und Beziehungsfähigkeit bedarf manchmal seltsamer Umwege und ist selten leidfrei), können wir darauf vertrauen, dass diese Wege und Umwege von Gott begleitet sind - und Gott uns schließlich wieder zusammenführt.
So ist die erste Wirkung des Sakramentes - die Stärkung der Ehe - einer der Hauptgründe, kirchlich zu heiraten. Gott möge der Dritte im Bunde sein: Er, die Quelle unserer Liebe. Solange Er zugegen ist, solange hat die Liebe Luft zu atmen.
Bedenke aber: Die kirchliche Eheschließung ist keine selbstwirksame Garantie für die ewige Haltbarkeit dieser Beziehung. Gott verspricht - in jedem Sakrament - nicht anstelle des Menschen zu wirken, sondern mit ihm zusammen. Wer auf dieses Versprechen baut, wird Gottes schützende Hand erfahren.
Wer dagegen nicht glaubt, dass Gott in seiner eigenen Ehe wirkt, der wird sich die Fortführung der Ehe (die er ja dann allein zu verantworten hat) möglicherweise irgendwann nicht mehr zutrauen und scheitern. Gott dann daran die Schuld zu geben, heißt den verantwortlich zu machen, der als erster vor die Tür gesetzt wurde.
Aber das Ehesakrament ist nicht nur ein Abo für die tägliche Gnadenlieferung zur Eheführung, (inklusive der Verpflichtung zur Mitwirkung) - es ist mehr. Es ist das Versprechen, sich für den Ehepartner in den Liebesdienst Gottes zu stellen.
Viele Menschen - einigen davon bin ich schon persönlich begegnet - halten nämlich die eheliche Gemeinschaft nur für ein Produkt der Evolution; die Ehe diene der Aufzucht von Nachkommenschaft und der Erhaltung der Art. Dass der Hochzeit eine Zeit der Auswahl und der Werbung vorangehe, stelle nur sicher, dass von den «egoistischen Genen» nur die zur Vermehrung zugelassen werden, die attraktiv verpackt sind; nicht umsonst weisen die Vertreter dieser Ansicht darauf hin, dass wir meistens das als «schön» empfinden, was auf Wohlstand, Reichtum, körperliche Gesundheit und Gebärfreudigkeit hinweist ...
Viele Ähnlichkeiten zwischen menschlichem und tierischem Verhalten bei der Brunft, der Paarung, der Brut und der Aufzucht von Nachkommen illustrieren diese Ansicht: Der Mensch sei nichts anders als ein Produkt der Evolution und eine gute «Gen-Reproduktions-Maschine».
Das ist zwar materialistisch - aber deswegen nicht vollkommen falsch. Aber teilweise schon. Wir sind ja auch aus Materie gebaut und haben eine nicht zu unterschätzende materielle Komponente in uns. Aber wir sind - im Gegensatz zu den Tieren - nicht nur Materie, sondern haben auch Geist. Dieser Geist in uns macht uns Gott-fähig - und gleichzeitig Liebe-fähig.
Aber der Geist ist in uns geschwächt und manchmal nicht ausreichend in der Lage, sich über die materiellen Gesetzlichkeiten zu erheben und sie gleichzeitig zu gestalten. Wir verlieren immer wieder den Kontakt, Verbindung zu Gott - und unsere Fähigkeit, wahrhaft zu lieben.
Deshalb gibt es die Sakramente im allgemeinen, und deshalb gibt es das Sakrament der Ehe im Speziellen: Mit Gottes Hilfe, mit Seiner Gnade knüpft Gott nicht nur eine Beziehung zu unserer gebrochenen Existenz, sondern stärkt, heilt und erhebt uns. Die Liebe Gottes - vermittelt durch den Ehepartner - gibt uns die Kraft, uns aufzuschwingen - und zu geistigen und liebenden Höhenflügen zu gelangen, die sich ein Evolutionist niemals erklären kann. Das Wichtigste dabei ist, uns zu gott-ähnlicher Liebe zu führen.
Die Ehe und das Priestertum sind also nicht zwei entgegengesetzte Berufungen, wie mancher glaubt, der sich zwischen beiden entscheiden muss. Beide sind überraschend identisch: In beiden Berufungen geht es um eine Liebesbeziehung, die dem Geliebten den Himmel schenken will. Nur ist in der Ehe der (oder die) Geliebte eine einzelne Person - während der Priester sich wie Jesus Christus der «göttlichen Braut», also der Kirche vermählt - die nunmal aus vielen Personen besteht. (Aber dieser Unterschied ist geringer, als man glaubt; eine Gemeinde zu lieben ist genauso eine Herausforderung mit Höhen und Tiefen, wie die Liebe zum immer auch unvollkommenen Ehepartner).
Daher erklärt sich auch der Zölibat des Priesters, der seinen Leib in den Dienst der göttlichen Liebesvermittlung an die Gemeinde stellt (in Segen, Predigt, Gottesdienst und Sakramentenspendung), während der Verheiratete seinen Leib ebenfalls hingibt - aber zur Vermittlung der Liebe an den einen, geliebten und liebesbedürftigen Ehepartner.
Die Größe der Liebe zeigt sich vor allem im Verzeihen; vor allem darin, den Geliebten auch in seinen Lieblosigkeiten anzunehmen; aber auch in der Bereitschaft, die eigenen Defizite mit der Hilfe des liebenden Partners aufzufüllen und - darauf vertrauend - einen Neubeginn zu versuchen ... nicht nur einmal, immer wieder.
Darin zeigt sich, dass das Leben des «Christen im Allgemeinen» nicht sonderlich unterscheidet vom Leben als «Verheirateter im Besonderen».
Vielleicht übt sich der eine in der Beichte auf dieses «Wachsen durch Vergebung» ein, um dann Reue und Vergebung in der Ehe leben zu können. Vielleicht geht der Weg aber auch über die wunderbare Erfahrung in der Ehe («Sie hat mir verziehen! Ich fasse es nicht!») hin zur Beichte («Dann wird auch Gott mir verzeihen!»).
Das Gleiche gilt - manche mögen über diese Paralelle den Kopf schütteln - für das «Eins-werden-miteinander» in der Ehe und das «Eins-werden-mit-Gott» in der Kommunion. Wobei ich hier im ehelichen Eins-werden nicht nur die körperlich-sexuelle Komponente meine. Vielmehr werden Eheleute auch in einer viel tieferen Weise «ein Fleisch», indem sie Regungen und Befindlichkeiten des anderen schon spüren, ehe sie geäußert werden; indem Abstimmung und Übereinkunft zustande kommt, die keiner Worte mehr bedarf; indem man sich «blind versteht». Nichts anderes soll auch durch die Feier der Eucharistie und durch die Kommunion mit Gott geschehen: Ein Verstehen, das alles Erklären übersteigt.
Nicht umsonst legt die Kirche großen Wert darauf, dass nach Möglichkeit jede Eheschließung im Zusammenhang mit einer Eucharistiefeier geschlossen wird. Vielleicht ist die gelebte Ehe nur möglich durch die gefeierte Eucharistie - und jedes Fest der ehelichen Liebe gelebte Kommunion?
Ich werde manchmal von Protestanten gefragt, warum es in der katholischen Kirche nicht nur die zwei Sakramente Taufe und Abendmahl gibt (wie in vielen evangelischen Kirchen), sondern gleich sieben Sakramente. Nun - die erste Antwort ist natürlich: Wir haben die sieben Sakramente (inklusive der Ehe), weil sie von Christus eingesetzt worden sind und die Kirche seit apostolischen Zeiten diese Tradition bewahrt hat. Aber wenn wir die Bibel und die Tradition nicht nur gehorsam annehmen wollen, sondern auch auf deren Sinn hin befragen (was jeder tun sollte!), stellt sich auf den zweiten Blick immer noch die Frage: Es gibt viel menschliches Tun - worin liegt der Sinn, ausgerechnet die Verbindung von Mann und Frau zum Sakrament zu erheben?
Die Antwort auf diese Frage ergibt sich allerdings erst, wenn wir die Frage umkehren. Denn menschliche Zeichen werden nicht deshalb zu Sakramenten erhoben (von Gott oder von der Kirche, wie auch immer), weil sie sich besonders ausgezeichnet haben und von «archetypischer Bedeutung» sind. Vielmehr sind Sakramente Zeichen, in den sich Gott herablässt, um uns in dieser Welt zur Seite zu stehen. Die Frage nach dem Sinn eines Sakramentes sollte also lauten: Welche menschliche Realität kommt am ehesten dem göttlichen Wesen so nahe, dass es zum Abbild Gottes taugt und würdig ist, eine Verbindung von göttlichem und menschlichem Tun zu werden?
In Amerika ist es üblich, zur Eheschließung sogenannte «Eheversprechen» in ein kleines Büchlein zu schreiben und es dem Ehepartner feierlich zu überreichen. Darin stehen dann Dinge wie «Ich werde Dich niemals an Deiner Berufsausübung hindern», «Ich werde niemals Deinen Geburtstag vergessen», «Ich werde Dir zuliebe nicht mehr Alkohol trinken, als ich vertrage», «Ich werde niemals schlecht über Dich reden» - und so weiter.
Das ist der tiefere Sinn der Zehn Gebote: Sie sind Eheversprechen. Korrekt übersetzt müssten sie also nicht heißen: «Du sollst ...», auch nicht «Du wirst ...», sondern «Weil ich Dich, Gott liebe, werde ich niemals lügen, niemals stehlen und die Ehe heilig halten; ich werde keinen anderen Gott neben Dir haben, denn ich liebe Dich doch; ich werde Deinen Namen ehren und Deinen Wochentag ...»
Der Gedanke, dass der Bundes-Schluss am Sinai dem Ehebund gleicht, ist uns schon eingangs begegnet, vor allem im Bezug auf die letzten beiden Gebote («Du sollst nicht begehren ...» - oder, besser übersetzt: «Ich werde nicht begehren ...») Wer begreift, was das Wesen von Beziehung und dem Bemühen, ein entsprechender Mensch zu sein, in Wirklichkeit ist, der versteht auch das Wesen der Moral neu.
Nach dem ersten Bundesschluss am Sinai (mit der Übergabe der Zehn Gebote als Eheversprechen) hat es in Jesus Christus einen zweiten Bund gegeben - und bei diesem ist der Vergleich zur Ehe noch viel intensiver hervorgetreten. Jesus spricht immer wieder vom «Hochzeitsmahl», vom Himmel als «der Hochzeit», von sich selbst als dem «Bräutigam» und dem Volk Israel bzw. der Kirche als «die Braut¤. Auch durch die Briefe der Apostel und der gesamten christlichen Literatur zieht sich dieser Gedanke: Gott wirbt um uns in bräutlicher Liebe; und unser Heil zu finden heißt soviel, wie Hochzeit-feiern mit Gott.
Noch ein letzter Gedanke, nur ein ganz kurzer. Irgendwo - ich habe keine Ahnung mehr, wo genau - habe ich den Satz gelesen: «Das Leben der Christen ist die einzige Bibel, die die Welt noch liest.» - Das gilt ganz besonders für die gelebte Liebe der Eheleute. Mir als Priester hören ja doch nur die zu, die sich einer meiner Predigten aussetzen (mal mehr, mal weniger freiwillig).
Aber Eheleute predigen der Welt - und die Welt hört zu. Die Welt schaut hin und fühlt sich nicht belehrt oder bevormundet, sondern - bei einer guten Predigt (sprich: einer wahrhaftigen Liebe) - ermuntert, vielleicht auch beflügelt und ermutigt. Auch hierin zeigt sich, dass die Eheleute «Priester für die Welt» sind - und eben auch «Prediger für die Welt».
Wer so die Ehe sieht und versteht, der begreift auch das Zölibat des Priesters ganz anders. Dann geht es nicht mehr um historische Herleitung oder vermögenswirksame Regelungen zu Besitzwahrung des kirchlichen Vermögens.
In der Schule werde ich manchmal gefragt, ob ich als Priester deshalb unverheiratet bin, weil ich in Wirklichkeit mit Gott verheiratet wäre. Meine Antwort ist dann doppelt überraschend. Erst einmal verweise ich darauf, dass wir alle (zumindest alle Getauften) mit Gott verheiratet sind. Naja, zumindest ist das unser Ziel; noch sind wir in der Verlobungszeit. Das Hochzeitsfest erwarten wir dann für das Leben nach dem Tod. In dieser Welt bereiten wir uns auf die Hochzeit vor - oder, noch besser: Gott bereitet uns vor. Er ist der Bräutigam, der seine Braut bereitet.
Und das ist die Aufgabe des Priesters: Er vergegenwärtigt den Bräutigam, der seine Braut heimführen will. Und das ist die zweite Überraschung: Ich bin als Priester nicht verheiratet, «weil ich mit euch verheiratet bin!» Naja, nicht nur mit denen, die mir gerade gegenüberstehen. Nicht nur mit meiner Gemeinde. Aber doch zumindest mit der Kirche. Insofern ich versuche das zu leben und zu sein, was ich darstellen soll: Christus den Bräutigam.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass meine erste Predigt als Pfarrer den Unterschied zwischen herstellendem und darstellendem Tun zum Thema hatte. Sinngemäß hieß es darin, dass wir in dieser Welt immer wieder der Versuchung erliegen, auf sichtbare und anfassbare Ergebnisse unseres Wirkens zurückschauen zu wollen. Jeder Handwerker kann auf Produkte verweisen. Der Priester nicht.
Der Priester stellt nicht her, er stellt dar. Damit steht er dem Schauspieler deutlich näher als dem Handwerker. Am Ende einer Theatervorstellung findet sich nämlich kein fertiges Produkt auf der Bühne, hergestellt und sichtbar - im Gegenteil. Materiell sieht die Welt nach der Aufführung genauso aus wie vor Beginn. Was sich verändert hat, das sind die Zuschauer und die Ausführenden.
Dennoch bleibt die Darstellung des Schauspieler weit hinter dem priesterlichem Tun zurück. Während der Schauspieler nötig ist, um einer Idee (des Autors oder des Regisseurs) Realität zu verleihen, ist Jesus und seine Erlösung auch unabhängig vom Priester real. Christus hat uns erlöst - dazu fügt kein Priester etwas hinzu. Nur um die Realität Jesu gegenwärtig werden zu lassen, bedarf es des Priesters.
Ja, darum geht es: Jesus ist als Bräutigam! Seine Liebe, Seinen Anspruch, Seine Gegenwart wird durch den Priester gegenwärtig. Sakramental (und hoffentlich auch durch die Person des Priesters, so unvollkommen er auch sein mag)! Es geht um Jesus! Alle anderen Aspekte einer Messfeier sind auch wichtig - und gleichzeitig zweitrangig. Gestaltung, Predigt, spiritueller Tiefgang, Gemeinschaftserfahrung, kultureller Genuss: Klar, das wäre schön, wenn das auch dazukommt. Aber das zu realisieren ist nicht die Kernaufgabe des Priesters, dafür ist er nicht geweiht - und daran hängt auch nicht die Frage, ob der Priester ein Mann oder eine Frau ist.
Der christliche Priester ist deshalb ein Mann, weil er Gott in seiner Zuwendung zum Menschen darstellt.
Würde der Priester Gott in seinem absoluten Wesen vergegenwärtigen, so wäre Mann und Frau gleichermaßen Ebenbild und Erinnerung an Gott. Jeder Mensch ist ein Bild der Herrlichkeit Gottes, jeder Mensch ist eine Gotteserfahrung. Ob Mann, ob Frau, ob Kind oder Greis, egal in welchen Eigenschaften er durchsichtig wird für seinen Schöpfer. Darin liegt seine Würde, die ihm niemand nehmen kann.
Dass Gott aber einen Bund mit den Menschen eingeht, ist keine weitere göttliche Eigenschaft, sondern eine Wesensbeschreibung Gottes, die sich nur in Beziehungen darstellen lässt. Der Bund Gottes mit den Menschen könnte ein Pakt unter gleichen sein, oder der Vertrag zwischen Herr und Sklave - zwischen Mieter und Vermieter - und sonst ein Verhältnis. Es gehört aber zum Wesen unseres Gottes, dass nur eine dieser menschlichen Beziehungen Gott wirklich gerecht wird: Nämlich die eheliche Beziehung. Zwischen Mann und Frau. Also zwischen zwei vom Wesen her unterschiedenen, aber in der Würde gleichgestellte Personen.
Dass eine Erkenntnis, die überraschend schön ist, auch wahr sein muss, hat schon Einstein fasziniert festgestellt. Eine Religion, die von der Zuwendung Gottes nicht als herablassende Herrschergeste erzählte, sondern als eine Entscheidung eines Bräutigams, ist zu gewagt und zu schön, als dass Menschen sich dieses ausdenken konnten.
Vor allem, weil der jüdisch-christlichen Offenbarung eine überraschende Dramatik innewohnt: Nicht nur, dass Gott dem Volk den Ehebund anbietet, zusätzlich ist das Volk dieser Ehre weder würdig und wird ihr auch nicht gerecht. Und dennoch hält Gott an Seinem Bund und Seiner Liebe fest.
Das Christentum hat die jüdische Überzeugung, Gott habe nicht irgendeinen, sondern ausgerechnet einen Ehebund mit seinem Volk geschlossen, nicht verworfen oder abgelöst, sondern zur Vollendung gebracht: Gott wird Mensch, um die Menschen zu erlösen, wie ein Bräutigam, der seine Braut heimholt. Er heiligt sie, löst sie aus, reinigt sie. Er umwirbt sie, um in ihr die Liebe zu erwecken, ohne die er keine Hochzeit feiern will.
Deshalb ist es eine konsequente Fortführung der jüdischen Theologie, dass Jesus sich selbst als den Bräutigam und die himmlische Vollendung immer wieder als himmlisches Hochzeitsmahl bezeichnet.
Damit kommt ein fundamentaler Unterschied zum Ausdruck, der wesentlich - der Philosoph sagt: ontologisch - ist: Mensch und Gott finden sich nicht als austauschbare Partner zusammen. Nicht der Mensch erwählt Gott. Nicht Gott wird erlöst. Es finden sich nicht zwei Erlöser auf Augenhöhe zusammen, noch weniger zwei Erlösungsbedürftige, die einander Erlösung versprechen, aber nicht erwirken können.
Der Unterschied zwischen Gott und Mensch ist nicht erst durch die Sünde entstanden. Auch wenn der Mensch nie gesündigt hätte, wäre es Gott, der Seine Herrlichkeit dem Menschen mitteilt. Und nicht umgekehrt. Schon in der Erschaffung des Menschen hat Gott dem Adam Seinen Atem eingehaucht - nicht umgekehrt. Der Mensch lebt, weil Gott ihm Sein Leben und Seinen Geist mitgeteilt hat.
Nein, der Graben zwischen Gott und Mensch ist ebenfalls ontologisch und nicht erst durch die Sünde entstanden. Und doch überwindet Gott diesen Graben, indem er dem Geschöpf göttlichen Atem verleiht. Gott hat den Menschen nach Seinem Ebenbild geschaffen, um mit ihm dann doch «eine Liebesbeziehung auf gleicher Augenhöhe» zu schließen.
Ich vermute, dass es keine ernstzunehmenden Theologen gibt, die etwas anderes behaupten: Gott erlöst den Menschen, nicht umgekehrt. Gott erwählt ihn, er heiligt ihn, er führt ihn in Seine Herrlichkeit. - Ebenso ist es unbestreitbar, dass dieses Drama mit der biblischen Symbolik von Ehe, Mann und Frau erzählt wird.
Moderne Theologen haben allerdings Schwierigkeiten, diese große Ähnlichkeit zwischen der Gott-Mensch-Beziehung als grundlegend für jede menschliche Ehe zu nehmen. «Es mag sein, dass Gott uns als seine Braut gewinnt. Und es mag sein, dass dieses Bild bestimmend war für die menschliche Ehe. Über Jahrhunderte hinweg. Und in vielen romantischen Bildern ist es bis heute gegenwärtig. Auch in modernen Hochzeitsritualen, vom Heiratsantrag (der nach wie vor meistens vom Bräutigam ausgeht) bis hin zum Tragen der Braut durch den Bräutigam über die Türschwelle (das vor allem aus praktischen Gründen selten umgekehrt praktiziert wird). Was aber für das Verhältnis von Gott-Mensch ausgesagt werden kann, lässt sich doch nicht auf jede eheliche Mann-Frau-Beziehung übertragen! Jede Ehe besteht in der fundamentalen Gleichheit der Würde der Ehepartner!»<
Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Beide Ehepartner haben trotz ihrer Unterschiedlichkeit eine immer gleiche Würde. Das ist nicht etwas, dass im Konflikt zum biblischen Bild von Braut und Bräutigam steht. Im Gegenteil: Gerade weil Gott dem Menschen etwas von Seinem Geist mitgeteilt hat (und immer neu mitteilt!), erkennt Gott in ihm eine Ebenbildlichkeit, die letztlich der Grund seiner Würde ist. In dieser Ehe-Metaphorik liegt also keine Beeinträchtigung, sondern das Fundament für die gleiche Würde von Mann und Frau.
Dass dieser Gedanke der fundamentalen gleichen Würde von Mann und Frau oft und zu allen Zeiten (bis in die heutige Zeit hinein) verletzt wurde, ist letztlich auf eine mangelnde christliche Verkündigung und Durchwirken der oft unchristlichen Gesellschaften und Kulturen zurückzuführen. Das christlich-jüdische Gottes- und Menschenbild ist aber mit einer Herabsetzung der Würde der Frau unvereinbar.
Und dennoch haben wir heute Bauchschmerzen, wenn wir von jeder Ehe als dem Abbild des göttlichen Bundes reden. Ist denn der Mann in der Ehe der Erlösende - und die Frau die Erlöste? Zumindest bei Paulus klingt das so (1 Kor 11, 2-16):
«Ihr sollt aber wissen, dass Christus das Haupt eines jeden Mannes ist, der Mann aber das Haupt der Frau und Gott das Haupt Christi.»
Vermutlich liegt in dieser scheinbaren Peinlichkeit der Grund, weshalb wir immer weniger von Mann und Frau und immer mehr von Ehepartnern sprechen: Wir wollen die ehelichen Rollen nicht festlegen; wir fürchten, Ungleichheit zu predigen; wir haben Angst, die Freiheit in der Ehe zu beschneiden. Der Schritt, nicht nur die Rollen von Mann und Frau in der Ehe aufzulösen, sondern auch die physische Realität nicht mehr als wichtig zu nehmen und deshalb auch gleichgeschlechtliche Beziehungen als eheliche Partnerschaften anzuerkennen, ist dann nicht mehr so groß. Spiegelt sich schließlich nicht in jeder menschlichen Beziehung die Gott-Mensch- Beziehung wider?
Deshalb ist es wichtig, noch ein weiteres Detail in Erinnerung zu rufen, das auch für das vorhin erwähnte Thema («Das Priestertum des Mannes») wichtig ist: Die Ehe ist ein Abbild des Bundes Gottes mit den Menschen. Ein Bild aber bleibt immer hinter der Wirklichkeit zurück - im christlichen Sinne aber nur vorübergehend, während sich die Wirklichkeit dem Bild annähert.
Nehmen wir als Vergleich die Rolle des Priesters bei der Predigt: Da ist der Priester auch nicht immer besser informiert, und der Getaufte zumeist nicht der Dumme. Aber im Dienst des Priesters, der lehrt, ruft er die Menschen dazu auf, sich in die Rolle des Hörenden zu begeben. So lernt der Zuhörende seine Haltung Gott gegenüber. Der Priester übernimmt den Dienst, in der Gefahr, die Rolle des Hörenden zu verlernen. Deshalb bedarf es der um so größeren Heiligkeit des Priesters, nicht verloren zu gehen. Der Priester soll also nicht heilig sein, damit er die Rolle des Lehrenden einnehmen darf. Sondern weil er seltener die Rolle des Hörenden einnimmt und er in der Rolle des Lehrenden größeren Versuchungen ausgesetzt ist, muss seine eigene Beziehung zu Gott gefestigter sein. Den Priester in dieser Heiligkeit (damit er nicht verloren geht) zu stärken, ist die Aufgabe der Gemeinde.
So sollen auch Mann und Frau allen anderen ein Bild des Ehebundes Gottes sein. Nach außen sollen sie an die Wirklichkeit des göttlichen Bräutigams erinnern, der seine Braut heiligt. Nicht wie Schauspieler, die Mimik und Gestik dank ihrer Kunst einsetzen, aber nicht wirklich sind, was sie spielen, sondern wie Erlöste, die zeigen, worin sie ihr Glück begründet sehen.
Während Mann und Frau dieses Bild von Erlöser und Erlösten für andere leben, werden sie zugleich nach innen immer mehr verstehen, wie schön und grundlegend die göttliche Vorbereitung auf die himmlische Hochzeitsfeier auch für sie ist. Sie predigen mit ihrem Leben der Welt und zugleich sich - und sie heiligen sich gegenseitig. Dabei ist der Mann derjenige, der der Frau zuliebe den Dienst übernimmt, sie in der bräutlichen Liebe zu Jesus zu fördern. Das ist sein Dienst - und auch die Versuchung. Denn wie auch beim Priester besteht die Gefahr, dabei selber die eigene Brautrolle (Gott gegenüber) zu verlernen. Deshalb ist auch die Frau zum Dienst an den Mann aufgerufen - ihn in seinem Dienst zu stärken und sich ebenfalls zu heiligen. Nicht der (oder die) eine ordnet sich dem anderen unter (wie Paulus schreibt), sondern beide ordnen sich jeweils dem Dienst des anderen unter - und beide Gott in ihrem Dienst an der Welt.
Das hat eine auffallende Ähnlichkeit mit der Berufung zum Priester. Tatsächlich ist der Unterschied zwischen Priesteramt und Ehesakrament viel kleiner, als wir oft annehmen. Wenn Augustinus schreibt: «Für Euch bin ich Bischof, mit Euch bin ich Christ. Das eine bedeutet die Gefahr, das andere die Gnade», so lässt sich das fast eins zu eins auf das übertragen, was in jeder Ehe geschieht.
Sowohl Mann und Frau sind Erlöste - die bekannte Grundlage, von der wir leben. Die Grundlage ermöglicht Liebe - die gleiche Würde auf gemeinsamer Augenhöhe. Das Miteinander hat zudem ein verheißungsvolles Ziel: Bild des Bundes zu sein.
Vorhin habe ich das Beispiel des predigenden Priesters genommen, um zu verdeutlichen, worin der Dienst des Priesters und der Dienst der Gemeinde besteht. Keiner dieser Dienste hat eine größere Würde als der andere. Ja, man kann beide Dienste mit zwei Spiegeln vergleichen, die das gleiche Bild unendlich oft hin- und herspiegeln und somit endlose Tiefe eröffnen: Die Gemeinde verhilft dem Priester, seinen Dienst auszuüben (und dabei Diener zu bleiben), der darin besteht, die dienende Anwesenheit des Bräutigams Jesu in der Gemeinde zu vergegenwärtigen und die Gemeinde so in der Heiligkeit wachsen zu lassen. So, dass auch dem Priester sein Dienst zunehmend leichter fällt - und auch ihn in der Heiligkeit wachsen lässt. Damit er die Gemeinde heiligen kann. Und diese ihn. Und so weiter. Ad infinitum.
Somit ist die Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau ebenso unverzichtbar wie die Aufgabe des Priesters, die Gegenwart des Bräutigams Jesu wachzuhalten. Und seinen Dienst zu vergegenwärtigen, der darin besteht, die Braut (also die Gemeinschaft der Glaubenden) für die Hochzeit zu gewinnen, zu schmücken und dem Bräutigam zuzuführen. Deshalb hält die katholische Kirche daran fest, dies nur Männern zu übertragen. Weil das Bild von Mann und Frau, Braut und Bräutigam, Ehebund und Hochzeitsmahl die einzig angemessene Weise ist, Gottes Beziehung zu uns und allen Menschen zu beschreiben.
Der Priester ist nicht mit Jesus identisch. Das dürfte niemand überraschen, ist doch jeder Priester auch Sünder, erlösungsbedürftig und endlich. Dennoch ist er aufgerufen, Christus als den Bräutigam nicht nur in seinen priesterlichen Handlungen zu vergegenwärtigen, sondern den Herrn möglichst umfassend, mit seinem ganzen Leben und Sein zu repräsentieren. Auch das überrascht nicht; dennoch wird dieser Anspruch in zweierlei Hinsicht angefragt.
(1) Zur Frage der Priesterweihe allein für Männer wird oft eingewendet, dass es nicht nachvollziehbar sei, dass das Mann-sein des Priesters ein wichtiges Kriterium sein solle, seine Haarfarbe, Statur und Ethnie dagegen nicht. Immerhin - so lautet der Einwand - sind ja auch alle Christen im Allgemeinen Priestertum dazu berufen, Christus in ihrem Wirken erfahrbar zu machen. Im Allgemeinen Priestertum aller Getauften ist Christus ja auch nicht in den Männern «mehr» gegenwärtig als in den Frauen.
Nun lässt sich nicht theologisch-stringent beweisen, dass das Geschlecht des Priesters für seine Repräsentation Christi notwendig sei. Dennoch können wir diesem Einwand mit Blick auf den Anspruch des Priesters, Jesus als den Bräutigam darzustellen, begegnen: Denn die Aufgabe aller Christen ist weiter gefasst als die des geweihten Priesters. Sie umfasst zwar auch die Vergegenwärtigung der bräutlichen Liebe, aber darüberhinaus auch jeder andere Form der Beziehung, zum Beispiel der Freundes oder der Freundin, des Arbeitskollegen, Vater und Mutter, Weggefährte oder Hilfesuchender. («Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.» - Mt 25, 40)(2) Außerdem wird oft angefragt, warum der Priester denn unverheiratet leben müsse. Nur weil Jesus auch unverheiratet war? Wird da die Imitatio Christi nicht auf einen Lebensbereich angewendet, der doch für die Christus-Ähnlichkeit gar keine Rolle spiele.
Tatsächlich ist das Argument «Jesus war unverheiratet, also muss es der Priester auch sein, wenn er Jesus vergegenwärtigen will» unvollständig. Die Frage ist nämlich, warum Jesus keine Ehe eingegangen ist. War er vielleicht nur aus kulturellen Gründen ehelos? Weil ein Wanderrabbi das damals nunmal so tat? (Dieses Argument überzeugt nicht, weil in der Zeit Jesu ein Rabbiner selbstverständlich auch verheiratet war. Das gilt bis heute!) Oder war Jesus nur deshalb unverheiratet, weil er aus persönlichen Gründen (noch) nicht zur Eheschließung bereit war?
Die Antwort liegt nun nahe: Christi Ehelosigkeit ist kein kultureller oder individueller Zug, sondern ist Bestandteil seiner Selbstoffenbarung als Bräutigam. So ist auch der Priester aufgerufen, der Gemeinde als Christus der Bräutigam voranzugehen. Nicht nur aus einer Symbolverliebtheit, sondern aus Neigung: Weil der Priester in der Gemeinde tatsächlich seine Braut sieht!
Je nachdem, ob man die Priesterweihe in Parallele zum Ehesakrament sieht, könnte man formulieren, dass der Priester gar nicht ehelos lebt, sondern mit der Kirche, der Gemeinde oder mit der ihm anvertrauten Gemeinschaft der Getauften verheiratet ist. Ein schöner Gedanke, der sich im Leben des Priesters vielfältig wiederfinden lässt. - Oder man sieht den Priester eher in Parallele zu Christus und betont damit das Verhältnis zur Kirche und Gemeinde als das eines Verlobten. Auch hierin finden sich wunderbare Anknüpfungspunkte für Gemeinde und Priester, ihr Verhältnis zueinander zu gestalten.
Klaus Berger hat in seinem kleinen Büchlein zum Zölibat («Zölibat: Eine theologische Begründung») diesen Gedanken aufgegriffen und dem noch einen weiteren hinzugefügt: Der Priester erkennt in der Gemeinde nicht nur die Braut Christi und heiligt sie im Namen Christi, er verwirklicht so auch seine Liebe zu Gott. Indem er in den Getauften und Gefirmten, für die er seinen Dienst versieht, Christus erkennt.
«Wenn ich mich dazu durchringe, an Gott zu glauben - dann ist das aber etwas ganz anderes, als einen Menschen zu lieben: Den Menschen kann ich sehen - Gott ist unsichtbar.» - Das ist korrekt. Aber einen Menschen zu lieben setzt ebenfalls Glauben an Unsichtbares voraus.
Wenn Du von vorne herein sagst: «Es gibt keine Liebe; das sind alles nur biochemische Vorgänge im Gehirn oder bei den Hormonen» - dann kann Dir keine Frau, kein Mann und kein Gott beweisen, dass es wahre Liebe gibt.
Ich habe vor einigen Jahren einige Diskussionen mit einer Schülerin geführt - eine meiner Meinung nach hochintelligente junge Frau. Natürlich ging es auch um Glauben, Gott und Kirche. Nach einiger Zeit teilte sie mir mit, dass sie an diesen Gott, von dem ich erzählt habe, einfach nicht glauben könne. Das war zwar enttäuschend für mich, aber letztlich weiß ich, dass ich mit keinen noch so genialen Argumenten jemanden umstimmen kann, der nicht selbst will.
Ein paar Tage später allerdings teilte mir diese Schülerin mit, dass sie nun auch mit ihrem Freund Schluss gemacht habe. Ich war erstaunt: «Warum das? Liebst Du ihn nicht mehr?» - Ihre Antwort war klar und bestimmt: «Doch, natürlich - sehr sogar. Aber das sind doch alles nur Hormone und Nervenimpulse. Liebe kann es doch nicht geben, wenn es keinen Gott und keine Seele gibt.»
Der Entschluss an die Existenz von Liebe als eine wirkliche seelische Regung zu glauben, ist tatsächlich nichts anderes als der Glaube an Gott. Die Liebe kann Dir keiner beweisen (wenn Du nicht glauben willst), alle Hinweise kannst Du weg-erklären, alle Liebesbeteuerungen Deines Verehrers sind nur Worte seines Mundes, gesteuert durch Nervenbahnen. Wer nichts anderes als Wirklichkeit akzeptiert als das Messbare, Zählbare und Experimentelle, der wird niemals Liebe entdecken. Er wird die Liebe sehr wohl verspüren - aber dieses Gefühl nur als einen evolutionären Trieb begreifen; unsterbliche Liebe gibt es für einen solchen Menschen nicht.
So ist es auch mit dem Glauben an Gott: Wer sich entscheidet, nichts anderes gelten zu lassen, als das Materielle und das Sichtbare, wird Gott nicht finden. Für einen Materialisten ist das natürlich der schlagende Beweis dafür, dass es Gott nicht gibt. Kein Mensch, kein Gott kann ihm etwas anderes beweisen - denn jeder Hinweis und jede Sehnsucht sind für diesen Atheisten auch biologisch oder psychologisch erklärbar. Natürlich wird er immer wieder Gott verspüren - aber dieses Gefühl ist für ihn nichts anderes als Rest des kindlichen Geborgenheitstriebes, der nach einem überirdischen Vater sucht, den es nicht gibt.
Ich bete heute noch häufig für die vorhin erwähnte Schülerin - sie war mir sehr teuer. Ich habe vor allem viel Respekt vor Ihrer Willensstärke und Verstandeskraft: Sie hat tatsächlich recht: Wie können wir an die Liebe glauben, wenn es keinen Gott gibt - und somit nur Materie? Aber im Gegensatz zu ihr fehlt vielen unserer atheistischen Zeitgenossen der Mut, die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen.
Aber nicht nur die Frage, ob es Liebe überhaupt gibt, ist eine Glaubensfrage. Auch, ob Deine Liebe erwidert wird, musst Du glauben:
Denn ob Dein Traumpartner Dich auch liebt, kann er Dir niemals beweisen - das musst Du glauben. Natürlich gibt es dafür Hinweise. Ein verliebter Blick. Ein selbstgebasteltes Geschenk. Der Verzicht auf ein großes Ereignis, nur um bei Dir zu sein. Und noch viel mehr. Letztlich aber sind das alles eben nur Hinweise, Indizien. Ob dahinter Liebe steht - oder vielleicht doch nur der Versuch, Dich auszunutzen - wird Dir niemand wirklich beweisen können.
Es gibt leider einige Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, einen solchen Glauben an die Liebe aufzubringen. Sie sind so sehr enttäuscht worden, dass sie nicht mehr glauben können, dass ein anderer es ernst meint mit seiner Liebe. Oft können sie sich überhaupt nicht mehr vorstellen, dass es so etwas wie Liebe gibt. Will nicht jeder nur an sich denken?
In direktem Zusammenhang damit steht auch die Überzeugung, selbst überhaupt nicht liebenswert zu sein. «Der, der mir gerade seine Liebe gesteht, kennt mich doch gar nicht. Wenn der wüsste, wer ich bin, würde er mich mit Sicherheit hassen.» Verletzungen eines Menschen, der sich einem anderen vertrauensvoll geöffnet hat, gehen tief und haben schreckliche Konsequenzen: Um neuen Verletzungen aus dem Weg zu gehen, verkrampfen sich diese Menschen immer mehr und schotten sich oft gegen alles ab, was in ihnen Liebe hervorrufen könnte.
Die gleiche Abwehrhaltung gibt es auch gegenüber Gott. Manche Menschen sind durch religiöses Verhalten von Eltern, Freunden oder auch von Priestern so sehr verletzt worden, dass sie sich nicht mehr vorstellen können, dass hinter dem ganzen Gerede von Gott wirklich ein gutes, göttliches Wesen darauf wartet, mich zu lieben. Davon zu sprechen wird zur hohlen Phrase, verliert seine Bedeutung und erzeugt schließlich sogar Ekel.
Unmittelbar damit geht die Überzeugung einher, dass ein wirklich göttliches, gütiges und liebevolles Wesen mich nicht lieben kann - aus dem einfachen Grund, weil ich es nicht wert bin. Religiöse Verletzungen führen zu Haltungsschäden: Ich schütze mich vor allem, was in mir glaubendes Vertrauen erwecken könnte - und mich an meine alten Verletzungen erinnern würde.
An die Liebe zu glauben kann Dir keiner vorschreiben - und keiner ausreden. Glauben an Gott hervorzurufen ist nicht durch Zwang und nicht durch Überredung möglich. Weder kann ein Naturwissenschaftler Dir ausreden, Gott zu lieben - noch kann Dir ein Biochemiker beweisen, dass Deine Liebe nur eine Folge von zu viel Schokoladenkonsum ist.
Glauben und Lieben sind Vorentscheidungen. «Grundoptionen» sagt der Soziologe. Und doch sind es keine Entscheidungen der Unvernunft (oder, wie der Philosoph sagen würde, der «Vorvernunft»). Denn diese Entscheidungen lassen sich sehr wohl überprüfen - aber erst im Nachhinein. Denn es handelt sich ja um die Bereitschaft, Wirklichkeit wahrzunehmen.
Verschließe ich die Augen vor einem ganzem Bereich der Realität, wird sich diese größere Welt nicht beweisen lassen. Aber wenn ich meine Vorentscheidung ändere und (bildlich gesprochen) die Augen öffne, kann ich überprüfen, ob diese größere Welt (des Glaubens oder der Liebe) existiert. Dass viele behaupten, das sei ein Schritt vom (sicheren) Wissen in die Welt des (unsicheren) Glaubens, ist natürlich Unsinn. Geglaubt haben die Atheisten auch schon die kleine Welt.
Es handelt sich vielmehr um einen Schritt von einer Welt der begrenzten Erkenntnis in eine Welt der weiteren Sicht. (In diesem Sinne spricht Jesus auch gerne von Licht und Finsternis. Er hat viele Blinde geheilt - als Beschreibung für den Vorgang der Bekehrung).
Wenn Du Dich also dazu durchgerungen hat, nicht mehr nur an biochemische Vorgänge zu glauben, sondern auch Liebe vorauszusetzen, kann es sein, dass Du Dir dieser Liebe so sicher bist, dass Du alles andere dafür verwetten würdest (sogar die Biochemie). Ein für die Liebe «Blinder» wird Dich zwar für verrückt halten (und so typische Sprüche loslassen wie «Liebe macht blind») - Du aber weißt jetzt einfach mehr.
Das gilt auch für Gott: Wer Ihn leugnet und alles, was Gott ähnlich sieht (also alles Geistige), der wird natürlich auch keinen Beweis für Gottes Existenz finden. Wer aber im biblischen Sinne die Augen öffnet, der begreift plötzlich auch den Sinn und die Bedeutung des Materiellen - überhaupt des ganzen Seins. So kann sich jemand, der glaubt, einer geistigen «Sache» sehr viel sicherer sein als ein Naturwissenschaftler seiner Beweise. Allerdings weiß das der Atheist nicht im Voraus - deshalb erscheint ihm der Glaube als ein Wagnis. Leider sind viele nicht bereit, dieses Wagnis einzugehen. Wenn die wüssten!
An Gott zu glauben heißt, Gott zu lieben,
genauso wie an die Liebe eines Menschen zu glauben bedeutet,
diesen Menschen zu lieben. ,
Sich sicher zu sein, dass diese Liebe kein Ende haben wird,
nennen wir Hoffnung.
Viel Verwirrung stiftet genau diese Behauptung von Schon-Glaubenden: «Ich bin mir absolut sicher, dass es Gott gibt.» (Ich würde diesen Satz sofort unterschreiben). Die Antwort auf eine solche Aussage lässt nicht lange auf sich warten: «Wie kannst Du Dir Deines Glaubens nur so sicher sein? Heißt denn Glauben nicht eigentlich, etwas nicht sicher zu wissen? Kann man über Glauben diskutieren? Muss nicht jeder selbst wissen, was er glauben soll?»
Wenn Du Dich entschließt, einen Menschen zu lieben, so ist das weder eine reine Verstandes-Entscheidung noch reine Gefühlssache. Einen Menschen zu lieben heißt, ihn mit allen Regungen, zu denen Du als Mensch fähig bist, anzunehmen.
Genauso ist der Glaube an Gott keine reine Verstandes-Entscheidung, aber auch keine reine Gefühlssache. Warte, ich will das erklären:
Auf den ersten Blick einleuchtend ist, dass eine Liebe aus reiner Berechnung keine Liebe ist. Manchmal können diese Berechnungen auch wohlwollend sein («Schau, wenn Du mich liebst, dann geht es Dir in allen Belangen besser!»), dennoch bleibt eine solche Liebe eine Vernunftliebe - ohne Herz und ohne Gefühl. Wir sind sogar versucht, die politischen Vernunftehen der Adeligen in den letzten Jahrhunderten als «lieblos» zu bezeichnen - was vermutlich etwas vorschnell sein dürfte.
Das gleiche gilt natürlich auch für den Glauben: Auf Gott zu vertrauen, weil man sich dadurch größere Chancen für das kommende Leben ausrechnet, funktioniert nicht - das merkt jeder sofort. Sogar Fidel Castro, der im hohen Alter noch den Papst nach Kuba eingeladen hat, um (wie er selber sagt) noch ein paar «Pluspunkte zum Erwerb der Eintrittskarte in den Himmel» zu sammeln, weiß vermutlich, dass das keinen Sinn ergibt, wenn man nicht Gott irgendwie liebt.
Das andere - eine Liebe nur aus Gefühl - finden wir gar nicht so seltsam. Gerade Jugendliche sind manchmal regelrecht allergisch gegen eine verstandesmäßige Einschränkung der Liebe. Ähnlich allergisch sind sie dann auch gegen gute Gründe, an Gott zu glauben.
Die gefühlsmäßige Liebe ohne Vernunft ist aber extrem gefährdet (und gefährlich):
Verliebter: «Ich liebe diese Frau. Schau her, ich habe ein Bild von ihr. Ist sie nicht schön?» Freund: «Ja - schon. Aber das Bild ist doch schon sehr alt, oder?»
Verliebter: «Das ist mir egal. Diese Frau muss es sein.»
Freund: «Ist das Foto nicht aus Bolivien?»
Verliebter: «Wahre Liebe kennt keine Grenzen».
Freund: «Die ist doch verheiratet, oder?»
Verliebter: «Meine Liebe ist größer!»
Freund: «Wurde die nicht wegen Mordes verurteilt?»
Verliebter: «Meine Liebe wird sie auf den Weg der Tugend zurückführen!»
Freund: «Wegen Mordes an ihren drei ersten Ehemänner?»
Verliebter: «Ich habe keine Angst. Ich liebe sie mehr als mein Leben!»
Freund: «Die ist doch vierzig Jahre älter als Du!»
Verliebter: «Das ist mir gleich. Wahre Schönheit altert nicht.»
Freund: «Ich meine gehört zu haben, dass sie vor 5 Jahren gestorben ist...»
Verliebter: «Meine Liebe geht über den Tod hinaus...»
Zugegeben - der Dialog ist nicht sonderlich realistisch. Aber er macht deutlich: Liebe ohne vernünftiges Denken ist blind - extrem blind. Denken ohne Liebe dagegen ist kalt - Gefühl ohne Verstand ist rücksichtslos.
Wir können zwar nicht darüber diskutieren oder urteilen, welche Gefühle jemand für einen anderen Menschen hat. Aber bevor aus heißen Gefühlen eine Beziehung entsteht, müssen wir den Verstand einschalten - sonst wird es gefährlich. Dazu kann es durchaus hilfreich sein, wenn wir Freunde oder Freundinnen um ihre Meinung bitten - und uns auch vernünftigen Einwänden stellen. Mit beiden Flügeln - der gefühlsmäßigen Liebe und dem klaren Verstand - dagegen kann man in den siebten Himmel einer Beziehung abheben.
Das Gleiche gilt nun auch für den Glauben an Gott: Wer behauptet, die Entscheidung für oder gegen Gott sei reine Glaubenssache (damit ist normalerweise reine Gefühlssache gemeint), der schaltet das Denken genauso ab wie der blind Verliebte. Das ist aber gefährlich: Wenn Glauben wirklich nichts mit Denken zu tun hat und jeder glauben kann, was er will, dann ist kein Kraut gewachsen gegen verbrecherische Sekten, religiösem Fanatismus und kirchlichem Missbrauch. Glauben und Vernunft sind die beiden Flügel, die zusammenschlagen müssen: Die Entscheidung für Gott ist letztlich eine Liebesentscheidung und unterscheidet sich wesentlich von einem «Glauben» an UFOs, fliegende Fettmöpse oder dem Monster von Loch Ness.
Papst Johannes Paul II. hat in einer ziemlich philosophischen und recht schwierigen Enzyklika davon gesprochen, dass Glaube und Vernunft die beiden Flügel des Geistes seien. So kann man auch sagen, dass Liebe und Vernunft die beiden Flügel der menschlichen Beziehung sind - und die Beziehung zu unserem Schöpfer ebenfalls eine «Herzensangelegenheit» und eine «Verstandessache» ist. Beides.
«Gibt es einen Gott?» - Oft gehen wir der Frage, ob Gott wirklich existiert, rein rational an. Das ist in Ordnung und sicher sehr sinnvoll. Aber Diskussionspartner, die nicht an die wahre Liebe zwischen Menschen glauben, können wir rational kaum vom Gegenteil überzeugen. Und dennoch ändern diese manchmal von einem auf den anderen Tag ihre Grundüberzeugung: Weil sie sich verliebt haben. Weil sie im Kontakt zu einem attraktiven Menschen erfahren haben, dass da jemand ist, der sie liebt.
Vielleicht erkennt auch ein Atheist die Existenz Gottes ganz plötzlich an, wenn er diesem Gott begegnet. Zum Beispiel im Gebet.
Dabei dürfen wir nicht den Fehler machen, Gebet zu Gott einfach mit Gespräch unter Menschen gleichzusetzen. Das wäre zwar schon sehr hilfreich: Viele Fragen zum freien Gebet, Bittgebet und betrachtenden Gebet werden wir leicht klären können, indem wir den Vergleich mit einem Gespräch zwischen Menschen ziehen.
Aber Gebet ist mehr als nur Gespräch - Gebet ist die gelebte, verwirklichte Beziehung zu Gott.
Im ersten Teil unserer Katechese habe ich davon gesprochen, dass Glauben sowohl in meiner Beziehung zu Gott eine wesentliche Rolle spielt - ich aber ebenso glauben muss, wenn ich eine Beziehung zu einem Menschen habe - vor allem, wenn es sich dabei um eine Liebesbeziehung handelt.
Sobald ich diese Beziehung lebe, setze ich mich in Beziehung zu anderen. Das ist schon Gebet - nicht erst, wenn ich meinen Mund aufmache. Ja, es gilt sogar: Schon das Suchen Gottes ist bereits Glauben und Gebet. (Das hat vor allem der Gründer von Taizé, Frère Roger, immer wieder betont.)
Alle und jede Voraussetzung zum Gebet ist es, Gott gern zu haben. Ob Du für Deine Beziehung zu Gott das Wort «lieben» angemessener findest, oder eher von «mögen» reden willst, ist nicht so wichtig. Hauptsache, Er gefällt Dir. Du gefällst Ihm nämlich auch - schon von Anfang an.
Dagegen reagiert Gott für uns befremdlich, wenn wir ihn sezieren, beobachten und auswerten wollen - anstatt ihm Zuneigung entgegenzubringen. Klar, kann man verstehen.
Deine Freundin würde ja auch etwas pikiert reagieren, wenn Du sie - ohne sie wirklich zu mögen oder gern zu haben - erst einmal in ein Labor zu Untersuchung geben würdest. Wenn die Laboranten dort mit Deiner Freundin experimentieren, ihr Blut abnehmen, sie vermessen, wiegen und klassifizieren, wird es nicht lange dauern, und sie wird das Weite suchen.
Wundere Dich also nicht, wenn Gott das Gleiche tut. Er will nicht in Theorien eingebaut werden, klassifiziert und begrifflich bestimmt werden - er möchte, dass wir Ihn lieben. Kann gut sein, dass er gelegentlich das Weite sucht.
Das ist aber nicht etwa die schrullige Eigenart eines liebeshungrigen Gottes, der erst verlangt, dass man ihn mag, bevor er sich zeigt. Nein - es geht Ihm schließlich darum, dass erst die Liebe uns die Augen öffnet für das, was Gott ist - was er will - und was er tut.
Sobald Du Gott magst, Ihn gern hast oder sogar nur so etwas wie Liebe empfinden willst (ja, der Wille dazu reicht aus!), betest Du. Ohne es zu wissen. Denn ab diesem Augenblick öffnen sich Deine Augen.
Bei den Schwestern der Steyler Missionare gibt es einen Ordenszweig, der die Weltmission nur durch das Gebet unterstützt. Diese Ordensschwestern, die nicht nur den ganze Tag nichts wesentlich anderes tun als beten, sondern dieses sogar ihr ganzen Leben lang, tragen ein Ordenskleid mit einer besonderen Farbe: Es ist komplett rosa. Wir Studenten haben die rosa Schwestern gerne «Pink Panther» genannt - und uns innerlich immer gefragt, wie man ein solches Leben wohl aushalten könnte.
Die Antwort kam mir, als ich eine junge Frau erlebte; wie sie ganz unruhig wurde, weil ihr Freund für eine Woche nicht in ihrer Nähe war. Nicht, dass sie ihm misstraute. Es ging auch nicht um Langeweile oder ähnliches. Es ging darum, dass sie seine Nähe vermisste. Wie schön war es, als die beiden nach dieser Woche der Sehnsucht wieder vereint waren: Zunächst wurde kein Wort gesprochen - sie vergewisserten sich gegenseitig nur der Nähe des anderen. Und haben diese Nähe genossen.
Es ist schön, einfach nur in der Nähe Gottes sein zu dürfen. Wir müssen dabei nicht unbedingt etwas sagen. Ist es nicht herrlich, erschöpft und ausgelaugt zum Freund kommen zu dürfen und in seinen Armen einschlafen zu können? Und, wenn es sein muss, nach dem Aufwachen ohne ein Wort wieder zu gehen?
Warum glauben wir, im Gebet immer viele Worte machen zu müssen? Genießen wir doch einfach mal die Nähe Gottes. Gönnen wir uns auch ein bisschen Schlaf in Seiner Nähe. Ich fände es gar nicht so schlimm, wenn der eine oder andere im Gottesdienst einschläft (ich bin Pastor - ich darf so etwas sagen). Ich kann mir sogar gut vorstellen, dass Gott sich beim Anblick eines eingeschlafenen Gottesdienstbesuchers dem Lied von Pur anschließt: «Prinzessin, lass die Augen zu! Ich will ganz tief in Dich sehn... Ich schleich mich in den Traum zu Dir - ich liebe Dich! Ich mag Dich schlafen sehn.»
Allerdings: So schön das gelegentlich ist - auf Dauer ist das natürlich zu wenig. Eine Freundin, die immer nur zum Einschlafen zu mir kommt, und mich - wenn auch mit liebevollen Blick - anschließend immer wortlos verlässt, ist auf Dauer schon eine seltsame Freundin. Zu einer echten Freundschaft gehört natürlich auch die verbale Kommunikation. Bevor ich allerdings davon rede, eine wichtige Frage:
Es gibt viele Menschen, die schon irgendwie an Gott glauben wollen und die andere bewundern, die sich stundenlang dem Gebet hingeben können. «Leider», so führen sie oft an, «antwortet Gott mir nicht. Wenn ich bete, dann rede ich wie gegen eine Wand.»
Wenn man aber konkret von Gebetserhörungen spricht, wird deutlich, wo das eigentliche Problem liegt. Beispielsweise erzähle ich von folgendem Erlebnis: «Ich habe im Gebet ziemlich gerungen, ob ich wieder mit meinem zerstrittenen Nachbarn Frieden schließen soll. Mitten im Gebet klingelt es an der Tür - und wer steht vor mir? Mein Nachbar, der sich eine Bohrmaschine ausleihen will. So redet Gott mit mir!»
Mein sehnsüchtiger Freund, der gerne Glauben möchte, wird mir sicherlich antworten: «Ach, das meine ich doch nicht. Das ist doch bloß Zufall. Ich kann doch nicht in alle Zufälle sofort Gottes Stimme hineininterpretieren. Außerdem: Wie kann ich sicher sein, dass das wirklich ein Zeichen Gottes ist?»
Dann muss ich also wohl ein anderes Beispiel erzählen: «Ich war im Gebet mit Gott, eigentlich ein ganz normales Gebet ohne besonderes Anliegen. Plötzlich, mitten im Gebet, ging mir der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf: Ruf Deine Eltern an! - Ich konnte ihn einfach nicht loswerden. Also habe ich aufgehört zu beten und Gottes Auftrag ausgeführt - und meine Eltern angerufen.»
Wieder wird mein Freund antworten: «Aber aber, das waren doch Deine eigenen Gedanken! Warst Du Dir denn sicher, dass Gott das von Dir wollte? Du rennst doch Deiner eigenen Phantasie hinterher!» - In meinem Beispiel ist es eigentlich vollkommen gleichgültig, ob ich durch den Anruf bei meinen Eltern deren Leben gerettet oder nur ein bisschen mit ihnen geplaudert hätte - für meinen Freund ist es so oder so klar, dass die angebliche Antwort Gottes nur ein Gedanke meines eigenen Gehirns war.
Damit hätten wir die Katze, die sich in den Schwanz beißt, beim Schopf gepackt: Der gute, glauben-wollende Freund erwartet, dass Gott zu ihm spricht - dann würde er auch gerne glauben. Aber die Art und Weise, wie Gott zu ihm redet, will er nicht Gott zuschreiben, sondern hält es für Einbildung. Mit anderen Worten: Der Freund, der nicht glauben will, weil Gott nicht zu ihm spricht, will vor allem nicht glauben, dass Gott zu ihm spricht.
Aber seien wir ehrlich: Genau das Gleiche denken wir doch auch, oder?
Es wäre uns doch etwas peinlich, jemanden einzugestehen, dass ich nun meinen Urlaub nicht mehr in Spanien, sondern in Italien verbringe, weil ich im Gebet von Gott dazu aufgefordert worden bin. Würdest Du so etwas eingestehen?
Aber schlimmer noch: Du würdest so etwas Abstruses nicht nur verschweigen - Du würdest es erst gar nicht wahrhaben wollen. Da wir uns selbst nicht für verrückt erklären wollen, leugnen wir einfach die Einwürfe Gottes und machen weiterhin Urlaub in Spanien. Olé!
Wir sind Meister darin, Gottes Stimme zu überhören.
Aber vielleicht sind wir trotzdem bereit, als einfache Neulinge eine Lehre zu beginnen: Das Gebet neu zu lernen.
Tatsächlich spricht Gott gerne in den vorhin erwähnten Zeichen zu mir. Das tun wir Menschen ja auch: Wir lächeln dem anderen zu, halten eine Tür auf, bezahlen die Cola, reichen jemanden die Hand, berühren und schauen, seufzen und machen Geschenke - unsere non-verbale Kommunikation kennt Schattierungen ohne Ende.
Gott ist da Experte. Seine Botschaften, Zärtlichkeiten und Gefälligkeiten sind allerdings ungleich vielfältiger. Wir müssen nur bereit sein, sie als solche wahrzunehmen - wir trauen uns das ja nicht so wirklich.
So ein innerer Selbstzweifel (War das jetzt ein Zeichen Gottes - oder nicht?) unterscheidet sich in nichts von den Liebeszweifeln eines Pubertierenden: «Hat er mich wirklich angeschaut? Nein, das kann nicht sein. Oder doch? Was aber, wenn ich mich täusche? O Gott, wäre das peinlich. Vielleicht meint er gar nicht mich. Vermutlich habe ich mir das nur eingebildet. Was aber, wenn er etwas von mir will - und ich merke es nicht? Wenn ich jetzt darauf reagiere, lachen mich bestimmt alle aus... Was soll ich nur tun?»
Die Antwort, die ich einem von pubertierenden Selbstzweifeln geplagtem Mädchen geben würde, gebe ich auch den Auszubildenden in der Schule des Gebetes: «Trau Dich! Mache Deine Erfahrungen - und Du wirst ziemlich schnell erkennen, welchen Zeichen Du trauen darfst und welchen nicht. Habe keine Angst, Dich zu blamieren - dadurch lernst Du nur schneller.»
Gott spricht zu uns durch Zeichen. Vorsehung nennen das die betenden Menschen, oder Fügung. Wenn Du nur ein wenig in den Lebensberichten großer Christen liest, wirst Du aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Ich empfehle Dir zum Beispiel die Erlebnisse eines Pfarrers aus meiner Heimat in Kleve - Fritz Leinung. Oder - man will es fast nicht glauben - das kleine Büchlein von Gereon Goldmann «Tödliche Schatten - Tröstendes Licht». Oder die «aufrichtige Erzählung eines russischen Pilgers». Oder...
Dazu ist allerdings Glauben notwendig - genauso wie in einer Freundschaft. Gekaufte Rosen und den Hundeblick am Klavier kann jeder - Du musst glauben, dass es sich dabei um Zeichen von Zuneigung handelt. Ich verstehe eigentlich nicht, dass Menschen diesen Zeichen immer noch soviel Vertrauen entgegenbringen (obwohl sie doch häufiger enttäuscht worden sind) - Gott gegenüber aber dieses Vertrauen versagen. Aber wer versteht schon die Menschen?
Nicht-Glaubende unterschätzen diese ersten Gebetsformen - wenn sie «Gespräch mit Gott» hören, hoffen sie auf den Austausch von Worten und Informationen. Dabei sind die bisher geschilderten Weisen des Gebetes keineswegs nur Vorformen - im Gegenteil: Sie sind wichtiger als das mündliche Gebet.
Aber ich gebe zu: Auch jede menschliche Beziehung lebt vom Gespräch, dem Austausch von Meinungen, Ansichten, Informationen, Bitten, Lob und Danken.
Und wieder ist es eine Frage des Glaubens, ob ich bereit bin, Gottes Stimme zu hören. Denn Gott redet nicht mit menschlicher Stimme. Er ist Geist - purer Geist - und stellt die Verbindung zu uns her über unseren Geist. Das ist natürlich nicht so einfach zu glauben; wir sind kritisch unseren eigenen geistigen Regungen gegenüber und skeptisch, wenn wir etwas nicht verstehen.
Aber wer eine enge seelische Beziehung zu einem anderen Menschen hat, kennt das vielleicht:
Eine Mutter wacht mitten in der Nacht auf und weiß, dass ihrem Sohn etwas Schreckliches passiert ist.
Eine Bekannte von mir verließ mitten in einer Vorlesung den Saal in der Gewissheit, sofort zuhause anrufen zu müssen - ohne zu wissen, warum. Wie sich herausstellte, war die Großmutter gestorben.
Eine Frau weiß - entgegen allen Meldungen - dass ihr vermisster Mann noch lebt.
Ein Kind erkennt die Mutter, obwohl es als Säugling von ihr getrennt wurde und sie seitdem nicht mehr gesehen hatte.
Natürlich geschieht das nicht immer - aber es kommt vor, häufiger sogar, als man glaubt. Denn wir reden nicht gerne darüber.
Es gibt also seelische Regungen, von Seele zu Seele, ohne Worte. Gedanken schießen uns durch den Kopf und lassen uns nicht wieder los. Phantasien entwickeln ein Eigenleben; Bilder tauchen immer wieder auf; Gefühle lassen sich nicht abschütteln. - Was wir als seelische Regungen zwischen Menschen kennen, ist jedoch nur ein Abbild dessen, was Gott uns im Gebet an seelischen Geschenken zukommen lassen kann. Wenn wir es nur zulassen.
Gott ist mehr geistig und uns näher, als jede andere Seele eines Menschen. Deshalb kann er in unserem Geist präsenter sein als jede menschliche Seele. Es bleibt lediglich die Frage, ob wir an seine Gegenwart glauben.
Probier's doch einmal aus:
Suche Dir einen ruhigen Ort, am besten eine Kirche. Setze Dich, wenn Du willst, kannst Du auch knien, und trage Gott Deine Bitten vor - Deine Fragen oder was auch immer.
Dann sei aufmerksam: Frage Dich, was Gott wohl darauf antworten würde. Der erste Gedanke, der Dir daraufhin durch den Geist geht - nimm ihn als Antwort. Frage (noch) nicht danach, ob es nur Einbildung ist. Rätsel nicht, ob es nur Dein eigener Geist ist. Sei ausnahmsweise nicht kritisch und nicht skeptisch. Nimm den Gedanken so, wie er Dir kommt.
Frage nach - «Was meinst Du damit, Gott?» Melde Bedenken an, bringe Einwände, führe Deine eigenen Erzählungen fort - mit anderen Worten, beginne ein Gespräch mit Gott.
Lass Dich unterbrechen. Was Du am Anfang vielleicht noch für Deine eigenen Gedanken gehalten hast, wird sich zunehmend in die Rede Gottes verwandeln - und Dir fremd vorkommen.
Vielleicht gibt Gott Dir ungewöhnliche Ratschläge; vielleicht lobt er Dich, obwohl Du um Verzeihung bitten wolltest; vielleicht rügt er Dich, obwohl Du ihn lobst. Trau Dich nur erst einmal, Deine Phantasie in den Dienst Gottes zu stellen, und Du wirst feststellen, dass er sie gerne verwendet.
Dieses Gespräch mit Gott braucht ein wenig Übung - aber wirklich nur ein klein wenig. Viel wichtiger ist Ruhe und Ungestörtheit; noch wichtiger aber Vertrauen und Glaube.
Einige von Euch werden diese Art, mit Gott ins Gespräch zu kommen, als Lieblingsform des Gebetes entdecken - anderen ist es zu wenig intensiv und zu oberflächlich. Tatsächlich haben die Mystiker im Gespräch mit Gott nicht nur Worte gewechselt - sondern Gott hat ihnen so umfassende seelische Regungen geschenkt, dass ihnen die Worte wegblieben.
Wie dem auch sei: Gott ist Geist und schenkt uns neben so wichtigen Dingen wie Trost, Mut, Demut, Frieden oder auch kreative Unruhe auch die Gnade des Gespräches. Sehr real - für den, der glaubt.
Die schönste Form des Gespräches ist natürlich der Dialog. Frei erzählen, offen Bitten, einfach Danken - das ist das Vorrecht der Verliebten. In jedem Gerichtssaal muss man sich an Formen und Formeln halten - im Gebet nicht. In jeder Behörde muss ein Antrag formgerecht sein - im Gebet nicht. Sogar ein Brief erwartet ein Mindestmaß an Förmlichkeit - sonst kommt er erst gar nicht an. Das Gebet kommt immer an, und wer einmal von der Erlaubnis der Liebenden, frei miteinander zu reden, in Bezug auf Gott Gebrauch gemacht hat, will es nicht mehr missen.
Aber es muss nicht dabei bleiben.
Hast Du mit Deiner Freundin noch nie ein Lied gesungen? Gott hört gerne Lieder, und er singt auch gerne mit. Und wer nur an den verliebten Romeo unter Julias Balkon denkt, der weiß, dass ein Lied (selbst schlecht gesungen) mehr sagt als «tausend Worte».
Aber auch Gedichte kann man aufsagen - selbstverfasste Liebesgedichte, Gedichte von einem Ghostwriter oder von Goethe. Ganz egal - jedes Romantiker-Herz wird bei einer solchen Gelegenheit höher schlagen, oder?
Geschichten vorlesen ist total in - nicht nur für die kleinen Kindern. Stell Dir vor, einer von Euch beiden ist krank - der andere wacht an seinem Bett. Für eine echte Unterhaltung fehlt die Kraft. Warum nicht etwas Vorlesen? - Auch zum romantischem Einschlafen, zur gegenseitigen Unterhaltung bei langen Autofahrten oder beim Frühstück aus der Zeitung vorlesen - wer's noch kann, hat schon gewonnen.
Am schönsten aber ist es, in den Worten des Anderen zu reden. Zum Höhepunkt des Films »Die Braut, die sich nicht traut« gehört es, dass Julia Roberts am Ende des Films eine Heiratsantrag macht und dabei genau die gleichen Worte benutzt, die Richard Gere am Anfang des Films selbst ausgesprochen hat (das Gleiche - unheimlich romantisch - findet sich z.B. auch in «Glauben ist alles» - einer meiner Lieblingsfilme). Natürlich nicht nachplappern oder nachäffen - sondern sich die Worte und Gedanken des anderen selbst zu eigen machen - das ist Liebe.
Du merkst schon, worauf ich hinaus will. Es ist nicht so, dass ein aufgesagtes Vaterunser etwas für Anfänger und das frei gesprochene Gebet etwas für Profis ist. Vielmehr kann ein Rosenkranz so eine Art «Vorlese-Zeit» sein, ein Vaterunser eine Liebeserklärung mit den Worten Gottes, ein altes Gebet wie ein Liebesgedicht von Goethe. Vielleicht fühlst Du Dich im nächsten Gottesdienst, während Du Dein Lied singst und zur Orgelbühne hochschaust, wie Romeo unter dem Balkon seiner Julia - warum nicht?
Manchmal kommt es auf die Worte an. Manchmal aber nur auf die Haltung, die man zum Ausdruck bringen will (wer seinen Kindern amüsante Märchen vorliest, kann es trotzdem ernst mit ihnen meinen!). Es gibt sogar Gelegenheiten, wo es weder auf die Worte noch auf die Haltung ankommt - sondern vielmehr darauf, dass man überhaupt etwas sagt. Auch ein Rosenkranz kann (wenn es sein muss) unandächtig und gedankenlos gebetet dennoch ein Gebet sein, das Gott gefällt. Vielleicht reicht Gott ja auch schon die halbe Stunde, die es dafür braucht, als Zeichen unserer Zuneigung.
Wie dem auch sei: Spielen wir die Formen des Gebetes nicht gegeneinander aus. Fragen wir nicht, was wertvoller ist. Bemühen wir uns vielmehr darum, Gott zu mögen und unsere Liebe Ihm zu zeigen - die Form, in der wir es dann tun, ergibt sich von selbst. Nur immer schön offen bleiben!
Am Ende unseres Ganges durch die katholische Welt des Glaubens, die in jedem Winkel von Beziehung spricht, komme ich zu einem letzten Gedanken, der eigentlich ganz an den Anfang dieses kleinen Heftchens gehört hätte: Die Frage, wie ich auf den Gedanken komme, dass es überhaupt einen Gott gibt.
Woher habe ich meinen Glauben überhaupt?
Das Faszinierende ist nämlich, dass alle Glaubensbegründungen seltsam unbefriedigend bleiben, mögen sie noch so philosophisch oder hochtheologisch sein. Mögen sie von Aristoteles, Thomas von Aquin oder Anselm von Canterbury stammen. So ist zumindest meine Erfahrung.
Mit einer Ausnahme: Wenn ich an der Wirklichkeit meiner ersten und wichtigsten Beziehungen anknüpfe.
...ergibt sich nicht aus einer Lückenhaftigkeit der Welterklärung. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Satz. Denn wenn wir im Gespräch zwischen Glaubenden und atheistischen Vertretern der Naturwissenschaft auf die Möglichkeit von Seele, Gott, Gebet, Geist und Wundern zu sprechen kommen, verweist der an Gott Glaubende sicherlich auch auf die Lücken in den Naturwissenschaften. Und das zu Recht! Denn die gibt es! Aber: Diese Lückenhaftigkeit der Welt (auf die ich ganz am Schluss in einem anderen Sinn wieder zurückkomme) ist definitiv nicht der Grund, weshalb ich an Gott glaube.
Dieses Missverständnis kommt schnell und immer wieder auf. Nicht nur in Diskussionen mit mir, der ich auch eine naturwissenschaftliche Ader habe und gerne auf diesem Gebiet mitrede. Aber es ist ein Unterschied, ob ich die Existenz eines Gottes für naheliegend und plausibel halte und deshalb eine Möglichkeit für Sein Wirken in der Welt suche - oder ob ich aus einer vielleicht nur vorübergehenden Lückenhaftigkeit der Naturwissenschaften schließe, dass Gott existiert und als Lückenbüßer herhalten muss.
Kurze Worterklärung: Synthetisch ist hier das Gegenteil von analytisch. Eine analytische Erkenntnis gewinne ich, indem ich verschiedene Dinge gegeneinander halte, seziere, vergleiche, unterscheide und dann aus der Unterschiedlichkeit klare Begriffe gewinne.
Synthetische Erkenntnis dagegen gewinne ich durch spontane Einsicht, durch ganzheitliches Erkennen. Was ich damit meine, mache ich gerne deutlich:
Soweit ich mich erinnere, war meine Mutter für mich eine klare, liebevolle und einzigartige Person. Diese Erkenntnis habe ich nicht durch ein Vergleichen mit anderen Personen gewonnen, sondern sozusagen «mit der Muttermilch» aufgesogen. Ich hatte vielleicht noch keinen Begriff von «Mama» und «Liebe», aber selbstverständlich habe ich meine Mutter erfahren - und Liebe gespürt.
Manche Menschen meinen, man müsse erst Hass verspürt oder erfahren haben, um zu begreifen, was Liebe sei. So rechtfertigen sie das Böse in der Welt: Ohne die Erfahrung des Bösen könne man ja nicht das Gute schätzen. Ich halte das für erwiesenen Blödsinn und habe als Argument nichts anderes als mein eigenes Erleben: Ich muss nicht erst geschlagen worden sein, um zu spüren, dass ich von meiner Mutter geliebt werde. Ich könnte es ohne negative Erfahrungen vielleicht nicht in Begriffe packen. Aber ich weiß es.
So sicher, wie ich das Wesen meiner Mutter erfahren habe, so sicher bin ich mir seitdem, dass es Gott gibt. Meine Mutter war kein «funktionierender Organismus mit wärmender und nährender Funktion». Meine Mutter war meine «Mama». Sie hat mich geliebt, ich habe ihre Seele gespürt und sie meine. Jeder, der ernsthaft behauptet, es gebe keine Seele, keine überzeitliche Individualität, sondern nur mehr oder weniger aufwändig konstruierte Lebewesen ohne jeden Geist, kann ich nur bedauern.
Diese Erkenntnis meiner frühesten Wahrnehmungen setzt sich in der Wahrnehmung eines jeden Gegenübers fort. Es ist für mich unverständlich, wie jemand ernsthaft behaupten kann, geliebte Menschen seien lediglich eine Ansammlung von Atomen und Molekülen. Wenn jemand dies wirklich aus voller Überzeugung so glaubt, gruselt es mich schon ein wenig vor ihm. Noch mehr aber tut er mir leid: Denn logischerweise muss derjenige diese Wirklichkeitsbeschreibung auch auf sich selbst beziehen und sich nur für ein reproduzierendes, verpacktes Genom halten.
Das ist so absurd, dass ich das nicht nachvollziehen kann. Ich bin davon überzeugt, dass sie diese Haltung nicht wirklich ernst meinen können. Einmal, weil die Erfahrung der eigenen geistigen und seelischen Wirklichkeit und die Erfahrung der faszinierenden geistigen und seelischen Schönheit so vieler anderer Menschen nur jemand leugnen kann, der einen Großteil seiner Urteilsfähigkeit ignoriert. Zum anderen, weil eine Ansammlung von Biomasse gar nichts behaupten kann: Wer keinen Geist hat, kann auch keine wahren oder falschen Aussagen machen.
Für mich war also klar: Ich habe eine Seele - und die Menschen um mich herum ebenfalls. Unser Reden und Denken ist real und hat einen wirklichen Sinn (nicht nur einen eingebildeten). Und Liebe und Schönheit sind nicht bloße Errungenschaften der Kultur. Alles das kann nur so sein, wenn es einen Gott gibt - die Quelle von Seele, Geist und Schönheit. Tut mir leid: Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Das ist offensichtlich so.
Und das war auch für mich offensichtlich. Immer. Manche halten es für wichtig, auch von den eigenen Zweifeln zu reden. Aber ich habe nie ernsthafte Zweifel an dieser Erkenntnis gehabt. Niemals. Es ist und bleibt für mich klar: Seele, Freiheit, Geist, Gewissen, Gut und Böse und Schönheit und Sinn sind real. Weil Gott real ist.
Ich gebe zu, diese Zusammenstellung wirkt vielleicht etwas willkürlich. Ich springe von der Theologie zur Moral, zu den Sakramenten und könnte noch weitere Sprünge vollziehen: Zu den Heiligen, zur Frömmigkeit (vor allem dem Gebet), zu den Tugenden - und, und, und...
Warum ich gerade diese Themen angeschnitten habe? Ich bin mir da selbst nicht so sicher. Aber gerade das ist wiederum ein Punkt, den Menschen in Beziehungen vermutlich gut kennen. Wenn Du benennen müsstest, warum Du einen besonderen Menschen magst, fallen Dir spontan die verschiedensten Eigenschaften und Begebenheiten ein. Warum gerade die? Warum nicht andere? Es gäbe doch so vieles zu erzählen!
Ich hoffe zumindest, Dir mit dieser Zusammenstellung aus verschiedenen Katechesen die eine Anregung gegeben zu haben: nun selbst nach den verborgenen (und manchmal doch sehr offensichtlichen) Übereinstimmungen zwischen Glaubensleben und gelebten Beziehungen Ausschau zu halten.
Danke, dass Du mich auf diesem langem Weg begleitet hast. Danke für Dein Zuhören, Mitdenken und Dein Wohlwollen.
Ich möchte mich auch bei verschiedenen geistlichen Initiativen in Frankfurt bedanken, die mich um diese Katechese gebeten haben und mir dadurch Anregung waren, sie niederzuschreiben.
Ich hoffe, dass du diese Gedanken nicht als Belehrung empfindest, sondern sie als Anregung zur eigenen Entdeckung der katholischen Weite verstehst. Das wäre mir wirklich eine sehr große Freude. Und Freude ist mit das Wichtigste überhaupt.